DER VORSÄNGER ISAAC JACOB HARBURGER

 

Eine Episode aus der Gründungszeit der Jüdischen Gemeinde in Stuttgart um 1800

recherchiert von Rolf Hofmann

 

 

 

 

Etwas verborgen, im israelitischen Teil des längst aufgelassenen Hoppenlaufriedhofs in Stuttgart, steht ein stark verwitterter Grabstein, dessen Namenszug gerade eben noch zu erahnen ist. Hier ruht Isaac Jacob Harburger, an den sich heute niemand mehr erinnert und der auch keinen Platz gefunden hat in der offiziellen Geschichtsschreibung, der aber einst als Vorsänger und Schächter in der Gründungsphase der jüdischen Gemeinde in Stuttgart eine sehr wichtige und geschätzte Persönlichkeit war. Geboren wurde er 1761 in Harburg, einem kleinen romantischen Örtchen in der Nähe von Nördlingen in der damaligen Grafschaft Oettingen.

 

Nachnamen im bürgerlichen Sinn hatten damals im 18. Jahrhundert die wenigsten Juden, dafür aber einen zweiten "Vornamen", der in aller Regel den Hinweis auf den Vater gab. "Isaac Jacob" war demnach also "Isaaac, Sohn von Jacob". Allerdings ist über die familiäre Herkunft von Isaac Jacob nicht allzuviel Konkretes bekannt.

 

Die Anzahl der in Harburg von der Herrschaft zugelassenen Judenfamilien war damals auf sechzig begrenzt. Söhne jüdischer Familien mussten demnach oftmals ihr Glück anderswo suchen, wenn sie sich selbständig machen wollten und eine Familie gründen wollten. So bemühte sich Isaac Jacob 1791 um Aufnahme in den Fürstlich Oettingen-Spielbergischen Schutz in Kleinerdlingen. Die unmittelbare Nähe zur Freien Reichsstadt Nördlingen war für ein gutes geschäftliches Fortkommen durchaus förderlich, zumal Juden dort zum Handel zugelassen waren, obwohl sie sich seit 1507 in Nördlingen nicht mehr direkt ansässig machen durften (dies übrigens erst wieder nach 1860).

 

EINE GUTE HEIRATSPARTIE IN  KLEINERDLINGEN

 

Unterstützung für sein Aufnahmegesuch erhielt Isaac Jacob von Abraham Levi, und dies aus gutem persönlichen Grund. Als Schulklopfer von Kleinerdlingen hatte Abraham Levi dafür zu sorgen, dass die Juden auch immer rechtzeitig und möglichst vollzählig zu Gebet und Thoralesung in der Synagoge (= "Schul") erschienen. Diese Tätigkeit als Schulkopfer wurde von der Gemeinde nie sonderlich gut bezahlt, und zu allem Übel hatte Abraham Levi auch noch eine heiratsfähige Tochter, der er notgedrungen nicht allzu viel Mitgift geben konnte. Da erschien Isaac Jacob aus Harburg als der geeignete "Tochtermann", über dessen berufliches Fortkommen als Handelsjud beim Fürsten wohl keine Zweifel bestanden haben mögen. Obendrein war das herrschaftliche Haus dem Schulklopfer Abraham Levi, der ab 1813 den bürgerlichen Namen "Eppstein" annahm, wohl auch noch eine Gefälligkeit schuldig, nachdem sich Abraham Levi immer wieder als "verwendbar" in herrschaftlichen Angelegenheiten gezeigt hatte.

 

Zur Heirat brauchte man damals zwingend die Genehmigung des Fürsten, und Abraham Levi "supplicirte" in dieser Angelegenheit "unterthänigst", allerdings nicht ohne kräftiges Eigenlob: "Ich getröste mich der gnädigsten Gewährung dieses Unterthänigsten Gesuchs um so mehrer, als ich, als Schulkopfer bey der jedesmaligen Steuereinnahme in Klein Erdlingen gegenwärtig seyn, die Leute hier beyshaffen, auch andere Befehle der Herren Steuereinnehmer ausrichten und überhaupt zu jeder Art Verrichtung dabey mich gebrauchen lassen muss."

 

VORSÄNGER UND SCHÄCHTER IN STUTTGART

 

Die Heirat mit Viola Levi fand dann alsbald statt, und Isaac Jacob machte sich in Kleinerdlingen im Haus des Schwiegervaters zunächst einmal sesshaft. Allerdings nicht allzu lange. Er muss wohl ziemlich bald nach 1800 zusammen mit seiner Gattin nach Stuttgart ins "Württembergische" ausgewandert sein, um dort der gerade neu entstehenden Jüdischen Gemeinde als Vorsänger und Schächter zu dienen. In Erinnerung an die auch für die Stuttgarter Bürger recht schändliche Affäre um den Hoffaktor Jud Süss war die christliche Bürgerschaft allerdings nicht sonderlich begeistert über ihre jüdischen Mitbürger. Zunächst war es gerade einmal eine handvoll Familien welche das jüdische Leben in Stuttgart prägten, angesiedelt im Umkreis der Hoffaktorin Madame Kaulla. Lediglich 14 jüdische Familien mit zusammen 108 "Seelen" lebten dann um 1808 in Stuttgart. Für das religiöse Leben war jedoch von Anfang an ein Vorsänger und Schächter unabdingbar, auch wenn die Verhältnisse in den ersten Jahren doch recht bescheiden gewesen sein müssen und an Stelle einer noch nicht finanzierbaren Synagoge ab 1808 ein Saal im Hotel Waldhorn am Postplatz als Ersatz dienen musste.

 

Isaac Jacob's Auskommen in Stuttgart dürfte in den ersten Jahren sicherlich sehr dürftig gewesen sein, seine Zunkunft war mehr als ungewiss. Er versuchte deshalb vorsorglich sein in Kleinerdlingen erworbenes "Herbergsrecht" über lange Jahre weiter zu behalten. Isaac Jacob nannte sich nun "Isaac Harburger", hatte eine Familie mit vier Kindern und einen beruflichen Status, mit dem er so einigermassen zufrieden sein konnte. Die Zahl der in Stuttgart ansässigen jüdischen Familien nahm zu, und damit auch sein Einkommen. Das war dann wohl auch die schönste Zeit im Leben des Vorsängers Isaac Harburger. Dann allerdings kam das Israelitengesetz vom 25. April 1828, das unter anderem die Ausbildung der Rabbiner und Vorsänger im Königreich Württemberg neu regeln sollte. Insbesondere durften die alten "ungeprüften" Rabbiner und Vorsänger ihren Dienst lediglich noch für eine Übergangszeit ausüben. Die traditionellen und bewährten Ausbildungsformen des Judentums gehörten damit der Vergangenheit an, staatliche Institutionen entschieden nun über Lehrpläne und Zulassung der religiösen Würdenträger der jüdischen Gemeinden.

 

ABSCHIEBUNG AUFS ALTENTEIL VON AMTS WEGEN

 

Für die jüdisch religiösen Belange gab es nun die Königliche Iraelitische Oberkirchenbehörde, die 1832 voll reformfreudigem Optimismus darauf hinwies, "dass eine genügende Anzahl tüchtiger israelitischer Schullehrer sich auf die Prüfung zu Vorsänger-Stellen vorbereite und etwa fünf israelitische Jünglinge sich gegenwärtig schon auf Universitäten des Studiums der mosaischen Theologie befleisse".

 

Isaac Harburger verlor damit seinen angestammten Platz in der jüdischen Gemeinde, der er dreissig Jahre lang in deren Aufbauphase treu gedient hatte, dies übrigens ohne jegliche schriftliche Vereinbarung. Er war "zu keiner Funktion mehr zu gebrauchen", wie es von Amts wegen gnadenlos lapidar hiess.

 

Die jüdische Gemeinde allerdings muss mit ihrem Vorsänger Isaac Harburger sehr zufrieden gewesen sein, sie gewährte ihm auch weiterhin aus freien Stücken seine bisherige Besoldung als Pension. Vier Jahre lang sollte ihm dieses Gnadenbrot noch vergönnt gewesen sein. 1837 starb Isaac Harburger im Alter von 77 Jahren in Stuttgart an der Seite seiner treuen Gattin Viola, nachdem ihn schon seit Jahren gesundheitliche Probleme arg geplagt hatten.

 

Wenig später ging dann sein Sohn Leopold Harburger in die nahegelegene ehemalige Freie Reichsstadt  Esslingen, gründete dort eine Buchdruckerei und wurde Herausgeber eines gut florierenden Intelligenz- und Unterhaltungsblatts, das schon nach wenigen Jahren zum Amtsblatt erhoben wurde. Die "Harburger'sche Druckerei" wurde gelobt wegen "der grossen Vorräte von schönen Typen in den verschiedensten Schriften". Leopold Harburger starb 1879 im Alter von 67 Jahren in Esslingen, seine Druckerei blieb jedoch bis 1909 weiter im Familienbesitz, der Firmenname selbst hatte auch nach dem Verkauf der Druckerei noch Bestand bis 1929.

 

 

 

 

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