Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Wiesbaden (Hessen)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert 
    
Allgemeine Texte sowie Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben im 19./20. Jahrhundert 

Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Wiesbaden wurden in jüdischen Periodika gefunden. 
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.      
Die Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber (Mannheim) abgeschrieben und mit Anmerkungen versehen.      
    
Übersicht:    

bulletAllgemeine Texte 
-  Von der Schönheit Wiesbadens (1856)  
Der Privatier Phil. Zimmer (evangelisch) vermacht größere Summen auch den jüdischen Gemeinden der Stadt (1890)  
-  Vorstellung einer Publikation zur Geschichte der Juden in Wiesbaden (1891)  
-  Anlässlich der Gründung eines antisemitischen Vereins in Wiesbaden: Aufruf gegen nicht reelle Geschäftspraktiken und jüdischen und christlichen Geschäftsleuten (1892)  
-  Abweisung eines jungen jüdischen Kaufmann bei der Bewerbung zum militärischen Freiwilligendienst (1904)   
-  Schlagfertiger Fremdenführer in Wiesbaden (1909)   
-  Der jüdische Händler Citronenbaum aus Mainz erscheint am zweiten jüdischen Neujahrstag nicht vor Gericht in Wiesbaden (1912)  
-  Der Hetzpastor von Borkum Ludwig Münchmeyer hält in Wiesbaden einen antijüdischen Vortrag (1920)  
Schwere Zusammenstöße zwischen jüdischen Frontsoldaten und Nationalsozialisten (1927)  
Der Besitzer des Hotels "Frankfurter Hof" zeigt seine antisemitische Gesinnung (1927)  
-  Chassidische Führer zu Besuch in Wiesbaden (1928)  
-  Ausflug einer jüdischen Jugendgruppe aus Frankfurt nach Wiesbaden (1928)   
-  Verbot des Aufmarsches von Hakenkreuzlern (1929)  
In Wiesbaden herrscht abgesehen von kleinen Zwischenfällen "Ruhe und Ordnung" (April 1933) 
-  Gemeindebeschreibung der jüdischen Gemeinde Wiesbaden mit Beschreibung der Synagoge(n) (1936!)   
bullet Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben  
-  Bei der Einweihung der Bonifatius-Kirche wurden die Vertreter der jüdischen Gemeinde zunächst nicht eingeladen (1849) 
-  Vortrag von Rabbiner Dr. Silberstein über "Gabriel Rießer" (1895)  
-  Ein 16-jähriges jüdischer Schüler ließ sich durch einen evangelischen Mitschüler taufen (1898)  
-  Verschiedene Mitteilungen: 40-jähriges Jubiläum von Rabbiner Dr. Kahn - ein jüdisches Krankenhaus wird geplant - der Synagogengesangverein hat eine Restauration gemietet (1910) 
Über das jüdische Gemeindeleben in Wiesbaden (1927)  
-  Veränderungen im Wahlrecht der Israelitischen Kultusgemeinde (1928)  
-  Veranstaltungen zur Jahrzeit von Oberrabbiner Kuk (1936)   
bulletBerichte aus dem jüdischen Vereinsleben  
Der Synagogenchorverein verschönert ein Fest der deutsch-katholischen Gemeinde (1870)      
-  50. Stiftungsfest des Israelitischen Männerkrankenvereins (1885)   
-  Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1886)  
-  Über den neu gegründeten Waisen-Unterstützungsfond (1889) 
1
8. Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1888/ 1889)  
-  Gesellige Feier des Synagogengesangvereins (1889)  
19. Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1889/90)   
-  25-jähriges Bestehen des Israelitischen Frauenvereins (1896)  
-  Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1898) 
Vortrag von Rabbiner Dr. Silberstein im Synagogen-Gesangverein (1902)  
33. Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungs-Vereines" (1904)  
-  Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1906)  
-  Musikabend des Vereins für jüdische Geschichte und Literatur (1907)  
Gründung einer Ortsgruppe des "Verbandes der Sabbatfreunde" (1907)  
-  Diskussionsabend der Zionistischen Ortsgruppe (1908) 
-  75-jähriges Bestehen des Israelitischen Männerkrankenvereins (1910)  
-  Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1910)  
-  Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1911)  
-  Versammlung der Zionistischen Ortsgruppe (1911)  
-  Vortrag mit Debatte über den "Untergang der deutschen Juden" in der Zionistischen Ortsgruppe (1912)  
-  Veranstaltungen der Zionistischen Ortsgruppe (1912) 
-  Vortragsabend der Zionistischen Ortsgruppe (1912)  
-  50-jähriges Bestehen des Synagogengesangvereins (1913)  
-  Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1914) 
Ereignisse und Aktivitäten in der jüdischen Gemeinde zu Kriegsbeginn (1914)  
Festschrift zur Fünfzigjahrfeier des Synagogen-Gesangvereins (1914)    
-  Gedenkveranstaltung für Rabbi Akiba Wreschner (1915)  
-  Ein ritueller Mittagstisch und das jüdische Altersheim wurden eingerichtet (1924)   
-  Winterprogramm der Agudas Jisroel-Gruppe (1925)  
Über das jüdische Gemeindeleben im Winter 1925/1926 (1926)    
-  Damenschiur der Agudas Jisroel mit Lehrer Hes (1926) 
Erfolg des jüdischen Handballvereins Hakoah Wiesbaden (1927)  
Vortragsabend der Ortsgruppe der "Vereinigung für liberales Judentum" (1927)  
-  Über den jüdischen Sportklub Hakoah Wiesbaden (1928)  
Bezirksrabbiner Dr. Lazarus referiert über Martin Luther (1928)  
Stiftungsfest der Chewra Kadischa (1928)  
Bericht aus dem jüdischen Gemeindeleben - Vorträge des Jüdischen Lehrhauses und weitere Veranstaltungen (1928)  
Über die Chanukka-Feier der "Vereinigung jüdischer Frauen" (1930, Artikel vom Januar 1931)  
Veranstaltung der Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum (1931)  
Bericht aus dem jüdischen Gemeindeleben - Vorträge des Jüdischen Lehrhauses (1931) 
-  Abschlussprüfung in den Jugendgruppen der Agudas Jisroel (1935)   
-  Generalversammlung des Verbandes polnischer Staatsangehöriger (1936) 
-  Tagung der Ortsgruppen Südwestdeutschlands der Polnischen Staatsbürger (1936)  
Anzeige für eine Kundgebung des Keren Hajessod in der Synagoge in Wiesbaden (sowie in Hannover und Mannheim, 1936)     
bulletSonstiges    
-  Sitzung des "Synagogenrates", eines Gremiums der drei Rabbinatsbezirke des früheren Herzogtums Nassau (1890) 
Karte aus Wiesbaden - Gruß aus dem Ratskeller (1906)  
-  Bericht eines Kurgastes aus Wiesbaden (1925)  

       
       
Allgemeine Texte       
Von der Schönheit Wiesbadens (1856)    
Hinweis: der Bewunderer Wiesbadens sieht den 1851 durch Landesbaumeister Philipp Hoffmann (der später auch die Synagoge baute) erstellten griechischen Tempel im Mittelpunkt des Neroparks des Neroberges. Auch die 1847 bis 1851 gleichfalls von Philipp Hoffmann am Neroberg erbaute Russisch-Orthodoxe Kirche hatte fünf goldene Kuppeln.       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24. November 1856: "Wie prächtig erglänzen die vergoldeten Kuppeln des griechischen Tempels auf dem Neroberge bei Wiesbaden in das ferne Rheintal hinab. So und noch herrlicher magst du einst, stolzes Zion, in den Tagen deiner Größe gestrahlt haben. So und noch prächtiger erglänzten deine goldenen Zinnen, Tempel auf Moriah! So und noch köstlicher blinkten einst deine Kuppeln in die Ferne, Jerusalem, du majestätische Stadt! In den Tagen deiner Herrlichkeit, als Israel an seinen Festen hoch nach deiner Thronstätte pilgerte. Ja, großartig schön muss es gewesen sein, wenn das Volk in unabsehbaren Zügen nach Jerusalem seinen Schritt lenkte, um die Erstlingsgaben (bikurim) darzubringen. In reichverzierten, prächtig mit edlen Früchten geschmückten, teils geflochtenen, teils goldenen Körben, bedeckt mit Trauben, umhangen von Tauben, war die Gabe enthalten. Gleich mächtigen Stromesfluten schwollen die Züge an, je näher sie der Hauptstadt kamen. War endlich unter Zimbel- und Flötenklang das Weitbild der Stadt erreicht, so sagte der Anführer: 'Auf, lasset uns hinauf wandeln nach Zion zum Ewigen, unserem Gotte!' von den Beamten des Tempels und den Großen der Stadt eingeholt, betraten endlich die frommen Pilger die Tore der heiligen Stadt, des Psalmisten Worte anstimmend: 'Unsre Füße stehen in deinen Toren, Jerusalem!' Mit des Psalmisten Gruß: 'Der Segen Gottes über euch! Wir preisen euch im Namen des Herrn!' wurden überall die Wanderer empfangen. So schritt der festliche Zug immer unter dem frohen Schalle der Musik durch die Straßen der Stadt dem Tempelberge zu. Hier angelangt fanden es selbst Könige nicht unter ihrer Würde, den eigenen Korb auf die Schulter zu nehmen, indem sie des gekrönten Sängers Worte anstimmten: 'Lobet den Herrn in seinem Heiligtume. - - - Alles was Odem hat, lobe den Herrn!' (hebräisch und deutsch:) Heil dem Auge, das solches geschaut!"  
Anmerkungen: - Zion: https://de.wikipedia.org/wiki/Zion
- Moriah: https://en.wikipedia.org/wiki/Moriah
- Bikurim: vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fest_der_Erstlingsfrucht  
- Zimbel: https://de.wikipedia.org/wiki/Zimbel
- Tempelberge: https://de.wikipedia.org/wiki/Davidsstadt 
 

        
Der Privatier Phil. Zimmer (evangelisch) vermacht größere Summen auch den jüdischen Gemeinden der Stadt (1890)         

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. Juli 1890: "Wiesbaden, im Juli (1890). Vor einiger Zeit starb dahier der hiesige Privatier Phil. Zimmer, ein evangelischer Christ, der außer mehreren interkonfessionellen Wohltätigkeitsvereinen, die er mit einem Legate von je 500 Mark bedachte, auffallender Weise auch den 'beiden israelitischen Kultusgemeinden' dahier je 500 Mark vermachte. Auffallend ist dieses Vermächtnis deshalb, weil der Verblichene weder der evangelischen, noch der katholischen Kirchengemeinde etwas vermachte, und auch die übrigen hier vorhandenen religiösen Gemeinschaften leer ausgingen. (Wie ich höre, war seine im Tode vorausgegangene Ehegattin eine getaufte Jüdin)."    

   
Vorstellung einer Publikation zur Geschichte der Juden in Wiesbaden (1891)      
Anmerkung: die Angaben zeigen den Forschungsstand Ende des 19. Jahrhunderts.  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Juni 1891: "Der soeben erschienene 23. Band der 'Annalen des Vereins für nassauische Altertumsfunde und Geschichtsforschung' (Wiesbaden 1891, Roths Buchhandlung) enthält unter anderem eine recht interessante Abhandlung über 'Die Juden zu Wiesbaden' von F. Otto. Wann zuerst Juden nach Wiesbaden gekommen, darüber ist wenig bekannt. Aus dem Mittelalter existieren nur zwei Aufzeichnungen: Eine aus dem Jahr 1385, die einen Juden Kirsam und eine aus dem Jahre 1427, die einen Gebhardt erwähnt. Die Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts haben also nicht die vollständige Austreibung der Juden oder das Verbot ihrer Zulassung in die Stadt zur Folge gehabt. Mehr wissen wir über die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts: 1518 wird dem Juden Jacob von Nürnberg der Schutzbrief vom Grafen Philipp erneuert; wiederum 1521 und 1534 auf dessen Eidam Kipps ausgedehnt. Ein Streit der Bürgerschaft mit Jacob veranlasst Philipp, den Jacob auszuweisen, nachdem die Bürger sich erboten, dem Grafen 100 Gulden zu zahlen, doch es tritt ein anderer Jude, Gump, an dessen Stelle, zu dem dann noch ein Moses kommt, die mit den Bürgern in Frieden leben. Ein weiterer ist hinzugekommen, Joseph, der noch anders veranlasst in die Stadt zu ziehen, bekommt einen Prozess mit der Stadt, dem wir ein interessantes Aktenstück verdanken. Alles Mögliche und Unmögliche wird den Juden, deren Geschäftskonkurrenz die Bürger fürchten, nachgesagt; so unter anderem, dass sie in ihren Häusern Fest feiern, welche das Christentum und dessen Stifter verspotten. So lautet ein Anklagepunkt: 'Es hat Joseph Sohn, Weib und sonst noch ein Judin bey ihn uff den Grünen Donnerstag, als weib und mannsperson zu dem hl. Abendmahl gangen, uff der gassen gestanden, der Juden weib zu der andern Judin gesagt, honischer und spottischer weiß. Weich, weich, Last sie gehen, sie hungern, haben heutt gefast u.s.w.' So sollen dann die Juden auch 'ein sonder Synagog uffgericht' haben, die Christen zu verfluchen und ihnen alles Unglück anzuwünschen. 'Es ist hiebevorn, als Mohel hiebevorn Faßnacht nach jüdischer gewonheydt, hatt sich Mohel Judt Knecht uff der Ert mit überschlagenen Füßen, ausgestreckten Armen zur Kreuzfigur gelegt undt die anderen Juden umd ihn getanzt und undweilen einer dan die andern dem liegenden Juden im Umtanzen ein Stoß mit einem Fuß geben, also unsern Seligmacher, den Kreuzigsten verlestert.' In der Tat stand es sehr schwach mit allen andern Klagepunkten, den Handel der Juden betreffend, die nur deren größte Rührigkeit bewiesen, dass man zu solchem Blödsinn die Zuflucht nehmen müsste. Das Gesuch war ohne Erfolg. Der Anfang des 30jährigen Krieges sollte für die Machinationen der Judenfeinde, an deren Spitze die Geistlichkeit stand, günstiger sein, die Verschlechterung der Münzen durch die Kipper und Wipper gab den Vorwand, und Graf Ludwig befahl im Jahre 1621 die Räumung der Stadt von den Juden. Doch blieben sie noch, natür-           
Wiesbaden Israelit 11061891f.jpg (122457 Byte)lich gegen Aufwendung großer Geldmittel, bis zum Oktober 1626. Im Jahre 1637 wurde unter dem Erzbischof von Mainz, dem Wiesbaden zufiel, dem Juden Nathan der Wohnsitz in Wiesbaden gestattet, seitdem siedelten sich dort wieder Juden an, ohne aber, dass damit ihre Leidenszeit vorbei gewesen wäre. Um 1700 wurde der erste Rabbiner angestellt; das gegenwärtige Jahrhundert brachte den dortigen Juden die Gleichberechtigung.-
Der Tod des bedeutenden und bis jetzt noch nicht ersetzten Zentrumspolitikers, Ludwig Windthorst, hat das merkwürdige Wunder geübt, für einen Moment allen Parteihader im deutschen Reiche verstummen zu lassen. Alle einten sich angesichts des Hintritts dieses Mannes dem hohen Gerechtigkeitssinne zu huldigen, das ihn während seines langen Lebens auszeichnete. In all den traurigen Zeiterscheinungen, die manchen zum Pessimisten machen könnten, ist es doch ein erhebendes Gefühl, dass die Achtung vor der Wahrhaftigkeit, vor der Ehrlichkeit des Charakters größer ist, als jede Parteirücksicht, dass sie sich über den Parteistandpunkt erhebt. Wir werden hieran wieder durch eine kurze Lebensbeschreibung Ludwig Windhorsts aus der Feder des Pfarrers Joh. Menzenbach (Trier, Paulinus-Druckerei) erinnert. Diese stellt, nachdem das Leben dieses Mannes erzählt ist, zum großen Teile die Nachrufe zusammen, die diesem Parlamentarier in den Zeitungen gewidmet wurden, unter denen sich natürlich auch die der jüdischen Blätter befinden, die warme Worte für den Hintritt Windthorsts, den Vertreter der Rechtsgleichheit aller Konfessionen, hatten." 
Anmerkungen:  - Eidam: https://www.dwds.de/wb/Eidam
- Mohel: https://de.wikipedia.org/wiki/Mohel
- Machination: https://www.dwds.de/wb/Machination
- Kipper und Wipper: https://de.wikipedia.org/wiki/Kipper-_und_Wipperzeit
- Zentrum: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Zentrumspartei
- Ludwig Windthorst: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Windthorst   https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/2089 
   

    
Anlässlich der Gründung eines antisemitischen Vereins in Wiesbaden: Aufruf gegen nicht reelle Geschäftspraktiken unter jüdischen und christlichen Geschäftsleuten  (1892)   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. November 1892: "Wiesbaden. Das hiesige Tagblatt enthält in seiner Samstagsnummer folgende 'Stimme aus dem Publikum': Das 'Tagblatt' brachte jüngst einen Artikel über Gründung eines antisemitischen Vereins am hiesigen Platze. Seither hat man derartige Gegensätze hier nicht gekannt, und konfessioneller Friede war in Nassau, besonders in unserer Bäderstadt, von altersher. Viel wichtiger wäre es, wenn sich ein Verein bilden würde, der es sich zur Aufgabe macht, schwindelhafte Ausverkäufe etc. zu bekämpfen, gleichviel, von welcher Seite sie kommen; denn die ganze Gründung des antisemitischen Vereins ist doch weiter nichts, als ein Kampf gegen unreellen Handel. Es gibt Geschäfte, christliche und jüdische, die seit Jahren in kurzen Zeiträumen unter irgendeinem Vorwande Ausverkäufe inszenieren, bei denen das Publikum nur getäuscht wird. Hier ist es die Aufgabe des reellen Geschäftsmannes und aller ehrlich Denkenden, einerlei ob Christ oder Jude, Front zu machen, denn nicht die Religion, sondern die Unreellität muss bekämpft werden. Kein gediegener Geschäftsmann hat es nötig, vorausgesetzt, dass er nicht in kurzer Zeit liquidieren will, seine Ware unter Wert, wie so oft heutzutage zu lesen, zu verkaufen. Unter welcher Flagge auch der Ausverkauf angezeigt wird, ob in Folge Umzugs, Inventur etc., die gute Ware hat immer ihren Wert und wer bei solcher Gelegenheit auf den Leim geht, wird finden, dass er in reellen Geschäften, ohne Ausverkauf, ebenso billig angekommen wäre. Also Front gegen jeden Schwindel und alle marktschreierischen Annoncen. Gründen wir einen Verein, dessen Mitglieder sich zur Aufgabe machen, das ehrliche Geschäft zu unterstützen und die unreellen Ausverkäufe etc., kurzum jeden Schwindel, zu bekämpfen und richtig zu beleuchten."  
Anmerkung: - Liquidieren: (hier) sein Geschäft aufgeben 
         

  
Abweisung eines jungen jüdischen Kaufmanns bei der Bewerbung zum militärischen Freiwilligendienst (1904)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April 1904: "Wiesbaden, 4. April. Ein junger israelitischer Kaufmann hatte sich als Zweijährig-Freiwilliger bei einer Batterie des Artillerieregiments Nr. 27 gemeldet. Der Hauptmann erklärte ihm unter Berufung auf die Weisung einer anderen Dienststelle mit dem Ausdruck des Bedauerns, dass er israelitische Freiwillige nicht mehr annehmen dürfe. Durch Vermittelung des Vereins der Staatsbürger jüdischen Glaubens wurde dagegen Beschwerde geführt, in Folge derer vom kommandierenden General des 18. Armeekorps der schriftliche Bescheid kam, dass die Zurückweisung eines Freiwilligen seines Glaubens wegen 'nach den gesetzlichen Bestimmungen ungerechtfertigt' ist. Das Erforderliche sei veranlasst worden, und dem Bewerber werde anheimgestellt, sein Gesuch beim Regiment zu erneuern. Er hatte sich aber inzwischen schon bei einem anderen Truppenteil gemeldet und war angenommen worden. Der ersten Abweisung soll ein Missverständnis zugrunde gelegen haben. Wie dieses entstehen konnte, ist nicht ganz aufgeklärt worden, zumal der oben erwähnte Hauptmann für seine Person nicht des Antisemitismus verdächtig sein kann, da bei seiner Batterie in der letzten Zeit zwei jüdische Einjährige zum Vizefeldwebel befördert worden waren." 
Anmerkungen:  - Batterie: https://de.wikipedia.org/wiki/Batterie_(Militär)   
Einjährige: https://de.wikipedia.org/wiki/Einjährig-Freiwilliger           

   
Schlagfertiger Fremdenführer in Wiesbaden (1909)       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom  26. August 1909: "(Antisemiten-Andacht) Fährt da ein Fremder in der Stadt Wiesbaden umher und lässt sich vom wackeren Rosselenker die nötigen Aufklärungen über Namen und Bedeutung der einzelnen Bauwerke geben. Der Cicerone weist mit der Peitsche nach rechts und sagt mit dem ganzen Stolz des Mannes, der alles weiß: 'Die Synagog’!' Und als der Fahrgast nicht sofort deutliche Zeichen des Verständnisses von sich gibt, fügt er hinzu: 'Die Juddekerch!' - 'Ach', tönt es ihm aus dem Wagen entgegen, 'sind hier so viele Israeliten? Das hätte ich gar nicht gedacht.' - 'Doch, es sinnere genug do!' - 'Hm, da haben Sie wohl auch sehr viele Antisemiten hier?' - 'Ja, natürlich', antwortete es die Weisheit vom Bock herab, 'e ganze Meng. Awwer zu einer eigenene Kerch hawwe se’s noch net gebracht.'"
Anmerkungen: - Cicerone: https://de.wikipedia.org/wiki/Cicerone
- Juddekerch: 'Judenkirche'
- 'Doch, es sinnere…': 'Doch, es sind genug von ihnen da.'
- '..e ganze Meng…': '..eine ganze Menge. Aber zu einer eigenen Kirche haben sie es bis jetzt noch nicht gebracht.'         


Der jüdische Händler Citronenbaum aus Mainz erscheint am zweiten jüdischen Neujahrstag nicht vor Gericht in Wiesbaden (1912)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Oktober 1912: "Wiesbaden, 24. September. In einer am zweiten Rosch-Haschanah-Tage vor der hiesigen Strafkammer angestandenen Strafsache war unter anderem auch der Händler Citronenbaum aus Mainz, der jüdischer Religion ist, geladen. Bereits einige Tage vor dem Termin hat er zu den Akten mitgeteilt, dass er infolge der hohen jüdischen Feiertage (Neujahrsfest) nicht zu dem Termin erscheinen könne, er bat deshalb um Verlegung des Termins. Der Vorsitzende der Ferienstrafkammer ließ dem Zeugen darauf die Nachricht zugehen, dass er bei Meidung einer Strafe zu der Verhandlung erscheinen müsse. Eine Verlegung der Sache sei wegen der anderen geladenen Zeugen unmöglich. Citronenbaum leistete jedoch der Vorladung am Freitag keine Folge, sondern sandte ein Telegramm des Inhalts: 'Meine Religion verbietet mir jegliches Reisen. Citronenbaum.' Der Staatsanwalt beantragte hierauf gegen den Zeugen 20 Mark Ordnungsstrafe. Das Gericht sah jedoch von einer Bestrafung ab, indem es annahm, dass der Zeuge, wenn religiöse Bedenken dem Erscheinen vor Gericht entgegen stehen, als entschuldigt anzusehen sei. Zu Fuß von Mainz nach Wiesbaden zu gehen, könne dem Zeugen keineswegs zugemutet werden, auch könne man dieses vielleicht als ein Reisen auffassen."
Anmerkung: - Rosch-Haschanah: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana 
         

 
Der Hetzpastor von Borkum Ludwig Münchmeyer hält in Wiesbaden einen antijüdischen Vortrag (1920)   
Anmerkung: es handelt sich um Ludwig Münchmeyer (geb. 1885 in Hoyel, gest. 1947 in Böblingen); als evangelischer Pastor auf der ostfriesischen Nordseeinsel Borkum (seit 1920) tat er sich durch besonders aggressive antisemitische Hetzreden hervor. 1925 eröffnete das Landeskirchenamt der Hannoverschen Landeskirche ein Disziplinarverfahren gegen Münchmeyer; 1929 wurde er aus dem Kirchendienst mit allen Konsequenzen entlassen. 1928 wurde Münchmeyer "Reichsredner" der NSDAP, 1930 zog er in den Reichstag ein, in dem er bis Mai 1945 verblieb. Bis zu seinem Tod blieb Münchmeyer unbelehrbarer Nationalsozialist.
Vgl. Wikipedia-Artikel Ludwig Münchmeyer.    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Februar 1920: "Der bekannte Hetzpastor von Borkum, Münchmayer, hielt auf einer nationalsozialistischen Versammlung in Wiesbaden einen Vortrag und verkündete, dass er und seine Freunde bestrebt sein würden, aus Wiesbaden 'ein zweites, großes Borkum' zu machen. Die Kurinstanzen und die Hoteliers fordern energisches Einschreiten der Stadtverwaltung gegen solche Schädigung des Rufes von Wiesbaden."            

  
Schwere Zusammenstöße zwischen jüdischen Frontsoldaten und Nationalsozialisten (1927)     

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 28. Januar 1927:  "Wiesbaden. Hakenkreuzler und jüdische Frontsoldaten. Bei dem ersten Auftreten der Nationalsozialisten im besetzten Wiesbaden anlässlich einer Wahlversammlung für die bevorstehenden Stadtverordnetenversammlung ist es vorige Woche zu schweren Zusammenstößen mit einer Abordnung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten gekommen. Nach vorheriger Vereinbarung mit dem Vorsitzenden, war der Abordnung unter der Voraussetzung, dass sie die Ruhe nicht stören und sich nur an der Diskussion beteiligen würde, der Zutritt erlaubt worden. Beim Eintritt kam es plötzlich durch das lärmende Vordringen eines Versammlungsbesuchers zu einem Streit, der sofort in eine Schlägerei mit Stöcken und Stühlen ausartete. Es gab zwölf bis fünfzehn mehr oder weniger erheblich Verletzte. Nach Schluss der Versammlung wurden die Teilnehmer auf Waffen hin untersucht; es wurden bei den Hakenkreuzlern Gummischläuche und Stöcke, sowie eine Reitpeitsche festgestellt. Nachdem die Hunderte, die sich auf der Straße angesammelt hatten, zerstreut waren, verließen die Hakenkreuzler auf Lastautos, mit denen sie von Frankfurt gekommen waren, die Stadt. Vom R.j.F., der behauptet, die Polizei hätte energischer zugreifen müssen, ist eine Eingabe hierüber dem Regierungspräsidenten überreicht worden. Die Polizei behauptet dem gegenüber, der Streit sei so plötzlich ausgebrochen und habe so rasch um sich gegriffen, dass nicht seine Verhütung, nur seine Einschränkung und seine rasche Beilegung möglich gewesen wäre."  
Anmerkung:  - Reichsbund jüdischer Frontsoldaten: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten            

  
Der Besitzer des Hotels "Frankfurter Hof" zeigt seine antisemitische Gesinnung (1927)     

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 28. Januar 1927: "Wiesbaden. Der Besitzer des Hotels 'Frankfurter Hof' hier scheint keinen Wert auf den Besuch von Juden in seinem Lokal zu legen. Wie wir der 'C.V. Zeitung' entnehmen, wurden bei den Einweihungsfeierlichkeiten seiner Räume auf sämtlichen Tischen Exemplare des antisemitischen 'Nassauer Beobachters' ausgelegt und trotz Einspruchs der anwesenden jüdischen Gäste nicht weggenommen." 
Anmerkung: - Der Besitzer war Metzgermeister Otto Nicol, Oberpfortstraße 2.         
- C.V.-Zeitung = Zeitschrift des "Central-Vereins"       

    
Chassidische Führer zu Besuch in Wiesbaden (1928)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juli 1928: "Chassidische Führer in Wiesbaden und Frankfurt.
Der bekannte Bobower Rebbe wird, wie uns aus Krakau gemeldet wird, kommende Woche zur Kur nach Wiesbaden kommen und Parkstraße 53 absteigen.
Der Strykower Rebbe kommt von Nauheim nächsten Dienstag oder Mittwoch nach Wiesbaden und von da nach Frankfurt." 
Anmerkungen: - Chassidismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Chassidismus
- Rebbe: https://de.wikipedia.org/wiki/Admor
-  Bobower Rebbe: vgl.  https://en.wikipedia.org/wiki/Bobowa          

   
Ausflug einer jüdischen Jugendgruppe aus Frankfurt nach Wiesbaden (1928)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. November 1928: "Ein Sonntagnachmittag in Wiesbaden
Das war ja eine stattliche Zahl von fröhlichen Mädels und Jungens, die sich vorigen Sonntagnachmittag um 1 Uhr am Hauptbahnhof traf, um gemeinsam einen Abstecher nach Wiesbaden zu machen! Die Fahrt war sehr lustig und dort wurde man am Perron erwartet. Die 'Meenzer' Freunde trafen auch kurz darauf ein, und nun ging es im zwanglos geordneten Gänsemarsch durch die Stadt zum Neroberg. Für manchen Teilnehmer war es recht gesund, den Berg hinauf zu kraxeln und wirklich, es lohnte sich der Mühe. Denn welch ein Anblick auf die Rheinebene im Hintergrund, im herbstlichen Sonnenschein der glitzernde Rhein und unten das herrliche Kurstädtchen bzw. die Großstadt Wiesbaden! Ein lieber Freund, der Hoffotograf der Aguda-Jugend, Herr Arno Katz, hielt die Teilnehmer im Bilde fest und welch lachende Gesichter durfte er knipsen! Nach einem kurzen Blick ringsum auf die herrliche Herbstlandschaft und es ging nun gar zu schnell wieder hinunter, da die Kehilla ihre jugendlichen Gäste zum Gottesdienst in Schul erwartete.
Nachdem im Café recht gemütlich auch seines Magens gedacht hatte, trennte man sich in kleine Gruppen zur Besichtigung der Stadt und des Kurhauses. Selbst für den verwöhnten Frankfurter waren die Eleganz der Auslagen und der Dekorationen wert, angesehen zu werden, nicht zuletzt das Kurhaus, das man besichtigte.
Um 6.30 Uhr fand man sich wieder im Hörsaal der Gemeinde ein und allmählich ward das Nachtmahl aufgetragen. Wiesbadener und Frankfurter Damen hatten alles glänzend arrangiert. Besondere Erwähnung muss die Tochter des Hauptorganisators der Veranstaltung in Wiesbaden, Frl. Deutsch, finden, und auch eine Frankfurterin, Frl. Wohl hatte mit viel Mühe alles 'wohl' zubereiten helfen.
Inzwischen haben sich verschiedene Wiesbadener Herrschaften eingefunden, um einen gemütlichen Abend mit der Aguda-Jugend zu verbringen. Nach einigen ermunternden Gesängen unter Leitung des lieben Freundes Ernst begrüßte der Vorsitzenden der Frankfurter Gemeinde, Herr Rechtsanwalt Dr. Katz, die Anwesenden, insbesondere Herrn Rabbiner Dr. Ansbacher und Herrn Lehrer Hes, sowie den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Herrn Cahn, ferner die Mainzer Gäste und einen Vertreter der Kreuznacher Jugend. Im Verlauf des Abends, in abwechselnder Folge von Speis und Trank, Gesang und becheinten jüdischen Witzen – besonders bei letzteren war die Beteiligung recht rege – sprachen noch Herr Lehrer Hes, Herr Vorsteher Cahn, sowie Herr Rechtsanwalt Sulzberger. Bei den gesanglichen Darbietungen sind besonders die Herren Lehrer Hes und Lehrer Frankfurter aus Mainz hervorzuheben. Ein Rundgesang wurde unter allgemeiner Beteiligung recht laut gesungen.
In der angenehmen Stimmung verlief der Abend so schnell, dass man sich, als man sich schon nach 11 Uhr trennen musste, dazu kaum entschließen wollte. Nach erfolgter allgemeiner Verabschiedung bestieg man den Zug, der einen spät nach Mitternacht nach Frankfurt wieder zurückbrachte.
Das war nun eine wirklich wohlgelungene Veranstaltung der Jugendgruppe und sie hatte gezeigt, dass die Jugend, die die Woche hindurch die Abendstunden mit Ernst und Eifer sich dem Studium des Gotteswortes widmet, auch Sinn und Interesse für echte jüdische Geselligkeit und jugendliche, muntere Heiterkeit hat."  
Anmerkungen: - Perron: https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnsteig
- Aguda-Jugend: https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation  vgl. Artikel von 1925  
- Kehilla: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
- Rabbiner Ansbacher: vgl. Artikel zu seiner Amtseinführung in Heilbronn 1911 
- Becheint (jiddisch): nett, liebenswürdig, witzig
- Rechtsanwalt Sulzberger: vgl. Artikel von 1916   

 
Verbot des Aufmarsches von Hakenkreuzler (1929)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom  11. April 1929: "Aufmarsch der Hakenkreuzler in Wiesbaden verboten
Wiesbaden
, 3. April.  Für Sonntag hatten die Hakenkreuzler hier einen großen Aufmarsch ihrer Verbände aus Nassau, Hessen und der Pfalz angekündigt. Sie hatten den Tag, an dem hier die vielen hundert Ärzte aus Deutschland zu dem Medizinkongress eintreffen, mit Absicht gewählt. Da die Kurinteressenten aber durch das die Kur schädigende Treiben der Nationalsozialisten sich schon zu der Forderung einer politischen Bannmeile für das Kurviertel veranlasst gesehen hätten, hat die Polizei diesen Aufmarsch verboten, ebenso eine für den gleichen Tag geplante Kundgebung der Sozialdemokraten gegen den Faschismus."    


In Wiesbaden herrscht abgesehen von kleinen Zwischenfällen "Ruhe und Ordnung" (April 1933)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. April 1933: "Wiesbaden, 4. April (1933). Von kompetenter Seite wird uns mitgeteilt: Um unbegründeten Gerüchten zu begegnen, sehen wir uns veranlasst, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass hier im Verkehrsleben Ruhe und Ordnung herrscht, abgesehen von kleinen Zwischenfällen in den ersten Tagen der Umwälzung, niemand belästigt wird, insbesondere, dass Kurfremde unbehindert in ihrem Aufenthalt bleiben. Andere Mitteilungen sind erdichtet oder übertrieben."        

    
Gemeindebeschreibung der jüdischen Gemeinde Wiesbaden mit Beschreibung der Synagoge(n) (1936!)     

Wiesbaden GblIsrGF Juni 1936 358.jpg (493164 Byte)Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt" vom Juni 1936 S. 358-359: "Wiesbaden. Hauptstadt des Regierungsbezirks Wiesbaden, nach Einverleibung von Sonnenberg, Bierstadt, Erbenheim, Biebrich, Schierstein, Frauenstein und Dotzheim, die alle eigene, zum Teil alte, Judensiedlungen besaßen, heute 165.000 Einwohner, darunter etwa 2.000 Juden (um 1930 rund 3.200). Zur Römerzeit 'Aquae Mattiacae', 'Mattiakische Quellen' nach der Völkerschaft der Mattiaker, römischer Badeort und bürgerliche Niederlassung. Zur Zeit Karls des Großen als 'Wisibada', Wiesenbad, Vorort des Königs-Sondergaues. Kommt 1150 an die Gaugrafen von Nassau. Im 14. Jahrhundert wird es wieder Badeort, und seine beiden Geschlechtern gemeinsam offenen Bäder erregen manches Ärgernis. Mehrfach kriegsverheert, sieht es gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges Hasen und Rebhühner auf seinem Marktplatz nisten. Langsam zuerst, schneller seit 1816, als Wiesbaden Hauptstadt von Nassau geworden war, geht es aufwärts, noch schneller in preußischer Zeit. -
Vereinzelte Juden wohnen seit dem 14. Jahrhundert hier. Der erste 1385 namentliche erwähnte, heißt Kirsan (Gerson); 1427 wird der Jude Gebhardt als Hausbesitzer genannt. Die Zahl wächst. Die erste heute noch nachweisbare Judenwohnung ist die des Juden Joseph, der 1573 mit Frau, Sohn und Begleitung im Badhaus zum Helm (heute Hotel goldene Kette), Goldgasse 1, Wohnung nimmt, rituell lebt, eigene Betstube einrichtet. Auch jüdische Badegäste gibt es damals schon und einen jüdischen Glaser Gump, der in der Metzgergasse, der heutigen Wagemannstraße, wohnt, mit Glas und Nägeln handelt mund sogar Kredit gewährt. Einige Jahrzehnte, man weiß nicht warum, ist Wiesbaden judenfrei, aber 1620 nimmt die Bevölkerung eine Anzahl Judenfamilien, die vor den Spaniern aus Eppstein fließen mussten, freundlich auf. Das 'Judenbad' wird der Stern. Nach ihm gibt's zwei Judenbäder: Die 'Zwei Böcke', noch heute in der Häfnergasse, und den 'halben Mond'. Die Seelenzahl der Gemeinde wie die der jüdischen Kurgäste wächst, obwohl die Wiesbadener K'hllah neben der Idsteiner (Wiesbaden gehört zur Herrschaft Nassau-Idstein) noch an Bedeutung zurückbleibt. Der erste uns bekannte Rabbiner von Idstein und Wiesbaden ist R. David Grünhut, der gleich seinen Kollegen von Hanau, Darmstadt und anderen Landgemeinden in Frankfurt wohnt. Er ist hier Leiter der Oppenheimerschen Jeschiwah, ist Kabbalist und Freund von Johann Jacob Schudt, der sich in seinem berühmten Buch 'Jüdische Merkwürdigkeiten' auf ihn als den 'mir durch öftere Konversation familiare' R. David Grünhut beruft. Zur Bibelübersetzung des unerbittlichen Judenfeindes Prof. Andreas Eisenmenger ('Entdecktes Judentum' stammt von ihm) schreibt R. David eine Vorrede! Noch interessanter sein Nachfolger R. Hirsch Henoch Frenkel, Freund des Rabbi Chajim Bacharach, Rabbiners von Koblenz (Grab auf dem alten Wormser Friedhof). Frenkel, ebenfalls Kabbalist, geht 1709 als Oberrabbiner nach Ansbach, kommt 1812, der Unredlichkeit und Zauberei beschuldigt, ins Gefängnis, und wird nach 24 Jahren, 74-jährige, entlassen (Carmoli: 'Der Gefangene', im 'Israelit' 1868). Großes Aufsehen erregt um 1720 der Fall von Heinrich Tileman König, Bürgern und Wagnern', der sich trotz Gefängnis und sonstiger Repressalien öffentlich zum Judentum bekennt, ohne allerdings Jude zu werden. 1724 wird das Bad zum 'Rebhuhn', der heutige 'Pariser Hof' in der Spiegelgasse, eröffnet: Der 'Rebhinkel', das bald auch eine Betstube enthält. Der Friedhof auf dem Kuhberg (heute 'Schöne Aussicht') wird erweitert. Ähnlich wie in Frankfurt zwischen den Kann und Drach wütet in Wiesbaden um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein Gemeindekrieg, eine Folge allgemeiner Jagd um Aufnahme jüdischer Kurgäste. Der Polizeidirektor entscheidet: da den jüdischen 'Honoratioren', den 'sogenannten Fürsten des Volkes', die Einkehr in bessere christliche Badhäuser freisteht, und das 'Rebhuhn' den übrigen genüge, bestehe keine Wohnungsnot für jüdische Kurgäste; vorübergehend Durchreisende können logieren, wo sie wollten, auch bei jüdischen Privatleuten. Rabbiner von 'Wiesbaden und Idstein' ist damals, 1760-1790, R. Abraham Joseph aus 'Tennenlohe' in Mittelfranken, der durch Heirat zugleich Badhausbesitzer wird und beide Berufe seinem Sohne Rabbi Heyum (Chajim) Abraham 'Dentla' vererbt. Sein Enkel Abraham Moses 'Tendlau' stirbt 1878 als Privatgelehrter und mit Recht 'vielgelesener' Schriftsteller in Frankfurt; ein letzter männlicher Nachkomme der Manneslinie lebt noch in Wiesbaden. 1832 bis 1838 wirkt als erster modern gebildeter Rabbiner der Gemeinde Wiesbaden Abraham Geiger und legt hier die wissenschaftliche Grundlage für das liberale Judentum sowohl mit seiner Zeitschrift 'Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologen' wie mit der von ihm 1837 einberufenen ersten liberalen Rabbinerversammlung in der Welt. So rückt Wiesbaden für wenige Jahre in den Brennpunkt jüdischer Interesses. Geiger, Sprössling einer alten Frankfurter Familie, wird nach längerer Amtszeit in Breslau Rabbiner seiner Vaterstadt und wirkt zuletzt in Berlin, Er stellt eine neue, wichtige Beziehung zwischen den Gemeinden Frankfurt und Wiesbaden nach den schon erwähnten dar. In den folgenden Zeiten bis zum Weltkriege starker Aufschwung der Gemeinde wie der Stadt, der wohl zum Bau einer stattlichen Synagoge und Anlage eines neuen schönen Friedhofs, 1891, nicht aber zur Erwerbung oder zum Bau eines Gemeindehauses oder auch nur eines dazu geeigneten Grundstückes führt - ein heute sehr schmerzlich fühlbarer Mangel. Stillstand während des Krieges, danach zahlenmäßig kurzer Aufstieg. Seit 1933 starke Abnahme der Seelenzahl durch Abwanderung, vor allem der Jugend, und durch Tod, zu einem gewissen Teil freilich ausgeglichen durch steten Zuzug von Rentnern und pensionierten Beamten, die allmählich den Charakter der Gemeinde prägen werden. Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde und des Rabbinatsbezirks Wiesbaden, der 25 Gemeinden umfasst, ist Dr. Paul Lazarus. Rabbiner der Altisraelitischen Kultusgemeinde (orthodoxe Separatgemeinde) ist Dr. Jonas Ansbacher. Auch der Begründer dieser Gemeinde, Altrabbiner Dr. Leo Kahn, lebt 95 Jahre alt, in glücklicher Rüstigkeit in Wiesbaden. Von den Bezirksgemeinden liegen Wiesbaden-Bierstadt, Wiesbaden-Biebrich und Wiesbaden-Schierstein seit der Stadterweiterung auf Wiesbadener Gebiet und verwalten sich selbst; aber einen eigenen Lehrer hat nur noch Wiesbaden-Schierstein.  
Jüdische Sehenswürdigkeiten. Die Hauptsynagoge am Michelsberg. Erbaut von Oberbaurat Hoffmann, 1869 geweiht; stattlicher maurischer Bau mit schönklingender Orgel. Zahlreiche geschmackvolle Tora-Mäntel, sehenswerter Silberschmuck; unter den Vorhängen ist auch ein Geschenk von Mainzer Frauen als Dank für freundliche Aufnahme durch die Wiesbadener Juden während der Mainzer Judenunruhen Ende des 18. Jahrhunderts segenswert. - Synagoge der Altisraelitischen Kultusgemeinde, Friedrichstraße 33, würdig und luftig, mit schönen Nebenräumen. - Ostjüdische orthodoxe Betstätte 'Talmud Tora', Blücherstraße 6, Ahawath Zion, Geisbergstraße 4, hat nur an Sabbat und Festtagen Gottesdienst. Es bestehen ein Altersheim, ein Tagesheim für Kinder, eine rituelle Mittelstandsküche, Gemeindebibliothek und die üblichen zahlreichen Vereine, von denen das Jüdische Lehrhaus, mitgegründet von Franz Rosenzweig - Frankfurt, als besonders wichtig genannt seien. Außerordentlich schön der erwähnte alte Friedhof auf der schönen Aussicht (Schlüssel beim Kastellan der Hauptsynagoge). Auf dem Neuen Friedhof an der Platterstraße eindrucksvoller Obelisk mit den Namen der Kriegsgefallenen der Gemeinde. - Die letzte Errungenschaft der Gemeinde ist die jüdische Volksschule, schräg gegenüber der Mündung der Gartenfeldstraße in die Mainzer Straße;         
Wiesbaden GblIsrGF Juni 1936 359.jpg (175449 Byte)ein Doppelhäuschen, einstöckig, inmitten eines großen Platzes, mit Vorgarten. Sie ist soeben eröffnet worden. -  
Zwei gut geleitete, rituell geführte Hotels: Kronprinz, Taunusstraße 46, und Ritter, Taunusstraße 45. Außerdem zahlreiche jüdische Pensionen und Mittagstische. 
Sehenswürdigkeiten von allgemeinem Interesse. Der Hugo-Reisinger-Brunnen, die 'Visitenkarte' der STadt, am Bahnhofsplatz; die Wilhelmstraße, an ihrem Anfang das neue Museum mit beachtenswerter naturwissenschaftlicher und Kunstsammlung; als ihr Abschluss eine der schönsten Platzanlagen Deutschlands: im Osten die großartige Kurhausanlage von Friedr. Thiersch mit einem der prunkvollsten Konzertsäle Deutschlands (Dirigent: Generalmusikdirektor Schuricht); im Süden das Deutsche Theater, früher Nassauisches Landestheater (die Wandelhalle von Baronin Oppenheim aus Dessau gestiftet und von Baurat Genzmer nach dem Muster des Foyers der Pariser großen Oper erbaut). Im Westen das Hotel 'Vier Jahreszeiten' mit architektonisch bemerkenswertem Speisesaal, 'Hotel Rose' und 'Nassauer Hof'. Eine großzügige Umgestaltung der Kuranlagen vom 'Paulinenschlösschen' über die neue Kochbrunnen-Anlage zum Kurhaus und Kurgarten hat diesen Mittelpunkt der Kurstadt glanzvoll erneut. Alte Kochbrunnenquelle und Ausschank. In der Langgasse die älteste Apotheke, 1672 gegründet: die Schützenhof-Apotheke (Max Holländer). Römertor und Heidenmauer an der Coulinstraße. Das alte Rathaus und der alte Marktbrunnen am Marktplatz, die Landesbibliothek in der Rheinstraße (150.000 Bände).    
Ausflüge
. Wiesbaden ist Hauptstadt des Taunus, in nahem Halbkreis von ihm umgeben. Immer neue Ausflüge lassen die Vielgestaltigkeit des lieblichsten deutschen Gebirges erkennen, mit seinen Hochwäldern und Langtälern, seinen hundert Heilquellen (Wiesbaden allein zählt 27), seinen 100 Burgen, seinen 'Judenköpfen' und 'Judenpfaden', die auf besondere Kapitel jüdischer Lebensnot im deutschen Mittelalter hindeuten, seinen Römerkastellen, Limesgräben und Ringwällen, die von der Weite und Macht römischer Herrschaft wie dem Opferwillen und der Freiheitsliebe der heimischen Stämme zeugen. Genannt seien einige Nahwanderungen: Neroberg (berühmter Aussichtspunkt); nahebei das Opelbad in 300 m Höhe, eine in Deutschland einzig dastehende Anlage. Platte, ca. 500 m, mit Jagdschloss (sehenswertes Treppenhaus und außerordentliche Geweihsammlung). Bierstadterhöhe mit schöner Aussicht über Wiesbaden und Mainz. Unterhalb der Bierstadterhöhe..." 
Anmerkungen: -  K’hilah: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
- Rabbiner David Grünhut: https://www.jewishencyclopedia.com/articles/6908-grunhut-david 
- Jeschiwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa 
- Johann Jakob Schudt: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jacob_Schudt 
- Andreas Eisenmenger; https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Andreas_Eisenmenger 
- Rabbi Chaim Bacharach: https://de.wikipedia.org/wiki/Jair_Chajim_Bacharach 
- Abraham Moses Tendlau: https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Tendlau 
- Rabbiner Abraham Geiger: https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger 
- Rabbiner Dr. Paul Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner) 
- Toramantel: https://de.wikipedia.org/wiki/Toramantel 
- Hugo-Reisinger-Brunnen: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/reisinger-hugo.php    https://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/freizeit/natur-erleben/gruenanlagen-parks/herbert-reisinger-anlagen.php
- Kurhausanlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurhaus_Wiesbaden
- Friedrich Thiersch: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Thiersch   https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1470
- Deutsches Theater: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/hotel-vier-jahreszeiten.php
- Hotel Vier Jahreszeiten: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/hotel-vier-jahreszeiten.php
- Nassauer Hof: https://de.wikipedia.org/wiki/Hotel_Nassauer_Hof_Wiesbaden         

    
    
    
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben   
Bei der Einweihung der Bonifatius-Kirche wurden die Vertreter der jüdischen Gemeinde zunächst nicht eingeladen (1849)   
Anmerkung: es ging um die am 19. Juni 1849 erfolgte Einweihung der römisch-katholischen St. Bonifatius-Kirche.      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Juli (1849). Wiesbaden, 17. Juni (1849). Zu der Kircheinweihungsfeierlichkeit, die auf ausdrücklichen Wunsch des Herzogs so pompös wie nur möglich vonstatten gehen soll, sind außer der römisch-katholischen Geistlichkeit von nah und fern auch die hiesigen und benachbarten evangelischen, griechisch-katholischen und anglikanischen Geistlichen eingeladen worden, die Geistlichen der deutsch-katholischen und der israelitischen Gemeinde hat man jedoch übergangen. Ob man aber die Deutsch-Katholiken und die Israeliten übergangen hat, als es sich darum handelte, der in einer Anzahl von 700 Mann hierher kommenden Geistlichkeit bei den Bürgern bequeme Quartiere zu bereiten, das ist eine andere Frage; da hat man auf keinen Glaubensunterschied Rücksicht genommen, und zur Ehre unserer Stadt sei es gesagt, die Bürger haben sich großenteils sehr tolerant bewiesen und sich freiwillig zur Beherbergung erboten und gerade geschah dies vielfach auch von jüdischen Familien. Eine trübe und erbitterte Stimmung hat es deshalb aber auch umso mehr hervorgerufen, als vor einigen Tagen das Festprogramm erschien, aus welchem man ersehen musste, dass man den deutsch-katholischen und den israelitischen Geistlichen nicht zur Feier eingeladen hat. Sofort wurden von sehr vielen Bürgern und beinahe von sämtlichen Israeliten die bereitwillig erbotene Beherbergung gekündigt und die große Mehrheit der Bürgerwehrmänner, die ebenfalls das Fest durch Spalierbilden etc. verherrlichen sollten, erklärten sich entschieden gegen eine jede Beteiligung am Feste, was gewiss im andern Falle von beinahe allen Wehrmännern ohne Frage geschehen wäre. Nun war der so unangenehm überraschte Kirchenvorstand auf einmal so klug, nachträglich noch eine Einladung zur Feier an den Herrn Rabbiner Dr. Süßkind ergehen zu lassen, an den würdigen und sehr geachteten Prediger der hiesigen deutsch-katholischen Gemeinde, Herrn Pfarrer Graf, jedoch nicht. Ersterer hat aber in einem recht freundschaftlich gehaltenen Schreiben an den Kirchenvorstand die Einladung abgelehnt, der Gemeinde jedoch alles Glück und allen Segen wünschend."     
Anmerkungen: - Herzog: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolph_(Luxemburg)   )
- Bonifatiuskirche: https://de.wikipedia.org/wiki/St._Bonifatius_(Wiesbaden)  
- Deutsch-Katholiken:  https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschkatholizismus
- Rabbiner Dr. Süßkind: vgl. Artikel von 1892  

   
Vortrag von Rabbiner Dr. Silberstein über "Gabriel Rießer" (1895)     
Anmerkung: Über Gabriel Rießer informiert u.a. der Wikipedia-Artikel Gabriel Riesser - ein Bezug zu Wiesbaden besteht nicht.    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 20. Dezember 1895: "Auf Ersuchen des Synagogen-Gesangvereins in Wiesbaden, der sich auch die Pflege des geistigen Lebens zur Aufgabe setzt, hielt Herr Stadt- und Bezirks-Rabbiner Dr. Silberstein am 10. dieses Monats einen Vortrag 'Gabriel Rießer, ein Anwalt des Rechts', dem ein sehr zahlreiches, auch nichtjüdisches Publikum beiwohnte."     
Anmerkung: - Rabbiner Dr. Silberstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein
    

   
Ein 16-jähriger jüdischer Schüler ließ sich durch einen evangelischen Mitschüler taufen (1898)  
Anmerkung: zu dem im Text vorkommenden Stichwort "Mortara-Fall" vgl. den Wikipedia-Artikel Edgardo Mortara      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. März 1898: "Wiesbaden, 28. Februar (1898). Hier ereignete sich folgender, noch der Aufklärung bedürftige Fall: 'Ein etwa 16 Jahre alter israelitischer Schüler des hiesigen Gymnasiums veranlasste einen jüngeren Mitschüler, der evangelischen Bekenntnisses ist, ihn - den Israeliten - zu taufen, und zwar nach katholischem Ritus. Wie der evangelische Schüler dies zustande brachte, ist noch nicht bekannt. Wohl aber behauptet der 'Rheinische Kurier', dass diese Knabentaufe von katholischer Seite als gültig und in aller Form rechtens vollzogen anerkannt worden sei, und zwar trotz des Widerspruches der israelitischen Eltern des neugetauften Knaben. Es wäre also eine Art Mortara-Fall. Anders scheint die Leitung der Schule, welcher die zwei Schüler angehörten, den Vorfall aufgefasst zu haben: Beide sind sofort aus dem Schulverbande ausgeschlossen worden. Der Fall erregt großes Aufsehen in Wiesbaden."        
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. März 1898: "Wiesbaden, 6. März (1898). Wir haben bereits mitgeteilt, dass kürzlich hier ein evangelischer Gymnasiast an einem jüdischen Mitschüler durch die Taufe dessen Übertritt zum Katholizismus vollzogen hat. Trotzdem der aktiv Beteiligte erklärte, es handele sich nur um einen Dummenjungenstreich, wird von einer Anzahl Blätter ganz ernsthaft die Frage, ob die Taufe gültig sei, bejaht. Ein katholisches Blatt in Wiesbaden selbst hält mit seinen Lesern eine förmliche Katechismusstunde ab und weist nach, dass der junge Mann, weil es sich nicht um eine Nottaufe gehandelt habe, sich zwar ein fremdes Recht angemaßt habe, dass aber der Gültigkeit der Taufe nichts im Wege stehe, weil jeder Mensch, also auch ein junger Gymnasialschüler, gültig taufen könne. Auch der katholische Prälat Dr. Keller in Wiesbaden hat sich in ähnlichem Sinne ausgesprochen und folgende Darstellung des Falles gegeben: 'Der betreffende junge Mann glaubte die feste Überzeugung von der Wahrheit der katholischen Religion gewonnen zu haben und hielt sich deshalb zum Übertritt verpflichtet. Er wollte diesen jedoch mit Rücksicht auf seine Eltern, besonders seine Mutter, heimlich vollziehen und wandte sich daher an verschiedene Geistliche mit dem Ersuchen, die Taufe ohne Wissen der Eltern vorzunehmen. Da diese darauf nicht eingingen, so gewann er einen protestantischen Mitschüler, der die Taufe an ihm vollzog. Jeder Mensch kann gültig taufen. Die fragliche Taufe ist also gültig, wenn der junge Mann sie in richtiger Weise vollzogen und dabei die Absicht hatte, wirklich zu taufen. Dem katholischen Stadtpfarrer erklärte der Betreffende, er habe wirklich seinem Freunde den ausgesprochenen Wunsch erfüllen und ihn taufen wollen. Die Beschreibung seines Verfahrens bei dem Akte ließ ebenfalls alles als vorschriftsmäßig vollzogen erscheinen. Daher musste der Pfarrer die Taufe als gültig ansehen. Nachträglich gibt der junge Mann vor, er habe nicht taufen wollen, sondern sich nur einen Scherz erlaubt. Er allein kann wissen, was seine Absicht war, er allein kann daher auch mit Sicherheit die Entscheidung geben, ob die Taufe gültig ist oder nicht. Die beiden Schüler sind inzwischen durch ihre Eltern vom Gymnasium abmeldet worden.' Mit der Erklärung des jungen Mannes, er habe sich nur einen Scherz erlaubt, könnten die Akten über den etwas verworrenen Fall geschlossen werden. Auffallen muss aber, dass eine derartig vollzogene Taufe, wenn sie ernst gemeint ist, gültig sein soll. Ist der Gymnasiast etwa auch berechtigt, einen Taufschein auszustellen? Und ob die katholische Kirche den so Getauften ohne Weiteres als vollgültiges Glied ansehen würde, erscheint doch sehr zweifelhaft."     

   
Verschiedene Mitteilungen: 40-jähriges Jubiläum von Rabbiner Dr. Kahn - ein jüdisches Krankenhaus wird geplant - der Synagogengesangverein hat eine Restauration gemietet (1910)      
Anmerkung: kritische Beurteilung aus konservativ-orthodoxer Sicht     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 11. Februar 1910: "Wiesbaden. Verschiedenes. Hier pulsiert das jüdische Leben schwach, sehr leise, kaum merkbar. Es schlägt schwach, sehr leise, kaum merkbar. Es schlägt nicht so hohe Wellen, wie bei Ihnen in Frankfurt. Die paar Vereinchen, welche sich ihre Redner von auswärts verschreiben, geben manchmal ein Lebenszeichen von sich , - immerhin ein großer Fortschritt gegen früher, da alles Interesse für das Judentum gleich Null war. Belebend haben hier der Zionisten - , der jüdische Geschichts- und – last not least der Sabbatverein gewirkt. Es wäre zu wünschen, dass diese Vereine mehr die heimatlichen Kräfte zur Mitwirkung heranzögen und auch die Propaganda eifriger betrieben.
Vom 40jährigen Jubiläum des hiesigen orthodoxen Rabbiners haben Sie bereits Kenntnis genommen. Der allverehrte Jubilar hatte in seiner Bescheidenheit jede öffentliche größere Festlichkeit abgelehnt, und so verlief dieser – immerhin seltene – Anlass sang- und klanglos.
Die Errichtung eines jüdischen Krankenhauses, das schon längst ein dringendes, schreiendes Bedürfnis war, soll hier endlich geplant werden. Doch fehlt es an der Hauptsache, an der klingenden Münze, trotz der großen Anzahl hiesiger Millionäre – und an der richtigen Initiative. Die hiesigen jüdischen Ärzte wurden zur konstituierenden Versammlung beinahe gar nicht hinzugezogen, auch haben die religiös-indifferenten Kreise das Heft in der Hand.
Der Synagogengesangverein der Hauptgemeinde soll zur Gründung eines eigenen Clubs größere Räumlichkeiten gemietet und die Führung der Restauration einem Nichtjuden übergeben haben. Der Text zur Einweihungsfeierpredigt der neuen Lokalität wird wohl 'kol trepho lau sauchelu' lauten!
Füge ich noch hinzu, dass der hiesige Pope den Kronenorden 2. Klasse erhielt, während Rabbiner Dr. Kahn bei seinem 40jährigen Jubiläum leer ausging, so haben Sie alle Neuigkeiten von Interesse.  Spectator. 
Anmerkungen:  -  40jähriges Jubiläum: vgl. Artikel von 1909 
-  Geschichtsverein: vgl. Artikel von 1907  
-  Zionistenverein: vgl. Artikel von 1908     
-  Sabbatverein: vgl. Artikel von 1907 
-  Synagogengesangverein: vgl. Artikel von 1889   
-  ...an einen Nichtjuden übergeben: Was eine koschere Küche ausschließt. vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Treif
-  Kronenorden: https://de.wikipedia.org/wiki/Königlicher_Kronen-Orden_(Preußen)     
     

  
Über das jüdische Gemeindeleben in Wiesbaden (1927)     

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 3. Juni 1927: "Gemeindeleben in Wiesbaden. 
Das jüdische Gemeindewesen entwickelt sich rührig und stetig. Die etwa 3.200 Seelen zählende israelitische Kultusgemeinde, neben der noch eine 200 Seelen große orthodoxe Austrittsgemeinde besteht, unterhält eine Synagoge und subventioniert den einen eigenen Betsaal unterhaltenden Talmud-Tora-Verein. Ein Gemeindehaus mit Versammlungs- und Vereinsräumen soll in absehbarer Zeit errichtet werden. -
Das von Fräulein Frieda Capell schlechthin mustergültig geleitete Altersheim, die gleich segensreich wirkende Mittelstandsküche, die leider letzthin in ihrem Begründer Sally Herz auch ihren warmherzigsten und tatkräftigsten Förderer verloren hat, endlich der vor der Eröffnung stehende Kinderhort, in dem zunächst zwei hiesige jüdische Kindergärtnerinnen 30 jüdische Kinder betreuen sollen: Sie bezeichnen nur die sichtbarsten Gebiete jüdisch-sozialer Arbeit. Deren immer noch zunehmenden Umfang hat nunmehr zu seiner organisatorischen Zusammenfassung in der Hand eines Sozialbeamten, Dr. Beatus aus Frankfurt a. M., geführt unter dessen einheitlicher Leitung die Vereine auch weiterhin ihre Sonderaufgaben obliegen. - Einen starken Aufschwung nahm die Vereinigung jüdischer Frauen unter dem Vorsitz von Frau Dr. Goldstein. Stellenvermittlung Krankenbesuch, Stützung materiell Geschwächter in schwesterlicher Zusammenarbeit aller sozialen und religiösen Gruppen brachten Mühe und Erfolg. Der Kindergarten ist wesentlich das Werk der Vereinigung, auch ihr Eintreten für das aktive und passive Gemeindewahlrecht der Frau wird zum Ziel führen, die von ihr gebotenen Vorträge und Unterhaltungen belegen das jüdische Interesse unter starker Betonung der fraulichen Gemeinsamkeiten. -
Die Chewra der israelitischen Kultusgemeinde unter dem Vorsitz von Arthur Ganz umfasst ca. 300 Mitglieder. Sie ist im vergangenen Vereinsjahre bei 41 Todesfällen hilfreich tätig gewesen und hat in mehreren Fällen auch die Sterbekleider unentgeltlich geliefert. Die Gewährung einer obligatorischen Beihilfe an die Hinterbliebenen verstorbener Mitglieder wird erwogen. Im R.J.F. sprach Rabbbiner Dr. Ansbacher ('Jüdischer Mut in Lehre und Leben') und gelegentlich der Delegiertenversammlung des Landesverbandes Südwestdeutschland am 15. Mai Herr Rechtsanwalt Dr. Kann – Frankfurt a. M. ('Die politische Lage'). Die erwähnte Tagung wählte übrigens den Syndikus des C.B., Dr. Marx – Frankfurt a. M., in den Vorstand des Landesverbandes. Von den Veranstaltungen des C. B. Sind eine Purimfeier, ein Vortrag von Prof. Kinkel – Gießen ('Humanität und Judenfrage') und einer von Prediger i. R. Vorsanger – Kassel
('Aus jüdischer Vergangenheit und Gegenwart' mit Lichtbildern) als besonders werbekräftig hervorzuheben. - Auch die zionistische Ortsgruppe war lebhaft tätig, bis in die letzten Vorsommertage hinein. Rechtsanwalt Dr. Landsberg – Wies-            
Wiesbaden JuedWZKassel 03061927a.jpg (239344 Byte)baden ('Zionismus und Weltpolitik'), Jakob Herzberg – Frankfurt am Main ('Zionismus und Orthodoxie'). 'Zionismus und Liberalismus', Dr. Ernst Simon – Frankfurt a. M. ('Erziehungsfragen innerhalb des Zionismus'), Dr. med. Walter Kahn – Wiesbaden ('Zionismus und die Geistesströmungen der Gegenwart') seien unter den zahlreichen Rednern genannt. - Die Nassau-Loge (U. O. B. B.) lud weitere Kreise zu ihren Darbietungen in offener Loge. Aus Anlass von Sigmund Freuds 70. Geburtstage sprachen Dr. med. Laser und Stadt- und Bezirksrabbiner Dr. Lazarus über 'Die Lehrer Freuds von der Seelenforschung'; Dr. Ludwig Cohn – Breslau feierte Spinoza ('Spinozas ethische Sendung'), anlässlich der 250. Wiederkehr seines Todestages; Frau Lilien – Braunschweig zeigte und besprach 'Die Welt der Bibel in Bildern', Rechtsanwalt Guthmann referierte über modernen Aberglauben. -
Über das Konzert des Synagogengesangsvereins berichteten Sie schon. Ergänzend sei hier noch auf den außerordentlichen künstlerischen Erfolg des jungen Geigers Theo Ratner hingewiesen, dessen außerordentliche Technik die tiefe Beseeltheit des Ausdrucks durchaus ebenbürtig war. 'Lied' von Achron und 'Alter hebräische Themen' von Kirman, von Ratner gespielt, waren den jüdischen wie den zahlreichen christlichen Zuhörern und Kritikern ein Erlebnis. Ihn und die ebenfalls hervorragend mitwirkende Sopranistin Herta Hirsch – Bramssen – sie sang besonders schön 'Erfüllung' von Bogumil Zepler, dem leider früh verstorbenen jüdischen Komponisten, sollte man auch außerhalb Wiesbadens häufiger bei jüdischen Veranstaltungen zu Worte kommen lassen. -
Rühriges Leben herrscht auch in den Vereinen. Der – neutrale – Jugendverein leistet in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften ständige Arbeit: Wanderungen, rhythmische Übungen, Freitagabendfeiern und Vorträge (z. B. Lehrer Steinhardt – Magdeburg: 'Jüdische Gegenwartsfragen') sorgen für körperliche Ertüchtigung, religiöse Anregung und allgemein jüdische Information. Der Sportklub Hakoah ist im zweiten Jahre seines Bestehens, nachdem er die Meisterschaft der A-Klasse ungeschlagen errungen hatte, in die Verbandsliga aufgerückt. In seinem Spezialgebiet, dem Handballspiel, stehen ihm zweifellos noch große Erfolge in Aussicht. Die stark aufgeblühte, von Ruth Capell begründete und geführte Mädchengruppe 'Jüdische Jungschar' hat ihre bisherige Selbstständigkeit aufgebend sich den 'Kameraden' angegliedert. -
Den Mittelpunkt des geistigen Lebens des jüdischen Wiesbadens bildet nach wie vor das Jüdische Lehrhaus unter Leitung des Stadt- und Bezirksrabbiners Dr. Paul Lazarus. In einem Zyklus 'Jüdische Geschichte' im Rahmen der allgemeinen Weltgeschichte wurden folgende Themata behandelt: 'Der erste jüdische Staat' (Rabbiner Dr. Dienemann – Offenbach); 'Berührung des jüdischen Volkes mit den Weltvölkern' (Rabbiner Dr. Salzberger - Frankfurt); 'Der spanische Zweig der Judenheit' (Rabbiner Dr. Salzberger – Frankfurt a. M.); 'Der deutsche Zweig der Judenheit' (Rabbiner Dr. Dienemann – Offenbach); 'Das 19. Jahrhundert' (Stadt- und Bezirksrabbiner Dr. Lazarus – Wiesbaden). Mit Einzelvorträgen kamen zu Wort: Dr. Martin Buber ('Der heutige Mensch und die Bibel'), Professor Dr. Erich Stern – Gießen ('Der Jude und die Gesellschaft'), Dr. Leo Löwenthal – Frankfurt a. M. ('Dostojewskis Stellung zur Judenfrage'), Rabbiner Dr. Hugo Fuchs – Chemnitz ('Humor und Satire in der Bibel'). An einem vom Lehrhause und der zionistischen Ortsgruppe gemeinsam angesetzten Abende schilderte Dr. Ernst Simon – Frankfurt a. M. 'Achad Haam und sein Wert'. Zwei Kurse 'Das Leben der Juden im Spiegel der religiösen Vorschrift', sowie ein dritter Kursus, in dem Neuhebräisch getrieben wurde, vervollständigten das Bild der Winterarbeit. Alles in allem ein farbenfrohes und fruchtverheißendes Blühen des jüdischen Lebens im Weltbade Wiesbaden."   
Anmerkungen: - Chewra: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
- R.J.F.: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten
- Purimfeier: https://de.wikipedia.org/wiki/Purim
- Dr. Ernst Simon: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Simon_(Philosoph)  
- U.O.B.B.:  https://de.wikipedia.org/wiki/B%E2%80%99nai_B%E2%80%99rith 
- Spinoza (im Text Spioniza): https://de.wikipedia.org/wiki/Baruch_de_Spinoza  
- Rabbiner Dr. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner) 
- Theo Ratner: Vgl. Artikel von 1915  
- Achron: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Achron
- Bogumil Zepler: https://de.wikipedia.org/wiki/Bogumil_Zepler
- Hakoah: vgl. Artikel von 1928    https://de.wikipedia.org/wiki/Hakoah   
- Jüdisches Lehrhaus: https://de.wikipedia.org/wiki/Freies_Jüdisches_Lehrhaus   vgl. Artikel von 1928  
- Rabbiner Dr. Dienemann: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann 
- Rabbiner Dr. Salzberger: https://frankfurter-personenlexikon.de/node/986  https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Salzberger 
- Dr. Martin Buber: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Buber 
- Prof. Dr. Erich Stern: https://www.deutsche-biographie.de/sfz126816.html  https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Stern 
- Dr. Leo Löwenthal: https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Löwenthal 
- Rabbiner Dr. Hugo Fuchs: https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Chanoch_Fuchs   http://www.chemnitzgeschichte.de/pers-kat-liste-top/97-hugo-fuchs  
- Zionistische Ortsgruppe: vgl. Artikel von 1911  
- Achad Haam: https://de.wikipedia.org/wiki/Achad_Ha%27am   https://www.spektrum.de/lexikon/juedische-philosophen/achad-haam/12
- Neuhebräisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ivrit  
  

 
Veränderungen im Wahlrecht der Israelitischen Kultusgemeinde (1928)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Juli 1928: "Wiesbaden. In der hiesigen Israelitischen Kultusgemeinde ist das Frauenwahlrecht und das Proportionalwahlrecht eingeführt worden."       


Veranstaltungen zur Jahrzeit von Oberrabbiner Kuk (= Kuuk, 1936)    
Über Oberrabbiner Abraham Isaak Kook - erster aschkenasischer Großrabbiner Palästinas (1865-1935) vgl.  den Wikipedia-Artikel Abraham Isaak Kook      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. September 1936: "Wiesbaden, 26. Aug. Eine ehrfurchtsvolle Stille, die über der ganzen Veranstaltung schwebte, herrschte im großen Saale des Hotel Kronprinz, als der Leiter der Veranstaltung, Herr Lehrer Grünbaum, das Jahrzeitlicht zu Ehren von Oberrabbiner Kuk – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – unter passenden hebräischen Versen entzündete. Sodann sangen die Herren Grünbaum und Szafir das Lewandowski’sche mah adom, worauf der Bachad-Sprechchor das kum chai wekajam anstimmte und ein von B. Grünbaum gedichtetes Lied von Arnold Czinowitz ebräisch und von Nelli Ebbe deutsch vorgetragen wurde. Anschließend fand das Schlusslernen der Talmud-Traktate chagiga und moed katan statt, die während des ganzen Trauerjahres von einem Verehrerkreis des Rabbi Kuk - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - unter Leitung des Herrn Lehrer Grünbaum gelernt wurden. Nach dem Kaddisch hielt Herr Rabbiner Dr. Neuhaus - Frankfurt am Main, eine fesselnde Gedenkrede, in der er den großen Rabbi Kuk - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - als Gelehrten und Menschen mit zu Herzen gehenden Worten feierte."
Anmerkungen: - Hotel Kronprinz: Taunusstraße 38  siehe Anzeige von 1893 
- Jahrzeit: https://de.wikipedia.org/wiki/Jahrzeit
- Lewandowski: https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Lewandowski  
https://www.deutschlandfunkkultur.de/200-geburtstag-von-louis-lewandowski-der-triumph-eines-100.html  https://www.youtube.com/watch?v=Qrn8lHr5U_4 
- Talmudtraktate  https://de.wikipedia.org/wiki/Chagiga_(Mischna) und https://de.wikipedia.org/wiki/Moed_Qatan_(Mischna)  
- Kaddisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaddisch  https://www.talmud.de/tlmd/das-kaddisch-gebet/          

  
  
  
Berichte aus dem jüdischen Vereinsleben   
Der Synagogengesangverein verschönert ein Jubelfest der deutsch-katholischen Gemeinde - die orthodoxe Gemeinde wird größer (1870)   
Hinweis: die Kritik gegenüber dem Auftreten des Synagogen-Chor-Vereins entspringt der orthodox-konservativen Sichtweise der Zeitung "Der Israelit".       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. März 1870: "Wiesbaden, den 13. März (1870). Heute feiert die hiesige deutsch-katholische Gemeinde das Jubelfest ihres 25-jährigen Bestehens. Zur Verherrlichung der Feier trug sehr viel der hiesige Synagogen-Gesang-Verein bei. Reformsynagoge und deutsch-katholisches Bethaus unterscheiden sich ja nicht so sehr voneinander. Nihilismus auf religiösem Gebiete hier wie dort.  
Die hiesige orthodoxe Gemeinde erstarkt Gott sei Dank von Tag zu Tag. Von den 77 schulpflichtigen Kindern besuchen 39 den Religionsunterricht unseres ebenso gelehrten wie streng-religiösen Rabbiners Dr. L. Cahn, dessen Wirksamkeit bereits eine sehr segensreiche ist. Wenn, so Gott will, im nächsten Sommer so viele Kurgäste zu uns kommen werden, die Jahre lang mit tiefem Schmerz den Verfall der hiesigen israelitischen Gemeinde beobachtet haben, so werden sie sich freuen der Umwandlung, die sich hier unter göttlichem Beistande gegenwärtig vollzieht."         

 
50. Stiftungsfest des Israelitischen Männer-Kranken-Vereins (1885)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Februar 1885: "Wiesbaden, im Februar (Privatmitteilung). Am 1. dieses Monats feierte der hiesige israelitische Männer-Kranken-Verein, der seinerzeit von Dr. Abraham Geiger begründet ward, sein 50jähriges Stiftungsfest in solenner Weise. In der beim Festgottesdienste gehaltenen Festpredigt regte Herr Rabbiner Dr. Silberstein die Gründung eines Waisenhauses an, dessen die Provinz Nassau bisher entbehre. Der Gedanke zündete und ein Gemeindemitglied stellte dem Herrn Dr. Silberstein sofort nach Beendigung des Gottesdienstes die Summe von 1.000 Mark für diesen Zweck zur Verfügung, dem bald ein anderes mit der gleichen Summe folgte. Beim Festmahle, bei welchem eine Subskriptionsliste im Umlauf gesetzt war, wurden etwa 2.000 Mark gezeichnet, sodass circa 5.000 Mark bereits vorhanden sind.
Anmerkungen: - Männer-Kranken-Verein: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
- Rabbiner Dr. Abraham Geiger: https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger
- Solenn: https://www.dwds.de/wb/solenn
- Rabbiner Dr. Silberstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein 
        

 
Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1886)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. März 1886: "Der Israelitische Unterstützungsverein zu Wiesbaden, der seit dem Jahre 1872 die löbliche Gewohnheit angenommen, einen Jahresbericht zu veröffentlichen, hat dagegen die Freude, im letzten Jahre allein 29 neue Mitglieder gewonnen zu haben. Er wendete im vorigen Jahre 2.851 Mark zu Wohltätigkeitszwecken an und konnte doch noch 1.200 Mark, dem Grundstocke hinzufügen, der jetzt Mark 8.032 beträgt. Im vorigen Jahre erhielten die Armen der Stadt Mk. 1.023, die der Umgegend Mk. 248; dagegen arme und kranke Fremde Mk. 1.570,-"        

   
Über den neu gegründeten Waisen-Unterstützungsfond (1889)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Januar 1889: "Wiesbaden, im Januar (Privatmitteilung). Bei der Feier des 50jährigen Bestandes des hiesigen israelitischen Männer-Kranken-Vereins wurde vom Rabbiner Dr. Silberstein der Gedanke angeregt, einen 'Waisen-Unterstützungsfonds' zu gründen. Dieser Gedanke hat in den seitdem verflossenen drei Jahren den Erfolg gehabt, dass der Fonds bereits Mk. 11.538 beträgt. Natürlich reicht derselbe noch lange nicht aus, um zu dem vorgesteckten Ziele gelangen zu können und der Minister des Innern hat deshalb vorläufig dem Komitee die Rechte einer juristischen Person verweigert. Indes war die Beteiligung bis jetzt doch eine so rege, dass wir hoffen können, dass bei dem Eifer des Komitees die Mittel die Mittel des Vereines sich rasch vermehren werden, um mit wirksamer Tätigkeit für den edlen Zweck beginnen zu können."         


Gesellige Feier des Synagogengesangvereins (1889)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Januar 1889: "Wiesbaden, 1. Januar (Privatmitteilung). Die moderne jüdische Gemeinde hat eine Reihe von Bedürfnissen erzeugt, die die früheren nicht gekannt haben und für deren Befriedigung neue Vereine, innerhalb der Gemeinden erstanden sind. So war es insbesondere die würdige Gestaltung des Gottesdienstes, für die in den jüngsten Dezennien in den auftretenden Gemeinden sich neue Vereine gebildet haben. Auch die hiesige, sehr emporblühende Gemeinde erfreut sich eines solchen Vereins, des Synagogen-Gesang-Vereins, der nun schon auf ein Vierteljahrhundert seiner Wirksamkeit zurückblicken darf. An einem der jüngsten Samstage beging derselbe unter der lebhaften Teilnahme der Gemeinde sein Jubiläum. Beim Morgengottesdienste, wo die Stätte seiner Tätigkeit mit Topfgewächsen, Girlanden und Blumen sinnig geschmückt war, feierte Herr Rabbiner Dr. Silberstein in seiner Festpredigt die Verdienste, die sich der Verein um die Hebung und Veredelung unseres Gottesdienstes erworben, wie er, der auch die Pflege der Geselligkeit in den Kreis seiner Aufgaben gezogen, die Glieder der Gemeinde auch menschlich einander näher gerückt und hob es insbesondere anerkennend hervor, wie der Synagogen-Gesangs-Verein durch Veranstaltung populärwissenschaftlicher Vorträge sich zum Mittelpunkte des geistigen Lebens innerhalb unserer Gemeinde erhoben haben möge. - Die gesellige Feier, welche am Abend in dem prachtvollen Räumen des Hotels Victoria stattfand, zeugte von den tüchtigen Kräften, über die der Verein verfügt. Treffliche Reden, in denen feiner Humor mit würdigem Ernste wechselte, wurden gehalten. Vier Mitglieder, die seit Begründung dem Verein ihre Kräfte weihten, wurden vom Vereinsvorstande unter Überreichung reich ausgestatteter Diplome zu Ehrenmitgliedern ernannt. Der Vorstand der Gemeinde, der den Verein zu seiner Jubelfeier beglückwünschte, teilte demselben mit, dass er in seiner Festpredigt gegebenen Anregung zur Ehre des Tages und zur bleibenden Erinnerung an denselben die Begründung eine jüdische Gemeindebibliothek beschlossen habe. - Mit Genugtuung darf die Gemeinde auf das schönst verlebte Fest blicken. Galt es doch einem Vereine, der auch über den engen Kreis der Gemeinde hinaus sich Ansehen verschafft, wie ihm auch die hohe Ehre zuteil geworden, zweimal Gesangsaufführungen zu veranstalten, denen das eine Mal Kaiser Wilhelm, das andere Mal der unvergessene Liebling der Nation, Friedrich beigewohnt hat."
Anmerkungen: - Hotel Victoria: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/hotel-viktoria-victoria-hotel.php
https://www.museum-reinhard-ernst.de/de/news/zur-geschichte-der-wilhelmstrasse-1/
- Rabbiner Dr. Silberstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein
- Kaiser:  Wilhelm: https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich)     https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_III._(Deutsches_Reich)      
        

   
18. Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1889)  

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. September 1889: "Der 18. Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins zu Wiesbaden hat ein erfreuliches Wachstum zu verzeichnen. Die Zahl seiner Mitglieder vergrößert sich jährlich und beträgt jetzt 163 mit einer Summe von 2.400 Mark als Beiträgen. So fließen ihm auch recht ansehnliche Schenkungen zu. Seine Einnahmen betrugen 1888: 6.632 Mark, wovon 3.026 Mark auf den Ankauf von Wertpapieren verwendet werden. Das Vermögen besteht in 13.440 Mark. Um heute mit zwar kleinem, aber sehr erfreulichen Gegenstande zu schließen, machen wir noch auf den israelitischen Armen-Holz-Verein, der seit 1818 in segensreicher Tätigkeit besteht, und den Verein zur Ausstattung israelitischer Mädchen (seit 1886) in Homburg v. d. Höhe aufmerksam. Einigkeit macht starb und vermag deshalb in kleinen Kreisen eine segensreiche Wirksamkeit zu entfalten."      

     
19. Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1889/90)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. April 1890: "Der israelitische Unterstützungsverein in Wiesbaden versendet seinen Jahresbericht für 1889. Der Verein zählt 170 Mitglieder mit Beiträgen von 12 bis 36 Mark. Das Vermögen beträgt 15.664 Mark. An Unterstützungen wurden 2.870 Mark ausgegeben."       

 
25-jähriges Bestehen des Israelitischen Frauenvereins (1896)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. März 1896: "Wiesbaden. Der hiesige israelitische Frauenverein, eine der humanitärsten Institutionen unserer Bäderstadt, feierte dieser Tage die 25. Wiederkehr des Gründungstages. Der Verband, der auf die stattliche Mitgliederzahl von 110 Damen blickt, ist aus kleinen Anfängen hervorgegangen und zeigt deshalb so recht, welche segensreiche Ausdehnung wohltätige Vereinigungen nehmen können, die sich des Vorteils einer wackren Leitung erfreuen. Der Verein, welcher seinen Ehrentag nicht vergehen lassen wollte, ohne seinem unermüdlichen Protektor, Herrn Rabbiner Dr. Kahn Schalit 1, ein äußeres Zeichen seiner dankbaren Hochschätzung zu geben, ließ durch die Dirigentin, Frau Lichtenstätter, dem hochverehrten Herrn Rabbiner – sein Licht leuchte – eine prachtvolle Widmungsgabe übermitteln. Möge dem Verein und seinem edlen Gesamtvorstande durch fernerhin ein so segensreiches Wirken beschieden sein, wie in dem ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens.
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Kahn: vgl. Bericht von 1920    https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/kahn-lippmann-leo-elieser.php        

   
Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1898)          

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Februar 1898: "Der Israelitische Unterstützungsverein in Wiesbaden versendet seinen 27. Jahresbericht. Die Einnahmen sind von 12.105,65 Mark im Jahre 1898 auf 13.990,23 Mark, die Ausgaben von 10.291,69 Mark auf 13.571,06 Mark (davon an 1.035 durchreisende Fremde und auswärtige Kurgäste 2.337,10 Mark) gestiegen. Das Vereinsvermögen beträgt 23.490,90 Mark."       

    
Vortrag von Rabbiner Dr. Silberstein im Synagogen-Gesangverein (1902)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Dezember 1902: "Wiesbaden, 30. November (1902). Am 9. dieses Monats hielt Herr Stadt- und Bezirksrabbiner Dr. Silberstein im Synagogen-Gesangverein einen einstündigen Vortrag. In fesselnder Weise zeigte der gefeierte Redner zunächst die historische Entwicklung des 'Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes', sprach über dessen Einrichtungen und zuletzt über den jüngsten Gemeinde- und Verbandstag und die Eindrücke, welche er (Redner) auf demselben empfangen hatte. Auf Anregung des Herrn Rabbiners, welchem für seinen wohldurchdachten Vortrag lebhafter Beifall gezollt wurde, wird sich demnächst innerhalb des genannten Vereins eine Sektion bilden, welche sich die Pflege der Jüdischen Geschichte und Literatur zur besonderen Aufgabe stellt."    
Anmerkung: -  Rabbiner Dr. Silberstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein 
        

     
33. Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungs-Vereines (1904)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 8. April 1904: "Wiesbaden, 4. April (1904). Aus dem 33. Jahresbericht des hiesigen Israelitischen Unterstützungs-Vereins ist zu ersehen, dass die Ausgaben des Vereins gegen das Vorjahr sich in fast allen Zweigen seiner Tätigkeit vermehrt haben, während die Einnahmen nicht dementsprechend gewachsen sind. Der Umstand schon, dass durch dessen Tätigkeit der Hausbettel seitens israelitischer Hilfsbedürftiger in hiesiger Stadt vollständig aufgehört hat, sollte alle diejenigen wohlhabenden Gemeindeangehörigen, welche noch nicht Mitglieder unseres Vereins sind, zu baldigstem Eintritt veranlassen. Je größer die demselben zur Verfügung stehenden Mittel sind, desto nachdrücklicher kann unseren armen Glaubensgenossen Hilfe geleistet werden. In der im Dezember vorigen Jahres stattgehabten Mitgliederversammlung ist der bisherige Vorstand wiedergewählt worden. Die Einnahmen betrugen 13.782,28 Mark, die Ausgaben 12.665 Mark, das Vereinsvermögen 28.617,34 Mark. Im vergangenen Sommer konnte der Verein 17 Kinder unbemittelter Eltern in die Sommerfrische senden. Der Vorstand besteht aus folgenden Herren: Moritz Heimerdinger, Vorsitzender, Moritz Elsberg, Kassierer, Bernhard Groedel, Mayer Baum, Seligmann Blumenthal, Saly Hamburger, Simon Heß, Abraham Marxheimer, M. D. Strauß, Benedict Straus, Schriftführer."       


Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1906)       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 20. April 1906: "Wiesbaden, 16. April. Der 'Israelitische Unterstützungsverein' konstatiert in seinem Jahresbericht für 1905, dass die Zahl der Mitglieder von 263 auf 276 gestiegen ist. Die Liste der 'Ewigen Mitglieder' wurde infolge hochherziger Legate ebenfalls um drei vermehrt. Die Einnahmen aus den ordentlichen Beiträgen der Mitglieder haben sich indessen doch nur um weniger vergrößert, während die ordentlichen Ausgaben an Arme und Bedürftige eine ziemlich höhere Summe in Anspruch nahmen, als im Vorjahre. Nur durch hochherzige Schenkungen und Legate ist es gelungen, den an die Vereinskasse gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Der Rechnungsabschluss balanciert in Einnahmen und Ausgaben."      

  
Musikabend des Vereins für jüdische Geschichte und Literatur (1907)      

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 8. März 1907: "Wiesbaden. Der Verein für jüdische Geschichte und Literatur, der im vergangenen Jahre von Herrn Dr. Adolf Friedemann gegründet wurde und heute bereits 131 Mitglieder zählt, veranstaltete am 24. Februar einen 'jüdischen Musikabend', den man vielleicht als die glänzendste Veranstaltung dieses Vereins betrachten darf. Es wurde beim Publikum ein Bild von der geschichtlichen Entwicklung der jüdischen Musik – von den altsynagogalen Melodien des Altertums, der Ghettomusik des Mittelalters bis zu den Schöpfungen der neuesten Autoren - gegeben. Mittlerweile waren Herr Levy – Berlin (Cello) und Frl. Rose Kahn – Berlin (Gesang). Beide erstklassigen Künstler wurden durch lebhaften Beifall und wiederholtes Herausrufen der über 400 Personen zählenden Zuhörerschaft ausgezeichnet. Herr Levy ist ein ausgezeichneter Cellist, der sein Instrument ganz beherrscht. Frl. Kahn, eine blendend schöne Erscheinung, besitzt eine prachtvolle Altstimme, die nie, ob in der Höhe oder Tiefe, ihren Schmelz verliert. Besonders gefielen Jargonlieder, Carmen und 'Ich schlage Dich, mein Tambourin'. Als sie geendet hatte, wollten die Beifallsrufe kein Ende nehmen und Frl. Kahn musste noch ein Lied als Zugabe singen.
Am 28. Februar veranstalteten die beiden Künstler noch ein eigenes Konzert, das in den Lokalblättern durchweg lobende Anerkennung fand. Besonders der Sängerin wurde eine große Zukunft geweissagt. B. St."            

    
Gründung einer Ortsgruppe des "Verbandes der Sabbatfreunde" (1907)       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Oktober 1907: "Wiesbaden, 9. Okt. Am 14. September fand im Friedrichshof in einer gut besuchten Versammlung die offizielle Konstituierung einer Ortsgruppe Wiesbaden des 'Verbandes der Sabbatfreunde' statt. Herr Rabbiner Dr. Kahn hielt eine kurze, wirkungsvolle Ansprache, in der er auf die Bedeutung des Sabbats als Grundlage des Judentums hinwies. Bei der darauffolgenden Vorstandswahl wurden gewählt die Herren Rabbiner Dr. L. Kahn, J. Aktuarius, Berthold Kahn, M. Sulzberger und Fritz Herz. Es wurde für ratsam erachtet, die zu gewinnenden Mitglieder der Nachbarplätze dem Verein Wiesbaden anzugliedern, anstatt dort ebenfalls einzelne Ortsgruppen zu gründen. Aus jedem Ort der näheren Umgebung ist daher je ein Beisitzer vom Vorstand zu kooptieren." 
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Kahn: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/kahn-lippmann-leo-elieser.php  
- J. Aktuarius: Kunstsalon F. J. Aktuaryus, Taunusstraße 6
- M. Sulzberger: Vorsänger Meyer Sulzberger vgl. Artikel von 1914        


Diskussionsabend der Zionistischen Ortsgruppe (1908)       

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 4. Dezember 1908: "Wiesbaden,. Die Zionistische Ortsgruppe veranstaltete am 25, November einen Diskussionsabend,, in dem Herr Bertram Stern über 'Was hat der Zionismus bis jetzt erreicht?' referierte. Nachdem der Redner am Eingange seiner Ausführungen die finanziellen Schöpfungen des Zionismus, wie Kolonialbank, Nationalfonds usw. besprochen hatte, wandte er sich den Veränderungen zu, die der Zionismus in Beziehung auf das geistige jüdische Leben, besonders in Westeuropa hervorgerufen hat. Selbstbewusstsein, Stammesgefühl hat er verbreitet, eine jüdische Kultur hat er erweckt. Neues Leben hat er in dem alten Judenland herbeigeführt, neuen Lebensmut hat der dem Judentum eingeflößt . Unter dem lebhaften Beifall der Erschienen schloss der Referent seine Ausführungen, indem er am Schlusse erklärte, dass das, was wir für das jüdische Volk schafften, der ganzen Menschheit zugute käme."  
Anmerkungen: - Kolonialbank: http://www.lexikus.de/bibliothek/Theodor-Herzls-Zionistische-Schriften/Die-Juedische-Kolonialbank
- Jüdischer Nationalfonds: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdischer_Nationalfonds      


75-jähriges Bestehen des Israelitischen Männerkrankenvereins (1910)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. Februar 1910: "Der 'Israelitische Männerkrankenverein' in Wiesbaden blickt auf ein 75jähriges Bestehen zurück. Sein wohltätiges Wirken hat sich besonders auch in der Errichtung einer Waisenanstalt für die Provinz Hessen-Nassau gezeigt."      

   
Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1910)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 31. März 1910: "Wiesbaden, 25. März. Der Israelitische Unterstützungsverein veröffentlicht folgenden Bericht über seine Tätigkeit im abgelaufenen Geschäftsjahre: Unsere Aufgaben sind in fast allen Positionen bedeutend gewachsen. Selbst die uns reichlich zugefallenen Geschenke haben nicht hingereicht, um den gesteigerten Ansprüchen zu entsprechen, und so haben wir gegen Ende des Jahres eine kleine Anleihe aufnehmen müssen und schließen mit einem Defizit ab. Das sind unerfreuliche Zustände, auf deren Abstellung nicht oft genug hingewiesen werden kann. So lange es nicht ein jedes Mitglied der beiden Gemeinden als Ehrenpflicht betrachtet, unserem Vereine nach Kräften beizusteuern, können wir nicht auf geordnete Verhältnisse rechnen. Die zunehmende Verarmung unserer Glaubensgenossen auf dem Lande, die stets anwachsende Zuströmung in- und ausländischer mittelloser Juden nach der Stadt und die Tatsache, dass mit Ausnahme des stets hilfsbereiten Schwestervereins in Frankfurt ein leistungsfähiger Unterstützungsverein in unserer Heimatprovinz nächst uns nicht besteht, lässt eine Verminderung unserer Ausgaben nicht erhoffen. Ganz besonders schwere Lasten legt uns in der letzten Zeit die Wegschaffung russischer und galizischer Familien hier auf. Eine Anzahl dieser Familien findet in den Zigarettenfabriken Beschäftigung. Aber auch hier untersagt das Gesetz für die Ausländer die dauernde Arbeitsgelegenheit. Es bleibt somit nur Hausierhandel, der die Anzahl der Konkurrenten unmöglich ernähren kann. Solange die Familienhäupter gesund sind, bleibt es bei gelegentlichen Unterstützungen. Erkrankt nur das eine, so ist die Familie lediglich auf uns angewiesen, da sie aus begreiflichen Gründen sich scheuen muss, die städtische Armenpflege in Anspruch zu nehmen. Wir bitten daher dringend, dass jeder nach Kräften vor derartigem Zuzug warnt. Am 12. Dezember fand unsere Generalversammlung statt. Die vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebund angeregte Zusammenschließung der Klassen gegen Wanderbetel stieß auf entschiedene Gegnerschaft. Eine später in Frankfurt stattgehabte Versammlung, bei der das Berliner Projekt zur Beratung stand, hat dasselbe gegen wenige Stimmen abgelehnt. Es soll nun ein Zusammengehen der Hilfsvereine der Provinz Hessen-Nassau, sowie des Großherzogtums Hessen in die Wege geleitet werden. - Der Bericht schließt mit einem warmen Appell an die Mitglieder, stets werbend für den Verein einzutreten und seiner bei jeder sich darbietenden Gelegenheit eingedenk zu sein."
Anmerkung: - Deutsch-israelitischer Gemeindebund: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Israelitischer_Gemeindebund         

  
Jahresbericht des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1911)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Juni 1911: "Wiesbaden, 1. Juni. Der hiesige Israelitische Unterstützungsverein bezeichnet in seinem Jahresbericht für 1910 als eine bedeutsame Förderung des jüdischen Armenunterstützungswesens den mit dem 'Israelitischen Hilfsverein' in Frankfurt a. M. als Vorortsgruppe vollzogenen Eintritt in die große Gesamtorganisation. Durch das Zusammenwirken so vieler Einzelverbände wird eine wirksamere Bekämpfung des unwürdigen Wanderbettels erhofft. Durch ein Bestreben, den armen Leuten auf dem Lande an ihrem Wohnorte selbst zu helfen und zu verhindern, dass diese als Bettler im Lande umherziehen, sind dem Verein bedeutende Ausgaben erwachsen. Diese wie die Gaben an hiesige Hausarme übersteigen bei weitem die Einnahmen aus den Mitgliederbeiträgen. Die Kasse schließt in Einnahmen und Ausgaben mit 16.480,47 Mark ab, das Gesamtvermögen beträgt 37.038,33 Mark. Von dem Vereinsvorstande wurde auch die Verwaltung des Ferienfonds für Kinder unbemittelter Eltern übernommen. Im Berichtsjahre konnten von dem Sammelfonds, der die nennenswerte Höhe von 3.339,10 Mark erreichte, 29 Kinder zur Erholung aufs Land geschickt werden. Da für diesen Zweck 1.427,90 Mark verausgabt wurden, weist die Kasse beim Jahresabschluss einen Bestand von 1.911,20 Mark auf. Die Verwaltung gedenkt am Schlusse des Berichts ihres früheren Vorsitzenden, des dahingeschiedenen Rabbiners Dr. M. Silberstein, der seine Anhänglichkeit an den Verein durch ein Vermächtnis von 500 Mark bestätigte und in die Liste der ewigen Ehrenmitglieder eingetragen wurde. Dasselbe geschah auch bei Regine Wolfsohn, die vor ihrem Tode den Verein mit einem Legat von 1.000 Mark bedachte."
Anmerkung: - Rabbiner Dr. Silberstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein          


Versammlung der zionistischen Ortsgruppe (1911)       

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 1. Dezember 1911:  "Am 26. dieses Monats fand die erste Versammlung der neuorganisierten zionistischen -Ortsgruppe unter der Leitung des Lehrers S. Jakob Rosenberg statt. Rechtsanwalt Dr. Schwarzschild - Frankfurt referierte in anschaulicher und instruktiver Weise über den X. Kongress. Der 2. Redner Martin Levigard – Frankfurt sprach packend über die allgemeine Lage der Juden in Ost und West und über die Notwendigkeit der Schaffung eines Zentrums in Palästina. Beide Redner fanden bei dem zahlreich erschienenen Publikum begeisterte Aufnahme, was sich auch in der Anmeldung von 6 neuen Mitgliedern zeigte."
Anmerkungen:  - Dr. Schwarzschild: Dr. jur. Ferdinand Schwarzschild, Bleidenstraße 6 I, Tel. I.3962, Wohn. Mendelssohnstraße 65 E, Tel. I. 1271, Frankfurt a. M.
Martin Levigard: Frankfurter Handels- und Gerichts-Zeitung, Schillerstraße 26, Inh. Martin Levigard, Wohn. Altegasse 39 II, Tel. I. 7228
       

  
Vortrag mit Debatte über den "Untergang der deutschen Juden" in der Zionistischen Ortsgruppe (1912)      

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 7. Juni 1912: "Wiesbaden. In der Zionistischen Ortsgruppe sprach Parteisekretär Curt Rosenbaum über das Thema 'Der Untergang der deutschen Juden.' 
Dem interessanten Vortrage schloss sich eine gleichfalls interessante Debatte an.
Herr Vorsanger, der erst jüngst ein gegen das Hebräische im Religionsunterricht gerichtetes Zirkular (die Assimilanten sind auch bei uns eifrig mit dem Niederreißen beschäftigt) mit unterzeichnet hatte, kam, um auch hier gegen das Hebräische zu sprechen. Man müsse das Hebräische in der Synagoge auf ein Mindestmaß beschränken und man werde wieder religiöses Interesse fördern. Ein weiteres Mittel zur Erhaltung des deutschen Judentums sei die energisch durchgeführte Assimilation.
Auch Lehrer Capell, der zweite Diskussionsredner, erblickt allein in der Religion das einigende Moment im Judentum, wenngleich er nicht bestreiten kann, dass die jüdische Religion von nationalen Ideen durchsetzt ist, er erhofft die Lösung der Judenfrage von einem 'geistigen Zion'.
Beiden antwortete Curt Rosenbaum. Er führte ihnen den Berliner Reformtempel mit seiner gähnenden Leere – trotz gut stilisierter deutscher Gebete -recht drastisch vor Augen, zeigte, dass grade die radikale Reform die Hauptschuld an der Auflösung des deutschen Judentums trifft, und wie das Hebräische grade jetzt seine Auferstehung zu einer lebendigen Sprache feiert. Er betonte ferner, dass doch auch 'die anderen' bei der Assimilation mitzureden hätten.
Die Ausführungen ernteten lebhaften Beifall. Der eine Diskussionsredner erklärte offen, dass er sich gegen einen solch gewandten Redner nicht behaupten könne, und der zweite Diskussionsredner war von den begeisterten Ausführungen so hingerissen, das er sich veranlasst sah, dem Redner den Dank aller Anwesenden für seine von warmer Liebe zum Judentum zeugende Ausführungen auszusprechen."
Anmerkungen: - Zirkular: https://de.wikipedia.org/wiki/Rundschreiben
Herr Vorsanger: https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/grillparzerstr-9/
Lehrer Capell: Edmund Isaak Capell
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Edmund_Capell,_Kaiser-Friedrich-Ring_34_(Wiesbaden).jpg
Berliner Reformtempel: https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Berlin)        

   
Veranstaltungen der zionistischen Ortsgruppe (1912)      

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 25. Oktober 1912:  "Wiesbaden. Unstreitig macht der Zionismus auch in Wiesbaden Fortschritte. Langsam, aber sicher geht er seines Weges, sein Ziel stets vor Augen und schließlich wird es ihm gelingen, in die Indolenz, durch die sich Wiesbaden besonders 'auszeichnet', eine Bresche zu schlagen.
Nach einem Jahr intensiver Arbeit innerhalb ihres Kreises unternahm es die Ortsgruppe, mit einer großzügigen Versammlung in die Öffentlichkeit zu treten. Und der Versuch gelang. Am 22. Sept. sollte Dr. Schmarja Levin sprechen, der aber am Erscheinen verhindert war, und so sprang in letzter Minute Nachum Goldmann - Frankfurt für diesen ein. Etwa 300 Personen waren der Einladung gefolgt. Herr Goldmann erntete mit seiner Rede stürmischen Beifall.
Eine Woche später, am 29. Sept., füllte mindestens ebenso viel Publikum den Festsaal der Loge Plato, um den angekündigten Vortrag Dr. Schmarja Levins zu hören. Dieser sprach über 'Die Assimilation und der nationale Gedanke.' In einem mit zwingender Logik meisterhaft durchgeführten Gedankengang zeigte er, wie die Assimilation den nationalen Gedanken erzeugen musste und zeigte dann die jüdische Entwicklung in Palästina, wo wir Juden in 20 Jahren größere Fortschritte machten als anderswo in 200 Jahren.
Anmerkungen: - Indolenz: https://de.wikipedia.org/wiki/Indolenz
- Dr. Schmarja Levin: https://de.wikipedia.org/wiki/Schemarjahu_Levin
- Nachum Goldmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Nahum_Goldmann 
         

  
Vortragsabend der zionistischen Ortsgruppe (1912)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 29. November 1912: "Wiesbaden. Am 17. dieses Monats sprach in unserer Ortsgruppe Parteisekretär Curt Rosenbaum über die Lage der zionistischen Bewegung. Dem Vortrag schloss sich eine Diskussion an, in der die Herren Karpin, Stern und der Referent sprachen.
Im Anschluss an die Diskussion fand die Generalversammlung statt. Lehrer Rosenberg erstattete den Jahresbericht, der ein Erstarken der Ortsgruppe konstatiert. Es fanden im abgelaufenen Berichtsjahr 8 Veranstaltungen statt. Besonders erfreulich waren die Eingänge für den jüdischen Nationalfonds; sie betrugen 546 Mark.
Der zweite Punkt der Tagesordnung betraf die Vorstandswahl; es wurden wieder- bzw. neugewählt: Lehrer Rosenberg (Vorsitzender), Brocziner, Gutmann, Karpin und Bertram Stern."
Anmerkungen: - Bertram Stern: https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/dotzheimer-str-15/klara-stern-und-ihre-geschwister/
- Jüdischer Nationalfonds: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdischer_Nationalfonds             

  
50-jähriges Bestehen des Synagogengesangvereins (1913)       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Februar 1913: "Wenn alle deutschen Lande die Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig festlich begehen werden, wird der Wiesbadener Synagogengesangverein gleichzeitig das Fest seines 50jährigen Bestehens feiern. Wenn ich als Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender dieses Vereins auf die Entwickelung unseres Chors zurückblicke, so empfinde ich ein Gefühl der Befriedigung, besonders deshalb, weil wir auf die Ausgestaltung unseres hiesigen Gottesdienstes einen künstlerisch-ästhetischen Einfluss ausgeübt und weil wir nur echte Synagogenmusik aufgeführt und alle profane – auch die 'kirchliche' Choralmusik – ausgemerzt haben. Welch genussreiche Stunden bereitete uns schon das Studium unserer Klassiker wie Sulzer, Naumburg, Lewandowski und Deutsch; mit welchem großen Interesse beobachteten wir, wie die Meister Birnbaum, Henle, Kirschner, Tennenbaum und andere es verstanden haben, den Synagogengesangsstil mit moderner Musik zu verbinden. - Es schärft sich das Verständnis für Chasonus und das Urteil über Synagogengesänge, wenn man 50 Jahre aktiv im Synagogenchore mitwirkt. Unser Chor hat sich seit langem befleißigt, einer künstlerischen Höhe zuzustreben, und diesem Bestreben verdanken wir es, dass eine ganze Anzahl von Tonkünstlern Synagogengesänge für unseren Chor geschaffen und sie unserem Vereine gewidmet haben. So sind wir zu einer stattlichen Sammlung von Manuskriptn gelangt, unter denen sich manche Perle des Synagogengesanges befindet. Es wäre Egoismus, wollten wir anderen Synagogen diese wertvollen Gesänge vorenthalten. Man muss es daher als eine musikalische Tat begrüßen, dass unser geschätzter Oberkantor, Herr Nußbaum, in Gemeinschaft mit unserem tüchtigen Dirigenten, Herrn Musikdirektor Otto Wernicke, sich der Mühe unterziehen, honoris causa die 'Wiesbadener Synagogengesänge' zu unserem Jubiläum herauszugeben. Die Ausgabe wird einen stattlichen Quartband füllen und außer Gesängen für die verschiedenen Gottesdienste des Jahres einen Zyklus von Predigtliedern von Professor Nicolai von Wilm enthalten, der für viele Synagogenchöre eine willkommene Gabe sein wird. Wir haben eine Subskription eröffnet; denjenigen Gemeinden und Kantoren, welche bis zum 1. April subskribiert haben, sind Vorzugspreise bewilligt, außerdem werden sie in einem Anhang als Förderer des Unternehmens aufgeführt werden. Es liegt im Interesse der Herren Kantoren, ihre Gemeinden zur Anschaffung unseres Werkes zu veranlassen, denn das Aufführungsrecht unserer Gesänge steht gesetzlich nur denjenigen Gemeinden zu, die mindestens ein Exemplar käuflich erworben haben.  Wiesbaden, den 6. Februar 1913. Benedict Straus."    
 
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 31. Oktober 1913: "Samstag früh hielt Rabb. Dr. Kober die Festpredigt. Samstagabend fand ein Synagogenkonzert statt. Sonntag nahmen die Veranstaltungen mit einer akademischen Feier und einem Festessen ihren Abschluss.
Die Feier zu Ehren war die Herausgabe der Wiesbadener Synagogengesänge vorausgegangen. Eine Denkschrift wird demnächst erscheinen."    
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 7. November 1913:  "Wiesbaden, 31. Oktober. Der hiesige Synagogengesangverein feiert sein fünfzigjähriges Jubiläum, bei dem unter anderen ein Festkonzert stattfand, weiterhin kam auch ein von Oberkantor Nußbaum verfasstes und vom Musikdirektor Wernicke komponiertes Festepos 'Von Tempel zu Tempel' zur Erstaufführung. Das Stück erwies sich als recht eindrucksvoll. Es gibt einen Einblick in die ehemalige Tempelmusik durch den Chor der Leviten, zeigt unter Erzählung der Schicksale des jüdischen Volkes nacheinander Resignation, Wehmut und Befreiungspsalmen, unterbrochen vom Kriegerlied und Heimatjubel, um in einem Festrhythmus anbetungsvoll und dankbar zu enden. Die Mitwirkenden, Herr Nußbaum, Frau Zimmer- Glockner als Ruth, Frau Herterich (Frankfurt) als Deborah und Fräulein Emma Wernecke (Frankfurt) als Mirjam verhalfen dem Festspiel zu gutem Erfolge.
Anmerkungen:  - Völkerschlacht von Leipzig: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerschlacht_bei_Leipzig
- Sulzer: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Sulzer
- Naumburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Naumbourg 
- Lewandowski: https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Lewandowski 
- Deutsch: https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/moritz-deutsch/ 
- Birnbaum: Eduard Emanuel Birnbaum https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/emanuel-birnbaum/ 
- Henle: https://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_Henle 
- Kirschner: https://de.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Kirschner   https://www.muenchenwiki.de/wiki/Emmanuel_Kirschner 
- Chasonus: Liturgischer Gesang der Synagogalmusik 
- Oberkantor Nußbaum: Abraham Nußbaum https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/emma-august-und-das-ehepaar-nussbaum/ 
- Wiesbadener Synagogengesänge: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/search?operation=searchRetrieve&query=bib.personalName%3D%22Nussbaum%2C%20Abraham%22%20and%20vl.domain%3Ddomain%20sortBy%20dc.title%2Fasc    https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/nicolai-von-wilm/
- Professor Nicolai von Wilm: https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolai_von_Wilm
- Leviten: https://de.wikipedia.org/wiki/Leviten
- Ruth: https://de.wikipedia.org/wiki/Buch_Rut
- Deborah: https://de.wikipedia.org/wiki/Debora_(Richterin)  
- Mirjam: https://de.wikipedia.org/wiki/Mirjam_(Prophetin)    
  

     
Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1914)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 3. April 1914: "Wiesbaden, 27. März. Der Israelitische Unterstützungsverein in Wiesbaden versendet soeben seinen 48. Jahresbericht. Der Bericht stellt die bemerkenswerte Tatsache an die Spitze, dass zum ersten Mal seit dem Bestehen des Vereins die Ausgaben im Jahre 1913 die Einnahmen überschritten haben. Wenn es sich bei dieser Überschreitung auch nur um die einige wenige hundert Mark handelt, so gibt dies dem Berichterstatter doch Anlass zu ernsten Erwägungen. Die Not der jüdischen Kleinbevölkerung sowohl auf dem platten Lande wie in der Stadt steigt fast täglich. Es werden Anforderungen an den Verein gestellt, die so berechtigt sie auch manchmal seien, weitaus die Kräfte des Vereins übersteigen. Einen großen, ja den größten Teil unserer Pfleglinge in Wiesbaden stellt die zunehmende Einwanderung russischer und galizischer Glaubensgenossen. Für diesen Andrang reichen die Erwerbsmöglichkeiten unserer Stadt nicht aus. 'Wir richten deshalb an unsere Mitglieder das dringende Ersuchen, nicht durch besondere Gaben den Zuzug noch zu stützen, sondern in allen Fällen auf unsere Mitwirkung zurückzugreifen. Nur so wird es möglich, wenigstens die einheimische jüdische Kleinbevölkerung vor der äußersten Not zu schützen und sie nicht geradezu auf die Landstraße zu werfen'. - Aus dem Rechnungsabschluss ergibt sich, dass Einnahmen und Ausgaben gegenüber dem Vorjahre um rund 2.500 Mark gestiegen sind. Sie balancieren 1912 mit 16.036 Mark und im verflossenen Jahre 1913 mit 18.510 Mark. Die Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen sind gleichfalls gestiegen, um ca. 260 Mark, die Geschenke um rund 250 Mark. Demgegenüber sind allerdings auch die Ausgaben zum Teil sehr wesentlich gewachsen. Die einmaligen Gaben an Einheimische erforderten im Berichtsjahre eine Steigerung von ca. 33 1/3 Prozent; sie erforderten 1912 2.760 Mark und stiegen 1913 auf 4.092 Mark. Das Vereinsvermögen erreichte am 1. Januar 1913 die Höhe von 46.910,97 Mark. - Der unter Verwaltung des Vereins stehende Ferienfonds konnte im abgelaufenen Jahre allen Anforderungen gerecht werden. Pension für 48 Kinder in Sommerfrischen, einschließlich des vorjährigen Kassenbestandes von 1.490 Mark, insgesamt 3,593 Mark, sodass am 1. Januar 1914 sich ein Kassenbestand von 1.025 Mark ergibt." 

         
Ereignisse und Aktivitäten in der jüdischen Gemeinde zu Kriegsbeginn (1914)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Oktober 1914: "Wiesbaden, 25. September (1914). Wie in anderen Gemeinden fand auch hier bald nach dem Kriegsausbruch ein überaus starb besuchter Bittgottesdienst statt, an dem auch die jüdische Mannschaft der hiesigen Garnison teilnahm. Herr Rabbiner Dr. Kober hatte neu eingetretene Militärpersonen auf den Eid vorbereitet und veranstaltete am vorletzten Freitag abends für die noch hier befindliche jüdische Mannschaft einen Militärgottesdienst. In den zahlreichen Lazaretten hiesiger Stadt befinden sich auch jüdische Verwundete, die von unserem Rabbiner regelmäßig besucht werden. Gleich nach Kriegsausbruch hat der jüdische Frauen-Krankenverein unter seinen Mitgliedern 2.287 Mark aufgebracht und dem Kreiskomitee zum Roten Kreuz zur Verfügung gestellt. Auch der Verein 'Gemilus Chesed' hat 500 Mark für denselben Zweck aufgebracht. Der Verein zur Errichtung eines israelitischen Krankenhauses und Schwesternheims hat seine Räume der Militärbehörde zu Lazarettzwecken zur Verfügung gestellt und seine Schwestern mit den anderen Schwestern der Großloge zur Marinestation nach Kiel gesandt. Die Nassauloge U.O.B.B. hat sich mit dem israelitischen Unterstützungsverein zusammengetan, um den armen jüdischen Familien während der Kriegszeit hilfreich zur Seite zu stehen. Die Nassauloge hat außerdem für etwa 1000 Mark für unbemittelte Glaubensgenossen in Stadt und Bezirk Versicherungsscheine der Nassauischen Kriegsversicherung gekauft. Der israelitische Waisenunterstützungsverein hat 1000 Mark der Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen überwiesen. Dass außerdem die jüdische Privatwohltätigkeit im Dienste der Allgemeinheit sehr rege ist und zahlreiche Männer, Frauen, Mädchen und Kinder unserer Gemeinde im Dienste der allgemeinen Kriegsfürsorge stehen, bedarf wohl keines besonderen Hinweise."       

    
Festschrift zur Fünfzigjahrfeier des Synagogen-Gesangvereins (1914)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. Oktober 1914: "Festschrift zur Fünfzigjahrfeier des Synagogen-Gesangvereins zu Wiesbaden. 1863-1913. I. Zur Geschichte der Juden Wiesbadens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von Dr. Adolf Kober. 2. Rückblick auf die fünfzigjährige Tätigkeit des Synagogen-Gesangvereins. Von Benedict Straus. (Der ersten Teil dieser Festschrift ist auch in einem Separatdruck erschienen.) 
Die Schrift zerfällt, wie der Titel besagt, in zwei Teile. Auf den zweiten Teil kann ich nur kurz eingehen. Ich will nur bemerken, dass die Bemühungen für einen modernen Chorgesang mit einem Schreiben beginnen, das mein Vater 1836 an den Synagogenvorstand richtete, einen Chorgesang einzuführen, wobei er den Vorschlag machte, die Schüler der Religionsschule zu Chorsängern heranzubilden. Sonst sind die Mitteilungen über den Synagogen-Gesangverein zwar interessant genug, aber doch mehr von lokaler Bedeutung, sodass sie für den größten Teil unserer Leser nicht wichtig genug sind. Dagegen ist der erste Teil von allgemeinem Interesse, weil es sich hier nicht bloß um die Geschichte einer einzelnen Gemeinde, sondern um die der Judenschaft von ganz Nassau handelt, und die Ereignisse vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis ums Jahr 1850 dargestellt werden. Diese Ausführungen beginnen mit einer Bittschrift der Judenschaft aus dem Jahre 1807, einen Rabbiner anzustellen, einem höchst wichtigen Dokument. Die langen Verhandlungen bis zur Anstellung meines Vaters sind merkwürdig genug. Bei diesem Punkte geht der Verfasser nicht ins einzelne, sondern verweist auf meine Darstellung in dem meinem Vater gewidmeten Gedenkbuche. Ich konstatiere nur mit Vergnügen, dass Kober, entgegen den orthodoxen Ausstreuungen, daran festhält, dass Geiger 'ohne persönliches Verschulden' seine Stellung aufgab (S. 25). Dann folgt die Würdigung des Rabbiners Süßkind und manches andere. Es ist ein sehr lehrreicher Beitrag für die Provinzialgeschichte der Juden, die in einfacher Sprache sehr merkwürdige Verhältnisse illustrier. L.G. = Sohn von Rabbiner Dr. Abraham Geiger".       

 
Gedenkveranstaltung für Rabbi Akiba Wreschner im Talmud-Thora-Verein (1915)    
Anmerkung: es ist unklar, welcher der verschiedenen Rabbinen Wreschner mit "Akiba W." gemeint ist.   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. März 1915: "Wiesbaden, 15. März. Bei dem am 7. Adar abgehaltenen Hesped (Traueransprache) auf den verstorbenen Rabbi Akiba Wreschner – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – im hiesigen Talmud-Tora-Verein hat nicht wie irrtümlich eingegeben war, Herr Rabbiner Dr. Bamberger aus Hanau, sondern der Chemiker Dr. Bamberger in Wiesbaden den Vortrag gehalten."
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Bamberger: Vgl. Artikel von 1920 
- Chemiker Dr. Bamberger: https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Bamberger_(Chemiker)         


Ein ritueller Mittagstisch und das jüdische Altersheim wurden eingerichtet (1924)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Mai 1924:  "Wiesbaden, 20. Mai. Wiesbaden war früher als Stadt der Rentner bekannt. Alle Not, die den Rentner der Krieg und die Nachkriegsjahre und ganz besonders die Inflation des letzten Jahres gebracht hat, ist in Wiesbaden mit aller Schärfte hervorgetreten und die jüdischen Rentner, wie überhaupt alle nicht mehr im Erwerbsleben stehenden Glaubensgenossen sind von ihr in gleicher Weise betroffen worden. Um diese Not zu steuern, sind in Wiesbaden zwei Einrichtungen von jüdischer Seite geschaffen worden: Ritueller Mittagstisch und das jüdische Altersheim.
Die rituelle Küche geht auf eine Anregung zurück, die von Frau Löwenstein ausgegangen, von der Arbeitsgemeinschaft der Jüdischen Wohlfahrtsorganisationen in Wiesbaden bereitwillig aufgenommen und sofort in die Tat umgesetzt wurde, nachdem eine Anzahl opferwilliger Gemeindemitglieder sich zur Unterstützung durch Geldmittel und Waren bereiterklärt haben. Am 22. April 1923 erfolgte der Eröffnung zunächst in zur Verfügung gestellten privaten Räumen. Da die Teilnehmerzahl stark anwuchs, genügten diese Räume bald nicht mehr. Es wurde möglich, sie in ein eigenes Haus Faulbrunnerstraße Ecke Schwalbacherstraße zu verlegen. Die Räume in dem neuen Heim bestehen aus einem großen hellen Speisesaal und einem zweiten, gemütlich ausgestatteten Zimmer, das den Gästen auch an den Nachmittagen zur Verfügung steht, eine Einrichtung, die während des letzten langen Winters besonders dankbar empfunden wurde. Zeitungen, Bücher und Spiele sorgen für Unterhaltung.
Als Entgelt wird gegenwärtig 1,50 Goldmark für eine Woche erhoben. Dieser geringe Preis natürlich nur infolge der vielen, der Küche gespendeten Zuschüsse durchzuführen. Einer recht erheblichen Anzahl der Gäste muss auch dieser geringe Preis erlassen werden. An den Nachmittagen wird den Gästen kostenlos ein Glas Tee mit Brot verabreicht. 
Die Besucherzahl ist von anfänglich 10 Personen auf 55 bis 70 Personen täglich gestiegen, obwohl der Zutritt der Zustimmung einer besonderen Kommission bedarf.
Als Eigentümerin des Hauses ist die Nassau-Loge eingetragen, die die Räumlichkeiten bereitwillig auch für Versammlungen der anderen jüdischen Vereine zur Verfügung stellt. Die Leitung der Küche untersteht einem von der Nassau-Loge eingesetzten Ausschuss, dessen Arbeiten seit Begründung der Küche Herr Sally Herz leitet.
Die Notwendigkeit der Einrichtung eines jüdischen Altersheims ist schon vor Jahren von Moritz Heimerdinger, dem Rektor der jüdischen Wohlfahrtspflege in Wiesbaden, betont worden. Als die Not immer dringlicher wurde, kam es unerwartete Hilfe durch ein Vermächtnis des im Jahre 1922 verstorbenen Deutschamerikaners Moritz Archenhold. Dieses Vermächtnis wurde durch Verwandte des Verstorbenen weiter erhöht und nach langem Suchen war es möglich, das Haus Walkmühlstraße 85 zu erwerben. Eine Reihe weiterer Spenden ermöglichte uns, das Haus von Grund auf zu renovieren. Es kann 12 Personen Aufnahme gewähren. Ein behaglich ausgestattetes Speisezimmer dient den Insassen zum gemeinschaftlichen Aufenthalt. Mitten im Grünen und in der Nähe prächtiger Anlagen und des Waldes gelegen, ist es vorzüglich für seine Zwecke geeignet. Den Insassen wird außer der Wohnung volle Beköstigung in gut bürgerlichem Stil geboten. Die Pensionsplätze sind äußerst niedrig bemessen, es ist bei ihnen in jedem einzelnen Falle auf die Leistungsfähigkeit der Pensionäre oder ihrer Angehörigen Rücksicht genommen. Wegen der geringen zur Verfügung stehenden Plätze sind Neuaufnahmen augenblicklich nicht möglich. Das Eigentum des Hauses ist wie bei der Rituellen Küche der Nassau-Loge übertragen worden, die ein Kuratorium für die Verwaltung eingesetzt hat, an dessen Spitze Herr Gustav Flörsheim steht.
Am Sonntag, den 11. Mai 1924 wurde das Heim mit einer schlichten Feier seiner Bestimmung übergeben.
Anmerkungen: - Moritz Archenhold: http://www.jacob-pins.de/?article_id=356&clang=0
- Gustav Flörsheim. Gustav Flörsheim (1860 -1917), Wechselmakler, Beethovenstraße, Frankfurt a. M. 
       

    
Winterprogramm der Agudas Jisroel-Gruppe (1925)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Oktober 1925:   "Wiesbaden, 22. Oktober. Mit Herbstbeginn entfaltet die hiesige Agudas Jisroel-Gruppe wieder eine lebhafte Tätigkeit. Das Winterprogramm bietet unter der Leitung der Herren Rabbiner Dr. Kahn, Dr. Ansbacher, Lehrer Hes, Felix Goldschmidt und Jacob Tischel fast jeden Abend Schiurim (Lehrstunden) für Herren oder Damen. Nach Minchoh versammelten sich Mitglieder und Freunde der Agudoh in der 'Rituellen Küche', wo eine größere Anzahl Damen Erfrischungen und Leckerbissen gespendet hatten. Die Herren Rabbiner Dr. Ansbacher, Sanitätsrat Dr. Kornblum, Lehrer Hes und Herr Teig würzten die Seuda durch geistreiche und launige Worte des Tora, sodann setzte nach Maariw der fidele Teil ein, um den sich besonders Herr Leopold Deutsch verdient machte. Die Geschwister Ruth und Heinz Kahn, Sulamith und Joseph Ansbacher unterhielten das Publikum mit drolligen kurzen Vorträgen. Lehrer Hes trug den Jahrkidusch vor und Berthold Kahn schöpfte aus seinem reichhaltigen Born Dialektdeklamationen und 'erleuchtete' mit seinem Geisteslicht selbst eine durch Stromstörung eingetretene Dunkelheit. Besonders gelungen war das Luststück 'Wenn der Hof verreist ist', worin die Herren Gebrüder Steinlauf, Deutsch, Goldmann, Frl. Neustadt und der 9jährige Adolf Zippel großen Beifall ernteten.
Einen äußerst lehr- und genussreichen Abend bot am Sonntag, den 18. Oktober, ein Vortrag des Herrn Redakteurs S. Schachnowitz - Frankfurt a. M. über 'Chazaren und Karäer, ein Kapitel jüdischer Geschichte und seiner Lehren'. In seiner rühmlichst bekannten zündenden und wortreichen Darstellungskunst veranschaulichte er die beiden, aus einer Zeit stammenden, gewissermaßen Gegenstücke zueinander bietenden Ereignisse, und verstand es, zu bewirken, dass die Zuhörer durch seine lebhafte Schilderung und Erläuterung dieselben gleichsam miterlebten. Als logische Folgerung zog er hieraus erstens die Lehre, dass das Judentum ohne Tradition dem Tode entgegen gehen müsse, wie der Karaismus zeigt, andererseits die besonders für unsere Zeit beachtenswerte Wahrheit, dass die vereinigende Kraft Israels nicht die Blutsgemeinschaft sei, - denn Karäer verloren trotz dieser den Zusammenhang, während Chazaren als fremde Rasse wertvolle Teile wurden - sondern die Glaubensgemeinschaft. Die geistreichen und überzeugenden Ausführungen lösten reichen Beifall aus, den auch der Vorsitzende, H. Felix Goldschmidt, mit Dankesworten aussprach. Herr Rabbiner Dr. Ansbacher zeigte noch an einigen Beispielen, wie unentbehrlich die Tradition für die Ausübung der einzelnen Mizwoh sei, gleichzeitig aber auch, wie der feinsinnige Text des Gotteswortes, gründlich und wahrhaft wissenschaftlich genommen, selbst die traditionelle Auslegung unwiderleglich bestätige, sodass die karäische Lehre von der schriftlichen Thora selbst Lüge gestraft sei. Auch diese Ausführungen fanden reichen Applaus und die zahlreiche Hörerschaft ging dankbar für den herrlichen Abend mit reichem geistigen Gewinn nach Hause. - r. - "   
Anmerkungen:  - Agudas Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
Rabbiner Dr. Kahn:  https://www.jg-wi.de/blog/150-jahre-alt-israelitische-kultusgemeinde/ und Artikel und 1920 
Rabbiner Dr. Ansbacher: vgl. Artikel von 1931   
Minchoh: https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha
Maariw: https://de.wikipedia.org/wiki/Maariw_(Judentum) 
Leopold Deutsch: Womöglich https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de851771
Kidusch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kiddusch
Berthold Kahn: Womöglich  https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de891633
S. Schachnowitz: https://de.wikipedia.org/wiki/Selig_Schachnowitz
Chazaren: https://de.wikipedia.org/wiki/Chasaren
Karaismus: https://de.frwiki.wiki/wiki/Karaïsme       

       
Über das jüdische Gemeindeleben im Winter 1925/1926 (1926)        

Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 29. Januar 1926: "Wiesbaden. (Vom jüdischen Gemeindeleben). In den einzelnen Vereinen unserer israelitischen Kultusgemeinde herrscht reges geistiges Leben. So hat der neutrale jüdische Jugendverein nach längerer Pause seine Tätigkeit wieder aufgenommen. So pflegt die Vereinigung jüdischer Frauen neben ihren sozialen Aufgaben auch Geistesarbeit und lässt interessante Vorträge aktueller Art halten. Das jüdische Lehrhaus widmet diesen Winter jüdischen Erziehungsfragen, verbreitete durch Vorträge Aufklärung und Wissen, die Ortsgruppe des CV hat am 21. Februar vor geladenen Publikum Juden und Christen, von Professor Dr. Erik Nölting aus Frankfurt a. M. (Nichtjude) einen Vortrag über 'Das Judentum als deutscher Kulturfaktor' halten lassen. Die vor etwas mehr als Jahresfrist gegründete Ortsgruppe der 'Vereinigung für das liberale Judentum' hatte sich zunächst mit den Wahlen zum 'Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden' zu beschäftigen und Propaganda für sich zu betreiben. Diesem Zwecke diente auch der Vortrag des Herrn Lehrer Lilienthal hier über das Thema 'Liberales Judentum und religiöse Erziehung'. Die Ortsgruppe, die schon über eine stattliche Mitgliederzahl verfügt, ließ am 13. Januar von dem als eifriger Förderer des liberalen Judentums und ausgezeichneter Redner bekannten Herrn Rabbiner Dr. Caesar Seligmann aus Frankfurt a. M. einen Vortrag über das Thema: 'Mission des Judentums' halten. Der Saal war dicht besetzt und alle Zuhörer lauschten gespannt den 1 1/2-stündigen Ausführungen des Redners der nachwies, dass im Gegensatz zu der Schulchan-aruch-Auffassung von der Erschwerung des Proselytentums zur Zeit der griechisch-römischen Kulturepoche vom Judentum eifrig Mission betrieben wurde bzw., dass die unter dem Namen 'Septuaginta' bekannte Bibelübersetzung ins Griechische Tausende von Heiden, denen ihre Götter und Götzen schon lange schal und nichtig erschienen erschienen waren, dem Judentum zuführten, unter ihnen sogar Könige. Viele wurden, als die sogenannten 'gere zedek', Volljuden, während andere, die nur die sogenannten sieben noachtischen (?) Gebote befolgten, als 'gere toschab' bezeichnet worden. Das neuentstandene Christentum nahm der jüdischen Mission allmählich den Boden weg. Jedenfalls, so betonte der Redner, besteht für uns nach wie vor die Pflicht, unsere am Sinai empfangene Aufgabe, ein 'Reich von Priestern' zu sein, getreulich zu erfüllen und daran mitzuarbeiten, dass in Zukunft alle Menschen den einig-einzigen Gott verehren. Redner schloss mit dem Zitat: 'Haschem chofez lemaan zidko iagdil tor wejadiir.' 'Gott will um seiner Anerkennung willen, dass die Lehre von seiner Einheit verbreitet und verherrlicht werde.'
Die Ausführungen hinterließen bei den Zuhörern einen tiefen Eindruck. Ende Februar wird Herr Erich Toeplitz, Leiter des jüdischen Museums in Frankfurt a. M.,der Vorbereitungszeit für Pessach entsprechend einen Vortrag mit Lichtbildern halten, und zwar über das Thema: 'Der Sedertisch und seine Geräte, die Haggada und ihr Bilderschmuck.'"
Anmerkungen: - R.J.F.: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten
- CV: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/antisemitismus/centralverein.html
- Prof. Dr. Erik Nölting: https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Nölting
- Rabbiner Dr. Cäsar Seligmann:  https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1227   https://de.wikipedia.org/wiki/Caesar_Seligmann 
- Schulchan aruch: https://de.wikipedia.org/wiki/Schulchan_Aruch
- Proselytismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Proselytismus
- Septuaginta: https://de.wikipedia.org/wiki/Septuaginta
- Sinai: https://de.wikipedia.org/wiki/Sinai_(Berg)  
- Jüdisches Museum Frankfurt: https://www.juedischesmuseum.de/
- Pessach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Sedertisch:https://de.wikipedia.org/wiki/Seder
- Haggada: https://de.wikipedia.org/wiki/Haggada              

 
Damenschiur der Agudas Jisroel mit Lehrer Hes (1926)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. März 1926: Wiesbaden, 3. März. Am Montag Schuschan Purim veranstalteten die Teilnehmer des bereits im vorigen Wintersemester gut und in diesem Jahre besonders gut und regelmäßig besuchten, unter vorzüglicher Leitung des Herrn Lehrer Hes stehenden Damenschiurs der Agudas Jisroel im Hotel Kronprinz einen kleinen Unterhaltungsabend. Abwechslungsreiche Darbietungen von den Damen Plotke und Erteschik, sowie bereits bekannten Darstellern gut ausgeführt, sorgten dafür, dass die Purimstimmung auf der Höhe blieb. Den Glanzpunkt des Abends bildete das zierlich kleine Geschwisterpaar Heinz und Ruth Kahn mit ihrer reizenden Darstellung und in ihrer besonders gewählten Kleidung. Herr Lehrer Hes sei an dieser Stelle Dank und Anerkennung ausgesprochen, dass er es durch seine besonders gute Vortragsweise versteht, eine stattliche Anzahl begeisterter Hörer und Hörerinnen bei allen seinen Schiurim dauernd um sich zu sammeln."
Anmerkungen: - Schuschan Purim  https://cjz-neuss.de/schuschan-purim/  
- Schiur: https://de.wikipedia.org/wiki/Schi%27ur
- Agudas Jisroel: https://de.wikipedia/de944984.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
- Frau Plotke: Womöglich: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de944984
- Frau Erteschik: Womöglich: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de861110
- Purim: https://de.wikipedia.org/wiki/Purim
- Hotel Kronprinz:  vgl. Anzeige von 1931  und Anzeigen von 1893 

      
Erfolg des jüdischen Handballvereins Hakoah Wiesbaden (1927)     

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 27. Mai 1927: "Wiesbaden. Hakoah Wiesbaden – Wormatia Worms 10:4 (7:2). Nach den guten Ergebnissen des Sportvereins und der Polizei hat nun auch der dritte Wiesbadener Ligavertreter Hakoah gegen die komplette Liga der Wormatia Worms einen eindrucksvollen Sieg errungen. Die Wiesbadener befanden sich in einer Form, die manchem Gegner zum Verhängnis geworden wäre. Der Sturm, von Birnbaum geführt, bot eine Leistung, die so leicht nicht zu übertreffen war. Kombination, Täuschungs- und Wurfvermögen sind glänzend ausgebildet, sodass Tore (auch 10) fallen mussten. Die Läuferreihe hatte einen großen Tag, besonders auffällig war die gute Disposition des Mittelläufers Birnbaum II. Die beiden Ersatzverteidiger besitzen sehr gute Anlagen. Der sehr gute gegnerische Sturm machte ihnen viel zu schaffen. Die Tore warfen Gro??ant (5) und Halberstedt (5), sämtliche Tore waren Früchte exakten Kombinationsspiels und unhaltbar. Im Ganzen ein schönes Spiel. Die allzu siegessichere Reserve des HSV Rödelheim erzielte ein mäßiges 1 : 1 gegen die mit fünf Spielern Ersatz angetretene Reserve der Hakoah. Die Frankfurter vermochten in Wiesbaden nicht sonderlich zu imponieren, ihr Ausgleich kam reichlich spät. Bei kompletter Mannschaft wäre das Vorspielergebnis von 4 : 1 für Hakoah nicht unwahrscheinlich gewesen. - Hakoah 2. Jugend gegen Hakoah 1. Schüler 2 : 0 (2 : 0)."          

 
Vortragsabend der Ortsgruppe der "Vereinigung für liberales Judentum" (1927)     

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 23. Dezember 1927:  "Wiesbaden. Die hiesige Ortsgruppe der Vereinigung für liberales Judentum erfüllte mit der Einladung zu Referaten über 'Liberalismus und Zionismus' ein altes Versprechen. Wie aktuell diesse Thema ist, beweisen die Verhandlungen der letzten liberalen Rabbinerversammlung wie die die der Frankfurter Hauptversammlung der Vereinigung. Der erste Referent des Abends, Herr Dr. G. Goldstein, stützte sich vor allem auf den ersten Satz der bekannten liberalen Resolution. Wurden die Gemeindewahlen anfänglich, der im Prinzip religiösen Aufgabe der Kultusgemeinden gemäß, zwischen Liberalen und Orthodoxen entschieden, so ist die religiöse Einstellung der Kandidaten heute fast Zufallssache, weil den Zionisten, die andere Gesichtspunkte in der Gemeindeverwaltung zur Geltung bringen wollen, Centralvereinler und Liberale als Anti-Zionisten geschlossen gegenübertreten. Die innere Berechtigung dieser Front ist zu erweisen. Der Begriff 'Entwicklung' nach Abraham Geiger uns anderen, das methodische Prinzip des Liberalismus, widerspricht konvervativer, nichtzionistischer Auffassung, wohl aber die Idee des Liberalismus selbst, der Universalismus. Das Wesen des Judentums wir in dem erblickt, was allgemeine Menschheitsreligion sei. Wer sich zum einig-einzigen Gott, zur unmittelbaren Gotteskindschaft, zum Messianismus bekenne, sei Jude, nach Ansicht des Referenten ohne jede Rücksicht auf Abstammung und Tradition. Die Judenheit solle mehr als Schicksalsgemeinschaft sein. War der Zionismus ursprünglich der Nationalismus des Ostjudentums, so führen heute in ihm Kulturzionisten mannigfacher Schattierungen, eine Wandlung, die sich in der Gemeindepolitik in Deutschland noch nicht bemerkbar gemacht hat, die aber erwarten lässt, dass der Zionismus seinen religiös eingestellten Anhängern künftig kein Hindernis mehr auf dem Wege zum Liberalismus sein werde. Während Herr Dr. Goldstein mehr dem Referat des Herrn Rabbiners Dr. Vogelstein – Breslau auf der erwähnten Tagung folgte, steht der andere Referent, Herr Stadt- und Bezirksrabbiner Dr. P. Lazarus, den damaligen Ausführungen des Herrn Rabbiners Dr. Wiener näher. Der den deutschen Verhältnissen eigentümliche Gegensatz des religiösen Liberalismus zum politischen Zionismus erkläre sich aus dem Steckenbleiben des ersteren im Nationalismus mit seinen Leistungen (Wissenschaft des Judentums, Universalismus, Stellung der Frau) und seiner Unfähigkeit zur Gemeindebildung. Der Liberalismus solle Tat sein, nach der Resolution der liberalen Rabbinen, lebensnah wie die amerikanische Reform – fordern darum soziale Verwirklichung – auch in Palästina. Gerade Erez Jisroel, aber kann das spezifisch Jüdische, den religiösen Geist, neu schaffen. Vom Zionismus aus betrachtet, sei der Liberalismus, abgesehen von der Minderheit des 'Misrachi', der einzige Weg zur vollkommenen Renaissance des Judentums, weil dieses eben doch vom Religiösen der bestimmt wird. Es gibt keinen Gegensatz solange beide Gruppen das Reich Gottes auf Erden verwirklichen wollen und revolutionär sind, d.h. lebendig, schöpferisch. Der Referent wandte sich noch gegen die 'Dolchstoßlegende', dass der Liberalismus vor 100 Jahren zum Abfall geleitet habe, wie gegen die Klassifizierung der Liberalen als 'irrende Brüder' und schloss mit einem Midrasch. Der Vorsitzende, Herr Dr. Goldstein, dankte Herrn Dr. Lazarus für den ästhetischen Genuss, der das Referat auch dem Gegner geboten habe. Herr Lehrer E. Capell erinnerte nochmals daran, dass die Einseitigkeit der 'Jüdisch-liberalen Zeitung' dem Liberalismus wertvolle Kräfte entfremden. Da keine weiteren Wortmeldungen vorlagen, schloss der Vorsitzende die gutbesuchte Versammlung mit der Parabel von den drei Ringen. Geschäftlich wurde noch mitgeteilt, dass es gelungen sei, im Generalsekretär des Vereins, Herrn George Goetz, einen hervorragenden Redner für einen Vortrag zu gewinnen. Ferne hat sich Herr Rabbiner Dr. Dienemann – Offenbach bereiterklärt, sein Frankfurter Hauptreferat ,'Judentum und Gesellschaft', hier zu wiederholen."
Anmerkungen: - Centralvereinler:   https://de.wikipedia.org/wiki/Central-Verein_deutscher_Staatsbürger_jüdischen_Glaubens  
Abraham Geiger: https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger  
Rabbiner Dr. Vogelstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Vogelstein 
Rabbiner Dr. P. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner) 
Erez Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel  
Misrachi: https://de.wikipedia.org/wiki/Misrachi
Dolchstoßlegende: https://de.wikipedia.org/wiki/Dolchstoßlegende
Midrasch:  https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch  
Lehrer E. Capell; Lehrer Capell: Edmund Isaak Capell  https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Edmund_Capell,_Kaiser-Friedrich-Ring_34_(Wiesbaden).jpg
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/capell-familie.php           

 
Über den jüdischen Sportklub Hakoah Wiesbaden (1928)       

Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt" vom Januar 1928: "Sportklub Hakoah Wiesbaden
In Wiesbaden wurde vor zirka einem Jahre der Sportklub Hakoah Wiesbaden gegründet, der zurzeit über 500 Mitglieder zählt. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, jüdische Sportleute, die in bürgerlichen Vereinen dem Judentum entfremdet werden, in seine Reihen zu bringen. Der Vorstand, dem als Vorsitzender Herr Rückersberg angehört, hält die Mitglieder strengstens an, nichts zu tun, was gegen die heiligen Gesetze verstößt.
Im letzten Jahre konnte der Sportklub Hakoah die A-Meisterschaft im Handball erringen und kämpft heute in der Liga des Frankfurter Landesverbandes. Am 8. Januar spielt Hakoah in Frankfurt a. M. - Rödelheim  an der Wetterbach-Straße um 3 Uhr, sodass unseren Gemeindemitgliedern hierdurch gute Gelegenheit gegeben wird, dem Spiel beizuwohnen. Wir hoffen, dass niemand verfehlen wird, dort zu erscheinen, um der jüdischen Mannschaft einen Rückhalt im Spiel zu geben."
Anmerkung: Hakoah: https://de.wikipedia.org/wiki/Hakoah 
"         

  
Bezirksrabbiner Dr. Lazarus referiert über Martin Luther (1928)          

Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 9. März 1928: "Wiesbaden (Aus dem Gemeindeleben). Zum Abschluss des Zyklus 'Religionsstifter, ihr Leben und ihre Bedeutung für die Gegenwart' sprach Bezirksrabbiner Dr. Lazarus vor ca. 400 Hörern, Juden und Christen, über 'Luther'. Ausgehend von einer kulturgeschichtlichen Skizze des 16. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen, streifte Redner zu Beginn nur kurz Luthers Stellung zu den Juden, die nach einer Periode der Gleichgültigkeit dazu übergeht, die Juden für das neue Evangelium zu gewinnen; als der erwartete Erfolg nicht eintritt, ändert Luther seine Haltung zu den Juden, die nunmehr eine gehässige und überaus feindselige wird. (S. Reinhold Lewin 'Luthers Stellung zu den Juden', Berlin 1911). Der Vortragende geht dann über zu seiner eigentlichen Aufgabe, Luthers Stellung innerhalb der christlichen Kirche darzustellen, das Nee an ihm darzutun und seine Haltung im Gesamtbild der modernen Kultus zu bewerten, um abschließend dann demgegenüber: die Anschauung des Judentums zu betonen. Die deutsche Reformation war nichts weniger als eine einheitliche Bewegung; sie war die Resultante aus vier Komponenten: der reiigiösen, der nationalen, der wirtschaftlichen und der wissenschaftlichen. Das Gemeinsame, das alle diese so verschiedenartigen Richtungen zu einer Einheit verknüpfte, war die Berufung auf die Bibel. Als eine durch und durch mittelalterliche Erscheinung, als tyischer Übergangsmensch an der Wende einer neuen Zeit, stellt Luther den letzten großen Mönch dar, den Europa gesehen hat. Das Neue an ihm war nach Ansicht des Redners: Rückkehr zur Bibel als der einzigen Autorität gegenüber der Auslegung durch die katholische Kirche, Wiedererweckung des Gedankens des allgemeinen Priestertums, Hineinschiebung des Gewissens als der entscheidenden Macht gegenüber der Entscheidung durch den Priester. Diese Elemente stellen eine nachträgliche Rechtfertigung des jüdischen Standpunktes dar. 
Innerhalb der christlichen Kirche selber betont er die Paulinische Anschauung der Glaubensreligion im Gegensatz zur Sakramentsreligion. Abkehr von der Wertschätzung der guten Werke. Anzuerkennen ist, dass L. die Freiheit der Forschung aufgestellt hat, das Gewissensmoment, die persönliche Verantwortung des Einzelnen stärker betont und das Recht des Individuums in den Vordergrund geschoben hat. Andere Ergebnisse aber haben ungünstig die Folgezeit beeinflusst, dadurch, dass Luther die Lebensbezirke verselbständigt, dass er die katholische Haltung vom Primat des Religiösen im ganzen Leben zerstört und ferner bewusst in das Denken der Menschen die Staatsautorität als eine religiöse Einrichtung eingeführt hat. L. ist der Vater der Staatsvergottung. Heute sieht man selbst in protestantischen Kreisen eine gewisse Abkehr von diesen Gedankengängen und Hinwendung zum allgemein jüdischen Standpunkt: Hinneigung zum Primat des Religiösen als dem Umspannenden aller Lebensbezirke, und ebenso macht sich ein Protest gegen die Staatsvergottung geltend. Nachdem Redner die Bedeutung von Luthers Bibelübersetzung eingehend geschildert, sucht er den jüdischen Standpunkt klar auszuführen, der dahin geht, Einheit von Leben und Religion zu erzielen. Dazu ist notwendig, das Vertrauen des Menschen auf die eigene Kraft. Das Judentum kennt kein Sakrament, das ihm Gnade, keine Anstalt, die ihm Sünde vergibt – Gott allein offenbart ihm die sittliche Welt; er gab ihm auch die Kraft, aus sich selbst heraus die sittliche Welt Gottes auf Erden zu verwirklichen. - Die vor 5 Jahren vom Bezirksrabbiner Dr. Lazarus gegründete Chewrah der Israelitischen Kultusgemeinde beging zum ersten Mal im Gegensatz zu früheren Jahren auf Anregung des Herrn Oberkantor Nußbaum am 7. Adar, dem Todestag Moses’, ihr Stiftungsfest, dass in einem Gottesdienst, Besuch des Friedhofs und einem Chewrah-Essen unter Beteiligung von über 100 Personen aus allen Kreisen der Gemeinde bestand. Außer der Begrüßungsrede des überaus verdienstvollen Vorsitzenden der Chewrah, Herrn Arthur Ganz, hielten der Gemeinderabbiner Dr. Lazarus und der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Justizrat Markheimer, kurze Ansprachen, in denen sie auf die Bedeutung der Chewrah hinwiesen. Um das Gelingen des Festes hatten sich neben den beiden Lehrern Nußbaum und Capell besonders verdient gemacht die Herren Rothschild und Singer."
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner) 
Chewrah: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa 
Zu Oberkantor Nussbaums Familie: https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/emma-august-und-das-ehepaar-nussbaum/
Adar:https://de.wikipedia.org/wiki/Adar_(Monat) 
Justizrat Markheimer: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/marxheimer-moritz.php  Adelheidstraße 46
Lehrer Capell: Edmund Capell https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/capell-familie.php 
   

    
Stiftungsfest der Chewra Kadischa (1928)       

Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 26. März 1928: "Wiesbaden (Stiftungsfest der Chewra). Die hier bestehende Chewra feierte kürzlich ihr Stiftungsfest durch Ansprachen des Gemeinderabbiners Dr. Lazarus und des Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Justizrat Marxheimer, die bei einem von mehr als 100 Personen besuchten gemeinsamen Essen auf den Wert der Vereinigung hinwiesen; außerdem fand ein Festgottesdienst und ein gemeinsamer Besuch des Friedhofs statt."
Anmerkungen: - Chewra: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
- Rabbiner Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)  
- Justizrat Markheimer: https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/marxheimer-moritz.php  Adelheidstraße 46   
         

   
Bericht aus dem jüdischen Gemeindeleben - Vorträge des Jüdischen Lehrhauses und weitere Veranstaltungen (1928)     

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 19. Oktober 1928:  "Wiesbaden (Aus dem Gemeindeleben). Das Jüdische Lehrhaus hier, das den Mittelpunkt des jüdischen geistigen Lebens der Gemeinde darstellt, wird in diesem Winter ein Zyklus von Vorträgen veranstalten, über das Thema: 'Der Beitrag des Judentums zur Kultur der Gegenwart'. Ausgehend von der heutigen Kulturkrise soll in diesem Zyklus gezeigt werden, dass das Judentum als eine der großen Weltreligionen zu allen Problemen der Gegenwart Stellung nehmen muss. Folgende Vorträge sind angesetzt: 'Die Krise unserer modernen Kultur' (Rabb, Dr. Italiener – Hamburg); 'Saat, Welt und Bürger (Rabb. Dr. Dienemann -Offenbach Die Synagoge in Offenbach am Main (Hessen); 'Mensch und Recht' (Rabb. Dr. Eschelbacher – Düsseldorf); 'Arbeit und Wirtschaft' (Rabb. Dr. Dienemann – Offenbach); 'Das moderne Sexualproblem' (Rabb. Dr. Lazarus – Wiesbaden). Zur Vertiefung des behandelten Stoffes werden Arbeitsgemeinschaften gebildet, die in kleinem Kreise Gelegenheit geben sollen, durch Frage und Antwort sich eingehend mit der Materie zu beschäftigen. Ein Vortragsabend über das Thema: 'Schöpferische Mitarbeit der Juden in der zeitgenössischen Musik' unter Leitung des Herrn Lehrer Lilienthal -Wiesbaden wird die Winterarbeit des Lehrhauses beschließen. - Am 14. des Monats fand hier die Tagung des Hessischen Landesverbandes jüdischer Jugendvereine statt. Im Mittelpunkt standen zwei Referate Dr. Karger – Breslau: 'Die Arbeit der Jugend an der Neugestaltung der jüdischen Gesellschaft' und Dr. Lazarus – Wiesbaden. 'Jüdische Jugend – ihr Sinn und ihr Schicksal'. - In der letzten Sitzung des Gemeindeparlaments referierte der Vorsitzende über einen von ihm skizzierten Entwurf für das neue Wahlreglement, das infolge des Beschlusses des Vorstandes vom 20. Juni dieses Jahres über die Einführung des Frauenwahlrechts und des Verhältniswahlrechts nötig geworden ist. Nach längerer Diskussion wurde der Entwurf einer aus dem Vorsitzenden, Dr. Goldstein und Dr. Kahn, bestehenden Kommission bestehenden Kommission zur Beratung und zur Berichterstattung in der nächsten Sitzung überwiesen. - Der Rendant, Herr Arthur Straus, berichtete über die Finanzlage der Gemeinde, über die Steuereingänge und das Steueraufkommen der Gemeindemitglieder für das laufende Jahr. Die Steuerkraft hat sich keineswegs gehoben, wie man am Anfange des Jahres erwartet hatte; es ist im Gegenteil mit erheblichem Ausfall zu rechnen. Eine Reihe wichtiger Aufgaben muss deshalb zurückgestellt werden, und es ist nur infolge angepasster Sparsamkeit möglich, von einer Erhöhung der Steuerquote wurde dann auch wie im Vorjahre einstimmig auf 17 Prozent der Staatssteuer festgesetzt. Zur Erörterung gelangte alsdann eine Reihe von Mängeln des Gottesdienstes an den Hauptfeiertagen.
Anmerkungen: - Rabb. Dr. Italiener: https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Italiener
https://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/italiener-bruno
Rabb. Dr. Dienemann: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann  vgl. Artikel von 1940  
Rabb. Dr. Eschelbacher: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Eschelbacher
Rabb. Dr. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner) 
Arthur Straus: https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/bahnhofstr-25/arthur-straus-und-seine-frau-anna-geborene-waller/           

      
Über die Chanukka-Feier der "Vereinigung jüdischer Frauen" (1930, Artikel vom Januar 1931)   

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 23. Januar 1931: "Wiesbaden. Unter der hiesigen Chanukkafeiern war besonders bemerkenswert der Unterhaltungsabend der 'Vereinigung jüdischer Frauen'. Trotz Kaffee und Gebäck war der erste Teil des Programms ernst gehalten. Frau Lotte Levy-Baer (Wiesbaden) verstand es, durch ihr schönes Organ, ihre klug durchdachte Art des Vortrags, sowie durch geeignete Wahl des Stoffes zu fesseln. Mit Gedichten von Zuckermann und Baer-Hofmann begann sie. Eine besinnliche, noch ungedruckte Studie von Stefan Zweig 'Die dritte Taube' bildete den Höhepunkt. Eine chassidische Legende und Proben aus Bertha Pappenheims Übersetzung des Maase-Buchs zeigten das Können der Künstlerin von einer neuen Seite. Die zweite Hälfte ließ Tucholsky zu Wort kommen. Zwei einheimische Talente, Frau Elsbeth Persch-Krapp mit ihren köstlichen 'Frankfurter Würstchen' und Hertel Simon ('Lu') brachten den Rest des Abends die erwünschte Stimmung nach der Erbauung. Die Frauenvereinigung ist stolz darauf, dass sie solche Förderer besitzt und dass sie nicht erst der Radio-Vorträge Levy-Baers bedurfte, um den Propheten im eigenen Vaterland Geltung zu verschaffen.  L.C."
Anmerkungen: - Chanukka: https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka
- Lotte Levy-Baer: https://www.jewishvirtuallibrary.org/working-for-the-kulturbund
- Zuckermann: https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Zuckermann  
- Richard Beer Hofmann: -https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Beer-Hofmann
- Stefan Zweig: https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Zweig
- Chassidismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Chassidismus
- Bertha Pappenheim: https://de.wikipedia.org/wiki/Bertha_Pappenheim   https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/meta-objekt/anna-o.---bertha-pappenheim/14398addf
- Maase-Buch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ma%27assebuch
- Tucholsky:https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky        
      

 
Veranstaltung der Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum (1931)      

Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 28. Januar 1931: "Wiesbaden. (Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum). Am Mittwoch, dem 14. Januar des Jahres sprach im Kreise der Ortsgruppe Herr Oberkantor Nußbaum über das Thema: 'Der Gemeindegesang'. Der Redner gab zunächst einen historischen Überblick über Entstehung und Entwicklung des Gemeindegesanges in den Gotteshäusern überhaupt und in den jüdischen speziell. Um dem Tohuwabohu Einhalt zu bieten, schuf Salomon Sulzer den vierstimmigen Chorgesang; er ging aber zu weit, indem er der Gemeinde jede intonierende Äußerung wegnahm. Der goldene Mittelweg ist einzuschlagen. Die Gemeinde muss beschäftigt werden, soll sie nicht den Gottesdienst stören. Die Gemeindegesänge müssen sich durch Einfachheit, leichte Fasslichkeit, scharfe Rhythmik, Volkstümlichkeit und Begrenzung im Stimmumfang auszeichnen. Einer der besten Gemeindegesangskomponisten ist Professor Kirschner – München. Die wichtigste Frage ist naturgemäß die Einführung des Gemeindegesanges. Zu diesem Zwecke ist die Zusammenstellung der Gemeindegesänge in einem besonderen Gesangbuch erforderlich. Ein solches wird von der 'Liberalen Kommission des Preußischen Landesverbandes Jüdischer Gemeinden' bereits vorbereitet. Die Einheitlichkeit der Texte kann nur durch die Einführung des 'Einheitgebetbuches' erzielt werden. In den Gemeindegesang hinein kann am besten die Jugend führen; darum ist es unbedingt erforderlich, dass der 'liturgische Gesang' einen integrierenden Unterrichtsgegenstand in allen jüdischen Religionsschulen bildet, wie dies in unserer Gemeinde bereits seit zwei Jahrzehnten der Fall ist. - In der lebhaften Diskussion, an der sich vor allem die Herren Dir. Dr. Goldstein, Rabb. Dr. Lazarus und Lehrer Capell beteiligten, wurden besonders nochmals die Fragen des Einheitgebetbuches, der Ästhetik im Gottesdienst und des Jugendgottesdienstes besprochen."  
Anmerkungen: - Oberkantor Nußbaum: https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/emma-august-und-das-ehepaar-nussbaum/   
   http://www.gaechter.cc/uploads/media/Didaktikmappe_Kantoren.pdf
- Tohuwabohu: https://de.wikipedia.org/wiki/Tohuwabohu
- Salomon Sulzer: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Sulzer  https://www.jm-hohenems.at/juedisches-viertel/biografien/salomon-sulzer
- Prof. Kirschner: http://de.pluspedia.org/wiki/Emanuel_Kirschner
- Rabb. Dr. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)  
- Lehrer Capell: Edmund Capell https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/capell-familie.php
        

    
Bericht aus dem jüdischen Gemeindeleben - Vorträge des Jüdischen Lehrhauses (1931)       

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 9. Oktober 1931: "Wiesbaden. (Aus der Gemeinde) Das jüdische Lehrhaus nimmt Ende des Monats seine Tätigkeit wieder auf. Nach einem einleitenden Vortrag des Herrn Rabbiner Dr. Lazarus über 'Das Bildungsproblem des modernen Juden' wird in einem Vortragszyklus 'Die Stellung der Konfessionen zu den sozialen und politischen Problemen unserer Zeit' von hervorragenden Führern des Protestantismus, des Katholizismus und des Judentums behandelt. Es sprechen die Herren Universitätsprofessor Dr. Tillich (Frankfurt a. M.) über 'Religiöser Sozialimsus und protestantische Kirche', Dr. Scharp, Chefredakteur der 'Rhein-Mainischen Volkszeitung' (Frankfurt a. M.) über 'Der deutsche Katholizimus und die politische Welt', Rabbiner Dr. Dienemann (Offenbach) über 'Juden und Judentum im Wandel der Politik'. Freie Ausspracheabende über das Thema 'Sinn des Lebens und des Leides – das Schicksalsproblem nach jüdischer Auffassung' mit einleitenden Referaten des Herrn Rabbiners Dr. Lazarus beschließen das diesjährige Winterprogramm."  
Anmerkungen:  - Prof. Dr. Tillich: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Tillich
- Rabbiner Dr. Dienemann: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann
- Rabbiner Dr. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)   
          


Abschlussprüfung in den Jugendgruppen der Agudas Jisroel (1935)  
Anmerkung: Pirchim-Gruppen werden auch Pirche Agudas Jisroel (bzw. Esra Pirche Audath Jisroel u.ä.) genannt, ein Teil der Jugendorganisation der Agudas Jisroel. Vgl. Wikipedia-Artikel Jüdische Jugendbewegung.   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Mai 1935: "Wiesbaden, 6. Mai. In Wiesbaden ist es üblich, dass am Ende eines Jahres, das zeitlich mit dem Schuljahr zusammenfällt, eine Abschlussprüfung in den Pirchim-Gruppen stattfindet, zum Zwecke der Prüfung der Kenntnisse der Kinder. So fand auch dieses Jahr am 28.4. eine solche Prüfung statt. Schon vor der festgesetzen Zeit sah man Kinder sich vor der Türe drängen, die es nicht erwarten konnten, ihre Kenntnisse unter Beweis zu stellen. Nach einigen einleitenden Chören kam die mit Herzklopfen erwartete Verlesung der Namen mit der Nennung der Preise. Das Ergebnis war durchaus befriedigend, sowohl für die Führerschaft als auch für die Geführten. Mit besonderen Leistungen warteten auf: Malwine Dachs, Rosel Förster, Ruth Sulzberger und Moritz Offen. Ebenfalls ausgezeichnete Ergebnisse erzielten Miriam Ehrenreich, L. Tiefenbrunner, B. Erteschik, J. Ansbacher, O. Tiefenbrunner, Harry Spett und Heinz Keh. Eine kurze Ansprach von 'Jonti' bildete den Beschluss. Zugleich nahmen die Kinder von eiem bisherigen Führer, der zur Jeschiwa ging, Abschied. Die letzten Worte dieses Bachurs, E. Rottenberg, gingen denn auch daraufhin, weiterzuarbeiten und die Arbeit der Esra Pirche, Agudas Jisroel, nicht zu vernachlässigen. Damit nahm die harmonisch verlaufene Feier ihren Abschluss." 
Anmerkungen: - Moritz Offen: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1610443
- B. Ersteschik: Womöglich Bernhard Erteschik: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de861112
- L. Tiefenbrunner: Womöglich: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de981988
- O. Tiefenbrunner: Womöglich: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1199400
- Jeschiwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
- Bachur: (Hebräisch) junger Mann
- Agudas Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation  
       

   
Generalversammlung des Verbandes polnischer Staatsangehöriger (1936)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Oktober 1936:  "Wiesbaden, 15. Okt. In der Generalversammlung des Verbands polnischer Staatsangehöriger wurde folgender Vorstand gewählt: M. Eckstein, Vorsitzender, Viktor Goldmann, Schriftführer, Jakob Millmann, Kassierer, M. Neumann, Rechtsfragen, Ch. Cyowitz, Kulturfragen, N. Hofstedter und W. Salz, Soziales. - Die erste Aktion war eine Rosch-Haschono-Sammlung, welche mit gutem Erfolg durchgeführt wurde. Der Vorstand hat es sich zur Aufgabe gestellt, kulturelle und gesellschaftliche Arbeit besonders zu pflegen. Am 10. Oktober veranstaltete er eine Simchas-Torafeier, welche einen starken Besuch aus unserer Stadt, sowie unserer Freunde aus der Nachbarstadt Mainz aufzuweisen hatte. Zum Gelingen des Abends trugen durch ihre Mitwirkung besonders bei: Herr Rabbiner Dr. Ansbacher durch seine Ansprache, ferner als mitwirkende Künstler: Herr Steinbrecher, Herr und Frau Dolginever, sowie die Frl. Rottenberg, Dachs, Ehrenreich, Ebbe und Herr Tiefenbrunner. Der finanzielle und ideelle Erfolg war zufriedenstellend."
Anmerkungen: - Rosch Haschono: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
- Simchas Tora: https://de.wikipedia.org/wiki/Simchat_Tora
- Rabbiner Dr. Ansbacher: Rabbiner Dr. Jonas Ansbacher
- Herr Steinbrecher: Womöglich https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de974513
- Fräulein Rottenberg: Womöglich https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de954842
- Fräulein Ehrenreich: Womöglich https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de859957  oder
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de859960
- Fräulein Ebbe: Womöglich https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de30615 
        
 
Hinweis: im Frühjahr 1936 fand in Wiesbaden bereits eine Tagung der Ortsgruppen Südwestdeutschlands der Polnischen Staatsbürger statt:  
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Juni 1936: "Wiesbaden, 16. Juni. Die Ortsgruppen Südwestdeutschland der Polnischen Staatsbürger hält am Sonntag, den 21. Juni, vormittags pünktlich 10 Uhr, in Wiesbaden, Gemeindesaal Michelsberg 28. ihre erste Tagung ab. Das Programm enthält nach der Eröffnung durch den Vorsitzenden, Herrn M. Eckstein Begrüßungen und die Wahl des Präsidiums, Referate der Herren Dr. Meithis, Berlin, N. Fuchs, Oberhausen a. Rh.; Entgegennahme von Berichten der Ortsgruppen, Generaldebatte und Wahl eines Präsidiums für den Südwestdeutschen Verband."      

 
Anzeige für eine Kundgebung des Keren Hajessod in der Synagoge in Wiesbaden (sowie in Hannover und Mannheim, 1936)  

Wiesbaden JuedNationalzeitung 08051936.jpg (154169 Byte)Anzeige in der "Jüdischen Nationalzeitung" vom 8. Mai 1936: 
"Jubiläums-Kundgebungen des Keren Hajessod
HANNOVER
Sonnabend, den 9. Mai 1936, 21.15 Uhr in der Großen Synagoge, Bergstraße
DR. FRIEDRICH BRÜDNITZ, Berlin  DR. HANS FRIEDENTHAL, Berliner
Palästina im Rahmen der Weltpolitik
Die jüdische Antwort auf die Ereignisse in Erez Israel 
Ortskomitee der Jewish Agency 
i.A.: Dr. Walter Dux, Karl Schleisner  

MANNHEIM Sonntag, den 10. Mai 1936, 20.30 Uhr in der Hauptsynagoge
Rabb. Dr. Grünewald, Begrüßung 
DR. MICHAEL TRAUB, Berlin
Auf der Suche nach Lebensraum 
Jüdische Not in Osteuropa/Soziale und geographische Wanderfahrten/Dreieinhalb Millionen Juden verlassen Europa/Wohin?/Uganda und Palästina/Judenproblem in Deutschland/Hilfe und Aufbau/Können wir auswandern?/Entdeckungsfahrten/Krise in Palästina?/Unsere Realpolitik
Synagogenrat Mannheim
Ortskomitee der Jewish Agency
Zionistische Ortsgruppe 
 
Wiesbaden
Mittwoch, den 13. Mai 1936, 20.30 Uhr. 
Dr. Marxheimer - Rabbiner Dr. Lazarus   Begrüßungen.  
Dr. Michael Traub, Berlin:
Das jüdisch-arabische Problem und die englische Mandatspolitik
.  
Israelitische Kultusgemeinde Wiesbaden."   

Anmerkungen: - Große Synagoge: https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Hannover) )
- Dr. Hans Friedenthal: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Wilhelm_Carl_Friedenthal
- Erez Israel: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel
- Jewish Agency: https://de.wikipedia.org/wiki/Jewish_Agency_for_Israel
- Dr. Walter Dux: https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Dux
- Mannheim, Hauptsynagoge: https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptsynagoge_(Mannheim) 
- Rabbiner Dr. Grünewald: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Grünewald
- Rabbiner Dr. Lazarus: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)     

 
Bericht über eine Vortrag von Dr. Ludwig Feuchtwanger im Jüdischen Lehrhaus (1936)   

Wiesbaden JuedNationalzeitung 05051936.jpg (166391 Byte)Artikel in der "Jüdischen Nationalzeitung" vom 5. Mai 1935: "Wiesbaden. Im Jüdischen Lehrhaus hielt den Schlussvortrag 'Die Schicksalsstunde der jüdischen Religion' Dr. Ludwig Feuchtwanger. Er ging von den trennenden Prinzipien des gesetzestreuen Judentums sowie des religiösen Liberalismus aus und besprach die verschiedenen Bestrebungen des religiösen Zionismus. Den größten Nachdruck legte er auf den Gestalt- und Bedeutungswandel des traditionsgebundenen Judentums. Nach der Emanzipation suchte man Weltaufgeschlossenheit mit Thoratreue vereinbar zu machen. Dieser Versuch scheiterte; die gesetzesfreie und die gesetzestreue Richtung näherten sich infolgedessen unbewusst und ohne es selbst zu wollen einander von innen heraus. Der Hauptteil des Vortrages enthielt den Versuch, die jüdisch-religiösen Richtungen mit der europäischen Rangordnung der Werte zu vergleichen."   

   
   
   
Sonstiges     
Sitzung des "Synagogenrates", eines Gremiums der drei Rabbinatsbezirke des früheren Herzogtums Nassau (1890)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. August 1890: "Wiesbaden, 27. Juli. Auf den 24. des Monats war der Synagogenrat durch den Königlichen Regierungspräsidenten Freiherrn von Wurmb hierselbst zu der alljährlich stattfindenden ordentlichen Sitzung berufen worden. Dieses Kollegium, eine Schöpfung der preußischen Regierung aus dem Jahre 1871, welche hierdurch vielfach hervorgetretenen Wünschen nach einer Vertretung der israelitischen Kultusgemeinden des ehemaligen Herzogtums Nassau entsprach, besteht aus einem Regierungskommissar, der den Vorsitz führt (zur Zeit Herr Regierungsrat Cäsar), dem Bezirksrabbiner Dr. Silberstein – Wiesbaden und dem ersten Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden (Simon Heß), sowie je einem gewählten Vertreter der drei Rabbinatsbezirke, in die Kultusgemeinden des früheren Herzogtums Nassau geteilt sind (zur Zeit Kirchberger – Weilburg für den Rabbinatsbezirk Weilburg, Meyer - Dietz für den Bezirk Ems und Strauß – Höchst für den Rabbinatsbezirk Wiesbaden). Als Schriftführer fungierte Regierungssekretär a. D. Driesch. Nachdem die Rechnung des vorigen Jahres 1889/90 geprüft und richtig befunden, auch einem neu aufgezogenen Bezirksrabbiner aus den Mitteln des Zentralkultusfonds eine Entschädigung für Umzugskosten gewährt war, beauftragte der Vorsitzende namens der Regierung die Erhöhung der Gehälter der Bezirksrabbiner, die er einerseits durch den gesunkenen Geldwert und die damit verbundene Verteuerung der Lebensbedürfnisse, andererseits durch den Hinweis auf die häufigen Vakanzen der Bezirksrabbinate begründet. Es liege aber nicht nur im Interesse der Gemeinden, sondern an der Regierung, dass die Bezirksrabbiner lange auf ihren Stellen bleiben, um so größere Vertrautheit mit den Gemeinden und insbesondere mit den Schulen zu erlangen. Hier bedürfe es aber einer angemessenen Dotierung der Stellen. - Die Gehälter erfuhren denn auch eine, freilich bescheidene Erhöhung, die aber doch eine Erhöhung der Umlage – von vier auf fünf Prozent der Staatssteuer – erforderlich macht. Der Beitrag der größten Gemeinde des Bezirks, auf die die Hälfte der Umlage für den Zentralkultusfonds fällt, erhöht sich hierdurch etwa von 2.000 Mark auf ca. 2.600 Mark. Der Jahresbedarf des Zentralkulturfonds beziffert sich auf 5.200 Mark.
Anmerkungen: - Freiherr von Wurmb: https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_von_Wurmb   https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/rsrec/sn/bio/register/person/entry/wurmb%252C%2Bguenther%2Bkarl%2Blothar%252A%2Bvon
- Rabbiner Dr. Silberstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein             

   
Karte aus Wiesbaden - Gruß aus dem Ratskeller (1906)    

Quelle: aus der Sammlung von 
Peter Karl Müller, Kirchheim / Ries  
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Die Karte mit dem Gruß aus dem Ratskeller Wiesbaden ist das Zeugnis einer Einladung zu einem die Religionsgrenzen überwindenden gemeinsamen Umtrunk im "Ratskeller zu Wiesbaden" mit dem Text: "Ob Heide, Jud oder Christ. Herein was durstig ist". Die Karte wurde am 13. April 1904 von Wiesbaden nach Hamburg St. Pauli an den Bildhauer A. Schienemanns geschrieben. Die Zeichnung stammt vom Wiesbadener Maler Kaspar Kögler, der den Ratskeller in Wiesbaden mit launigen Gemälden versehen hat. In der NS-Zeit wurde die Malereien - obwohl unter Denkmalschutz stehend - übertüncht (Informationen aus dem Wikipedia-Artikel "Neues Rathaus (Wiesbaden)"    

  
Bericht eines Kurgastes aus Wiesbaden (1925)         

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. September 1925: "Kleines Feuilleton. Wiesbadener Brief
Wer seit einigen Jahrzehnten Gelegenheit nahm, Sommers oder Winters einige Zeit in dem herrlich gelegenen Wiesbaden zuzubringen, der konnte erleben, dass mit der Erholung und Auffrischung des Körpers nicht immer eine Abstumpfung des Geistes Hand in Hand gehen müsse; dass man sich nur dort erholen könne, wo man von Schabbat zu Schabbat kein Minjon habe, wo man aller geistigen Anregung durch Schiurim (Lehrstunden) und dergleichen ledig sei, dass vielmehr nach der zwiefachen Natur des Menschen auch die neschamah (Seele) ihrem Recht kommen müsse, wenn die körperliche Erholung gelingen soll. So war denn vor 55 Jahren unter den Auspizien des großen Rabbiners Hirsch - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – von dem ehrwürdigen Rabbiner Dr. Kahn - sein Licht leuchte – mit einigen begeisterten Gesinnungsgenossen gegründete kehilah ein Sammelpunkt, die die gottbegnadeten landschaftlichen Schönheiten, verbunden mit heilkräftigen Wirkungen innerhalb eines echt jüdischen Milieus auf einige Zeit der Muße – wer es sich leisten konnte, das ganze Jahr -, genießen wollten.
Wesentlich zurück ging dies mit dem alles durcheinander wühlenden unseligen Krieg, der besonders die Zufuhr vom Osten abschnitt, und ein böses Verhängnis wollte es, dass der Ort mit mit Kriegsende in das 'besetzte Gebiet' fiel, eine Bezeichnung, die für viele – teils mit Unrecht – einen so schreckhaften Beigeschmack hat – für manche bedeutet es bald so viel als Kriegsschauplatz, besonders für die, welche so glücklich waren, letzteren nicht gesehen zu haben.
Wir vermuten sogar, dass diese mehr oder weniger suggerierte Furcht bei unseren Glaubensgenossen besonders stark besteht - Gottlob ist sie von unseren Gegnern, den Anstiftern der berühmten Judenzählung noch nicht entdeckt worden – denn sonst wäre es unerklärlich, dass bei der wöchentlichen um 2.000 – 4.000 Fremdenzahl – bis heute seit Januar ca. 80.000 – in unseren Kreisen immer noch die Anschauung oft gehört wird, als wäre das besetzte Gebiet als Kurort für uns fast indiskutabel. Es möchte uns fast scheinen, und von mancher eingeweihten Seite wird es uns bestätigt, dass es hauptsächlich die Konkurrenz im unbesetzten Gebiet ist, die beim Publikum die Angst vor unserem Gegner nährt. Es ist nachgewiesen, dass seit Jahren niemand von der Besatzung irgendwie belästigt wurde. Und wenn man in manchen Gegenden unseres Reiches – besonders im Süden – über Rischus zu klagen hatte, so ist es hier an unserem Platze eher besser als schlimmer im Verhältnis zu anderen Orten. Bleibt nur die eine Schwierigkeit mit dem Paß 1) loorchim (für die Gäste), an das so mancher etwa im allsabbatlichen mi scheberach denkt, die auch heute bis zu einem Personalausweis erleichtert, und sofern dieser in Ordnung, gar keinen Grund zur Nervosität bietet, empfehlen ja schon unsere Chachomim seligen Andenkenspat besalo 2) zu haben. Es scheint überhaupt keine Besatzung, die frelich keine angenehme Beigabe ist, von außen her in den schwärzesten Farben gemalt worden zu sein und die hier und da auftauchenden sind wahrlich 
1) wörtlich Brot, bekannte Stelle in mi scheberach des Schabbos (Sabbat)
2) ursprünglich Brot in der Tasche, das schon teilweise den Hunger stillt.
         
Wiesbaden Israelit 10091925a.jpg (132036 Byte)nicht imstande, den herrlich gelegenen Kurort mit seiner romantischen Schönheit zu beeinträchtigen. Ein besonderer Vorzug Wiesbadens ist es, dass die Saison durch das warme Klima länger als irgendwo, und wenn die Witterung anderswo stark 'klichezt', kann man immer noch hier einen schönen Strohsommer mitmachen, selbst der Herbstwind scheint durch den rosch haschana - Schaufor (Schofar) hier nicht so stark zu blasen, und wer selbst in der bedauernswerten Lage ist, wegen seines Leidens, 'auf Dreien' gehen zu müssen, kann den dritten R'GL 3) nirgends angenehmer verbringen als hier, umso mehr als ja für geistige Anregung reichlich gesorgt ist. Lernen kann man vor und nach dem Kochbrunnen, aus dem a sch r ch morgens und abends nach Schul, an größeren Schiurim fehlt es auch nicht unter allerhand und ohne Flaggen: Agudoh – neutral und – selbst Misrachi. Am sch b/w/v ch kann man sich an Droschaus und Schiurim aus dem Munde des alten und jungen Raw erbauen – und die sich morgens – wie überall – langsam füllende Schul zeigt wohl, dass sie sich auch im besetzten Gebiet sehr ruhig schlafen lässt, und wenn wir auch nirgends noch den vollen Schalom baArez (Frieden im Lande) haben, hebräisch und deutsch: 'Ihr werdet ruhen, ohne, dass Euch jemand stört', 3. Buch Mose 26, 6) ist eine Brochoh, die wir auch hier - G'tt sei Dank - genießen. Also nicht große Angst vor der besetzten Zone, wer seiner Gesundheit oder Überanstrengung zuliebe das einzigartige Taunusbad aufsuchen will, lasse sich nicht von Ängstlichen und Angstmachern abschrecken und verhelfe ihm wieder zu seinem alten, wohlverdienten Ruf; er wird körperlich und seelisch gestärkt wieder heimkehren."  
3) Sukkausfest
Anmerkungen: - Minjon: https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan
 Kehilah: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
- Rischus: Risches (Jiddisch für 'Antisemitimus'  https://dewiki.de/Lexikon/Liste_deutscher_W%C3%B6rter_aus_dem_Hebräischen_und_Jiddischen
- Elul: https://de.wikipedia.org/wiki/Elul
- Rosch Haschana:https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
- Schiurim: Plural von Schiur https://de.wikipedia.org/wiki/Schi'ur
- Kochbrunnen: https://de.wikipedia.org/wiki/Kochbrunnen   https://www.wiesbaden.de/tourismus/sehenswertes/virtuellerundgaenge/panorama/kochbrunnen.php
- Misrachi: .https://de.wikipedia.org/wiki/Misrachi
- Brochoh: https://de.wikipedia.org/wiki/Bracha    

      

      

      

      

     
     
     
       

 

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Stand: 30. Juni 2020