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in Bingen
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Bingen (Kreis Mainz-Bingen)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Bingen wurden in jüdischen Periodika
gefunden - weitere Artikel werden bei Gelegenheit ergänzt.
Übersicht:
 | Allgemeine
Artikel zur Geschichte der Gemeinde
- Gemeindebeschreibung von 1839
- Gemeindebeschreibung von 1840
- Freisinniges
Bürgerfest mit aktiver jüdischer Beteiligung (1847)
- Gemeindebeschreibung
vom Januar 1848
- Nach den Pogromen 1848 |
 | Konflikt
in der Gemeinde 1874-1876: Die Gründung der Israelitischen Religionsgesellschaft
- Artikel vom Januar 1876
- Artikel vom Februar 1876 |
 | Aus
der Geschichte des Rabbinates
Rabbinat
der liberalen Israelitischen Religionsgemeinde
- Rabbiner
Dr. Isaak Sobernheim nimmt Stellung zur Frage nach der Verbindlichkeit der
Beschneidung (1847)
- Ausführliche
Stellungnahme Dr. Isaak Sobernheims zur Frage nach der Beschneidung (1847)
- Rabbiner
Dr. Isaak Sobernheim erleidet einen Schlaganfall (1862)
- Ausschreibung der
Rabbinerstelle (1870)
- Ausschreibung der
Rabbinerstelle (1889)
- Publikation
von Rabbiner Dr. Richard Grünfeld (1905, Rabbiner in Bingen von 1889 bis
1910)
- Zum
Abschied von Rabbiner Dr. Richard Grünfeld (1910)
- Wahl von Dr.
Ernst Appel zum Rabbiner (1910)
- Rabbiner
Dr. Ernst Appel referiert vor interkonfessionellem Publikum (1921)
- Ausschreibung
der Rabbinerstelle (1926)
- Rabbiner
Dr. Appel hält die Gedenkrede bei der städtischen Gedenkfeier für die
Gefallenen (1926)
- Rabbiner
Dr. Ignaz Maybaum wechselt nach Frankfurt a.d. Oder (1928)
- Ausschreibung
der Rabbiner- und Kantor-/Lehrerstellen (1928)
- Klarstellung
zum Profil des gewünschten Rabbiners (1928)
Rabbinat der orthodoxen
Israelitischen Religionsgesellschaft
- Nach
dem Abschied von Rabbiner Dr. Sänger: Wahl von Rabbiner Dr. Salomon
Bamberger (1893)
- Einführung
von Rabbiner Dr. Salomon Bamberger als Rabbiner der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1894)
- Einführung
von Rabbiner Dr. Moses Schlesinger als Rabbiner der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1896)
- Einführung
von Rabbiner Dr. Neuwirth als Rabbiner der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1901)
- Zum
Tod von Frau Rosenfelder, Schwiegermutter von Rabbiner Dr. Neuwirth (1912)
|
 | Aus
der Geschichte der jüdischen Lehrer und der anderen Kultbeamten
- Ausschreibungen
der Stelle des Vorbeters und Schochet / Kantors und Religionslehrers der Israelitischen Religionsgemeinde
1857 / 1863 (für die Feiertage) / 1880 / 1895
- Ausschreibungen
der Stelle des Religionslehrers, Kantors und Schochet der Israelitischen
Religionsgesellschaft 1887 / 1903 / 1908 / 1915 / 1920 / 1925
- Jahresversammlung
des südwestdeutschen Verbandes israelitischer Lehrer und Kultusbeamten in
Bingen (1894)
- Anzeige
der Frau von Kantor Kowalski (1898)
- Kantor
Friedmann wird Kantor in Magdeburg (1910) |
 | Berichte
aus dem jüdischen Gemeinde und Vereinsleben
- Unterstützung
für das Rote Kreuz zu Kriegsbeginn (1914)
- Der
neue Friedhof der Stadt heißt auf Einspruch der jüdischen Gemeinde
"Städtischer Friedhof" und nicht "Christlicher
Friedhof" (1912)
- Die
jüdischen Frauenvereine bekommen Besuch aus Frankfurt (1916)
- Vortragsabend
der Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum (1926)
|
 | Meldungen
zu einzelnen Personen in der Gemeinde
- Zum
Tod von Henriette Levi, Ehefrau des Vorstehers Mayer Levi (1870)
- Zum
Tod von Jonas Lob (Firma Gebrüder Lob in Bingen, 1872)
- Zum Tod von Nathan Kahn
(1886)
- Zum Tod von Sara Kahn (1886)
- Dr.
Sigmund Feist wurde zum Reallehrer in Bingen ernannt (1890)
- 50-jähriges
Promotionsjubiläum von Dr. Isaak Ebertsheim (1891)
- Zum
Tod von Sigmund Simon und seiner Enkelin (1897)
- 81.
Geburtstag von Dr. med. Isaak Ebertsheim und Verleihung des
Ehrenbürgerrechtes (1899)
- Zum
Tod von M.A. Joseph, Mitbegründer der Israelitischen Religionsgesellschaft
und langjähriger Vorsteher (1900)
- Zum Tod
des Arztes Dr. Isaak Ebertsheim (1901)
- Zum
Tod von A. Woog, Mitbegründer der Israelitischen Religionsgesellschaft
(1902)
- Akzessist
Simon in Bingen wird zum Oberlehrer an der Realschule Bingen ernannt (1903)
- Zum
Tod von Bertha Landsberg geb. Kahn (1903)
- Zum
Tod des aus Bingen stammenden und nach Chicago ausgewanderten Adolph Loeb
(1906)
- Zur
Beisetzung von Isaak Simon und seiner Frau (1908)
- Zur
Beisetzung des Präsidenten der Israelitischen Religionsgesellschaft Wilhelm
Kann (1908)
- Julius
Landau wird stellvertretender Vorsitzender der Handelskammer (1911)
- Bankier
Julius Landau wird Kommerzienrat (1911)
- Über
den Polizeiwachtmeister und früheren Kultusbeamten Max Wolf (1923) |
 | Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
- Anzeige
von David Mayer in Gaulsheim (1868)
- Anzeige
des Manufakturwaren-Geschäftes S. Ullmann (1872)
- Anzeigen
des Eisengeschäftes F. Wohlgemuth (Bingerbrück und Bingen, 1891) / der
Weinhandlung und Cognacbrennerei F. Wohlgemuth (Bingerbrück, 1905)
- Anzeige
für "Palästina-Wein" von Fa. Schirling & Cie. (1901)
- Anzeige
der Schreibwarenhandlung Emil Epstein (1901)
- Versteigerung
von koscheren Weinen (1902)
- Anzeige der
Weinhandlung N. Rothschild (1903)
- Anzeige der
Restauration Moses Wolf (1903)
- Anzeige
für das Hotel-Restaurant "Deutsches Haus" (1921)
- Geburtsanzeige
eines Sohnes von Adolf Rosenstock und Selma geb. Fink (1928) |
 | Sonstiges
- Zum Pensionat
der Geschwister Sobernheim (1874-1901)
- Zum
Tod von Emma Sobernheim, Vorsteherin des Pensionates der Geschwister
Sobernheim (1899)
- Kennkarten aus der NS-Zeit -
drei Kennkarten zu Personen, die in Bingen geboren sind
- Grabstein
für Emilie Pfeiffer geb. Herz in Gurs |
Allgemeine Artikel aus der Geschichte der
Gemeinde
Gemeindebeschreibung
von 1839
Rückblick auf die Zeit seit der Erlangung der bürgerlichen
Gleichberechtigung um 1800 unter der französischen Herrschaft - Entwicklungen
und bislang Versäumtes im Blick auf Reformen des Gemeindelebens - Fortschritte
im Schulwesen und im Gemeindeleben unter der Großherzoglich Hessischen
Regierung.
Einzelne Themen werden unten durch Fettdruck
hervorgehoben.
Artikel in
den "Israelitischen Annalen" vom 12. April 1839: "Bingen. – In der
Voraussetzung, dass die Spalten Ihrer beliebten Annalen eher der Veröffentlichung
wirklicher Fortschritte und Verbesserungen geöffnet seien, als der
Polemik über künftige Maßregeln des Fortschreitens, erlaube ich mir,
Ihnen einige Notizen über die Verhältnisse der Israeliten in
Rheinhessen, und namentlich in unserer kleinen Religionsgemeinde Bingen,
mitzuteilen. Ungern vermisse ich bisher in den zu diesem Zweck redigierten
Blättern Nachrichten aus unserer Provinz. Unsere entfernt wohnenden
Glaubensgenossen kommen in die Alternative, anzunehmen, dass wir durch den
vierzigjährigen Besitz des Bürgerrechts auf einer solchen Stufe stehen,
dass alle Nachrichten von Einrichtungen, Verbesserungen, erlangten
Freiheiten etc. etc. von uns als zu geringfügig betrachtet werden, weil
wir als voll Emanzipierte im Besitze alles dessen sein müssten, wonach
man allenthalten in Deutschland strebt; oder umgekehrt, dass wir, in
unserm guten Rheinwein zechend, in eine solche Lethargie versunken seien,
dass nichts im Stande wäre, uns aufzurütteln und zu wecken, und alles
Bessere spur- und nutzlos von uns abgleite. Allein dem ist nicht so. Wir
stehen weder so hoch, noch so tief. Der Geist der Israeliten in unserer
Provinz ist rege und empfänglich fürs Bessere. Und wenn auch ihre bürgerliche
Stellung ihr Fortschreiten nicht hemmt, wenn die Beförderer des Guten von
außen nicht nur keinen Widerstand, vielmehr hilfreiche Hand, Aufmunterung
und Vorschub finden, so kann doch ihr Wirken nicht gleichen Schritt mit
ihren Wünschen halten; denn wie fast überall, so auch bei uns, entstehen
die Hindernisse in uns selbst, in der Gegenwirkung der durch die Zeit verhärteten
Gewohnheiten und stehenden Ansichten. Im Innern bedarf das Haus Jakobs
noch immer der Reinigung, der Pflege und der Ordnung.
Wohl verdanken wir der französischen Herrschaft die große Wohltat des
aktiven Bürgerrechts und die Gleichstellung mit allen Konfessionen; wohl
nannten sie uns Bürger, aber wir gelangten unter ihn nicht dazu, das
erlangte Gut gehörig zu nützen und zu gebrachen. Während der ganzen
Dauer der französischen Herrschaft in unserem Lande war der Janustempel
nicht geschlossen. Bürgerliche Angelegenheiten bedürfen des Friedens und
der Ruhe. Nichts geschah daher für Schulen, nichts zur freieren Bildung,
nichts für Veredlung des Gottesdienstes. Die Zeit und die Verfassung
haben freilich auch auf die Juden ihre Macht ausgeübt, indessen wenn sie
sich auch freier bewegten und in den bürgerlichen und sozialen Verhältnissen
weiter gegangen sind, so waren doch ihre religiösen Zustände und Verhältnisse
nicht um ein Haar breit geändert, sondern verbessert und noch gerade so
wie im vorigen Jahrhundert. Selbst das große Sanhedrin in Paris und die
Konsistorien in den Departementalstädten hatten keinen erheblichen
Einfluss auf die einzelnen Gemeinden. Als uns die Franzosen verließen, löste
sich das Konsistorium in Mainz auf, und wie bei der Länderverteilung das
Departement von Donnersberg zwischen Bayern und Hessen verteilt wurde,
dachte man nicht, ein neues zu organisieren.
(Fortsetzung folgt)." |
|
Artikel in
den "Israelitischen Annalen" vom 19. April 1839: "Bingen. –
(Fortsetzung). Erst unter der humanen Großherzoglich Hessischen Regierung
wurden wir zu Bürgern erzogen. Erst unter dieser menschenfreundlichen
Regierung ist der Aufschwung zum Besseren in uns angeregt worden und ein lebendiger Sinn für bürgerliche Gewerbe und regelmäßigen Handel, für
Kunst und Wissenschaft in uns erwacht. Erst unter unserer jetzigen weisen
Regierung wurden wir herangebildet und für das köstliche Gut der bürgerlichen
Freiheit empfänglich gemacht. Schon am 13. März 1818 hob unser Regent
die von Napoleon am 17. März 1808 auf 10 Jahre gegebenen Beschränkungen
größtenteils auf, während solche in Rheinbayern und in Preußen auf
unbestimmte Zeit noch jetzt in Kraft bleiben. Die Edikte über das
Schulwesen haben Sie in Nro. 12 und 13 bereits erwähnt. Es ist besonders
wichtig, dass das Edikt vom 17. Juli 1823 (ausgegeben 1. August desselben
Jahres) den Jünglingen, welche sich zu Volkslehrern bilden wollten, der
Besuch der Seminarien gestattet wird, ohne ihnen den Zwang aufzulegen, in
den Seminarien wohnen zu müssen. |
Der sehr würdige
jetzige Herr Oberschulratsdirektor Hesse in Darmstadt, damals
Regierungsrat zu Mainz, gab sich viele Mühe, jüdische Jünglinge zu
bewegen und aufzumuntern, das Schullehrerseminarium zu Friedberg zu
besuchen. Das Schuledikt vom 6. Juni 1832 zeigt § 54.55 71 dieselben
humanen Gesinnungen unserer weisen Regierung. Die heilsamen Maßregeln
konnten ihren Zweck nicht verfehlen, und während die israelitischen
Kinder vormals auf dem Lande höchstens ein wenig jüdisch-deutsch lesen
und schreiben könnten, so können sie jetzt durchgängig gut lesen,
schreiben und so viel rechnen, als sie in ihrem Wirkungskreis nötig
haben. Bemerkenswert ist es, dass man in allen Gemeinden, auch in den größeren,
vorzog, die Kinder in die christlichen Schulen zu schicken, anstatt
besondere jüdische Schulen zu errichten. Bingen machte hierin eine
Ausnahme (siehe weiter unten).
War nun der Grundstein zur besseren Erziehung der künftigen Generation
gelegt, so fand man auch für nötig, im Innern dem Gemeinde- und
Synagogenwesen eine bessere Einrichtung und zeitgemäße Form zu gehen.
Und so erschien die Allerhöchste Verordnung vom 19. November 1830 die
Organisation der israelitischen Kirchenvorstände. Die Land- und Kreisräte
wurden beauftragt, in jeder Gemeinde nach Verhältnis der Seelenzahl fünf,
respektive drei Vorsteher zu wählen. Es sollten Männer von
unbescholtenem Rufe sein, die mit dem Zeitgeist weiter gegangen sind.
Ihnen wurde die Leitung der Gemeinde-Angelegenheiten anvertraut und zur höchsten
Pflicht gemacht, alles aufzubieten, um Bildung und Kultur in ihren
Gemeinden zu befördern.
Dass die Ernennung der Vorsteher dadurch besser ausfiel, als wenn die Wahl
den Gemeindegliedern überlassen geblieben wäre, ist leicht zu ermessen.
Diese Reform war heilsam und nützlich. Das Finanzwesen, welches so oft,
besonders auf dem Lande, Anlass zu Zwistigkeiten gibt, wurde geregelt und
manche schöne Einrichtung trat ins Leben.
Gestatten Sie mir nun meinen Bericht auf unsere Gemeinde Bingen zu beschränken und von der Wirksamkeit des hiesigen
Vorstandes das Nähere mitzuteilen. Der Vorstand wurde am 23. Mai 1831 auf
dem Rathause installiert. Wenngleich das Finanzwesen der Gemeinde nur das
Mittel zum Zweck ist, und andern Angelegenheiten nachgestellt sein sollte,
so musste das Ordnen desselben doch die erste Beschäftigung des
Vorstandes sein, um die Mittel kennen zu lernen und sie festzustellen.
Dieser Gegenstand ist nun, wie in allen Gemeinden des Großherzogtums, auf
folgende Weise geordnet: Der Vorstand entwirft gegen Ende des Jahres ein
Budget der Einnahmen und Ausgaben des künftigen Jahres, welches Budget
acht Tage auf dem Rathause zur Einsicht der Interessenten offen liegen
muss. |
Sodann
wird es von höherer Behörde fixiert. Keine israelitische
Religionsgemeinde besitzt bis jetzt eigene Alimente genug, um davon ihre
Kultusausgaben zu bestreiten, sie muss Umlage erheben, und diese Rolle
wird von dem einschläglichen Großherzoglichen Hessischen Steuerkommissär
nach dem direkten Normalsteuerkapitalfuße, wie alle Gemeindeumlagen,
gefertigt, von der Behörde exekutorisch erklärt, und von dem von der
Regierung ernannten Einnehmer in Raten, gewöhnlich in sechs, erhoben.
Diese Form schützt den Vorstand vor allen Vorwürfen, vor Willkür, und
überhebt ihn des unangenehmen Abschätzens – was in der Tat auch sehr
unsicher ist. (Fortsetzung folgt). |
|
Artikel in
den "Israelitischen Annalen" vom 26. April 1839: "Bingen. –
Fortsetzung). Der Regulierung des Finanzwesens folgte eine Synagogenordnung, welche zum Zweck hatte, dem
Gottesdienst mehr Würde und
Anstand zu geben. Das so genannte Schulenklopfen, das Versteigern der in
der Synagoge zu verrichtenden Funktionen wurde abgeschafft. Dann folgte
eine Trauungsordnung. Dieses alles genau zu detaillieren ist der Raum zu
klein. So schritt der Vorstand in bedächtigem Gang vorwärts, ohne sich
Bilderstürmerei oder Gewissenszwang zu erlauben. Und selbst die
Opponenten waren, sobald die Einrichtungen ins Leben traten, beruhigt und
zufrieden. Es ist bekannt, dass der Jude, sowie überhaupt ein großer
Teil aller Menschen, an keinem Zeremoniell fest hängt als an jenem bei Sterbefällen. Da scheitern oft Aufklärung und Indifferentismus. Da fällt
es schwer, Neuerungen einzuführen, wenn sie auch für noch so ersprießlich
und zeitgemäß erkannt werden. Jeder Ihrer Leser kennt die unzeitigen
Observanzen und Missbräuche, die beim Leichenzug eines Israeliten statt
hatten. Diesem Übel musste abgeholfen werden. Ein glücklicher
Zufall begünstigte und beschleunigte bei uns die Ausführung. Erst gegen
das Ende des Jahres 1832 (bis dahin wurden alle Leichen nach dem Friedhofe
getragen), schaffte die christliche Gemeinde unserer Stadt einen
Leichenwagen an. Es wurde eine Taxe festgesetzt und das Fahren der Leichen
an den Meistgebenden verpachtet, die Gefälle sollten Jura Holae sein. Der israelitische Vorstand benutzte diesen Umstand
zu der nötigen Reform; er nahm diesen Wagen auch für seine Gemeinde in
Anspruch, weil er aus der Gemeindekasse angeschafft worden, woran alle Bürger
gleich partizipieren. Der Gemeinderat erkannte unsere Forderung als
gerecht an; da es jedoch nicht tunlich war, den Wagen in Gemeinschaft zu
benutzen, so beauftragte er den Bürgermeister, mit dem israelitischen
Vorstande zu unterhandeln, inwiefern letzterer geneigt sein dürfte, für
seine Gemeinde einen besonderen Wagen anzuschaffen. Der israelitische
Friedhof liegt auf einem Berge, wohin kein fahrbarer Weg führte. Die
Stadt übernahm die Herstellung und Unterhaltung eines Fahrweges, und
steuerte zu dem 500 Gulden kostenden Wagen 300 Gulden bei. Nunmehr wurde
eine Begräbnisordnung entworfen, welche die höhere Genehmigung erhielt;
durch sie sind die Zeremonien und die Ordnung und gleichzeitig auch die
Funktionen und Prärogative des aus 18 Männern bestehenden Vereins
festgestellt.
|
Ein
freiwilliges Kondukt von 30 Männern hat sich gebildet, welche schwarz
bekleidet jeden Leichenzug begleiten. Der Leichenbitter in schwarzem
Ornat, lädt diejenigen ein, welche die Familie noch außer dem Kondukt
herbeiwünscht. Seit dieser Einrichtung laden Christen und Juden einander
zur Leiche ein, was früher nie der Fall war. Referent kann versichern,
dass dieser Punkt nichts mehr zu wünschen übrig lässt.
Was nun unsere Gemeindeschule
betrifft, worüber sich in nr. 13 eine unrichtige Bemerkung findet, so
verhält es sich damit also: Der Religionsunterricht wurde bis 1825 sehr
nachlässig erteilt. Wir drangen auf Abstellung des gesetzwidrigen
Verfahrens. Der Gemeinderat, nach Anhörung der Schulkommission, stellte
dem damaligen israelitischen Vorstande vor, dass, da die städtischen
Schulen überfüllt seien, es vorteilhafter wäre, wenn für die
israelitischen Kinder eine besondere Schule mit einem geprüften jüdischen
Lehrer eingerichtet würde, was auch dem Vorstand recht war. Die Stadt räumte
ein Lokal, ließ es mit einem Kostenaufwand von beinahe 1.000 Gulden zur
Schule einrichten, stipulierte für den zu ernennenden Lehrer den nämlichen
Gehalt, wie für die christlichen, und nur die Kinder vermögender Eltern
zahlten ein Schulgeld von 7 Gulden des Jahres, und zwar an den städtischen
Einnehmer, welcher dem Lehrer
seinen Gehalt auszahlte. Wenigstens 200-300 Gulden musste die Stadtkasse jährlich
zuschießen. Dank sei noch der vorhinnigen Regierung in Mainz für die
Wahl des Lehrers, die sie traf in der Person des Anton Bachrach, der nur
leider zu früh das Irdische verlassen hat, und dessen Andenken noch recht
lange in unserem Herzen fortleben wird. Es war dies die einzige
israelitische Schule in Rheinhessen. (Schluss folgt)." |
|
Artikel in
den "Israelitischen Annalen" vom 3. Mai 1839: "Bingen. –
(Schluss). Die Schüler bestanden die Prüfungen sehr gut; und der Lehrer
erhielt immer das Zeugnis der höchsten Zufriedenheit der Vorgesetzten.
Aber in dieser Schule wurde kein spezieller Religionsunterricht erteilt,
der Unterricht der hebräischen Sprache war sogar ausgeschlossen. Der
Lehrer übernahm zwar den Religionsunterricht in Privatstunden gegen
besondere Vergütung, aber nicht alle Kinder nahmen Anteil daran. Die
Winkelschulen bestanden fort. Die Eltern schickten ihre Kinder zu Lehrern,
welche sie für tauglich hielten, und so erhielten die Knaben keinen
gleichförmigen und keinen zeitgemäßen, und die Mädchen gar keinen
Religionsunterricht. Erst im Jahre 1834 gelang es dem Vorstande, eine
besondere Religionsschule unter der Leitung des seligen Bachrach’s zu
errichten. Es wurden alle Maßregeln getroffen und das Schulgeld so gering
angesetzt, dass keine Winkelschule mehr bestehen konnte. Was von der
Besoldung des Lehrers nicht durch das Schulgeld aufgebracht werden konnte,
wurde von der Gemeindekasse zugeschossen, wofür im Budget ein Kredit eröffnet
war (Anmerkung: Das Nähere über diese Schule siehe ‚einige Worte der
Aufmunterung an die israelitische Jugend, gesprochen von einem Mitglieder
des israelitischen Vorstandes, bei Gelegenheit der Prüfung der städtischen
Schulen. Gunst u. Gedöker, Mainz 1835 und Dr. Geiger’s Zeitschrift I
Heft 2, aus Bingen.) |
|
Mit dieser
Schule war die Einrichtung verbunden, dass jeden Samstag und Feiertag
Gottesdienst mit deutschem Choralgesang und Predigt gehalten wurde. Dieses
Institut war nicht von langer Dauer, denn der Lehrer erkrankte und starb.
Die Kinder hatten nun weder Elementar- noch Religionsschule. Während der
Krankheit des Lehrers wurden die israelitischen Kinder in die städtischen
Schulen verteilt, und nach erfolgtem Ableben des Lehrers wünschte der
Gemeinderat, dass diese Schule unter der Leitung eines anderen noch zu
ernennenden Lehrers fortbestehen solle. Der Vorstand der israelitischen Gemeinde aber fand es zweckmäßiger, dass die Kinder seiner Gemeinde die
städtische Schule besuchten. Dies fand Beifall und selbst das bisherige
Schulgeld von 7 Gulden ward von unserem höchst würdigen Herrn Kreisrat
auf 1 Gulden 26 Kreuzer herabgesetzt. Seitdem besteht jetzt in ganz
Rheinhessen keine besondere israelitische Elementarschule mehr. Für den
Unterricht in der Religion sorgen die Vorsteher durch Anstellung
besonderer Lehrer. Hier ist diese Stelle ganz vortrefflich und
unverbesserlich aufgefüllt. Der würdige Kandidat, Herr Dr. Sobernheim
kehrte nach Beendigung seiner Studien zu Bonn und Gießen hierher in seine
Vaterstadt zurück. Er wurde von der hiesigen Gemeinde (deren Rabbiner
obgleich der Vorzeit angehörig, von gleich edlem Geiste beseelt, dem
jungen Manne, seinem vormaligen Schüler, befreundet zur Seite steht) als
Prediger angestellt, und erteilt auch den Religionsunterricht. Seine
Anstellung hat nicht im Mindesten Unzufriedenheit in der Gemeinde
hervorgebracht. So oft er predigt, ist die Männer- und Frauensynagoge mit
Zuhörern angefüllt. Das Abhalten von deutschen Predigten allein schien
indes nicht hinreichend den Gottesdienst zu veredeln, vielmehr fühlten
wir dadurch die Notwendigkeit der Abänderung des ganzen Ritus, ja sogar
die innere Bauart einer alten Synagoge ist nicht geeignet, einen zeitgemäßen
Gottesdienst zu halten. Auch hierin war uns der Zufall und die Unterstützung
unseres Herrn Kreisrats und des löblichen Gemeinderats günstig.
Unsere im Jahr 1700 erbaute Synagoge
war ohnehin zu klein und bereits sehr baufällig. Die Finanzen erlaubten
nun nicht, eine ganz neue zu bauen, wir mussten uns mit Restauration der
alten begnügen. Der Eingang, welcher versteckt und abgelegen war, wurde
mit einem schönen Portal und Vorhof, auf eine besuchte Straße verlegt,
und die innere Einrichtung ganz nach neuer Art geformt. Am 14. und 15.
Dezember vorigen Jahres (1838) wurde sie eingeweiht. Und zum ersten Mal
ertönten darin zur Ehre Gottes Hymnen in deutscher Sprache. Von diesem
Tage der Einweihung an wurde die Liturgie auf eine schöne erhebende Weise
geändert. Alle Gebete werden von einem eingeübten Chor von ungefähr 30
Männerstimmen, teils in Gesang, teils in Responsen vorgetragen. Die
Gemeinde darf nur leise mitbeten; freilich in hebräischer Sprache; aber
vor und nach der Predigt werden deutsche Lieder (aus Johlson’s
Gesangbuch) gesungen.
Es herrscht beim Gottesdienst eine feierliche Stille. Das Ornat des
Predigers und Vorbeters trägt auch zur Feierlichkeit bei. |
Unsere
christlichen Mitbrüder erkennen und würdigen unser Bestreben, und auch
zur Synagoge ward vom Stadtrat eine Beisteuer von 1.500 Gulden aus der
Gemeindekasse einstimmig bewilligt. Wir achten und ehren diese toleranten
und humanen Gesinnungen, wundern uns jedoch nicht darüber, ebenso wenig
darüber, dass ein Israelit im Gemeinderat und ein anderer im
Verwaltungsrat ist, denn die Emanzipation ist bei uns zur Wahrheit
geworden. Ich kann diesen Bericht nicht schließen, ohne noch rühmlichst
eines Instituts zu erwähnen, welches seit 6 bis 8 Jahren unter hiesigen
Israeliten besteht. Es ist nämlich ein Verein zur Bildung und Unterstützung
armer Kinder zur Erlernung und zum Betrieb geeigneter Professionen. Vermögende
Eltern gingen mit dem guten Beispiel voran und ließen ihre Kinder
Handwerke erlernen. Schon zählen wir Gerber, Schuster, Schneider, Bäcker,
Küfer, Seifensieder, Sattler, Buchbinder, Lithographen, welche teils als
Meister, teils als Gesellen und teils noch als Lehrlinge zur Zufriedenheit
ihrer Meister und Kunden arbeiten. Mein Bericht ist jetzt schon, wenn auch
nicht zu weit umfassend, doch fast zu ausgedehnt, um noch einzelnes anzuführen." |
Gemeindebeschreibung
von 1840
Artikel in
der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. Juli 1840: "Wohltuend dagegen ist ein Blick auf das nachbarliche Rheinhessen, und
vor allen anderen Städten zeichnet sich Bingen aus. Es darf freilich
nicht bekannt werden, dass die Regierung hier jeder inneren Verbesserung
der jüdischen Verhältnisse helfend entgegen tritt, allein dies schmälert
nicht das Verdienst der edlen Männer um die Wiedergeburt des versunkenen
Glaubens und des zerrissenen religiösen Verbandes. An der Spitze jener
Ehrenmänner stehen die Herren Sigismund Friedbörig und Simon Schatz.
Ersterer darf als die Seele des Ganzen betrachtet werden. Es ist fast rührend,
wie der Mann, den die härtesten Schläge des Schicksals in dem Verluste
seiner Gattin und Söhne getroffen, alle seine Sorgfalt und Mühe nun auf
die Bedürfnisse der Gemeinde übertrug, und wie er harrend und hoffend,
schaffend und wirkend, rastlos das Ziel der Erhebung der Juden verfolgte.
Solche Charaktere sind selten, und es ist wohltuend, bei ihnen länger zu
verweilen.
Gleich nach Verleihung einer neuen jüdischen Gemeinde-Ordnung von Seiten
der Großherzoglichen Hessischen Regierung wurden die Herren S. Friedbörig
und S. Schatz mit noch drei anderen Kollegen zu Vorstehern der Gemeinde
Bingen gewählt, und von dieser Zeit an, wiewohl sie schon früher durch
Gutachten über die Verbesserung jüdischer Zustände segensreich gewirkt
hatten, datiert sich der Beginn aller der erfreulichen Verhältnisse,
worin jene Gemeinde lebt. Eine neue Begräbnisordnung, um dieser Handlung
den so nötigen, oft fehlenden Ernst und die gehörige Feierlichkeit zu
erteilen, erhielt die Bestätigung und Garantie der Regierung, und war die
erste Frucht ihres Wirkens. Die tätige Humanität des Kreisrats und ständischen
Abgeordneten Herrn Wieger, sowie die Bereitwilligkeit, mit der er diesen
und allen folgenden Verbesserungen entgegen kam, sie beförderte und kräftig
unterstützte, verdient hier ehrenvolle Erwähnung und von Seiten der
Juden Bingens dankbare Anerkennung. Weitere Bemühungen hatten den Erfolg,
dass ein neuer Leichenwagen angeschafft wurde, wozu aus städtischen Fonds
200 Gulden beigetragen wurden. Die Juden erhalten ihren Anteil an den städtischen
Waldungen. Das Finanzsystem der jüdischen Gemeinde wurde geordnet, sodass
die Beiträge jetzt, wie die christliche Kirchensteuer, durch die Großherzogliche
Steuerkasse eingezogen werden. Wer weiß, was da für Wust und Mängel
wegzuräumen und abzuschaffen sind, der wird solche Bemühungen und
Erfolge zu würdigen wissen. Ebenso wurde ein schöner regelmäßiger
Choralgesang in der Synagoge eingeführt, und Missbräuche aller Art beim
Gottesdienste abgeschafft. Bald darauf wurde die alte Synagoge selbst neu erbaut, von innen und außen würdig geschmückt,
und nun erst eigentlich ein durchaus schöner und zeitgemäßer
Gottesdienst eingeführt. Die städtische Kasse trug abermals 1.600 Gulden
zum Bau der Synagoge bei. Vor einem Jahre ungefähr starb der bisherige Rabbine Herr Jonathan Ellinger, der, auch ein seltenes Beispiel,
sich allen diesen Reformen willig anschloss, und man erwählte den Herrn
Dr. Sobernheim, einen talentvollen jungen Prediger, der die Würde seines
Amtes kennt, und dessen Pflichten übt, zum Rabbinen. Und jetzt werden
dort regelmäßig deutsche gottesdienstliche Vorträge gehalten. -
Das sind die Werke jener Männer, und sie sind bis jetzt mit keiner Aufzählung
ihrer Taten hervorgetreten; das ist das Wirken jenes Mannes, und er hat
bis heute bescheiden sein Verdienst verborgen. Selbst seine christlichen
Mitbürger ehren ihn, und ein Zeichen davon ist seine Erwählung zum
Stadtrat. Wenn er erquickend ist, solches Schaffen zu berichten, wie mag
das eigene Gefühl belohnen, wenn man in zufriedenem Selbstbewusstsein
dasselbe überblicken kann." |
Freisinniges
Bürgerfest mit aktiver jüdischer Beteiligung (1847)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. September
1847: "Bingen (Großherzogtum Hessen), 20. August (1847). Wie
sehr das Judentum durch die Aufklärung, die in dasselbe täglich mehr
eindringt und mit ihren Lichtstrahlen alle trüben Nebel verscheucht,
immer festeren Boden sowohl nach innen als außen gewinnt, zeigte uns
wieder aufs Klarste das am 265. Juli dahier stattgefundene große Fest,
das die Bingener Bürger ihrem freisinnigen Deputierten, von Steinherr,
gaben. Ein solennes Mahl, an dem sich bei 250 Personen beteiligten,
erhielt eine höhere politische Weihe durch die Anwesenheit der durchaus
liberalen Vertreter Rheinhessens, der Herren Freiherrn von Gagern, Wunher
und Brunck; viele hiesige Israeliten waren zugegen. Es wurden die
herrlichsten, freisinnigsten Reden gehalten, und von einem konfessionellen
Unterschied war natürlich hier keine Spur. Ein sehr geachteter Kaufmann,
Salomon Nathan, sprach in einer kurzen gehaltvollen Rede über den
glücklichen Erfolg, den die Bemühungen der Deputierten in Betreff der
Aufgebung des ebenso schändenden, wie nachteiligen so genannten
kaiserlichen Dekrets hatten, und bemerkte treffend, dass hier, wo ein
langdauerndes Unrecht beseitigt wurde, nur eine gerechte Forderung
befriedigt worden wäre.
Ihm schloss sich hierauf ein hiesiger junger Mann, Sigismund Friedhörig,
der der entschieden freisinnigsten Richtung im Judentum angehört, mit
folgenden Worten an, die mit einer Akklamation aufgenommen wurde, welche
zeugte, wie sehr diese Worte in den Herren der zahlreichen Zuhörer
Sympathie fanden:
'Der Beifall, den der vor Kurzem ausgebrachte Toast auf das freie Wort
fand, ermuntert mich, dieses freie Wort sogleich zu beanspruchen, indem
ich der ehrenwerten Gesellschaft einen Toast vorzuschlagen mir die
Freiheit nehme, der sich aufs Engste daran |
anschließt;
es gilt nämlich einen Toast auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit,
einen Toast den Verfechtern der heiligsten
Menschenrechte.
Unsere rheinhessischen Deputierten haben auf dem letzten Landtage vieles
Gute erstrebt und auch manches Gute erwirkt; darunter gehört das Anbahnen
der Gleichstellung der so lange gedrückten, verkannten nicht staatlichen
Religionsgemeinden, wie es uns einige neue, kürzlich publizierte Gesetze
bezeugen.
Meine Herren! Man muss selbst zu einer solchen Religionsgemeinde gehören,
um die ganze Wucht des niederbeugenden Gefühls zu empfinden, das in den
exzeptionellen Gesetzen liegt, die für dieselbe noch existieren; man muss
selbst den Druck von Geburt an empfunden haben, der oft so unscheinbar,
aber doch so bitter gegen die Unberechtigten (?) ausgeübt wird - um dann
das innige Dankgefühl ermessen zu können, das uns für die erfüllt, die
mit Wärme die Sache der Zurückgestoßenen verfechten und trotz aller
ererbten Vorurteile finsterer Zeiten im Menschen nur den Menschen
erkennen.
Unser nun beendeter Landtag zeigte uns wieder durch erleuchtete
freisinnige Männer, von deren Hervorragendsten wir das Vergnügen haben
Einige in unserer Mitte zu sehen, - wie der Strom des Lichtes sich mehr
und mehr Bahn bricht, und hell leuchtend mit der Fackel der Vernunft über
trüben Fanatismus triumphiert. Würdig reihen sich an sie die Männer des
preußischen Reichstages, die freimütig und unverzagt für die
Unterdrückten in die Schranken traten; immer lauter und immer heller wird
die Stimme der Wahrheit gegen die dumpfen Töne der Lüge und der
Verleumdung erschallen, bis sie diese gänzlich übertäubt, und den
Rechten aller Menschen endlich voller Sieg durch alle Gauen unseres
schönen Vaterlandes wird.
Darum allen den Männern, die die heiligsten Menschenrechte und die
erhabenste Freiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle ihre
Brüder zu erkämpfen streben, ein dreifaches
Hoch!'" |
Gemeindebeschreibung vom Januar
1848
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit des 19. Jahrhunderts"
vom 2. Januar 1848: "In Bingen zeigte sich der Vorstand
der Gemeinde, Herr Schatz, wie man aus der Begräbnisordnung,
gedruckt bei Gunst in Bingen 1835 (statt 1635) ersieht, für die Reform
schon im Jahr 1835 sehr tätig. Außer einer Synagogenordnung, die
zum Zwecke hatte, den Forderungen des äußern Anstandes zu genügen,
angemessen der Heiligkeit des Ortes und der Zeit, hatte er auch eine Trauungsordnung
eingeführt und es dahin gebracht, dass sie, eine der wichtigsten
Zeremonialhandlungen, kein Gegenstand des Spottes mehr ist, wie früher.
Da in Rheinhessen und also auch im Binger-Kreise alle Schulen
Kommunalschulen sind, in welchen kein spezieller Religions-Unterricht
erteilt wird, so hatte der Vorstand, von der unlängbaren Wahrheit
durchdrungen, dass ein tüchtiger Religionsunterricht, der
frühesten Jugend erteilt, einen unendlich wohltätigen und dauerhaften
Einfluss auf die moralische und religiöse Bildung des Menschen übt, dem
in dem Wesen der Kommunalschulen begründeten Übel dadurch abzuhelfen
gesucht, dass er eine besondere Religionsschule errichtete. Nicht minder
war es Hauptsorge des Vorstandes, die Erlernung von Handwerken unter
der Jugend nach Kräften zu befördern und es kam so weit, dass die
Gemeinde mehrere Schneider, Schuster, Buchbinder, Küfer, Schlosser,
Schreiner, Gerber etc. zählte und sich dadurch in der öffentlichen
Meinung den übrigen Staatsangehörigen gleich stellte. Eine schöne Begräbnisordnung
war eine weitere Frucht der Bestrebung des Vorstehers. Der Stadtrat und
der Bürgermeister bewilligten zur Anschaffung eines besonderen Leichenwagens
eine Beisteuer von 300 Gulden, wozu noch ein Legat von 200 Gulden von
Seiten eines frommen Mannes kam. Die mit Zustimmung des früheren
Rabbiners J. Ellinger entworfene Begräbnisordnung wurde vom Kreisrate
1835 genehmigt. Die Restauration der Synagoge ist gleichfalls ein
Verdienst des Vorstehers. Der gegenwärtige Rabbiner Dr. Sobernheim
ist ein an Wissen und Wollen vorzüglicher Rabbiner, dem jedoch Energie,
wie die Grabe zu fehlen scheint, seine reichen geistigen Schätze an den
Mann zu bringen. Dass er dem Fortschritte zugetan, wissen Sie aus
Äußerungen bei der R.-V. (Rabbiner-Versammlung), aus dessen Antrag wegen
der Mikwe und aus seinem jüngsten Gutachten über die Beschneidung. Der Gottesdienst
ist ziemlich geordnet, der Chor befriedigend. Der Religions-Lehrer,
ein geborener Bayer, der den Chor leitet und hie und da auch predigt,
steht bei der christlichen und jüdischen Einwohnerschaft in
Achtung." |
Nach den Pogromen 1848
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 22. Mai 1848: "Mainz,
10. Mai (1848). Unsere Nachbarstadt Bingen büßt jetzt für den Frevel,
die Einzelne aus ihrer Mitte an den dortigen Juden verübt haben. Diese
Woche ist ein Bataillon Hessen dort eingezogen und mit ihm einige höhere
hiesige Staatsbeamte, welche mit Hilfe der Truppen die Achtung für das
Gesetz herzustellen haben. Schon ist eine Anzahl Übeltäter verhaftet und
nach Mainz transportiert worden, anderen ist es gelungen, nach Frankreich
zu entkommen. Aber die Nemesis wird auch sie ereilen. Es ist eine ewige
Schmacht, dass in einer so gebildeten Provinz, wie Rheinhessen ist, in den
Tagen der Freiheit von Judenverfolgungen die Rede sein konnte, und umso
mehr, als die Juden in Rheinhessen ihrer großen Mehrheit nach den
ehrenwertesten Staatsangehörigen zuzuzählen sind. Neben den
Judenverfolgungen hat man sich aber in Bingen in der Zeit der Aufregung
noch anderes zuschulden kommen lassen, was jetzt gesühnt werden muss, da
der gesetzliche Zustand allmählich wieder zurückkehren soll." |
Konflikt
in der Gemeinde 1874 bis 1876: Die Gründung der orthodoxen israelitischen
Religionsgesellschaft
Artikel vom Januar 1876
(Anmerkung: der Artikel ist in der
Zeitschrift "Der Israelit" aus konservativ-orthodoxer Sicht
geschrieben; die Angriffe richten sich gegen den Gemeindevorstand, der Reformen
gegen einen Großteil der Gemeindeglieder durchzusetzen suchte)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Januar 1876: "Bingen. Von
hier aus haben die Leser dieses Blattes sehr selten Nachrichten über jüdisches
Leben erhalten, was als ein Zeichen geordneter, regelmäßiger Zustände
gelten könnte, die eine Verlautbarung nicht nötig machen, oder als ein
Zeichen, dass über die Verhältnisse der hiesigen jüdischen Gemeinde gar
nichts zu sagen sei, was freilich traurig genug wäre. Doch Beides ist
nicht der Fall. Unsere Gemeindeverhältnisse liegen so, dass man sie weder
gut noch allzu schlecht zu nennen berechtigt wäre. Es hat damit seine
besondere Bewandtnis. Wir wollen es versuchen, unsere jüdischen
Gemeindezustände trotz der seit mehr als Jahresfrist herrschenden Gärung
ganz ruhig und objektiv zu besprechen, indem wir glauben, durch diese
Darlegung beherzigenswerte Winke für solche Gemeinden, in denen ähnliche
Verhältnisse obwalten, an die Hand geben und somit durch diese
Besprechung auch größeren Kreisen nützen zu können.
Bingen war früher der Sitz bedeutender Rabbiner und großer Lomedim und erfreute sich immer eines guten, wohlverdienten Rufes,
nicht nur seiner wunderschönen Lage und vortrefflichen Weine halber,
sondern auch wegen seiner, wenn auch nicht sehr zahlreichen, so doch blühenden
jüdischen Gemeinde. Doch in den letzten Dezennien hat sich, was den
letzten Punkt anbetrifft, das hier sehr geändert. Indifferentismus,
gepaart mit Unwissenheit, auf religiösem Gebiete, die sich ja überall
vereint finden, wo ein Verfall des jüdischen Lebens zu beklagen ist,
haben auch hier sich wie ein Mehltau verderblich über unsere Gemeinde
gelagert, sodass, wo kurz zuvor frisches Leben pulsiert, plötzlich
dasselbe gehemmt wurde, welkte und abstarb. Unsere Gemeinde, von Jahr zu
Jahr sich vergrößernd, kam doch nicht vorwärts. In den neuen Element
lag aber zugleich der Keim zum Bessern; unabsichtlich wurde in diese
Gleichgültigkeit, mit der man zusah, wie nach und nach alle Institutionen
in sich zerfielen und das jüdische Leben immer mehr sich aus unseren
Mauern flüchtete, etwas Bewegung gebracht. Wenn diese Bewegung sich auch
im ersten Momente gegen die alten Institutionen richtete, so können wir
dennoch, wenn auch nicht in ihren Absichten, so doch in ihren Wirkungen,
diese Strömung als eine gesunde, frische und lebendige betrachten. Wo
Bewegung, ist auch Leben – und es wäre doch in der Tat gegen alle
Gesetze der Natur und der gesunden Logik, wenn daraus nicht schließlich
echtes Leben sich entwickeln sollte, wenn alle diese Bewegung und Tätigkeit
unsere Religion, die so lebensfähig sich seit Jahrtausenden erwiesen hat
und aus allen Kämpfen bis heute so siegreich immer wieder hervor geht,
untergraben könnte. Freilich, der Moment des Kampfes und das mit
Gefallenen besäte Schlachtfeld bieten immer einen traurigen Anblick, aber
über die Toten hinweg schreitet triumphierend der Sieg und verkündet
eine neue Zeit mit frischem kräftigen leben dem neu aufblühenden
Geschlechte. So verhält es sich mit all den Kämpfen der Neuzeit auch auf
religiösem Gebiete. Wenn auch in vielen Gemeinden der religiöse Streit
einen recht unerquicklichen Anblick bietet, so wird doch dadurch der
Indifferentismus und die Unwissenheit zu Grabe getragen und auf ihren Trümmern
ein neues, kräftig frisches Leben erstehen.
Ob der Vorstand hier von diesen Gesichtspunkten ausging, ob er gegen den
Indifferentismus zu Feld zog und den Verfall des jüdischen Lebens durch
seine Reformen im Kultus zu steuern suchte, wissen wir nicht, denn nur
Gott kennt die Herzen und die Gedanken des Menschen. Genug, der
verehrliche Vorstand war zur Einsicht gekommen, dass es mit der hiesigen
Gemeinde immer abwärts ging und beschloss deshalb, sie auf eine zeitgemäße
Höhe zu bringen. Wie aus plötzlichem Schlafe erwachend, merkte man hier,
dass man um Jahrhunderte zurück sei gegen andere Gemeinden, dass der alte
Schlendrian aufgegeben werde müsse, die alten noch bestehenden
Einrichtungen, teils abgeschafft, teils in modernes Gewand gehüllt werden
müssten, kurz, der Gottesdienst einer gründlichen Reform bedürfe, wenn
er noch Anziehungskraft ausüben und erbauend sein soll. Rasch
entschlossen und ohne viel zu fragen und zu überlegen wurden Orgel und
Damenchor eingeführt und das alte tausendjährige Gebetbuch durch das
Mannheimer’sche ersetzt.
Wenn nun aber der verehrliche Vorstand rasch entschlossen war bei
dieser gewiss tief ins jüdische Leben und Bewusstsein eingreifenden
Reform und wenn er, in gutem Glauben an seine Machtvollkommenheit und an
den Indifferentismus der Ge- |
meindemitglieder
nicht erst lange fragte, sondern kurz und bündig Beschluss fasste und
denselben zur Ausführung brachte; so darf man doch nicht glauben, dass
allgemeine Freude und Zustimmung ihm entgegengebracht wurde und sein
Bestreben, auch die Gemeinde Bingen den Schwestergemeinden Koblenz,
Mainz,
Worms, Frankfurt, Wiesbaden ebenbürtig zu machen durch diese Reformen,
große Anerkennung fand, denn nicht weniger als 56 Mitglieder
protestierten entschieden gegen diesen Beschluss, was in Anbetracht der
nur ungefähr aus 101 Familien bestehenden jüdischen Gemeinde jedenfalls
eine sehr beachtenswerte Minorität war, das heißt in der Tat war es die
Majorität; aber da von den fünf Vorstandsmitgliedern drei für die Einführung
der genannten Reformen stimmten, und nur der Vorstand als Vertreter der
Gemeinde hierin entscheidend war, so ist – gewiss eigentümlich genug!
– eine Majorität zu einer verschwindenden Minorität herabgedrückt. Ob
hierbei der Vorstand in Wirklichkeit als Vertreter der Gemeinde und deren
Interesse gehandelt hat, das zu beurteilen überlassen wir jedem
Einsichtsvollen. Angenommen auch, der Vorstand in seiner Majorität hätte,
was Intelligenz und Bildung anbelangt, in seiner Dreizahl die geistige
Majorität der Gesamtgemeinde repräsentiert und dieser Vorstand hätte
aus höherer Einsicht und Erleuchtung so gehandelt, wie er gehandelt und
56 Stimmen von 101 als ‚verschwindende’ Minorität nicht einmal auf
ihre Vorstellungen einer Antwort für würdig befinden: hat dieser
Vorstand – diese Frage aufzuwerfen wird uns wohl gestattet sein, umso
mehr, da wir ja keine Antwort erwarten und verlangen, indem jeder billig
Denkende sich selbst wird die Antwort geben können – hat dieser
Vorstand im Interesse seine Gemeinde und als deren Vertreter gehandelt,
oder nicht vielmehr die schreiendste Gewalt geübt? War die Einführung
von solchen weit gehenden Reformen bei 56 Protestierenden von 101 Stimmen
wirklich ein so großes allgemeines Bedürfnis, dass man, was doch
sicherlich nicht anders zu erwarten war – es sei denn, dass tiefste
Blindheit den erleuchteten Vorstand plötzlich heimgesucht – den Frieden
der Gemeinde so freventlich und leichtfertig aus Spiel setzen durfte und
zu einer Trennung geradezu nötigte? – Wahrlich, wenn nur ein Funke des
Pflichtbewusstseins bei dem verehrlichen Vorstande vorhanden gewesen wäre,
dessen er als Vertreter einer Gemeinde nie und nimmer entraten kann, dann
hätte man nimmermehr eine Majorität der Gemeinde gegenüber nur weil zufällig
im Vorstande selbst eine Majorität von 3:2 vorhanden, so verfahren dürfen,
wie man verfahren und den sittlichen Grundsatz unseres Jahrhunderts, das
‚Recht über Gewalt’ stehe, so auf den Kopf stellen dürfen, sich
dabei rühmend, im Geiste unserer Zeit zu handeln.
Es mag vielleicht für machtstolze und eigensinnige Naturen ein
wohltuendes Gefühl sein, unter den obwaltenden Verhältnissen solche
Macht ausüben zu können und den eigenen persönlichen Willen trotz der
Majorität der Gemeinde durchgeführt zu haben; aber eine Vertretung der
Gemeinde und deren Interessen kann das doch unmöglich genannt werden. Es
musste bei einer solchen Handlungsweise eines Vorstandes, der sich von dem
Grundsatze ‚biegen oder brechen’ beherrschen ließ, ganz so kommen,
wie sich jeder Vernünftige das hat voraussagen können. Da natürlich
nicht Jeder die Natur hat, der Gewalt sich zu beugen, so separierte sich
ein Teil der Gemeinde, richtete sich einen Privatgottesdienst nach seinen Bedürfnissen ein, konstituierte sich
als eigene Religionsgesellschaft,
akquirierte in der Person des Herrn Dr. H. Sänger einen Prediger und
Religionslehrer und hat sich jetzt sogar ein eigenes Gebäude gekauft, um
sich, da man von Seiten des Gemeindevorstandes Alles getan, um ja eine
Verständigung und Vereinigung unmöglich zu machen, eine dauernde Synagoge zu bauen.
Wenn vorher der verehrliche Vorstand einen Protest von 56 Stimmen vollständig
ignorierte und somit bewies, dass ihm das Alles sehr gleichgültig sei und
ihn ganz und gar nicht beirre in seinem Beschlusse, so war sein Verhalten
nachher, als die nach solchen Vorgängen unausbleibliche Trennung
eingetreten, ganz anders. Nicht, dass er es bereute und
Vermittlungsvorschläge machte, Gott bewahre! Es war ja eine
verschwindende Minorität, die für den geehrten Vorstand gar nicht
vorhanden, sondern der vom Zeitgeiste erleuchtete Vorstand, der
Fortschritt und Bildung auf seine Fahne geschrieben und diesen hohen Gütern
sogar den Frieden und – den Bestand seiner Gemeinde opferte, dieser
Vorstand verfuhr ganz anders, - ob’s zeitgemäß, wagen wir nicht zu
beurteilen – er nannte diese Männer, die es wagten, zu opponieren, auch
eine Meinung und Überzeugung zu haben, die es wagten, für die Erhaltung
ihres mehr als dreitausendjährigen Glaubens sich Opfer, schwere Opfer
aufzulegen, diese nannte er Finsterlinge, Friedensstörer und wer weiß,
was noch, kurz, er fand es nicht unzeitgemäß, durch verschiedene Mittel
diese Männer in den Augen ihrer Mitbürger herabzusetzen und herabzuwürdigen.
Das war seine Friedensliebe, das seine Gerechtigkeit und das seine Aufklärung,
die allem Vorgeben nach, er für sich ausschließlich gepachtet zu haben
vermeint. |
Vorläufig
haben diese Männer sich nicht beirren lassen durch dieses, wir möchten,
um uns eines milden Ausdrucks zu bedienen, sagen, kindische Benehmen, denn
die Gewalt hat der geehrte Vorstand doch nicht, seine Ansichten auch
anderen Leuten aufzuzwingen und das Urteil der Welt zu trüben; wir aber können
getrost das Urteil unserer Zeit anrufen, wenn wir die Behauptung
aussprechen, dass solche Handlungsweise nimmermehr im Geiste unseres
humanen, auf Gesetz und Recht basierenden Jahrhunderts sein kann." |
Artikel vom Februar 1876
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" von 2. Februar 1876: "Bingen. Wenn
ich in meiner jüngsten Korrespondenz von hier aus die Bemerkung machte,
dass die Leser dieses Blattes sehr selten Nachrichten über hiesige jüdische
Verhältnisse erhalten, so scheint es, als ob das in Zukunft sich andere
verhalten werde. Denn kaum hatte ich meine Korrespondenz geschrieben, als
vom Präses der jüdischen Gemeinde, der urplötzlich seines Amtes durch
das Großherzogliche Kreisamt dahier entsetzt wurde, eine Broschüre
erschien, die einen merkwürdigen Kommentar liefert zu den von mir
geschilderten seit nunmehr 1 ½ Jahren herrschenden Differenzen innerhalb
der hiesigen jüdischen Gemeinde.
Herr M. Levi, der gewesene Präses, erhielt nämlich am letzten Tage des jüngst
verflossenen Jahres vom Großherzoglichen Kreisamte ein Schreiben
zugestellt, das ihm die überraschende und unerwartete Enthebung von
seinem Präsidium ankündigte und zwar mit der Motivierung, er habe sich
mit der Majorität des Vorstandes in letzter Zeit meist in Opposition
befunden, wodurch die Geschäfte gestört worden seien.
Es ist nun freilich etwas Schönes, wenn eine Körperschaft in Frieden und
Eintracht und vollster Übereinstimmung in allen Fragen ist und dadurch
rasche und günstige Resultate erzielt. Leider aber sind solche
Erscheinungen nach dem allbekannten Sprichworte, ‚So viel Köpfe, so
viel Meinungen’, äußerst selten und gehören in das Reich der ewig
unerfüllt bleibenden frommen Wünsche. Wohin wir unsere Blick richten,
finden wir Opposition und ganz besonders heute in der Zeit der Partei- und
Kulturkämpfe. Bekanntlich ist aber eine gemäßigte und vernünftige
Opposition an sich gar nicht so zu verwerfen, im Gegenteil, sie nützt
mehr, als wenn Alles in ein Horn bläst und auf Kommando bejaht oder
verneint. Zu verwerfen wäre eine Opposition, die nur der Lust zu
opponieren und nicht der reinen Überzeugung entspricht. Aber wenn das
Pflichtbewusstsein und das Rechtsgefühl durch Opposition sich Ausdruck
verschafft und sich geltend machen will, dann ist diese gewiss nur zu
loben und anzuerkennen, ganz besonders wenn man sich noch dazu in der
Minorität weiß und alle Anstrengung im Voraus sich als vergeblich
erweist.
Aus diesem tief sittlichen Motive entsprang die Opposition des Präses,
Herrn Levi, der den Frieden in der Gemeinde durch Einführung von Reformen
im Gotteshause aufs Ernsteste bedroht sah und daher seine Überzeugung der
hohen Behörde gegenüber aussprach.
Herr Levi stützte sich mit Recht auf die Erfahrungen, welche die Städte
Mainz, Frankfurt, Darmstadt, Worms, Offenbach, Alzey, Wiesbaden etc. an
die Hand geben, in denen durch Einführung von weit gehenden Reformen eine
Trennung herbeigeführt wurde und glaubte, dass man sich in kleineren
Gemeinden gewiss erst zehnmal bedenken müsse, ehe man sich dazu entschließe,
umso mehr, da die Majorität der Gemeinde gegen die projektierten Reformen
protestierte und zwar hauptsächlich mit dem Hinweis auf die
unausbleibliche Störung des Friedens in der Gemeinde.
Herr Levi wendete sich deshalb, als seine Gegengründe im Vorstande nicht
beachtet und die Majorität bei ihrer Ansicht beharrte und dahingehende
Beschlüsse fasste, an das Großherzogliche Kreisamt mit dem Gesuche,
diesen für das Wohl der Gemeinde, wie vorauszusehen, unheilvollen Beschlüssen |
die behördliche
Genehmigung zu versagen, - erzielte aber schließlich nichts anderes als
– seine Absetzung, welche, wie schon erwähnt, dadurch motiviert wurde,
dass seine Opposition mit der Majorität des Vorstandes die Geschäfte
gestört hätte. Es wird bei den Lesern dieses Blattes, wie es hier
allgemein der Fall ist, eine gewisse Verwunderung hervorgerufen, dass das
ein Grund sein soll, Jemanden seines Amtes, der es bis jetzt zur
Zufriedenheit der ganzen Gemeinde bekleidet hat, zu entheben und noch
nachdem sich herausgestellt, dass dieser Mann jedenfalls die Verhältnisse
richtiger verstanden und beurteilt hat, als die Majorität des Vorstandes.
Wir wissen noch nicht, ob Herr Levi den ihm gemachten Vorwurf auf sich
ruhen und die hierdurch motivierte Absetzung gefallen lassen wird, denn
wenn solche Gründe für das Großherzogliche Kreisamt in Bingen
bestimmend sind, dann muss man sich in Zukunft wohl hüten, in
irgendwelche Opposition zu geraten." |
Aus der Geschichte des Rabbinates
Rabbinat der Israelitischen Religionsgemeinde (liberal)
Rabbiner Dr.
Isaak Sobernheim nimmt Stellung zur
Frage nach der Verbindlichkeit der Beschneidung (1847)
Rabbiner Dr. Sobernheim stammte aus Bingen. Nach dem
Studium in Bonn und Gießen war er in seiner Heimatstadt als Rabbiner
tätig.
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit im 19. Jahrhundert" vom 30. Mai 1847:
"Bingen
im Mai. Der hiesige ausübende Arzt, Herr Dr. Hirsch d.J., hat ein ihm
dieser Tage geborenes Söhnchens nicht beschneiden lassen; er hatte zuvor
bei unserem Rabbiner, Herrn Dr. Sobernheim, angefragt, ob der Knabe nichts
desto weniger als Jude zu betrachten sei, ob Herr Sobernheim seinerzeit
ihm den Religionsunterricht erteilen, ihn auch konfirmieren würde, und
dieser hatte geantwortet, dass die Geburt allein schon den Menschen zum
Juden mache, er sich auch nicht für berechtigt halten würde, dem Knaben
den Religionsunterricht oder die Konfirmation zu verweigern, welche letzte
nur ein fortgesetzter Religionsunterricht und nicht einmal eine eigentlich
jüdische Einrichtung sei. Darob großes Geschrei in unserer Gemeinde und
bei unseren Landjuden gegen den Rabbiner, wiewohl derselbe gleichzeitig
Herrn Dr. Hirsch aufs dringendste und nachdrücklichste von seinem
Vorhaben abgemahnt hatte, welches Geschrei, wenn Herr Sobernheim es ruhig
an sich vorübergehen lässt, wohl spur- und wirkungslos verhallen wird." |
Ausführliche Stellungnahme Dr. Isaak Sobernheims zur Frage nach der Beschneidung
(1847)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 31. Mai 1847: "Bingen, im
Mai. Auch in hiesiger israelitischer Religionsgemeinde ist dieser Tage
leider der Fall vorgekommen, dass ein Familienvater an seinem Knaben die
Beschneidung nicht hat vornehmen lassen. Derselbe machte mir sogleich die
Anzeige hiervon und fragte bei mir an, ob sein Söhnchen dennoch Mitglied
der israelitischen Gemeinde bleibe, oder ob ich anstehen würde, ihn am
hiesigen israelitischen Religionsunterricht teilnehmen zu lassen und
denselben zu konfirmieren. – Meine Antwort hierauf kam teilweise so
entstellt in das Publikum und gab zu falschen Gerüchten Veranlassung,
dass ich mich im Interesse der Sache selbst genötigt sehe, sie der Öffentlichkeit
zu übergeben und darf ich wohl von Euer Wohlgeboren umso mehr erwarten,
dass Sie derselben die Aufnahme in Ihr geschätztes Blatt gestatten
werden, als hier eine der wichtigsten Zeitfragen vorliegt, die das
allgemeine Interesse in hohem Grade in Anspruch nimmt. |
‚Seiner
Wohlgeboren dem Herrn N.N. dahier! In höflicher Erwiderung Ihres Geehrten
vom heutigen Datum erlaube ich mir auf Ihre Anfrage Ihnen Folgendes zu
bemerken. Wohl ist der von jüdischen Eltern geborene Knabe eo ipso und
insofern Jude, als er die einem Juden obliegenden Pflichten zu erfüllen
hat, von welchen ihn selbst die Taufe, der faktische Übertritt zu einer
anderen religiösen Gemeinschaft nicht dispensieren kann; in den
eigentlichen konfessionellen Verband des Judentums tritt er aber erst mit
der Vornahme desjenigen Aktes, den dasselbe hiefür festgesetzt hat, des
Aktes der Beschneidung, welche als eine körperliche und geistige Weihe
und somit als ein faktischer Eintritt in die religiöse Gemeinschaft des
Judentums angesehen wird. Indessen darf, meiner Ansicht nach, auch dem
unbeschnittenen Sohne jüdischer Eltern die israelitische Religionsschule
schon darum nicht verschlossen werden, weil er als geborener Jude die
Lehren und Vorschriften seiner Religion kennen soll und muss, um denselben
nachzuleben, und weil er namentlich die Verpflichtung hat, diesen von den
Eltern versäumt Akt an sich selbst vornehmen zu lassen, was er aber nicht
tun kann und nicht tun wird, wenn ihm die Lehren und Vorschriften der
israelitischen Religion und mit diesen auch jene Verpflichtung unbekannt
bleiben und nicht ans Herz gelegt würden. Wir würden also, da ein Zwang
in religiösen Dingen – wenn ein solcher auch angewendet werden könnte
– dem Geiste der Religion widerstrebt, durch eine solche Ausschließung
das einzige moralische Mittel zur Erfüllung dieses wichtigen
Religionsgebotes freiwillig aus Händen geben und hierdurch zugleich an an
den unschuldigen Knaben uns versündigen. Ebenso kann und darf
konsequenterweise einem solchen Knaben die Konfirmation nicht verweigert
werden, indem solche im Judentum nichts weiter ist und sein soll, als eine
Mündigkeitserklärung, als eine am Schlusse des Religionsunterrichts
stattfindende feierliche Erklärung an die Konfirmanden, dass sie nunmehr
in Betreff der Ausübung religiöser Pflichten körperlich und geistig zur
Selbständigkeit herangereiht seien, verbunden mit einer ersten Ermahnung
an dieselben, stets als Juden zu leben und mit Eifer und liebe die
Pflichten zu erfüllen, die das Judentum ihnen auferlegt. – So ist es
denn auch die Pflicht des Geistlichen, einem solchen Knaben es bei dieser
ernsten Veranlassung aufs |
Dringendste
ans Herz zu legen, wie er, nunmehr zur Selbständigkeit gelangt, nebst den
übrigen Pflichten, die das Judentum ihm auferlege, hauptsächlich und vor
Allem diejenige zu erfüllen habe, die ihn erst in den geistigen und
religiösen Verband des Judentums einführen, die ihm, nach den
Vorschriften desselben, die religiöse Weihe geben soll und die die Eltern
an ihm zu erfüllen versäumt haben. -
Wollen Sie also Ihren Sohn nicht bloß als einen Nicht-Christen, sondern
als einen Juden dem Namen und der Tat nach erziehen; so mögen Sie ihm
denjenigen Akt der Weihe nicht vorenthalten, den das Judentum als solchen
festsetzt. Es ist keine religiöse Gemeinschaft denkbar ohne Positives,
und wo wäre Solches mehr an seinem Platze, als bei dem wichtigen Akte der
faktischen Einführung eines jungen Weltbürgers in die konfessionelle
Gemeinschaft desjenigen Religionsverbandes, dem er vermöge seiner Geburt
schon angehört. Mit der Aufhebung dieses ersten und wichtigsten positiven
Aktes wäre das ganze positive Judentum aufgehoben, was Sie ja selbst
nicht wollen, indem Sie wünschen, ihr Sohn möge Jude bleiben. Auch gibt
es keine Religion, die nicht von ihren Bekennern Opfer verlangt. Darum mögen
sie, wenn Sie unserer Religion mit Geist und Herz, mit leib und Seele
angehören, ein solches Opfer bringen und diese, wie Sie wohl wissen, völlig
gefahrlos
und auch wenig schmerzhafte Operation an dem Sohne, mit welchem Sie der
Herr erfreut, vornehmen lassen, um hierdurch nicht nur Ihre Anhänglichkeit
an dem Judentum zu betätigen, sondern auch Ihren Sohn demselben zuzuführen.
Möge das der einzige Schmerz sein, den er in diesem Leben empfindet.
Bingen, den 11. Mai 1847. Dr. Sobernheim, Kreisrabbiner". |
Rabbiner Dr. Sobernheim erleidet einen Schlaganfall
(1862)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. November 1862: "Vom
Taunus, 20. Oktober (1862). Am verflossenen zweiten Neujahrstage ist der
Rabbiner Dr. Sobernheim zu Bingen mitten in einem Vortrage auf der Kanzel
von einem Schlaganfalle betroffen worden, in Folge dessen er
zusammengebrochen war und augenblicklich die Sprache verloren hatte. Das
Entsetzen, das die fast vollzählig anwesende Gemeinde bei diesem Anblicke
ihres hoch geschätzten Seelenhirten ergriffen hatte, lässt sich denken
aber nicht beschreiben. Bewusstlos, wie es schien, wurde er in seine nahe
Wohnung gebracht. Der gleich bereiten ärztlichen Hilfe ist es jedoch
unter Gottes Beistand gelungen, dass nach Verlauf von acht Tagen die
Sprache sich allmählich wieder einstellte. Auch die weiteren Lähmungen,
von welchen die ganze linke Seite betroffen war, haben sich, wie wir uns
gestern persönlich überzeugten, so weit Gottlob zum Besseren gestaltet,
dass wir gegründete Hoffnung haben, dass eine vollständige Genesung bald
eintreten werde.
Die rühmlichste Anerkennung verdient die Art und Weise, wie sich die
Teilnahme der israelitischen Gemeinde zu Bingen bei dieser Gelegenheit
kundgetan hat. Die an Stand und Bildung Ersten und Letzten wetteiferten in
ihrer Hingebung für die liebevolle Pflege des Kranken. Tag und Nacht
hielten sie treulich Wache. Die gemeinsten Wärterdienste wurden von den
achtbarsten Männern unverdrossen versehen. Keine gemietete Hand durfte
bisher den Kranken berühren. –
Eine solche wahrhaft rührende Kundgebung ehrt die Gemeinde, wie sie den
Rabbiner ehrt, der sich in so hohem Grade Anhänglichkeit zu erwerben
wusste." |
Anmerkung:
Rabbiner Dr. Sobernheim wurde nach seinem Schlaganfall durch
Religionslehrer und Chawer Moses Meier Lebrecht vertreten, der seit
1875 das Rabbinat in Bingen übernommen hat. |
Ausschreibung der Rabbinerstelle
(1870)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. April 1870: "Vakante
Kreis-Rabbiner-Stelle.
Die Stelle eines Rabbiners für die Gemeinde und
den Kreis Bingen soll demnächst wieder besetzt werden. Bewerber müssen
im Besitz einer Hatarat Hora’ah
(Lehrbefugnis und Befugnis zur Entscheidung religionsgesetzlicher Fragen)
von einer anerkannten rabbinischen Autorität sein, die erforderlichen
Universitätsstudien regelmäßig absolviert haben und sich über einen
religiösen Lebenswandel genügend ausweisen können. Meldungen nimmt der
unterzeichnete Vorstand entgegen.
Bingen am Rhein, im April 1870. Der
Vorstand der israelitischen Gemeinde." |
Ausschreibung der Rabbinerstelle (1889)
Anzeige in
der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Januar 1889: "Ausschreiben.
Die Stelle eines Kreisrabbiners der israelitischen Religionsgemeinde
Bingen, womit gleichzeitig die Funktionen eines Religionslehrers verbunden
sind, ist gegen Ostern dieses Jahres anderweitig zu besetzen. Festes
Einkommen vorläufig ca. Mark 3.000. Akademisch gebildete Bewerber wollen
sich unter Mitteilung über ihre seitherige Wirksamkeit an unterfertigte
Stelle wenden.
Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde Bingen (Rhein)." |
Publikation
von Rabbiner Dr. Richard Grünfeld (1905, Rabbiner in Bingen von 1889 bis 1910)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 22. Dezember
1905: "In meinem Verlag erschien soeben:
Zur Geschichte der Juden in Bingen am Rhein.
Festschrift zur Einweihung der neuen Synagoge in Bingen (21. September
1905).
Herausgegeben von Rabbiner Dr. Richard Grünfeld. (Mit Abbildungen der
alten und neuen Synagoge.)
Preis Mark 2.-.
...
J. Kauffmann, Verlag, Frankfurt am Main." |
Zum Abschied von Rabbiner Dr. Richard Grünfeld (1910)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 30. September 1910: "Bingen
am Rhein, 22. September (1910). Am Sonntag den 18. dieses Monats hielt
unser hoch verehrter Rabbiner Herr Dr. Grünfeld, der nach 21-jähriger
Wirksamkeit in unserer Gemeinde das Rabbinat in Augsburg übernommen hat,
seine Abschiedspredigt. Hierzu war die Gemeinde fast vollzählig
erschienen, die Mehrzahl der Vorstände der Landgemeinden des
Rabbinatsbezirks, viele Freunde von nah und fern und zahlreiche Andersgläubige
hatten sich in der Synagoge eingefunden. Die gedankenvolle Predigt, die
mit herzlichen Dankesworten an die Gemeinde und deren Leiter und den
besten Wünschen für das weitere Gedeihen unserer Gemeinde schloss,
machte auf alle Anwesenden, unter welchen auch Bürgermeister Neff und
Beigeordneter Fischer sich befanden, einen tiefen Eindruck. Eingangs- und
Schlussgesänge des Synagogenchors verherrlichten den würdevoll
verlaufenen Abschiedsgottesdienst. Am Abend fand in den Räumen des Hotels
‚Pariser Hof’ eine Abschiedsfeier statt, zu welchem die Gemeindeangehörigen
zahlreich erschienen waren, und bei welcher dem Scheidenden große
Ehrungen zuteil wurden. Der erste Vorsteher Herr Stadtverordneter Julius
Landau richtete an den Scheidenden eine warm empfundene Ansprache, in
welcher er des Herrn Rabbiners langjährige segensreiche Tätigkeit als
Rabbiner und Lehrer in der langen Reihe von 21 Jahren schilderte und sein
liebenswürdiges Wesen pries, das ihm die Herzen und die Liebe aller
Gemeindeangehörigen erworben und die Hochachtung und Verehrung aller
derjenigen verschafft hatte, die mit ihm in Berührung kamen. Herr Landau
überreichte alsdann dem Scheidenden als Andenken seiner Gemeinde eine
prachtvolle silberne Jardinière mit zwei ebensolchen Fruchtschalen.
Seitens der Vorstände sämtlicher hiesiger Wohltätigkeitsvereine brachte
das Vorstandsmitglied Herr Hermann Loeb in einer Rede den Dank derselben für
seine erfolgreiche Tätigkeit in den Vereinen zum Ausdruck, und überreichte
als Zeichen der Dankbarkeit eine künstlerisch ausgeführte Adresse. Auch
die Beamten der Gemeinde ließen es sich nicht nehmen, ihrem verehrten
Rabbiner ein hübsches Geschenk zu überbringen. Das Vorstandsmitglied
Herr Ferdinand Seligmann feierte den Scheidenden als Seelsorger und lieben
Freund in poesiereichen Worten. Herr Rechtsanwalt Strauß richtete an Frau
Dr. Grünfeld und deren Kinder freundliche und herzliche Worte des
Abschieds. Der Vorstand der Chewra
Kedischa Herr Lehrer Baruch Strauß sowie Herr Gustav Gümbel, als
ehemaliger Schüler, sprachen dem Scheidenden Anerkennung und Dank aus.
Namens der Rhenusloge übermittelte Herr Rechtsanwalt Dr. Mattes aus Mainz
Herrn Dr. Grünfeld den Dank der Loge für seine eifrige Tätigkeit als
Logenbruder. Sichtbar gerührt dankte Herr Rabbiner Dr. Grünfeld für die
ihm dargebrachten, liebevollen und freundschaftlichen Ehrenbezeugungen,
und gedachte mit herzlichen Worten aller derjenigen, die ihn in seinem
Wirken so liebevoll, treu und anhänglich unterstützt haben. Musikalische
und Gesangsvorträge verherrlichten die schön verlaufene Feier." |
Wahl von Dr. Ernst Appel zum Rabbiner (1910)
Meldung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 4. November 1910: "Bingen.
Dr. Ernst Appel, Sohn des Karlsruhe Stadtrabbiners, ist zum Rabbiner der
hiesigen israelitischen Gemeinde gewählt worden." |
Rabbiner Dr. Ernst Appel referiert vor interkonfessionellem Publikum (1921)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Januar
1921: "Bingen am Rhein, im Januar (1921). Auch am hiesigen Orte ist
mit Erfolg der neue Weg beschritten worden, die andersgläubigen
Mitbürger durch einen Vortrag über Juden und Judentum aufzuklären. Auf
eine Einladung des hiesigen Geschichts- und Altertumsvereins hin hielt
Herr Rabbiner Dr. Appel aus Bingen unter starkem Beifall einen Vortrag
über die Geschichte der Juden am Rhein vor einer zahlreich erschienenen
interkonfessionellen Zuhörerschaft. Der Redner beleuchte3te vor allem die
Stellung der Juden am Rhein vor und nach den Kreuzzügen in sozialer und
wirtschaftlicher Hinsicht und schilderte mit beredten Worten das rege
jüdische Geistesleben in Mainz und Worms, um mit einer Darstellung des
religiösen Gemeindelebens zu schließen. Der Vorsitzende des Vereins,
Herr Professor Como, gab dem Dank des Vereins einen herzlichen Ausdruck
und begrüßte aufs freudigste die Möglichkeit, durch solche Vorträge
das gegenseitige Verständnis für die geschichtliche und kulturelle
Eigenart der einzelnen Konfessionen zu fördern." |
Ausschreibung der Rabbinerstelle (1926)
Anzeige in
der Zeitschrift des Central-Vereins (CV-Zeitung) vom 29. Januar 1926: "Die
Kreisrabbinerstelle bei der Israelitischen Religionsgemeinde Bingen
(liberal)
ist baldigst neu zu besetzen. Die Besoldung erfolgt in Anlehnung
an die staatliche Besoldungsordnung. Wohnung vorhanden. Geeignete Bewerber
werden gebeten, Zuschriften mit Zeugnissen usw. an den I. Vorsitzenden,
Herrn Julius S. Simon zu richten.
Der Vorstand der Israelitischen
Religionsgemeinde Bingen am Rhein." |
|
Anzeige in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 22. Januar 1926: Text wie oben. |
Rabbiner
Dr. Appel hält die Gedenkrede bei der städtischen Gedenkfeier für die
Gefallenen (1926)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 5. März 1926: "Bingen (Gedenkfeier). Bei der auf dem
hiesigen Marktplatz stattgefundenen städtischen Gedenkfeier für die
Gefallenen war Rabbiner Dr. Appel beauftragt worden, die Gedenkrede zu
halten. Unter großer Beteiligung der gesamten Bevölkerung sprach der
Redner über die Bedeutung des Volkstrauertages und erzielte mit seinen
Worten eine tiefgehende Wirkung".
|
Rabbiner
Dr. Ignaz Maybaum wechselt nach Frankfurt a.d. Oder (1928)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Wiesbaden und
Umgebung" vom 13. Januar 1928: "Rabbiner Dr. Ignaz Maybaum
nach Frankfurt a.d. Oder berufen. Frankfurt a.O. (J.T.A.) Das durch
den Fortgang des Herrn Rabbiners Dr. Grün nach Danzig erledigte Rabbinat
wird demnächst durch Berufung des Herr Rabbiners DR. Ignaz Maybaum aus
Bingen neu besetzt werden. Herr Dr. Ignaz Maybaum, ein Neffe des
berühmten Berliner Kanzelredners Dr. Sigmund Maybaum, ist ein Absolvent
der Hochschule für die Wissenschaft des
Judentums." |
Ausschreibung
der Rabbiner- und Kantor-/Lehrerstellen (1928)
Anzeige in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom
27. Januar 1928: "Die Israelitische Religionsgemeinde in Bingen am
Rhein sucht zum baldigen Eintritt:
1. einen Rabbiner
(liberaler und nicht zionistischer Richtung). Gehalt nach der seitherigen Gruppe
XI.
2. einen Kantor
und seminaristisch gebildeten Lehrer (nicht Zionist) für
Gottesdienst mit Orgelbegleitung. Bewerber muss befähigt sein, den
Synagogen-Chor zu leiten und Schofar zu blasen. Gehalt nach der seitherigen
Gruppe VII evtl. VIII.
Bewerbungen mit Lebenslauf und Zeugnisabschriften sind an unseren 1.
Vorsitzenden Herrn Julius Simon in Bingen am Rhein, Mainzer Straße, zu
richten." |
Klarstellung
zum Profil des gewünschten Rabbiners (1928)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom
17. Februar 1928: "Bingen. (Zur Klarstellung). In der Nummer 5
unserer Zeitung veröffentlichen wir unter der Überschrift 'Verfehlte
Anprangerung' Ausführungen zu der Rabbinerausschreibung der
Synagogen-Gemeinde Bingen. Wir beschäftigten uns insbesondere mit den
haltlosen Vorwürfen der Jüdischen Rundschau, die sich darüber
entrüsten zu müssen glaubte, dass die Synagogen-Gemeinde Bingen bei
ihrem Inserat ausdrücklich einen Rabbiner liberaler, nichtzionistischer
Gesinnung forderte. Wir brachten zum Ausdruck, dass es
selbstverständliches Recht jeder Synagogen-Gemeinde sein müsse, sich zu
ihrem geistlichen Führer eine Persönlichkeit mit den jüdischen
Anschauungen zu wählen, die mit der Mehrheit der Gemeindemitgliedern harmoniert.
Unsere Veröffentlichung hat uns einige Zuschriften eingetragen. In einigen
wird darauf hingewiesen, dass bereits vor vielen Jahren von einer
jüdischen Gemeinde eine Ausschreibung erfolgt ist, in der ausdrücklich
ein zionistischer Rabbiner verlangt worden ist, dass damals aber die
Rundschau sich in Stillschweigen gehüllt hat. Andere Zuschriften steilen
ein Rätselraten dar, was wohl mit der Schlussbemerkung unseres Artikels
gemeint sei, dass Bingen seit zwei Jahren einen zionistischen Rabbiner
gehabt hat, und mit dem Zusatz: 'Welche Erfahrungen mögen die Herren, die
vor zwei Jahren keine Bedenken trugen, einen zionistischen Rabbiner zu
wählen, inzwischen gemacht haben?!' Wir bemerken dazu, dass mit dieser
Äußerung keine persönliche Spitze gegen Rabbiner Dr. Maybaum, der
bisher in Bingen amtierte, verbunden sein sollte. Es sollte lediglich
gesagt sein, dass doch hier auf Grund der gemachten Erfahrungen, die z.B.
neben anderem auch in der Gemeindezusammensetzung gesucht werden können,
sich die frühere Wahl eines zionistischen Rabbiners als nichtopportun
herausgestellt hat." |
Rabbinat der orthodoxen Gemeinde
Nach dem Abschied von Rabbiner Dr. Sänger: Wahl von
Rabbiner Dr. Salomon Bamberger (1893)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Dezember 1893: "Mainz, 20. Dezember
(1893). Aus Bingen geht uns soeben die erfreuliche Nachricht zu, dass Herr
Dr. Salomon Bamberger aus Frankfurt am Main, Sohn des früheren
Frankfurter Dajans, Rabbi Seckel Bamberger – das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen – einstimmig zum Rabbiner
der Israelitischen Religionsgesellschaft daselbst erwählt wurde. Wir wünschen
der Gemeinde in Bingen von ganzem Herzen dazu Glück, dass es ihr gelungen
ist, einen in jeder Beziehung so würdigen Nachfolger für Herrn Rabbiner
Dr. Sänger zu finden. Dem jungen Herrn Rabbinen aber möge es vergönnt
sein, in gleich erfolgreicher Weise wie sein Herr Vorgänger zu wirken." |
Einführung von Rabbiner Dr. Salomon Bamberger als
Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft (1894)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Februar 1894: "Bingen, 13. Februar
(1894). Der vergangene Schabbat
Paraschat Teruma war ein Festtag von erhabenster Bedeutung für die
hiesige Religionsgesellschaft. Nach Herr Dr. Sänger einem ehrenvollen
Rufe der Mergentheimer Gemeinde gefolgt, war es von besonderer Wichtigkeit
für den erledigten Rabbinerposten einen Mann zu finden, der, ein echter Jehudi,
voll Begeisterung für die Ideale unserer
Heiligen Tora und zugleich auf der Höhe der Zeit und der Wissenschaft
stehend, ein Vorkämpfer für das orthodoxe Judentum, im Sinne seines Vorgängers
fortwirken werde. Einen solchen Mann zu gewinnen, waren wir unter Gottes
sichtbarem Beistande so glücklich, in der Wahl des Dr. Salomon Bamberger,
einem Enkel des berühmten Rabbi Baer Bamberger – das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen – und Schüler des Rabbiner
Dr. Hildesheimer – sein Licht leuchte -. Schon mit seiner Bewerbungsrede hatte er sich
die Herzen Aller im Sturme erobert. Am letzten Erew Schabbat erfolgte die Einführung in sein Amt. Mittags wurde
Herr Dr. Bamberger vom Vorstande am Bahnhofe abgeholt und in seine
blumenbekränzte Wohnung geführt. Hier wurde er von den Mitgliedern und
Schülern herzlich begrüßt, während ein Mädchen ihn mit einer
Ansprache in Versen willkommen hieß und ihm ein Bouquet überreichte. Die
Synagoge war festlich beflaggt und mit Kränzen geschmückt. Am Abend
wurde der Rabbine beim Eintritt durch ein dreistimmig gesungenes Baruch
Haba begrüßt. Nach dem Mincha-Gebete
und vor Lecha Dodi wurden
Psalmen 111 und 150 gesungen. Den Glanzpunkt des Festes bildete am Tage
die Antrittspredigt. Die hinreißende Beredsamkeit und die fesselnde Art
seines Vortrages übten einen mächtigen Eindruck auf alle Anwesenden. Wir
können uns nicht versagen, einen Teil seiner Rede in kurzen Zügen hier
folgen zu lassen.
‚Gesegnet der, der uns Leben
schenkt!’ Ein Dank war es, womit er seine Rede begann, ein Dank aus
innigstem Herzen dem, der ihn hat erreichen lassen das Ziel des Strebens,
das seine Jugend erfüllte. Aber wie unsere Weisen in der richtigen
Erkenntnis, dass nur in dem die Gesamtheit Beglückenden das wahre Glück
der Menschheit sei, einen besonderen Segensspruch für solche die
Gesamtheit betreffenden Freuden bestimmt, und als Ausdruck dieser Freude
den Einzelnen Gutes und das Gute
bewirkende sprechen lässt, das Gute für ihn und das Gute
bewirkende für die Nächsten – so danke er heute Gott, der ihm
Gutes erwiesen; möge er einst am Ende seines Wirkens, auf diesen Tag zurückblickend,
Ihm ebenso innig danken können als einer der für die Nächsten Gutes bewirkt hat. -
Dann zum Wochenabschnitte übergehend, entwickelte er, anknüpfend daran,
dass die göttliche Befehlserteilung an Mose nur von der Bundeslade
ausgehen sollte (2. Mose 25,22), sein Programm, aus dem wir wegen Mangel
an Raum leider nur den Grundgedanken wiedergeben können. Gemeinsames,
einträchtiges Streben im Dienste der Religion, Erkenntnis der Erhabenheit
und menschheitsumfassende Größe des Gotteswortes, seiner Ewigkeit und
Unveränderlichkeit, - diese Ziele wolle er nicht aus dem Auge verlieren.
Als seine bedeutendste Aufgabe betrachte er die Jugenderziehung… Zur tätigen,
friedlich-einmütigen Mithilfe an diesem Streben fordere er alle
Gemeindemitglieder auf, zur Unterstützung namentlich des
Schulunterrichtes, durch das religiöse anregende Beispiel im Kreise der
Familie.
Mit einem Gebete für die Gemeinde, Stadt und Staat, sowie für den
Landesvater schloss er diese herrliche, zündende Rede, die, wie von
Herzen kommend, so auch zum innersten Herzen dringend, alle voll edler
Begeisterung erfüllte. Möge es unserm Herrn Rabbiner vergönnt sein, zur
Verwirklichung der Ideale, die zu erstreben er heute an heiligster Stelle
feierlich gelobt, zum Segen unserer Gemeinde wie des gesamten Judentums
recht viele Jahre zu wirken. Amen." |
Einführung von Dr.
Moses Schlesinger als Rabbiner der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1896)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Juni 1896: "Bingen, 16. Juni
(1896). Großer Jubel und Freude herrscht heute bei den Mitgliedern der
hiesigen israelitischen Religionsgesellschaft. Unser neu erwählter
Rabbiner Herr Dr. Schlesinger ist heute mit Familie hier eingetroffen und
wurde am Bahnhofe von dem Vorstand der Gemeinde aufs Herzlichste
bewillkommt. Zu seinem Amtsantritt war in der festlich geschmückten
Synagoge feierlicher Abendgottesdienst, wozu sich die ganze Gemeinde, Groß
und Klein, eingefunden hatte. Begrüßt mit Baruch
Haba und Halleluja richtet alsdann im Auftrage des Vorstandes unser hoch
verehrtes Mitglied Herr W. Chotzen einige herzliche und treffende Begrüßungsworte
an Herrn Dr. Schlesinger, worauf derselbe in ebenso inniger zu Herzen
gehender Weise erwiderte.
Der gute Ruf, der Herrn Dr. Schlesinger in jeder Beziehung vorausgeht,
sowie sein Grundsatz ‚Wahrheit gegen Gott und Friede mit den Menschen’
berechtigt die israelitische Religionsgesellschaft, auch weiter
vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Gott
verleihe uns hierzu seinen Segen." |
Hinweis:
ein weiterer Bericht war anlässlich seines Wechsels nach Bingen in der
Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Mai 1896 S. 729-730
erschienen. |
Einführung von Rabbiner Dr. Neuwirth als Rabbiner der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1901)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Januar 1901: "Bingen am
Rhein, 31.
Dezember (1901). Am Sonntag, 15. Dezember, wurde hier unser neuer
Rabbiner, Herr Dr. Neuwirth, in feierlicher Weise in sein Amt eingeführt.
Nach einigen einleitenden Gesängen, die ein von Herrn Kantor Kowalski
eigens dazu einstudierter Kinderchor sang, folgte das Minchagebet und Entzünden
des Chanukkalichtes, das von unserem Kantor in würdiger Weise ausgeführt
wurde. Alsdann führte Herr A. Scheuer, als Vertreter des Vorstandes, den
neuen Herrn Rabbiner mit einer warmen Begrüßungsrede in sein Amt ein.
Dieser ergriff hierauf das Wort zu einer nach Form und Inhalt gleich
vollendeten Antrittspredigt über den Text: 4. Mose 16,22.
Ich muss es mir leider hier versagen, näher auf diese vortreffliche,
Gedanken tiefe Rede einzugehen. Aber sie zeigte aufs Neue, welch glänzende
Wahl unsere Religionsgesellschaft an Herrn Dr. Neuwirth gemacht hat. Möge
es ihm vergönnt sein, recht lange segensreich in ihrer Mitte und als ihr
Oberhaupt zu wirken. Nach der herrlichen Rede, die einen tiefen Eindruck
machte, folgten das Maariwgebet und noch einige Chorgesänge.
Am Abend fand eine Zusammenkunft im Saale des Herrn Scheuer statt,
woselbst verschiedene mit Tora gewürzte Vorträge, ernsten und heiteren
Inhaltes gehalten wurden. Der wunderschön verlaufene Abend legte Zeugnis
ab von dem Gemeinsinn und der schönen Harmonie, die in unserer
Religionsgesellschaft herrschen. Mögen ihr und dem neuen Rabbiner noch
viele freudige Tage beschieden sein." |
Zum
Tod von Trau Rosenfelder, Schwiegermutter von Rabbiner Dr. Neuwirth (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 25. Oktober 1912: "Bingen. Frau Rosenfelder,
Schwiegermutter unseres Rabbiners Dr. Neuwirth, ist verschieden.
Sie war ein Esches Chajil (wackere Frau) im besten Sinne des Wortes,
gewissenhaft fromm und mildtätig." |
Aus
der Geschichte der jüdischen Lehrer und der anderen Kultbeamten
Ausschreibungen der
Stelle des Vorbeters und Schochet / Kantors und Religionslehrers der Israelitischen Religionsgemeinde 1857 / 1863
(für die Feiertage) / 1880 / 1895
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27. Juli 1857: "In
der israelitischen Gemeinde Bingen am Rhein ist die Stelle des
Vorbeters, verbunden mit dem Amte des Schächters, vakant, welche jährlich
800 bis 900 Gulden abwirft. Reflektierende wollen sich portofrei wenden an
den
Vorstand der israelitischen Gemeinde Bingen." |
|
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. August 1863: "Vorbeter für
die Feiertage gesucht! Ein religiöser Mann, im Besitze einer angenehmen
Stimme und befähigt, an den hohen Feiertagen vorzubeten, wird für diese
zu engagieren gesucht und zwar für das Schacharit-Gebet an den beiden
Neujahrstagen und für Schacharit und Micha am Versöhnungstage. Honorar
30 bis 50 Gulden. Melden sind zu richtigen an den
Vorstand der
israelitischen Gemeinde zu Bingen am Rhein." |
|
Anzeige in
der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. November 1880: "Die
Stelle eines Vorsängers und Schächters ist in hiesiger israelitischer
Religionsgemeinde bis zum 1. Januar nächsthin neu zu besetzen. Fester
Gehalt Mark 1.800 nebst freier Wohnung. Musikalisch gebildete Bewerber
wollen sich unter portofreier Einsendung ihrer Zeugnisse binnen 4 Wochen
bei unterzeichnetem Vorstand melden, und erhalten diejenigen, welche über
eine schöne Tenorstimme verfügen, den Vorzug. Bingen am Rhein, 20.
Oktober 1880. Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde." |
|
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 19. Juli 1895: "In unserer Gemeinde ist die Stelle
eines
ersten Kantors und Religionslehrers
zum 1. Oktober dieses Jahres neu zu besetzen. Musikalisch gebildete, zur
Leitung des Gottesdienstes mit Orgel und Chor befähigte Bewerber wollen
sich schriftlich bei uns melden. Ledige haben den Vorzug. Gehalt 2000 Mark
nebst freier Wohnung. Reisekosten werden nur dem Gewählten
vergütet.
Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde
Bingen." |
Ausschreibungen
der Stelle des Religionslehrers, Kantors und Schochet der Israelitischen
Religionsgesellschaft 1887 / 1903 / 1908 / 1915 / 1920 / 1925
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Januar 1887: "Vakanz.
Die
israelitische Religionsgesellschaft Bingen sucht, da durch Verlobung ihres
Kantors nach Karlsruhe die Stelle frei wird, einen Schochet (Schächter)
und Chasan (Vorbeter), der perfekt im Porschen und musikalische Kenntnisse
besitzt. Bewerber wollen ihre Zeugnisse bis zum 15. Februar einsenden an
Theodor Dreydel." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. Juni 1903:
"Israelitische Religionsgesellschaft Bingen.
In unserer Gemeinde ist die Stelle eines Vorbeters, Schächters und
geprüften Religionshilfslehrers per 1. Oktober zu besetzen. Gehalt
und Nebeneinkommen, bei freier Wohnung, ca. 2.000 Mark. Ledige Bewerber,
welche die Autorisation von orthodoxen Rabbinern haben, wollen ihre
Meldungen nebst Zeugnisabschriften alsbald richten an den Vorstand
Joseph Meyer." |
|
Ausschreibung im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom
3. Juli 1903: "Bingen. Israelitische Religionsgesellschaft.
Vorbeter, Schächter, Religionslehrer p. 1. Oktober. Mark 2.000 Einkommen
und freie Wohnung." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. März 1908:
"Bingen am Rhein.
In unserer Gemeinde ist die Stelle eines
Religionslehrers, Kantors und Schochet sofort zu
besetzen.
Fixes Gehalt bei freier Wohnung Mark 900 und 6-800 Mark Nebeneinkommen.
Streng religiöse, seminaristisch gebildete, unverheiratete Bewerber
wollen ihre Meldungen richten an den Vorstand der israelitischen
Religionsgesellschaft
Josef Meyer." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Februar 1915:
"Bingen am Rhein. Die hiesige Religionsgesellschaft sucht zum
1. April dieses Jahres einen ledigen Lehrer, Chasan
(Vorbeter) und Schochet, der die Autorisation von orthodoxen
Rabbinern besitzt. Einkommen bei freier Wohnung ca. 15-1600
Mark.
Meldungen mit Zeugnisabschriften an den Vorstand A. Scheuer." |
|
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Januar 1920: "Israelitische
Religionsgesellschaft Bingen am Rhein. Die Stelle eines Kantors, Lehrers
und Schächters ist in unserer Gemeinde neu zu besetzen. Gehalt Mark 3.600
bei freier Wohnung und Nebeneinkommen. Bewerbungen sind zu richten an
Herrn Julius Kann, Bingen am Rhein." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. August 1925:
"Die Stelle als Kantor, Religionslehrer und Schochet ist bei
uns zu besetzen. Wohnung ist vorhanden. Besoldung nach Gruppe 7. Jüngere
verheiratete Bewerber mit seminaristischer Bildung wollen ihr Angebot mit
Lebenslauf und Zeugnisabschrift richten an den Vorstand der
Israelitischen Religions-Gesellschaft Bingen am Rhein. zu Händen
Julius Kann." |
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 22. Juni 1894:
Artikel ist noch nicht ausgeschrieben - zum Lesen bitte Textabbildungen
anklicken. |
|
Anzeige
der Frau von Kantor Kowalski (1898)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. September 1898:
"Für meinen kleinen, streng-religiösen Haushalt, ein braves,
tüchtiges Mädchen, bei familiärer Behandlung, sofort gesucht.
Offerten mit Gehaltsansprüchen an
Frau Kantor Kowalski, Bingen am
Rhein." |
Kantor Friedmann wird Kantor in Magdeburg (1910)
Mitteilung
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Juni 1910:
"Herr Kantor Friedmann in Bingen ist zum Kantor der
Synagogengemeinde in Magdeburg gewählt
worden." |
Berichte
aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben
Der
neue Friedhof der Stadt heißt auf Einspruch der jüdischen Gemeinde
"Städtischer Friedhof" und nicht "Christlicher Friedhof"
(1912)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 23. Februar 1912: "Bingen, 16. Februar (1912). Gegen die
seinerzeit in dem Entwurf der neuen städtischen Friedhofs- und
Begräbnisordnung durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung dem neu
errichteten hiesigen Friedhof gegebene Benennung 'Christlicher Friedhof'
hatte damals der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde Bingen in
einer Eingabe an das Ministerium Widerspruch erhoben und beantragt, die
ursprüngliche Bezeichnung 'Städtischer Friedhof' wieder in das Statut
einzusetzen. Diesem Antrag hat das Ministerium nunmehr stattgegeben und
der hiesigen Stadtverwaltung aufgegeben, den neuen Friedhof mit
'Städtischer Friedhof' zu bezeichnen". |
Unterstützung
für das Rote Kreuz zu Kriegsbeginn (1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. September 1914: "Die israelitische
Männerkrankenverein in Bingen am Rhein hat dem Roten Kreuz die Summe
von 500 Mark zur Verfügung gestellt". |
Die jüdischen Frauenvereine bekommen Besuch aus Frankfurt
(1916)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 14. Juli
1916: "Frankfurter Berichte. Ortsgruppe des Jüdischen Frauen-Bundes.
Die Ortsgruppe entsandte am 25. Juni eine Vertreterin und Bundesmitglied
nach Bingen, um die dortigen jüdischen Frauenvereine auf die Ziele
und Zwecke der Organisation und auf den Vorteil des Anschlusses an diese
sowohl für die Arbeit als auch für die Vereine selbst aufmerksam zu
machen.
In Bingen besteht außer den beiden dort ständig wirkenden
jüdischen Frauenvereinen, die sich vornehmlich der Familienfürsorge
widmen, zur Zeit noch eine jüdische Kriegsfürsorge.
Die Besprechung mit den Vorständen ergab ein schönes Bild für das
verständnisvolle Interesse und die Liebe, mit der die dortigen Damen bei
der Sache sind: Die Vorstände stellten nach stattgehabter Besprechung mit
der Delegierten den Beitritt ihrer Vereine in Aussicht und baten um eine
Rednerin, die demnächst in Bingen in größerem Kreise über die
Fürsorgearbeit im allgemeinen sprechen solle." |
Vortragsabend
der Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum (1926)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 12. Februar 1926: "Bingen am Rhein (Ortsgruppe der
Vereinigung für das liberale Judentum). Samstag, 18. Februar 1926, abends
8 1/2 Uhr, im Gemeindesaal, Vortrag des Herrn Lehrer Loewy, Bingen, über:
Der Unterricht im Hebräischen nach den pädagogischen Forderungen der
Gegenwart." |
Meldungen zu einzelnen Personen der Gemeinde
Zum Tod von Henriette Levi, Ehefrau des
Vorstehers Mayer Levi (1870)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Dezember 1870: "Bingen. Es liegt uns
die traurige Pflicht ob, den Tod einer heimgegangenen musterhaften
Glaubensschwester zu registrieren. Dienstag, 29. November, standen wir
trauernd an dem Sarge der dahingeschiedenen Frau Henriette Levi, Ehefrau
des Vorstehers Herrn Mayer Levi. Ihr Leben war ein Leben des Glaubens und
der Religion, strenge befolgte sie alle Religionsgesetze, und unerschütterlich
treu lebte sie den Sitten und Gebräuchen der Religion. Voll warmer
Menschenliebe, war ihr kein Opfer zu groß, wo es galt, wohl zu tun; ihr
frommes, wohltätiges Herz war das Asyl der Armen, wo sie ihre Klage
niederlegten. Mit Recht darf ihr der Name: ‚Mutter der Armen’ gegeben
werden.
Ihre Seele sei eingebunden in den
Bund des Lebens.
Der Todesfall erregte nicht nur hier, sondern auch in
der ganzen Umgegend die wärmste Teilnahme. Am Grabe sprach zuerst Herr
Lebrecht von hier, er schilderte in beredten Worten die vielen Tugenden
dieser edlen Frau. Nach ihm ergriff Herr Moses Mannheimer aus Worms das
Wort, hielt eine ergreifende Leichenrede, die dem allgemeinen Schmerze den
richtigen Ausdruck gab." |
Zum Tod von Jonas
Lob
(Firma Gebrüder Lob in Bingen, 1872)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. März
1872: "Mainz, 28. Februar (1872). Wir kommen soeben von
einer traurigen Reise zurück: Jonas Lob (Firma Gebrüder Lob in Bingen)
ist nicht mehr. Gott hat ihn zu sich genommen. Überall, wo man den edlen
Dahingeschiedenen kannte (und das ist so ziemlich in ganz Deutschland und
Holland), wird diese Schmerzenskunde Trauer hervorrufen. Einer der
edelsten, frömmsten, brävsten Männer ist mit dem Verblichenen von
hinnen gegangen.
Jonas Lob - er ruhe in Frieden -, der älteste der in weitesten
Kreisen rühmlichst bekannten Gebrüder Lob aus Bingen, war einer in
Israel hervorragendsten Familie entsprossen. Einer seiner Vorfahren
väterlicherseits war der berühmte Kur-Kölnische Landrabbiner Rabbi Juda
Löb Mehler - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -, der in
Deutz bei Köln seinen Wohnsitz hatte; seine Mutter war eine Enkelin des
nicht minder berühmte Mainzer Oberrabbiners Rabbi Herz Scheuer - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen -. Er selbst war ein
Lieblingsschüler des sehr bedeutenden Binger Rabbinen Rabbi Nathan
Ellinger - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -, unter
dessen Leitung er sich große talmudische Kenntnisse erworben
hatte.
Welch ein edler Mensch der Dahingeschiedene gewesen, wie groß und innig
seine Frömmigkeit war, welch' einen guten Namen er bei Allen
hinterlassen, die ihn kannten, das entzieht sich jeder Beschreibung. Oft
monatelang auf Reisen, war er stets im höchsten Grade genau im
Einhalten der religiösen Gebote und ertrug lieber die größten
Entbehrungen, ehe er etwas genossen hätte, über dessen streng jüdische
Herrichtung auch nur der geringste Zweifel obwaltete. In des Wortes
wörtlichster Bedeutung waren die Armen stets seine Hausgenossen, wie
überhaupt seine Wohltätigkeit keine Grenzen kannte. Als Vorsteher seiner
Gemeinde (Bingen) suchte er in dieser den altjüdischen Geist mit
Aufbietung aller Kräfte zu erhalten, und als ihm das bei Wiederbesetzung
der vakanten Rabbinerstelle nicht gelingen wollte, zog er es vor, nach
Frankfurt am Main überzusiedeln. Schon krank, wae es ihm nur wenige
Monate vergönnt, dort zu wohnen. Was er am meisten in dieser Zeit
beklagte, war, dass die Armen seine Adresse noch nicht kannten, und dass
es ihm in Frankfurt nicht vergönnt war, wie ehedem in Bingen, persönlich
Gaben auszuteilen und die Bedürftigen an seinem Tische zu
speisen.
Montag, den 26. Februar, gegen Abend erlag er seinen langwierigen und
schmerzlichen Leiden im noch nicht vollendeten 56. Lebensjahre. EIn nicht
endenwollender Trauerzug folgte seiner Leiche. Am Eingange des Friedhofes
hielt Herr Rabbiner Hirsch - sein Licht leuchte - eine ebenso
ergreifende wie erhebende Trauerrede. Nachher sprach der Herausgeber
dieser Blätter und widmete dem geliebten Freunde und nahen Verwandten
einige Worte.
Möge der Allgütige - er sei gepriesen - die trauernde Witwe, die
vaterlosen Waisen sowie alle um diesen großen Verlust Schmerzerfüllten
trösten unter denen, so um Zion und Jerusalem trauern. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Nathan Kahn (1886)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Februar 1886: "Bingen, 27.
Schewat. Ein schwerer Verlust hat die hiesige Gemeinde betroffen! Ein
Edler und Frommer ist unserer Religionsgesellschaft durch den Tod
entrissen worden; ein Verlust gleich schwer für unsere Gemeinde, wie
unersetzlich für die vom tiefsten Schmerz gebeugte Familie, ein Verlust,
der auch ganz besonders die Armen und Unglücklichen schwer betroffen
hat.
Herr Nathan Kahn ist nach nur viertägigem Krankenlager heimgegangen. Mit
einer seltenen Gottergebenheit bereitete er sich, sobald er das Lager
aufsichte, auf seinen Hinübergang vor, mit vollen Bewusstsein und frommer
ruhe die Seinen, die in liebender Sorge sein Lager umstanden, selbst
vorbereitend und tröstend. Wenn er aus dem kurzen, unruhevollen
Schlummer, der seinem ewigen Schlafe voranging, erwachte, zitierte er die
herrlichste jüdischen Sätze, noch kurz vor seinem Heimgang lispelte er
‚nicht sterbe ich, sondern ich lebe’ und öfter das ‚öffnet mir die
Tore der Gerechtigkeit’. Wahrlich, er starb wie ein Frommer, der seine
Pflichten voll und ganz erfüllt hat und der die dunkle Durchgangspforte
des Todes nicht fürchtet. Mit ihm ist einer der immer seltener werdenden,
echten, alten Chasanim (Vorbeter), der einen immensen Schatz alter
Melodien besaß, dazu ein bis in sein hohes Alter – er wurde 73 Jahre
alt – ungeschwächtes herrliches Organ, dahingegangen. Am Dienstagmittag
wurde seine irdische Hülle unter außerordentlicher Beteiligung zur Ruhe
geleitet. Auf dem Friedhofe der israelitischen Religionsgesellschaft hielt
Herr Rabbiner Dr. Sänger einen Nachruf an den Heimgegangenen, mit dem ihn
die Bande der Freundschaft eng verbunden hatten. Anknüpfend an den dieswöchentlichen
Wochenabschnitt Teruma und an
die Funktion des Verblichenen als Schaliach
Zibur rühmte er die Lebensweise desselben, wie der Hingegangene,
obgleich der Tempel Israels zerstört sei, dennoch den Beruf wählte,
welcher am besten seinem Priesterberuf entsprach, er wurde Schaliach
Zibur, ein Vermittler zwischen Gott und der Gemeinde. Wie der Hohe
Priester am höchsten Tage des Jahres seinen Schmuck abgelegt und in
Linnen gekleidet das Allerheiligste betrat, so sei auch dieser Kohen
in diesem Gewande vor Gott getreten, um Fürbitte für sich, seine Familie
und seine Gemeinde einzulegen, die gewiss Erhörung finden würde, da der
edle Tote eine solche Fülle von Tugenden besaß, wie sie nur den Besten
eigen sein können. In herrlicher Redeweise schilderte Herr Dr. Sänger
mit vor Rührung erstickter Stimme, wie der Dahingegangene in seinem
vielseitigen Wirken, gleich groß, als Jehudi, Mensch, Familienvater, Bürger,
ebenso als Verwandter wie als Freund sich bewährt habe. Es sei geradezu
wunderbar gewesen, wie unendlich viel Gutes er den Armen und Bedrängten
erwiesen, als ob er unerschöpfliche Schätze besessen hätte. Hungrige
fanden die freundlichste Aufnahme an seinem Tische, er hatte ständige
arme Kunden ohne Unterschied der Konfession; gar Vielen brachte er seine
Liebesgaben ins Haus, aufs Sorgfältigste dabei bedacht, dass ja niemand
von seinem Wohl tun erfahre und mancher Mund dessen, der von ihm Gutes
genossen, würde nun seinen Heimgang beklagen. Auf ihn lässt sich der
Satz anwenden: ‚Deine Priester kleiden sich in Liebestun.’ Der Redner
schloss, dass sicherlich auf den Ver- |
blichenen
die Worte des letzten Wochenabschnittes Anwendung finden: ‚Siehe, ich
sende meinen Engel vor Dir her, Dich zu behüten auf Deinem Wege und Dich
zu bringen an den Ort, den ich bereitet habe." Möge die ausgezeichnete
Liebe und Verehrung, die dem Dahingegangenen aus allen Schichten der Bevölkerung
entgegengebracht wurde, möge sein guter Ruf, der weit über die Grenzen
des Landes hinausging, der trauernden Familie zum Troste in ihrem
gerechten Schmerze werden!" |
Zum Tod von Sara Kahn (1886)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Mai 1886: "Bingen, 26.
Nissan. Kaum sind zehn Wochen seit dem Tode des unvergesslichen Nathan
Kahn seligen Andenkens verflossen und schon wieder hat der Tod ein edles
Glied aus dessen Familie herausgerissen. Frau Sara Kahn, Gattin des Herrn
Julius Kahn II. ist nach langem, schweren Leiden Erew
Schabbat weChol Hamoed im 38. Lebensjahre ihrem Vater in die Ewigkeit
nachgefolgt. Ein taten- und segensreiches Leben schloss hier nur allzu früh
ab. Der Fleiß ihrer Hände schuf die herrlichsten Kunstwerke und
Stickereien, die hauptsächlich zur Zierde der Gotteshäuser dienten.
Vielen Synagogen und vielen Torarollen Europas und Amerika verlieh ihre
Geschicklichkeit die köstlichsten Zierden. Die große Zahl ihrer Kunstschöpfungen,
deren Mannigfaltigkeit und Gediegenheit geradezu Staunen erregend sind,
legt ein beredtes Zeugnis von ihrem bewundernswürdigen Fleiß ab. Ihre
eminente Geschicklichkeit fand auch auf den Weltausstellungen der letzten
zwei Jahrzehnte volle Würdigung und wurde durch Preismedaille und
Ehrendiplome, darunter ein solcher von der allerhöchsten Hand des
deutschen Kronprinzen gefertigtes mehrfach ausgezeichnet. Und wir ihr
frommer Sinn zu religiösen Kunstwerken neigte, zu denen ihr Vater stets
den Impuls gab, so bezeugte die so früh Dahingeschiedene auch in ihrem häuslichen
Wirken einen frommen milden Sinn, der wohltuend und veredelnd auf ihre
Umgebung wirkte. Als sie vor einem Jahre sich einer gefahrvollen
Halsoperation unterziehen musste, die von dem berühmtesten Chirurgen der
Gegenwart ausgeführt wurde, war dieser von der engelhaften Geduld und
Sanftmut der Kranken so ergriffen, dass er eines Tages bewundernd ausrief:
‚Frau Kahn ist die Verkörperung des ewig Weiblichen.’ Dieselbe Geduld
und Gottergebenheit bewahrte sie auf ihrem langen Krankenlager, auf dem
sie die größten Schmerzen mit erhabener Seelengröße ertrug. Fünf unmündige
Kinder, der trostlose Gatte, Geschwister und Verwandte weinten hinter dem
Sarge, der die teure Hülle barg, während die hoch betagte Mutter, die in
so jäher Folge Gatten und Tochter verlor, schmerzgebeugt im Gebete Trost
suchte.
Wenn eine große Teilnahme auch fern stehender Leute als Maßstab der
genossenen Achtung und Liebe gelten kann, so hat die Verblichene beides in
hohem Grade besessen, denn seit Jahren ist in Bingen der Leiche einer Frau
kein solcher Trauerzug gefolgt wie der ihren; aus allen Nachbarstädten
und Nachbargemeinden waren die zahlreichen Freunde der Familie, darunter
aus Bingerbrück eine große Zahl von Beamten erschienen, um sich an dem
großartigen Kondukt zu beteiligen.
Möge der himmlische Vater der schwer geprüften Familie, die ein solches
Kleinod verlor, besonders der greisen Mutter und dem gebeugten Gatten ein
milder Tröster sein! Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Dr.
Sigmund Feist wurde zum Reallehrer in Bingen ernannt (1890)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 27. Juni 1890: "Herr Dr. Sigmund Feist, bisher
am Mainzer Gymnasium tätig, ist vom hessischen Ministerium zum
Reallehrer in Bingen am Rhein ernannt worden. Es ist dies der erste
Fall, dass ein Israelit in Hessen ein Amt an einer höheren Schule erhält
und ein Beweis für die Liberalität und das Entgegenkommen der hessischen
Regierung gegenüber unseren
Glaubensgenossen." |
50-jähriges
Promotionsjubiläum von Dr. Isaak Ebertsheim (1891)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 27. März 1891: "Der praktische Arzt und ärztliche Vorsteher am
Krankenhause zu Bingen, Herr Dr. Isaak Ebertsheim,
hochgeachtet und geehrt von seinen Mitbürgern, feierte am 14. dieses
Monats im Alter von 72 Jahren den Tag, an welchem er vor fünfzig Jahren
von der Universität Gießen zum Doktor der Medizin promoviert
wurde." |
Zum Tod von Sigmund Simon und seiner Enkelin (1897)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. November 1897: "Bingen, 2. November
(1897). Von einem sehr schweren Unglücksfalle wurden in der vergangenen
Sonntagnacht die hiesigen Familien Sigmund Simon und Albert Gottscho
betroffen. In Abwesenheit seiner momentan auf Reisen befindlichen Söhne,
wohnte der 79jöhrige Herr Simon bei seiner Tochter, Frau Gottscho,
woselbst er mit seinem Enkelchen, einem schönen 5jährigen Kinde, in
einem Zimmer schließ. Als Sonntagmorgens zur gewohnten Zeit weder Großvater
noch Enkel etwas hören ließen, begab man sich in deren Zimmer und fand
beide, das Kind vor dem Bette auf dem Boden liegend, entseelt vor. In
Folge ausströmender Kohlengase aus einem im Zimmer befindlichen so
genannten amerikanischen Ofen, waren beide erstickt. Sogleich angestellte
Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Die Teilnahme an dem herben
Verluste ist eine allgemeine und herzliche und war dementsprechend auch
die Teilnahme an der heute stattfindenden Beerdigung eine äußerst
zahlreiche, sowohl von Juden als Nichtjuden. Auch unsere hiesige
Religionsgesellschaft hat durch den Tod des Herrn Simon nicht allein ein
ehrenwertes Mitglied, sondern auch ihren langjährigen geachtete Präses
zu betrauern. Seine Hingabe für unsere Sache, sein Wirken und Streben für
das Gedeihen unserer Gemeinde, bewahren ihm ein ehrenvolles Andenken bei
allen unseren Mitgliedern. Dies brachte am Grabe in beredten und
ergreifenden ‚Worten unser verehrter Rabbiner, Herr Dr. Schlesinger –
sein Licht leuchte – zum Ausdruck. Ebenso widmete das Vorstandsmitglied
Herr Hermann Lebrecht dem Verblichenen Worte des Dankes und der
Anerkennung." |
81.
Geburtstag von Dr. med. Isaak Ebertsheim und Verleihung des Ehrenbürgerrechtes
(1899)
Anmerkung: Weitere Informationen und Fotos unter http://www.juedisches-bingen.de/47.0.html
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 13. Januar 1899: "In Bingen feierte am 31. vorigen Monats Dr.
med. Ebertsheim (nicht: Ebersheim) seinen 81. Geburtstag unter
allgemeiner Teilnahme der Bevölkerung. Bei diesem Anlasse wurde ihm in
Anerkennung seines Wirkens als Hospitalarzt das Ehrenbürgerrecht
verliehen, eine Auszeichnung, die seit 1861 nicht verliehen worden ist.
Auch die beiden israelitischen Krankenvereine und viele Freunde des
allgemein beliebten Arztes widmeten demselben ansehnliche
Geschenke". |
Zum Tod von M. A. Joseph, Mitbegründer der
Israelitischen Religionsgesellschaft und langjähriger Vorsteher
(1900)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. Oktober 1900: "Bingen am
Rhein,
27. September. Ein schwerer Verlust hat die hiesige Religionsgesellschaft
betroffen. Am Sabbat Nizowim wurde uns durch den Tod Herr M. A. Joseph im
72. Lebensjahre entrissen. Der Verstorbene war Mitbegründer der hiesigen
Religionsgesellschaft und hat seit ihrem Bestehen 25 Jahre hindurch als
Vorsteher an ihrer Spitze gestanden. Er hat während dieser langen Zeit
sich mit Aufopferung und Tatkraft bis in die letzten Stunden seiner langen
Leidenszeit den Interessen der Gemeinde gewidmet, sodass man von ihm mit
Recht sagen kann, dass er sich in
großer Treue um die öffentlichen Bedürfnisse gekümmert hat. Er war
ein Mann von seltener Herzensgüte und echt religiöser Gesinnung, ja noch
auf dem Krankenlager unterließ er es nicht – wie ich selbst zu
beobachten Gelegenheit hatte – die rituellen Vorschriften streng zu
beobachten. Dabei war er der zärtlichste Gatte, der liebevollste Vater.
Die zahlreiche Beteiligung an dem imposanten Leichenbegängnis, das am
Sonntag stattfand, zeigte die große Beliebtheit und Achtung, deren sich
der Verstorbene bei Juden und Nichtjuden erfreute. Am Gabe hielt Seine
Ehrwürden Herr Rabbiner Dr. Bondi – Mainz eine ergreifende Rede, in der
er das uneigennützige langjährige Wirken des Verstorbenen im Dienste der
heiligen Sache pries und ihn als Muster und leuchtendes Vorbild für die
Jugend aufstellte. Auch Herr Dr. Schirling, hier, widmete als Vertreter
des Vorstandes und der Gemeinde seinem entschlafenen Kollegen einen rief
empfundenen Nachruf. Der mit Recht ob eines so herben Verlustes tief
trauernden Familie rufen wir aber zu: ‚Gott tröste euch inmitten der
Trauernden um Zion und Jerusalem’ M. Kowalski, Kantor". |
Zum Tod des Arztes Dr. Isaak Ebertsheim (1901)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Februar 1901: "Bingen am
Rhein, 14.
Februar (1901). Am Freitag ist einer der angesehensten jüdischen Bürger,
der allgemein beliebte und verehrte Arzt, Herr Dr. J. Ebertsheim, der ein
Alter von 82 Jahren erreicht hatte, von einem sehr zahlreichen
Trauergefolge zur letzten Ruhe geleitet worden. Er hat in seiner
Vaterstadt mehr als ein halbes Jahrhundert seinen edlen Beruf ausgeübt
und sich dabei nicht nur als tüchtiger Arzt, sondern auch als Freund und
Berater zahlreicher Familien, und besonders als Wohltäter der Armen
bewiesen. Im Kriege 1870-71 fiel im die ehrenvolle und schwere Aufgabe zu,
das Lazarett für Schwerkranke zu dirigieren. Auch um das Binger
Gemeindehospital, das er Jahre lang leitete, hat er sich große Verdienst
erworben. Die Stadt Bingen ehrte ihn zu seinem Geburtstage durch die
Verleihung des Ehrenbürgerbriefes.
Die zahlreiche Beteiligung am Leichenzuge, an dem die Spitzen der Behörden,
die Vertreter der verschiedenen Vereine, denen der Verstorbene nahe
gestanden hatte, und viele Bürger ohne Unterschied der Konfession
teilnahmen, legte Zeugnis ab von der hohen und allseitigen Verehrung,
deren sich der Verewigte erfreute.
Herr Rabbiner Dr. Grünfeld hielt am Grabe eine ergreifende Rede und auch
der Bürgermeister, sowie die Vertreter der verschiedenen Vereine,
widmeten den hohen Verdiensten des Verstorbenen warme Worte der
Anerkennung und legten Kränze an dem Grabe nieder. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von A.
Woog, Mitbegründer der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1902)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Mai 1902: "Frankfurt am Main, 5.
Mai (1902). Einen schweren Verlust hat die jüdische Einwohnerschaft in
Bingen erlitten. Die Gattin des Herrn A. Woog, Mitbegründer der
israelitischen Religionsgesellschaft, hat in der Frühe des Rüsttages zum
heiligen Sabbat ihre edle Seele ausgehaucht. Sie hatte sich vor einigen
Monaten nach Frankfurt am Main begeben, um hier in der Pflege ihrer
Tochter zu genesen. Aber der Himmel hatte es anders beschlossen. Trotz
aller Sorgfalt und Zärtlichkeit, mit welcher sie umgeben wurde, erlag sie
ihrem schweren Leiden. Sie ragte durch ihre rastlose, aufopfernde Tätigkeit
im Dienste der Wohltätigkeit, sowohl der materiellen, als auch der persönlichen,
hervor. Ihren Gatten unterstützte sie in seinem eifrigen Bemühen für
Tora und Gottesdienst mit allen ihren Kräften, sodass ihr Haus als
Vorbild eines echt jüdischen Heims in der hübschen Rheinstadt galt.
Zahlreiche Gemeindemitglieder aus Bingen hatten sich in Frankfurt
eingefunden, um der würdigen Verschiedenen die letzte Ehre zu erweisen,
darunter auch der verehrte Herr Rabbiner Dr. Neuwirth. Von einer Würdigung
ihrer Verdienste am offenen Grabe musste abgesehen werden, weil man sich
im Monat Nissan befand. Möge der Allmächtige den Hinterbliebenen seinen
Trost senden." |
Akzessist Simon in Bingen wird zum Oberlehrer an der Realschule Bingen ernannt
(1903)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Januar 1903:
"Worms, 19. Januar (1903). Der Beschluss der II. Kammer der
hessischen Landstände, dass auch der Justizminister bei Besetzung von
Richterstellen Juden nicht mehr ausschließe, hat insofern einen
günstigen Erfolg gehabt, dass nunmehr der Gerichts-Akzessist Dr. Max May
von hier (Worms) in Gießen zum Rechtsanwalt ernannt worden ist. - Nachdem
im vorigen Jahre ein jüdisches Akzessist zum Oberlehrer im Gymnasium zu
Offenbach ernannt worden ist, wurde auch in den jüngsten Tagen Akzessist
Simon in Bingen zum Oberlehrer an der Realschule daselbst ernannt. - Die
hiesige israelitische Gemeinde (sc. Worms) hat von Herrn Salomon Lieb in New York,
einem geborenen Wormser, 25.000 Mark für eine Stiftung bekommen, deren
Zinsen zu wohltätigen und gemeinnützigen Zwecken verwendet werden
sollen." |
Zum Tod von Bertha Landsberg geb. Kahn (1903)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. November 1903: "Bingen am
Rhein,
10. November (1903). Am vergangenen Freitagvormittag, den 6. dieses
Monats, schloss hier ein seltenes
Frauenleben unerwartet schnell ab. Mit Frau Bertha Landsberg geborene
Kahn, wurde eine der immer seltener werdenden jüdischen Frauen zu Grabe
getragen, welche mit inniger, religiöser Überzeugung die aus dem
Elternhause überkommenen Traditionen pflegte, wie auch die schöngeistigen
Gepflogenheiten, die dort eine Heimstätte hatten. Sie las deutsche, französische
und englische Klassiker mit tiefstem Verständnis und schrieb auch in
allen genannten Sprachen mit wahrhaft klassischem Stil. Manche Rede, wie
auch manches heitere und ernste Gedicht, das unter fremder Flagge in die
Welt segelte, waren ihrer Feder entflossen. Bibel, Psalmen, Propheten
beherrschte sie, von einem wunderbaren Gedächtnis unterstützt ebenso
sicher, wie die Werke der berühmten Schriftstellen. Bei strittigen
Zitaten galt sie als unfehlbare Kompetenz und ihr sprühender Witz und
ihre Schlagfertigkeit waren weithin sprichwörtlich. Zwischen ihrem
reichen Wissen und religiösen Empfinden bestand kein Zwiespalt, vielmehr
vollendete Harmonie. Mit diesen glänzenden Geistesgaben verband sie alle
weiblichen Tugenden einer echten Jüdin, und nichts lag ihr ferner, als
durch ihre glänzenden Gaben zu brillieren. Durch ihren Heimgang hat der
betagte Gatte, die hinterbliebenen Schwestern und der Bruder, Dr. Arthur
Kahn, einen schweren Verlust erlitten, und mit ihnen beweinen zahlreiche
Freunde, Verwandte und Armen ein edles, seltenes Weib. Möge sie in
Frieden ruhen. Ihre Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod des aus Bingen stammenden und
nach Chicago ausgewanderten Adolph Loeb (1906)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. November
1906: "Aus Chicago wird der Tod von Adolph Loeb - geboren 1839 in Bingen
(Deutschland) - eines der angesehensten Mitglieder der dortigen Judenheit,
gemeldet. Er war u.a. einer der Gründer und Präsident der 'Jewish
Agriculturist's Aid Society of America' und Präsident der 'Russian Aid
Society'. |
Zur Beisetzung von Isaak Simon und seiner Frau (1908)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. April 1908: "Bingen,
21. März (1908). Eine ergreifende Doppelbeerdigung fand heute auf dem
Binger israelitischen Friedhofe statt, nämlich die des 87-jährigen
Rentners Isaak Simon und die seiner 24 Stunden nach ihm verstorbenen
84-jährigen Ehefrau. Letztere wusste bei ihrem Hinscheiden noch nichts
von dem Tode ihres Mannes." |
Zur Beisetzung des Präsidenten der Israelitischen Religionsgesellschaft Wilhelm
Kann (1908)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 26. Oktober
1908: "Bingen, 22. Oktober (1908). Ein unübersehbarer Zug -
wohl an 1.000 Menschen, Juden und Christen - gab gestern dem im Alter von
60 Jahren verschiedenen Präsidenten der hiesigen Israelitischen Religionsgesellschaft;
Herrn Wilhelm Kann die letzte Ehre. In Wilhelm Kann, diesem pflichtgetreuen,
bescheidenen Mann, hat die Israelitische Religionsgesellschaft eine
Persönlichkeit verloren, deren Verlust für sie schwer zu ersetzen sein
wird." |
Julius
Landau wird stellvertretender Vorsitzender der Handelskammer (1911)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 27. Januar 1911: "Bingen. Julius Landau wurde zum
stellvertretenden Vorsitzenden der Handelskammer
gewählt." |
Bankier und Vorsteher der jüdischen Gemeinde Julius Landau wird Kommerzienrat (1911)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 1. Dezember
1911: "Bingen, Bankier Julius Landau, Präsident der
jüdischen Gemeinde, erhielt den Charakter als
Kommerzienrat." |
Über den Polizeiwachtmeister und
früheren Kultusbeamten Max Wolf (1923)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Juni 1923: "Bingen,
1. Juni (1923). Der in Bingen als Polizeiwachtmeister tätig gewesene
frühere Kultusbeamte Max Wolf, wurde vor kurzem von der französischen
Behörde festgenommen und nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe aus dem
besetzten Gebiet ausgewiesen. Wolf ist ein äußerst aufrechter Mann gut
deutscher Gesinnung und hat daraus nie ein Hehl gemacht, was er, ein
Sechzigjähriger, mit Ausweisung und 30 Tagen Gefängnis zu büßen hatte.
Er hat sich nach Hirschhorn begeben, um sich dort von der erlittenen Pein
zu erholen." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige von David Mayer in Gaulsheim (1868)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Juni 1868: "Ein
Mädchen aus anständiger Familie, welches in allen weiblichen Arbeiten
erfahren ist und auch als Erzieherin der Kinder bestehen kann, sucht eine
Stelle, zur Stütze der Hausfrau oder zur Leitung des Hauswesens, jedoch
nur in einer frommen Haushaltung. Nähere Auskunft erteilt David Mayer
in Gaulsheim bei Bingen." |
Anzeige
des Manufakturwaren-Geschäftes S. Ullmann (1872)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. April 1872: "In
dem Manufakturwaren-Geschäfte en gros & en détail des
Unterzeichneten findet ein mit den nötigen Vorkenntnissen versehener
junger Mann eine Stelle als Lehrling offen. Eintritt kann sofort erfolgen.
Kost und Wohnung gegen entsprechende Vergütung im Hause. Samstag und
Feiertage geschlossen.
S. Ullmann in Bingen am Rhein." |
Anzeigen
des Eisengeschäftes F. Wohlgemuth (Bingerbrück und Bingen, 1891) /
der Weinhandlung und Cognacbrennerei F. Wohlgemuth (Bingerbrück, 1905)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Mai 1891: "Lehrlings-Gesuch.
Ein kräftiger Junge kann das Eisengeschäft erlernen. Samstags und
Feiertage geschlossen.
F. Wohlgemuth, Bingerbrück. Filiale: Bingen." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. April 1903: "F.
Wohlgemuth, Bingerbrück am Rhein.
Weinhandlung und Cognacbrennerei empfiehlt selbstgebrannten Trester
koscher al Pesach
in halben und ganzen Krügen." |
Anzeige für "Palästina-Wein"
von Fa. Schirling & Cie. (1901)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. März
1901: "Palästina-Wein.
Goldene Medaille höchste Auszeichnung. Eingeführt im Institut Pasteur,
Paris. Weltausstellung Paris 1900.
Herber, kräftiger Rotwein per Liter und Flasche von 80 Pfennig an.
Palästina-Portwein per Liter und Flasche von Mark 1.85 an.
Koscher al Pessach. Wiederverkäufer erhalten hohen Rabatt. Schirling
& Cie., Bingen, Rhein.
Referenzen der Herren Rabbiner Dr. Neuwirth, Bingen, Dr. Horovitz,
Frankfurt am Main." |
Anzeige
der Schreibwarenhandlung Emil Epstein (1901)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. September 1901:
"Lehrmädchen oder angehende Verkäuferin per 1. Oktober
gesucht. Kost und Logis im Hause.
Emil Epstein, Schreibwarenhandlung, Bingen am
Rhein." |
Versteigerung
von koscheren Weinen (1902)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. November 1902:
"Versteigerung von koscher Weinen in Bingen am Rhein.
Mittwoch, den 10. Dezember 1902, vormittags 11 1/2 Uhr lassen die Erben
der verlebten Frau Julie Woog geb. Hitz dahier, im Saale des Hotel zum
'Englischen Hof' in Bingen nachverzeichnete Weine, größtenteils eigenes
Wachstum und streng koscher abteilungshalber versteigern. ...
Probetage am 2. und 3. Dezember im Hause Mainzerstraße 13, sowie
am Versteigerungstage von morgens 9 Uhr ab im Versteigerungslokale. Bingen,
den 18. November 1902. Der Großherzogliche Notar: Dr. Weiffenbach".
|
Anzeige
der Weinhandlung N. Rothschild (1903)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 9. April 1903: "Die Weinhandlung von N. Rothschild
Bingen am Rhein, Schlossbergstraße 1 - Brüssel, Rue Leopold 21
-
empfiehlt ihre selbstgekelterten Weiß- und Rotweine, sämtliche
ausländische Weine, sowie garantiert reinen selbstgebrannten Cognac
per Flasche mit *4, **5, ***6 Mark. Wiederverkäufer entsprechend
Rabatt.
Koscher zu Pessach - Koscher zu Pessach."
|
Anzeige der Restauration
Moses Wolf (1903)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. Oktober
1903: "Bingen am Rhein - Schmittstrasse 66.
Zur Abhaltung von Hochzeiten empfiehlt sich bestens Restauration Moses
Wolf.
Streng koscher - Billige und gute Bedienung." |
Anzeige für das Hotel-Restaurant "Deutsches
Haus" (1921)
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Februar 1921: "Neues
Hotel-Restaurant in Bingen am Rhein. Das dicht am Rheine gelegen Hotel
‚Deutsches Haus’ mit großem Vorgarten, Speisesaal, Nebenräumen und
30 Fremdenzimmern mit Veranden und Aussicht auf den Rhein ist von jüdischer
gemeinnütziger Gesellschaft in ein erstklassiges jüdischer
Hotel-Restaurant umgewandelt worden.
Es untersteht dem Hamburger Verband und empfiehlt sich Reisenden,
Gesellschaften, Vereinen und Familien
zum Aufenthalt. Beste rituelle Verpflegung und Veranstaltung von
Vereins- und Familienfestlichkeiten jeder Art. Der Geschäftsführer:
Julius Bier. Referenz:
Herr Rabbiner Dr. Neuwirth, Bingen am Rhein." |
Geburtsanzeige
eines Sohnes von Adolf Rosenstock und Selma geb. Fink (1928)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. August 1928: "Gott
sei gepriesen.
Die Geburt eines gesunden Knaben zeigen in dankbarer Freude an
Adolf Rosenstock und Frau Selma geb. Fink.
Bingen am Rhein, 30. Juli 1928. Rochusstraße 3." |
Sonstiges
Zum Pensionat der Geschwister
Sobernheim (1874-1901)
Anmerkung: Unter Leitung der Tochter von Rabbiner Dr. Sobernheim -
Emma Sobernheim - bestand von 1874 bis 1901 mit sehr gutem Erfolg eine Mädchen-Erziehungs-Anstalt
(Töchter-Pensionat) in Bingen, bis dieses 1901 nach Wiesbaden verlegt
wurde:
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. Mai 1874: "Pensionat
Sobernheim, Bingen am Rhein.
Fräulein Sobernheim aus Bingen, Tochter des
verewigten trefflichen Rabbiners daselbst, hat soeben in ihrer, für
diesen Zweck so herrlich gelegenen Vaterstadt, eine höhere
Erziehungs-Anstalt für Töchter aus gebildeten Ständen gegründet. Ich
kenne Fräulein Sobernheim seit vielen Jahren als vorzügliche, in allen
Schulfächern und in fremden Sprachen wohl bewanderte Lehrerin, wie auch
als einen, in jeder Pflichterfüllung treu bewährten Charakter und kann
daher ihre Anstalt allen Eltern aufs Beste und Wärmste empfehlen.
Frankfurt am Main, im April 1874. Rabbiner Dr. Leopold Stein.
Auf Vorstehendes bezugnehmend, empfehlen wir unsere Mädchen-Erziehungs-Anstalt
einer geneigten Beachtung. Die tüchtigsten Lehrkräfte, die wir für
unser Institut gewonnen, sowie unsere eigenen Erfahrungen auf dem Gebiete
des Unterrichtes und der Erziehung, eine in dem schönsten Teile der Stadt
gelegene, gesunde Wohnung und ein gemütliches Familienleben vereinigen
sich in unserer Anstalt, um den uns anzuvertrauenden Zöglingen ein körperliches
und geistiges Gedeihen in reichem Maße zuteil werden zu lassen.
Auskunft über die Leistungsfähigkeit unserer Anstalt erteilen gerne die
Herren Dr. Leopold Stein in Frankfurt am Main, Dr. Ludwig Philippson in
Bonn, Dr. Süsskind in Wiesbaden, Dr. Landsberger in Darmstadt, Dr.
Rothschild in Alzey, Ben Israel in Koblenz, M. Lebrecht in Bingen am
Rhein. Das Sommersemester beginnt am 18. Mai dieses Jahres und wolle man
gefällige Anmeldungen richten an Geschwister Sobernheim, Bingen am Rhein." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Februar 1902: "Wiesbaden,
10. Februar (1902). Das seit fast 30 Jahren in Bingen am Rhein bestehende
Töchter-Pensionat von Geschwister Sobernheim ist vor einigen Monaten
hierher nach Wiesbaden verlegt worden. Wir hatten kürzlich Gelegenheit,
die neu erbauten, schönen Räume dieses Pensionats in Augenschein zu
nehmen, die vor allem jedweden hygienischen Ansprüchen entsprachen,
sowohl was Wohn- und Schlafräume, wie auch Speise- und Schulzimmer
anlangt. Das Haus ist in einem neuen komfortabeln Stadtviertel gelegen,
von allen Seiten frei, mit großen Gärten, Veranda und Lauben, die auch
den Aufenthalt in freier Luft bei schlechtem Wetter ermöglichen.
Erziehung und Unterricht sollen nach den alten Prinzipien, die das
Pensionat auch früher weithin bekannt machte, weiter geleitet werden. Die
Leitung ist eine streng rituelle. Nach allem glauben wir, dass das Töchter-Pensionat
hier eine große Zukunft hat, umso mehr, als hier in Wiesbaden doch mehr
Anregung in Kunst und Wissenschaft geboten wird und die Verlegung nach
Wiesbaden einem Bedürfnisse entsprach." |
Zum
Tod von Emma Sobernheim, Vorsteherin des Pensionates der Geschwister Sobernheim
(1899)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 27. Januar 1899: "In Bingen verschied am 18. dieses Monats
die Vorsteherin des bekannten israelitischen Pensionats von Geschwister
Sobernheim, Fräulein Emma Sobernheim, im 51. Lebensjahre. Dieselbe
war die älteste Tochter des angesehenen, 1869 verstorbenen Rabbiners
Dr. Sobernheim. Die Dahingeschiedene sowohl wie das von ihr geleitete
Institut erfreute sich hoher Wertschätzung, wovon die große Beteiligung
an dem Leichenbegängnis Zeugnis ablegte. Rabbiner Dr. Grünfeld
hielt die Leichenrede." |
Kennkarten
aus der NS-Zeit |
|
Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
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Kennkarten
zu Personen,
die in Bingen geboren sind |
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KK (Mainz 1939) für Jakob
Eis
(geb. 20. Dezember 1877 in Bingen), Küfer
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KK (Mainz 1939) für August
Landau
(geb. 3. Februar 1865 in Bingen)
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KK (Mainz 1939) für Erich
Scheyer (geb. 4. Jul 1908 in Bingen),
wohnhaft in Mainz, am 25. März 1942 deportiert ab Mainz -
Darmstadt in das Ghetto Piaski, umgekommen |
Grabstein
für Emilie Pfeiffer geb. Herz in Gurs
Grabstein im Friedhof des ehemaligen Internierungslagers Gurs
für
Emilie Pfeiffer geb. Herz,
geb. am 4. April 1862 in Bingen, später wohnhaft in Mannheim,
am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert, wo sie am 4. Januar 1942
umgekommen ist. |
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