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"Synagogen im Kreis Bad Dürkheim"
Wattenheim (VG
Leiningerland, Kreis
Bad Dürkheim)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Wattenheim bestand eine jüdische Gemeinde bis um
1900. Ihre Entstehung geht in die Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts
zurück. 1801 werden noch keine jüdischen Einwohner genannt (oder
möglicherweise bei der damaligen Zählung nicht erfasst), 1808 waren es 30
jüdische Einwohner, 1825 32 (3.3 % von der Gesamteinwohnerschaft). Dabei
handelte es sich (um 1810) um die vier jüdischen Familien des Joseph Lang,
Jacques Mann, Simon Michel und Lazare Strauß. Bis 1848 stieg die Zahl der
jüdischen Familien auf 12 mit zusammen 70 Personen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen
Einwohner durch Aus- und Abwanderung schnell zurück. 1875 wurden nur
noch 28 jüdische Einwohner gezählt, 1900 12. 1881 schloss sich die
jüdische Gemeinde Wattenheim mit ihren wenigen Mitglieder der Kultusgemeinde in
Hettenleidelheim an. Als auch dort
die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder sehr stark zurückging, erfolgte 1896
der Zusammenschluss der jüdischen Einwohner aus Hettenleidelheim,
Neuleiningen und Hertlingshausen zu
einer jüdischen Gemeinde mit Sitz in Wattenheim. Vorsteher der Gemeinde war in
den folgenden Jahren Nathan Köster. Seit 1905 kamen auch die noch in Altleiningen
lebenden jüdischen Personen zur Gemeinde in Wattenheim. 1920 bestand die Gemeinde insgesamt aus je
zwei Familien in Wattenheim und Hettenleidelheim, drei Familien in Hertlingshausen und inzwischen - durch dortigen Zuzug seit den 1870er-Jahren - zwölf
Familien in Eisenberg.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule
(seit 1849 im Gebäude der alten Synagoge) und vermutlich auch ein rituelles
Bad. Die Toten der jüdischen Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof (alter und
neuer Friedhof) in Hettenleidelheim
beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben in der Gemeinde war zeitweise
ein Lehrer (zugleich Kantor) angestellt: um 1864/65 wird ein Lehrer
Wohlgemuth genannt (u.a. in "Der israelitische Lehrer" vom 21.12.1865 S. 215),
um 1870 ein Lehrer Heimann (u.a. in "Der Israelit" vom 16.2.1870 S. 131). Die Gemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat Frankenthal-Bad
Dürkheim.
Um 1925, als in Wattenheim selbst nur noch eine jüdische Familie wohnte, waren die Vorsteher der
- in allen oben genannten Teilorten - insgesamt 38 Personen umfassenden Gemeinde
die Herren Nathan Mann, Isaak Michel, Wilhelm Fröhlich und Georg Hairt. 1927 verzog die letzte jüdische Familie
aus Wattenheim nach Lampertheim. Da zumindest theoretisch wieder eine Familie in
Wattenheim zuziehen konnte, wurde der Ort gemeinsam mit Hettenleidelheim,
Hertlingshausen, Altleiningen, Neuleiningen und Kerzenheim zur
jüdischen Gemeinde in Eisenberg gerechnet.
Von den in Wattenheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Johanna Gertrud Jeanne
Durlacher geb. Mann (1907), Adam Nathan Köster (1854), Josef Köster (1865), die
drei Geschwister Walter Jacob Ludwig Mann (geb. 1897 in Wattenheim, später
in Leipzig), Lilly Mann (geb. 1895 in Wattenheim, später in Mannheim) und
Richard Mann (geb. 1898 in Wattenheim, später in Düsseldorf). Siegbert Mann
(1904), Berta Sommer geb. Schlossstein (1863), Babette Weiß geb. Köster
(1854).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Allgemeine Gemeindebeschreibung
(1930)
Kurzbericht im "Israelitischen Familienblatt" vom 7. August 1930: "Der Ort
Alt-Leiningen hat heute noch einige Juden. Sie gehören zu der 3 Kilometer
nordwestlichen Gemeinde
Wattenheim, schön gelegenes Kirchdorf von zirka 1250 Einwohnern mit
israelitischer Kultusgemeinde, zu der noch Hertlingshausen, Hettenleidelheim
und Alt-Leiningen gehören. Synagoge in Wattenheim, alter Sammelfriedhof in
Hettenleidelheim. Von Wattenheim nordöstlich kommt man nach
Neu-Leiningen..." |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Zum Tod von Max Mann, Mitglied der
August-Lamey-Loge in Mannheim (1905)
Bericht
der "Großloge Deutschland" vom Januar 1905 S. 11: "Aus dem
Gedächtnisbuche der Großloge.
Seit unseren letzten Angaben haben wir den Tod folgender Brüder zu beklagen.
Es starben:
87. Am 8. Dezember 1904 Bruder Max Mann, Mitglied der
August-Lamey-Loge in Mannheim seit dem 1. April 1896, geboren den 4. April
1857 in Wattenheim." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeigen des Manufakturwarengeschäftes Moses Koester (1893)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. August 1893: "Für mein
Manufakturwaren-Engrosgeschäft suche zum sofortigen Eintritt zwei Lehrlinge
aus achtbarer israelitischer Familie. Kost und Logis im Hause.
M. Köster, Wattenheim (Pfalz)." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. März 1900: " Für mein
Manufakturwaren Engros-Geschäft ein angehender
Kommis
per sofort zu engagieren gesucht. Selbst geschriebene Offerten,
eventuell mit Fotografie, unter Angabe der Gehaltsansprüche bei freier
Station an
Moses Köster, Wattenheim, Rheinpfalz." |
Anzeige von Karl Strauss
(1909)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. März 1909: "Junger Mann
18 Jahre alt, bisher im Viehgeschäft tätig, sucht in gleicher Branche per
sofort Stellung.
Offerten an Karl Strauss,
per Adresse Nathan Mann, Wattenheim (Pfalz)." |
Anzeige von Nathan
Köster - Abgabe von zwei Torarollen (1910)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Januar 1910: "Zwei gut
erhaltene
Sefer Thora's
á Mark 50.- abzugeben.
Näheres bei Nathan Köster,
Vorstand in Wattenheim (Pfalz)." |
Bitte um Unterstützung
eines bedürftigen Gemeindegliedes von Kultusvorstand Nathan Köster (1887)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juni 1887:
"Wattenheim & Hettenleidelheim, 3. Mai 1887. Hochverehrliches
Bezirksrabbinat in Dürkheim an der Haardt.
Im Vertrauen darauf, dass der Herr Bezirksrabbiner einem unverschuldet in
Not geratenen Kultusgenossen gerne beistehen, erlaubt sich der
unterzeichnete Kultusvorstand in Wattenheim, unter Anschluss des
Bürgermeisters von Hettenleidelheim, einen in Folge Krankheit in Notlage
befindlichen armen Mann (namens Bernhard Milcher) in
Hettenleidelheim, von dessen Erwerb allein die Familie, bestehend aus Frau
und fünf Kindern abhängig ist, zur Unterstützungserwirkung zu empfehlen, und
durch einen Aufruf in den 'Spendenverzeichnissen' für die Unglücklichen
eintreten zu wollen, vom Herrn Bezirkstrainer hier mit erbeten wird.
Zur Entgegennahme sind die Unterzeichneten gern bereit.
Hochachtungsvoll Der Kultusvorstand in Wattenheim: Nathan Köster.
Der Bürgermeister in Hettenleidelheim: Relum.
Ich bin gern bereit, für die mir wohl bekannte, schwer notleidende Familie
Gaben entgegenzunehmen und derselben zu übermitteln. Dr. A. Salvendi." |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war ein Betsaal beziehungsweise eine erste
Synagoge vorhanden. Sie wird erstmals 1812 genannt. 1833 wurde
von den jüdischen Einwohnern aus Hettenleidelheim
berichtet, dass diese "seit 21 Jahren die jüdische Schule (gemeint
Synagoge) in Wattenheim" besuchen. Nach diesem Bericht wird die Synagoge in
Wattenheim als eine "eher schlechte Betstube" geschildert. Aus einem
wenige Jahre später erstellten Bericht erfährt man, dass der Betsaal im
rückwärtigen Teil eines Hauses an der Hauptstraße eingerichtet worden war.
Das Grundstück sei "vor sehr langer Zeit" an den Juden Seligmann
schenkungsweise übertragen worden.
Nach Einrichtung der neuen Synagoge (1849) wurde die alte Synagoge noch einige
Jahre für den Religionsunterricht verwendet. 1892 verkaufte die jüdische
Gemeinde das Gebäude der Synagoge zusammen mit dem als Wohnhaus genutzten
Vorderhaus an den Sattlermeister Daniel Hepp. Dieser ließ es 1893 abbrechen.
Auf dem Grundstück wurde eine Werkstatt mit Waschküche erbaut.
1847/48 erwarb die israelitische Kultusgemeinde einen Garten an der
Hauptstraße und erbaute hier eine Synagoge. Die Synagoge soll ein mit Walmdach,
Rundbogenfenstern und Empore versehenes kleines Gebäude gewesen sein.
1896 wurde das Gebäude renoviert, insbesondere das Dach erneuert und
Regenwasserschäden im Inneren beseitigt. Nachdem 1912 mehrfach die
Fensterscheiden eingeworfen worden waren, wollte die Gemeinde eiserne
Fensterläden anbringen und eine Mauer um das Grundstück errichten.
Nachdem auf Grund des Wegzuges der jüdischen Familien aus Wattenheim die
Synagoge nicht mehr gebracht wurde, ist sie von der Israelitischen Gemeinde der
Pfalz der katholischen Kirchenverwaltung Wattenheim als Geschenk angeboten
worden. Die Kirchenverwaltung kam nach Besichtigung des Gebäudes zum
Entschluss, das Gebäude anzunehmen. In konservativ-orthodoxen jüdischen
Kreisen wurde die Nachricht von der Schenkung einer Synagoge an die katholische
Kirche teilweise mit Unverständnis aufgenommen. Man konnte sich nicht
vorstellen, dass die ehemalige Synagoge möglicherweise als Kirche genutzt
werden sollte.
Ein
ausführlicher Artikel erschien in der
"Israelitischen Familienzeitung" vom 18. Dezember 1930
(zum Lesen bitte Textabbildung anklicken) |
Artikel
in der "Jüdischen Presse" vom 30. Januar 1931
(zum Lesen bitte Textabbildung anklicken)
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In zahlreichen
jüdischen Zeitschriften in ganz Deutschland wurde von der Wattenheimer
Schenkung an die katholische Gemeinde berichtet: |
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Artikel in der
"Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 4. Dezember 1930
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Artikel in der
Zeitschrift "Das
jüdische Echo" vom 5. Dezember 1930
|
Artikel in der
Zeitschrift "Neue Welt"
vom 12. Dezember 1930
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Bericht im
Gemeindeblatt
der Israelitischen Gemeinde Frankfurt
im Januar 1931 (S. 160) |
Rechts:
Artikel nach Besprechung des Sachverhaltes im Großen Rat des
Preußischen Landesverbandes jüdisches Gemeinden am 11. Januar 1930 in
Berlin. |
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Links: Artikel im
"Israelitischen Familienblatt" vom 15. Januar 1931 |
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Meldung
in der (konservativ-orthodoxen) Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. Dezember 1930: "München. In dem Städtchen Wattenheim in
der bayerischen Pfalz ist die Synagoge schon seit vielen Jahren nicht mehr
zu G'ttesdiensten benutzt worden. Infolgedessen ist das Gebäude jetzt von
der Israelitischen Gemeinde der Pfalz an die katholische Gemeinde von
Wattenheim verschenkt worden." |
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Artikel
im "Israelitischen Familienblatt" vom 18. Dezember 1930: "Eine Synagoge wird
einer katholischen Gemeinde geschenkt...
Aus Wattenheim, einem kleinen Orte in der Pfalz, gelangte zuerst die
Nachricht an die Tagespresse, dass die dortige Synagoge der katholischen
Kirche geschenkt worden sei. Die an sich merkwürdige Mitteilung erschien uns
so unglaublich, dass wir uns vor ihrer Weitergabe authentische Informationen
aus der Nachbargemeinde und dem zuständigen 'Verband Pfälzischer
Israelitischer Gemeinden' holten.
Ein Mitarbeiter berichtet uns darüber rein sachlich:
In dem nächst Grünstadt in der Pfalz
gelegenen Orte Wattenheim, einst Sitz einer ansehnlichen jüdischen Gemeinde,
steht schon seit einer Reihe von Jahren, nachdem auch die letzte jüdische
Familie nach Lampertheim in Hessen
übergesiedelt ist, die Synagoge einsam und verwaist. Die Inneneinrichtung
wanderte vor kurzem nach der nur aus 3 bis 4 israelitischen Familien
bestehenden, ursprünglich zu Wattenheim zählenden Gemeinde
Eisenberg, wo sie in einem Betsaal
Ausstellung gefunden hat, in dem sich wenigstens an den Hauptfeiertagen noch
ein Minian versammelt. Um nun das leer stehende Gotteshaus vor
Herabwürdigung zu bewahren, entschloss sich der 'Verband der Israelitischen
Kultusgemeinden der Pfalz' die Wattenheimer Synagoge der katholischen
Kultusgemeinde Wattenheim bzw. der dortigen Kirchenstiftungsverwaltung
schenkungsweise zu überlassen. Vor dem Grünstadter Notariat wurde dieser
Tage die Beurkundung vorgenommen. Der notarielle Schenkungsakt trägt die
Unterschriften der beiden Vertreter des pfälzischen israelitischen
Gemeindeverbandes: des Präsidenten Kommerzienrat Albert Joseph, Landau, und
des Schatzmeisters Stadtrat Ludwig Strauß, Bad Dürkheim, ferner die
Unterschrift des katholischen Pfarrers zu Wattenheim. Herrn Hellmich.'
Aus Vorstandskreisen des 'Verbandes der Israelitischen Kultusgemeinden der
Pfalz" wird dazu geschrieben:
'Eine betrübende Erscheinung: Das Judentum auf dem Lande geht von Jahr zu
Jahr - wenige Ausnahmen ausgenommen - immer mehr seiner Auflösung entgegen.
Eine Kultusgemeinde nach der andern verliert ihre Lebensfähigkeit. Es fällt
unseren Glaubensgenossen immer schwerer, auf dem Lande sich auskömmlich zu
ernähren. Wollen sie ihr mühsam zusammengespartes bescheidenes Vermögen sich
erhalten, so bleibt ihnen eben nichts anderes übrig, als in die Stadt
überzusiedeln. Zur Zeit sind in der Pfalz u. a. drei ehemalige ansehnliche
Kultusgemeinden entweder vollständig oder nahezu verwaist:
Edesheim (bei Landau),
Fußgönheim (bei Ludwigshafen) und
Wattenheim (bei Grünstadt). Eine ganze Reihe von pfälzischen
israelitischen Friedhöfen muss bereits von dem Verbande pfälzischer
israelitischer Gemeinden unter Aufwendung ansehnlicher Geldmittel
unterhalten werden. Anders mit den verwaisten Synagogen. Sollen sie nicht
ganz dem baulichen Verfall anheim gegeben sein, so bleibt eben nichts
anderes übrig, als sie zu veräußern. So wurde in den letzten Wochen die
Synagoge zu Wattenheim, nachdem die letzte israelitische Familie daselbst
schon vor Jahren nach Lampertheim
übersiedelte, vom Verbande der pfälzischen israelitischen Gemeinden der
katholischen Kultusgemeinde Wattenheim schenkungsweise übertragen, nachdem
der besagte Verband die Gewissheit hatte, dass das Wattenheimer
Synagogengebäude auch in Zukunft nur ernsten, menschenfreundlichen und
wohltätigen Zwecken dienen wird. Nach Lage der Sache erschien eine
öffentliche Versteigerung der Synagoge unratsam, weil eben dann diese
Gewissheit nicht gegeben war."
Die Meldung ist also bestätigt, die kurz und ohne Sentimentalitäten besagt:
Die Synagoge von Wattenheim ist der katholischen Kirche geschenkt worden.
Der Fall ist vielleicht der erste seiner Art seit Menschengedenken, aber
wenn wir an das Absterben all unserer Landgemeinden denken, müssen wir
fürchten, dass er bei weitem nicht der letzte sein wird, und wir müssen es
zur Pflicht der ganzen jüdischen Öffentlichkeit erklären, sich mit dem
Einzelereignis nicht nur wie mit einem Symptom, sondern als mit einer ganz
praktischen Frage auseinander zu setzen.
Vor allem - es ist kein Zweifel, dass die Übergabe eines jüdischen
Gotteshauses an eine andere Religionsgemeinschaft unserem Gefühl in
stärkster Weise zuwiderläuft. Haben also unsere pfälzischen Glaubensgenossen
recht gehandelt, oder was hätten sie sonst tun können?
Was soll, wirklich mit einem Gotteshaus geschehen, das, nach menschlicher
Berechnung niemals mehr Stätte jüdischen Gebets wird sein können, und doch
mit dem Gut und Blut unserer Väter errichtet worden ist, von dem wir uns in
gefühlsmäßiger Pietät und aus religionsgesetzlicher Bindung nicht ohne
weiteres trennen können? Vielleicht ist man zunächst versucht, den örtlichen
Gemeindeverbänden die Sorge für die Pflege der Gotteshäuser ebenso
aufzuerlegen wie die Obhut für verlassene Friedhöfe, die ja praktisch fast
überall von ihnen ausgeübt wird. Aber abgesehen davon, dass ein außerhalb
der Stadt liegender, umzäunter Begräbnisplatz leichter vor Verwahrlosung zu
schützen ist, als ein inmitten des Verkehrs gelegenes, leer stehendes großes
Gebäude, erfordert die Pflege eines Synagogenbaus auch größere Mittel, als
sie kleinere Landgemeinden auf die Dauer entbehren können. Man wird deshalb
über kurz oder lang nicht nur in Wattenheim und in Güsten, wo vor kurzem
eine Synagoge versteigert werden sollte, anfangen, sich mit dem Gedanken
vertraut zu machen, die Synagoge müsse veräußert werden.
Gewiss wird dieser Gedanke vollkommen frei sein von der Nebenabsicht auf
materiellen Gewinn irgendwelcher Art. Man will nur den uns in mehr als einem
Sinne heiligen Bau vor dem vollkommenen Verfall schützen. Und erst an diesem
Punkt der Überlegung, die vielleicht auch in anderen Orten angestellt wurde
und wird, hat man in der Leitung des pfälzischen Verbandes einen logischen
Fehler begangen. Man hat sich gesagt, der einzelne Bewohner des Ortes, dem
man das Gebäude verkauft, würde es später vielleicht zu profanen und
profansten Zwecken missbrauchen. So schloss man, dass eine andere
Glaubensgemeinschaft eher ein würdiger Erbe sein würde, und um diese
moralisch zur Hochhaltung des Wertobjekts zu verpflichten, hat man es ihr
geschenkt.
Aber man hat dabei den Standpunkt des Religionsgesetzes vergessen, hat
vergessen, dass am Tage nach der Schenkung christliche Embleme.
Heiligenbilder, gottesdienstliche Versammlungen und theologische
Bibliotheken in der Synagoge ihren Einzug halten können, man hat vergessen,
was die ganze jüdische Welt durch fünfhundert Jahre nicht hat vergessen
können: dass eine Million Juden lieber Scheiterhaufen bestiegen, und
leichter ihr spanisches Heimatland verlassen haben, als dass sie solche
Umwandlungen freiwillig zugegeben hätten! Es braucht sicher den pfälzischen
Gemeindevorstehern nicht erst gesagt zu werden, dass im Grunde der Gegensatz
zwischen Kirche und Synagoge, die Unveräußerlichkeit beider, die Weltenferne
zwischen ihnen, die gleiche geblieben ist, wie sie 1492 war. Wir können,
wollen und werden wohl eben als Juden, als Schüler eines Jesaia, uns den
Trägern dieser und jeder anderen Konfession in wirklicher Menschenliebe
nähern. Aber nur den Trägern. Tauschten wir auch nur ein Jota dessen, was in
der Weltanschauung der Synagoge begründet liegt, gegen ein Zipfelchen vom
Kultus der Kirche, erklärten wir auch nur einen Stein unserer heiligen
Gebäude für austauschbar im geistigen Sinn, die eigene Existenzberechtigung
geleugnet. Juden und Katholiken können füreinander das Leben lassen,
Synagoge und Kirche nicht einen Stein.
Das hat man in der Pfalz übersehen, und das wird man, so fürchten wir, auch
in anderen Städten, weil man die Parole vom 'Frieden der Konfessionen'
falsch versteht, vergessen. Tut man es aber, so macht man sich vor der
jüdischen Geschichte und vor jüdischem Geist eines nicht schwer genug zu
wertenden Vergehens schuldig.
Nach jüdischem Religionsgesetz hätte in besonders gelagerten Fällen und
vorausgesetzt, dass der Synagogenbau bei seiner Errichtung ausdrücklich als
provisorisch und veräußerlich erklärt worden ist, das Gebäude — all seiner
Embleme und Schriftzeichen entkleidet -, veräußert werden können, an wen
immer. Aber - und das ist das Wesentliche, wohl nur hat übersehen werden
können, weil im Fall Wattenheim kein dieser einschlägigen Gesetze Kundiger
befragt worden ist -, aber der Erlös des Verkaufs hätte zu einem sinngemäßen
Zweck, etwa zur Errichtung einer größeren, anderen Synagoge an einem anderen
Ort Verwendung finden müssen. Denn das jüdische Religionsgesetz steht auf
dem Standpunkt: Einmal, irgendwann, und sei es vor Jahrtausenden, für
heiligen Zweck gegebene Spenden gehören nicht ihrer direkten
Verwendungsbestimmung und nicht den Erben der Beter jener Gemeinde, sondern
für heiligen Zweck abgesonderte Mittel gehören dem heiligen Zweck. Das
Religionsgesetz schreibt vor, was das im einzelnen bedeutet, und es kann
hier nicht ausführlich auseinandergesetzt werden. Aber es soll für den
Verband Pfälzischer Gemeinden, wie für alle anderen, an die die Frage - was
Gott verhüten möge - vielleicht herantreten wird, festgehalten werden:
Synagogen können nicht verschenkt werden. An niemanden. Sie gehören der
jüdischen Gesamtheit, auch wenn sie verlassen sind. Geht es nicht anders,
muss ihr Gegenwert der jüdischen Gesamtheit wieder zugeführt werden. Ein
altes Synagogengebäude abreißen, muss gleichzeitig heißen: Ein neues bauen!
E. C." |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Dezember 1930:
"(Die verschenkte Synagoge.) Vor kurzem brachten wir die
Notiz, dass im Orte Wattenheim in der Pfalz die verlassene Synagoge der
katholischen Gemeinde geschenkt wurde. Zu dieser unglaublichen Meldung
wird nunmehr vom Vorstande des 'Verbandes Israelitischer Kultusgemeinden
in der Pfalz' eine Erklärung gegeben, in der es u.a. heißt:
'Zur Zeit sind in der Pfalz u.a. drei ehemalige ansehnliche
Kultusgemeinden entweder vollständig oder nahezu verwaist:
Edesheim (bei
Landau), Fußgönheim (bei Ludwigshafen) und Wattenheim (bei Grünstadt).
Eine ganze Reihe von pfälzischen israelitischen Friedhöfen muss bereits
von dem Verbande pfälzischer israelitischer Gemeinden unter Aufwendung
ansehnlicher Geldmittel unterhalten werden. Anders mit den verwaisten
Synagogen. Sollen sie nicht ganz dem baulichen Verfall anheimgegeben sein,
so bleibt eben nichts anderes übrig, als sie zu veräußern. So wurde in
den letzten Wochen die Synagoge zu Wattenheim, nachdem die letzte
israelitische Familie daselbst schon vor Jahren nach Lampertheim
übersiedelte, vom Verbande der pfälzischen israelitischen Gemeinden der
katholischen Kultusgemeinde Wattenheim geschenkweise übertragen, nachdem
der besagte Verband die Gewissheit hatte, dass das Wachenheimer
Synagogengebäude auch in Zukunft nur ernsten, menschenfreundlichen und
wohltätigen Zwecken dienen wird. Nach Lage der Sache erschien eine
öffentliche Versteigerung der Synagoge unratsam, weil eben dann diese
Gewissheit nicht gegeben war.'
Unklar genug bleibt immer noch die Sache. Man hat in anderen ähnlichen
Fällen Synagogen unter den Schutz von weltlichen und kirchlichen
Behörden gestellt. Eine bedingungslose Verschenkung berechtigt aber die
geschenkte Gemeinde, die Synagoge auch in eine Kirche umzuwandeln. Und das
wäre doch auf alle Fälle etwas Ungeheuerliches!"
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1937 wurde in einem Presseartikel von
Ludwig Strauß nochmals auf den Verkauf der Synagoge in Wattenheim Bezug
genommen, inzwischen unter völlig anderen Umständen: |
Artikel
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15.
Dezember 1937: "Aus der Pfalz. Auflösung jüdischer Gemeinden -
Verkauf der Synagogen - Das Los unserer Friedhöfe. Von
Synagogenvorstand Ludwig Strauß (Bad Dürkheim).
Im Jahre 1933 erhob ich in einer Mitgliederversammlung unseres pfälzischen
Gemeindeverbandes den Hilferuf: 'Rettet die absterbenden Landgemeinden!'
Die Rettung ist ausgeblieben. Das Verhängnis ist nicht mehr abzuwenden.
Die Landgemeinden und auch die Gemeinden der Kleinstädte gehen von Tag zu
Tag mehr und mehr ihrer Auflösung, ihrem Ende entgegen. Als wir vor einem
Jahrzehnt die Synagoge in Wattenheim der dortigen katholischen
Kirche zur Errichtung einer Kleinkinderschule übergaben - weil eben die
letzte israelitische Familie Wattenheim verlassen hatte - da erhoben
mehrere größere jüdische Zeitungen heftige Vorwürfe gegen unsern
Verband.
Heute - dem Himmel sei es geklagt - berichten unsere jüdischen Zeitungen
fast in jeder Nummer von der Auflösung jüdischer Gemeinden, von dem
Verkaufe dieser und jener Synagoge. Wir müssen es hinnehmen.
Unser Pfalzverband hat bis heute 12 jüdische Gemeinden auflösen und ihre
Synagogen veräußern müssen. Das ist immer nach Anhörung der wenigen
Familien der Gemeinden - ihre Zahl ging durchweg über zwei oder drei nicht
hinaus - und mit deren Einverständnis geschehen. Wir haben jede Synagoge
vor dem Verkaufe eingehend besichtigt, alle Torarollen und die sonstigen
Ritualien in Obhut genommen. Manche dieser Synagogen ließen schon beim
Eintritt erkennen, dass seit Jahren kein Gottesdienst mehr in ihnen
stattgefunden, in anderen herrscht noch eine wohltuende Ordnung und
Reinlichkeit und der Aron Hakodesch trug noch vom letzten Gottesdienst her
ein weißes Gewand..." |
Anmerkung: dieser Artikel
erschien auch in "Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet der Rheinpfalz" vom
1. Januar 1938. |
Obwohl das Gebäude der ehemaligen Synagoge im Besitz der
katholischen Kirchengemeinde war, wurde es beim Novemberpogrom 1938 dennoch
verwüstet. Wenige Tage nach der Schändung des Gebäudes beschloss die
Kirchenverwaltung am 22. November 1938 einstimmig, das Gebäude mit dem Hof für
200 Reichsmark an ein Ehepaar zu verkaufen. Dieses wollte das Gebäude zu einem
Wohnhaus umbauen, wozu freilich die behördliche Genehmigung nicht erteilt
wurde. Der neue Besitzer ließ daraufhin das Gebäude 1939 abbrechen und
legte auf dem 125 qm großen Grundstück einen Garten
an.
Adresse/Standort der Synagoge:
Straße "An der Synagoge" (zweigt von der Hauptstraße
ab)
Fotos
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte
Oktober 2024:
An die jüdische Geschichte
Wattenheims soll auch künftig erinnert werden
|
Artikel von Anja Benndorf in der
"Rheinpfalz" vom 3. Oktober 2024: "WATTENHEIM. Kita-Neubau soll an
Synagoge erinnern: Wovor ein SPD-Mann warnt
Bei der Errichtung der neuen Wattenheimer Kita soll die jüdische Geschichte
der Gemeinde Beachtung finden. Das hat Matthias Hemmer aus dem Archivteam
Anton Meißner angeregt.
Wie er bei der Septembersitzung des Rates erläuterte, stand hinter der
Wattenheimer Grundschule, wo der Neubau entstehen soll, einst eine Synagoge
und es sei dort eine Kleinkinderschule geplant gewesen. Zur Idee, daran zu
erinnern, sollte aber die israelische Kultusgemeinde um ihre Meinung gebeten
werden, meinte er. Auch wünsche er sich, dass das neue Gebäude in Sichtachse
von der Straße liege, damit es gesehen werden könne. Bürgermeister Carsten
Brauer (CDU), der sich durch die Standortwahl Synergieeffekte mit der Schule
erhofft – etwa hinsichtlich der Pädagogik und der Mittagsverpflegung –
sprach sich dafür aus, die jüdische Gemeinde hinsichtlich des Ob und des Wie
einzubeziehen. Sozialdemokrat Hartmut Armbrust warnte davor, sich
'verkünsteln' zu lassen von anderen, die sagen, wie das Projekt umgesetzt
werden soll. Andreas Eitzenberger (CDU) verwies darauf, dass hier Geschichte
aufgegriffen und neue geschaffen werde. Insgesamt unterstützte der
Ortsgemeinderat die Anregung von Hemmer."
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
 | Otmar Weber: Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter
besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südpfalz. Hg. von der
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz in Landau. 2005.
S. 157. |
 | Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz/Staatliches Konservatoramt
des Saarlandes/ Synagogue Memorial Jerusalem (Hg.): "...und dies
ist die Pforte des Himmels". Synagogen in Rheinland-Pfalz und dem
Saarland. Mainz 2005. S. 380 (mit weiteren Literaturangaben).
|

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