Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


Eingangsseite

Aktuelle Informationen

Jahrestagungen von Alemannia Judaica

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft

Jüdische Friedhöfe 

(Frühere und bestehende) Synagogen

Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale in der Region

Bestehende jüdische Gemeinden in der Region

Jüdische Museen

FORSCHUNGS-
PROJEKTE

Literatur und Presseartikel

Adressliste

Digitale Postkarten

Links

 


zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"  
zu den Synagogen in Baden-Württemberg 
    

Oberkirch (Ortenaukreis)
 Jüdische Geschichte 
 (erstellt unter Mitarbeit von Dr. Irmgard Schwanke, Oberkirch)  

Übersicht:  

Zur jüdischen Geschichte in Oberkirch 
Berichte aus der jüdischen Geschichte in Oberkirch   
Fotos / Darstellungen   
Links und Literatur   

   

Zur jüdischen Geschichte in Oberkirch          
     
In Oberkirch lebten - jeweils nur wenige - jüdische Bewohner im Mittelalter, zeitweise im 16. Jahrhundert, am Anfang des 18. Jahrhunderts sowie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es kam jedoch zu keiner Zeit zur Gründung einer jüdischen Gemeinde in der Stadt.  
  
Im Mittelalter lassen sich jüdische Bewohner in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisen. Sie hatten unter der Armleder-Verfolgung 1338 zu leiden, woraufhin ihnen Bischof Berchtold von Straßburg und die städtischen Behörden 1340 den Schutz versprachen. Von einer Verfolgung in der Pestzeit 1348/49 wird nichts berichtet. Entweder war der 1340 zugesagte Schutz wirksam oder es lebten damals keine Juden mehr in der Stadt.  
 
Aus dem 16. Jahrhundert ist bekannt, dass der Straßburger Bischof Johann IV. (von Manderscheid-Blankenheim) 1578 einem Juden namens Liebmann gestattete, sich im Amt Oberkirch niederzulassen. Das Zugeständnis des Bischofs löste in Oberkirch und den anderen Orten des Amtes allerdings große Empörung aus. Die Schultheißen, Vögte und Zwölfer des Amtes forderten im September 1578 vom Bischof "von Herzen und in aller Untertänigkeit ganz inniglich", den genannten Juden und alle anderen Juden "des Landes zu verjagen".  
 
Im 17. Jahrhundert wurde im Stadtbuch von 1665 der Handel mit Juden verboten.
  
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer vorübergehenden Niederlassung des Juden Daniel aus Renchen. Kardinal Armand Gaston hatte diesem 1712 gegen den Willen der Bürger Oberkirchs erlaubt, sich in Oberkirch niederzulassen und Handel zu treiben. Erst 1716 war der Kardinal zum Nachgeben in dieser Angelegenheit bereit, als die Vertreter des Amts Oberkirch ihm anboten, erhebliche Geldbeträge für die Wiederentfernung der Juden aus dem Amt Oberkirch zur Verfügung zu stellen. Diese Gelder wurden bis 1803 jährlich als "Judensteuer" bzw. "Judenschirm" in Höhe von jährlich 90 Gulden an die bischöfliche Regierung abgeführt.   
   
Erst seit der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts sind wenige jüdische Personen in der Stadt zugezogen. Bei den Volkszählungen wurden festgestellt: 1871 drei jüdische Einwohner, 1875 zwei, 1880 drei, 1885 fünf, 1890 bis 1900 eine Person, 1910 sechs. Da bei den Volkszählungen teilweise die ortsanwesenden und nicht die ortsansässigen Personen registriert wurden, kann es im Einzelnen auch um zufällig in der Stadt anwesende Personen gehandelt haben.
  
Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die zeitweise Anwesenheit des Karlsruher Ehepaares Julie und Max von Haber in Oberkirch zu nennen. Julie von Haber geb. Beyfus (geb. 1818 in Frankfurt, gest. 1896) stammte aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater war Miteigentümer des Frankfurter "Bankhauses Gebrüder Beyfus", ihr Großvater mütterlicherseits war Mayer Amschel Rothschild, Mitbegründer des Bankhauses Rothschild in Frankfurt. Max von Haber war Sohn des Karlsruher Hofbankiers Salomon von Haber. Das Ehepaar war in den 1870er- und 1880er-Jahren in den Sommermonaten häufig im Renchtal und erwarb in Oberkirch mehrere Grundstücke und Gebäude in den Gewannen Hungerberg und der Höll, darunter den Höllhof und die spätere Villa Eulenstein. 1882 starb Max von Haber. 1887 schenkte Julie von Haber der Stadt Oberkirch 150.000 Mark. Ein Drittel war für die Krankenpflege bestimmt, ein Drittel für die Unterstützung der Oberkircher Armen und ein Drittel zur Unterhaltung und Verbesserung der Kinderschule. 1890 konnte die Kleinkinderschule aus den Mitteln der "Frau von Haber'schen Stiftung" erbaut werden (Kindergarten St. Raphael). Zum Dank wurde an der Kinderschule eine Erinnerungstafel angebracht, die vermutlich in der NS-Zeit entfernt wurde. 1896 war Julie von Haber verstorben (siehe Bericht unten). 2009 wurde an Stelle des alten Gebäudes der Kleinkinderschule ein Neubau errichtet, an dem 2014 eine neue Erinnerungstafel angebracht wurde (siehe Text und Abbildungen auf eingestellter pdf-Datei).  
 
Seit den 1920er-Jahren lebte in Oberkirch der praktische Arzt Dr. Siegfried Boss (geb. 14. Januar 1864 in Zülz/Oberschlesien als Sohn des Kaufmannes Adolf [oder Rudolf] Boss, zuletzt Berlin und seiner Frau Ernestine geb. Breslauer; nach dem Sterbeeintrag von 1938 war Dr. Boss evangelischer Konfessionszugehörigkeit) mit seiner jüdischen Frau Klara geb. Selten (geb. 4. Juni 1868 in Bernstadt in Schlesien als Tochter des Kaufmanns Isaak Selten und der Linna geb. Ledermann; Heirat mit Dr. Siegfried Boss am 16. Juni 1891 in Straßburg im Elsass; nach dem Eintrag 424/1891 im Trauregister waren damals beide Partner israelitischer Religionszugehörigkeit, möglicherweise ist Dr. Boss später konvertiert). Er hatte seine Praxis in der Stadtgartenstraße vermutlich im Gebäude 28 oder 30 (doch unterschiedliche Angaben in der Literatur: zwischen 26 und 32); Haus und Grundstück waren sein Eigentum. Dr. Boss war im Oberkircher Kulturleben verankert. Er schrieb Konzertbesprechungen für die Tagespresse und galt als ausgewiesener Musikkenner. Nach der NS-Machtergreifung trat er am 30. März 1933 als Vorsitzender des kassenärztlichen Bezirksvereins zurück. Nachdem absehbar wurde, dass ihm die ärztliche Approbation entzogen werden sollte, nahm er sich am 24. September 1938 das Leben. Seiner Frau wurde im März 1939 das Haus und Grundstück weggenommen. Sie wurde im August 1942 über Stuttgart in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie im Januar 1943 umgekommen ist.
  
Von den in Oberkirch geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Dr. Siegfried Boss (1864 - Suizid 1938), Klara Boss geb. Selten (1868 - 1943).  
    
    
Weitere Erinnerung an die jüdische Geschichte: Als Flurname ist die Flur "Judenfeld" auf Gemarkung Oberkirch genannt. Das "Judenfeld" ist das Grundstück zwischen dem Tiergärtner Weg und der Ringelbacher Straße im Bereich südlich des Reichenbächle.      
    
    
    
Berichte aus der jüdischen Geschichte in Oberkirch    

In jüdischen Periodika des 19./20. Jahrhunderts findet man zu Oberkirch keine Mitteilungen.   

     
Zum Tod von Baronin Julie von Haber (1896 in Karlsruhe) 

Karlsruhe AZJ 19021897.jpg (153324 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 19. Februar 1897: "Karlsruhe, 5. Februar (1897). Eine sehr interessante Frau, die letzte ihres Stammes, ist hier im hohen Alter gestorben, nämlich die Baronin Julie von Haber. Sie war, wie gesagt, die letzte dieses adeligen Namens, welche auf dem israelitischen Friedhofe beerdigt wurde. Die zahlreichen Teilnehmer bei dem Leichenbegängnisse waren, mit Ausnahme des Herrn Stadtrabbiners Dr. Appel und einiger anderen Funktionäre, fast alle Christen, meist Adelige. Die Verstorbene war allein dem Judentum treu geblieben. Sie hatte testamentarisch angeordnet, dass nach ihrem Ableben 2.000 Mark an jüdische Arme verteilt werden sollen. In ihrem Hause fand man hebräische Gebetbücher mit deutscher Übersetzung, die von einem öfteren Gebrauche zeugten. Sicher ist es nur ihrem Einflusse zu verdanken, dass ihr im Tod vorangegangener Gemahl Max von Haber und ihr einziger Sohn, der als Offizier den Krieg von 1870/71 mitgemacht hatte und einige Jahre später ebenfalls verstorben ist, dem Judentum treu geblieben sind. Der Schwiegervater der Verstorbenen, Salomon von Haber, im Jahre 1760 in Breslau geboren, war der Sohn armer Eltern; er hatte sich durch seinen Unternehmungsgeist eingroßes Vermögen erworben und ließ sich Ende des Jahrhunderts in Karlsruhe häuslich nieder. Habers Unternehmungsgeist verdankt Baden seine bedeutendsten Fabriken. Großherzog Karl ernannte ihn zum Hofbankier, und Großherzog Ludwig verlieh ihm 1829 den erblichen Adel. Er starb im Jahre 1840. Als ein Sohn desselben, Moritz von Haber, sich mit einem Offizier, Freiherrn von Göler, duellierte und dieser fiel, erregte dies in Karlsruhe großen Unwillen, und Haber musste fliehen. Ein anderer Sohn, Louis von Haber, hatte nach dem Tode seines Schwiegervaters eine Zuckerfabrik in Böhmen übernommen. Er war Begründer großer industrieller Institute in Österreich. In Anerkennung seiner Verdiente hat ihn der Kaiser von Österreich in den erblichen Freiherrenstand erhoben und zum Mitglied des Herrenhauses berufen".     

   
   
   
Fotos:   

 Erinnerungen an Julie Haber und 
den Kleinkindergarten in Oberkirch
(Quelle: Stadtarchiv Oberkirch)  
 Oberkirch Julie Haber 1872.jpg (174230 Byte) Oberkirch Kleinkinderschule 010.jpg (105213 Byte) 
   Julie von Haber (gest. 1897)
im Jahr 1872 
 Der Entwurf des Architekten für die 
erste am Kindergarten angebrachte Erinnerungstafel 

   
    
Links und Literatur   

Links:  

Website der Stadt Oberkirch     

Literatur:  

Germania Judaica II,2 S. 615-616.  
Hans-Martin Pillin: Stadtgeschichte Oberkirch Bd. 1: Die Geschichte der Stadt von den Anfängen zum zum Jahre 1803. 1975. S. 104.156.191-192.
Bd. 3: Die Geschichte der Stadt vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur 650-Jahr-Feier der Stadtrechtsverleihung 1919-1976. S. 127.  
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Band 5/2. Baden-Württemberg II. Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen. Frankfurt 1997. S.102. 
Heinz G. Huber: Die Katholiken des Renchtals und die nationalsozialistische Herausforderung. Heimat- und Grimmelshausenmuseum Oberkirch. Sonderheft zur Ausstellung "Klöster, Kirchen, Kapellen und Wallfahrten des Renchtals". Juni 2009. S. 36.  

  
    

                   
vorherige Synagoge  zur ersten Synagoge nächste Synagoge  

         

 

Senden Sie E-Mail mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an Alemannia Judaica (E-Mail-Adresse auf der Eingangsseite)
Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 19. Dezember 2014