DER KAUFMANN HEINRICH HARBURGER IN ULM

 

Leidensweg eines jüdischen Kaufmanns in Ulm zum Beginn des 19. Jahrhunderts

recherchiert von Rolf Hofmann

 

 

 

 

Gerade erst 17 Jahre alt war Hajum Joseph, als er das kleine malerische Städtchen Harburg bei Nördlingen verliess. Seine Jugend hatte er in der Egelseegasse nahe der Synagoge am Fluss verbracht. Nun wollte er seine Heimat verlassen, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Es sollte eine abenteuerliche und eigentlich fast immer auch beschwerliche Reise durch eine Zeit der grossen politischen Umwälzungen werden.

 

Man schrieb das Jahr 1795, die turbulenten Folgen der französischen Revolution waren in ganz Europa spürbar, die kommenden napoleonischen Kriege warfen ihre Schatten voraus. Hajum Joseph fand Arbeit und Brot beim kaiserlichen Hoffaktor Wolf Levi in Hohenems in Vorarlberg. Ein wesentlicher Geschäftszweig war neben dem internationalen Fernhandel auch die Belieferung des kaiserlich österreichische Militärs.

 

Mit einem von glücklicher Hand erworbenen kleinen Vermögen zog Hajum Joseph wohl im Jahr 1801 von Hohenems nach München, nannte sich Heinrich Harburger, heiratete dort mit polizeilicher Erlaubnis und handelte in der Kaufinger Strasse mit Uhren, Bijouterie und Silberwaren. Seine lang gehegte Hoffnung auf eine endgültige Aufenthaltserlaubnis in München zerschlug sich dann im Jahr 1805, als infolge eines Befehls der "Churfürstlichen Landesdirektion" zwanzig jüdische Familien die Stadt München verlassen mussten.

 

DULDUNG ALS TRAITEUR IN ULM

 

Heinrich Harburger hatte Glück im Unglück, indem Philipp Graf von Arco, Generalgouverneur der bayerischen Provinz Schwaben, die Niederlassung Harburgers in Ulm durchsetzte. Dies allerdings gegen den vehementen Widerstand der dortigen Kaufleute. Nach dreihundert Jahren war dies nun der erste Jude, der sich in der selbstbewussten ehemaligen freien Reichsstadt niederlassen konnte, die seit 1802 unter bayerischer Herrschaft stand. Unter diesem zweifelhaften "Privileg" hatte Heinrich Harburger dann für den Rest seines Lebens zu leiden. Gar zu gern hätte er auch weiterhin seine vielfältigen Handelsgeschäfte betrieben, Stadtrat und Handelsstand lehnten dieses Ansinnen jedoch konsequent ab und gewährten ihm dann lediglich die Duldung als "Traiteur" (= Garkoch) für die koscheren Nahrungsbedürfnisse seiner Glaubensgenossen.

 

Sein Auskommen als Garkoch muss recht unbefriedigend gewesen sein, so dass er sich immer wieder um eine Handelskonzession bemühte. So wollte er 1808 mit chemischen Artikeln handeln dürfen und wies artig darauf hin, dass er damit nun wirklich niemand Konkurrenz in einem angestammten Erwerbszweig machen würde. Dies nützte ihm genauso wenig wie der Versuch, sich ein Warenlager zu halten und die Fenster zur Strasse hin offen stehen zu lassen, damit beiläufig Passanten das Sortiment sehen konnten und sich zum Kauf animieren lassen würden. Das Ulmer Schultheissenamt konfiszierte kurzerhand das gesamte Warenlager mit dem Vorwurf, es handle sich hier um den traditionell unerwünschten jüdischen Hausierhandel beziehungsweise um einen "offenen Laden", zu dem er nicht berechtigt war. Der Konkurs Harburger's war die zwangsläufige Folge dieser Schikane.

 

ENDLICH AUFNAHME IN DIE INNUNG DER KAUFLEUTE

 

Eine Wende zum Guten brachte endlich das "Gesetz über die Verhältnisse der Israeliten", welches die rechtlichen und kirchlichen Belange der Juden im Königreich Württemberg regelte (Ulm war seit 1810 württembergisch geworden). Heinrich Harburger nannte sich nun "Heinrich Röder", nachdem sein 1823 in Harburg verstorbener Vater diesen Familiennamen zu Lebzeiten angenommen hatte. Vermutlich erhoffte er sich von dem neuen, nicht jüdisch klingenden Namen auch eine Verbesserung seiner Lebensumstände, zumal nun Juden auch Mitglieder in Zünften und Innungen werden konnten und das Recht auf freie Niederlassung hatten.

 

Die Ulmer Zunft der Kaufleute war nicht gerade begeistert von der Idee, dass Heinrich Röder sich jetzt auch noch als zunftmässiger Kaufmann etablieren wollte. Man hielt ihm mit einer gewissen Berechtigung vor, dass er nicht ausreichend qualifiziert sei, dass seine Tätigkeit als Lehrling und Commis seinerzeit in Hohenems nicht glaubwürdig genug belegt sei und er bisher eigentlich immer bloss den klassischen Hausierhandel oder "Mäklereyen" (= Vermittlungsgeschäfte) betrieben habe. Als Röder sich dann letzten Endes an die "Königlich Württembergische Regierung des Donaukreises" wandte, sah man dort die Verhältnisse zwar prinzipiell auch nicht viel anders, gestattete Röder jedoch die Berechtigung zum Handel und stellte eine mögliche Aufnahme in die Innung der Kaufleute in Aussicht, wenn er sich nachprüfbare Kenntnisse in Handel und Buchführung erwerben wollte.

 

Heirich Röder erreichte auch dieses ehrgeizige Ziel und führte dann mit seinem Sohn Leopold ein Modewarengeschäft, bis er schliesslich 1838 in Ulm starb. Ein grosses Glück war ihm wohl insbesondere auch noch der berufliche Werdegang seines anderen Sohnes Isaak, den er unter grossen finanziellen Opfern an der Universität in Tübingen Medizin studieren liess, und der 1833 dort sein Studium erfolgreich mit der Promotion abschloss. Den eigentlichen, vom Vater lang ersehnten "Platz an der Sonne" erwarb sich somit der Sohn Dr med Isaak Röder, der 1835 als erster Jude seit dem Mittelalter das Bürgerrecht der Stadt Ulm erhielt und dort noch fast fünfzig Jahre lang segensreich als hoch angesehener Bürger und Arzt tätig sein konnte.

 

TRAGISCHER EPILOG

 

Trotz allem gesellschaftlichen Erfolg blieb auch diese Familie nicht von dramatischen Entwicklungen verschont, deren Ende für alle Beteiligten zur Katastrophe wurde. Dr Isaak Röder war mit Rebecca, der Tochter des kaiserlichen Hoffaktors Aaron Liebmann in Hechingen verheiratet, lebte jedoch nach einger Zeit getrennt von ihr. Ein Sohn aus dieser Ehe war der 1836 in Ulm geborene Adolph Röder, der sich um 1860 in Stuttgart als gelernter Kaufmann ansässig machte und dort in der Canzlei Strasse einen Tapisserie Handel betrieb. In seiner Existengründung wurde er von beiden Eltern grosszügig unterstützt, was letzten Endes auch dazu beitrug, dass diesem Geschäft ein wirtschaftlicher Erfolg beschieden schien. Allerdings hatte Adolph's Kontakt zur Tochter des christlichen Coiffeurs August Burk schon bald eine tiefgreifende Verstimmung in der Röder'schen Familie zur Folge. Caroline Burk war nicht nur ein paar Jahre älter als Adolph, sondern stammte auch noch aus einer Familie mit zweifelhaftem Ruf. Als Adolph Röder nun beabsichtigte diese junge Dame auch noch zu heiraten, drohte ihm der Vater mit der Kündigung des Credits bei der Hofbank. Auch die Mutter stellte sich gegen die Heirat und warnte ihn, dass sie ihn sodann nicht mehr als ihren Sohn betrachten werde. Adolph Röder liess sich jedoch nicht beirren, konvertierte zum christlichen Glauben und heiratete seine Braut in Mailand, wo man weniger Anstand an der fehlenden Einwilligung der Eltern nahm. Ausserdem hatte Adolph Röder in Mailand bereits jahrelange gute Geschäftskontakte aufgrund seines Tapisserie-Handels und machte sich dort sesshaft. Die geschäftlichen Aspekte entwickelten sich gut, insbesondere auch durch die Verbindung mit bedeutenden Handelshäusern in Wien, Berlin und Nürnberg. Dem Glück des jungen Paares stand zunächst nichts im Weg, allerdings war es von kurzer Dauer, nachdem die Gattin Caroline bereits 1869 an einem Herzschlag starb. Dieser Schicksalsschlag sollte von nun an alles verändern.

 

KATASTROPHALE WENDE DES SCHICKSALS

 

Die Geschäfte liefen weiterhin gut, mit seinen Eltern war Adolph Röder wieder in gewisser Weise ausgesöhnt. Allerdings ging er nach dem Tod seiner Gattin vermehrt gesellschaftlichen Aktivitäten nach, vernachlässigte die Geschäfte und fiel leichtsinnig auf üble Machenschaften betrügerischer Geschäftspartner herein, was dann unweigerlich zum Konkurs führte. Zur Abwendung des schlimmsten sprangen hier die Eltern mit grossen finanziellen Opfern ein, sodass Adolph Röder wieder von neuem sein Agenturgeschäft aufbauen konnte. Allerdings war er inzwischen gesundheitlich so sehr angeschlagen, sodass er sich des öfteren in Heilbehandlungen begeben musste, die aber den zunehmenden geistigen und körperlichen Verfall nicht mehr aufhalten konnten. Auch die Geschäfte lagen inzwischen brach, sodass Adolph Röder zusammen mit der schon seit längerem bei ihm in Mailand lebenden Mutter auf Unterstützung durch Verwandte angewiesen waren. Zu allem Übel starb dann auch noch die Mutter, und der Sohn war alsdann verwahrlost und leidend sich selbst überlassen.

 

TRAUER OHNE ENDE

 

Man kam nun überein Aldolph Röder in ein Mailänder Pflegeheim zu geben, was jener allerdings ablehnte, weil er unbedingt wieder nach Stuttgart zurück wollte. Diese "Heimreise" vollzog sich mühsam in hilfloser Gebrechlichkeit unter der Obhut eines nahen Verwandten, der auch anlässlich einer Zwischenstation in Ulm noch versuchte einen allerletzten Kontakt zum Vater Isak Röder herzustellen. Allein, jener liess seinen Sohn hartherzig vor der Tür stehen und lehnte jeden Kontakt mit ihm ab. Seine letzte Lebenszeit verbrachte Adolph Röder als vollständig zerbrochener Mensch in der Flamm'schen Anstalt zu Pfullingen, wo er auch am 21 März 1882 verstarb. So endete das traurige Leben eines unglücklichen Menschen, der unter anderen Umständen ein erfülltes Dasein als körperlich und geistig tüchtiger Mensch hätte führen können.

 

 

 

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