BERICHT VON DER TAUFE EINES HARBURGER JUDEN

 

im 18. Jahrhundert ausführlich dokumentiert vom Pfarrer Angerer in Harburg

recherchiert von Rolf Hofmann

 

 

 

 

Harburg, in der Nähe von Nördlingen gelegen, war in historischer Zeit einst mit seiner herrschaftlichen Funktion als Oberamt ein bedeutender, wenn auch kleiner malerischer Ort im Süden der Grafschaft Oettingen. Seit der Reformation war Harburg dem lutherischen Glauben verbunden, und es gab seit 1671 eine jüdische Gemeinde. Was der Harburger Pfarrer Johann Georg Angerer im 18. Jahrhundert auf über 30 Seiten im elften Band des kirchlichen Standardwerks "Acta Historico-Ecclesiastica" über die christliche Taufe eines Harburger Juden zu berichten hatte, muss damals von grosser gesellschaftlicher Bedeutung gewesen sein, und dies wohl weit über die Grenzen von Harburg hinaus. In der Stadtgeschichte ist dies die bislang einzige bekannte "Judentaufe".

 

Täufling war der 49 Jahre alte Jude Abraham Bär Löw Israel, gebürtig aus dem Städtchen Lauchheim, zwischen Nördlingen und Aalen gelegen. Er hatte in seiner Jugend vorzügliche jüdische Lehrmeister gehabt, kannte sich in der hebräischen Sprache und in den talmudischen Schriften aus. Um 1745 zog er in den herrschaftlichen Schutz nach Harburg, heiratete dort und begann einen kleinen Handel zu betreiben. Allein seine Gutherzigkeit beschied ihm nicht allzu grossen geschäftlichen Erfolg, sodass er von der Harburger Judenschaft aufgrund seines grossen Wissens als Schulmeister angestellt wurde, um ihm und seiner Familie ein Auskommen zu ermöglichen.

 

SINNESWANDEL IN DER LEBENSKRISE

 

Er war sowohl bei Juden als auch Christen wegen seines gefälligen Wesens beliebt, verlor aber durch die heftige Konkurrenz eines anderen Schulmeisters seine Anstellung nach einiger Zeit. Aus Ärger über seine Absetzung liess Abraham Bär Löw Israel sich in der Folgezeit öfters mit den übrigen Harburger Juden in heftige religiöse Dispute ein und bekam immer grösseren Anstoss an seinem jüdischen Glauben.

 

Endlich suchte er dann in seiner Seelennot den Harburger Pfarrer Angerer auf und befragte ihn zu verschiedenen Stellen des Alten Testaments. Weitere Besuche folgten in gewisser Regelmässigkeit und man kam überein, die vornehmsten Stellen der Heiligen Schriften auf hebräisch gemeinsam zu lesen und Antworten zu finden, die nicht von den traditionellen rabbinischen Lehrsätzen geprägt waren. Pfarrer Angerer tat sich hierbei sehr schwer mit der jüdischen Religion, die ihm "so gar weit unter der unsrigen" erschien, auch hatte er Schwierigkeiten mit der von den Juden "von Jugend auf angenommenen äusserst verderbten deutschen Sprache". Immerhin, Angerer sah diese Mängel mit "einem bejammernden Herzen über das blinde verwahrloste Volk" als christlicher Gutmensch und fühlte sich berufen hier wenigstens bei einem einzigen Judenmenschen etwas zu verbessern.

 

SCHWEINEFLEISCH ALS GLAUBENSTEST

 

Über ein Jahr ging nun dieser Dialog mit dem Pfarrer Angerer, als Abraham Bär Löw Israel kurz vor der Fastenzeit des Jahres 1770 seinen Entschluss kundtat, das Judentum zu verlassen und in den christlichen Glauben einzutreten. Die übrige Judengemeinde und auch seine eigenen Familienangehörigen machten ihm das Leben schwer ob seines Entschlusses. In seiner grossen inneren Not wandte er sich nun um so mehr der christlichen Kirche zu und besuchte auch den Gottesdienst dort. Um ihn in seiner Ernsthaftigkeit zu prüfen, nahm ihn der Pfarrer auch einmal zum Mittagessen mit ins Pfarrhaus und setzte ihm "mit Vorbedacht" saures Kraut und Schweinefleisch vor, verbunden mit der Bemerkung, er müsse das ja nicht unbedingt essen. Der Jude nahm dann das Kraut, liess aber das Fleisch stehen "weil es ihm ungewohnt war".

 

Zur Vorbereitung der Taufe besprach sich Pfarrer Angerer nun mit dem Lutherischen Consistorium der Teilgrafschaft Oettingen-Oettingen, welches sein Vorgehen in allen Punkten billigte. Mit täglich einer Stunde Privatunterricht sollte der "dereinstige Taufactus des Juden Abraham" sorgfältig vorbereitet werden. Der Harburger Schullehrer erteilte den Deutschunterricht, der Diaconus vermittelte die sechs Hauptstücke des kleinen Lutherischen Katechismus und Pfarrer Angerer selbst führte den Taufkandidaten "in die seligmachenden Wahrheiten unserer evangelisch lutherischen Religion" ein.

 

DIE TAUFE ALS GROSSES GESELLSCHAFTLICHES SPEKTAKEL

 

Der Taufakt war nun endlich für Sonntag, den 1. Juli 1770 vorgesehen. Da der Täufling der deutschen Sprache in freier Rede bedauerlicherweise immer noch nicht allzu mächtig war, musste Pfarrer Angerer ihm die Hauptfragen und Antworten "notgedrungen in die Feder sagen" und von ihm in jüdischer Schrift notieren lassen. Am Tag des Geschehens bewegte sich vom Pfarrhaus aus die Taufprozession in feierlicher Form zur St Barbara Kirche am Marktplatz, allen voran der herrschaftliche Steuerverwalter Tröltsch, stellvertretend für die hochgräflich oettingen-oettingische Regierung, gefolgt unter anderem von den Bürgermeistern Weiss und Hankele, sowie dem Collegium der Pfarrer.

 

Die Kirche war bis auf den letzten Platz mit neugierigem Volk besetzt, sodass die Aufstellung doppelter bürgerlicher Garden mit aufgepflanztem Bajonett an den Türen nötig wurde. Im Rahmen des Gottesdienstes hielt Pfarrer Angerer einen "Sermon" über die Worte "Freuet Euch mit mir, ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war". Ansonsten befragte der Pfarrer den Täufling zu allen Hauptpunkten des Unterrichts, und dies waren immerhin stattliche 150 Fragen, die der Probant zur allgemeinen Zufriedenheit bewältigte.

 

Der vormalige Jude Abraham Bär Löw Israel erhielt nun den christlichen Namen Johann Wilhelm Paul Friedrich Harburger und wurde insbesondere befragt, ob er dem "jüdischen Un- und Aberglauben" gänzlich absagen wolle, was jener pflichtgemäss und deutlich bejahte.

 

JOHANN HARBURGER ALS HANS IM GLÜCK

 

Der getaufte Jude Harburger erhielt nun in Folge des Taufgeschehens Geschenke aller Art in Hülle und Fülle, als da waren Bücher, Geld und Kleidungsstücke. Auch die Taufkollekte fiel ihm in reichlicher Höhe zu. Sodann begab sich Harburger mit amtlichen Empfehlungsschreiben an andere Orte, insbesondere auch Reichsstädte, und erhielt dort ebenfalls materielle Zuwendungen in Hülle und Fülle. Zum vollkommenen "Glück" fehlte ihm nun lediglich noch die Scheidung vom immer noch jüdischen Eheweib, welche dann auch kurzerhand gegen deren Willen von Amts wegen erzwungen wurde. Auch eine neue, christliche Gattin besorgte man auf die Schnelle. Am Montag, den 3. Dezember 1770 in der Betstunde wurde Johann Harburger mit Friederica Susanna Maria, der Tochter des verstorbenen Harburger Schneidermeisters Jacon Stähle, "christlich copuliert" und eingesegnet.

 

In materieller Hinsicht hatte sich die Aufgabe des Glaubens seiner Väter für den Täufling sicherlich gelohnt, es war ihm niemals zuvor in seinem Leben besser ergangen. Allerdings war dieser Wohlstand auch mit dem Verlust sämtlicher gesellschaftlicher Beziehungen verbunden. Die jüdische Gemeinde verachtete ihn genauso vehement wie auch seine eigene jüdische Verwandtschaft. Die Christen andererseits sahen in ihm in erster Linie eine dem Judentum abgerungene Beute, an deren wirklichen Wesenswandel man wohl doch nicht so recht glauben wollte.

 

ZWIESPÄLTIGES LEBENSENDE IM CHRISTENTUM

 

Nachdem der Taufrummel um Johann Harburger selbst auch dem Pfarrer Angerer allzu arg geworden war, brachte ihn dieser behutsam zurück zur altgewohnten Tätigkeit im Rahmen einer kleinen Handelsschaft. Harburger führte in den Folgejahren eine christliche Ehe und besuchte auch fleissig die Gottesdienste in der Kirche unweit der Synagoge. Er wird allerdings sein Dasein als Aussenseiter nicht allzu sehr genossen haben. Seine Seelennöte sind der Nachwelt nicht überliefert, nachdem Pfarrer Angerer seinen Bericht mit der Rückkehr des Täuflings zum alltäglichen Leben abschloss. Allzu lange konnte Johann Harburger den christlichen Teil seines Lebenswegs nicht auskosten, er starb an einem Brustfieber bereits am Dienstag, den 25 März 1777 und wurde am folgenden Donnerstag begraben. Hierzu schrieb Pfarrer Angerer dann allerdings nichts mehr. Geblieben ist von Johann Harburger lediglich die zwiespältige Erinnerung an die Turbulenzen des Jahres 1770, als er das Bedürfnis verspürte sich von den althergebrachten Traditionen seiner Väter abwenden zu müssen.

 

 

 

 

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