Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Bretzenheim mit Finthen und Gonsenheim (Stadt Mainz)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Aus dem jüdischen Gemeindeleben   
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen     
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  
bulletLinks und Literatur   

     

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)          
    
In Bretzenheim bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 16./18. Jahrhunderts zurück. Erstmals werden 1517 und 1580 Juden am Ort genannt, die sich hier vermutlich nach der Austreibung der Juden aus den Städten niederlassen konnten. Auch im 17. Jahrhundert waren Juden am Ort. 

Eine erste Blütezeit der Gemeinde scheint es im 18. Jahrhundert gegeben zu haben, als 1742 immerhin neun jüdische Familien gezählt wurden. In der Zeit des 18. Jahrhunderts mussten die in Bretzenheim lebenden Familien wie andernorts auch besondere Abgaben zahlen: in Bretzenheim war es u.a. das Neujahrsgeld für den Ortspfarrer oder die Bezahlung eines silbernen Bechers zum Amtsantritt einer neu erwählten Äbtissin des Klosters Dalheim. Ende des 18. Jahrhunderts verzogen die meisten jüdischen Einwohner im Zusammenhang mit den kriegerischen Unruhen nach Mainz, sodass Anfang des 19. Jahrhunderts (1801/02) nur noch drei jüdische Familien mit zusammen 15 Personen gezählt wurden. In Mainz hielten die Bretzenheimer Familien untereinander zusammen: 1810 hatten 31 ehemalige Bretzenheimer Juden den "Dritten Israelitischen Krankenpflege-Verein e.V. Chewra von Bretzenheim" ("Bretzenheimer Kippe") gegründet. Diese "Kippe" stand in den folgenden Jahrzehnten der orthodox geprägten Israelitischen Religionsgemeinschaft in Mainz nahe (1910 konnte die "Bretzenheimer Kippe" ihr 100jähriges Bestehen feiern, siehe Bericht unten). 

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1808 41 Personen in zehn Familien, 1836 65 jüdische Einwohner, 1861 Höchstzahl von 84 (4,6 % von insgesamt 1.820 Einwohnern, in 16 Familien), 1871 77, 1880 55 (2,1 % von 2.612), 1900 44 (1,1 % von 3.810), 1905 44, 1910 42 (0,8 % von 5.133).  Durch die Abwanderung - insbesondere nach Mainz - ist die Zahl der jüdischen Einwohner seit den 1860er-Jahren zurückgegangen.
  
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (siehe Ausschreibungen der Stelle unten von 1859 und 1870). Als die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder und der schulpflichtigen Kinder zurückging, wurde der Unterricht durch auswärtige Lehrer übernommen.
  
Die in Finthen lebenden jüdischen Personen hatten keine Einrichtungen und bildeten mit Bretzenheim eine Gemeinde ("Jüdische Gemeinde Bretzenheim-Finthen"). Die jüdischen Familien lebten in beiden Orten vom Viehhandel, waren aber auch als Kaufleute, Metzger tätig. 

Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: der Gefreite Bernhard Lorch (geb. 12.12.1896, gef. 3.9.1918), Sally Wolf (geb. 25.1.1890 in Bretzenheim, gef. 4.12.1916), Arthur Zacharias (geb. 18.11.1896 in Bretzenheim, gef. 15.4.1918), Berthold Zacharias (geb. 29.7.1892 in Bretzenheim, gef. 6.6.1916), Ludwig Wendel (). Der bei Arnsberg genannte Otto Schweig stammt aus Bretzenheim (Nahe). 

Um 1925, als noch 60 Gemeindeglieder zur jüdischen Gemeinde Bretzenheim-Finthen gehörten (1 % der Gesamteinwohnerschaft von etwa 6.000), waren Mitglieder des Gemeindevorstandes: Ludwig Koch, Willi Wolf, Leopold Grau und als Rechner Jakob Moses. Den Religionsunterricht der schulpflichtigen jüdischen Kinder erteilten Lehrer L. Kahn (Hechtsheim) und Lehrer D. Lorge (Mainz). Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Mainz. 1932 waren die Gemeindevorsteher Leopold Grau (1.), Bernhard Zacharias (2.) und B. Marx (3.). In Bretzenheim lebten noch 27 der Gemeindeglieder, in Finthen 14. Im Schuljahr 1932/33 war nur noch ein schulpflichtiges jüdisches Kind zu unterrichten. 
       
Nach 1933 konnten noch mehrere der jüdischen Einwohner emigrieren (vier Familien in die USA), andere verzogen in verschiedene Städte in Deutschland. 1942 wurden die noch am Ort lebenden jüdischen Einwohner deportiert. 
  
Von den in Bretzenheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Mathilde Fischer geb. Marx (1880), Albert Gerson (1883), Jenni Grau (1890), Johanna Grau geb. Lorch (1864), Margot Günther (1921), Norbert Günther (1923), Eduard Hirsch (1881), Simon Hirsch (1876), Julius Koch (1876), Albert Lorch (1863), Emil Lorch (1863), Moritz Marx (1872), Johanna Thalheimer geb. Marx (1867), Bernhard Zacharias (1889), Selma Zacharias geb. Grünwald (1888). 
Hinweise: es kann in den angegebenen Listen in einzelnen Fällen zu Verwechslungen mit Bretzenheim (Kreis Bad Kreuznach) kommen. 
Bei der Einarbeitung der Kennkarten (siehe unten) fiel auf, dass mehrere der genannten Personen, die nach den Kennkarten in Bretzenheim geboren sind, im Gedenkbuch mit Geburtsort "Mainz" eingetragen sind.
   
Von den in Finthen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Josef Grau (1862), Richard Grau (1897), Simon Grau (1873), Elise Henlein geb. Simon (1873), Max Henlein (1880), Leopold Kahn (1868), Johanna Kaufmann geb. Marx (1862), Käthe Klein geb. Grau (1899), Johanna Lukas geb. Grau (1860), Ella Marx (1903), Leopold Marx (1899), Amalie Schüller geb. Marx (1864), Eva Vogel geb. Marx (1860), Betty Winterfeld geb. Marx (1901)
     
     
     
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
  
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1859 / 1870

Bretzenheim AZJ 07031859.jpg (39316 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. März 1859: "In Bretzenheim (für Brotzenheim) ist die Vorbeter-, Lehrer- und Schächterstelle mit einem Einkommen von 300 Gulden vakant. Bewerber mögen innerhalb vier Wochen ihre Meldungen frankiert dem unterzeichneten Rabbinate einsehenden. Das Großherzogliche Kreisrabbinat Mainz." 
  
Bretzenheim Israelit 19011870.jpg (31648 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Januar 1870: "In der israelitischen Gemeinde zu Bretzenheim bei Mainz ist die Stelle eines Religionslehrers, Vorsängers und Schochet vakant. Fixer Gehalt 250 Gulden, Nebenakzidenzien circa 100 Gulden. Bewerber (jedoch nur ledige) wollen ihre Zeugnisse einsenden an den Vorstand."

   
   
Aus dem jüdischen Gemeindeleben  
1810 wird von jüdischen Männern aus Bretzenheim der 3. Israelitische Krankenpflegeverein in Mainz gegründet ("Bretzenheimer Kippe") 

Bretzenheim AZJ 06011911.jpg (225440 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Januar 1911: "Mainz, 29. Dezember (1911). Am 15. Kislew (16. Dezember 1910; der 15. Kislew hundert Jahre zuvor war am 12. Dezember 1810) waren hundert Jahre verflossen, dass eine Anzahl wackerer Männer den Dritten Israelitischen Krankenpflegeverein ins Leben gerufen haben. Es waren Männer aus dem nahen Vorort Bretzenheim, die kurz vorher in unsere Stadt gezogen waren, und aus diesem Grunde enthält die Festschrift, die der Verein jetzt herausgegeben hat, auch einen Rückblick auf die Geschichte der Juden in Bretzenheim. Nach einer Notiz aus dem Jahre 1517 empfing bereits in früheren Jahrhunderten der Erzpriester, wenn er das Sendgericht zu Bretzenheim abhielt, von jedem Juden einen Goldgulden. 1784 erhielten die Juden vom Kurfürsten das Recht, liegende Güter zu erwerben. Die Schrift enthält eine Fülle hierauf bezüglichen interessanten Materials, es würde uns aber zu weit führen, wollten wir auch nur kurz auf den Inhalt näher eingehen. Die Schrift hat Herrn Oskar Lehmann zum Verfasser, der seit einer längeren Reihe von Jahren in diesem Verein allsabbatlich mit großem Beifall aufgenommene religiöse Vorträge hält. Auch die Geschichte des Vereins selbst, die in der Festschrift niedergelegt ist, ist insofern für weitere Kreise bemerkenswert, als sie kurze Biographien der früheren Vereinsrabbiner mitteilt. Ein Festgottesdienst bildete die würdige Einleitung der Feier. Nach Absingung von Choralgesängen und der Rezitierung von Psalmen, gedachte man der Gründer in einem Haskarat Neschamoth-Gebete, worauf Herr Lehmann folgende Ansprache hielt: Abraham wunderte sich - führte er aus - dass er zu 100 Jahren noch einen Sohn erhalten sollte, so wunderte sich auch mancher, dass dieser alte Verein noch existiere, aber gerade in seinem Alter liegen die Wurzeln seiner Kraft, wie überhaupt in dem Alter der jüdischen Vereine der Stolz des Judentums liege. Denn lange, bevor man in nichtjüdischen Kreisen an Krankenversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Invaliditätsversicherung dachte, ist dieser Gedanke in jüdischen kreisen in die Wirklichkeit umgesetzt worden, auch hier ist der jüdische Geist der Kultur der übrigen Welt vorausgeeilt. Isaak erntete das Hundertfache und verteilte es an hundert Stadttoren, so auch der Mainzer Verein: was er in 100 Jahren einnahm, verteilte er an 100 Türen der Armen. Wechselgesang einiger Psalmen und Choralgesang schlossen diese Feier, bei der die Rabbinate und Vorstände der beiden Mainzer Gemeinden vertreten waren. Ein Festessen, das am folgenden Tage stattfand, verlief in animiertester Stimmung; es wurden viele geistreiche Worte gesprochen und anerkennende Schreiben der staatlichen und städtischen Behörden verlesen. Auch die jüdischen Schwesternvereine, Logen usw. sandten herzliche Glückwunschschreiben."   

    
    
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen 
Frau Wendel wirbt für ihre Stickereien (Paroches = Toraschreinvorhang und Mäntelchen = Mäntel für Torarollen)

Bretzenheim Israelit 25081904.jpg (37565 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. August 1904: 
"Frau Ludwig Wendel, 
Bretzenheim bei Mainz,
Grabenstraße, 
empfiehlt sich zur Anfertigung aller Art Stickereien auch jüdisch wie Paroches, Mäntelchen etc. zu billigen Preisen".

       

Kennkarten aus der NS-Zeit            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarten zu Personen, 
die in Bretzenheim geboren sind
 
 Bretzenheim KK MZ Hirsch Eduard.jpg (89960 Byte)  Bretzenheim KK MZ Koch Julius.jpg (94722 Byte)  Bretzenheim KK MZ Lorch Albert.jpg (89465 Byte)
   KK (Mainz 1939) für Eduard Hirsch (geb. 
14. September 1881 in Bretzenheim), Kaufmann,
 wohnhaft in Mainz, am 30. September 1942 
deportiert ab Darmstadt vermutlich nach 
Treblinka, umgekommen  
 KK (Mainz 1939) für Julius Koch (geb. 
21. August 1876 in Bretzenheim), wohnhaft 
in Worms und Mainz, 1942 deportiert in das
 Vernichtungslager Auschwitz, ermordet 
am 14. September 1943  
KK (Main 1939) für Albert Lorch (geb. 
19. Juli 1863 in Bretzenheim), Weinhändler, 
wohnhaft in Mainz, am 27. September 1942 
deportiert ab Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt,
 wo er am 6. Januar 1943 umgekommen ist   
       
Bretzenheim KK MZ Lorch Emil.jpg (93864 Byte) Bretzenheim KK MZ Marx Moritz.jpg (101575 Byte) Bretzenheim KK MZ Wendel Bernhard.jpg (97744 Byte) Bretzenheim KK MZ Zacharias Bernhard.jpg (100477 Byte)
KK (Mainz 1939) für Emil Lorch (geb. 19. Januar 
1863 in Bretzenheim), wohnhaft in Mainz; am 
27. September 1942 deportiert ab Darmstadt in 
das Ghetto Theresienstadt, wo er am 
8. Dezember 1942 umgekommen ist  
   
  KK (Mannheim 1939) für Moritz Marx (geb.
 26. Dezember 1872 in Bretzenheim), Kaufmann,
 wohnhaft in Bretzenheim und Mannheim, am 
22. Oktober 1940 deportiert in das Internierungslager
 Gurs, später Rivesalter, Nexon und Noé,
 umgekommen am 24. September 1942 in Saint-Dié. 
 KK (Mainz 1939) für 
Bernhard Benno Wendel 
(geb. 6. Oktober 1908 in Bretzenheim), 
kfm. Angestellter  
  
   
 KK (Mainz 1939) für Bernhard Zacharias 
(geb. 15. November 1879 in Bretzenheim,
 am 25. März 1942 deportiert ab 
Mainz - Darmstadt in das Ghetto Piaski,
 umgekommen    
  

      
      
      
Zur Geschichte des Betsaal/der Synagoge             
     
Eine Synagoge beziehungsweise ein Betsaal soll bereits im 16. Jahrhundert, genauer 1580 in Bretzenheim vorhanden gewesen sein (Angabe bei Arnsberg s. Lit. S. 93). Nachdem Mitte des 18. Jahrhundert neun jüdische Familien gezählt (1742) wurden, haben diese einen Betsaal eingerichtet: Dazu stellte der jüdische Viehhändler Sandter Lorch 1738 der Gemeinde für 20 Jahre ein Haus als "Schul" (d.h. als Synagoge) zur Verfügung. Bereits damals kamen auch die in Finthen und Mombach lebenden jüdischen Personen zum Gottesdienst nach Bretzenheim. 1784 beschloss die jüdische Gemeinde den Bau einer Synagoge. Ende März 1785 wurde ein Grundstück an der Ecke Wilhelmstraße/Oberpforte erworben. Drei Jahre später konnte am 27. Juni 1788 die Einweihung der Synagoge gefeiert werden. Die "Privilegierte Mainzer Zeitung" berichtete am 1. Juli 1788 über die Prozession mit den drei Torarollen durch den Ort zur Synagoge:   
     
"Die zu Bretzenheim bei hiesiger Stadt von der dahiesigen Judengemeinde mit gnädigster Erlaubnis neuerbaute Synagoge wurde verflossenen Freitag mit viel Feierlichkeit geöffnet; die Zeremonien dabei verrichtete wegen Krankheitsumständen des Oberlandesrabbiners, der Unterrabbiner Herz David Scheuer, ein Sohn des verstorbenen Rabbiners. Um 3 Uhr Nachmittags versammelten sich sämtlich einheimischen Juden sowohl, als einige hundert umliegende Fremde, und holten die drei in einem Haus gestandene geschriebene Tora unter einem reichen Verdeck, dann das ausgeziert vorgetragene auf Hebräisch und Deutsch geschriebene Gebet für Seine Kurfürstl. Gnaden und des Herrn Koadjuktor Erzbischöfl. Gnaden, wie auch den Schlüssel zu der Synagoge, fast durch den ganzen Ort, unter einem angestimmten Lobgesang von dem hiesigen Vorsänger unter Zustimmung der Instrumentalmusik, ab, und als vor der Türe der Synagoge anlangten, wurde des 122. Psalm abgesungen, sodann ging der Zug in die neue Synagoge hinein". 
      
In den Kriegsjahren 1794/95 wurde die Synagoge - wie viele Häuser in Bretzenheim - zerstört, die Ruine wurde 1795 abgebrochen. 1802 wird das Grundstück als "öder Platz" bezeichnet. In den folgenden Jahren fand der Gottesdienst wieder in einem Privathaus statt. Erst nach 1811 konnte auf den Fundamenten des zerstörten Gotteshauses wieder eine neue Synagoge erstellt werden. Das Jahr der Einweihung ist nicht bekannt (vor 1821).  
     
Im August 1838 stand ein besonderes Ereignis an. In der Bretzenheimer Synagoge wurde eine neue Torarolle eingeweiht. Mit einer großen Prozession wurde die Torarolle durch das Dorf getragen und schließlich in den Toraschrein eingelegt. Zahlreiche Gäste waren aus der jüdischen Gemeinde Mainz nach Bretzenheim gekommen, um jedoch weniger die Einbringung der neuen Tora zu erleben als vielmehr die zu diesem Anlass angekündigte deutsche Predigt des jungen Theologen Dr. Kahn, ein damals unter den jüdischen Gemeinden noch aufsehenerregendes Ereignis. Die "Allgemeine Zeitung des Judentums" berichtete in Ihrer Ausgabe vom 4. September 1838: 

Bretzenheim AZJ 04091838.jpg (219604 Byte)Mainz, 13. August. Ein israelitisch-religiöses Fest (besser ein israelitisches Volksfest) wurde dieser Tage in Bretzenheim bei Mainz gefeiert, welches in einiger Beziehung eine Erwähnung verdient. Es wurde eine neu geschriebene Tora eingeweiht, bekanntlich bei den Bewohnern des platten Landes eine Veranlassung zu festlicher Ausgelassenheit. Letztere zog die zahlreichen Festgäste aus Mainz - zu ihrer Ehre sei's gesagt - nicht an, sondern man ging hin, um die Reden des jungen jüdischen Theologen Dr. Kahn zu hören, der bei dieser Gelegenheit zum ersten Male als Kanzelredner sich produzieren sollte. Eine deutsche Predigt in einem jüdischen Gotteshause ist bei uns leider! noch eine Seltenheit. Wenn Ihnen das ein Rätsel ist, so trösten Sie sich damit, dass es mir nicht weniger unbegreiflich ist. Die Seelenzahl unserer israelitischen Gemeinde (sc. Mainz) beläuft sich auf 2.000, darunter eine Anzahl hochgebildeter jüdischer Bürger, dabei eine reiche und für das Bessere empfängliche Gemeinde, eine Regierung, die die Aufklärung aufrichtig will, eine heitere, loyale, freisinnige Umgebung. Und dennoch keine deutsche Predigt, dennoch kein gebildeter Seelenhirte!! Ich werde Ihnen die Gründe ein andermal anführen, da sie heute außerhalb dem Bereiche meines Berichtes liegen. Ich komme zu Herrn Dr. Kahns Predigt zurück. Derselbe redete zwei Mal zu dem zahlreichen Publikum, einmal am Vorabende des Feste, in dem Lokale, wo die herrlich geschmückte, neue Tora stand, und dann am Feste in der Synagoge. Beide Reden waren wohl gewählt, dem Gegenstande sehr angemessen, und inhaltsschwer, und Herr Dr. Kahn hat sich dadurch de Verständigen als einen gebildeten, kenntnisreichen und hoffnungsvollen jungen Mann dokumentiert. Mit Text und Abfassung der Predigt, in der eine gesunde Logik und eine tiefe Kenntnis der Bedürfnisse und Wünsche des heutigen Judentums hervorleuchteten, verschone ich Sie; es genüge, wenn ich Sie versichere, dass des jungen Mannes Worte einen mächtigen Eindruck auf Christen und Juden zurückließen und dass er seinen Beruf als Kanzelredner glänzend bewährte. Auch der hiesige greise Rabbine sprach in öffentlicher Synagoge, deutsch so gut es ging, aber was er sprach war wohlgemeint und beherzigenswert. Dieser alte Rabbine ist ein ehrenwerter Mann, tolerant sogar, und vor allen Dingen brav und rechtlich. Wir würden ihm aber dreifach lobende Prädikate beilegen, wenn er die Hand dazu böte, dass jeden Samstag, oder wenigstens alle vierzehn Tage von einem gebildeten Theologen eine deutsche Predigt vor der zahlreichen Gemeinde gehalten würde. Aber ich glaube nicht, dass er das je tun wird. - Was nun das Fest selbst betrifft, so könnte ich Ihnen erzählen, dass die neue Tora prozessionsmäßig durch das Dorf getragen wurde, dass den Zug eine zahlreiche, festlich gekleidete Menge begleitete, dass von der israelitischen Schuljugend unter Leitung des geschickten Vorsängers Lehmeyer, deutsche Choräle gesungen wurden, dass Zug und Anordnung würdig, selbst musterhaft waren; ferner könnte ich Ihnen erzählen, dass nach dem religiösen Teile des Festes tüchtig geschmaust und getanzt wurde, und dass man fröhlich war nach Herzenslust. Allein alles dieses mag ich hier nicht ausführen, und nur auf Eins will ich mich beschränken. Die Kosten dieser ganzen festlichen Veranstaltung, mit Inbegriff des Honorars für das Schreiben der neuen Tora, trugen einige wenige junge Männer und Mädchen, die sämtlich unvermögend sind, und die bereits drei Jahre lang für dieses Fest wöchentlich vier Kreuzer von ihrem Ersparnis zurücklegten.  

Die Bretzenheimer Synagoge bestand über 120 Jahre, in denen sie mehrfach renoviert und modernisiert wurde. 1912 wurde die Anzahl der Sitzplätze von 34 auf über 50 erhöht, an jeder Seite standen fünf bis sechs Bänke; die Frauen saßen in langen Sitzreihen.   
     
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge durch Nationalsozialisten geschändet, die Inneneinrichtung zertrümmert, die Torarollen auf der Wilhelmstraße verbrannt. Das Gebäude selbst wurde wegen Brandgefahr für die umliegenden Gebäude nicht angezündet. Im März 1939 wurde das Anwesen für 1.500 Mark an eine Privatperson verkauft, von dieser 1942 an den Inhaber der benachbarten Gaststätte weiterverkauft. Bei einem Luftangriff wurde das Gebäude wenig später durch eine Luftmine schwer beschädigt und 1946 abgebrochen. Im Zuge des Restitutionsverfahrens wurde vom Eigentümer des Grundstückes eine weitere Entschädigungszahlung in Höhe von 1.500 DM geleistet. 
  
In den 1960er-Jahren wurde das Grundstück neu bebaut. Dabei wurden auch die Fundamente der ehemaligen Synagoge beseitigt. Eine Gedenktafel am Wohnhaus erinnert an die Synagoge.   
   
   
Adresse/Standort der SynagogeEcke Wilhelmstraße/Oberpforte (früher Eingang Friedrichstraße)  
  
  
Fotos / Darstellungen:   
(Fotos: Michael Ohmsen, September 2011; Link zur Fotoseite zu Mainz von M. Ohmsen

Bretzenheim Synagoge 052.jpg (74390 Byte) Bretzenheim Synagoge 050.jpg (93412 Byte) Bretzenheim Synagoge 051.jpg (79365 Byte)
Blick auf das neu bebaute Synagogengrundstück mit einem Gedenkstein und der Inschrift: "Hier stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bretzenheim. Sie wurde 1788 erbaut und 1795 in den Napoleonischen Kriegen Zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte um 1820. Nationalsozialisten und Sympathisanten beschädigten die Synagoge in der Pogromnacht am 9.11.1938. Der völlig Abriss erfolgte kurz danach."  

         
         
        

Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   

September 2009: "Stolpersteine" - auch für Bretzenheim geplant 
Aus einem Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 11. September 2009 (Artikel nur teilweise zitiert):   
"Stolpersteine" bald auch in Bretzenheim - 
(ok). Die in Mainz vielerorts installierten "Stolpersteine", die an die jüdischen Opfer der NS-Gewalt erinnern sollen, wird es nach dem Willen der Verwaltung wohl auch bald in Bretzenheim geben. Die CDU hatte zuvor einen entsprechenden Antrag im Ortsbeirat formuliert. "Eine Zusammenstellung von NS-Opfern speziell für Bretzenheim existiert im Archiv allerdings nicht", heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung. Recherchen dazu könne der Bretzenheimer Verein für Heimatgeschichte betreiben, so der Vorschlag...
Der weitere Inhalt des Artikels bezieht sich auf andere im Ortsbeirat besprochene Themen. 
  
September/Oktober 2018: "Stolpersteine" werden auch in Gonsenheim verlegt 
Artikel von Petra Jung in der "Allgemeinen Zeitung" vom 23. August 2018: "Stolpersteine: Gedenken an NS-Opfer wie in Stein gemeißelt.
Die Stolpersteinverlegung ist das Ergebnis der Ausstellung 'Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung'.
GONSENHEIM - 'Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung' lautet der Titel der Wanderausstellung, die seit August letzten Jahres durch den Stadtteil 'tourt' und auf große Resonanz stößt. Und die nun auch für eine über die Ausstellung hinaus bleibende Erinnerung sorgt: Der Kölner Künstler Gunter Demnig wird auch in Gonsenheim Stolpersteine verlegen. Kooperationspartner sind neben dem Verein 'GonsKultur' das Institut für Geschichtliche Landeskunde (IGL) an der Universität und der Verein für Sozialgeschichte Mainz e. V. Die Ausstellung hatten zudem auch der Ortsbeirat, die Kirchengemeinden sowie der Heimat- und Geschichtsverein unterstützt. Ein Stolperstein kostet 120 Euro. Ein Teil der Gonsenheimer Stolpersteine ist bereits finanziert, für die weiteren Steine sowie für die Erstellung eines Ausstellungskataloges werden noch Sponsoren gesucht.
Gymnasiasten des OSG begleiten das Projekt. Die Verlegung der Stolpersteine in Gonsenheim ist auf den 25. Oktober terminiert. Ab 9 Uhr an diesem Tag wird Demnig in der Friedrich- und in der Jahnstraße insgesamt sieben Steine verlegen, die an das Schicksal von sieben ehemaligen jüdischen Nachbarn erinnern werden. 'Die Stolpersteine werden dort verlegt, wo der letzte frei gewählte Wohnsitz der deportierten und ermordeten oder emigrierten Juden war', sagt Helmut Hochgesand, der die Ausstellung einst mitinitiiert hatte. Vorbereitet und aktiv mitgestaltet wird die Verlegung von Schülern des Otto-Schott-Gymnasiums (OSG), die sich seit Beginn des neuen Schuljahres intensiv mit der jüdischen Geschichte Gonsenheims auseinandersetzen. 'Es ist einfach toll, wie die Schule sich dieses Themas annimmt und es intensiv begleitet', sagt Carolin Schäfer, Assistenz der Geschäftsführung des IGL. Auch die Kuratoren der Wanderausstellung des IGL, die derzeit bis zur Verlegung der Stolpersteine im Oktober im Foyer des OSG gezeigt wird, unterstützten dieses Unterfangen. Am Vorabend der Stolpersteinverlegung (Mittwoch, 24. Oktober) lädt das IGL gemeinsam mit den anderen Kooperationspartnern und dem OSG zu einem Informations- und Vortragsabend in die Mensa des OSG ein, bei dem neben einem Vortrag des Künstlers und der Ausstellungskuratoren auch eine szenische Lesung zum Schicksal von sechs jüdischen Nachbarn aus der Gonsenheimer Jahnstraße von Helmut Hochgesand zu hören und sehen sein wird; auch führen Schüler des OSG Besucher durch die Ausstellung."  
Link zum Artikel 
 
2018 in Gonsenheim: Wanderausstellung "Gonsenheimer Erinnerungen. Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung". Dazu Informationen eingestellt über die vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. erarbeitete Ausstellung (pdf-Datei).  
 

    
      

Links und Literatur

Links:

bulletWebsite der Stadt Mainz
bulletInformationen zum jüdischen Friedhof in Bretzenheim  

Literatur:  

bullet Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. 1971 Bd. II,93-94.
bulletLandesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz/Staatliches Konservatoramt des Saarlandes/ Synagogue Memorial Jerusalem (Hg.): "...und dies ist die Pforte des Himmels". Synagogen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Mainz 2005. S. 123 (mit weiteren Literaturangaben).
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 115-116. 
bulletDieter Krienke: Die Synagogen der Mainzer Vororte Bretzenheim, Ebersheim, Hechtsheim und Kastel. In: Die Mainzer Synagogen. Hrsg. von Hedwig Brüchert im Auftrag des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V. Mainz 2008. Weitere Informationen zu diesem Buch bei den Literaturangaben auf der Seite zu den Synagogen in Mainz.  
bullet Katalog zur Ausstellung "Gonsenheimer Erinnerungen. Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung". Hg. vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V., Mainz 2018. Herausgeber und Projektleitung: Dr. Kai-Michael Sprenger. Kuratoren: Lisa Groh-Trautmann, Christoph Schmieder, Jasmin Gröninger.
Die Publikation ist für € 6,- beim IGL erhältlich: https://www.igl.uni-mainz.de/service/kontakt/.       

    
     


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Bretzenheim  Hesse. Jews lived there from the 16th century. Numbering 84 (4,6 % of the total in 1861, the community dwindled to 26 in 1933. Most Jews emigrated after Kristallnacht (9-10 November 1938), the last few being deported in 1942.  
    
    

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020