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Friedhöfe in der Region"
Zur Übersicht: Jüdische Friedhöfe in Baden-Württemberg
Niederstetten (Main-Tauber-Kreis)
Jüdischer Friedhof
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
siehe Seite zur Synagoge
in Niederstetten (interner Link)
Zur Geschichte des Friedhofes
Die Toten der jüdischen Gemeinde Niederstetten wurden ursprünglich in
Schopfloch oder Unterbalbach beigesetzt,
seit 1730 in Weikersheim. 1737 bis 1741 wurde ein eigener Friedhof angelegt, der
zuletzt 1933 vergrößert wurde. Zeitweise wurden hier auch Juden aus Archshofen,
Creglingen, Gerabronn und
Mulfingen
beigesetzt (Lage im Gewann "Salmhof", Flurstück 479, Fläche 35,69
a).
Zunächst umgab den Friedhof eine einfache Bretterwand. 1859 wurde er mit
einer massiven Friedhofsmauer umgeben, für die die Gemeinde 2000 Gulden
aufbringen musste. Durch eine Umlage hatte man in den Jahren für diesen Zwecke
654 Gulden angesammelt. Weitere 477 Gulden konnte man 1859 erbringen. Der Rest
musste über Schuldenaufnahme finanziert werden. 1885 kam es zu
einer ersten Friedhofschändung.
Im Herbst 1929 erschraken die jüdischen Gemeinden Süddeutschlands über
ein Ereignis, das damals durch die Presse ging: unbekannte Täter hatten den
jüdischen Friedhof in Niederstetten heimgesucht und auf 15 älteren Grabsteinen
- meist auf beiden Seiten - Hakenkreuze eingekratzt. Dies war die erste
Entweihung eines jüdischen Friedhofes in Württemberg von nationalsozialistisch
gesinnten Tätern.
Aus der Geschichte des Friedhofes
Friedhofschändung (1885)
Meldung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. August 1885: "Aus
Württemberg, 21. August (1885). In Niederstetten wurden auf dem
israelitischen Friedhofe bübischer Weise vier der schönsten
Grabdenkmäler zerstört." |
Das Chewrahbuch der Chewrah Kadischa (Vereinsbuch der
israelitischen Brüderschaft) in Niederstetten (1928/1930)
Anmerkung: Der Beitrag von Max Stern erschien in einer längeren Verfassung
1928 in der "Gemeindezeitung", in einer kürzeren Fassung 1930 in der
"Fränkischen Chronik".
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Oktober 1928: "Das Chewrahbuch der
Chewrah-Kadischa der Gemeinde Niederstetten. von Max Stern
Niederstetten.
Auf unserem Synagogenboden lagen hunderte alter Bücher, Gebetbücher,
Machsorim, alte vergriffene Talmudteile. Eines Tages kam ich dort vorbei und
begann in den alten Büchern zu blättern. Da kam mir ein Buch zur Hand,
welches in kleinen Abschnitten, die fortlaufend nummeriert waren,
geschrieben war. Ich hielt es für ein Mohelbuch, umsomehr als auch eine
schöne, in Tuschmanier ausgeführte Handzeichnung das Titelblatt zierte. Das
Schicksal aller dieser Bücher war, auf dem Friedhof eingegraben zu werden.
Um dieses Buch zu retten, nahm ich es mit nach Hause. Denn mein Interesse
war rege geworden, da ich selbst Mohel bin und alle meine Vorfahren dieses
heilige Amt ausgeübt haben.
An langen Winterabenden nahm ich das Buch zur Hand. Wie erstaunt war ich,
als ich las, dass das Buch alle Begräbnisse unserer Gemeinde von der
Gründung des Friedhofes bis zum Jahre 1866 enthielt. Das Buch war bei der
Gründung des eigenen Friedhofes der Gemeinde im Jahre 1741 angelegt. Bis
dorthin mussten die Toten der Gemeinte einer alten Überlieferung nach in
Schopfloch in Bayern beerdigt werden.
In schwungvollem Hebräisch meldet das Titelblatt: 'Dieses Buch gehört der
Chewrah Kadischa der heiligen Gemeinde Stetten*, den Männern, welche
Wohltätigkeit üben, welche sich mit einer Wohltätigkeit befassen, welche an
Reichen und Armen, an Lebenden und Toten geübt wird. Dieses Gebot ist so
groß, dass selbst Gott in seiner Herrlichkeit es ausgeübt hat. Wer die
Absicht hat, sich zu reinigen, dem hilft der Himmel. Der Heilige, gelobt sei
er, gab uns Gunst in den Augen unserer Herrschaft, er möge sie erhöhen, sie
hat uns Erlaubnis gegeben, die Gräber in vorzüglichem Boden anzulegen. Wenn
wir erzählen wollten, wie schwer die Verhandlungen waren, wäre dies Blatt zu
klein, alles zu beschreiben. Wir sind nun übereingekommen und haben
einstimmig beschlossen, alles festzuhalten und zu erfüllen, was in diesem
Buch niedergelegt ist, was neu bestimmt worden ist am Montag, 3. Tage im
Cheschwan 5498 (1737)."
Es folgt dann eine Beschreibung der Einweihungsfeier des Friedhofes am
gleichen Tag. Die Gemeinde hatte einen Fasttag auf sich genommen, und der
Rabbi hielt eine stimmungsvolle Rede.
Und nun enthält das Buch die Satzungen der Chewrah, wer die Leichen zu
begleiten hat, in welcher Reihe die Mitglieder beim Grabmachen zu sein
haben, wer von allen Diensten befreit ist (alte Leute über 70 Jahre, die
nächsten Teilneh-
* Niederstetten hieß bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts Stetten, viel
früher hieß die Stadt wie das Schloß Haltenbergstetten, seit Anfang der 19.
Jahrhunderts Niederstetten. |
mer
einer Beschneidung u.a.m.). — lieber die Biddui (Sündenbekenntnis) finden
wir folgende interessante Vorschrift: Wenn jemand über drei Tage krank ist,
begeben sich einige Mitglieder zu ihm und veranlassen ihn, ein
vorgeschriebenes Gebet zu sagen. Er wird dazu ermahnt, es soll ihm aber auch
gesagt werden: Besser ist es, du sagst das Gebet und es ist gar nicht nötig;
wer aber die Biddui gesagt hat, nimmt bestimmt Teil an der künftigen Welt. —
Verhängte Strafen für fehlende Mitglieder werden aufgezeichnet. Streit und
Hader werden registriert und auch solche Fälle, wo eine Frage über das
Ritual an den Rabbiner gerichtet wurde, finden genauen Aufschrieb. Mehrmals
ist in solchen Fällen der Name des alten Niederstettener Raws Reb Mahram
genannt, welcher ein Abkömmling des Rabbi Meir von Rothenburg war.
Wie das Mohelbuch den Eintritt ins Leben verzeichnet, führt das Chewrahbuch
alle Todesfälle auf. Wir finden, dass die Gemeinde
Archshofen mehr als ein Jahrhundert
lang den hiesigen Friedhof mitbenützt hat und eine der ersten Stellen des
Buches mahnt an eine alte Sage. Nach dieser Sage soll bei einem der ersten
Begräbnisse ein Knecht des Fürsten der Beerdigung eines Bräutigams aus
Archshofen zugesehen haben. Als dem
Toten das Säckchen Erde zu Häupten gelegt wurde, nahm der Knecht an, es wäre
ein Beutel von Geld. In der Nacht öffnete der Knecht das Grab. Mitten in der
Untat befiel ihn die Angst. Er verführte ein großes Geschrei in der Stadt.
Die Gemeinde ging nach dem Friedhof, holte die Leiche wieder nach der Stadt
zurück und beerdigte sie andern Tages noch einmal in allen Ehren. AÜer diese
Begebenheit steht nichts in dem Buche. Aber merkwürdigerweise wird im Jahre
1704 die Beerdigung eines Bräutigams aus
Archshofen erwähnt.
Viele traurige Schicksale lesen wir zwischen den Zellen. Bon Könbronn, einem
kleinen Weiler kommt ein Bote, daß dort ein jüdischer armer Mann schwer
krank liegt. Der Lehrer und einige Mitglieder gehen nach Könbronn, und der
Lehrer erkennt in dem Kranken einen Landsmann aus
Feuchtwangen. Er stach und wurde
hier beerdigt. Mehrmals haben müde Wanderer hier ihre letzte Ruhe gefunden
und die Chewrah hat Gemiluth Chesed (Wohltätigkeit) an ihnen geübt. Auch das
traurige Schicksal einer armen Mutter ist verzeichnet, welche hierher kam
und welcher zwei Kinder starben. Ein Eintrag spricht von großer Kälte und
Schneefall im Jahr 5518 (1758).
Im Jahre 1766 wird hier ein Mann aus
Rothenburg begraben. Dies ist deshalb interessant, weil nach allgemeiner
Meinung bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts jahrhundertelang keine Juden
in Rothenburg ansässig waren. Es scheint aber doch, dass einzelnen Juden der
Zuzug gestattet war.
Für die Geschlechtsfolge der Familien ist das Buch eine Fundgrube, besonders
für den, welcher die alten Namen kennt. Die Familien Rosenthal, Strauß,
Kahn, Reis, Löwenstein, Reichenberger, Wiesenbacher, Ellinger, Stern sind
noch durch Nachkommen vertreten, von den Familien Selz, Neuhöfer,
Stettheimer, Berneis, leben angesehene Nachkommen in Deutschland, England
und Amerika. Besonders die Familie Selz in Chicago widmet der würdigen
Unterhaltung des Friedhofes tatkräftig Hilfe. Im Jahre 5608 (1848) ist der
Tod der Frau Vögele Reis vermerkt, welche beim Schlossbrande anlässlich
eines Aufstandes vor Schrecken vom Schlage getroffen wurde.
Merkwürdigerweise ist aber im Chewrahbuch hiervon nichts vermerkt, während
im Register der evangelischen Gemeinde eine Bemerkung zu finden ist.
Außer dem Manne aus Rothenburg finden wir Begräbnisse von
Mulfingen,
Creglingen,
Gerabronn. Es wird auch des Fundes
einer Leiche zwischen Hollenbach und
Niederstetten Erwähnung getan. Es stellte sich heraus, dass der Tote
ein Jude aus Hamburg war (1852). — Ein Mann aus
Markelsheim wurde hier durch einen
stößigen Ochsen getötet (1786).
Ein besonders trauriges Zeichen der alten Zeit ist die große
Kindersterblichkeit und die große Anzahl Wöchnerinnen, welche ihr Leben
lassen mussten. Trotz der großen Liebe der Eltern für ihre Kinder lag die
Säuglingspflege sehr im Argen und auch die Wochenbettpflege dürfte viel zu
wünschen übrig gelassen haben.
Der Wechsel der Generationen kommt im Wechsel der Schriften in den Einträgen
zum Ausdruck. Mancher Chewra-Gabbe hat jahrzehntelang das Buch geführt, bis
seine anfangs so schöne Schrift zittrig wurde. Andere haben nur wenige
Einträge gemacht.
Das Chewrah Buch der Chewrah Kaddischah ist wohl die älteste Urkunde unserer
alten Gemeinde. Denn es ist kein Zweifel, dass diese lange vor Anlegung
dieses Buches (1741) und Anlegung des Friedhofes bestanden hat.
Unser Friedhof liegt einsam auf stiller Höhe, hoch über dem Schlosse der
Fürsten von Hohenlohe. Es ist ein weiter Weg zu dieser Ruhestätte unserer
Vorfahren. Wenn es Unfreundlichkeit gewesen war, welche diese Stätte so weit
von unserer Stadt anlegen ließ, so hat das früher herrschende Geschlecht das
Böse gewollt und das Gute getan. Wenn wir an den Gräbern unserer Vorfahren
stehen, wenn unser Gebet für das Heil ihrer Seele, unser Gebet für das Heil
der Lebenden, emporsteigt, liegt der Alltag weit von uns. Kein Ton stört die
Andacht unserer Seele, welche an dieser Stätte des Friedens neue Kraft
sammelt für den Kampf, die Arbeit und auch für die Lust des Lebens." |
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Artikel
in der "Fränkischen Chronik" (Beilage zur
"Tauber-Zeitung") Nr. 9 vom 5. September 1930: "Das
Vereinsbuch der israelitischen Brüderschaft der Gemeinde Niederstetten.
Von Max Stern, Niederstetten."
Kurzgefasster Beitrag zur selben Thematik wie oben. |
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Über die Friedhofschändung 1929
Artikel
in der CV-Zeitung (Zeitung des "Central-Vereins") vom 4. Oktober
1929:
"Friedhofsschändung in Niederstetten.
Der jüdische Friedhof in Niederstetten in Württemberg wurde von
unbekannten Tätern heimgesucht, die die hohe Mauer überstiegen und in 14
Grabsteinen Hakenkreuze einkratzten. Die Jüdische Gemeinde Niederstetten
hat eine Auslobung von 100 Reichsmark, der Oberrat der württembergischen
Israeliten 200 Reichsmark für die Ergreifung der Täter
ausgeschrieben." |
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Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Oktober 1929:
"Geschändete Grabsteine vom israelitischen Friedhof Niederstetten.
Niederstetten. Unbekannte Täter haben den hiesigen, jüdischen Friedhof,
der 200 Jahre alt ist, heimgesucht und auf 15 älteren Grabstein meist auf
beiden Seiten Hakenkreuze eingekratzt. Die Entrüstung über diese Schändung
des Friedhofs ist allgemein. Die israelische Gemeinde hat eine Belohnung von
Reichsmark 100.- für die Ergreifung des oder der Täter ausgesetzt, die Max
Wortmann - Stuttgart um weitere Reichsmark 100.- erhöht hat. Seit etwa
eineinhalb Jahren äußert sich hier antisemitische Verhetzung. Die
Nationalsozialisten weisen es aber in einigen Zeitungsveröffentlichungen
weit von sich, die Schändung des Friedhofs verübt zu haben. Die Entweihung
ist die erste in Württemberg. Allerdings haben Kinder im März 1926 auf dem
Friedhof in Pflaumloch und im April
1927 auf dem Friedhof in Aufhausen
Beschädigungen verursacht, die aber lediglich als kindlicher Unfug
bezeichnet werden dürfen. Umso peinlicher wird überall die Schändung des
Niederstetten Friedhofes empfunden." |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. September 1929: "Niederstetten,
16. September (1929). Die seit zwei Jahren hier tätige völkische
Agitation hat eine traurige Folge gezeichnet. Unbekannte Täter haben den
seit zweihundert Jahren bestehenden, auf einsamer Höhe liegenden Friedhof
unserer jüdischen Gemeinde geschändet. Auf 15 Grabsteinen haben die
Rohlinge, welche in den verschlossenen, von einer hohen Mauer umgebenen
Friedhof eingedrungen waren, Hakenkreuze mit Steinen eingekratzt. Die
jüdische Gemeinde hat auf die Ergreifung der Täter 100 Mark Belohnung
ausgesetzt." |
Die Lage des Friedhofes
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Lage des jüdischen Friedhofes Niederstetten (durch
Pfeil markiert)
(Topographische Karte aus den 1970er-Jahren ) |
Link zu den Google-Maps
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Fotos
Historische Fotos
(Quelle: Jüdische Friedhöfe und Gotteshäuser in
Württemberg. Hg. vom Oberrat der Israeliten in Württemberg 1932)
Neuere Fotos
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 8.6.2003)
Ältere Fotos
(Fotos: Hahn, entstanden Mitte der 1980er-Jahre; Fotos in
Reihen 3-5 von R. Klotz, um 1970)
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Eingangstor zum Friedhof |
Teilansicht |
Blick zurück zum Eingangstor |
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Blick über den Friedhof |
Teilansicht |
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Beschneidungsmesser des Mohel
und Levitenkanne |
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Symbol der Levitenkanne |
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
 | Eva
Maria Kraiss/Marion Reuter: Bet Hachajim. Haus des Lebens.
Jüdische Friedhofe in Württembergisch Franken. Künzelsau 2003. ISBN
3-89929-009-7.
(Kommentar des Webmasters: Außerordentlich schöner und
informativer Bild- und Textband mit hervorragenden Fotos der Friedhöfe in
Berlichingen, Braunsbach, Crailsheim, Creglingen, Dünsbach, Hohebach,
Krautheim, Laibach, Michelbach an der Lücke, Niederstetten, Öhringen,
Steinbach, Weikersheim) |

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