Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Fulda (Kreisstadt) 
Jüdische Friedhöfe

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde    
   
Siehe Seite zur Synagoge in Fulda (interner Link)  
Siehe Seite zur Synagoge in Fulda nach 1945 (interner Link)  
 
Hinweis: auf der Website der Stadt Fulda ist eingestellt zum Herunterladen (pdf-Datei, 11,77 mb):   
Broschüre: Der jüdische Friedhof in Fulda. Reihe: Dokumentationen zur Stadtgeschichte Nr. 2. Mit Informationen zum Friedhof, Fotos, Bestattungsverzeichnis und Plänen. Zum Herunterladen Link anklicken! Die Angaben zum Friedhof und den hier Beigesetzten sind allerdings auf dem Stand von 1980.     
     
     
     
Zur Geschichte der Friedhöfe    
     
Der mittelalterliche jüdische Friedhof  
    
Ein mittelalterlicher jüdische Friedhof bestand möglicherweise seit Beginn des 13. Jahrhunderts (urkundlich jedoch erst seit 1476 belegt; als juden kirchoff 1516-1520 erwähnt). Er lag vermutlich nahe dem Peterstor außerhalb der Stadtmauer.    
   
   
Der alte jüdische Friedhof    
 
Seit der Zeit Ende des 16. Jahrhunderts wurde ein neuer Friedhof (später: alter jüdischer Friedhof) auf dem Gelände zwischen der heutigen Bahnhof-, Linden- und Rhabanusstraße belegt. Dieser Friedhof wird in der "Judenordnung" des Stifts Fulda vom 31. Oktober 1586 genannt:  

Pfaffenhausen Dok 610.jpg (123979 Byte)Aus der Judenordnung vom 31. Oktober 1586 - ausgestellt im Namen Maximilians, Erzherzog von Österricht, Administrator des Stifts Fulda (Stadtarchiv Fulda, Judenordnung, 1586, Okt.31, Handschrift; Abbildung aus dem Katalog "Jüdisches Leben in und um Hammelburg" s.Lit. S. 17): "Zum Fünfzehnten, sollen alle Juden, so unter uns sesshaft und darin sich aufhalten, so sie alt oder jung sterben, ihr Begräbnis vor der Stadt Fulda, Brückenau, Pfaffenhausen und sonst nirgends haben..." 

Bis 1906/07 fanden auf diesem Friedhof die Beisetzungen der Gemeinde statt. Bis zur NS-Zeit waren Grabsteine von etwa 1665 an erhalten. Andere ältere Grabsteine sind beim Umbau des Priesterseminars als Steinfliesen gefunden und der jüdischen Gemeinde zurückgegeben worden (1635, 1654, 1658). Weitere Grabsteine / Grabsteinfragmente befinden sich beim Dom in Fulda (siehe Fotos unten). Sie wurden nach der Vertreibung der Juden im 17. Jahrhundert als Plattenbelag bzw. als Baumaterial für den Dom verwendet worden.  
  
Von einer Schändung des Friedhofes wird 1928 berichtet:  
      
Schändung des alten Friedhofes durch Schulkinder (1928)  

Fulda Israelit 04041928.jpg (56619 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. April 1928: "Drei neue Friedhofsschändungen der letzten Tage bringen die Schändungsziffer auf 58 (sc. die Zählung begann 1923). Demoliert und geschändet wurde der alte jüdische Friedhof in Fulda. Auf dem jüdischen Friedhofe zu Baisingen in Württemberg wurden 12 Grabsteine umgeworfen. Auf dem jüdischen Friedhofe in Eilendorf im Rheinlande sind wüste Zerstörungen verübt worden."     
 
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 20. April 1928: "Fulda (Friedhofschänder am Werk). Auch der hiesige jüdische alte Friedhof ist in voriger Woche das Opfer einer vandalistisch hausender Rotte Völkischer geworden, ohne dass es bisher gelungen ist, die Attentäter zu ermitteln.  Die Gemeinde hat eine Belohung von 100 Mark für die Feststellung der Rohlinge in Aussicht gestellt."    
 
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 27. April 1928: "Fulda. Die Herren Gemeindeältesten der Israelitischen Gemeinde Fulda übersenden uns nachstehende Berichtigung: 'In Nr. 15 Ihrer Zeitung bringen Sie eine Notiz aus Fulda, deren Urheber über den wahren Sachverhalt durchaus nicht so unterrichtet war, wie man es von einem Berichterstatter erwarten sollte. Die Untersuchung hat nämlich ergeben, dass die 'vandalistisch hausende Rotte Völkischer' Schulkinder waren, drei im Alter von etwa acht Jahren und eins mit zwölf Jahren. Einer der Väter hat sich bei uns freiwillig gemeldet. Es ist uns außerordentlich unangenehm, dass Ihre Zeitung einen Lausbubenstreich zu einer politischen Aktion aufbauscht, besonders, da die Eltern der Kinder die Sache aufs tiefste bedauern und selbstverständlich zu der Tragung der Kosten bereit sind. Ihr Berichterstatter war auch insofern nicht instruiert, als die Sache schon vor einiger Zeit sich ereignet hat'."   

1938/40 wurde der Friedhof von der Stadt abgeräumt, eingeebnet und an seiner Stelle ein Park angelegt. Gebeine der auf dem Friedhof Beigesetzten wurden auf den neuen Friedhof gebracht (Gedenkstein auf dem neuen Friedhof siehe unten).  
  
Auch nach 1945 blieb der ehemalige Friedhof eine Parkanlage.  
   
Ein Gedenkstein an der Parkmauer Ecke Rabanusstraße/Sturmiusstraße erinnert heute an den alten jüdischen Friedhof ("Jerusalemplatz"). Im Keller des 1960 erbauten Zollamts, Ecke Lindenstraße/Sturmiusstraße befindet sich ein schlichter Gedenkraum, an dessen Frontseite eine Tafel angebracht ist mit der Inschrift: "Dieser Raum sei geweiht der Erinnerung an die Seelen aller Heiligen, Frommen und Großen in Israel, aller Männer und Frauen der altehrwürdigen Gemeinde Fulda, die hier ihre Ruhestätte fanden bis zur gewaltsamen Auflösung des Friedhofes zur Zeit der Schreckensherrschaft". 
   
   
Historisches Foto und Dokumente zur Zerstörung des Friedhofes 
(Quelle: Heinz-Jürgen Hoppe: Das jüdische Fulda S. 21.38)  

Fulda Friedhof Dok012.jpg (58151 Byte)Ansicht des alten jüdischen Friedhofes an der Rabanusstraße vor der Zerstörung.  
 
Fulda Friedhof Dok011.jpg (76254 Byte)Antijüdisches zum alten Friedhof aus der Fuldaer Zeitung zur Jahreswende 1938/39: 
"November kam mit Sturmesbrausen, 
tat ordentlich in Fulda hausen. 
Der Judenfriedhof ging in d'Binsen, 
ein schmucker Platz wird hier erstehn. 
Die Fasnetsnarren mit viel Grinsen  
begannen auch schon aufzustehen!"
   
Fulda Friedhof Dok010.jpg (82073 Byte)Artikel in der "Fuldaer Zeitung" vom 17. Januar 1939: "Auf dem alten Judenfriedhof, der zwischen Lindenstraße und Rhabanusstraße inmitten der Stadt lag, sind in den letzten Tagen die Abräumungsarbeiten wieder aufgenommen worden, die durch die starke Frostperiode und den Schneefall unterbrochen waren. Der letzte Grabstein ist jetzt umgelegt. Die Steine wurden an Ort und Stelle so hergerichtet, dass sie eventuell anderen Zwecken nutzbar gemacht werden können. Sehr interessant war das Spalten der größeren, noch gut erhaltenen Steine. Auch eine Anzahl Bäume wurden gefällt. Es wäre zu wünschen, dass nun auch die Abfuhr der Steine beschleunigt werden könnte, sodass der geräumige Platz als Grünanlage bald eine Zierde der Stadtmitte wird."   

     
     
Der neue jüdische Friedhof      

Der neue jüdische Friedhof wurde 1904 am damaligen Edelzeller Weg (heute: Heidelsteinstraße) angelegt. Von 1906 bis 1940 wurden auf einer Fläche von etwa 25 ar etwa 400 Beisetzungen (einschließlich Kindergräber) vorgenommen. Ursprünglich hatte das Friedhofsgrundstück eine Gesamtfläche von 104,90 ar. Beim Novemberpogrom 1938 wurden von Nationalsozialisten alle Grabsteine umgeworfen und das Totenhaus verwüstet. Die letzten Beisetzungen fanden auf diesem Friedhof im Herbst 1940 statt. Im Oktober 1940 wurde der Friedhof geschlossen. Die in Fulda vor den Deportationen noch Verstorbenen mussten in Weyhers beigesetzt werden (bis März 1942). Der Friedhof wird bis zur Gegenwart als Friedhof der nach 1945 wieder begründeten jüdischen Gemeinde verwendet.  
   
   
Lage des neuen Friedhofes:   
       
Der (neue) jüdische Friedhof liegt im Bereich südlich der Bahnüberquerung der Mainstraße, westlich der Heidelsteinstraße, nördlich der Volkersbergstraße.

Lage des jüdischen Friedhofes in Fulda auf dem dortigen Stadtplan: links anklicken und unter 
"Behörden und öffentliche Einrichtungen" weiterklicken zu "Friedhof, israel."

  
  
Berichte aus der Geschichte der Friedhöfe 
Exhumierung eines russischen Juden auf Anordnung der Staatsanwalt (1906)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 10. August 1906: "Fulda, 5. August (1906). Auf Anordnung der Hanauer Staatsanwaltschaft wird auf dem hiesigen israelitischen Friedhof die Leiche des russischen Juden Moses Boguschen exhumiert und seziert. Dieser alte Mann übernachtete am 10. Juli dieses Jahres auf dem Heuboden über dem Viehstall des Jakob Goldschmidt hier und wurde am anderen Morgen mit einem Schädelbruch tot im Viehstall aufgefunden. Er soll durch die Bodenluke aufs Pflaster gestürzt sein, doch fiel es auf, dass seine drei Begleiter spurlos verschwunden waren."    

  
  
  
Fotos 
(Fotos obere Fotozeile: D. Bluthardt, Aufnahmedatum: 25.8.2016; weitere Fotos: Hahn, Aufnahmedatum: 10.4.2009; Anmerkung: beim Besuchstag konnte der neue Friedhof auf Grund des Pessachfestes nicht betreten werden; die Fotos sind alle vom Eingang aus erstellt; bei Gelegenheit werden weitere Fotos angefertigt und eingestellt)   

Grabsteine / Grabsteinfragment auf der linken Seite des Doms       
Fulda Grabsteine Dom 03.jpg (157187 Byte) Fulda Grabsteine Dom 01.jpg (208833 Byte) Fulda Grabsteine Dom 02.jpg (142792 Byte)
 Erläuterungen auf Hinweistafel: "Jüdische Grabsteine - 17. Jahrhundert. Sandstein mit hebräischer Inschrift. 
Die Grabsteine wurden nach einer Judenvertreibung des 17. Jahrhunderts als Plattenbelag verwendet.  
Bruchstück eines Grabsteins. 1525 Sandsteinplatte. Das Grabsteinstück ist mit 2 Reliefs und einem Teil der Inschrift verziert. Gefunden als Baumaterial im Dom".  
Weitere Informationen und Übersetzungen der Inschriften:
http://jinh.lima-city.de/fulda/grabsteine.htm    
     
     
Der alte Friedhof  Fulda Friedhof a170.jpg (123191 Byte) Fulda Friedhof a171.jpg (116885 Byte)
  Bezeichnung 
"Jerusalemplatz" 
Blick über den abgeräumten Friedhof, 
heute Parkanlage 
     
Fulda Friedhof a174.jpg (134642 Byte) Fulda Friedhof a172.jpg (117657 Byte) Fulda Friedhof a173.jpg (70240 Byte)
Gedenkstein mit Inschrift: "Gedenkstein - errichtet von der Stadt Fulda an der Stätte des historischen Friedhofes 
der Fuldaer Juden, die in den Jahren der Gewaltherrschaft ihrer Bestimmung entzogen wurde." 
        
        
Der neue Friedhof   Fulda Friedhof 170.jpg (117280 Byte) Fulda Friedhof 171.jpg (115749 Byte)
  Die Friedhofshalle (Leichenhalle) 
am Eingang 
Eingangstor für Personen 
mit Hinweistafel   
     
Fulda Friedhof 172.jpg (122710 Byte) Fulda Friedhof 173.jpg (107622 Byte) Fulda Friedhof 174.jpg (109488 Byte)
Das Eingangstor 
für Fahrzeuge  
Davidstern 
im Tor  
Teilansicht des Friedhofes; kleines Grab 
im Vordergrund für Jettchen Seelig  
     
Fulda Friedhof 176.jpg (90644 Byte) Fulda Friedhof 184.jpg (116092 Byte) Fulda Friedhof 179.jpg (89875 Byte)
     
        
Fulda Friedhof 182.jpg (98510 Byte) Fulda Friedhof 177.jpg (93471 Byte) Fulda Friedhof 178.jpg (74081 Byte)
Gedenktafel für die jüdischen 
Gefallenen im Ersten Weltkrieg 
aus Fulda  
Gedenkstein: "Zur ewigen Erinnerung. 
Hier liegen die Gebeine derer, die nach
 der Auflösung des alten Friedhofes in 
der Rabanusstraße hier zur Ruhe 
gekommen sind". 
Grabstein für 
Maria Stern  
   
   
     
Fulda Friedhof 175.jpg (87791 Byte) Fulda Friedhof 183.jpg (114367 Byte) Fulda Friedhof 180.jpg (101532 Byte)
Grabstein für Else Klebe geb. Sundheimer
 (1886-1936) und Jacob Klebe (1876-1967
 in London)
   
     
  Fulda Friedhof 181.jpg (100406 Byte)  
   Neues Gräberfeld  

   
   
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte 

März 2024: Über die kleine Synagoge neben dem (alten) Friedhof 
Artikel in der Osthessen-Zeitung vom 15. März 2024: "Mini-Synagoge im Zollgebäude – Stadt will Haus von Bund abkaufen
Fulda (as) – Ein Ort der Erinnerung, Begegnung und Bildung, direkt neben dem ehemaligen jüdischen Friedhof: An diesem Konzept arbeitet die Stadt Fulda bereits seit einigen Jahren. Wie die zuständige Pressestelle mitteilt, laufen bereits konstruktive Gespräche zum Erwerb des früheren Hauptzollamtes in der Sturmiusstraße. Dort befindet sich im Kellerbereich eine kleine Synagoge, deren Raum besucht werden kann. Unterstützung für das Projekt gibt es unter anderem vom Oberbürgermeister.
Die Stadt Fulda hatte das Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs zwischen Linden- und Rabanusstraße 1952 von der Jewish Restitution Successor Association (JRSO) gekauft, berichtet Monika Kowoll-Ferger, Pressesprecherin der Stadt Fulda. Ziel war es, dort für den Bund ein Gebäude für das damalige Hauptzollamt zu bauen: 'Bedingung dafür war, dass nur auf der Fläche gebaut wurde, auf der niemals Menschen bestattet waren, da nach jüdischem Recht ein Friedhof niemals durch ein Gebäude überbaut werden darf.' Allerdings sei das Gebäude 1953 nicht auf dem vereinbarten Bereich der Lindenstraße, der an die Bahnhofstraße angrenzt, sondern an der Ecke zur Sturmiusstraße errichtet worden. 'Ben Ferencz, ehemaliger Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen und zu diesem Zeitpunkt Generaldirektor der JRSO, entwickelte einen Ansatz um mit der Situation umzugehen, indem am untersten Punkt des neuen Gebäudes (also im Keller) ein Raum entstand, in dem die Gläubigen für ihre Verstorbenen beten können', gibt Kowoll-Ferger an. Der Gebetsraum könne auch heute noch besucht werden, erzählt sie. Der Schlüssel könne während der Öffnungszeiten bei der Jüdischen Gemeinde in Fulda abgeholt werden, jeweils montags und mittwochs zwischen 9 bis 12 Uhr sowie 14 bis 16 Uhr, dienstags von 10 bis 13 Uhr und donnerstags und freitags von 9 bis 12 Uhr. Die telefonische Auskunft sowie Voranmeldung dazu erfolgen über 0661/70252.
Die Stadt Fulda befinde sich aktuell in konstruktiven Gesprächen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zum Erwerb des Hauptzollamts, teilt die Pressesprecherin mit. 'Sollte ein Erwerb der Immobilie durch die Stadt möglich sein, wäre die Einrichtung eines Ortes der Erinnerung, Begegnung und Bildung denkbar, an dem an den ehemaligen jüdischen Friedhof und an die Geschichte jüdischen Lebens in Fulda erinnert wird', meint sie. Möglich sei auch eine Verlegung des Stadtarchivs in die Räume ebenso wie eine teilweise Nutzung durch die Volkshochschule für Bildungs- und Begegnungsveranstaltungen. 'Angestrebt würde dann auch eine gemeinschaftliche Entwicklung mit dem Gebäude der ehemaligen Synagoge am Stockhaus', ergänzt Kowoll-Ferger."  
Link zum Artikel 
 
Juli 2024: Über den jüdischen Friedhof in Fulda    
Artikel in den "Osthessen-news" vom 16. Juli 2024: "Ein Ort für die Lebenden und die Toten - der jüdische Friedhof (in Fulda)
In Deutschland ist das so eine Sache mit dem Verhältnis von Juden und Christen. Die Geschichte trennt uns nicht, aber sie zwingt uns zur Auseinandersetzung und zum gleichzeitigen Blick in die Zukunft und die Vergangenheit. Sucht man nach Spuren jüdischen Lebens in Fulda, ist man oft auf Orte der Vergangenheit angewiesen, weil so vieles ausgelöscht wurde im sogenannten Tausendjährigen Reich.
Im Haus des Lebens. Vor kurzem habe ich gemeinsam mit Roman Melamed, dem Vorbeter der Jüdischen Gemeinde, den jüdischen Friedhof in der Edelzeller Straße besucht. Aus Sicherheitsgründen kann man nicht einfach hinein. Es versetzt mir jedes Mal einen Stich ins Herz, dass jüdische Einrichtungen so geschützt werden müssen, aber notwendig ist es, leider. Das hebräische "Beth Hachajim" bedeutet Haus des Lebens, jüdische Friedhöfe werden aber auch mit "Beth Olam" (= Haus der Ewigkeit) bezeichnet. Haus des Lebens? Aber ja, denke ich – denn Friedhöfe sind mindestens so wichtig für die überlebenden Angehörigen wie für die Toten und ihre Totenruhe.
Innerlich bin ich sehr bewegt, denn es ist der fünfte Todestag meiner Mutter. Ihr Grab auf dem Städtischen Zentralfriedhof ist quasi um die Ecke, und ich habe ihr schon eine Kerze hingestellt. Wie schön, dass die beiden Friedhöfe benachbart sind! In beiden Religionen dienen die Traditionen und Rituale rings um den Tod dazu, die Trauer der Angehörigen zu lindern und die Toten zu achten. Es gibt so vieles, das Judentum und Christentum intellektuell, religiös und spirituell verbindet – für mich ein immerwährender Quell des Wissens und der Freude.
Je nach der Situation der Gemeinde hat jeder Friedhof seine eigenen Regeln. In Fulda gibt es auf dem jüdischen Friedhof nur Einzelgräber, keine Familiengräber. Es kann sein, dass Ehepartner nebeneinander beerdigt sind, das ergibt sich aber eher aus den zur Verfügung stehenden freien Plätzen als aus einer Familienzusammenführung. In Frankfurt hingegen findet man häufiger Familiengräber – eine religiöse Bestimmung liegt weder dem einen noch dem anderen zugrunde. Auf manchen Friedhöfen sind Blumen auf den Gräbern erlaubt, auf anderen nicht. Die Fuldaer Gemeinde ist orthodox, deswegen wird nicht-traditioneller Grabschmuck hier nicht gern gesehen. Eines aber gilt für alle jüdischen Friedhöfe: Alle Gräber sind nach Osten ausgerichtet – nach Jerusalem. So können die Toten nach ihrer Auferstehung die Reise nach Jerusalem leichter antreten.
Auf dem Fuldaer Jüdischen Friedhof sind im rechten Teil die alten Gräber, im linken Teil die neuen Gräber. ‚Alte‘ Gräber heißt, hier liegen die Verstorbenen der ehemaligen jüdischen Gemeinde, ‚neu‘ meint, hier liegen die Verstorbenen der jetzigen jüdischen Gemeinde Fuldas. Geht man bis hinunter zum Ende des Friedhofs kurz vor den Bahngleisen, sieht man einige an die Mauer gelehnte alte Grabsteine. Fast alle sind beschädigt – es sind die geretteten Überreste der Grabsteine, die einst auf dem alten jüdischen Friedhof in der Rabanusstraße standen (heute Jerusalemplatz).
Kleine Steine gegen das Vergessen. Wie auch auf einem katholischen Friedhof gibt es eine Friedhofshalle (wir kennen sie als Aussegnungskapelle). Sie ist einfach und schlicht. An dem Pult wird die Trauerrede gehalten und das Kaddisch (= Lob Gottes und Totengedenken) gesprochen. Ringsum verläuft eine Holzbank für die Trauergemeinde. Vor der Friedhofshalle steht eine kleine Schale mit Kieseln – auf jüdischen Gräbern legt man traditionell Steine ab. Man kann sie mitbringen oder hier aus der Schale nehmen. Der abgelegte Stein bedeutet "ich vergesse Dich nicht".
Steine auf Gräber zu legen ist ein Brauch, der nicht nur im Judentum bekannt ist. Als ich zum ersten Mal auf den Knocknarea nahe Sligo in Irland gewandert bin, um der mythischen Kriegerkönigin Maeve an ihrem Grab dort oben meine Referenz zu erweisen, kam mir ein Schäfer entgegen. Er fragte mich, ob ich zu Queen Maeve wolle. Als ich das bejahte, griff er in seine Tasche und gab mir zwei kleine Steine, die ich oben ablegen sollte, um den Zorn der keltischen Königin zu besänftigen. Natürlich befolgte ich seinen Rat, wer will schon Kriegerköniginnen verärgern? Dann stand ich an diesem wahrhaft mystischen Ort, ehrte in Gedanken eine große Kriegerin und genoss die herrliche Aussicht.
Symbolik auf den Grabsteinen. Die "Mazeva", der Grabstein, wird in der Regel ein Jahr nach der Bestattung aufgestellt. Auf allen sieht man den Davidsstern, auf einigen zwei segnende Hände – Daumen, Ring- und kleiner Finger werden von Zeige- und Mittelfinger abgespreizt. Dieses Symbol weist darauf hin, dass hier jemand begraben ist, der aus der Priesterkaste der Kohen abstammt. Übrigens gibt es dieses Symbol auch als Emoji! Die segnenden Hände sieht man z.B. auf dem Grabstein von Rabbiner Dr. Michael Cahn.
Auf manchen Grabsteinen sieht man die sogenannte Levitenkanne – sie weist auf eine levitische Abstammung hin und steht für kultische Reinheit, denn die Leviten wuschen den Priestern vor dem Opfern die Hände. Eine Levitenkanne sieht man auf dem Grabstein von Wolf Feldheim. Manche Grabsteine schmückt auch eine Menora Es sind die Frauen, die in der Synagoge die Sabbat-Kerzen anzünden, der Leuchter verweist also darauf, dass hier eine Frau begraben liegt.
Davidstern und Namen, Todesdaten – dazu die Buchstaben Nun und Pe, sie sind eine Abkürzung für "Poh nitman /nitmena" (= hier liegt begraben). Unter dem Namen steht die mit fünf Buchstaben abgekürzte Formel "Tehi nafscho / nafscha zrura bizror hachajim" (= Möge seine / ihre Seele eingebunden sein in das Bündel des Lebens). Üblich ist es, die Vorderseite des Grabsteins auf Hebräisch zu beschriften, die Rückseite in der jeweiligen Landessprache.
Im Haus der Ewigkeit. Jüdische Friedhöfe sind für die Ewigkeit, sie werden nie aufgelassen. Den Toten gehört die Erde, in denen sie bestattet sind. Gläubige Juden glauben an die körperliche Auferstehung der Toten bei Ankunft des Messias. Eine Einäscherung würde diese Auferstehung verhindern. Im Judentum sind deshalb Erdbestattung vorgeschrieben. Wenn man diese Zusammenhänge verstanden hat, wird einem bewusst, dass die Zerstörung von jüdischen Friedhöfen und die Verbrennungsöfen in den Konzentrationslagern auch eine religiöse Barbarei waren. Erinnern Sie sich an die Buddha-Statuen von Bamyan? 2001 wurden sie durch fanatische Taliban zerstört, ein vergleichbarer Akt, der wie die Gräueltaten der Nationalsozialisten die Auslöschung eines Volks und seiner Religion als Ziel hatten.
Man kann den jüdischen Friedhof an allen Tagen besuchen, außer am Sabbat und an den hohen jüdischen Feiertagen. Alle Juden sind gehalten, in den Tagen vor Rosch Haschana die Gräber ihrer Familienangehörigen zu besuchen, und natürlich am sogenannten Jahrtag (Todestag). Wie überall an religiösen Stätten tragen Männer auch auf dem Friedhof eine Kopfbedeckung, meist die Kippa. Im Judentum gibt es vielfach rituelle Handwaschungen. So vor den Mahlzeiten, und eben auch nach einem Besuch auf dem Friedhof. So wird die Unreinheit, die durch den Besuch bei den Toten entstanden ist, wieder aufgehoben. Für die Waschung verwendet man ein spezielles Gefäß, den "Natlan" – einen großen Becher mit zwei Henkeln. Man füllt ihn mit Wasser und übergießt damit jede Hand dreimal. Das Waschen ist also sowohl eine spirituelle als auch eine hygienische Reinigung.
"Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung", so steht es am Eingang der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Dieser Satz steht auch im Vorwort der 1980 erschienenen Dokumentation über den jüdischen Friedhof in Fulda. Aus dem, was geschehen ist, können wir Hoffnung schöpfen. Und wir können Verantwortung leben – für die Toten, für die Lebenden.
Die Steine im Rosengarten. Juden haben in Deutschland nicht erst unter den Nationalsozialisten Vertreibung und Pogrome erlebt. Davon erzählen die jüdischen Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert, die im Rosengarten zu sehen sind. 1671 wurden alle Juden durch Fürstabt Bernhard Gustav Markgraf von Baden-Durlach aus dem Fürstbistum Fulda ausgewiesen, etwa 350 allein aus dem Stadtgebiet Fulda. Nur für fünf jüdische Familien gab es Ausnahmegenehmigungen. Alle ausgewiesenen Juden mussten ihre Anwesen zwangsverkaufen. Die Ausweisung war dem kostspieligen Machtpoker des Fürstabts geschuldet, der höhere Weihen anstrebte und ihm wohlgesonnene Städte, Adelige und Gilden brauchte. Die Strategie ging auf, er wurde kurz darauf zum Kardinal ernannt. Die Grabsteine des mittelalterlichen jüdischen Friedhofs wurden als Fußbodenplatten im Dom verbaut. So malerisch schön sie heute in der Domdechanei auch liegen, eigentlich gehören sie auf den jüdischen Friedhof. Gespräche dazu werden offenbar bereits geführt.
Als wir beim ersten Solidaritätstag mit Juden und Israel am 10. Juli 2024 hier Station machen, betet Pfarrer Michael Oswald einen Psalm, Wolfgang Hengstler, der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, rezitiert den orthodoxen Rabbi Nachman (1772-1810) aus Uman/Ukraine– und wir singen gemeinsam "Shalom Chaverim – Friede, Freunde!", eines der bekanntesten jüdischen Lieder. Würden wir uns alle als Freunde begreifen, würden wir unseren Einsatz für den Frieden auch als Einsatz für die Freiheit begreifen, wären wir in diesen weltpolitisch bedrückenden Zeiten einen großen Schritt weiter." 
Link zum Artikel  (mit Fotos zum Friedhof) 
 

    

   

Links und Literatur

Links:

bulletWebsite der Stadt Fulda     
bulletZur Seite über die Synagoge in Fulda (interner Link)   
bulletZur Seite über die Synagoge in Fulda nach 1945 (interner Link)  
bullet Private Seite "Zur Geschichte der Juden in Fulda" (vor allem auch zur gegenwärtigen Gemeinde)  

Quellen

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Fulda 
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Fulda sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"): 
HHStAW 365,345   Familien- und Geburtsregister der Juden von Fulda  1748 - 1899     

Literatur:  

bullet Arnsberg I,221-235.     
bullet Heinz-Jürgen Hoppe: Das Jüdische Fulda. Ein historischer Stadtrundgang. Rhön-Verlag o.J. (ca. 1995, mit weiteren Literaturangaben).
bulletBroschüre: Der jüdische Friedhof in Fulda. Reihe: Dokumentationen zur Stadtgeschichte Nr. 2. Mit Informationen zum Friedhof, Fotos, Bestattungsverzeichnis und Plänen. Zum Herunterladen Link anklicken! Die Angaben zum Friedhof und den hier Beigesetzten sind allerdings auf dem Stand von 1980.        
bulletLit 400 Jahre Juden Rhoen.jpg (135549 Byte)Michael Imhof: 400 Jahre Juden in der Rhön. Herausgegeben von Zukunft Bildung Region Fulda e. V.
21 x 29 cm, 344 Seiten, 562 Farb- und 59 S/W-Abbildungen, Klappenbroschur. ISBN 978-3-7319-0476-2
(D) 39,95 €, (A) 41,10 €, CHF 45,90.   
Erschienen im Michael Imhof-Verlag. Informationsseite zur Publikation mit Downloads und "Blick ins Buch"   
  
bullet Michael Imhof: Juden in der Rhön. Jubiläumsausgabe 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Hrsg. von Zukunft Bildung Region Fulda e.V.
2. erweiterte Neuauflage des oben genannten Buches.
21 x 29 cm, 424 Seiten, über 689 Farb- und 40 SW-Abbildungen. Klappenbroschur. ISBN 978-3-7319-1176-0.   39,95 €. 
Erschienen im Michael Imhof-Verlag. Informationsseite zur Publikation mit Downloads und "Blick ins Buch" 
Seit 400 Jahren waren Juden in den Landstädten und Dörfern der hessischen Rhön urkundlich verbürgt. Ende des Mittelalters und noch zu Beginn der Frühen Neuzeit aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben, fanden viele von ihnen auf den Territorien von Ritterschaften und der Universität Würzburg auch in der Rhön eine neue Bleibe. Erst mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte für sie ein wirtschaftlicher und sozialer Prozess ein, der den Namen Emanzipation verdient. In den Gemeinden der Rhön wurden sie zu wesentlichen Wegbereitern der Moderne. Dieser Entwicklung stellte sich ein zunehmender Antisemitismus schon in der Kaiserzeit entgegen. Als mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 der Judenhass zum Regierungsprogramm wurde, begann auch für die in der Rhön lebenden Juden eine Zeit der Demütigungen und Verfolgungen mit dem Ziel ihrer Vertreibung und Vernichtung
.  
Rezension von Jutta Hamberger in den Osthessen-News vom 18. Oktober 2021: https://osthessen-news.de/n11655845/aufwuehlende-spurensuche-in-der-rhoen-michael-imhoff-juden-in-der-rhoen.html.  

   
    

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020