Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


Eingangsseite

Aktuelle Informationen

Jahrestagungen von Alemannia Judaica

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft

Jüdische Friedhöfe 

(Frühere und bestehende) Synagogen

Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale in der Region

Bestehende jüdische Gemeinden in der Region

Jüdische Museen

FORSCHUNGS-
PROJEKTE

Literatur und Presseartikel

Adressliste

Digitale Postkarten

Links

 

    
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"  
zurück zur Übersicht "Synagogen in Hessen"  
zur Übersicht "Synagogen im Kreis Darmstadt-Dieburg"  
    

Gräfenhausen mit Weiterstadt (Stadt Weiterstadt, Kreis Darmstadt-Dieburg)
und Wixhausen (Stadt Darmstadt) sowie Erzhausen (Kreis Darmstadt-Dieburg)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde 
Kennkarte aus der NS-Zeit    
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen  
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte    
bulletLinks und Literatur   

        
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
(english version)     
   
In Gräfenhausen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in die Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, auch wenn bereits im 17. Jahrhundert wenige jüdische Familien am Ort waren (1654 drei Familien). 1770 und 1815 waren es jeweils zwei Familien mit zusammen etwa 12 Personen (1776). 1753 starb im Alter von 99 Jahren nach den Aufzeichnungen des evangelischen Kirchenbuches Gräfenhausen der Jude Abraham Joel. 
  
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: in Gräfenhausen 1828 34 jüdische Einwohner, 1861 Höchstzahl von 67 (7,1 % von insgesamt 947 Einwohnern), 1867 63, 1871 49, 1880 39 (3,5 % von 1.098), 1900 57 (4,0 % von 1.421), 1910 44 (3,0 % von 1.469).  Zur jüdischen Gemeinde Gräfenhausen gehörten auch die in Weiterstadt und Wixhausen lebenden jüdischen Personen: in Weiterstadt 1830 19, 1871 12, 1905 23, 1924 12, 1932 10; in Wixhausen 1830 14, 1867 10, 1871 7, 1905 5, 1924 7, 1932 9. Bis um 1900 gehörten auch wenige in Erzhausen lebende jüdische Personen zur Gemeinde Gräfenhausen: 1830 6, 1867 7, 1871 7, 1902 2, 1925 0 Personen.  
  
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule und ein rituelles Bad (im Haus der Synagoge s.u.).  Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in Groß-Gerau beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (siehe Ausschreibungen der Stelle unten). Einen eigenen Religionslehrer hatte die Gemeinde bis etwa 1914; dann ist erst wieder ab 1929 ein Kantor und Schochet genannt (Jakob Fränkel). Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt II. 
 
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Unteroffizier Jakob Hirsch (geb. 25.10.1891 in Gräfenhausen, gef. 30.8.1914), Joseph Hirsch (geb. 13.10.1889 in Gräfenhausen, gef. 15.4.1918), Ludwig Kahn (geb. 23.5.1894 in Gräfenhausen, gef. 27.9.1916) und Moritz Mannheimer (geb. 27.5.1896 in Gräfenhausen, gef. 2.8.1916). Außerdem ist gefallen: Leutnant Bernhard Ellenstein (geb. 8.1.1887 in Wixhausen, vor 1914 in Nürnberg wohnhaft, gef. 1.7.1916).    
   
Um 1924, als zur Gemeinde 37 Personen aus Gräfenhausen gehörten (2.3 % von insgesamt 1.613 Einwohnern, dazu die zusammen 19 in Weiterstadt und Wixhausen lebenden Gemeindeglieder), waren die Gemeindevorsteher Carl Collin (gestorben 1929, siehe Bericht unten), Moritz May und Siegfried Kahn. Den Religionsunterricht der jüdischen Kinder der Gemeinde erteilte Lehrer Jakob Strauß aus Griesheim. Als Schochet wird Jakob Fränkel aus Arheilgen genannt; er kam regelmäßig zum Schächten nach Gräfenhausen (er bekam vermutlich wenig später eine Anstellung in Gräfenhausen). 1932 waren die Vorsteher der Gemeinde Siegfried Kahn (1. Vors.), Moritz May (2. Vors.) und Leopold Seliger (3. Vors.). An Kantor und Schochet wird nun Jakob Fränkel genannt. Im Schuljahr 1931/32 erhielten vier Kinder der Gemeinde Religionsunterricht. 
 
Über die Berufe der jüdischen Haushaltsvorsteher liegen für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg folgende Angaben vor: es waren tätig als Metzger Leopold Seliger, Armin Strauß, Simon May und Moritz May, im Milch- und Geflügelhandel Carl Collin, als Sattler Bernhard Mannheimer, im Verkauf von Manufakturwaren und Landesprodukten Siegfried Kahn u.a.m.  Viele der jüdischen Familien betrieben nebenbei Landwirtschaft; fast alle hatten eigene Häuser. Die jüdischen Einwohner waren vollkommen integriert im kommunalen und Vereinsleben, wie im Nachruf für Carl Collin deutlich wird (siehe unten). Carl Collin, Simon May und Moritz May gehörten im Jahr 1902 zu den Mitbegründern des Karnevalsvereins "Ahoi"; Moritz May war von 1904 bis 1933 Präsident des Vereins.    
     
1933 lebten 42 jüdische Personen (in 12 Familien) in Gräfenhausen (2,5 % von insgesamt 1.687 Einwohnern; zur Gemeinde gehörten auch in diesem Jahr 19 Gemeindeglieder in Weiterstadt in Wixhausen). In den folgenden Jahren ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. 1933 sollte Jakob Fränkel, der aus dem polnischen Lodz stammte, mit seiner Frau und den beiden Kindern ausgewiesen werden. Der Bürgermeister erklärte, dass eine Ausweisung aus politischen Gründen nicht in Frage käme. Von den aus Gräfenhausen ausgewanderten Personen konnten 10 in die USA emigrieren, 5 nach Panama, 3 nach Argentinien. Mehrere verzogen in andere Städte (Berlin, Darmstadt, Aschaffenburg). Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge zerstört (s.u.). 1939 wurden noch 22 jüdische Einwohner in Gräfenhausen gezählt. Anfang Februar 1942 wurden noch sechs jüdische Einwohner in Gräfenhausen registriert.  
    
Von den in Gräfenhausen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"):  Betty Bendheim geb. Hirsch (1858), Elise Breitenbach geb. Mannheimer (1889), Günter Cahn (1932), Henny Cahn geb. Collin (1907), Karl Cahn (1931), Manfred Cahn (1935), Siegmund Cahn (1900), Heinrich Hirsch (1889), Hilde Regina Hirsch (1922), Julius Hirsch (1887), Sofie Hirsch geb. Metzger (1887), Bella Kahn geb. Löwenthal (1892), Gustav Kahn (1934), Abraham Mannheimer (1863), Bernhard Mannheimer (1861), Fanny Mannheimer geb. Reis (1873), Julius Mannheimer (1886), Moritz Mannheimer (1907), Simon Mannheimer (1900), Clara May geb. Siegel (1891), Fanny May (1864), Paula May geb. Schiff (1889), Simon May (1885), Simon May (1888), Berta Meyer geb. Kahn (1891), Ida Nachmann geb. Mannheimer (1884), Gerda Oppenheimer geb. Hirsch (1888), Selma Reinheimer geb. Mannheimer (1887), Malchen Schiff geb. Oppenheimer (1860), Jenny Seliger geb. Strauß (1883), Leopold Seliger (1881), Selma Strauß (1888).   
    
Von den in Weiterstadt geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind umgekommen: Bertha Kaiser geb. Goldenblum (1883), Emma Lehmann (1893), Hermann Felix Lehmann (1889), Minna Lehmann (1902), Wolf Lehmann (1876), Rosa Levy geb. Lehmann (1868), Sara Rothschild geb. Goldenblum (1879), Jakob Schwab (1896), Max Stern (1898), Settchen Stern geb. Lehmann (1887).             
    
Von den in Wixhausen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind umgekommen:  Helene Ellenstein (1885), Inge Berta Mannheimer (1934), Johanna Mannheimer (1897), Siegfried Mannheimer (1891).   
    
    
    
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
 
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1891 / 1892 / 1901 / 1911

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Juni 1891: "Offene Lehrerstelle. Die israelitische Gemeinde Gräfenhausen sucht per 1. August dieses Jahres einen stattlich geprüften Lehrer, auch kann derselbe eventuell die Schochetstelle übernehmen. Zeugnisse und Gehaltsansprüche bei freier Wohnung bitter an den Unterzeichneten einzusenden: 
Der Vorstand
der israelitischen Gemeinde Gräfenhausen bei Darmstadt."     
 
Graefenhausen Israelit 28101891.jpg (70782 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Oktober 1891: "Offene Lehrer- & Schochetstelle
Die israelitische Gemeinde Gräfenhausen sucht per sofort einen staatlich geprüften Lehrer, welcher zugleich Kantor- und Schochetstelle mit übernehmen kann. Gehalt bei freier Wohnung 500 Mark. Nebenverdienste circa 350-400 Mark. Offerten bittet man an den Unterzeichneten einzusenden.  
Der Vorstand der israelitischen Gemeinde Gräfenhausen bei Darmstadt.  
Nachbemerkung: Man beliebe nur Zeugnisabschriften einsenden zu wollen, indem solche nicht mehr zurückgesandt werden."    
  
Graefenhausen Israelit 25011892.jpg (53125 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Januar 1892: "Die israelitische Gemeinde Gräfenhausen sucht per 1. März laufenden Jahres einen Religionslehrer und Schochet. Gehalt bei freier Wohnung 5-600 Mark. Nebenverdienste circa 350 Mark. Offerten nebst Zeugnissen bittet man an den Unterzeichneten einzusenden
Gustav Kahn.  Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde Gräfenhausen bei Darmstadt. 
Nachbemerkung. Schochet wird nicht unbedingt verlangt."   
  
Graefenhausen israelit 07031901.jpg (52865 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. März 1901: "Die Gemeinde Gräfenhausen (Hessen) sucht per 1. Mai einen Vorbeter, Lehrer und Schochet. Das Einkommen beträgt mit Nebenverdienste 900-1000 Mark jährlich nebst freier Wohnung. Ledige werden bevorzugt. Offerten nebst Zeugnissen sind an den Unterzeichneten zu richten. 
Der Vorstand der Religionsgemeinde Gräfenhausen."     
  
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. April 1901: "Wir suchen per 1. Mai laufenden Jahres einen Religionslehrer, Vorbeter und Schochet. Fixer Gehalt 600 Mark, Nebenverdienst circa 400-450 Mark, nebst freier Wohnung. Offerten nebst Zeugnissen wolle man an den Unterzeichneten einsenden. Der Vorstand: Gustav Kahn, Gräfenhausen bei Darmstadt."     
  
Graefenhausen Israelit 12011911.jpg (61694 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Januar 1911: "In unserer Gemeinde ist die 
Kantor-, Religionslehrer- und Schächterstelle 
per sofort oder später mit einem von der Gemeinde garantierten Jahreseinkommen nicht unter 1.100 Mark zu besetzen. Reflektanten wollen sich gefälligst nebst Zeugnisabschriften (inde3m dieselben nicht zurückgesandt werden) an den Unterzeichneten Vorstand wenden. Wohnung für kleine Familie ist vorhanden. 
Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde Gräfenhausen bei Darmstadt. Gustav Kahn."  

 
Über den Unterricht der jüdischen Kinder (1867) 

Nach Paul Arnsberg s. Lit. I S. 273 gibt es im Pfarrarchiv eine Verfügung aus dem Jahr 1867, den Unterricht der jüdischen Kinder an der allgemeinen christlichen Schule des Ortes betreffend: "Der Lehrer hat die Judenkinder von nun an vorsichtig zu behandeln, auch ist die Anrede 'Ihr Juden' nicht mehr zu verwenden. Im Religionsunterricht soll man dieselben nur die 10 Gebote und daneben Sprüche aus dem Alten Testament lernen lassen". Der Lehrer musste die Kenntnisnahme durch Unterschrift bestätigen.

     
Zum Tod von Lehrer Wolf Schafheimer (1901)  

Graefenhausen Israelit 05081901.jpg (95232 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. August 1901: "Groß-Gerau, 1. August (1901). Soeben wurde mir die tieftraurige Nachricht, dass mein lieber Freunde und Studiengenosse, Herr Lehrer Wolf Schafheimer, nach schwerem Leiden das Zeitliche gesegnet hat. Wer ihn gekannt, wird ihn nur als wahren, echten Jehudi betrauern müssen. Zuletzt als Lehrer in der israelitischen Gemeinde zu Gräfenhausen bei Darmstadt tätig, war er stets bemüht, das religiöse Leben dieser Gemeinde zu fördern und zu verbessern. Seinen lieben Eltern und Geschwistern war er ein steter Wohltäter. Leider sollte ihm nur ein kurzes Leben beschieden sein. So wurde er im letzten Vierteljahr von einer tückischen Krankheit befallen, die ihn nötigte, seinem Berufe zu entsagen. Bei seinen Eltern in Lohrhaupten bei Gelnhausen fand er leider die erhoffte Genesung nicht, denn am 5. Aw (= 21. Juli 1901) hauchte er seine reine Seele aus in dem noch so jugendlichen Alter von kaum 24 Jahren. In seiner Berufstätigkeit galt er als ein gewissenhafter, berufsfreudiger Lehrer, und erfreute sich derselbe auch stets der Anerkennung seiner Vorgesetzten und seiner Gemeinde. S. Hofmann, Lehrer."   

  
  
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde  

Goldene Hochzeit des Ehepaares L. Hirsch (1900)  

Graefenhausen Israelit 22111900.jpg (78060 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. November 1900: "Gräfenhausen, im November (1900). Das seltene Fest der goldenen Hochzeit begingen am 20. November in geistiger und körperlicher Frische, Herr L. Hirsch und Frau. Die Liebe und Hochachtung, welche dieselben am hiesigen Platze genießen, gab sich in der regen Teilnahme der Gemeinde kund. Seiner Hochwürden Herr Pfarrer Zimmermann gratulierte im Namen seiner Gemeinde dem geehrten Jubelpaare. Herr Lehrer Schafheimer hielt einen mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag, worin er das Jubelpaar aufforderte, ferner auf den allgütigen Lenker und Leiter der Welt ihr Vertrauen zu setzen. Hierauf wechselten Gesänge und Vorträge, welche von den Kindern vorgetragen wurden, miteinander ab. Möge dem rüstigen Jubelpaare ein heiterer Lebensabend beschieden sein. Wolf Schafheimer, Lehrer."  

  
Zum Tod des Gemeindevorstehers Carl Collin - aktiv in verschiedenen Vereinen (1929)  
"sein Tod bedeutet auch eine Lücke für die christliche Gemeinde" 

Graefenhausen Israelit 14021929.jpg (118088 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Februar 1929: "Wixhausen, 11. Februar. Am 7. Februar hat die jüdische Gemeinde Gräfenhausen einen unersetzlichen Verlust erlitten. Der 1. Vorstand, Carl Collin wurde an diesem Tage, kaum 49 Jahre alt, in ein besseres Jenseits abgerufen. Wir groß die Verdienste dieses edlen Mannes waren, hörte man am besten aus der Rede des Rabbiners Dr. Merzbach, Darmstadt, der hervorhob, was Carl Collin für die jüdische Gemeinde und auch für den jüdischen Verband geleistet hat. Was aber der Verstorbene seinen christlichen Mitbürgern war, und welchen Ruf er in der ganzen Umgegend besaß, das zeigte sich bei seiner Beerdigung. Gesang- und Turnvereine waren mit ihren Fahnen herbeigeeilt zur letzten Ehrung. War doch der Verstorbene eine Zeitlang Turn-Gauvorsitzender. Ferner war er im Vorstand der Demokratischen Partei, der Kriegsbeschädigten, des Milchhändlerverbandes usw. Für die Gemeinde Grafenhausen sprach der Bürgermeister lobende Worte für die Taten des Verstorbenen. Ganz besonders hervorzuheben ist die Rede des Pfarrers der Kirchengemeinde, der in ergreifenden Worten hervorhob, dass Carl Collin immer bemüht war, in den beiden Konfessionen Einigkeit zu erhalten, und dass sein Tod auch für die christliche Gemeinde Lücke bedeutet. Seine Seele sei eingebunden im Bund des Lebens."  

  
80. Geburtstag von Lina Strauß Wwe. (1931)   

Graefenhausen Israelit 19031931.jpg (22614 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. März 1931: "Gräfenhausen, 10. März (1931). Am Rosch Chodesch Nisan (1. Nisan 5691 = 19. März 1931) begeht Frau Lina Strauß Witwe in geistiger und körperlicher Gesundheit ihren 80. Geburtstag. Der Heilige - gepriesen sei er (= Gott) möge die Jubilarin kräftigen und ihr noch viele gute Jahre schenken. (Alles Gute) bis 120 Jahre." 

         

Kennkarten aus der NS-Zeit            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarte der in Weiterstadt geborenen
 Amalie Selig geb. Lehmann
 
 Weiterstadt KK MZ Selig Amalie.jpg (87088 Byte)   
   Kennkarte (ausgestellt in Mainz 1939) für Amalie Selig geb. Lehmann (geb. 5. Juni 1883 in Weiterstadt).     

   
Grabstein in Gurs für Wolf Lehmann         
(Foto: Ruth Miller, Oktober 2016; Wolf Lehmann ist am 6. November 1876 in Weiterstadt geboren; er wohnt später in Karlsruhe. Am 22. Oktober 1940 wurde er in das Internierungslager Gurs deportiert, wo er am 7. Januar 1941 umgekommen ist)       

Weiterstadt Gurs Wolf Lehmann.jpg (49077 Byte) Grabstein im Friedhof des südfranzösischen Internierungslagers Gurs für 
"Hier ruht  
Wolf Lehmann  
1876-1941  
Weiterstadt"
.       

           
             
     
         
Zur Geschichte der Synagoge          
   
1699 kaufte der Schutzjude Abraham eine Hofreite, die sich in der späteren Langgasse befand und an den Pfarrgarten angrenzte. Im Währbuch von Gräfenhausen ist für 1699 zu lesen: "Abraham der Schutzjud kauft ein Hauß samt Scheuer, geforcht dem herschaftllichen Hausplatz allda, wo das Schafhaus ufstehet, anderseits der gemeine Gaß, sodann dem Pfarrgarten, wovon 2 Albus Kastengeld gefallen. Und ist der Kauf geschehen vor und um 300 fl. an Geld, eine Kuh und 3 fl. vor ein paar Hosen."  

Das Haus des Abraham blieb seitdem in jüdischem Besitz. Es war ein Fachwerkhaus und wurde ab 1855 als Synagoge verwendet (genannt "Judenschule"). Im Obergeschoss war der Betraum; im Erdgeschoss war neben dem Wohnhaus das rituelle Bad. Die Synagoge hatte 36 Männer- und 20 Frauenplätze. 1893 wurde eine Synagogenordnung erlassen für die Israelitische Religionsgemeinde Gräfenhausen mit Weiterstadt und Wixhausen.  

Die Synagoge wurde in den Jahren 1914 und 1927 renoviert.  
   
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge von der SA-Standarte 115 (der SA-Brigade 50/Starkenburg) zerstört: der Innenraum und die Einrichtung wurden demoliert, die Kultgegenstände auf die Straße geworfen usw. Wenig später wurde das Gebäude abgebrochen und der Platz eingeebnet. Im Volksmund hieß der Platz danach "Judenplatz". Als in den 1950er- und 1960er-Jahren das zwischen dem Synagogengrundstück und der Kirche gelegene Pfarrhaus abgebrochen und am entstandenen großen Platz die Post und später auch die Volksbank gebaut wurden, erhielt der Platz den offiziellen Namen "Postplatz". Er ist als Parkplatz angelegt und wurde einige Jahre für auch für die Ortsfeste ("Kerb") verwendet.  
 
Am 10. November 1983 wurde am Postplatz ein Gedenkstein für die Synagoge eingeweiht.
   
  
Adresse/Standort der SynagogePostplatz / Hauptstraße (früher: Langstraße beziehungsweise Langgasse 5)  
   
   
Fotos   

Die "Judenschule" in den 1920er-Jahren
(Quelle: Heimatverein
 Gräfenhausen-Schneppenhausen e.V. 
über die Website des Heimatvereins
Graefenhausen Synagoge 109.jpg (74833 Byte) 
    Bei der "Judenschule handelt es sich um das weiße, verputzte Haus (4. Gebäude von rechts)  
         
Die "Judenschule" (Synagoge im Obergeschoss)
 nach der Zerstörung 1938

 (Quelle: Heimatverein 
 Gräfenhausen-Schneppenhausen e.V. 
über www.synagogen.info
Graefenhausen Synagoge 110.jpg (58908 Byte)
             
            
Der Gedenkstein für die Synagoge auf dem
 Postplatz (Aufnahmen von 2003)

(Fotos: Daniel Jünger, Weiterstadt 
über www.synagogen.info
 Graefenhausen Synagoge 111.jpg (95122 Byte)
    Inschrift: "Hier stand bis zum 10./11. November 1938 die Synagoge 
der jüdischen Gemeinde Gräfenhausen". 
           
Graefenhausen Synagoge 112.jpg (55858 Byte) Graefenhausen Synagoge 113.jpg (80727 Byte) Graefenhausen Synagoge 114.jpg (69351 Byte)
Blick in die Gräfenhäuser Hauptstraße,
 rechts lag früher die Synagoge (Postplatz)  
Der heutige Postplatz 
von Süden  
Der heutige Postplatz 
von Norden  

    
    
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  

November 2013: "Stolpersteine" werden verlegt und wenige Tage danach gestohlen - Suche nach den Tätern       
Artikel im "Darmstädter Echo" vom 7. November 2013 (Link zum Artikel): "Unbekannte stehlen frischverlegte Stolpersteine
Gedenken – Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen zu den Tätern übernommen
Nur kurze Zeit nach der Verlegung von Stolpersteinen am Mittwoch in Gräfenhausen haben unbekannte Täter in der Nacht zum Donnerstag die in der Steinstraße verlegten sieben Gedenksteine gestohlen.
WEITERSTADT.
Der Weiterstädter Bürgermeister Peter Rohrbach zeigt sich im ECHO-Gespräch am Donnerstagmittag geschockt und verärgert: 'Das ist eine beschämende Aktion. Es ist mir unverständlich, dass jemand so etwas tut. Wir müssen uns vor denjenigen schämen, die damals in der Nazi-Zeit verfolgt wurden.' Rohrbach vermutet einen politischen Hintergrund, 'das ist doch kein Lausbubenstreich.' Anscheinend von Rechtsradikalen seien die Steine wieder aus dem Straßenpflaster herausgebrochen worden.
Die Stadt Weiterstadt will nun die Steine in der Gräfenhäuser Steinstraße erneut setzen lassen. Man werde sich nicht abhalten lassen. 'Wir legen sie natürlich erneut und werden versuchen, diejenigen zu kriegen, die das getan haben.' Das versucht auch die Polizei, die Kripo in Darmstadt hat laut Polizeisprecherin Andrea Löb die Untersuchungen aufgenommen und ermittelt 'in alle Richtungen'. Ob von einem rechtsradikalen Hintergrund auszugehen ist, konnte Löb weder ausschließen noch bestätigen. Die Polizei hofft derzeit auf Zeugenhinweise unter der Rufnummer 06151 9690.
Nicht der erste Vorfall im Landkreis. Es ist nicht der erste Stolperstein-Diebstahl im Kreis. Im benachbarten Griesheim beispielsweise waren vor knapp einem Jahr ebenfalls Steine gestohlen worden (wir berichteten), zwei Stück, die schon länger zuvor verlegt worden waren. Auch damals blieb offen, ob es sich um einen politisch motivierten Vorfall gehandelt hatte. Aber auch in Griesheim wurden, wie dies nun auch die Stadt Weiterstadt plant, die Steine an gleicher Stelle wieder ersetzt.
Rund 50 Weiterstädter waren am Mittwochnachmittag zu den ersten Stolpersteinverlegungen in Weiterstadt im Stadtteil Gräfenhausen gekommen. Während der Verlegung der Stolpersteine erinnerte die hauptamtliche städtische Archivarin Maxi Jennifer Braun an die damals Verfolgten und an die Geschichte der beiden Gräfenhäuser Familien, derer nun mit den Stolpersteinen gedacht wird.
Die jüdische Familie Hirsch lebte in der heutigen Hauptstraße 22. Die Straße hieß früher Langgasse und war 1933 in 'Straße der SA' umbenannt worden. Julius Hirsch war Kaufmann und Viehhändler, er und seine Frau Sofie hatten eine Tochter, Hilde Regina, die am 26. Februar 1922 geboren wurde. Wegen NS-Repressionen musste der Betrieb schließen, erinnerte die Archivarin. 'Julius, Sofie und Hilde Regina Hirsch mussten am 18. März 1942 mit als letzte jüdische Familie ihre Heimat Gräfenhausen verlassen', sagte Braun. Von Darmstadt aus wurden sie ins Ghetto Piaski deportiert (Ostpolen). 'Ihr weiteres Schicksal ist nicht mehr im Einzelnen zu ermitteln.' Menschen im Ghetto Piaski wurden meistens im rund 100 Kilometer entfernten Vernichtungslager Belzec bei Lublin ermordet, erklärte Braun. Auch Julius Hirschs vier Geschwister wurden umgebracht. In der Steinstraße 4 lebte die Familie Collin-Cahn. Händler Carl Collin (1880-1929) war Mitglied im Gesangverein, Turn-Gauvorsitzender, Vorstandsmitglied in der Demokratischen Partei, des Kriegsbeschädigtenvereins, des Milchhändlerverbandes und Mitbegründer des Karnevalvereins, berichtete Braun. Die Witwe führte die Geflügel- und Milchhandlung mit Metzgerei weiter. Im Haus lebte sie mit ihren Töchtern Regina sowie Henny, die mit dem Metzger Siegmund Cahn verheiratet war. Bertha Collin wurde 1938 gezwungen, die Metzgerei sowie die Geflügel- und Milchhandlung aufzugeben. Henny und Siegmund wanderten 1939 mit ihren kleinen Söhnen Karl (8), Günter (6) und Manfred (3) nach Rotterdam aus. Die geplante Emigration in die USA schafften sie nicht mehr. Nach der Eroberung Hollands kamen sie über Westerbork und Theresienstadt ins KZ Auschwitz. Keiner überlebte. Bertha Collin wurde 1941 ins KZ Fort IX bei Kaunas in Litauen deportiert und am 25. November 1941 ermordet. Regina Collin allerdings blieb am Leben. 'Zusammen mit der jüdischen Familie, bei der sie in Frankfurt in Stellung war, war sie im Juni 1937 nach Zürich gezogen', sagte Archivarin Braun. 'Später ging sie nach New York.' Als Regina Parker starb sie am 19. Februar 2009 in Manhattan im Alter von 95 Jahren. "    
 
August 2016: Rundgang mit Nachkommen jüdischer Familien auf den Spuren der jüdischen Geschichte 
Artikel von Sabine Eisenmann in "echo-online.de" vom 27. August 2016: "'Teil unserer Geschichte'. 
GRÄFENHAUSEN - Es ist zwar ein eher unspektakuläres Wohnhaus, das in der Mittelstraße 1 in Gräfenhausen steht. Dennoch zieht das Gebäude am Freitagmorgen die Blicke einer kleinen Gruppe auf sich. Für Familie Schneider aus den USA ist es ein wichtiger und ergreifender Ortstermin. In dem Haus lebten einige ihrer jüdische Vorfahren. 'Es ist interessant an den Ort zu kommen, wo sich ein Teil unserer Geschichte abspielte', sagt die 66 Jahre alte Cathy Schneider aus Phoenix nachdenklich. Auch ihr Sohn Matt (41) aus New York hält inne, macht ein paar Fotos. Cathy Schneider ist die Enkelin von Gottfried Strauß, der im Jahr 1885 in Gräfenhausen geboren wurde und im Alter von 20 Jahren wie viele seiner Brüder in die USA ausgewandert ist. Zwei seiner Schwestern lebten in dem Haus in der Mittelstraße 1. 'Hier hatte Selma Strauß ein Geschäft für Kleidung und Kurzwaren', erläutert Maxi Braun von der Weiterstädter Stadtverwaltung. Mit Karin Klingler und Günther Kannegießer vom Heimatverein Gräfenhausen-Schneppenhausen führt sie die Gäste zu den Stationen ihrer Familiengeschichte. Maxi Braun hat zahlreiche Dokumente, historische Fotos und Infos zur Gräfenhäuser Familiengeschichte der Schneiders mitgebracht und übersetzt sie ins Englische. 'In dem Haus in der Mittelstraße 1 lebten auch Selmas Mutter Lina Strauß und zeitweise ihr Bruder Armin Strauß mit seiner Frau und seiner Tochter. Armin Strauß und seine Tochter wanderten 1937 in die USA aus', erzählt sie. Die Gäste aus den USA verfolgten die Ausführungen interessiert. Begonnen hatte ihr Rundgang am Gedenkstein für die ehemalige Synagoge am Postplatz. Sie befand sich im ersten Stock, im Erdgeschoss war eine Wohnung, informierte Maxi Braun. Dort lebten Lina und Samuel Strauß mit ihren Kindern. Vermutlich Anfang der 1920er Jahren zogen Lina und Selma Strauß in die Mittelstraße 1. Ende der 1930er Jahre kehrten sie in die Synagoge zurück und mussten dort die Novemberpogrome 1938 miterleben. 'Am frühen Morgen des 10. November 1938 zwangen SA-Männer die beiden Frauen, ihre Wohnung zu verlassen, schlugen und bedrohten sie. Die Synagoge wurde zerstört. Lina und Selma Strauß mussten nach Frankfurt ziehen. Dort starb Lina Strauß an Altersschwäche. Selma Strauß wurde – wie ihre Schwester Jenni Seliger und ihr Schwager Leopold Seliger – erst in das Sammellager Theresienstadt und dann in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden.
Maxi Braun stellte den Kontakt her. 'Es ist bewegend und interessant, all dies zu erfahren, es ist ein Teil unserer Geschichte', sagte Cathy Schneider beim Rundgang. Seit zehn Jahren sind sie und ihr Sohn Matt mit der Erstellung des Familienstammbaums beschäftigt. Doch erst seit wenigen Monaten wissen sie, dass ein Teil ihrer Wurzeln in Deutschland liegt. 'Es ist ein Zufall, dass wir heute alle hier sind', sagte Matt Schneider. Denn während die Schneiders in den USA auf Spurensuche ihrer Vorfahren gingen, hat sich Maxi Braun im Rahmen des Stolpersteinprojekts in Weiterstadt ebenfalls mit den Familiengeschichten der jüdischen Bürger in Weiterstadt beschäftigt. Erst vor sechs Wochen stieß sie auf die Nachkommen in den USA und hat die Schneiders per E-Mail kontaktiert. 'Wir wussten bis dahin nur von den Vorfahren, die in den USA lebten', sagte Cathy Schneider. Ein weiterer Zufall: Familie Schneider hatte ohnehin eine Reise nach Deutschland und Österreich geplant. Kurzerhand haben sie den Besuch in Gräfenhausen damit verknüpft. 'Es ist wie ein Puzzle, das sich zusammenfügt', sagte Cathy Schneider." 
Link zum Artikel   
 
November 2017: Die Stolpersteine werden geputzt   
Artikel von Marc Wichel in "echo-online.de" vom 14. November 2017: "Weiterstadt / Erzhausen. Die Stolpersteine sollen glänzen.
PUTZAKTION Im Andenken an die Opfer der Pogromnacht säubern Weiterstädter die kleinen Denkmäler
WEITERSTADT
- Mit Eimer, Wasser, Schwämmchen und Messingglanzpolitur waren Konfirmanden und weitere Bürger aus Weiterstadt und Gräfenhausen unterwegs, um die Stolpersteine zu putzen. Die Aktion wurde im Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 organisiert. Putzpate Jan Fröhlich erklärte, dass er es nicht richtig fände, die Gedenksteine der Witterung zu überlassen. 'Wenn die Steine nicht glänzen, dann sehen sie aus wie jeder andere Pflasterstein.' Daher beteilige er sich an der Aktion, den Messingplatten wieder neuen Glanz zu verleihen.
Mit Metallpolitur werden die Messingplatten poliert. Die Stolpersteine sind Betonquader mit etwa zehn Zentimeter Kantenlänge mit einer Messingplatte, die in Bürgersteige vor Häusern eingelassen werden. Auf ihnen stehen die Namen der früheren Hausbewohner, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Selbstmord getrieben wurden. Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, der diese seit den neunziger Jahren verlegt. Nachdem in Weiterstadt die Steine geputzt waren, kamen in Gräfenhausen rund zehn Bürger mit Stadtarchivarin Maxi Jennifer Braun zusammen, wo im Schein von Taschenlampen oder Smartphone-LEDs die Messingplatten wieder aufpoliert wurden. Die Stadtarchivarin erinnerte vor Ort jeweils an die Menschen, zu deren Gedenken die Stolpersteine gesetzt wurden. Beim Schicksal der Familie Rothschild zeigte sich, dass das Internet die Recherchemöglichkeiten verbessert hat. Die Familie Mannheimer/Rothschild hatte an der Schlossgasse 9 ein Geschäft mit Lebensmitteln, Kleidung und Schuhen. Dort hatten Frieda Rothschild, ihr Ehemann Philipp und ihre Kinder Gisela, Bernhard und Lothar sowie Friedas Mutter Emma Mannheimer gelebt. Emma Mannheimer wurde 1942 deportiert und in Theresienstadt ermordet. 'Ursprünglich nahmen wir an, dass alle umgebracht wurden', sagte Karin Klingler vom Heimatverein Gräfenhausen-Schneppenhausen und erinnerte an die Forschungen Günther Hochs, die 1988 in der 'Chronik der Gemeinde Weiterstadt und ihrer Ortsteile' erschienen waren. Aber Maxi Jennifer Braun hatte online die Familie über Bar-Mitzwa-Daten in Amerika ausmachen können. Und im hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden seien auch Unterlagen über Entschädigungen nach 1945 zu finden gewesen.
Kranzniederlegung am Standort der Synagoge. Am Gedenkstein am Postplatz legten die Teilnehmer des kleinen Rundgangs einen Kranz nieder. Der Gedenkstein von 1983 erinnert daran, dass dort die Gräfenhäuser Synagoge stand. Der Bau war eine Hofreite in der damaligen Langgasse 5 und sah aus wie ein bäuerliches Anwesen. Im Erdgeschoss war eine Wohnung, der Saal zum Beten war im ersten Stock.
Den Postplatz habe es 1938 nicht gegeben, sagte Karin Klingler. Maxi Jennifer Braun und Klingler wiesen darauf hin, dass die Hofreite sich über den Nordrand des Postplatzes erstreckte. Sie ging von dem Platz mit dem Gedenkstein (dort waren die Stallungen) über die Straße (Hof) bis zu dem kleinen Platz (Wohnhaus und Synagoge), wo heute das Schild steht, das den Kerbplatz markiert.
Die Archivarin kündigte bei der Aktion bereits an, dass noch weitere Stolpersteine in Weiterstadt gesetzt werden sollen." 
Link zum Artikel:   Die Stolpersteine sollen glänzen (Echo Online, 14.11.2017)    
 
Oktober 2018: In Weiterstadt werden weitere "Stolpersteine" verlegt 
Artikel von Sabine Eisenmann in "echo-online.de" vom 29. Oktober 2018: "Respekt vor jedem Schicksal.
Der Künstler Gunter Demnig verlegt zwei Stolpersteine in Weiterstadt in der Darmstädter Straße 22 b. Sie erinnern an das jüdische Ehepaar Berthold und Emma Lehmann, das dort bis 1938 lebte.
WEITERSTADT -
Andächtig steht eine kleine Menschengruppe auf dem Platz vor der evangelischen Kirche in Weiterstadt. Die Männer, Frauen und Jugendlichen schauen auf einen Mann mit großem Hut, der in ihrer Mitte auf dem Asphalt kniet. Es ist ganz still. Nur leises Klopfen ist zu hören. Der Künstler Gunter Demnig hebelt und hämmert vorsichtig ein paar Pflastersteine aus dem Boden. Neben ihm stehen Eimer mit Mörtel, Sand und Wasser – und zwei Steinquader mit Messingplättchen darauf. Das sind die beiden Stolpersteine, die an das jüdische Ehepaar Lehmann erinnern. Ein Mitarbeiter des Weiterstädter Betriebshofs reicht Demnig Kelle und Besen. Es dauert nur wenige Minuten, dann sind die beiden Steine verlegt. Behutsam wischt der Künstler Mörtelreste von den Plaketten. Fotos werden gemacht, Maxi Braun vom Weiterstädter Stadtarchiv reicht eine große Aufnahme herum. Sie zeigt das Wohnhaus der Familie Lehmann, das bis nach dem Zweiten Weltkrieg dort stand, wo jetzt die Haltestelle und der kleine Platz vor der Kirche sind. Darmstädter Straße 22 lautete die Anschrift. Über das Schicksal der ehemaligen Bewohner, Berthold und Emma Lehmann, berichtete Bürgermeister Ralf Möller. Er erläuterte, dass Emma und Berthold ein Geschäft mit Lebensmitteln und Textilien führten. Nach der Machtergreifung der Nazis waren sie vom Boykott jüdischer Geschäfte betroffen. 'Meine Eltern wurden ebenfalls an den Pranger gestellt, weil sie mit der Familie Lehmann Geschäftsbeziehungen führten und sich gut verstanden haben', sagte Teilnehmer Heinz-Ludwig Petri. Sein Vater Adam hatte die Stolpersteine gestiftet. Die Teilnehmer erfuhren weiterhin, dass die Judenverfolgung in den Dreißigerjahren auch in Weiterstadt einen solchen Druck auf Betroffene ausübte, dass sich Berthold und Emma entschlossen, in die USA zu fliehen. Emma jedoch sah keinen anderen Ausweg und nahm sich im Jahr 1938 das Leben. Berthold und seiner Schwiegermutter gelang die Flucht nach New York. Von Berthold und Emma bleiben zwei Stolpersteine in Weiterstadt zurück.
42 weitere dieser kleinen Gedenktafeln hat Gunter Demnig in den vergangenen Jahren bereits in Weiterstadt verlegt. Vier weitere kamen am Freitag in der Hauptstraße 5 in Gräfenhausen hinzu. Auch dort hatten sich rund ein Dutzend Passanten, Anwohner und Vertreter aus Kommunalpolitik und der Kirchengemeinden versammelt. Die Steine erinnern an die Familie Frenkel, die dort in der ehemaligen Synagoge lebte. Weil sie polnische Staatsangehörige waren, wurden sie bereits 1933 von den Nazis schikaniert und ein Jahr später nach Lodz ausgewiesen. Jakob, seine Frau Golda Naha und die Kinder Nathan und Eva konnten nach Palästina fliehen und entkamen dem Holocaust, erläuterte Stadtarchivarin Maxi Braun. 'Es ist uns ein Anliegen, hier zu sein', sagte Anwohnerin Helmi Kozok. Mit ihrem Ehemann Wolfgang war sie bei vielen Stolpersteinverlegungen in Weiterstadt dabei. Beide haben auch schon einen gespendet. 'Es ist eine gute Sache, dass so etwas gemacht wird', sagt Wolfgang Kozok. Vor wenigen Tagen hat Gunter Demnig den 70 000. Stolperstein verlegt. 'Da kommt keine Routine auf', sagte er im Gespräch mit dem ECHO. Er betrachte jeden Stein mit großem Respekt, auch vor dem Schicksal, für das er steht. 'Es ist kaum vorstellbar, wie es all diesen Menschen durch Vertreibung, Flucht und Pein ergangen ist', sagte er. Bei seinen Aktionen beschränkt sich Demnig auf das Handwerkliche. Nach der Verlegung packt er leise zusammen, um zur nächsten Aktion zu fahren. Er werde nicht müde, seine Aktion, die er 1992 ins Leben gerufen hat, fortzuführen. 'Vor allem Nachkommen suchen die Steine auf. Für viele Nazi-Opfer gibt es keine Grabstätte. Die Stolpersteine sind ein Ort des Gedenkens', sagt Demnig. Sein Terminkalender ist voll. Auch an seinem 71. Geburtstag am vergangenen Samstag war der Künstler aus dem Vogelsbergkreis unterwegs. Im März wird er bei der nächsten Aktion auch wieder in Weiterstadt sein."  
Link zum Artikel 

  


     
Links und Literatur   

Links:  

bulletWebsite der Stadt Weiterstadt     
bulletWebsite des Heimatvereins Gräfenhausen-Schneppenhausen e.V.  mit einer Seite zur Synagoge  
bulletWebportal HS 010.jpg (66495 Byte)Webportal "Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen mit Fotos zur jüdischen Geschichte in Weiterstadt und Gräfenhausen 

Quellen:  

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Gräfenhausen mit umliegenden Orten 
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Erzhausen sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,127   Jüdisches Geburts- und Trauregister von Erzhausen  1789, 1808; enthält Geburtsregister 1789 und Trauregister 1808  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v3946047       

Literatur:  

bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 272-274.  
bulletKeine Artikel bei Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988 und dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. 
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 48-49.  
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 149-150.
bulletGünther Hoch: Jüdische Gemeinde Gräfenhausen. 1984. 

Hinweis auf ein familiengeschichtliches Werk  

Nathan M. Reiss 

Some Jewish Families 
of Hesse and Galicia 
Second edition 2005 
http://mysite.verizon.net/vzeskyb6/  
Reiss Lit Titel 010.jpg (44676 Byte) Reiss Lit May Fam 010.jpg (67820 Byte)
In diesem Werk eine Darstellung zur Geschichte der jüdischen Familien May in Roßdorf, Gräfenhausen und Ober-Ramstadt ("The MAY Families of Roßdorf, Gräfenhausen and Ober-Ramstadt", S. 269-282) (Nachkommen bis ca. 2000) mit Abbildungen u.a.m.

    
     


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Graefenhausen  Hesse. The community, numbering 67 (7 % of the total) in 1861, was augmented by Jews from Weiterstadt and Wixhausen in 1893, but slowly declined. On Kristallnacht (9-10 November 1938) SA troops from the Darmstadt area came to Graefenhausen and vandalized Jewish property. By 1940, 13 of the remaining 22 Jews hat emigrated; the rest were eventually deported.  
      
        

                   
vorherige Synagoge  zur ersten Synagoge nächste Synagoge    

                  

 

Senden Sie E-Mail mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an Alemannia Judaica (E-Mail-Adresse auf der Eingangsseite)
Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 18. Mai 2020