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Tiefenort (Wartburgkreis)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Tiefenort
In Tiefenort lebten Juden möglicherweise bereits im späten
Mittelalter. Nach 1407 könnten unter der Hoheit der Landgrafen von
Thüringen erstmals Juden am Ort gewesen sein. Nähere Angaben liegen bislang
nicht vor. Jedoch ist im 17. Jahrhundert nach der Ortschronik die Existenz einer
Judengasse belegt (im Bereich der heutigen
August-Bebel-Straße).
Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten jüdische
Familien beziehungsweise Personen wieder zuziehen, ohne dass es in der Folgezeit
zur Bildung einer jüdischen Gemeinde gekommen ist (im Bericht von 1915 s.u.
wird allerdings von "unserer kleinen Gemeinde" geschrieben).
Die hier lebenden jüdischen Einwohner gingen zu den Gottesdiensten nach Barchfeld
oder nach Stadtlengsfeld. Doch gab es
zeitweise auch in Tiefenort eine Betstube (in einem der jüdischen
Wohnhäuser). Die Toten der jüdischen Familien wurden insbesondere im
jüdischen Friedhof in Stadtlengsfeld beigesetzt.
Eine der ersten Familien am Ort war die Familie Levistein: 1871 gründete
Heinz Levistein eine Getreidehandlung in der Pfarrgasse 5. Später wurde das
Geschäft von Moritz Katz übernommen, der auch die Tiefenorter Darlehnskasse in
der Pfarrgasse 5 begründete und betrieb.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus Tiefenort Sally Huhn (gef. 1914, siehe
Bericht unten) sowie Julius Baumgart (geb. 10.12.1893 in Tiefenort, gef.
18.5.1916). Außerdem ist gefallen: Max Kuh (geb. 11.9.1880 in Tiefenort, vor
1914 in Düsseldorf wohnhaft, gef. 4.9.1916).
1925 wurden 30 jüdische Einwohner in Tiefenort gezählt, die offiziell
zur jüdischen Gemeinde in Stadtlengsfeld
gehörten. Unter den jüdischen Geschäften gab es u.a. am Werrator die
Geschäfte von Jakob Huhn (Werrator 20, Eisenhandlung, Kolonialwaren- und
Maschinengeschäft, siehe Anzeige unten), Siegmund Kuh (Werrator 44,
Manufakturwarenhandlung) und Moses Krämer (Werrator 52, Futtermittel- und
Streuzeughandlung). In der Marktstraße 5 betrieb Salomon Ullmann ein
Manufakturwarengeschäft (auch Fahrräder u.a.; vgl. Todesanzeige von 1949 unten).
1933 lebten etwa 35 jüdische Personen in der Stadt. In
den folgenden Jahren ist ein Teil von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Bis 1939 wurden
alle jüdischen Geschäftsinhaber zur Aufgabe ihrer Geschäfte gezwungen. Im Herbst
1941 wurden Moritz und Minni Katz mit der Tochter Helga in das Ghetto
Litzmannstadt deportiert. 1942 wurden deportiert: Melanie Kuh, Siegmund
Kuh, Moses und Ida Krämer geb. Eisemann mit der Tochter Thea sowie Isabella
Isaksohn geb. Krämer mit dem dreijährigen Sohn Joel.
Von den in Tiefenort geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Isabella Isaksohn geb.
Krämer (1917), Joel Isaksohn (1939), Helga Katz
(1928), Moritz Katz (1894), Minni Katz (1893), Ida Krämer geb. Eisemann (1890), Moses
Krämer (1886), Thea Krämer (1920), Rudolf Kuh (1890), Siegmund Kuh (1866), Melanie Löwenstein geb. Kuh
(1902).
Berichte aus der
jüdischen Geschichte
Berichte zu
einzelnen Personen
Sally Huhn ist bei einem Sturmangriff gefallen
(1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. November
1915: "Tiefenort (Werra), 4. November (1914). Eine tief
erschütternde Nachricht traf Simchas Thora hier ein und verwandelte die Feiertags-Stimmung
in unserer kleinen Gemeinde in bitteres Weg. Der zu den größten
Hoffnungen berechtigende Sally Huhn, einziger Sohn unseres
Gemeindemitgliedes Jacob Huhn, hat seine Seele am Vorabend des Jom
Kippur bei einem Sturmangriff vor Dünaburg für seines Vaterlandes
Ruhm und Ehre ausgehaucht. Ein Kopfschuss hat seinem Leben im Alter von
nur 23 Jahren ein frühes Ende gesetzt. In den vielen schweren Kämpfen,
an denen er teilgenommen hat, war es stets der Gedanke an den
Allmächtigen, der ihm Gefahr und Anstrengungen überwinden
half." |
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige des Manufakturwaren- und Getreidegeschäftes S. Weiß II. (1901)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März
1901:
"Für mein am Samstag und Feiertagen geschlossenes Manufaktur- und
Getreidegeschäft suche per Ostern oder Pfingsten einen
Lehrling
mit guten Schulkenntnissen. Kost und Logis frei im Hause.
S. Weiß II. Tiefenort a.d. Feldabahn." |
Anzeige eines stellensuchenden jungen Mannes aus
Tiefenort (1901)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. November
1901: "Junger Mann, der vier Jahre in einem Eisen- und
Kolonialwaren-Geschäft tätig war, sucht per 1. Januar 1902
anderweitig Engagement. Bedingung: Samstags und Feiertage
geschlossen. Offerten erbitten unter A. B. 500 postlagernd Tiefenort,
Thüringen". |
Anzeige des Manufakturwarengeschäftes Jacob Ullmann
(1904)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
17. März 1904: "Für mein am Schabbos und Jomtof geschlossenes
Manufakturwaren-Geschäft suche per sofort einen
Lehrling
aus achtbarer Familie und mit guten Schulzeugnissen. Kost und Logis im
Hause.
Jacob Ullmann,
Tiefenort in Thüringen." |
Anzeige des Eisen-, Kolonialwaren- und Maschinengeschäftes Jacob Huhn (1912)
Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 23. August 1912.
"Suche per sofort für mein Eisen-, Kolonialwaren- und Maschinengeschäft
einen
Lehrling.
Kost und Logis im Hause. Sabbat und Feiertage geschlossen.
Tiefenort in
Thüringen, J. Huhn." |
Todesanzeige von Salomon Ullmann aus Tiefenort (gest.
1949 in Israel)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Aufbau" vom 29. April 1949: "Am 28.
März 1949 verschied nach kurzer Krankheit mein lieber Mann, unser guter
Vater, Großvater und Onkel Salomon Ullmann (früher
Tiefenort/Thüringen) im 79. Lebensjahre.
Die Beisetzung fand in dem von ihm so geliebten Kirjat-Amal
statt.
In tiefer Traer: Rosa Ullmann geb. Kaltenbecher Kirjat-Amal
nahe Haifa, Israel
Manfred Ullmann und Frau Judith geb. Nathan Petach-Tikvah,
Israel
Karl Ullmann und Frau Minna geb. Dessauer Kirjat-Bialik,
Israel
Ivan Ullmann und Frau Elisabeth geb. Richheimer Hartford,
Conn.
Gerda Goldberg geb. Ullmann Kirjat-Amal, Israel
Rochel, Maja, Ruth und Ronald Ullmann;
Raja, Igal und Moische Goldberg, als
Enkelkinder". |
Fotos
Zur jüdischen
Geschichte in Tiefenort liegen noch keine Fotos vor;
über eine Zusendung
freut sich der Webmaster der "Alemannia Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite. |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Hans Nothnagel (Hg.): Juden in Südthüringen
- geschützt und gejagt. Bd. 5: Jüdische Gemeinden in der Vorderrhön. Der
Beitrag zu Tiefenort ("Schicksalswege jüdischer Tiefenorter") wurde von
Hans Nothnagel und Ralf Pasch erstellt. Suhl
1999 S.156-164. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Band 8 Thüringen. Frankfurt am Main 2003. S.
330-331. |
n.e.
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