30.11.2006



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Jede Form von Antisemitismus verurteilt

 

Kardinal Lehmann sprach über Kirche und Judentum / Empfang in der Hechinger Synagoge

 


HECHINGEN. Aus Platzgründen referierte Karl Kardinal Lehmann am Dienstag in der Stiftskirche über „den heutigen Stand des Gesprächs“ zwischen „Kirche und Judentum“. Zuvor sprach Deutschlands ranghöchster Katholik in der Hechinger Synagoge über den Papstbesuch in der Türkei und andere aktuelle Fragen.



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Bei seinem Besuch in Hechingen dankte Karl Kardinal Lehmann auch dem Vorsitzenden des Vereins Alte Synagoge Karl­-­Hermann Blickle für das Engagement bei der Renovierung des jüdischen Gotteshauses, das 1938 verwüstet wurde.

Bild: Franke

Was Karl Kardinal Lehmann am Dienstag in der Synagoge zu Hechingen über den Besuch des Papstes in der Türkei voraussagte, hat sich als richtig erwiesen. Im Gespräch mit dem TAGBLATT empfahl der Kardinal „weniger Aufregung auf allen Seiten, auch in den Medien. Viel verhaltener als erwartet waren ja die bisherigen Proteste, und dass Benedikt XVI. die Blaue Moschee (in Istanbul, d. Red.) besucht, wird doch auch als Zeichen des guten Willens erkannt werden“. Für die weitere Entwicklung des Verhältnisses von Muslims und Christen in der Türkei ist Lehmann zuversichtlich: „Ich habe mit Verantwortlichen in der Türkei gesprochen; viele sehen ein, dass man da vorwärts gehen muss, um wirklich Reziprozität (Wechselseitigkeit) in der Gewährung von Rechten zu erreichen, damit also die christlichen Kirchen in der Türkei endlich Eigentum besitzen dürfen, ein Altersheim, eine Kirche. Auf dem Weg der Aufklärung müssen wir weitergehen, und in der Türkei sind gerade auf dem Lande die Menschen oft noch wenig informiert. Vielleicht kann der Papstbesuch da sogar helfen“.

Besonnenheit bevorzugt

Überhaupt bevorzugt der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz besonnene, abwägende Sätze, ohne dabei deutliche Stellungnahmen zu scheuen. So wichtig der Dialog mit anderen nichtchristlichen Religion und besonders dem Islam auch sei: „Zum Judentum gibt es eine ganz einzigartige Beziehung, die ich nachher im Vortrag erkläre.“ Dass die katholischen Kirche sich meist zögerlicher als die evangelische zu eher weltlichen, auch aktuellen sozialen Fragen äußert, sei wohl wahr, aber doch nicht verkehrt. „Ach, es sind doch ausgereifte Stellungnahmen nachhaltiger, und das Aktuelle kann auch bloß Modisches sein.“ Zur Verkündigung des Glaubens – „zentral ist die Nächstenliebe“ – gehört auch das Eintreten für soziale Gerechtigkeit, und den Fragebogen, den Baden-Württembergs Innenminister Rech für einbürgerungswillige Menschen vorschreibt, hält er für „ganz untauglich und überflüssig“.

Fast totale Kehrtwendung

Vor seiner großen Rede in der Stiftskirche – über 600 Hörer/innen waren gekommen – dankte der Kardinal dem Hechinger Förderverein Alte Synagoge, dessen beharrliche und energische Arbeit es ermöglichte, das in den Novemberpogromen 1938 zerstörte und entweihte Gotteshaus so zu renovieren, dass in ihm seit 2003 wieder jüdische Gottesdienste gefeiert werden können. Die 1965 verabschiedete Konzilserklärung „Nostra Aetate – in unserer Zeit“ über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen bezeichnete Lehmann als „Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Kirche und Judentum“, sogar als „fast totale Kehrtwendung im Blick auf die bisherigen Äußerungen der Kirche“.

Die „bisherigen Äußerungen“ erwähnte der Kardinal nicht eigens. Verkürzt wäre zu sagen, dass die Erklärung von 1965 mit rund 1900 Jahren des kirchlichen Antijudaismus bricht – religiös begründetem Antisemitismus, der sich besonders während der faschistischen Epoche mit rassistischer Judenfeindlichkeit verbündete. Nostra Aetate beklagt und verwirft offiziell „alle Hassausbrüche und Äußerungen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von wem auch immer gegen das Judentum gerichtet haben“.

Judentum gleichwertig

Zu einem der meistdiskutierten Texte, obwohl er der kürzeste des Konzils ist, wurde die „Nostra Aetate“-Erklärung auch, weil sie deutlich die Annahme einer „Schuld der Juden“ an der Kreuzigung Jesu ablehnte und „alle Prediger und Katecheten (Glaubens-Unterweiser) ermahnte, sich vor jeglicher Verfälschung der christlichen Botschaft durch feindseliger Ausfälle gegen die Juden der Zeit Jesu und der heutigen Zeit zu hüten“. Das Konzil bekräftigte, „dass die Juden weiterhin von Gott geliebt werden, der sie mit einer unwiderruflichen Berufung erwählt hat“. Die Aufforderung zum „geschwisterlichen Gespräch“ zwischen Christen und Juden wurde eifrig befolgt, und die mit „Nostra Aetate“ eingeleitete Kehrtwendung führte zur Anerkennung der Gleichwertigkeit des Judentums, was die Chance auf Erlösung betrifft. Missionierung von Juden lehnt die katholische Kirche ab.

Antisemitismus ist Sünde

In mehreren Erklärungen haben seither der Heilige Stuhl und Bischöfe die Mitschuld der Institution Kirche am Massenmord an den Juden bekannt. Kardinal Lehmann zitierte Papst Johannes Paul II.: „Die Juden sind unsere bevorzugten Brüder, und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder.“ Und: „Der Antisemitismus ist ein Sünde gegen Gott und die Menschheit.“ Mit Zitaten wies Lehmann nach, dass Benedikt XVI. diese Überzeugungen seines Vorgängers teilt. Natürlich sei es möglich, „Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu üben, ohne gleich in den Verdacht des Antisemitismus zu geraten“, hatte Lehmann im Vorgespräch gesagt, „die wird auch in Israel diskutiert!“ Thomas Ziegner

Text: tagblatt online
Online-Redaktion: tagblatt online

 

Quelle: http://www.tagblatt.de/?artikel_id=1515035