Die israelitische Religions-Gemeinde Viernheim (Hessen)

 

FESTSCHRIFT

zur Jahrhundertfeier des Synagogenbaues im August 1927

 

 

 

Einleitung

 

Diese Abschrift wurde im August 2007 zum 180. Jahrestag der Einweihung der ehemaligen Viernheimer Synagoge nach einer Kopie der Originalbroschüre aus dem Stadtarchiv Viernheim von Harry Maximilian Siegert angefertigt. Der Text mit allen Interpunktionszeichen wurde im Wortlaut übernommen, die damals gültige Rechtschreibung jedoch äußerst behutsam der heutigen Schreibweise angepasst. Zudem wurden  einige offensichtliche Druckfehler berichtigt. Zitate sind in ihrer Schreibweise belassen.

 

Das Deckblatt hat den folgenden Text „Die israelitische Religions-Gemeinde Viernheim (Hessen), Festschrift zur Jahrhundertfeier des Synagogenbaues im August 1927, Druck Viernheimer Volkszeitung“. Seite 2. ist leer, Seite 3. zeigt ovale Bilder von Isaak Kaufmann, 1. Vorsitzender der Gemeinde, David Weißmann, Vorstandsmitglied, Hermann Weißmann, langjähriger 1. Vorsitzender, Willi Gernsheimer, Vorstandsmitglied und dem Verfasser der Festschrift Heinrich Loew, Lehrer. Die Seite 4. ist wiederum leer, während auf der 5. Seite in der Mitte ein Bild vom Innenraum der Synagoge zu sehen ist. Weitere Illustrationen gibt es nicht. Das Ende der jeweiligen Seite wird <0> ›angezeigt

 Das Gebäude stand bis zur Zerstörung am 10. November 1938 in der Hügelstraße, Grundstück Nr. 5.  Eine Fotografie oder anderes Bild der Synagoge wurde bisher nicht aufgefunden. Es liegt lediglich eine Zeichnung von Karl Fischer vor. (siehe „1200 Jahre Viernheim“, Viernheim 1977,  Herausgeber: Magistrat der Stadt Viernheim). Die Festschrift von 1927 hat insgesamt 24 Seiten, wobei die hinteren Umschlagseiten 23. und 24. nicht bedruckt sind.

 

 

 

Heinrich Loew, geboren 1884, Rabbiner

verheiratet mit Rosa Mayer, geb. 1884, wohnhaft im Haus Hügelstraße 7. Nach dem Brandanschlag und der Zerstörung der Synagoge am 10.11.1938 und der gleichzeitig erfolgten Plünderung der Wohnung, erfolgte im Frühjahr mit den Töchtern (Ruth Loew, geb. 1912, Lehrerin, seit 1935 in Darmstadt und Lea Loew, geb. 1916, seit 1935 in Bürstadt) erfolgte Anfang 1939 die Flucht nach Luxemburg mit anschließender Emigration in die USA. (Quelle: Stadtarchiv Viernheim)

 

 

Die israelitische Religions-Gemeinde Viernheim (Hessen)

FESTSCHRIFT

zur Jahrhundertfeier des Synagogenbaues im August 1927

 

Druck Viernheimer Volkszeitung

<1 Deckblatt>

 

Vorwort

 

Als ich vor einigen Monaten daran ging, eine Festschrift zur Erinnerung an den Synagogenbau vor hundert Jahren zu verfassen, musste ich aus verschiedensten Gründen die schwerwiegensten Bedenken äußern. Es war von vornherein klar, dass bei der Abfassung einer solchen Festschrift der Synagogenbau zwar im Mittelpunkt der ganzen Abhandlung stehen musste, dass aber der Umriß dieser Abhandlung durch die Geschichte der jüdischen Gemeinde gegeben war. Eine solche Aufgabe ist bei einer Stadt oder Dorf mit guten Chroniken keine Schwierigkeit, aber bei einem Orte wie Viernheim, das keine auffallende Rolle in der Weltgeschichte gespielt hatte, musste ich Schwierigkeiten beim Quellenstudium erwarten. Diese anfänglichen Bedenken konnten nur dadurch überwunden werden, dass sich auf Veranlassung unseres Herrn Bürgermeisters Lamberth, Herr Verwaltungssekretär Franz Haas in liebenswürdiger Weise bei der Zusammenstellung des Materials zur Verfügung gestellt hat; besonderer Dank sei ihnen auch an dieser Stelle für ihre freundliche Mitarbeit ausgesprochen. – Da es sich im Folgenden um eine Festschrift handelt, habe ich mich bemüht, trotz weitgehender Gründlichkeit, mich nicht in Einzelheiten zu verlieren. Nach dem Aktenstudium zu urteilen, wäre es schon reizvoll gewesen, manche interessante Einzelheit zu zitieren, aber ich habe absichtlich darauf verzichtet, da ich bei Namensnennung leicht in den Verdacht mangelnder Objektivität kommen könnte; wer sich für weitere Einzelheiten interessiert, muß aber schon selbst die Akten studieren. Ich glaube durch die Festschrift allen Freunden der Gemeinde Viernheims etwas gegeben zu haben, wodurch es jedem Einzelnen ermöglicht wird, in kritischem Rückblick die Entwicklungsgeschichte der israel. Religionsgemeinde Viernheims zu betrachten, seine Folgerungen daraus zu ziehen, und in seinem Sinne für das Wohl der Gemeinde zu arbeiten.

In diesem Sinne übergebe ich die Festschrift der Oeffentlichkeit

 

Viernheim,     den 13. August 1927

                   Schabbes-Nachamu 5687

Heinrich Loew

Lehrer

an der israel. Religionsgemeinde

<6>

 

Geschichte der Juden

 

Soweit man aus der Geschichte des Judentums in Deutschland etwas sagen kann, muß man annehmen, dass die ältesten jüdischen Gemeinden ihre Gründung anscheinend den römischen Soldaten verdanken. Die ersten jüdischen Niederlassungen sollen von italienischen Juden begründet worden sein, die mit den römischen Kohorten zur Zeit der Geburt Christi nach Germanien marschierten. Die ältesten Niederlassungen dieser Art stellen Köln und Worms dar, die ungefähr um 300 n. Chr. entstanden sein sollen. Ob die Angabe richtig ist, dass die Synagoge in Friedberg auch schon im  Jahre 610 erbaut worden ist, muß dahin gestellt bleiben, da sie von vielen Autoren bezweifelt wird. Das gleiche gilt von der ersten jüdischen Niederlassung in Mainz, die in den Stürmen der Völkerwanderung vernichtet worden sein soll. Einige Jahre später wird allerdings die jüdische Niederlassung in Mainz urkundlich bestätigt; um das erste Jahrtausend spielen Mainzer Juden eine bedeutende Rolle im Wirtschaftsleben und genießen vorübergehend ein großes Ansehen nicht nur bei ihren Herrschern, sondern weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Jedoch auch schon damals war die Stellung und Lage der Juden eine sehr wechselvolle, während der eine Herrscher sie als gleichberechtigt erachtete, hat ein anderer sie schwer bedrückt und alle Vorteile aus ihnen herauszupressen versucht. Den Höhepunkt der Drangsalierung bildeten die Kreuzzüge, durch die manche jüdische Gemeinde vollkommen zerstört wurde. Im Verlauf der zahlreichen Kreuzzüge wiederholte sich dieses Schauspiel öfters, und manche neugegründete  Judengemeinde war bald wieder vom Erdboden verschwunden. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts verließen deshalb viele Juden aus Frankfurt a. M., Worms, Speier und der Wettterau Deutschland, um unter Führung eines bedeutenden Gelehrten jener Zeit, R. Meier von Rothenburg nach Palästina auszuwandern. R. Meier wurde in Italien gefangen genommen, wodurch der ganze Plan der Auswanderung vernichtet wurde. Die Folge dieses Auswanderungsversuchs war die Beschlagnahme des Besitzes der Auswanderungslustigen.

Um diese Zeit, hören wir von dem ersten Auftreten jüdischer Gemeinden in der Wetterau, im Hanauischen, an der Bergstraße und Frankfurt a. M., und zwar sollen sich die jüdischen Gemeinden dieser Gegend von Frankfurt a. M.  und Friedberg aus entwickelt haben. Einzelne Orte bekamen von Kaiser Ludwig 1335 das Recht, je 10 Juden halten zu dürfen, wahrscheinlich, um einen ordnungsmäßigen Gottesdienst abhalten zu können. Hingegen scheinen in Gelnhausen schon früher Juden gewohnt zu haben, denn 1290 hat König Rudolf die Juden  Gelnhausens für 500 Heller an Ulrich von Hanau verpfändet. Die entsetzlichste Judenverfolgung in Deutschland war von 1318, wo gerade in der ganzen hiesigen Gegend, Mainz,  Speier,  <7> 

Worms bis nach Frankfurt a. M. die Flagellanten tobten, da man die Juden beschuldigte, durch Vergiftung der Brunnen und Flüsse die Pest heraufbeschworen zu haben. Nur wenige Juden war es gelungen , ihr nacktes Dasein über diesen ausstand hinüber zu retten, sodaß wir im 14. und 15. Jahrhundert nur wenige und kleine Judengemeinden finden. Infolge dieser Vernichtung jüdischer Gemeinden und Aneignung ihres Besitzes durch die betreffenden Herrscher, waren die Juden jener Zeit außerordentlich arm. Außerdem  waren sie im öffentlichen Leben nicht mehr gleichgestellt, sie wurden von den Zünften, Gemeindeämtern und Waffendienst ausgeschlossen. Nur für eins waren sie gut: Ausbeutungsobjekte der Grafen und Fürsten zu sein. Als äußeres Zeichen ihrer  Unterdrückung und Missachtung wurden sie gezwungen, seit dem 15. Jahrhundert den gelben Ring auf dem Mantel zu tragen. Damit wurde ihre schlechte Stellung im Staate öffentlich dokumentiert, und sie wurden dadurch nicht nur der Ausbeutung der Herrscher, sondern auch dem Spott des Pöbels preisgegeben, man suchte eben zu jener Zeit mit allen Mitteln und Wegen die Juden soweit auszupressen als es irgendwie möglich war. Die Unterdrückung ging so weit, dass man selbst Toten gegenüber der Rohheit keinen Einhalt gebot, indem man die Gräber öffnete, die Leichname schändete, oder auch Begräbnisorte, da wo sie eingerichtet waren, schloß, um so die Leichenbestattungen zu verhindern. Tagereisen musste man machen, um für den Verstorbenen ein Ruheplätzchen, geschützt vor roher Hand, zu finden.

Um das 16. Jahrhundert wohnten in der Umgebung viele Juden, die „mit Wein, Tabak, Frucht, rauem Tuch, rauem und gemachten Leder und anderen Waren handieren und nicht bloß die Städte und alle umliegenden Flecken mit ihrer Ware auflaufen, sondern auf Wochenmärkte ziehen, dort ihre Ware öffentlich auslegen und feilhalten“.

Die Juden haben sich von den verschiedenen Verfolgungen der letzten Jahrhunderte erholen können, sodaß sie um das Ende des 16. Jahrhunderts schon wieder regen Anteil am Wirtschaftsleben nehmen konnten. Begünstigt wurde die Situation durch die Lage der Bergstraße und des Maintals. Der alte Weg der Kaufleute von der fränkischen Saale führte durch den Spessart nach der Gegend von Hanau als sogenannte Birkenhainstraße, nach Mainz, Worms, Speier, Weinheim, Bensheim, Darmstadt und Frankfurt. Andererseits führte von Nürnberg die große Verkehrsstraße über Augsburg nach Aschaffenburg, Seligenstadt nach Frankfurt, auf der die Kaufleute Bayerns zur Messe zogen. Das Maintal sowie die Bergstraße waren also von zwei großen Verkehrsstraßen flankiert, und es ist selbstverständlich anzunehmen, dass der Durchzug der Kaufleute nicht ganz spurlos an den Einwohnern der hiesigen Gegend vorübergegangen ist. Eine starke Beunruhigung wurde in die Judenschaft unserer näheren und weiteren Umgebung durch den Fettmilchaufstand in Frankfurt (1614)  hineingetragen. Das entsetzliche Blutbad unter den Juden Frankfurts veranlasste zahlreiche Juden, die Stadt fluchtartig zu verlassen und sich in den umliegenden Städten und <8>

 

Dörfern in Sicherheit zu bringen. Es ist möglich, dass damals auch Juden in die hiesige Gegend und nach Viernheim gekommen sind, den 1609 wird Judt Moses als Auswechsler genannt, der dem Almosenrechner, der Klage führt, über die „viele böse verbottne Münz“, welche ins Säcklin gesamlet wurden, diejenige böse Kreutzer“ auswechseln musste. Einwandfrei erwiesen ist diese Annahme jedoch keineswegs, jedoch in höchsten Grade als wahrscheinlich zu betrachten, da auch noch andere jüdische Gemeinden der Umgebung zu jener Zeit entstanden sind. Genauere Angaben über das Auftreten der Juden in Viernheim finden wir erst aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts, und Bemerkungen aus späteren Akten deuten ebenfalls daraufhin, dass die jüdische Gemeinde in Viernheim im 17. Jahrhundert gegründet worden ist. Ein Aktenstück vom 20. Dezember 1713 besagt:  den sämtlichen Juden wird anbefohlen „nicht bey nächtlicher weil zu schlachten und das Vieh lebendig beschaun zu lassen.“ Am 19. November 1721 klagte der Almosen (empfänger) pfleger Leonard Winkler wegen einer Forderung gegen den Juden Sanders und Moyses Jud. Kläger und Beklagte haben, trotztem sie sehr  oft mit einander prozessierten, sich nie feindlich gegenüber gestanden. Denn bei einer Familienfeier, „wo es arig herging, gesoffen und gelumbt wurde“, gingen Winkler, Sanders und Moyses Jud, Arm in Arm durch die „breiteste Straß“ und waren erst durch das gütige Zureden ihrer Frauen, von einander zu trennen. Was für Schwierigkeiten das Heiraten der Juden machte, sehen wir aus den Verhandlungen, die der Jude Sanders, wegen seinem Sohn David führen musste. Sie beginnen: Aktum Viernheimb 22. Februar 1717 in praesentia Senatus.

Ad Justantiam Juden Sanders allhero, welcher vor seinen Sohn David bey Ihro Churfürstlichen Gnaden einen gnädigsten Schutz vor denselben undthänigst und zu bitten gesonnen, mithin Schutz vor denselben undthänigst auch zu bitten gesonnen, mithin und ein gerichtliches attestatum, dass mann nicht zu widerseye geziemend gebetten, wurde zwar Ihnen Impretant der verlangte gerichtliche Schein mitgetheilet, jedoch mit diesem umständlichen beding, dass genannter sein Sohn David in des Vatters Sanders Haus verbleibe und keine anderweitige Wohnung in dem Orth zu suchen befugt seyn solle wozu sich Sanders Jud sich auch verstandt und vor sich und seyn Sohn diesem geding nach zuleben versprochen. Dieses also protokollium verwahret worden.

Obwohl Davids Vater Schutzjude war und dieser Schutz auf die ganze Familie übertrug, wurde es ihm fast unmöglich gemacht, seine Braut aus „Flehing im Badischen“ zu heiraten. Er musste vor der Ehe der Regierung seinen Ehevertrag vorlegen, genaue Angaben der Mitgift machen, mitgebrachte Betten, Bargeld etc. spezifiziert angeben, und trotzdem wurde die Genehmigung des Einzugs der Braut zunächst verweigert. Erst Ende 1723 nach Zahlung von 50 Dld. Dispensionsgeld und 50 Gld. Einzugsgeld und Verpflichtung zur Zahlung der den Juden in Hessen auferlegten Abgaben, wurde der Braut der Einzug nach Viernheim gewährt, jedoch musste der Bräutigam gleichzeitig noch die Aufnahme der Braut in den Untertanenverband erkaufen. <9>

 

Interessant ist noch ein Polizeiprotokoll aus dem Jahre 1722, das dem geneigten Leser nicht vorenthalten sein möge: Aktum Viernheimb, 19. Oktober 1722

In Präsentia: Oberschultheiß zu Viernheimb.

Hirsch Jud: Ad Justiantiam Hirsch Schutzjuden allhiero welcher beschuldigt worden, dass er allhießig gemeindt nicht zu geringen grauen als Saltz Wieg und Verkäufer zu letzthin mit zerißenen weißen Strümpfen und herausscheinend bloßen Fersen in dem Saltz Kasten stehend und solches mit Eimer schaufel vorsich  schöbend gesehen worden promierte zu seiner Logimitation Peter Bentzen dahiero Bitte, weilen dieser gleichanfanglich bey seinem hineinsteigen in den Kasten gewesen, und ihm die Saltz Stück zu getragen auch in besagten Kasten geschüttet, darüber zu vernehen. Peter Bentzen darüber vernohmen sagt aus, daß nach dem er  ind Hirschel einige Sack mit Saltz in den Kasten geschüttet, das salz vorn hero also hoch geworden, daß der Jud seine Schuh ausgezogen und mit Vermelten damit in den Kasten gestiegen, das Saltz mit dem einer Wurf Schaufel nach hinten geschoben. Mit einer strengen Verwarnung durfte Hirsch Jud  sein Salzgeschäft weiterbetreiben.

Am 6. Juni 1723 beschweren sich der Schutzjude Beeser Hirsch, David Sanders und Moyses wegen einer Forderung an Adam Eder beim Pferdeverkauf beim Schultheißen „Am 18. August und 10. Oktober haben Jud Moyses, David Sander, Lazarus Hirsch, Abraham Rauch, Isak Levi, Lazarus Löb, Jud Amschell, Moyses David und Jud  Lazar Vergütung für französische Frohnfuhren erhalten. Letzterer wird sehr oft genannt und soll auf dem Gebiete der Wohltätigkeit einzig dastehend gewesen sein. Ferner ist aus dem Judenregister zu entnehmen, dass die ansässigen Juden Betgeld entrichten mussten, so: Jud Böser 4 fl., Moyses weil sehr alt, nur 2 fl., Abraham 4 fl. Raphael weil bettelarm hatte nichts zu zahlen, Nathan 4 fl. Die Söhne waren Betgeld frei. Wir sehen also, dass die Gemeinde im 17. Jahrhundert, spätestens um die Jahrhundertwende gegründet sein muß, ohne das wir eine spekulative Betrachtungsweise hätten anzuwenden brauchen. Im gleichen Sinne spricht auch eine Bemerkung, die wir aus den Akten der Gemeinde aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts herausgefunden haben; denn bei der Einführung der neuen Gemeindeordnung aus dem Jahre 1823 wird hervorgehoben, dass die Gemeindeordnung von Viernheim aus dem Jahre 1749 noch keine Rechtskraft erhalten habe.

Wir sind mit der Gründung der Gemeinde Viernheim der geschichtlichen Entwicklung insofern etwas vorausgeeilt, als wir anschließend an den Fettmilchaufstand die Einwirkung des 30jährigen Krieges auf die Entwicklung der Juden nicht berücksichtigt haben. Da die Mainebene und die hiesige Gegend zum Teil den Kriegsschauplatz zwischen den kaiserlichen und dem schwedischen Heer abgab, kann man sich denken, was die Einwohner und nicht zuletzt die Juden dieser Gegenden unter den Wirren des Krieges zu leiden hatten. Wir erinnern nur an die Raubzüge der Soldaten des schwedischen Generals Rambsay, auf die wir an anderer Stelle ausführlicher eingegangen sind und erwähnen nur, dass z. B. die <10>

 

Juden besagter Gegenden 1622 zum größten Teil „entloffen, gestorben und verdorben“ sein sollen. Erst nach dem 30jährigen Krieg konnten sich die Juden- Gemeinden in etwas ruhigeren Zeiten besser entwickeln und ganz leidlich ging es ihnen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Unter der Regierung Friedrichs des Großen begann das Leben der Judengemeinden in Deutschland einigermaßen erträglich zu werden. Daß sie auch von diesem Herrscher mit Kleinigkeiten schikaniert wurden, ist eine altbekannte Tatsache, wir erwähnen nur, dass unter dessen Regierung die Juden bei ihrer Verheiratung Gegenstände aus der Kgl. Porzellanmanufaktur kaufen mussten und zwar nicht Gegenstände nach eigenem Geschmack, sondern solche, die ihnen von den Angestellten des Königs übergeben wurden. Aus jener Zeit stammt der künstlerisch entsetzliche, porzellanene Affe, den Moses Mendelsohn bei seiner Verheiratung aus der Porzellanmanufaktur verkauft bekam. Im übrigen war es selbstverständlich, dass auch Friedrich der Große bei seinen zahlreichen Kroegen die entsprechenden Kontributionen von seinen jüdischen Einwohnern erheben ließ. So zahlte der Jude Bäser aus Viernheim für sein eigentümliches Wohnhaus jedes Simplum 11 Silbergroschen, ebenso der Jud Sandel 10 Silbergroschen. Immerhin, die Regentschaft Friedrich des Großen bedeutete einen Fortschritt in der Entwicklung der Gleichstellung der Juden. In dieser Zeit, also gegen Ende des 18.Jjahrhunderts, finden wir auch die ersten Zunamen unter den jüdischen Familien. Während bis dahin die Leute nur einen Namen hatten – die Christen hatten sich schon im 15. und 16. Jahrhundert einen Familiennamen zugelegt, - mussten sie sich jetzt außer dem Rufnamen, der immer mit dem Wort „Judt“ verbunden war, einen Familiennamen zulegen, um den Verkehr mit den Behörden leichter zu gestalten. Der Zug der Zeit wurde in dieser Hinsicht freiheitlicher. So gab die Regierung in Mainz am 1. Julius 1783 einen Erlaß heraus,  die Juden sollen sich ansiedeln, wo sie wollen, wenn auch noch keine Juden in diesen Gemarkungen gewohnt haben. Die Neuniederlassungen bedürfen der Genehmigung, die aber ohne erhebliche Ursache nicht versagt werden soll.

Aus dem gleichen Jahr stammt der Erlaß, dass die jüdischen Ehen vor der christlichen Obrigkeit der gemeinden geschlossen werden und dass Verträge, Inventuren und Handelsbücher in deutscher Sprache geführt werden müssen; ferner wurde die ganze Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der zeremoniellen Angelegenheiten von nun ab den öffentlichen Gerichten übergeben.

Erneut verbessert wurde die Situation der Juden durch das Jahr 1803, wo der sogenannte Reichsdeputationsausschuß herauskam, durch den zum Beispiel der Juden- Leibzoll, eine sehr drückende Steuer, in Hessen aufgehoben wurde. Immer mehr ging die Emanzipation der Juden in Deutschland voran. Durch das Gesetz vom 26. September 1811 mußten sie nach freier Wahl Familiennamen annehmen. Die Kriege zu Anfang des 19. Jahrhunderts konnten diese Entwicklung nicht mehr hemmen, wenn auch die jüdischen Gemeinden unter dieser Zeit wirtschaftlich und finanziell gelitten hatten, wie dies auch aus den Akten über die Erbauung unserer <11>

Synagoge deutlich hervorgeht. Wenn wir oben gesagt haben, daß der Juden- Leibzoll in Hessen 1803 aufgehoben wurde und daß die Emanzipation wesentliche Fortschritte machte, so müssen wir auch hier feststellen, daß jetzt ebenfalls das äußerliche degradierende Abzeichen, der gelbe Ring für die  Männer und der blaugestreifte Schleier für die Frauen, restlos verschwand und dass in zahlreichen Städten die Judenmauern endgültig niedergerissen wurden. Endlich 1833 erschien das „Gesetz zur gleichförmigen Ordnung der besonderen Verhältnisse der Israeliten Hessens“ wodurch den Juden schon fast alle Staatsbürgerrechte zugesprochen worden waren. Die letzten Schranken der Gleichstellung fielen 1848, wo den Juden die politische und staatsbürgerlichen Gleichstellung mit den anderen Staatsangehörigen eingeräumt wurden und alle bis dahin bestandenen Ausnahmegesetze gegen die Juden in Deutschland in sich zusammenfielen. Damit waren theoretisch den Juden alle Möglichkeiten der Entwicklung gegeben. Es dauerte natürlich einige Jahre bis sich diese Gleichberechtigung praktisch auswirkte. Unter solchen Umständen war es selbstverständlich, daß  jüdische Gemeindemitglieder am Kriege 1870/71 und am Weltkriege 1914/18 teilgenommen und im übrigen alle wehrfähigen Männer bis zum Kriegsende ihrer Dienstpflicht genügt haben Im Weltkriege wurden von den zahlreichen Feldzugsteilnehmern unserer Gemeinde einige verwundet und drei hoffnungsvolle junge Männer, Jakob Kaufmann (im August 1914), Max Holzmann (14. Juli 1916), Ludwig Weißmann (im März 1918) fanden den Tod durch feindliche Kugeln.

Wie überall, so wurde auch bei uns im Laufe der Jahre das Verhältnis zwischen christlichen und jüdischen Einwohnern ein gutes, Freud und Leid wurden weitgehend gemeinsam getragen. Dies ist der Verdienst der Geistlichen sämtlicher Konfessionen und nicht zuletzt unseres toleranten Bürgermeisters. Nachdem 1918 durch den Zusammenbruch des kaiserlichen Regimes auch praktisch die letzten Schranken staatsbürgerlicher Behinderung gefallen sind, können die Juden in Deutschland als vollgültige deutsche Staatsbürger zum Wohl des gesamten Volkes leben und wirken. <12>

 

Geschichte der Synagoge

 

Wie aus den Akten vom 20. Dezember 1821 hervorgeht, versuchte die israel. Gemeinde durch Schreiben an die Kurfürstliche hochpreisliche Regierung die Genehmigung zu einem Synagogenbau zu erlangen:

Bis jetzt hatten wir den Gottesdienst in einem von einem Gemeindemitglied dazu hergegebenen Lokal verrichtet, welches Lokal nunmehr zu anderweitigen Gebrauch verwendet worden ist, sodaß wir uns gänzlich ohne angemessenen Ort zur Verrichtung des Gottesdienstes befinden Es ist daher unser, durch die Notwendigkeit hervorgerufener Wunsch, nach dem Beispiel anderer Judengemeinden auf dem Lande, eine Synagoge zu erbauen. Der Zustand unserer Gemeindekasse erlaubt es uns nicht, die deßfälligen Kosten auf einmal herzuschießen; wir wünschen daher ein Kapital von 600 Gulden aufzunehmen und auf die neu zu bauende Synagoge hypothekarisch legen zu dürfen, weshalb unsere unterthänige Bitte ergeht, unserer Gemeinde die Erlaubnis zu gedachtem Schulbaue, sowie den Konsens zur Aufnahme eines Kapitals von 600 Gulden hochgeneigest zu erteilen. Da seine Kgl. Hoheit, unser allergnädigster Kurfürst sehr oft geruht hat, dergleichen Unternehmungen zu frommen Zwecken huldreich zu unterstützen, so ergeht unsere fernere untertänigste Bitte: Hochpreisliche Regierung wolle geruhen sich bei Allerhöchstdemselben gnädigst dahin zu verwenden, dass uns aus dem Kameralvermögen eine Unterstützung an Holz und Steinemn zu obengedachtem Schulbau werden möge.

Demutsvoll beharren: Salmon Stern (Vorstand), David Feidel (Hebr. Unterschrift), Hirsch Kaufmann (Hebr. Unterschrift), Zall Sternheimer (Hebr. Unterschrift), Isaak Sternheimer, Hirsch Sternheimer.

Am 26. Februar 1826 begaben sich nun der Judenschulmeister, dessen Namen nicht angeführt, Moyses Abraham, Hirsch Sternheimer und Isaak Sternheimer nebst Schultheiß Bläß zum Großherzoglichen Land- Baumeister in Heppenheim zur gemeinschaftlichen Aussprache zwecks Synagogenbau. Der Land- Baumeister überreicht dem Schultheiß Bläß den Plan hierzu und muß derselben feierlichst versprechen, den ganzen Bau zu überwachen. Die Angelegenheit war nun soweit gediehen und die Judengemeinde von 12 Familien mit ihren 60 Seelen sandte ein großes Dankschreiben an die Regierung, worin sie Gottes Segen für sie erflehte. Alle Vorbereitungen zum Synagogenneubau waren getroffen, man schritt nun mit dem Schultheiß Bläß zu einem Vertragsabschluss.

Viernheim, der 25te März 1826

Unserem heutigen dato hat die Judenschaft mit Herrn Schultheiß Bläß einen Ackord gemacht von einer neuen Synagog auf dem Platz zwischen Lorenz Trap und Peter Werle wo Herrn Schultheiß Bläß dazu gibt benebst unten am Eingang sechs Schuh lang und sechs Schuh breit. <13> 

1tens.           Diese Synagoge wird lang 39 Schuh und breit 30 Schuh 8 Zoll, dann auch zwey Anbäuchen so wie es der Platz erlaubt die Länge aber wenn es der Platz nicht erlaubt sein sie etwas breiter zu machen als lang. Das haupt gebäut von der Synagog ist ohne Keller und Fontament 25 Schuh hoch von der Mauer zu fertigen. Diese Synagog ist sich nach oben an geführten länge und breite wie es der Plan zeigt ganz genau und pünktlich zu fertigen unter folgenden Artickeln.

2tens.           Muß die Schuhl gewölbt sein, die Weiber Schuhl ringsherum mit einer Gallerie gefertigt werden.

3tens.           Die Synagog muß In-und Auswändig wie auch die Anbäuchen muß Masief verbutzt werden.

4tens. Muß das gewökb der Synagog verschahlt und verrohrt werden.

5tens.           Die Zehengeboth mit zwey schönen Säulen nebst oben mit schöner Verzierung und unten auf der erde drei Träpen hoch zu stellen auch neben auf beite seiten wo die Lichter aufgestellt werden müssen zu fertigen und mit Oehlfarb an zu Streichen.

6tens. In der mitte der Synagog ist sich ein Tisch zu fertigen mit zwey Posten und auf beiden seiten ein eingang zu machen. Dann müssen die zwey Posten etwa zwei Fuß über den Tisch rund gemacht und zwei getreten Kugeln darauf.

7tens.   Die Männer und Weiber Schuhl rings herum Bänk und ober die Bänk drei Schuh zu däflen.

8tens. Alle Thüren welche inwendig sein Thannen schleif Thiel gestämmt und mit futer und begleitung versehen.

9tens. Die Eingangs Thür aber von eichen sauberem holz und Ferniß angestrichen dazu auch außen Handgriff und Knop von Messing gemacht werden muß.

10tens.         Die Läden an der Synagog jeden Laden zweitheilig gemacht werden und verdoppelt und angestrichen.

11tens.         An jede Thür ein Schloß zu machen.

12tens.         Die Weiberschuhl so wie auch die zwey untere theile der Bäuchen zu borten die Männerschuhl aber sieht es dem Herrn Schultheiß Bläs frei ob die Synagog mit Blätchen oder Borten will.

13tens.         Die Fenster an der Synagog mit Eißernen Rahmen zu fertigen, die Fenster aber an den Anbäuchen mit hölzernen Rahmen zu machen, alle Fenster am ganzen Bau müssen von Französischem Glaß erster Gattung gefertigt werden.

14tens.         Alle Thüren und Läden müssen von sauberer Schloßerarbeiten Meistermäßig hergestellt werden.

15tens.         Alle disee Arbeit muß im Jahre 1827 im Monat august gefertigt werden

16tens.         Muß Herrn Schultheiß Bläs ein Ofen in ein Zimmer setzen.

17tens.         Ein Abtrit gemacht werden.

18tens.         Erhaltet Herrn Schultheiß Bläs das Bauholz so wie es von dem Forst Koleg ohn an Geldlich muß aber alle Kosten übernehmen was darauf ruth

19tens.         Laut übereinkunft des Herrn schultheiß Bläs dießen bau sammt oben bemelten Platz ohne alle fehler Meisterhaft herzu  <14>

Stellen und sollte etwa ein Fehler vorfinden sonst sich nach befundenen fehler ein verhältnismäßiger abzug zu machen.

Da freyn wir sämtliche Judengemeinde mit dem Herrn Schultheiß Bläs wie oben angeführten Posten lauten die Synagog nach dem Plan und Platz zu verbauen um  zwölf Hundert Gulden, und zwar unter folgenden bedingnissen dass wir sämtliche Gemeinde sogleich bey dem Anfang dem Bau drey hundert Gulden wann der Bau die hälfte ferfertigt ist,  die übrigen sechs hundert Gulden muß Herrn Schultheiß Bläs auf acht Jahr zu fünf Prozent stehen lassen aber die Zinsen müssen jedes Jahr richtig bezahlt werden, jedoch aber muß Herrn Schultheiß Bläs abschlägige Zahlungen dem Capital von sechs hundert Gulden jedes Jahr annehmen, davon halt sich der Herrn Schultheiß Bläs den Bau sammt Platz das Eigentumsrecht vor bis zur gänzlichen Zahlung.

Zur Bekräftigung dieser Akort hat sich sämtliche Judengemeinde wie auch Herrn Schultheiß Bläs nach genauer durchlesung Eigenhändig Unterschrieben und sich dieser Akord in Doppelt ausgefertigt worden.

Kalman Stern Vorstandt

David Feitel Hebr. Unterschrift

David Kaufmann Hebr. Unterschrift

Zall Sternheimer

Isaak Sternheimer

Hirsch Sternheimer

 

Im weiteren Verlauf der Verhandlungen scheint nun auch die Genehmigung zum Bau der Synagoge von der Regierung und den übrigen Behörden genehmigt worden zu sein. Etwas sicheres darüber, wie lange man zu dem Bau gebraucht hat, geht aus den Akten nicht hervor, jedoch ist die Einweihung der Synagoge August 1827 vor sich gegangen, was wir auch im übrigen am Eingang der Synagoge noch heute lesen können. Nebst der Ortsbehörde erging auch eine Einladung zur Einweihung der Synagoge an den Landrat in Heppenheim, dieser scheint jedoch der Feier nicht beiwohnen können und beauftragt den Bürgermeister Beikert in Viernheim ihn vertreten zu wollen und schreibt:

An den Bürgermeister von Viernheim.

Der Einweihung der Synagoge betrf:

Es ist dahier die Anzeige geschehen, dass Freitag den 31. l. M. die neue Synagoge eingeweiht werden soll. Ich bemerke Ihnen in dieser Beziehung:

1. Es ist der Judenschaft jede öffentliche festlichkeit erlaubt die nicht besondern polizeilichen Verboten entgegen ist, namentlich ist ein Aufzug mit musik gestattet.

2. Die Gemeinde haben Sie von der bevorstehenden Einweihung durch öffentliche Bekanntmachung in Kenntnis zu setzen und zur Ruhe und Ordnung dabei zu ermahnen, mit den Anfügen, dass jede Störung durch unanständiges Zudrängen, Schreien oder Thätlichkeiten aufs nachdrücklichste geahndet werden soll. Zur besseren Erhaltung der Ruhe und Ordnung werden einige Gendarmen <15>

nach Viernheim beordert werden und Sie haben, falls ich nicht selbst zugegen seyn sollte an meiner Stelle darüber zu wachen.

3. Die Anordnung der Feyerlichkeit ist zwar der vorherigen freien Uebereinkunft der israelitischen Gemeinde überlassen; damit jedoch durch inneren Unfrieden keine Störung und kein Erez veranlasst werde, wird der Vorsteher Calmann Stern hiermit verantwortlich gemacht dass nichts der art vorfalle, weshalb ihm am Tage der Einweihung jeder unbedingt Gehorsam schuldig ist.

4. Etwaige Umstände oder Beschwerden in dieser Hinsicht müssen vorher dahier vorgebracht werden, wogegen jeder Ungehorsam und jede Widersetzlichkeit gegen den Vorsteher am Tage der Einweihung bestraft werden soll.

Sie haben diese Verfügung dem Calmann Stern und der gesamten Judenschaft bekannt zu machen.

Heppenheim den 23. July 1827

Der Landrath

 

Über die verlaufene Feier ist aus den Akten nichts zu entnehmen und ist anzunehmen, dass mit dem neu erbauten Gotteshause Friede und Eintracht innerhalb der Gemeinde herrschte. Aus den ersten Jahren der Gründung der Gemeinde wissen wir nichts über den Schulunterricht der Kinder Die ersten Mitteilungen darüber  finden wir 1827. Um diese Zeit wechselten die Religionslehrer in der Gemeinde mehrmals im Jahre, sodaß das Kreisamt den Gemeindevorsteher darauf aufmerksam musste, dass die Gemeinde einen Lehrer endlich mal länger als 1 Jahr behalten sollte; aber es muß  zu jener Zeit sehr schwer gewesen sein, einen richtigen Religionslehrer zu bekommen, denn  auf Ausschreibungen hin meldete sich fast niemand, es sei denn, dass ein Flüchtling aus dem Osten sich der Gemeinde erbarmen musste und für eine kurze Zeit sich betätigte. Denn neben dem kargen Gehalt, den man mühsam zusammenbrachte, musste der Lehrer  Wandelkost essen, d. h. bei einer Familie ohne Kinder war er sieben Tage zu Gast, bei kinderreichen Familien für jedes einzelne Kind je sieben Tage; so kam es vor, dass manche Familie den Lehrer monatlang beköstigen musste. In einer Familie, bei der er bereits 91 Tage durchgehalten wurde, musste er, da sich so zufällig ein weiteres Knäblein einstellte, nochmals ausharren, um weitere sieben Tage als überflüssiger Kostgänger am vollbesetzten Tische Platz zu nehmen. Das diesem Lehrer sein schönster Tag gekommen sein sollte, als er Viernheim der Kosttage halber schleunigst verlies, gibt er in einem Schreiben an den Vorstand wieder. Man ging nun wieder auf die Suche nach einem Lehrer. Nicht lange währte der Frieden zwischen Lehrer und Gemeinde. Schon im Jahre 1835 drückte Lehrer Gombrich  aus Trier seine Unzufriedenheit über die Zustände in der Gemeinde aus. Er beschwerte sich bei der Regierung über den geringen Gehalt und über die Tatsache, dass er in ein und demselben Raum wohnen, schlafen und unterrichten musste; ferner beschwerte er sich über die Auszahlung seines Gehaltes. Die Gemeindevorsteher sehen die Beschwerden Gombrichs als unbegründet an und glauben, dass nur sein Stolz und der Wunsch, <16>

die Gemeindevorsteher bei der Behörde  zu verdächtigen, die Beschwerde veranlasst habe. Wie dem auch sei, es ist leicht verständlich, dass der Zustand zu Aergernissen führen muß, wenn der Lehrer oft oder tagtäglich zu den Mahlzeiten das Kosthaus wechseln musste. Eine Wandlung in diesen Verhältnissen trat durch das Eingreifen der Behörden ein, indem dieselben im Jahre 1837 bestimmten, das Gehalt des Lehrers auf 120 Gulden aus der Saynagogengemeindekasse neben freier Wohnung und Heizung, zu zahlen sei, wodurch die Beköstigung bei den einzelnen Mitgliedern in Wegfall kam. Trotz dieser Regelung setzte  bald eine neue Beschwerde des Lehrers an das Kreisamt ein und zwar deshalb, weil der Gemeindevorstand trotz des Erlasses vom 21. Juni 1837 es am 18. Oktober noch nicht für notwendig befunden hatte, das für den Lehrer bestimmte Brennholz zu besorgen. In seiner Beschwerde weist Lehrer Gombrich darauf hin, dass außer dieser Ignorierung des Erlasses der Gemeindevorsteher es unterlassen hatte, einen Ofen für das Zimmer des Lehrers anzuschaffen. Wenn der Lehrer Gombrich sein Gesuch mit den Worten schließt: 2in der frohen Hoffnung verharrt in tiefer Ehrfurcht“, so sollte seine Hoffnung schwer getäuscht werden. Die weiteren Auseinandersetzungen des Lehrers mit dem Vorstand, führten schließlich soweit, dass beide sich beim Kreisamt in der übelsten Weise verleumdeten. Der Lehrer musste nun gehen, es folgten ihm eine Anzahl Kollegen, die fast alle ähnlicher Fälle halber, Viernheim baldigst wieder verließen. Bei dem ungeheuren Wechsel und Verbrauch an Religionslehrern in der Gemeinde drängt sich einem unwillkürlich die Frage auf, wodurch diese Tatsache bedingt ist. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Religionslehrer in der Mehrzahl durch den Tod abgegangen sind, sondern es ist viel eher anzunehmen, dass zwischen Lehrer und Gemeinde, wie bereits erwähnt, keine erquicklichen Beziehungen bestanden. Psychologisch ist die Missstimmung zwischen Lehrer und Gemeinde vielleicht nur dadurch zu erklären und zu verstehen, dass er vielen als überflüssig, von anderen als notwendiges Übel betrachtet wurde. Als überflüssig werden ihn vor allen Dingen diejenigen angesehen haben, die keine schulpflichtigen Kinder hatten, während die andern sich wahrscheinlich schon eher damit abgefunden haben. Wie dem auch sei, die Tatsache, des häufigen Wechsels lässt sich nicht wegleugnen. Dem Lehrer Traub erging es auf die Dauer nicht anders als seinen Vorgängern. Auch er führte Beschwerde gegen die Gemeinde und vor allem beklagt er sich am 1. Februar  1839 darüber, dass er außer dem Schulzimmer und noch zwei Zimmer keinen richtigen Aufenthalt habe,  seine Familie sei doch so groß. Die Lehrer Meyer, Mandel, Strauß, Josefsohn, Trebitsch bringen dieselben Klagen immer wieder vor und scheinen auch wenig geneigte Ohren zu finden,  zudem waren sie immer in Bezug auf Auszahlung ihres Gehaltes außerordentlich im Rückstand. Ein großer Teil der weiteren Akten wird mit den Berichten der  Lehreranstellung und Lehrerentlassung ausgefüllt. Wir können darauf verzichten auf weitere Einzelheiten einzugehen und erwähnen nur, dass späterhin das Wirken der Lehrer Gottschall, Tannenwald und Goldschmidt mehr von der Gemeinde gewürdigt <17>

wurde, indem ja auch mit den Jahren die alten Führer immer wieder durch neue ersetzt wurden. Wenn wir seither keinem der oben angeführten Lehrer  ein ausführliches Nachwort gewidmet haben, so hatte das seinen natürlichen Grund in unserer Unkenntnis der Individualität des Einzelnen und den mangelhaften Mitteilungen aus den diesbezüglichen Akten. Die Schülerzahl schwankte seit Gründung der Gemeinde bis 1914 immer so zwischen 20 und 30. Es ist erklärlich, dass die Schülerzahl im Laufe der Jahre zusammengeschmolzen ist, und zwar findet diese Tatsache ihre Erklärung anscheinend in mehreren Faktoren. Im Vordergrund steht wohl die Tatsache, dass auch in Deutschland das Vielkindersystem durch das Zweikindersystem langsam ersetzt worden ist, eine Beobachtung, wie man sie auch in Nachbarländern Westeuropas zum Teil schon seit langer Zeit machen konnte; ferner sind in den letzten Jahren Familien, vor allem junge Männer in die Nachbarstadt Mannheim gezogen; und schließlich haben die Eltern in immer stärkerem Grad ihre Kinder  nach drei Volksschuljahren in höhere Schulen nach Mannheim und Weinheim geschickt, um ihnen dort eine weitere Ausbildung angedeihen zu lassen. Wenn die Juden in den Städten und Dörfern im allgemeinen mit allen Fortschritten der Kultur und Zivilisation Schritt zu halten versucht haben, so ist es, wie wir oben schon erwähnt haben, verständlich,  dass schon seit vielen Jahrzehnten zahlreiche jüdische Kinder der Gemeinde Viernheim höhere Schulen besucht haben. Auffallend ist nur dabei, wenigstens in Bezug auf unsere Gemeinde, dass  bis jetzt ganz außerordentlich Wenige sich trotz höheren Schulbildung  geistigen Berufen gewidmet haben, eine merkwürdige Tatsache, für die wir keinerlei Erklärung geben können.

Nun versagen die Akten wieder. Die Geschichte schweigt über Besonderheiten in der Entwicklung der jüdischen Gemeinde. Im Jahre  1848 wurden nach vielen Eingaben an die zuständigen Behörden Vorkehrungen getroffen das Bürgerrecht zu erlangen.

Am 19. August 1853 wurden nachstehende Juden als Ortsbürger anerkannt:

Moses Sternheimer, Handelsmann,          geb. 1818 in V´heim

David Kaufmann,     Handelsmann,          geb. 1787 in V´heim

Herz Löb,               Handelsmann,          geb. 1784 in V´heim

Hetmann Gernsheimer,       Handelsmann,          geb. 1810 in V´heim

Gest. 1911              Lazarus Lublin,                  Handelsmann,          geb. 1818 in V´heim

Salomon Gernsheimer,       Handelsmann,          geb. 1816 in V´heim

Isaak Sternheimer,  Handelsmann,          geb. 1795 in V´heim

Jakob Kaufmann,     Handelsmann,          geb. 1824 in V´heim

Salomon Weißmann, Handelsmann,          geb. 1826 in V´heim

Nathan Kaufmann,   Handelsmann,          geb. 1828 in V´heim

Am 17. Sept. 1853   Arie Winterscheid,    Handelsmann,          geb. 1818 in Goddelau

Am 19. Sept. 1853   Abraham Kaufmann, Handelsmann,          geb. 1819 in V´heim

Am 24. Febr. 1855   Hirsch Kaufmann,     Handelsmann,          geb. 1830 in V´heim

Am 11. Dez. 1855    Moses Kaufmann,    Handelsmann,          geb. 1814 in V´heim

Am 27. Dez. 1855    Mayer Mayer,          Handelsmann,          geb. 1818 in V´heim

 

Mit der bürgerlichen Gleichberechtigung fiel der entehrende Judenleibzoll. Das Regierungsblatt veröffentlichte folgendes hierzu:

Publicandum

Die Gleichberechtigung der Juden in Hessen mit den Übrigen Untertanen in Staatsbürgerlicher Hinsicht betreffend. <18>

Von Gottes Gnaden Wir, etc.

Wenngleich die Grundsätze der jüdischen Religion und ihre damit innig verwebten vielfachen Ritual- und Ceremonialgesetze eine nicht ganz zu hebende Scheidewand zwischen Christen und Juden bilden, so überlassen Wir Uns doch anderseits der Überzeugung, dass eine den Umständen angemessene Gleichsetzung der Juden mit den übrigen Untertanen in Hinsicht auf die Verhältnisse zum Staate das sicherste Mittel sey, ihren staatsbürgerlichen Wert zu erhöhen. In dieser Absicht haben Wir auf den Grund der Uns über diesen Gegenstand  vorgelegten gutachtlichen Vorschläge und sorgfältiger Erwägung derselben, beschlossen und verordnen hiermit: Alle  in den hiesigen Landen unterherrschaftlichen Anteils gegenwärtig wohnhafte und mit Schutzbriefen versehene Juden und deren Familien sollen als Einländer und Staatsbürger betrachtet werden und dieselben Rechte,  Freiheiten wie alle übrigen Untertanen zu genießen haben; wogegen sie auch gehalten sind, alle Landesherrlichen und Obrigkeitlichen Verordnungen zu befolgen, insofern nicht ihre Religionsgrundsätze eine von uns sanktionierte Ausnahme machen. Sie wollen bey der ungestörten Ausübung ihres Religionskultus und bey ihren religiösen Gebräuchen, insonderheit bei Beschneidungen, Copulationen und Beerdigungen allenthalben geschützt und auf keine Weise beeinträchtigt werden. – Den Judenvorsteher erwählt die hierzu Berufenen, er wird von der Behörde verpflichtet. An diesen ergehen alle Verordnungen an die Judenschaft, er ist Organ und Repräsentant und muß auf Ordnung und Befolgung der gesetzlichen Vorschriften sehen. Der bei einer künftig eintretenden Vakanz zu präsentierende Judenschulmeister und Vorbeter ist wegen seiner wissenschaftlichen Ausbildung, soweit er Schulmeister ist, als solcher zu prüfen und kann nur  alsdann angestellt werden, wenn er tüchtig befunden worden ist.

Es folgen noch verschiedene Einzelheiten, die weniger interessant sind. Der Schluß dieses Regierungsschreiben möge noch wiedergegeben sein, er lautet: Wir hoffen, dass durch die gegenwärtige Verordnung nationalisiert werdenden Juden Unsere wohlmeinende  auf Verbesserung ihres bürgerlichen Zustandes gerichtete Absicht gebührend erkennen und sich der ihnen dadurch wiederfahrenden Wohltat durch gutes Betragen und durch das Bestreben ihren Glauben und ihre Religionsgebräuche möglichst in Übereinstimmung zu bringen mit den Pflichten, die ihnen als Staatsbürger obliegen, würdig zu erweisen suchen werden; folgt Unterschrift.

Bei der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Juden war es selbstverständlich, dass die Juden unter sich versuchten, in der verschiedensten Hinsicht möglichst wenig dem Staate zur Last zu fallen. Aus diesen Gründen versteht man die Gründung von Wohltätigkeitsvereinen. So wurde auch in der hiesigen Gemeinde vor ca. 90 Jahren ein Töchterausstattungsverein gegründet, der viele Jahre  segensreich wirkte. Nicht zu vergessen seien der mehr als drei Jahrzehnte bestehende Frauenverein, der Armeinverein und Wandererfürsorge. Grundsätzlich haben sich diese Einrichtungen bis auf den heutigen Tag erhalten und sind allmählich den Mitgliedern in Fleisch und Blut übergegangen, sodaß die ursprünglichen Pflichten der <19> Vereinsmitglieder jetzt schon zu Selbstverständlichkeiten geworden sind. Das Vermögen dieser Vereine war recht ansehnlich, wurde jedoch durch die Inflation zerstört, durch vorbildliche Tätigkeit der jeweiligen Vorsitzenden der Vereine wurden dieselben wieder neu ins Leben gerufen. Dank der Opferwilligkeit der Mitglieder, deren Zahl besonders im Töchterausstattungsverein am meisten gestiegen ist, konnte wieder einer Braut im letzten Geschäftsjahre ein ansehnliches Sümmchen zugewiesen werden.

An der Spitze der israelitischen Religionsgemeinde steht seit Jahrhunderten der Vorstand, der die Verwaltung die Repräsentationspflichten vertritt. Seine Wahl erfolgt unter Aufsicht der Behörde. Der Vorstand setzt sich aus drei Personen zusammen, die sich gleichberechtigt in die Arbeit teilen. Voraussetzend für eine solche Wahl war, dass dieselben angesehene, allgemein geachtete rechtlich denkende Gemeindemitglieder waren. Die Amtsdauer des Vorstandes ist unbeschränkt und nur schwerwiegende Gründe können die Amtsperiode kürzen. Vorsteher der Religionsgemeinde in den letzten 100 Jahren waren:

Herr Isaak Sternheimer

Herr Moses Sternheimer

Herr Heimann Gernsheimer

Herr Salomon Gernsheimer

Herr Jakob Kaufmann

Herr Arie Winterfeld

Herr Lazarus Lublin

Herr Isaak Weißmann 1.

Herr Samuel Gensheimer

Herr Adolf Weißmann

Herr Hermann Weißmann

Alle, hiergenannten Vorsteher haben mit gleicher Hingabe, mit allem Eifer der Gemeinde gedient, ihre erworbenen Kenntnisse nach Kräften derselben zur Verfügung gestellt. Allen, sofern sie zu ihrer oder vor ihrer Zeit von der irdischen Laufbahn abgerufen wurden, in allem Guten zu gedenken, soll mir und den Gemeindemitgliedern heute Ehrenpflicht sein.

Des langjährigen Vorsitzenden unserer Gemeinde am heutigen Festtage ganz  besonders zu gedenken, ist mir eine liebe Pflicht. Hermann Weißmann ist ein Sohn Viernheims. Nach dem Tode seines Bruders Adolf betraute man ihn mit der Führung der Gemeinde, er ist der Tradition seiner Vorgänger treu geblieben. Er zeigte reges Interesse für Gemeindeangelegenheiten; in seine Amtszeit fällt der Neubau der Lehrerwohnung; mit nimmer müdem Interesse hat Hermann Weißmann das manchmal dornenvolle Amt zur größten Zufriedenheit der Gemeindemitglieder 26 Jahre lang geführt. Noch lebt er unter uns, wir wollen sich seiner freuen, denn er ist ein ganzer Mann. Als er von der Kreisbehörde seine Entbindung von dem liebgewordenen Amt erbat, bedauerte man allgemein diesen Schritt.

An seine Stelle trat 1925 Herr Isaak Kaufmann, langjähriges Vorstandsmitglied, ihm zur Seite stehen die Vorstandsmitglieder Herr David Weißmann und Willi Gernsheimer, letzterer an Stelle <20> des verewigten Julius Ullmann. Ebenso, wie ihre Vorgänger, entfalten sie rege Tätigkeit für unsere Gemeinde und geben wir zuversichtlich der Hoffnung Ausdruck, dass auch sie von Gott begnadet sein mögen, zum allgemeinen Wohl für die Gemeindeinstitutionen. Wenn nun unser altehrwürdiges Gotteshaus in neuem Glanze sich uns auftut, so wollen wir nächst dem Allmächtigen, unseren Vorständen innigst zu Dank verbunden sein, weil sie einer guten, edlen Sache gedient haben. Auch allen denen, unseren Gemeindemitgliedern, sowie denen, die auch in der Ferne ihrer Heimatgemeinde sich noch oft und gerne erinnern und sich opferwillig gezeigt haben, sei nicht vergessen. Wenn wir in Liebe und Verehrung, aller derer gedachten, die sich in uneigennütziger weise in den Dienst unserer Gemeinde gestellt, so sei auch der Geschäftsführer und Rechner gedacht. Wie aus den Rechnungsakten ersichtlich, war es Herr Johann Kempf 4., der sich 41 Jahre auf diesem Gebiete, in unserer Gemeinde als qualifizierter und rechtschaffender Mensch ausgezeichnet hat. 26 Jahre diente treu unserer Gemeinde Herr Ehrhardt als Rechner. 25 Jahre versieht Herr Rentmeister Jöst als Fachmann, dies nicht immer dankbare Amt. Ausgezeichnet mit vortrefflichen Kenntnissen, mit wahrer Herzensbildung ist er unserer Gemeinde ein väterlicher Freund und Berater. Als treues, überzeugendes Mitglied der katholischen Kirche weiß er die Institutionen unseres Gemeindelebens zu schätzen und zu ehren. Möge er, dessen Leben voller Pflichterfüllung ist, uns noch viele Jahre erhalten bleiben.

 

Schlusswort

 

Die heutige Gemeinde besteht aus 27 Familien mit 100 Seelen. Die Juden der Gemeinde sind zum größten Teil Kaufleute, zum teil auch Handel- und Gewerbetreibende. Vor der Inflation gehörten Juden zum großen Teil zu den wohlhabenden Schichten, während nach derselben sie wohl mehr oder weniger da angekommen sind, wo die Mehrzahl der deutschen Staatsbürger finanziell steht. Die Beziehungen zwischen Juden und christlicher Bevölkerung sind als ausgezeichnet zu betrachten, was nicht zuletzt der geschickten Führung der weltlichen Gemeinde durch Herrn Bürgermeister Lamberth und taktvollen und klugen Leitung der geistlichen, des Geistlichen rat Herrn Pfarrer Wolf der Katholischen, sowie des Herrn Pfarrer Roos der evangelischen Gemeinde, zuzuschreiben ist. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, dass das friedliche Nebeneinanderleben dreier Konfessionen begünstigt  wird durch den toleranten Menschenschlag in Süddeutschland überhaupt und durch eine aufgeklärte Arbeiterschaft, für die das Menschentum höher steht als engstirniger begrenzter Individualismus.

Ich stehe am Ende meiner Ausführungen, die dem Leser, wenn auch kein erschöpfendes, so doch ein annähernd klares, geschichtliches Bild der hiesigen Gemeinde geben sollen. Ein halbes Jahr- <21> tausend zieht am geistigen Auge vorüber; schlimme und gute Zeiten, ein Auf und Ab im Leben des Einzelnen. Aus allem geht hervor, dass unsere Vorfahren selbst unter den drückensten Verhältnissen stets die Liebe zur Scholle, zur Heimat, zum deutschen Vaterland festgehalten haben, dass sie sich stets als Glieder der deutschen Volksgemeinschaft gefühlt und alle Zeiten treu dem Spruch: „Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selbst kein Ganzes werden, als dienendes Glied schließe an ein Ganzes dich an!“

Möge vorstehende Niederschrift wohlwollende Leser und milde Richter finden. <22>

<23> <24>

________________________________________________________________