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Fulda (Kreisstadt)
Jüdische Friedhöfe
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
Siehe Seite zur Synagoge in Fulda (interner
Link)
Siehe Seite zur Synagoge in Fulda nach 1945 (interner
Link)
Hinweis: auf der Website der Stadt Fulda ist
eingestellt zum Herunterladen (pdf-Datei, 11,77 mb):
Broschüre: Der
jüdische Friedhof in Fulda. Reihe: Dokumentationen zur Stadtgeschichte Nr. 2.
Mit Informationen zum Friedhof, Fotos, Bestattungsverzeichnis und Plänen.
Zum Herunterladen Link anklicken! Die Angaben zum Friedhof und den hier
Beigesetzten sind allerdings auf dem Stand von
1980.
Zur Geschichte der Friedhöfe
Der mittelalterliche jüdische Friedhof
Ein mittelalterlicher jüdische Friedhof bestand möglicherweise seit Beginn des 13.
Jahrhunderts (urkundlich jedoch erst seit 1476 belegt; als juden kirchoff
1516-1520 erwähnt). Er lag vermutlich nahe dem Peterstor außerhalb der
Stadtmauer.
Der alte jüdische Friedhof
Seit der Zeit Ende des 16. Jahrhunderts wurde ein neuer Friedhof (später: alter jüdischer
Friedhof) auf dem Gelände zwischen der heutigen Bahnhof-,
Linden- und Rhabanusstraße belegt. Dieser Friedhof wird in der
"Judenordnung" des Stifts Fulda vom 31. Oktober 1586 genannt:
Aus
der Judenordnung vom 31. Oktober 1586 - ausgestellt im Namen Maximilians,
Erzherzog von Österricht, Administrator des Stifts Fulda (Stadtarchiv
Fulda, Judenordnung, 1586, Okt.31, Handschrift; Abbildung aus dem Katalog
"Jüdisches Leben in und um Hammelburg" s.Lit. S. 17): "Zum
Fünfzehnten, sollen alle Juden, so unter uns sesshaft und darin sich
aufhalten, so sie alt oder jung sterben, ihr Begräbnis vor der Stadt
Fulda, Brückenau, Pfaffenhausen und sonst nirgends haben..." |
Bis 1906/07 fanden auf diesem
Friedhof die Beisetzungen der Gemeinde statt. Bis zur NS-Zeit waren Grabsteine von etwa 1665 an
erhalten. Andere ältere Grabsteine sind beim Umbau des Priesterseminars als
Steinfliesen gefunden und der jüdischen Gemeinde zurückgegeben worden (1635,
1654, 1658). Weitere Grabsteine / Grabsteinfragmente befinden sich beim Dom
in Fulda (siehe Fotos unten). Sie wurden nach der Vertreibung der Juden im 17.
Jahrhundert als Plattenbelag bzw. als Baumaterial für den Dom verwendet
worden.
Von einer Schändung des Friedhofes wird 1928 berichtet:
Schändung des alten Friedhofes durch Schulkinder (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. April 1928: "Drei neue Friedhofsschändungen der letzten Tage
bringen die Schändungsziffer auf 58 (sc. die Zählung begann 1923).
Demoliert und geschändet wurde der alte jüdische Friedhof in Fulda.
Auf dem jüdischen Friedhofe zu Baisingen
in Württemberg wurden 12 Grabsteine umgeworfen. Auf dem jüdischen
Friedhofe in Eilendorf im Rheinlande sind wüste Zerstörungen verübt
worden." |
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Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 20. April 1928: "Fulda (Friedhofschänder am
Werk). Auch der hiesige jüdische alte Friedhof ist in voriger Woche
das Opfer einer vandalistisch hausender Rotte Völkischer geworden, ohne
dass es bisher gelungen ist, die Attentäter zu ermitteln. Die
Gemeinde hat eine Belohung von 100 Mark für die Feststellung der Rohlinge
in Aussicht gestellt." |
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Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 27. April 1928: "Fulda. Die Herren
Gemeindeältesten der Israelitischen Gemeinde Fulda übersenden uns
nachstehende Berichtigung: 'In Nr. 15 Ihrer Zeitung bringen Sie eine Notiz
aus Fulda, deren Urheber über den wahren Sachverhalt durchaus nicht so
unterrichtet war, wie man es von einem Berichterstatter erwarten sollte.
Die Untersuchung hat nämlich ergeben, dass die 'vandalistisch hausende
Rotte Völkischer' Schulkinder waren, drei im Alter von etwa acht Jahren
und eins mit zwölf Jahren. Einer der Väter hat sich bei uns freiwillig
gemeldet. Es ist uns außerordentlich unangenehm, dass Ihre Zeitung einen
Lausbubenstreich zu einer politischen Aktion aufbauscht, besonders, da die
Eltern der Kinder die Sache aufs tiefste bedauern und selbstverständlich
zu der Tragung der Kosten bereit sind. Ihr Berichterstatter war auch
insofern nicht instruiert, als die Sache schon vor einiger Zeit sich
ereignet hat'." |
1938/40 wurde der Friedhof von der Stadt abgeräumt, eingeebnet und
an seiner Stelle ein Park
angelegt. Gebeine der auf dem Friedhof Beigesetzten wurden auf den neuen
Friedhof gebracht (Gedenkstein auf dem neuen Friedhof siehe unten).
Auch nach 1945 blieb der ehemalige Friedhof eine Parkanlage.
Ein Gedenkstein an der Parkmauer Ecke Rabanusstraße/Sturmiusstraße erinnert heute an den alten
jüdischen Friedhof ("Jerusalemplatz"). Im Keller des 1960
erbauten Zollamts, Ecke Lindenstraße/Sturmiusstraße befindet sich ein
schlichter Gedenkraum, an dessen Frontseite eine Tafel angebracht ist mit der
Inschrift: "Dieser Raum sei geweiht der Erinnerung an die Seelen aller
Heiligen, Frommen und Großen in Israel, aller Männer und Frauen der
altehrwürdigen Gemeinde Fulda, die hier ihre Ruhestätte fanden bis zur
gewaltsamen Auflösung des Friedhofes zur Zeit der Schreckensherrschaft".
Historisches Foto und Dokumente zur Zerstörung des Friedhofes
(Quelle: Heinz-Jürgen Hoppe: Das jüdische Fulda S. 21.38)
Ansicht
des alten jüdischen Friedhofes an der Rabanusstraße vor der
Zerstörung. |
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Antijüdisches
zum alten Friedhof aus der Fuldaer Zeitung zur Jahreswende 1938/39:
"November kam mit Sturmesbrausen,
tat ordentlich in Fulda hausen.
Der Judenfriedhof ging in d'Binsen,
ein schmucker Platz wird hier erstehn.
Die Fasnetsnarren mit viel Grinsen
begannen auch schon aufzustehen!" |
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Artikel
in der "Fuldaer Zeitung" vom 17. Januar 1939: "Auf dem
alten Judenfriedhof, der zwischen Lindenstraße und Rhabanusstraße
inmitten der Stadt lag, sind in den letzten Tagen die Abräumungsarbeiten
wieder aufgenommen worden, die durch die starke Frostperiode und den
Schneefall unterbrochen waren. Der letzte Grabstein ist jetzt umgelegt.
Die Steine wurden an Ort und Stelle so hergerichtet, dass sie eventuell
anderen Zwecken nutzbar gemacht werden können. Sehr interessant war das
Spalten der größeren, noch gut erhaltenen Steine. Auch eine Anzahl
Bäume wurden gefällt. Es wäre zu wünschen, dass nun auch die Abfuhr
der Steine beschleunigt werden könnte, sodass der geräumige Platz als
Grünanlage bald eine Zierde der Stadtmitte wird." |
Der neue jüdische Friedhof
Der neue jüdische Friedhof wurde 1904 am damaligen Edelzeller Weg
(heute: Heidelsteinstraße) angelegt. Von 1906 bis 1940 wurden auf einer Fläche von etwa 25 ar
etwa 400 Beisetzungen (einschließlich Kindergräber) vorgenommen.
Ursprünglich hatte das Friedhofsgrundstück eine Gesamtfläche von 104,90 ar.
Beim Novemberpogrom 1938 wurden von Nationalsozialisten alle Grabsteine
umgeworfen und das Totenhaus verwüstet. Die letzten Beisetzungen fanden auf diesem Friedhof
im Herbst 1940 statt. Im Oktober 1940 wurde
der Friedhof geschlossen. Die in Fulda vor den Deportationen noch Verstorbenen
mussten in Weyhers beigesetzt werden (bis März
1942). Der Friedhof wird bis zur Gegenwart als Friedhof der nach 1945 wieder
begründeten jüdischen Gemeinde verwendet.
Lage des neuen Friedhofes:
Der (neue) jüdische Friedhof liegt im Bereich südlich der
Bahnüberquerung der Mainstraße, westlich der Heidelsteinstraße, nördlich der
Volkersbergstraße.
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Lage des jüdischen Friedhofes
in Fulda auf dem dortigen Stadtplan: links anklicken und unter
"Behörden und öffentliche Einrichtungen" weiterklicken zu
"Friedhof, israel." |
Berichte aus der Geschichte der Friedhöfe
Exhumierung eines russischen Juden auf Anordnung der
Staatsanwalt (1906)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 10. August
1906: "Fulda, 5. August (1906). Auf Anordnung der Hanauer
Staatsanwaltschaft wird auf dem hiesigen israelitischen Friedhof die
Leiche des russischen Juden Moses Boguschen exhumiert und seziert.
Dieser alte Mann übernachtete am 10. Juli dieses Jahres auf dem Heuboden
über dem Viehstall des Jakob Goldschmidt hier und wurde am anderen Morgen
mit einem Schädelbruch tot im Viehstall aufgefunden. Er soll durch die
Bodenluke aufs Pflaster gestürzt sein, doch fiel es auf, dass seine drei
Begleiter spurlos verschwunden waren." |
Fotos
(Fotos obere Fotozeile: D. Bluthardt, Aufnahmedatum: 25.8.2016;
weitere Fotos: Hahn, Aufnahmedatum: 10.4.2009; Anmerkung: beim
Besuchstag konnte der neue Friedhof auf Grund des Pessachfestes nicht betreten
werden; die Fotos sind alle vom Eingang aus erstellt; bei Gelegenheit werden
weitere Fotos angefertigt und eingestellt)
Grabsteine /
Grabsteinfragment auf der linken Seite des Doms |
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Erläuterungen
auf Hinweistafel: "Jüdische Grabsteine - 17. Jahrhundert.
Sandstein mit hebräischer Inschrift.
Die Grabsteine wurden nach einer Judenvertreibung des 17. Jahrhunderts als
Plattenbelag verwendet.
Bruchstück eines Grabsteins. 1525 Sandsteinplatte. Das
Grabsteinstück ist mit 2 Reliefs und einem Teil der Inschrift verziert.
Gefunden als Baumaterial im Dom".
Weitere Informationen und Übersetzungen der Inschriften: http://jinh.lima-city.de/fulda/grabsteine.htm |
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Der alte Friedhof |
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Bezeichnung
"Jerusalemplatz" |
Blick über den abgeräumten
Friedhof,
heute Parkanlage |
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Gedenkstein mit
Inschrift: "Gedenkstein - errichtet von der Stadt Fulda an der
Stätte des historischen Friedhofes
der Fuldaer Juden, die in den Jahren
der Gewaltherrschaft ihrer Bestimmung entzogen wurde." |
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Der neue Friedhof |
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Die Friedhofshalle
(Leichenhalle)
am
Eingang |
Eingangstor für
Personen
mit Hinweistafel |
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Das Eingangstor
für Fahrzeuge |
Davidstern
im Tor |
Teilansicht des Friedhofes;
kleines Grab
im Vordergrund für Jettchen Seelig |
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Gedenktafel für
die jüdischen
Gefallenen im Ersten Weltkrieg
aus Fulda |
Gedenkstein:
"Zur ewigen Erinnerung.
Hier liegen die Gebeine derer, die nach
der
Auflösung des alten Friedhofes in
der Rabanusstraße hier zur Ruhe
gekommen sind". |
Grabstein für
Maria Stern
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Grabstein für Else Klebe geb.
Sundheimer
(1886-1936) und Jacob Klebe (1876-1967
in London) |
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Neues Gräberfeld |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
März 2024:
Über die kleine Synagoge neben dem
(alten) Friedhof |
Artikel in der Osthessen-Zeitung vom 15.
März 2024: "Mini-Synagoge im Zollgebäude – Stadt will Haus von Bund
abkaufen
Fulda (as) – Ein Ort der Erinnerung, Begegnung und Bildung, direkt
neben dem ehemaligen jüdischen Friedhof: An diesem Konzept arbeitet die
Stadt Fulda bereits seit einigen Jahren. Wie die zuständige Pressestelle
mitteilt, laufen bereits konstruktive Gespräche zum Erwerb des früheren
Hauptzollamtes in der Sturmiusstraße. Dort befindet sich im Kellerbereich
eine kleine Synagoge, deren Raum besucht werden kann. Unterstützung für das
Projekt gibt es unter anderem vom Oberbürgermeister.
Die Stadt Fulda hatte das Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs
zwischen Linden- und Rabanusstraße 1952 von der Jewish Restitution Successor
Association (JRSO) gekauft, berichtet Monika Kowoll-Ferger, Pressesprecherin
der Stadt Fulda. Ziel war es, dort für den Bund ein Gebäude für das damalige
Hauptzollamt zu bauen: 'Bedingung dafür war, dass nur auf der Fläche gebaut
wurde, auf der niemals Menschen bestattet waren, da nach jüdischem Recht ein
Friedhof niemals durch ein Gebäude überbaut werden darf.' Allerdings sei das
Gebäude 1953 nicht auf dem vereinbarten Bereich der Lindenstraße, der an die
Bahnhofstraße angrenzt, sondern an der Ecke zur Sturmiusstraße errichtet
worden. 'Ben Ferencz, ehemaliger Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen
und zu diesem Zeitpunkt Generaldirektor der JRSO, entwickelte einen Ansatz
um mit der Situation umzugehen, indem am untersten Punkt des neuen Gebäudes
(also im Keller) ein Raum entstand, in dem die Gläubigen für ihre
Verstorbenen beten können', gibt Kowoll-Ferger an. Der Gebetsraum könne auch
heute noch besucht werden, erzählt sie. Der Schlüssel könne während der
Öffnungszeiten bei der Jüdischen Gemeinde in Fulda abgeholt werden, jeweils
montags und mittwochs zwischen 9 bis 12 Uhr sowie 14 bis 16 Uhr, dienstags
von 10 bis 13 Uhr und donnerstags und freitags von 9 bis 12 Uhr. Die
telefonische Auskunft sowie Voranmeldung dazu erfolgen über 0661/70252.
Die Stadt Fulda befinde sich aktuell in konstruktiven Gesprächen mit der
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zum Erwerb des Hauptzollamts,
teilt die Pressesprecherin mit. 'Sollte ein Erwerb der Immobilie durch die
Stadt möglich sein, wäre die Einrichtung eines Ortes der Erinnerung,
Begegnung und Bildung denkbar, an dem an den ehemaligen jüdischen Friedhof
und an die Geschichte jüdischen Lebens in Fulda erinnert wird', meint sie.
Möglich sei auch eine Verlegung des Stadtarchivs in die Räume ebenso wie
eine teilweise Nutzung durch die Volkshochschule für Bildungs- und
Begegnungsveranstaltungen. 'Angestrebt würde dann auch eine
gemeinschaftliche Entwicklung mit dem Gebäude der ehemaligen Synagoge am
Stockhaus', ergänzt Kowoll-Ferger."
Link zum Artikel |
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Juli 2024:
Über den jüdischen Friedhof in
Fulda |
Artikel in den "Osthessen-news" vom 16. Juli 2024: "Ein Ort für
die Lebenden und die Toten - der jüdische Friedhof (in Fulda)
In Deutschland ist das so eine Sache mit dem Verhältnis von Juden und
Christen. Die Geschichte trennt uns nicht, aber sie zwingt uns zur
Auseinandersetzung und zum gleichzeitigen Blick in die Zukunft und die
Vergangenheit. Sucht man nach Spuren jüdischen Lebens in Fulda, ist man oft
auf Orte der Vergangenheit angewiesen, weil so vieles ausgelöscht wurde im
sogenannten Tausendjährigen Reich.
Im Haus des Lebens. Vor kurzem habe ich gemeinsam mit Roman Melamed,
dem Vorbeter der Jüdischen Gemeinde, den jüdischen Friedhof in der
Edelzeller Straße besucht. Aus Sicherheitsgründen kann man nicht einfach
hinein. Es versetzt mir jedes Mal einen Stich ins Herz, dass jüdische
Einrichtungen so geschützt werden müssen, aber notwendig ist es, leider. Das
hebräische "Beth Hachajim" bedeutet Haus des Lebens, jüdische Friedhöfe
werden aber auch mit "Beth Olam" (= Haus der Ewigkeit) bezeichnet. Haus des
Lebens? Aber ja, denke ich – denn Friedhöfe sind mindestens so wichtig für
die überlebenden Angehörigen wie für die Toten und ihre Totenruhe.
Innerlich bin ich sehr bewegt, denn es ist der fünfte Todestag meiner
Mutter. Ihr Grab auf dem Städtischen Zentralfriedhof ist quasi um die Ecke,
und ich habe ihr schon eine Kerze hingestellt. Wie schön, dass die beiden
Friedhöfe benachbart sind! In beiden Religionen dienen die Traditionen und
Rituale rings um den Tod dazu, die Trauer der Angehörigen zu lindern und die
Toten zu achten. Es gibt so vieles, das Judentum und Christentum
intellektuell, religiös und spirituell verbindet – für mich ein
immerwährender Quell des Wissens und der Freude.
Je nach der Situation der Gemeinde hat jeder Friedhof seine eigenen Regeln.
In Fulda gibt es auf dem jüdischen Friedhof nur Einzelgräber, keine
Familiengräber. Es kann sein, dass Ehepartner nebeneinander beerdigt sind,
das ergibt sich aber eher aus den zur Verfügung stehenden freien Plätzen als
aus einer Familienzusammenführung. In Frankfurt hingegen findet man häufiger
Familiengräber – eine religiöse Bestimmung liegt weder dem einen noch dem
anderen zugrunde. Auf manchen Friedhöfen sind Blumen auf den Gräbern
erlaubt, auf anderen nicht. Die Fuldaer Gemeinde ist orthodox, deswegen wird
nicht-traditioneller Grabschmuck hier nicht gern gesehen. Eines aber gilt
für alle jüdischen Friedhöfe: Alle Gräber sind nach Osten ausgerichtet –
nach Jerusalem. So können die Toten nach ihrer Auferstehung die Reise nach
Jerusalem leichter antreten.
Auf dem Fuldaer Jüdischen Friedhof sind im rechten Teil die alten Gräber, im
linken Teil die neuen Gräber. ‚Alte‘ Gräber heißt, hier liegen die
Verstorbenen der ehemaligen jüdischen Gemeinde, ‚neu‘ meint, hier liegen die
Verstorbenen der jetzigen jüdischen Gemeinde Fuldas. Geht man bis hinunter
zum Ende des Friedhofs kurz vor den Bahngleisen, sieht man einige an die
Mauer gelehnte alte Grabsteine. Fast alle sind beschädigt – es sind die
geretteten Überreste der Grabsteine, die einst auf dem alten jüdischen
Friedhof in der Rabanusstraße standen (heute Jerusalemplatz).
Kleine Steine gegen das Vergessen. Wie auch auf einem katholischen
Friedhof gibt es eine Friedhofshalle (wir kennen sie als
Aussegnungskapelle). Sie ist einfach und schlicht. An dem Pult wird die
Trauerrede gehalten und das Kaddisch (= Lob Gottes und Totengedenken)
gesprochen. Ringsum verläuft eine Holzbank für die Trauergemeinde. Vor der
Friedhofshalle steht eine kleine Schale mit Kieseln – auf jüdischen Gräbern
legt man traditionell Steine ab. Man kann sie mitbringen oder hier aus der
Schale nehmen. Der abgelegte Stein bedeutet "ich vergesse Dich nicht".
Steine auf Gräber zu legen ist ein Brauch, der nicht nur im Judentum bekannt
ist. Als ich zum ersten Mal auf den Knocknarea nahe Sligo in Irland
gewandert bin, um der mythischen Kriegerkönigin Maeve an ihrem Grab dort
oben meine Referenz zu erweisen, kam mir ein Schäfer entgegen. Er fragte
mich, ob ich zu Queen Maeve wolle. Als ich das bejahte, griff er in seine
Tasche und gab mir zwei kleine Steine, die ich oben ablegen sollte, um den
Zorn der keltischen Königin zu besänftigen. Natürlich befolgte ich seinen
Rat, wer will schon Kriegerköniginnen verärgern? Dann stand ich an diesem
wahrhaft mystischen Ort, ehrte in Gedanken eine große Kriegerin und genoss
die herrliche Aussicht.
Symbolik auf den Grabsteinen. Die "Mazeva", der Grabstein, wird in
der Regel ein Jahr nach der Bestattung aufgestellt. Auf allen sieht man den
Davidsstern, auf einigen zwei segnende Hände – Daumen, Ring- und kleiner
Finger werden von Zeige- und Mittelfinger abgespreizt. Dieses Symbol weist
darauf hin, dass hier jemand begraben ist, der aus der Priesterkaste der
Kohen abstammt. Übrigens gibt es dieses Symbol auch als Emoji! Die segnenden
Hände sieht man z.B. auf dem Grabstein von Rabbiner Dr. Michael Cahn.
Auf manchen Grabsteinen sieht man die sogenannte Levitenkanne – sie weist
auf eine levitische Abstammung hin und steht für kultische Reinheit, denn
die Leviten wuschen den Priestern vor dem Opfern die Hände. Eine
Levitenkanne sieht man auf dem Grabstein von Wolf Feldheim. Manche
Grabsteine schmückt auch eine Menora Es sind die Frauen, die in der Synagoge
die Sabbat-Kerzen anzünden, der Leuchter verweist also darauf, dass hier
eine Frau begraben liegt.
Davidstern und Namen, Todesdaten – dazu die Buchstaben Nun und Pe, sie sind
eine Abkürzung für "Poh nitman /nitmena" (= hier liegt begraben). Unter dem
Namen steht die mit fünf Buchstaben abgekürzte Formel "Tehi nafscho /
nafscha zrura bizror hachajim" (= Möge seine / ihre Seele eingebunden sein
in das Bündel des Lebens). Üblich ist es, die Vorderseite des Grabsteins auf
Hebräisch zu beschriften, die Rückseite in der jeweiligen Landessprache.
Im Haus der Ewigkeit. Jüdische Friedhöfe sind für die Ewigkeit, sie
werden nie aufgelassen. Den Toten gehört die Erde, in denen sie bestattet
sind. Gläubige Juden glauben an die körperliche Auferstehung der Toten bei
Ankunft des Messias. Eine Einäscherung würde diese Auferstehung verhindern.
Im Judentum sind deshalb Erdbestattung vorgeschrieben. Wenn man diese
Zusammenhänge verstanden hat, wird einem bewusst, dass die Zerstörung von
jüdischen Friedhöfen und die Verbrennungsöfen in den Konzentrationslagern
auch eine religiöse Barbarei waren. Erinnern Sie sich an die Buddha-Statuen
von Bamyan? 2001 wurden sie durch fanatische Taliban zerstört, ein
vergleichbarer Akt, der wie die Gräueltaten der Nationalsozialisten die
Auslöschung eines Volks und seiner Religion als Ziel hatten.
Man kann den jüdischen Friedhof an allen Tagen besuchen, außer am Sabbat und
an den hohen jüdischen Feiertagen. Alle Juden sind gehalten, in den Tagen
vor Rosch Haschana die Gräber ihrer Familienangehörigen zu besuchen, und
natürlich am sogenannten Jahrtag (Todestag). Wie überall an religiösen
Stätten tragen Männer auch auf dem Friedhof eine Kopfbedeckung, meist die
Kippa. Im Judentum gibt es vielfach rituelle Handwaschungen. So vor den
Mahlzeiten, und eben auch nach einem Besuch auf dem Friedhof. So wird die
Unreinheit, die durch den Besuch bei den Toten entstanden ist, wieder
aufgehoben. Für die Waschung verwendet man ein spezielles Gefäß, den "Natlan"
– einen großen Becher mit zwei Henkeln. Man füllt ihn mit Wasser und
übergießt damit jede Hand dreimal. Das Waschen ist also sowohl eine
spirituelle als auch eine hygienische Reinigung.
"Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung", so steht es am Eingang der
Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Dieser Satz steht auch im Vorwort der
1980 erschienenen Dokumentation über den jüdischen Friedhof in Fulda. Aus
dem, was geschehen ist, können wir Hoffnung schöpfen. Und wir können
Verantwortung leben – für die Toten, für die Lebenden.
Die Steine im Rosengarten. Juden haben in Deutschland nicht erst
unter den Nationalsozialisten Vertreibung und Pogrome erlebt. Davon erzählen
die jüdischen Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert, die im Rosengarten zu
sehen sind. 1671 wurden alle Juden durch Fürstabt Bernhard Gustav Markgraf
von Baden-Durlach aus dem Fürstbistum Fulda ausgewiesen, etwa 350 allein aus
dem Stadtgebiet Fulda. Nur für fünf jüdische Familien gab es
Ausnahmegenehmigungen. Alle ausgewiesenen Juden mussten ihre Anwesen
zwangsverkaufen. Die Ausweisung war dem kostspieligen Machtpoker des
Fürstabts geschuldet, der höhere Weihen anstrebte und ihm wohlgesonnene
Städte, Adelige und Gilden brauchte. Die Strategie ging auf, er wurde kurz
darauf zum Kardinal ernannt. Die Grabsteine des mittelalterlichen jüdischen
Friedhofs wurden als Fußbodenplatten im Dom verbaut. So malerisch schön sie
heute in der Domdechanei auch liegen, eigentlich gehören sie auf den
jüdischen Friedhof. Gespräche dazu werden offenbar bereits geführt.
Als wir beim ersten Solidaritätstag mit Juden und Israel am 10. Juli 2024
hier Station machen, betet Pfarrer Michael Oswald einen Psalm, Wolfgang
Hengstler, der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit, rezitiert den orthodoxen Rabbi Nachman (1772-1810) aus Uman/Ukraine–
und wir singen gemeinsam "Shalom Chaverim – Friede, Freunde!", eines der
bekanntesten jüdischen Lieder. Würden wir uns alle als Freunde begreifen,
würden wir unseren Einsatz für den Frieden auch als Einsatz für die Freiheit
begreifen, wären wir in diesen weltpolitisch bedrückenden Zeiten einen
großen Schritt weiter."
Link zum Artikel (mit
Fotos zum Friedhof) |
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Fulda |
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Fulda sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,345 Familien- und Geburtsregister der Juden von
Fulda 1748 - 1899 |
Literatur:
| Arnsberg I,221-235. |
| Heinz-Jürgen Hoppe: Das
Jüdische Fulda. Ein historischer Stadtrundgang. Rhön-Verlag o.J. (ca. 1995,
mit weiteren Literaturangaben). |
| Broschüre: Der
jüdische Friedhof in Fulda. Reihe: Dokumentationen zur Stadtgeschichte Nr. 2.
Mit Informationen zum Friedhof, Fotos, Bestattungsverzeichnis und Plänen.
Zum Herunterladen Link anklicken! Die Angaben zum Friedhof und den hier
Beigesetzten sind allerdings auf dem Stand von 1980.
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| Michael
Imhof: 400 Jahre Juden in der Rhön. Herausgegeben von Zukunft Bildung Region Fulda e. V.
21 x 29 cm, 344 Seiten, 562 Farb- und 59 S/W-Abbildungen, Klappenbroschur. ISBN 978-3-7319-0476-2
(D) 39,95 €, (A) 41,10 €, CHF 45,90.
Erschienen im Michael Imhof-Verlag.
Informationsseite
zur Publikation mit Downloads und "Blick ins Buch"
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Michael
Imhof: Juden in der Rhön. Jubiläumsausgabe 1700 Jahre jüdisches Leben
in Deutschland. Hrsg. von Zukunft Bildung Region Fulda e.V.
2. erweiterte Neuauflage des
oben genannten Buches.
21 x 29 cm, 424 Seiten, über 689 Farb- und 40 SW-Abbildungen.
Klappenbroschur. ISBN 978-3-7319-1176-0. 39,95 €.
Erschienen im Michael Imhof-Verlag.
Informationsseite zur Publikation mit Downloads und "Blick ins Buch"
Seit 400 Jahren waren Juden in den Landstädten und Dörfern der hessischen
Rhön urkundlich verbürgt. Ende des Mittelalters und noch zu Beginn der
Frühen Neuzeit aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben, fanden viele von ihnen auf den Territorien von Ritterschaften und der Universität Würzburg auch in der Rhön eine neue Bleibe. Erst mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte für sie ein wirtschaftlicher und sozialer Prozess ein, der den Namen Emanzipation verdient. In den Gemeinden der Rhön wurden sie zu wesentlichen Wegbereitern der Moderne. Dieser Entwicklung stellte sich ein zunehmender Antisemitismus schon in der Kaiserzeit entgegen. Als mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 der Judenhass zum Regierungsprogramm wurde, begann auch für die in der Rhön lebenden Juden eine Zeit der Demütigungen und Verfolgungen mit dem Ziel ihrer Vertreibung und
Vernichtung.
Rezension von Jutta Hamberger in den Osthessen-News vom 18. Oktober 2021:
https://osthessen-news.de/n11655845/aufwuehlende-spurensuche-in-der-rhoen-michael-imhoff-juden-in-der-rhoen.html.
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