Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Weitere Textseiten zur jüdischen Geschichte in Worms  
Texte aus dem 19./20. Jahrhundert zur mittelalterlichen und neuzeitlichen jüdischen Geschichte in Worms 
Texte zu den Rabbinern und Lehrern der jüdischen Gemeinde vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert  
-  Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben im 19./20. Jahrhundert  (diese Seite)  
Berichte zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde im 19./20. Jahrhundert  
Zum alten jüdischen Friedhof in Worms ("Heiliger Sand")  
Zum neuen jüdischen Friedhof in Worms-Hochheim     
 
              

Worms (kreisfreie Stadt, Rheinland-Pfalz)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert  
 
Hier: Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben im 19./20. Jahrhundert  

Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Worms wurden in jüdischen Periodika gefunden. 
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.   
 
Hinweis: Die Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber (Mannheim) abgeschrieben
     
    
 
Übersicht:

bulletBerichte aus dem jüdischen Gemeindeleben 
Publikation über den Napoleonischen Erlass von 1808 wegen den Vor- und Zunamen der Juden und seine Ausführung in Worms (1915)   
-  Die jüdischen Einwohner des Kreises Worms werden den fünf Hauptgemeinden Worms, Monsheim, Westhofen, Mettenheim und Osthofen zugeteilt (1840)  
-  Grundsatzpapier zu Reformen in der jüdischen Gemeinde (1848)  
-  Veränderungen in der Gemeinde durch das neue Wahlrecht (1849)  
-  Jüdische Gemeindeglieder in mehreren Behörden und weitere Mitteilungen aus der Gemeinde (1852)  
-  Über die Gemeindeverhältnisse in der Zeit von Prediger Dr. Louis Levysohn (1852)  
-  Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1853)  
-  Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1853 II)  
-  Bericht zu Besuchen in Worms (1856)  
-  Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1857)  
-  Klage über den "Indifferentismus" in der Gemeinde (1860)   
-  Weiteres Wachstum der orthodoxen israelitischen Religionsgesellschaft (1871)  
Antisemitische Umtriebe in Worms (1890)   
-  Jüdische Einwohner werden von antisemitisch gesinnten Korpsstudenten angegriffen und verletzt (1891)  
-  Zwei religiöse Traditionen (Minhagim) sind "dem Zeitgeist zum Opfer gefallen" (1891)  
-  Ein erster Jugendgottesdienst fand statt (1891)   
-  Richtigstellung zur Meldung von der Abschaffung zweier religiöser Traditionen (Minhagim, 1891)  
-  Auffindung von Dokumenten des Gemeindearchivs aus dem 17./18. Jahrhundert (1891) 
-  Ein Komitee bemüht sich um die Unterstützung der Juden in Russland (1891)  
-  Anfrage des Bataillons-Kommandos an das Rabbinat (1892)  
-  Wiedereinweihung der Synagoge im israelitischen Hospital (1896)  
Der Landtagsabgeordnete Fabrikant Reinhardt sucht den Antisemitismus zu bekämpfen (1901)  
-  Jüdische Beteiligung beim Hessisch-Pfälzischen Musikfest (1901) 
-  Über den Besuch einer gelehrten Frau in Worms (1902)  
-  Ergebnis der Vorstandswahlen der Gemeinde (1908)  
-  "Rheinlandfeier" der jüdischen Frontsoldaten (1925)  
bulletBerichte aus dem jüdischen Vereinsleben      
-  Gründung eines Talmud-Tora-Vereins unter Rabbiner J. Bamberger (1849)  
-  Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins (1868)  
-  25-jähriges Stiftungsfest des israelitischen Unterstützungsvereins (1886)  
-  Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1886) 
-  Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1887) 
-  Festessen des Wohltätigkeits- und des Minjan-Vereins (1891)  
-  Über die Arbeit des Wohltätigkeitsvereins "Achawa" (= Liebe) (1894)  
-  Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1900)  
-  Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins (1901)  
42. Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins (1903) 
Vermächtnis für wohltätige Zwecke der jüdischen Gemeinde - Spende der Narhalla-Gesellschaft für den israelitischen Unterstützungsverein und des Turnvereins für das israelitische Hospital (1903)   
50. Stiftungsfest des Israelitischen Unterstützungsvereins (1911)  
Über den Israelitischen Unterstützungsverein im Jubiläumsjahr (1911)  
G
eschäftsbericht des israelitischen Unterstützungsvereins (1914)     

   
   
   
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben     
Publikation über den Napoleonischen Erlass von 1808 wegen den Vor- und Zunamen der Juden und seine Ausführung in Worms (1915)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. Februar 1915: "Der Napoleonische Erlass von 1808 wegen der Vor- und Zunamen der Juden und seine Ausführung in Worms. Von Max Levy, Worms 1914. Buchdruckerei Eugen Kranzbühler (Gebr. Enyrim) Worms
Eine interessante Studie, die etwas mehr enthält, als der ausführliche Titel besagt, denn es werden auch Angaben über Alter und Beschäftigung der damaligen Wormser Juden gemacht. In Beziehung auf das erstere ist zu bemerken, dass das älteste männliche Mitglied der Wormser Gemeinde 85, das älteste weibliche 84 Jahre alt war. In Bezug auf das Letztere sei hervorgehoben, dass die meisten Mitglieder dem Handelsstande angehörten, und dass es nur wenige Handwerker, 5 Metzger und etwa ebenso viele Vertreter anderer Gewerbe gab. Was nun der Hauptinhalt der Schrift anbetrifft, so erließ Napoleon am 20. Juli 1808 ein Edikt des Inhalts, dass die Juden Vor- und Familiennamen annehmen müssten. Dieses Gebot traf die Wormser Juden nur in geringem Grade. Denn während in vielen Teilen Deutschlands die Juden sich mit Vornamen biblischer Herkunft begnügten und an diese die Vatersnamen fügten, führten die Wormser Juden neben ihren biblischen Vornamen, solche Namen, die Herkunft und Beschäftigung andeuteten. Sie behielten also auch nach dem Edikt diese Namen bei, nur einige benutzten die Vergünstigung, indem sie Josua in Jean, Amschel Löb in August Ludwig, Manasse in Marc, Liebmann in Leonhard verwandelten. Die Frauen machten in größerem Umfang von dem Rechte Gebrauch, ihre Vornamen zu ändern und so schwanden viele alte Namen, die sich auf althebräische Bibelnamen zurückführen ließen oder romanischen oder altdeutschen Ursprungs waren. Die Trägerinnen der Namen Fraedge, Gütel, Jendle, Kehle, Memmel, Prendel, um nur einige zu nennen, tauschten diese in schöner klingende französische: Francoise Antoinette, Julie, Catherine, Marthe, Jeanne um. L. G."
Hinweis auf die Liste: https://www.a-h-b.de/de/projekte/familienforschung/name-adoption-lists/worms               

 
Die jüdischen Einwohner des Kreises Worms werden den fünf Hauptgemeinden Worms, Monsheim, Westhofen, Mettenheim und Osthofen zugeteilt (1840)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Juni 1840: "Worms, 12. Mai. (Frankfurter Journal). Für die Reorganisation der israelitischen Religionsgemeinde des Kreises Worms ist ein bedeutender Schritt geschehen, und zwar in Folge der tätigen Bemühungen des großherzoglichen Kreisrates Herrn Städel*, welcher auf seinen höchsten Ortes erstatteten Vortrag zum ferneren Handeln in dieser Sache ermächtigt wurde. Aus seinem desfälligen unterm 1. Mai erlassenen Ausschreiben ersieht man zur Genüge, dass die große Mehrzahl der israelitischen Religionsgemeinden als solche sich in einem wenig erfreulichen Zustande befinden. Die Zahl dieser Gemeinden war, im Verhältnis zu der Menge ihrer Mitglieder und der Größe ihrer Mittel, viel zu groß, als dass die meisten unter ihnen eine den Bedürfnissen des religiösen Kultus entsprechende Einrichtung hätten erhalten können. Es fehlte daher meist an Synagogen, hinreichend dotierten Religionslehrerstellen und anderen unentbehrlichen Hilfsmitteln. Nur durch die Vergrößerung der Gemeinden und die Konzentration ihrer finanziellen Mittel konnte diesem immer fühlbarer werdenden Übelstande abgeholfen werden. Hiernach sind nun sämtliche israelitische Bewohner des Kreises Worms zu den fünf Hauptgemeinden Worms, Monsheim, Westhofen, Mettenheim und Osthofen vereinigt worden. Der in Worms angestellte Rabbine wird zur Hälfte aber von den Landgemeinden besoldet. Eine jede der fünf Gemeinden hat aus ihren Mitteln einen tüchtigen Religionslehrer zu besolden. Auch soll an jedem Hauptorte eine geräumige Synagoge gebaut werden.
*Anmerkung: mit dem Kreisrat Städel ist Gustav Eduard Städe gemeint.           

     
 Grundsatzpapier zu Reformen in der jüdischen Gemeinde (1848)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Juli 1848: "Worms, im Juli (Privatmitteilung). In dem mutsfrischen, lebendigen Südwestdeutschland scheint man die Bewegung der Zeit schneller auf das Gebiet der Religion verpflanzen zu wollen. Zeugnis dessen gibt Ihnen der, von Ihnen mitgeteilte Ausruf des 'badischen Landesvereins' (No. 27). Als ein weiteres Zeugnis übersende ich Ihnen heute folgenden Aufruf nebst Programm eines hiesigen Komitees. Es lautet:
'An unsere deutschen Glaubensbrüder.
Unsre Religion, die reine und erhaben, die uns unversehrt durch die Fluten der Weltgeschichte hindurchtrug, uns Licht gewährte in den Zeiten der tiefsten Finsternis, uns mit Kraft ausrüstete, allen Gefahren zu trotzen, und Trost spendete in den traurigsten Lagen, wurde durch den harten Druck, der Jahrtausende lang auf uns lastete, zu einem Konglomerat äußerlicher Vorschriften, die ganz des lebendigen Gedankens entbehren, maschinenmäßig ausgeübt werden, daher statt zu erheben, niederdrücken.
Mit der freiern Entwicklung des Geistes, die am Ende des vorigen Jahrhunderts in Folge der Verbesserung unsrer politischen und sozialen Stellung eintrat, fiel auch alsbald ein Lichtstrahl in diesen dichten Nebel und Einzelne begannen zu erkennen, wie sehr man sich bisher verfehlte, indem man das heilige Wesen der Religion schwinden ließ und tote Formen an dessen Stelle setzte zur Verehrung des lebendigen Gottes. Die Anzahl derer, die sich von den äußerlichen Formen lossagten, wuchs an, ohne, dass dadurch wahre Religiosität gefördert worden wäre, da dem wahren Geiste keine Altäre gebaut, der Innerlichkeit keine entsprechende Institutionen geschaffen wurden. Gar arg sah es da auf dem Gebiete des Judentums aus. Der Indifferentismus, der Krebsschaden alles Lebens und Strebens, griff auf höchst bedauerliche Weise um sich, und der Abfall entriss uns eine Anzahl unserer talentvollsten Geister.
Durch das Auftreten gesinnungstüchtiger und tatkräftiger Rabbinen ward es einigermaßen besser. Ihr begeisterter Ruf weckte einen großen Teil aus dem lethargischen Schlafe, und das lebendige Wort, dass sie lebendig verkündeten, brachte Wärme und Begeisterung in die erkalteten Herzen. Wo sie wirken konnten und wirkten, ward es den Gemeinden klar, dass noch ein großes und ruhmvolles Ziel vor uns liege, das wir an unserm Glauben, so er im Geiste der Gegenwart wieder aufersteht, einen Schatz besitzen, den wir um keinen Preis hingeben dürfen. Die Gemeinden fingen an, Religionsschulen zu stiften, den Gottesdienst umzugestalten, selbst Versuche zu einer durchgreifenden Reform zu machen. Doch der Schlendrian, dem alle Zustände preisgegeben waren, ließ es auch hier zu keiner energischen Tat kommen. Die Zurücksetzung, mit der eine hohle Politik im Namen des romantischen christlichen Staates die Bekenner des Einig-Einzigen brandmarkte, lähmte den freien Mut. Um allen etwas zu geben, gab man niemandem etwas Ganzes, wahrhaft Befriedigendes und Erhebendes. Was geschah, war nicht eine Vermittelung der Gegensätze, eine Versöhnung zwischen Vergangenheit und Zukunft, man setzte viel mehr dem alten Gewande einen modernen Flicken auf, sodass es weder von Anhängern des Herkömmlichen, den Zeremoniellen, noch denen, welche der Fortbildung im Geiste huldigen, den Ideellen zusagen konnte. Im Gottesdienste wurden zu den veralteten, dem Inhalte wie der Sprache nach in uns erstorbenen Gebeten, solche, die aus dem neuerwachten Leben hervorgegangen, hinzugefügt, der vermoderten Leiche die Arme eines Lebendigen eingesetzt. In der Religionsschule herrschte die Knechtschaft statt der Freiheit, da der Religionslehrer beiden Klassen in der Gemeinde verantwortlich war, zweien Herren zumal dienen musste, da er nirgends als freier Mann sprechen, nirgends den Springquell seines Herzens ganz erschließen durfte. In den Institutionen der Gemeinde ward Gegenwärtiges neben Verjährtes hingestellt, es fehlte die Gestaltung, in welcher der ganze Geist des Judentums befriedigt worden wäre, er sich ganz dargestellt hätte – überall nur Stück- und Flickwerk.
Es trat ein Zustand ein, um Vieles noch unerquicklicher, denn der frühere. Der Parteikampf erwachte in den Gemeinden um das Kleinste und Unbedeutendste, der nicht mehr mit Wärme und Begeisterung, wie sonst, wo es ein hohes Ziel zu erringen gilt, sondern mit der Wut der Leidenschaft geführt wurde. Es handelte sich um einen Lappen mehr oder weniger und gekämpft ward mit einer Heftigkeit und Erbitterung, die nur schaden, nichts nutzen konnte. Wie hätte es auch anders sein können in einer gereizten Zeit, wo jede Kraftäußerung Demagogie war, und jeder Frische mit Misstrauen begegnet wurde? Da brachen die Ereignisse der jüngsten Monate welterschütternd herein, die ganze ungeteilte Freiheit in allen Richtungen der Gesellschaft ward in ganz Deutschland, ja fast in ganz Europa das heilige Losungswort. Der freie Geist feiert seinen Sieg über alles ihm Widersprechendes und Widerstrebende, er schleuderte die Zwangsjacke weit weg, in welcher Vorurteil und Bevormundung ihn solange geschnürt hielten. Die Macht der falschen Autorität, welche bis jetzt auch das           
Worms AZJ 17071848b.jpg (367229 Byte)Ungerechteste rechtfertigen musste, ist gebrochen; es gelten fortan nur, was in sich selbst keine Berechtigung trägt, sich durch sich selbst rechtfertigt. Der Lüge helfen fortan die Jahre ihres Bestehens nicht mehr, die Zeit hat es endlich begriffen, dass die junge Wahrheit allein die Ehre des Alters für sich hat, da sie vom Anbeginne her ist. Der Stab ist gebrochen über dem leeren Formalismus, der an unserm besten Marke zehrte und jeder lebenskräftigen Entwickelung hemmen in den Weg trat, die lebendig gewordene Zeit will das Tote begraben wissen, damit alles Leben atme. Der Lebensbaum der Geschichte hat seine welken Blätter abgeschüttelt, damit ungehindert die neue Blüte sich ansetze. Im Sturme kündet sich der neue Frühling der Völker an, und alle Herzen, die nicht zu hoffen verlernt haben, jubeln ihm entgegen; wer im starren Winter die Kraft nicht einbüßt, rüstet sich, ihn würdig zu empfangen.
Sollen wir, die wir alljährlich seit undenklicher Zeit das Fest der Freiheit feiern, allein untätig bleiben, die wir für die Wahrheit zuerst auf den Kampfplatz der Weltgeschichte traten, sollen wir stumpfsinnig die Hände in den Schoß legen, während die Wahrheit ihre glorreiches Banner aufrollt? Wir haben der Knechtschaft Widerstand geleistet, wie keine andere Gemeinschaft, wir haben darum auch besonders das Recht und die Pflicht unsre volle Tätigkeit zu entwickeln, wenn wir mit der Errungenschaft der Gegenwart auch auf unserm religiösen Gebiete Ernst machen, wenn wir mit unserm Judentum als organisches Glied wieder in die Geschichte eintreten, als wahrhafte Juden im Reiche der Freiheit eine tatkräftige Stellung uns erringen wollen.
Wir müssen Wahrheit und Würde im Gottesdienst, Übereinstimmung zwischen Glauben und Leben erstreben, leere Formen entfernen, dem Geiste des Judentums neue Institutionen schaffen. Wir dürfen nicht mehr mit dem Munde um die Rückkehr nach Palästina, um die Wiedereinführung des blutigen Opferdienstes beten, während unser Herz doch mit allen seinen Fibern, mit den stärksten Banden an das deutsche Vaterland gekettet ist, während das Geschick desselben mit dem unsern unauflöslich verbunden, was uns lieb und teuer von ihm umschlossen ist, während blutige Opfer unserm durch unsre eigene Geschichte geläuterten Gefühle ein Greuel ist. Wir dürfen nicht um die Zerstörung des Tempels gedenken, aber wozu eine Trauer heucheln, die längst nicht mehr im Herzen haftet, und Klagelieder um eine geschichtliche Tatsache ertönen lassen, in der wir die liebevolle Hand Gottes preisen? Wir dürfen unsere Kleinen in der Religionsschule nicht mehr mit einer Masse von Satzungen behelligen lasse, in der die sie von den Eltern bei Seite gesetzt sehen, die der lebendige Geist des Judentums als toten Ballast über Bord wirft, nicht mehr in einer toten Sprache beten, während Wort und Klang unserer deutschen Muttersprache uns ebenso verständlich als lieblich und darum allein geeignet sind, uns zu unserm Schöpfer zu erheben. Wir dürfen nicht mehr zu Hause gewisse religiöse Einrichtungen und Satzungen, weil herkömmlich, als bedeutungsvoll beibehalten, die wir draußen, als jeder Bedeutung für uns entbehrend, längst beiseite gesetzt haben. Wohin soll dieser Widerspruch zwischen Glaubenserfahrung und Leben führen? Versündigung an der Wahrheit hat auf dem Gebiete der Politik jüngst verheerende Stürme heraufbeschworen; kann sie auf dem Boden der Religion, deren Mark und Wesen doch nur die Wahrheit ist, minder gefährlich sein? - Es muss endlich dieser Widerspruch gelöst, diese Todsünde der Unwahrheit und Heuchelei aus unserer Mitte verbannt werden. Dem echten Geiste unsers Glaubens muss ein neuer Tempel auf der alten Grundfeste erbaut werden, in welchem wieder ein jugendlich frischer und freier Lebenshauch für unsre strebsame Jugend ausgeht. Es muss das Starre im Judentum flüssig, die spröde Satzung im Feuer des Lebens geläutert, der abgestandene Stoff wieder durch das geschichtliche Ferment in Gärung gebracht, der ganze Glaubensinhalt wieder vom Geiste ergriffen, durchgeistigt werden. Es wird dies von allen Gesinnungsvollen längst gefühlt, und wenn wir es unternehmen, diesen Gefühlen Ausdruck zu geben, so geschieht dies nicht aus Überschätzung unserer schwachen Kräfte, sondern weil kein anderer jetzt, wo uns der rechte Augenblick gekommen scheint, das Wort ergriffen hat.
So erlauben wir uns denn, von diesen Gesinnungen und Bestrebungen geleitet, als von den hiesigen    
Worms AZJ 17071848c.jpg (342099 Byte)  "Reformfreunden gewähltes Komitee, Euch beigefügtes, von denselben zu dem ihrigen gemachtes Programm zu überwachen, in welchem die Grundzüge unseres Glaubensbekenntnisses niedergelegt sind. Prüft es reiflich und legt Eure, wenn auch abweichenden Ansichten dazu nieder, wenn Ihr es nicht vorziehen solltet, durch ein Ähnliches eurer religiösen Überzeugung einen entsprechenden Ausdruck zu geben. In wenigen Tagen kann dies geschehen sein. - Dann wollen wir uns bis zum 23. Juli zu einer Beratung hier versammeln, zu welcher wir Euch oder Eure Abgeordneten hiermit mit der Bitte, uns zuvor die Zahl der Teilnehmer anzuzeigen, herzlich einladen. Unsere durch geschichtliche Erinnerungen berühmte Stadt dürfte sich hierzu besonders eignen. Sie ward einst die Mutter der Gemeinden Israels genannt: Wir hoffen, dass durch unsre Versammlung von ihr wieder ein neuer kräftiger und belehrender Geist für die Synagoge Deutschlands ausgehen wird, so wie wir uns des ernsten Willens, des aufrichtigen Strebens und der Reinheit unserer Absichten bewusst sind. - Genehmigt unsern glaubensbrüderlichen Gruß.'

Worms 23. Juni 1848
Das Komitee der jüd. Reformfreunde zu Worms
M. Edinger, Jakob Fulda, Felix Gernsheim, C. M. Goldschmidt, F. Langenbach, Emanuel Marx

Hieran reiht sich Folgendes: 'Programm der Reform in der jüdischen Religionsgemeinde zu Worms.

1) Wir begrüßen die in unserm Vaterlande errungene, vollständige Gewissensfreiheit als den glänzendsten Sieg wahrhafter Religiosität, da die Religion in der göttlichen Freiheit des Menschen ihren Ausgangspunkt hat und nur in freier Aneignung und Entwickelung wahrhaft gedeihen kann.

2) Von dieser Gewissensfreiheit den vollen Gebrauch zu machen, halten wir daher vollständige Gewissensfreiheit auch auf dem Gebiete des Judentums und weisen darum jede Bevormundung nicht nur von außen, sondern auch von innen entschieden zurück. Um die Gewissensfreiheit unter uns zur Wahrheit zu machen, wollen wir unsrer religiösen Überzeugung auch einen entsprechenden Ausdruck schaffen, wollen wir dahin arbeiten, dass sich unser häusliches Leben gemäß derselben gestalte, dass sie sich in unserm Kultus darstelle, dass unsere Kinder in ihr offen und entschieden ohne Rückhalt und Schwanken belehrt und erzogen werden.

4) Wir bedauern, dass unsre übrigen Glaubensbrüder noch nicht zu diesem freien Standpunkt, der vom Judentum gefordert wird und den die Gegenwart in allen Richtungen anstrebt, gelangt sind, dass sie durch die Schuld einer unerquicklichen Vergangenheit hinter der Anforderung unsrer Religion wie unsrer Zeit zurückstehen, leben aber in der festen Zuversicht, dass die Zukunft sie sämtlich auf ihn hinführt.

5) Unsre Absicht ist daher nicht ein Schisma in der Judenheit hervorzurufen, wir erkennen vielmehr,vor wie nach, in allen Angehörigen derselben nicht nur unserer Brüder – als solche erkennen wir alle Menschen, nach dem Ausspruche des Propheten: Haben wir nicht alle einen Vater, hat nicht ein Gott uns geschaffen - sondern auch unsere Glaubensbrüder. Wir wissen uns in Einheit mit ihnen durch eine gemeinschaftliche freuden- und leidenvolle Geschichte, durch den geistigen Gehalt unsers Glaubens und Kultus, durch die heilige Schrift, mit der auch uns der geschichtlich entwickelte Geist des Judentums (die Tradition) verbindet, aus der auch wir die Lehren des Glaubens schöpfen, die auch uns zur Richtschnur für unsern religiösen und sittlichen Lebenswandel dient, durch die gemeinschaftliche Hoffnung auf ein glorreiches Ziel der Geschichte, das einst allen Menschen den Frieden bringt, alle in Liebe vereinigt zum Wandel im göttlichen Lichte.

6) Wir wollen nur eine besondere Gemeinde bilden, weil viele bis jetzt bestehenden Gemeindeinstitutionen keinen Ausdruck unsrer religiösen Überzeugung bilden, eine Menge von noch geltenden Zeremonien unser religiöses Bedürfnis nicht befriedigt und sonst noch manche als religiöse überlieferten, noch nicht durch eine offene Erklärung abrogierten Vorschriften in schneidendem Widerspruche mit unser religiösen Gesinnung stehen. Sich aber äußerlich zu einer Gemeinde bekennen, deren Institutionen, Zeremonien und Vorschriften zum großen Teile dem Innern widerstrebten, darin sehen wir eine Lüge, die der wahre Geist des Judentums, das auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit gegründet ist, zu allen Zeiten von sich wies, und welcher für uns und unsere Angehörigen eine Ende zu machen, wir für unsre erste Pflicht halten.

7)Wir wollen eine besondere Gemeinde bilden,    
Worms AZJ 17071848d.jpg (322756 Byte)weil es uns in dem bisherigen Gemeindeverbande nicht gegönnt ist, unserer religiösen Gesinnung, die das geschichtlich entwickelte Judentum in uns bildete, im Kultus Gestalt und Leben zu verschaffen und dieselbe somit als eine lebendige, kräftigende und heiligende unseren Kindern zu vererben; weil wir überhaupt befürchten, dass nach dem bisherigen Verlaufe sowohl das herkömmliche als das im Geiste der Gegenwart entstandene und mit ihm versöhnte Judentum mit dem jetzigen Geschlechte absterbe und nur da eine gesicherte Zukunft für es sehen, wo es dem Parteikampfe entrückt in ungeschmälerte Freiheit seinen lebendigen Inhalt entwickeln und darstellen kann.
8) Die Hauptgrundsätze, die fortan uns leiten sollen, sind:
a) Die jüdische Religion ist als die Wahrheit dem Wechsel der Zeit nicht unterworfen, somit eine unabänderliche, ewige.
b) Die jüdische Religion schuf sich einen Ausdruck im äußeren Leben durch Institutionen, Zeremonien, Satzungen. Diese gehören als äußere Erscheinung der Zeit an, bilden das Gewand, das im Verlaufe der Geschichte geändert werden kann und geändert wurde, ohne dem garstigen Inhalte Eintrag zu tun.
c) Institutionen, Zeremonien und Satzungen haben nur dann eine heiligende Kraft, wenn sie der Ausdruck eines anerkannte religiösen Gedankens oder einer bestimmten religiösen Gesinnung sind und wir uns derselben bei der Ausübung bewusst werden, wenn sie aus dem gotterfüllten Herzen und Geiste kommen und auf Herz und Geist wieder rückwirken. Die Ausübung ist hingegen eine besonders auf dem religiösen Gebiete unwürdige Lüge, wenn unser Inneres durch dieselbe in seine religiöse Stimmung versetzt, ihm keine religiöse Wahrheit zugeführt wird.
d) Handlungen, die der Ausdruck eines Gedankens oder einer Gesinnung sind,, welcher oder welche aber im Widerspruch steht mit unsrer heutigen, durch den ganzen Verlauf der Geschichte bedingten Denk- oder Gesinnungsweise müssen von unserm religiösen Gebiete entfernt werden.
e) Wir gehören vollständig unserm Vaterlande an, es ist für uns an die Stelle von Palästina getreten. Wir haben keine Sehnsucht mehr nach Palästina zurückzukehren und nehmen daher in unsre Liturgie kein Gebet um die Rückkehr in dasselbe auf. Die Sprache Palästinas ist uns eine ehrwürdige, aber tote, die Sprache des Vaterlandes ist unsre Muttersprache, in ihre allein werden wir beten.
f) Der Tempelkultus und der blutige Opferdienst war einst eine entsprechende Form des Gottesdienstes, ist uns aber gänzlich entfremdet. Die Erinnerung an denselben als solche findet daher ebenfalls keinen Raum mehr in unserm Gottesdienste.
g) Alle nur auf Palästina bezüglichen Gebote und Vorschriften haben für uns keine Geltung mehr.
h) Dass alle Menschen Kinder Gottes sind, unter sich also im Verhältnisse von Brüdern stehen, ist eine der Grundlehren des Judentums. Wenn wir daher auch in den überlieferten Vorschriften, die auf eine Absonderung unserer Glaubensgenossen von den Bekennern eines anderen Glaubens abzielten, eine von den damaligen Verhältnissen dringend geforderte Notwehr nicht verkennen: So sehen wir zugleich in der heutigen Beibehaltung derselben eine arge Versündigung an einer der Hauptwahrheiten unsrer Religion und fordern daher mit allem Nachdruck ihre Ausscheidung aus unserm religiösen Gebiete.
i) In den Werken der Liebe, durch welche sich die brüderliche Gesinnung gegen unsere Mitmenschen kundgibt, erkennen wir die wahrhaftige Arbeit am Reiche Gottes, die wahrhafte Betätigung der Frömmigkeit. Die Übung derselben ist daher höchste Religionspflicht, gegen welche jede andere religiöse Kundgebung zurückzustehen hat.
k) Ein Institut oder eine Zeremonie kann durch einen Ausspruch der Gemeinschaft in ihrer Form geändert werden, wenn dadurch der Wahrheit, deren Ausdruck sie sein soll, kein Abbruch geschieht.
l) Auch das weibliche Geschlecht hat mit dem männlichen in religiöser Beziehung, nach jeder Richtung hin, gleiche Berechtigung und gleiche Verpflichtung.
m) Wir verlangen von jedem Vater oder Vormund nach der Geburt eines Kindes, sei es Knabe oder Mädchen, eine öffentliche Kundgebung, deren Form noch näher zu bestimmen ist, dass er das Kind in der Religion des Judentums erziehen wollte.
n) Wir verlangen von dem herangewachsenen     
Worms AZJ 17071848e.jpg (89429 Byte)und der Schule tretenden Knaben oder Mädchen die Ablegung eines Glaubensbekenntnisses, durch welches die Befähigung wie der Wille zum Eintritte in die Gemeinde bezeugt wird.
o) Wir verlangen die religiöse Trauung, als eine Einrichtung, die der bürgerlichen die religiöse Weihe verleiht. Aber wir verlangen auch, dass das Brautpaar gegenseitig das Gelöbnis der Treue und Liebe ablege und dass die Ringe gegenseitig gewechselt werden.
p) In unseren Geistlichen sehen wir die Männer, die nicht den toten Buchstaben uns lehren, sondern das lebendige Bewusstsein der Gemeinde und das durch dieses Bewusstsein belebte Wort aussprechen sollen. Sie haben daher im Geiste des von der Gemeinde ausgestellten Bekenntnisses in der Synagoge wie in der Religionsschule zu lehren.
q) Als die angemessene Gemeindeverfassung der Zukunft erkennen wir diejenige, welche allen Gliedern der Gemeinde Gelegenheit gewähret, sowohl unmittelbar als auch durch Vertreter sich auszusprechen und an der Gestaltung des religiösen Lebens sich zu beteiligen. Wir verlangen daher periodisch wiederkehrende, öffentliche Gemeindeversammlungen und eben solche Synoden.'"   

  
Veränderungen in der Gemeinde durch das neue Wahlrecht (1849)      

Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 7. Dezember 1849: "Worms. Wie mit dem 6. März eine segenbringende Zeit für die deutschen Israeliten im Allgemeinen heranbrach, so war sie für die hiesige jüdische Gemeinde eine besonders segenbringende. War früher die Vorstandswahl eine beschränkte, so kann sich jetzt die ganze Gemeinde daran beteiligen. Schon jetzt genießen wir hier die Früchte davon, denn der frühere Vorstand, der sich ganz der Reform in die Arme warf, ward gestürzt und an dessen Stelle Männer, die fast alle, mit Ausnahme eines einzigen, dem orthodoxen Judentum angehören. Es ist wahr, sie werden manchen Kampf zu bestehen haben, aber ihre Aufgabe ist eine schöne. An diesen Männern ist es gelegen, damit wieder die hiesige Gemeinde, wie einst in alten Zeiten, hinsichtlich ihrer Frömmigkeit hervorrage unter ihren Schwestergemeinden. Möge der Vorstand vor allem seine Blicke der Schuljugend zuwenden und bedenken, wie durch den Unterricht des früheren Religionslehrers, diejenigen Kinder, die seinen Unterricht genossen haben, verdorben wurden, daher es nötig sei, will man einen Religionslehrer berufen, dieses ein Mann sei, von dem man die Überzeugung hat, dass er wahrhaft orthodox sei. - Als Adler* seine Stelle antrat, gab er sich den Schein eines Orthodoxen, wie leicht könnte die Gemeinde zum zweiten Male betrogen werden, sollte es irgendeinem Heuchler gelingen, sich durch niedrige Schmeichelei das Vertrauen des Vorstandes zu gewinnen. - Wir kennen aber die Männer des Vorstandes zu genau, um von ihnen zu glauben, sie würden sich durch Heuchelei täuschen lassen.
*Anmerkung: Es handelt sich um Prediger Dr. Abraham Adler vgl. u.a. Artikel von 1847 (interner Link).            

    
Jüdische Gemeindeglieder in mehreren Behörden und weitere Mitteilungen aus der Gemeinde (1852)     
Hinweis: Dr. Ludwig Levysohn schreibt sich auch "Lewysohn".
 

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Februar 1852: "Worms, 19. Januar (Privatmitteilung). Die hiesige an sich kleine Stadt (sie zählt 8.000 Seelen) zeigt das gewiss interessante Bild, einen Bürgermeister*, zwei Angestellte der Regierungskommission, ein Mitglied des Stadtrats und einen Taxator der städtischen Pfand- und Leihanstalt, sämtlich israelitischer Konfession, in ihrer Mitte zu haben.
Wenn durch solche Erscheinungen in Verbindung mit dem Umstande, dass eine ziemliche Zahl Israeliten sich hier befinden, die durch Kenntnisse, Geschäftsbetrieb und Lebensweise sich auszeichnen, die früher hier wie überall geherrschte Trennung der Israeliten von ihren christlichen Mitbrüdern allmählich verschwindet, so ist dies nur höchst erfreulich. - In der Tat hat unsere hiesige erste Gesellschaft (Kasino*) vor einigen Tagen zum ersten Mal durch Kugelung* einen Israeliten aufgenommen, damit also auch ihrerseits faktisch die Scheidewand zwischen Juden und Christen niedergerissen.
Übrigens muss auch anerkannt werden, dass die hiesigen israelitischen Bewohner für Förderung der Intelligenz nach Möglichkeit besorgt sind und ein Beweis mag darin liegen, dass im hiesigen Gymnasium* – das im Ganzen von circa 480 Schülern besucht ist – 38 Israeliten sich befinden.
Was den Religionsunterricht dieser und der 72 israelitischen Kinder der Stadtschule, ferner jener drei Privatunterrichtsanstalten betrifft, ist dafür in der Person des seit mehr als 4 Monaten angestellten Herrn Dr. Lewysohn* aus Frankfurt/Oder gesorgt, dessen tätiges Streben in dieser Beziehung hier lobend anerkannt werden muss. - Wie als Religionslehrer so auch als Prediger zeigt sich die Wirksamkeit des Herrn Dr. L.(ewysohn)* als eine segensreiche, da er in der letzern Eigenschaft die schroffen Gegensätze, die in der hiesigen Gemeinde in religiöser Beziehung herrschen, mit vielem Takt zu vermitteln und die verschiedenen Parteien zu vereinigen sucht. Die Predigten desselben, welche er monatlich ein Mal in dem hebräischen und zwei Mal in dem heutigen Gottesdienste hält, sind ebenso belehrenden als erbauenden Inhalts, und es ist zu hoffen, dass das Wirken dieses Mannes mit der Zeit die schönsten Früchte tragen werde.
Was den deutschen Gottesdienst anbelangt, so muss ich noch bemerken, dass derselbe in Gebet, Vorlesen aus der Tora und Predigt unter Mitwirkung eines gut eingeübten Chors besteht und vierzehntäglich des Nachmittags abgehalten wird, und wäre zu wünschen, wenn dieser dem Zeit- wie religiösen Bewusstsein entsprechende Gottesdienst überall eingeführt werden würde.
Diesem Bewusstsein entsprechen die hiesigen Vereine, der Männer- und Frauenkrankenverein, der Brennmaterialverteilungsverein und der Verein für die Ausstattung armer Mädchen.
Im Augenblicke wird die Errichtung eines neuen israelitischen Krankenhauses zu erstreben gesucht, wobei namentlich unser konfessionsverwandter Bürgermeister seiner rastlosen Tätigkeit für die gute Sache wegen rühmlich erwähnt werden muss. Ich behalte mir vor, Ihnen demnächst darüber ausführlich Mitteilung zu machen.
Schließlich benachrichtige ich Sie, dass im benachbarten Mainz vor kurzem Herr Dr. Adler, bisher Rabbiner zu Kissingen, zum ersten und der bisherige Prediger und Religionslehrer Dr. Cohn in Mainz, zum zweiten Rabbiner von Mainz von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog ernannt worden sind.
*Anmerkungen: * Bürgermeister Ferdinand Falk Eberstadt https://www.worms-erleben.de/erleben/erleben-und-feiern/kultur/Geschichte/persoenlichkeiten/eberstadt_ferdinand.php und
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Eberstadt  und https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/wussten-sie-es/liste_persoenlichkeiten/1808_ferdinand-eberstadt.php und
https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/eberstadt-falk-ferdinand.html und https://www.lagis-hessen.de/pnd/116329947 und
https://www.wormser-baeder.de/juedisches-museum-wAssets/docs/Boennen_JuedGemeinde_2016.pdf und http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/EN_DE_JU_eberstadt_ferdinand.pdf (englisch)
* Kasino: http://www.kasino-gesellschaft-worms.de/
* Kugelung: https://de.wikipedia.org/wiki/Kugelung
* Gymnasium: https://de.wikipedia.org/wiki/Rudi-Stephan-Gymnasium
* Dr. Lewysohn: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Lewysohn und Artikel von 1859 (interner Link)
          

 
Über die Gemeindeverhältnisse in der Zeit von Prediger Dr. Louis Levysohn (1852)   

Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 30. Juli 1852: "Worms, im Juni 1852. (Eingesandt.) So oft ich mir auch schon vorgenommen habe, die Verhältnisse der hiesigen Gemeinde in diesem Blatte zu besprechen, so stand mir die Wahrheit stets mahnend gegenüber mit dem Rufe (hebräisch): sei nicht vorschnell. Nicht unbekannt ist es, dass auch die hiesige Gemeinde denselben Kampf durchzukämpfen hatte wie so viele andere Gemeinden in Israel, und wie leicht vom Parteigeist bewältigt wären der Feder Worte entkommen, welche nach der einen oder andern Seite hin, einer zündenden Brandrakete gleich Verderben angerichtet hätten. Es war daher das Ratsamste zu schweigen.
Nun aber, da die Gemeindeverhältnisse sich anders gestaltet, da die Arena geschlossen zu sein scheint, (hebräisch) da ist Schweigen Sünde. Seit der Anstellung unseres Predigers Herrn Dr. Louis Lewysohn*)* ist der Friede in die Gemeinde zurückgekehrt; sein kollegialer **) Verkehr mit unserem würdigen Rabbiner, Herrn Bamberger*, ist der Gemeinde ein belehrendes und nachahmenswertes Beispiel geworden, welches mit Zuversicht uns hoffen lässt, dass es deren vereintem Streben gelingen wird, (Hebräisch) zu sein. - Mag die Zeitung des Judentums (gemeint "Allgemeine Zeitung des Judentums", vgl. Artikel oben), in einer ihrer vorletzten Nummern ein ??! (Hebräisch) in empfehlender Erinnerung zu bringen, für rätlich halten; ich aber behaupte, dass derjenige dem es (Hebräisch) zu tun ist, alles aufbieten soll und muss, jeden (Hebräisch) fernzuhalten; denn so weit wir auch in den Annalen der Geschichte zurückblicken, wir finden stets dieselbe Wahrnehmung, die einen halten stets an das überkommene Gesetz, die andern, von der herrschende Idee der Zeit ergriffen, schnitten den Faden der
*) War früher Prediger in Frankfurt an der Oder
**) Obgleich (hebräisch) verfehlte er dennoch nicht, aus der stets frisch sprudelnden Quelle der Gelehrsamkeit unseres Rabbiners (hebräisch) zu schöpfen.
         
Worms DtreueZionsw 30071852a.jpg (173950 Byte)Vergangenheit entzwei, und der Gegenwart allein nur Rechnung zu tragen; - und die Trophäen dieses Kampfes unter dem alten Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen, waren sie andere als Hass und Zwietracht? Andere als Unglaube und Indifferentismus? 
Soll das religiöse Leben geweckt werden, soll die Liebe die Herzen einigen und allesamt unter das alte, aber heilbringende Banner: (hebräisch) wieder zusammenscharen; dann muss das Volk belehrt werden, belehrt in Wahrheit, aber nicht mit dem schneidenden Wort der Polemik, sondern mit dem des Friedens, welche der unzertrennliche Gefährte der Wahrheit und der Wissenschaft ist.
Unser Prediger, Herr Dr. Lewysohn, weiß vorzüglich den Religionsunterricht für die Jugend wahrhaft religiös fruchtbringend zu machen. Mit sanfter Belehrung versöhnt er die Gemüter und bauet somit die Brücke, worauf die Vergangenheit und die Gegenwart sich liebevoll begegnen, ohne vom Strome des Irrglaubens berührt zu werden. Besonders gehaltvoll war auch der gottesdienstliche Vortrag am hohen Geburtstagsfeste Seiner Königlichen Hoheit, unseres geliebten Großherzogs. - Bei voll gedrängter Synagoge von allen Konfessionen entblödte Herr Dr. Levysohn nicht, die Vaterlandsliebe und die Liebe zum Fürsten vom Standpunkte des Talmuds so klar zu erörtern, dass auf vieles Verlangen diese siegende Kraft der Wahrheit, und würden alle die jungen Herren Geistlichen einen ähnlichen Weg einschlagen, würden sie es nicht verschmähen, die Alten um Rat zu fragen (hebräisch) und den Weg der Versöhnung und der Belehrung anbahnen, wahrlich es sähe nicht so traurig aus im Judentume.
Worms. Bei der letzthin abgehaltenen Wahl des Gemeindevorstands sind zwei Juden als Gemeinderäte gewählt und von hoher Regierung auch bestätigt worden. Unserem Bürgermeister Herrn Ferdinand Eberstadt* hier ist es gelungen, durch ein so treffliches Gutachten das Ansinnen der christlichen Hospitalverwaltung, welche ihm das Präsidium daselbst streitig machen wollte, weil er Jude ist und diese Anstalt eine rein christliche wäre, zunichte zu machen. Ist vielmehr von großherzoglicher Regierung bestätigt worden.- Wenn es möglich ist, eine Abschrift dieses großartigen Aktenstückes zu bekommen zu können, werde ich dasselbe des Gesamtjudentums Ihrem schätzbaren Blatte übergeben. -
Anmerkungen: Prediger Dr. Louis Levysohn: vgl. Artikel von 1851 (interner Link)  
Rabbiner Jakob Bamberger vgl. Artikel von 1864 (interner Link)  
Großherzog: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_III._(Hessen-Darmstadt)
Bürgermeister: Ferdinand Falk Eberstadt siehe Links oben beim ersten Artikel von 1852.  

 
Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1853)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Mai 1853: "Worms, 27. April (1853). (Privatmitteilung) Nach den veröffentlichten Programmen der hiesigen öffentlichen Anstalten, besuchen die Kommunal-Stadtschule 72, das Gymnasium 46 Schüler israelitischer Konfession (auf dem letztern befinden sich 37 Schüler katholische und 85 protestantische Schüler, obschon die letztern 2/3, die Katholiken 2/9 und die Israeliten 1/9 der Einwohnerzahl ausmachen). Auf beiden Anstalten erteilt unser Prediger, Herr Dr. Levysohn, zu je 4 Stunden wöchentlich den Religionsunterricht. - Die Unterrichtsanstalt für Mädchen, welche unser früherer Prediger, Herr Adler, gegründet, erfreut sich von jüdischer wie von christlicher Seite der regsten Teilnahme und spricht gewiss für ihre Leistungen der Umstand, dass sie bei ihrem vierjährigen Besuchen, neben der Konkurrenz, zweier bereits früher vorhandenen Mädcheninstituten am hiesigen Orte dennoch an 70 Schülerinnen zählt. - In den letzten Tagen gelangte hierher die Nachricht, dass der früher hierorts und später in New York angestellte Kantor, Herr Grün, nach einer kurzen Krankheit gestorben ist. Herr Grün lebte auch nach seinem Abgange von hier stets in liebevoller Erinnerung der hiesigen Gemeinde, die ihm wegen eifriger Beteiligung an der Gesangsleitung beim deutschen Gottesdienste zu Dank verpflichtet ist. Ein großer Teil der trefflichen Melodien ist von ihm komponiert und haben seine Leistungen ungeteilte Anerkennung stets gefunden: Friede seiner Asche! - Die Auswanderung nach Amerika ist auch in unserm Rheinhessen so groß, dass die zur hiesigen Gemeinde gehörende Filialgemeinde Herrnsheim in Folge der vermindernden Gliederzahl sich aufgelöst hat. - Zum Schlusse sei bemerkt, dass der gegenwärtig in Leipzig sich befindende Eleve des dortigen Konservatoriums, der 13jährige Virtuose, Fritz Gernsheim, von dessen Leistungen jüngst die Straßburger und süddeutschen Blätter so viel Rühmliches berichteten, der Sohn eines hiesigen israelitischen Arztes (Dr. med. Abraham Gernsheim, Anm. S.R.) ist."        
Anmerkungen: Dr. Levysohn: Rabbiner Dr. Levysohn: Artikel auf Seite der Rabbiner und Lehrer in Worms (interner Link)
- zu Lehrer Adler:  Artikel auf Seite der Rabbiner und Lehrer in Worms 
- zu Kantor Grün: Elias Grün https://archive.org/stream/bub_gb_t3c7AQAAMAAJ?ref=ol#page/n53/mode/2up
- zu Fritz Gernsheim (1839 – 1916): https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Gernsheim und https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/persoenlichkeiten/listen/1839_Friedrich-Gernsheim.php und https://www.geni.com/people/Friedrich-Gernsheim/6000000035444950393.   

  
Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1853 II)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Dezember 1853: "Worms, 28. November (Privatmitteilung) In diesen Tagen erhielt das hiesige Komitee zur  Renovierung jüdischer Altertümer einen Brief vom Prager Rabbinat, welcher die erfreuliche Nachricht brachte, dass Herr Oberrabbiner Rappoport und Herr Prediger Dr. Kämpf bei der österreichischen Behörde sammeln zu dürfen, nachsuchen werden. Wie auch der Erfolg sein mag, so fühlt sich jetzt schon gedachtes Komitee gegen jene Herren zum tiefsten Danke verpflichtet. Auch von dem Konsistorium zu Bordeaux traf neben einem Beitrag für die Renovation eine ermunterndes Schreiben ein.- Herr R. Frank (Mitglied des Komitees) ist vom Ministerium zum Stellvertreter bei den Handels- und Friedensgerichten in Worms, Pfeddersheim und Osthofen ernannt worden. - Als Kuriosum erlaubt sich Ref. noch mitzuteilen, dass es in letzter Zeit schon zum zweiten Male vorgekommen, dass die haute volée jüdischer Bettler eine Vorliebe zu christlichen Quartieren besitzt und in solchen das schöne Geschlecht seine Niederkunft zu halten beliebt; die Humanität der Herren Wirte, die hierbei volle Anerkennung verdient, hindert jedoch nicht, dass der hiesigen Gemeinde nicht unbeträchtliche Kosten verursacht haben. Da die Väter der jungen Weltbürger in der Regel inzwischen anderweitig auf Reisen – sich befinden, so werden wir nächsten Donnerstag eine vaterlose Se'uda (gemeinsames Essen zu besonderem Anlass) zu feiern das Glück haben."
Anmerkung: zu Oberrabbiner Rappoport vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Salomo_Juda_Rapoport.       

  
Bericht zu Besuchen in Worms (1856)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24. November 1856: "In Worms ließ mir das schnaubende Dampfross nur so viel Zeit, den fleißigen Mitarbeiter dieser Zeitung, Herrn Prediger Dr. Levysohn, aufzusuchen. Die vielen jüdischen Merkwürdigkeiten dieser Stadt, als die Synagoge, Raschis Stuhl, die Mauernische, den Totenhof usw. habe ich bereits früher unter der Führung des verstorbenen Predigers Herrn Dr. Adler, dessen würdige Gattin einem blühenden Mädcheninstitute vorstand, in Augenschein genommen."
Anmerkungen: zu Prediger Dr. Levysohn vgl. Artikel von 1851 (interner Link)
Rahel Adler, geb. Hochstädter vgl. Artikel von 1859 (interner Link)     
     

   
Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1857)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. Juli 1857: "Worms, im Juni (1857). (Privatmitteilung) In der jüngsten Zeit sind kurz nacheinander zwei weibliche Personen christlichen Glaubens zum Judentum übergetreten, die eine in Pforzheim, die andere in Landau. -
Einer frühern Nachricht von hier folge die Ergänzung, dass die auf dem Schiffe vermissten Gegenstände des Dr. Adler in New York später wieder gefunden wurden. - In einem Manuskript fand ich die Notiz, dass im Jahre 1727 hierorts in der Judengasse 72 Häuser und 119 'Hausgesäß' waren; jedes Haus führte einen Namen, mitunter poetisch-klingende, wie 'zur Freude', 'zum Paradiese' u.a.m. - Im 'Frankfurter Journal' wird mit Recht gegenüber den zersplitterten und unzulänglichen Kräften der einzelnen Länder angeraten, dass Baden, Hessen, die bayerische Pfalz und Frankfurt zur Errichtung eines jüdischen Lehrerseminars sich vereinigen möchten."
Anmerkung: zu Dr. Adler siehe Artikel auf der Seite der Rabbiner und Lehrer in Worms              

 
Klage über den "Indifferentismus" in der Gemeinde (1860)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Juli 1860: "Worms, den 4. Juli. Die hiesige jüdische Gemeinde schläft den tiefen Schlaf des Indifferentismus. Gar manches Beachtenswerte ereignet sich aber: da war keiner, der nachfragte, und keiner der aufsuchte (Hesekiel 34,6). Rabbiner Dr. Sachs aus Duisburg hat sich um die hiesige Predigerstelle beworben, und hat verflossenen Sabbat Paraschat Chukat (Schabbat mit dem Wochenabschnitt Chukat = 4. Mose 19,1-22,1) in der Synagoge gepredigt, um der Gemeinde offen und klar und ohne Rückhalt seine Ansichten vorzulegen. Zum Texte seiner Predigt nahm er die Verse 16, 17 und 18 aus 4. Buch Mose Kap. 37, warum derselbe nicht aus der betreffende Sidra (Wochenabschnitt, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha) genommen ward: (Hebräisch). Seinen ausgesprochenen Überzeugungen nach, dürfte er nun zwar nicht zu den Männern des entscheidenden Fortschritts gehören, aber auch nicht zu denen gezählt werden, die da glauben, dass das Judentum ein abgeschlossenes, fertiges sei. Was darf das Judentum von einem solche Manne erwarten? - Wir können dem Prediger das Zeugnis des guten Vortrages geben. Über das Resultat werde ich zur Zeit berichten. M."
Anmerkung: Bewerber auf die Predigerstelle in Worms war Dr. Simon Sachs (geb. in Glogau): studierte in Berlin und Leipzig (doch unklar, ob er einen Abschluss als Rabbiner hatte), im Jahr 1844 Mitglied der Braunschweiger Synode, später Religionslehrer in Anklam, , bis 1846 in Neustadt bei Pinne; Lehrer in Posen, Gniew (Mewe, Westpreußen), 1859-60 in Duisburg, um 1863 in Berlin, von wo er sich noch auf die Rabbinatsstelle in Bamberg beworben hat. Quelle: http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1535&suchename=Sachs, ergänzt durch Angaben in einem Artikel in "Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte in Literatur" vom 11. Juni 1846 S. 183.   

  
Weiteres Wachstum der orthodoxen israelitischen Religionsgesellschaft (1871)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. September 1871: "Worms, 19. Sept. Die hiesige orthodoxe israelitische Religionsgesellschaft schreitet langsam vorwärts und wird, wenn ihre von Herrn Levy auf die hochherzigste Weise mit einem Kostenaufwande von circa 12.000 fl. erbaute Synagoge erst vollendet sein wird, einen großen Teil der hiesigen Gemeindemitglieder umfassen. An den verflossenen Neujahrstagen hat Herr Ehrmann, ehemals Feldrabbiner der großherzoglichen hessischen Division, welcher gegenwärtig hier sein Jahr zu Ende dient, in der provisorischen Synagoge der genannten Gesellschaft gepredigt und alle seine Zuhörer begeistert. Derselbe ermahnte zu Frieden und Eintracht, wies aber mit beredeten Worten nach, dass man die Wahrheit nicht dem Frieden opfern dürfe und vor allem festhalten müsse zu den gottoffenbarten Gesetzen Israels und den heiligen Institutionen des Judentums."           

    
Antisemitische Umtriebe in Worms (1890)      
Anmerkung: Zu Theodor Fritsch siehe den Wikipedia-Artikel "Theodor Fritsch".    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 18.. Juli 1890: "Worms, 16. Juli (1890). Der 'Frankfurter Zeitung' wird geschrieben: Der Antisemitismus sucht auch hier - voraussichtlich aber ganz und gar vergeblich - Feld für seine Agitationen zu gewinnen. In der letzten Tagen wurden nämlich zahlreiche Familien durch Zusendung (Poststempel Worms) der 'deutsch-sozialen Blätter' nebst einem Flugblatte überrascht respektive belästigt. Widrig und ekelhaft und überall den blindesten Hass verratend ist der ganze Inhalt dieser Blätter. Das Flugblatt (mit Nr. 39 bezeichnet) behandelt die beiden Fragen: 'Was kosten uns unsere Juden?' und 'Warum muss die Sozialdemokratie wachsen und immer wieder wachsen?' Unterzeichnet sind beide  Ausführungen mit ''Theod. Fritsch, Techniker in Leipzig'. In dem ersten Aufsatze leistet sich der Verfasser unter anderem den blühenden Unsinn: 'Alle Steuern, Zölle und Staatsabgaben sind verhältnismäßig unbedeutend gegen den unerhörten Juden-Unterhaltungstribut, den das Volk fortwährend aufzubringen hat'. Bezeichnend für den Charakter des Verfassers und die ganze Art und Weise der antisemitischen Hetze ist auch der Schluss: 'Wenn unser Volk durchaus Luxus treiben will, so mag es sich neben Schoßhündchen und Goldfischchen noch Kakadus, Schildkröten, Chamäleons, Klappenschlagen, zahme Krokodile und anderes Ungeziefer halten, aber den Judenluxus ertragen wir auf die Dauer nicht.' Offener zeigt sich die Absicht der Antisemiten in dem zweiten Aufsatze. Die Aufforderung Fritsch's lautet: 'Weist Juda aus dem Lande'. Nur so, meint er, könne die Sozialdemokratie schwinden, anders helfe 'kein Gott und kein Teufel'."       

 
Jüdische Einwohner werden von antisemitisch gesinnten Korpsstudenten angegriffen und verletzt (1891)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Januar 1891: "Worms, 5. Jan. Wie allwöchentlich hielten auch am vergangenen Samstag die hier anwesenden Corpsstudenten in Anwesenheit ihrer Alten Herren – unter diesen die Herren Oberbürgermeister Küchler und Kreisrat Gros – im Festhaus einen 'S.C.- Abend' ab. Zu gleicher Zeit fand in dem großen Saale desselben Lokals das Kränzchen einer Tanzstundengesellschaft, zu der hauptsächlich Juden gehören, statt. Von Anfang an hatten schon die Herren Studenten versucht, die Geselligkeit der Tanzenden zu stören, waren jedoch von ihren Alten Herren davon abgehalten worden. Sobald sie sich aber in vorgerückter Nachtstunde allein sahen, ließen sich nicht mehr zurückhalten, sondern besudelten einen älteren Herrn, der zu der Tanzgesellschaft gehörte, auf die gemeinste und brutalste Art. Der Angegriffene konnte sich nur mit Mühe in ein Zimmer retten, wo mehrere ältere Herren gemütlich beim Spielchen saßen. Aber dahin folgten ihm die Zudringlichen unter Führung zweier Wormser Bürgersöhne. Nach einigen unverschämten Äußerungen griffen die jungen Leute mit dem Rufe: 'Jetzt aber mal drauf, auf die Judde!' die nichtsahnenden Herren an. Es entwickelte sich eine Schlägerei, deren Resultat war, dass ein hiesiger hochangesehener Bürger und ein Commis aus mehreren Kopfwunden stark blutend von einem herbeigerufenen Arzt verbunden werden mussten. Die Geschichte wird ein gerichtliches Nachspiel finden.
Worms, 7. Jan. In einer Zuschrift an das 'Wormser Tageblatt' erklären 'Die hiesigen leider bei dem Angriff auf friedliche Israeliten beteiligt gewesenen Studenten' (Corpsstudenten aus Gießen), dass sie an einer Provokation keinen Anteil gehabt hätten. Diese sei von einigen fremden Studenten ausgegangen, die zu Besuch anwesend waren und ohne Wissen und Willen der hiesigen Studenten den Skandal hervorriefen. Was die höchst unfeine Äußerung: 'Jetzt gehn mer uff die Judde' betreffe, so bedauerten sie, dass die fremden Besucher bereits abgereist seien, von den hiesigen Studenten habe keiner die Äußerung getan. Was schließlich die Besudelung eines älteren Herren betreffe, so werde zweifelsohne, falls die Beschuldigung sich als richtig erweise, auch von studentischer Seite gegen die Betreffenden vorgegangen werden. - Das Wort in Ehren, aber hoffentlich wird den feinen Herren auch von anderer Seite noch der Standpunkt klar gemacht werden.- Die Vorgänge vom Samstagabend bilden noch immer das Tagesereignis und mit der höchsten Entrüstung wird von dem frechen Benehmen der Corpsstudenten gesprochen. Übrigens kamen bei dem Streite, in den der Skandal schließlich ausartete, nicht unerhebliche Verwundungen auf beiden Seiten vor."
Anmerkungen: Oberbürgermeister Küchler: https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Küchler_(Politiker,_1846)
Kreisrat Gros: https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Gros.  
                   

 
Zwei religiöse Traditionen (Minhagim) sind "dem Zeitgeist zum Opfer gefallen" (1891)       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Februar 1891: "Worms. Zwei alte alte religiösen Traditionen (minhagim atikim) unserer altjüdischen Gemeinde sind seit 14 Tagen dem sogenannten Zeitgeist zum Opfer gefallen.
1) Die Feier Erew Rosch Chodesch Adar (Vorabend zum 1. des Monats Adar) der Chebra-Kadischa*, welche Hunderte von Jahren alljährig mit religiösem Ernste begangen ward.
2) Die Feier des 10. Adar, welcher ebenfalls Jahrhunderte schon in der Synagoge hier, durch Slichot (Bußgebete, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot), Taanit (Fasttag, vgl. https://www.jewiki.net/wiki/Ta'anit_(Mischna)), Haskarat Neschamot (Totengedenken, vgl. https://www.jewiki.net/wiki/Haskarat_Neschamot) zum Andenken jener Märtyrer gefeiert ward, welche dazumal um der Heiligung des Gottesglaubens willen freiwillig ihr Leben dem Mordbeile Wahnverblendeter hingaben.
Ob nun dieses Unterlassen auf Veranlassung des Religionsvorstandes oder des Rabbiners Herr Dr. Stein* oder aus Vergessenheit geschah, weiß ich nicht.
*Anmerkungen: Chebra-Kadischa: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
Rabbiner Dr. Stein: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Stein_(Rabbiner))    
       

  
Ein erster Jugendgottesdienst fand statt (1891)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Februar 1891: "Worms. Vergangenen Sabbat hat hier der erste Jugendgottesdienst nachmittags 3 Uhr stattgefunden. Derselbe war von Schülern und Schülerinnen, sowie Erwachsenen sehr zahlreich besucht. Herr Dr. Stein sprach in sinniger Weise über das Gotteshaus als Har (Berg), Feld (Sadeh) und Haus (Beit)."           


Richtigstellung zur Meldung von der Abschaffung zweier religiöser Traditionen (Minhagim, 1891)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1891: "Worms, 27. Februar (1891). Unter Bezugnahme auf Ihren aus hier datiertem Bericht in Nr. 16 Ihres Blattes beehre ich mich, Ihnen Folgendes zur Richtigstellung mitzuteilen:
Ihr Korrespondent behauptet: 'Zwei alte religiöse Traditionen (minhagim atikim) seien hier in Worms in 14 Tagen dem sogenannten Zeitgeist zum Opfer gefallen', hierauf bemerke ich:
1) Die Feier der Chewra Kadischa wird auch in diesem Jahre, wie in mehreren, früheren, auf Beschluss des Vorstandes, - der längst gefasst, ehe die fragliche Korrespondenz erschien - vor Erew Rosch Chodesch Adar Scheni (Vorabend zum 1. des Monats Adar scheni)* abgehalten.
2) Vor der Feier des 10. Adar heißt es in der alten Wormser Selicha (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot), die in den Händen der Gemeindemitglieder und sicher auch Ihres Korrespondenten ist: ... Die Feier konnte also nicht stattfinden, weil sie am Adar Scheni zu begehen ist. Im Minhagim-Buch steht noch deutlicher: ..."
Anmerkung: *Mittwoch, 1. Adar II 5651 war der 11. März 1891.
        

  
Auffindung von Dokumenten des Gemeindearchivs aus 17./18. Jahrhundert (1891)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Mai 1891: "Worms. In den jüngsten Tagen hat die hiesige israelitische Gemeinde ein Geschenk erhalten, für dessen Bedeutung sich auch weitere Kreise interessieren dürften. Man sollte annehmen, dass eine Gemeinde wie die hiesige, welche auf eine so große Vergangenheit zurückblicken kann, auch im Besitze eines bedeutenden Archivs sei. Dies ist jedoch nicht der Fall. Jedenfalls ist ein großer Teil desselben gestohlen, oder verschleudert oder auch nicht zum geringsten Teile in Verkennung der Wichtigkeit der Schriftstücke in das uralte Frauenbad* hinter der Synagoge geworfen worden. Einen nicht unbedeutenden Rest hat nun das Vorstandsmitglied Herr Julius Goldschmidt* auf dem schwer zugänglichen Speicher über der Frauensynagoge* aufgefunden. Wir gewinnen durch diese Schriftstücke einen Einblick in die Geschichte der hiesigen jüdischen Gemeinde, während des 18. und 17. Jahrhunderts und noch etwas weiter zurück. Wir lernen aus demselben die Leiden unserer Vorfahren kennen, aber auch ihren vortrefflichen Charakter, ihre Frömmigkeit, ihre Ausdauer, ihre Rechtschaffenheit und ihre Tüchtigkeit, für die geschichtliche Forschung geben sie interessante Aufschlüsse über das Verhältnis der Judenschaft zur Stadt, zu den Bischöfen, zu den Herzogen von Dalberg* und zu den deutschen Kaisern. Herr Goldschmidt hat nun diese alten Schriftstücke in vortrefflicher Weise geordnet, mit kurzem Inhalte versehen und der israelitischen zum Geschenke übergeben. Diese mühevolle Arbeit enthält noch ein hübsches Relief durch den Umstand, dass Herr Goldschmidt* für diese Archivreste einen schönen Schrank anfertigen ließ, dessen innere Einrichtung von der Liebe des Stifters zu seinem Gegenstande beredtes Zeugnis gibt. Herr Goldschmidt*, dem von Seiten seiner Kollegen deren Dank in den wärmsten Ausdrücken ausgesprochen wurde, rufen wir zu: (Hebräisch).
Nach einer Bestimmung des Schenkgebers, welche auch vom Vorstande gutgeheißen wurde, dürften einzelne Schriftstücke nicht aus Händen gegeben werden. Hingegen hoffe ich, im Laufe der Zeit manches Wertvolle in Ihrer geschätzten Zeitung zu veröffentlichen.  R. (wahrscheinlich Samson Rothschild, Anm. S.R.)" 
*Anmerkungen:  zu Julius Goldschmidt, Kaufmann (1838 -1904): http://www.wormserjuden.de/Biographien/Goldschmidt-I-3.html
zum Frauenbad: https://www.worms-erleben.de/erleben/entdecken-und-staunen/sehenswuerdigkeiten/synagoge-und-Mikwe.php
Zur Frauensynagoge: https://schumstaedte.de/entdecken/frauenschul-in-worms/#view-0
Zu den Herren von Dalberg: https://de.wikipedia.org/wiki/Dalberg_(Adelsgeschlecht)       
Literaturhinweis: Gerold Bönnen: Beschlagnahmt, geborgen, ausgeliefert. Zum Schicksal des Wormser jüdischen Gemeindearchivs.  https://www.worms.de/juedisches-museum-wAssets/docs/aufsatz_beschlagnahmt-geborgen-ausgeliefert.pdf  

 
Ein Komitee bemüht sich um die Unterstützung der Juden in Russland (1891)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Juni 1891: "Worms. Das hiesige Zweigkomitee der Alliance israélite hat eine Versammlung einberufen, um über Unterstützung unserer unglücklichen Glaubensgenossen in Russland zu beraten. Es wurde ein Komitee gewählt, das unverzüglich die nötigen Schritte tue, um Gelder für besagten Zweck zu sammeln. In der gestern stattgefundenen Sitzung konnte die angenehme Mitteilung gemacht werden, dass 8.000 Mk. gezeichnet worden sind."           

  
Anfrage des Bataillons-Kommandos an das Rabbinat (1892)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. November 1892: "Worms. Das Kommando des hiesigen Bataillons hat an das Rabbinat die Anfrage gerichtet, ob und zu welcher Zeit nächsten Freitag Gottesdienst abgehalten werde, da es beabsichtige, sich durch eine Deputation vertreten zu lassen. In Folge dessen hat der Vorstand der israelitischen Gemeinde beschlossen, dass Freitag um 9 1/2 Uhr ein feierlicher Gottesdienst für Seine Königliche Hoheit den Großherzog stattfinden werde. Seither wurde dieses Fest stets am vorhergehenden oder darauffolgenden Schabbat gefeiert."          

   
Wiedereinweihung der Synagoge im israelitischen Hospital (1896)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom  9. November 1896: "Worms. Am vergangenen Sabbate Paraschat Wajera (Schabbat mit der Toralesung Wajera = Gen 18-22) vollzog sich hier eine würdige Feier. Im israelitischen Hospitale hat die Chewra Kadischa (heilige Bruderschaft, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa) ein Lokal, in welchem Herr Rabbiner Dr. Stein allsabbatlich nach dem Mussaf-Gottesdienste (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Musaf)  einen religiösen Vortrag hält. Auch eine Synagoge befindet sich in genanntem Hause, welche früher für den Werktagsgottesdienst benützt wurde (jetzt die Levy'sche Synagoge) und jetzt nur noch der Chewra Kadischa (heilige Bruderschaft) für den Gottesdienst am Jom Kippur Katan (Vortag vor einem jüdischen Monatsbeginn) dient. Die Synagoge wurde renoviert und durch den Mincha-Gottesdienst (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha) eingeweiht. Bei dieser Gelegenheit hatte Herr Lehr, Sohn eines früheren Lehrers, die heilige Lade mit einem prächtigen, in Leipzig angefertigten Vorhange geschmückt. Nach der Feier hatte der Vorsitzende der Chewra Kadischa, Herr Jakob Strauß, die Anwesenden zu einem Mahle geladen, bei dem es an trefflichen Reden, besonders von Seiten des Herrn Dr. Stein, nicht fehlte. Dass nach der Feier auch der Armen gedacht worden, ist selbstredend.
Anmerkungen: zu Rabbiner Dr. Stein = Rabbiner Dr. Alexander Stein, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Stein_(Rabbiner) und Artikel zum Tod von Rabbiner Stein (1914) (interner Link)
zur Levy'schen Synagoge vgl. Synagogenseite Worms (interner Link) sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Levy%E2%80%99sche_Synagoge_Worms.  
        

 
Der Landtagsabgeordnete Fabrikant Reinhardt sucht den Antisemitismus zu bekämpfen (1901)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Mai 1901: "Worms, 21. Mai. Der national-liberale Landtagsabgeordnete, Herr Fabrikant Reinhardt*, hat dieser Tage seinen Wählern Bericht erstattet über die letzten Verhandlungen der Zweiten Kammer. Da Reinhardt bei der Beratung der von den Sozialdemokraten eingebrachten Anträge über die Arbeiterverhältnisse den Ausspruch getan, dass er bei Anstellung von Arbeitern in seiner Fabrik nicht danach frage, ob der Arbeiter Sozialdemokrat sei oder nicht, wurde er in vielen Zeitungen ob dieser Äußerungen heftig angegriffen und gerade deshalb war ein überaus zahlreiches Publikum erschienen, um hierüber die Ansichten des Herrn Abgeordneten genauer kennenzulernen.
Nachdem Herr Reinhardt in überaus glänzender Weise seinen Standpunkt klargelegt, sprach er auch über die Verhetzungen, die die Presse unter den Konfessionen hervorrufe. Er könne es nicht fassen, wie man heute noch, anstatt den Frieden unter den Konfessionen herbeizuführen, denselben systematisch untergrabe. Anknüpfend an diese im heiligen Ernste gesprochenen und von der Versammlung stark applaudierten Worte, möchte ich einen Brief des Abgeordneten Reinhardt mitteilen, den mir derselbe unterm 26. Juni 1893 geschriebenen, zur Zeit, als mein Schriftchen 'Aus Vergangenheit und Gegenwart der israelitischen Gemeinde Worms'* kurz vorher erschienen war.
Der Brief lautet: 'Mit ganz besonderem Interesse habe ich die mir bis jetzt unbekannt gewesenen Sagen des Nissim-Buches* gelesen. Zu welchen Verwirrungen das Volk durch Verhetzungen im Mittelalter geführt werden konnte, dazu genügt ein Blick in die Geschichte. Wie es aber möglich ist, dass in unseren Tagen Ähnliches vorkommen kann, das ist tief zu beklagen und die Ursache ist nur in den Missständen in der Presse zu suchen. Gott gebe, dass darin bald Wandlung geschaffen werde.
Mit aller Hochachtung. Ihr ergebener (gez.) Reinhardt, Landtagsabgeordneter.            Lehrer Rothschild."
    
*Anmerkungen: Zu dem Landtagsabgeordneten Reinhardt: https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Andreas_Reinhart_(Unternehmer,_1841)
vgl. https://www.lagis-hessen.de/pnd/1129697878
Zur Publikation  'Aus Vergangenheit und Gegenwart der israelitischen Gemeinde Worms': siehe Artikel (interner Link)
Zum 'Nissim-Buch' vgl. Artikel (interner Link).         
    

   
Jüdische Beteiligung beim Hessisch-Pfälzischen Musikfest (1901)       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Juni 1901: "Worms, 4. Juni (1901). Am 26. und 27. Mai fand dahier das Hessisch-Pfälzische Musikfest statt, unter Beteiligung der Verein von Darmstadt, Alzey, Landau und Neustadt. Dieses großartig verlaufene Musikfest hat insofern auch Bedeutung für eine jüdische Zeitschrift, weil am ersten Tage die 'Zerstörung Jerusalems' von Klughardt aufgeführt wurde, ein sowohl für Chor als auch Orchester großartiges Werk, welches die Zerstörung des zweiten Tempels durch Titus behandelt. Die Klage und der Jammer der bis zur Verzweiflung kämpfenden Juden, der Sieg der Römer, kommen hier ergreifend zum Ausdruck und versöhnend und beruhigend wirkt der Schlusschor in den Worten: 'Der Israel zerstreuet, der wird es auch sammeln wieder, und wird seines Volkes hüten, gleichwie seiner Herde ein Hirt. Ich bin barmherzig, spricht der Herr und will nicht ewiglich zürnen. Und der Herr wird alle die Tränen abwischen vom Angesicht, und wird in jeglichem Lande aufheben die Schmach seines Volkes; denn der Herr hat solches gesagt.'
Am zweiten Tage stand Prof. Gernsheim – Berlin, ein geborener Wormser, am Dirigentenpulte. Es erfüllt uns mit Stolz, dass ein Glaubensgenosse großartige Triumphe gefeiert hat. Diesem Konzert wohnte auch der Großherzog mit Gemahlin und anderen Fürstlichkeiten bei. Ehe der Großherzog ins Festhaus eintrat, nahm er für die ausgestellten Hassia-Vereine den Rapport des Hauptmanns a. D. Gernsheim entgegen."
Anmerkungen:  - zum Oratorium 'Die Zerstörung Jerusalems': https://books.google.de/books/about/Die_Zerst%C3%B6rung_Jerusalems.html?id=Xk7oxAEACAAJ&redir_esc=y
- zu August Klughardt: https://de.wikipedia.org/wiki/August_Klughardt
- zu Titus: https://de.wikipedia.org/wiki/Titus
- zu Prof. Gernsheim: https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/persoenlichkeiten/listen/1839_Friedrich-Gernsheim.php und http://www.warmaisa.de/wormser-juden/friedrich-gernsheim-komponist-1839-1916/
- zum Großherzog: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Ludwig_(Hessen-Darmstadt) 
- Hauptmann a.D. Gernsheim war wahrscheinlich Joseph Gernsheim vgl. Artikel in der Seite zu Personen aus der jüdischen Gemeinde Worms    
         

   
Über den Besuch einer gelehrten Frau in Worms (1902)      
Anmerkung: der Artikel bezieht sich vor allem auf den Besuch von Nina Salaman in Worms. Zu ihr https://en.wikipedia.org/wiki/Nina_Salaman   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. März 1902: "Eine seltene Frau. Von S.(amson) Rothschild – Worms.
In der hiesigen Raschikapelle, so genannt, weil sich in derselben der 'Raschistuhl' befindet, liegt ein Fremdenbuch offen, dessen Lektüre manchmal ein unterhaltsames Stündchen gewährt. Wir begegnen hier den Namen von Fürstlichkeiten, kirchlichen Würdenträgern, Vertretern der Kunst und Wissenschaft, der Industrie und des Handels. Interessant sind hierbei die Religion, welche zuweilen in der Rubrik 'Bemerkungen' sich finden. Neben einer Bemerkung 'Wir glauben all' an einen Gott' finden sich auch, besonders von evangelischen Geistlichen, die hebräisch geschriebenen Worte: 'Friede über Israel'. Nicht minder interessant sind hier die Mitteilungen, welche der Synagogendiener zuweilen an einzelne knüpft, über die man besonders befragt. So erzählte er eines Tages:
'Da kommt ein Mann, sein Aussehen ist das eines Rabbiners; in seiner Begleitung befindet sich ein Herr, dem er in der Synagoge alles genau erklärt und dabei viele hebräische Worte spricht. Der Synagogendiener will's nicht glauben und ärgert sich über diesen 'unerhörten Spaß'. Es war Dr. Paulus Cassel. Gar manche interessante Namen habe ich in dem 'Raschibuch' schon gelesen und gar manche schätzbare Bekanntschaft habe ich schon gemacht von Personen, die hierher gekommen sind, um die 'Altertümer' der jüdischen Gemeinde von Worms zu sehen; aber noch nie habe ich mit 'Fremden' eine weihevollere Stunde erlebt, als vor wenigen Monaten mit einem erst kurz verheirateten Ehepaar aus London: Dr. med. Salomon und Frau Nina geb. Davis. Ich erfüllte gerne ihren Wunsch, an einem freien Nachmittage ihr Cicerone zu sein und so gingen wir zuerst zur Synagoge. Unterwegs fragte Frau Dr. S.:
'Ich war heute Morgen auf dem Friedhofe, da fiel mir das Wort leelef haschischi auf. Was bedeutet dies?' 
Eine derartige Frage ist von einer Dame noch nicht an mich gestellt worden. Ich konnte mein freudiges Erstaunen über diese Bemerkung noch nicht zum Ausdrucke bringen, als die Dame fortfuhr:
'Nicht wahr, Rabbi Meir Rothenburg* liegt hier begraben?' Es ist doch derselbe, der das Trauerlied verfasst hat: Scha'ali Serufa BaEsch*.
War ich durch diese beiden Bemerkungen schon angenehm überrascht, so sollte mein Erstaunen noch gesteigert werden als Frau Dr. Salomon die Inschrift an der Außenseite der Synagoge angebrachten Tafel geläufig las und mit der Jahreszahl übersetzte. Als ich die Sefer Tora (sc. Torarolle) von Maharam (sc. Rabbi Meir von Rothenburg), aus welcher hier nur an Matnad Jad (sc. Festgeschenk, das zu den drei großen Festtagen gebracht wird) gelesen wird, öffnete, las sie ganz geläufig aus derselben; ebenso vermochte sie auf dem Friedhofe auch die schwierigsten Inschriften der Grabsteine mit den Jahreszahlen entziffern. Als ich auf dem Rückwege vom Friedhofe bei Frau Dr. Salomon auch den Namen 'Raschi' erwähnte, gestand sie mir äußerst bescheiden, dass sie auch 'Raschi' verstehe und auch den Talmud*.
'Nach einem kurzen Aufenthalte in Italien reisen wir nach Berlin zu mehrmonatlichem Aufenthalte und dort studiere ich noch fleißig den Midrasch*.'
Gerne nahm sie von mir zu diesem Zwecke eine Empfehlung an Dr. Hildesheimer (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer) an. Auf mein Befragen, ob ihr Vater Rabbiner oder aus Russland in England eingewandert sei, sagte sie mir, dass ihr Vater geborener Engländer und Ingenieur sei, der aber täglich einige Stunden mit dem Studium der hebräischen Sprache verbringe und auch sie für diese Sprache und die in derselben geschriebenen Schriften zu begeistern verstanden hat.
Wochen waren vergangen, da erhalte ich aus Berlin ein Buch zugesandt, das den Titel trägt: Smirot BaLaila (sc. Lieder in der Nacht) Songs of Exile (Gesänge aus der Verbannung). By Hebrew Poets, translated by Nina Davis. Vor dem Titelblatt finden sich als Motto die Worte: 'Meine Seele wartet auf den Herrn, mehr als Wächter auf den Morgen, Wächter auf den Morgen' (Psalm 130,6). Das erste Blatt trägt eine Widmung für den Vater ('To my Father'), die anderen Blätter enthalten die englische Übersetzung hebräischer Gedichte von Eleasar ben Kalir*, Salomon ibn *Gabirol', Jehuda Halevi*, Baruch ben Samuel*, Meir von Rothenburg*, aus dem Talmud*, aus der Midrasch rabbah und Midrasch Tanchuma.
Die letzte Seite enthält den die mit hervorgehobenen hebräischen Buchstaben markierte Jahreszahl des Erscheinens des Buches. Ein leeres Blatt vor dem Titelblatt trägt außer einer freundlichen Widmung für mich in deutscher Sprache noch die folgenden hebräischen Worte: (Hebräisch)
Welche Hochachtung hätte Heinrich Heine, der sich in dem vierten Teil des Gedichtes 'Prinzessin Sabbat' so bitter über die Unwissenheit der jüdischen Damen in der jüdischen Literatur auslässt, der geistreichen Verfasserin entgegengebracht! Mir aber drängen sich bei der genussreichen Lektüre dieses trefflichen Werkes unwillkürlich die Worte auf die Lippen: (Hebräisch)."
* Anmerkungen: Paulus Cassel: https://de.wikipedia.org/wiki/Paulus_Stephanus_Cassel
* Rabbi Meir Rothenburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg *   https://www.deutsche-biographie.de/sfz8031.html
* Scha'ali Serufa BaEsch: 'Frage, im Feuer Verbrannte, nach der Trauernden Wohl, die zu wohnen verlangen im Hof deiner heiligen Wohnung, die schmachten im Staub der Erde und leiden, die verstört sind wegen des Brandes deiner Rollen ...'). Das Lied wird noch heute am 9. Aw, dem Gedenktag der Zerstörung des Tempels, in der jüdischen Liturgie gebetet.. 
* Talmud: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
* Midrasch: https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
* Das Buch von Nina Davis (bzw. Nina Ruth Davis Salaman) erschien mehrfach und kann noch heute bezogen werden. Erstausgabe https://www.abebooks.de/erstausgabe/Songs-exile-Hebrew-poets-translated-Nina/7514423761/bd  Online zu lesen:  https://archive.org/details/songsofexilebyhe00salaiala/mode/2up  
* Eleasar ben Kalir: https://de.wikipedia.org/wiki/Elasar_ha-Qallir
* Salomon ibn Gabirol: https://de.wikipedia.org/wiki/Solomon_ibn_Gabirol
* Jehuda Halevi: https://de.wikipedia.org/wiki/Jehuda_ha-Levi
* Baruch ben Samuel: https://en.wikipedia.org/wiki/Baruch_ben_Samuel  
           

  
Ergebnis der Vorstandswahlen der Gemeinde (1908)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 15. Mai 1908: "Worms. Zu Vorstehern der Jüdischen Gemeinde wurden gewählt: Salomon Honig, Max Levy, Jakob Berliner, Rechtsanwalt Baruch und Dr. Nickelsburg." 
Anmerkungen zu den genannten Personen: zu Salomon Honig, Holzhändler, Promenadenstraße 49 https://www.geni.com/people/Salomon-Honig/6000000111863688822 und http://www.wormserjuden.de/Biographien/Honig-I.html 
zu Max Levy: http://www.wormserjuden.de/Biographien/Levy-IV.html
zu Jakob Berliner, 1858 -1924: http://www.wormserjuden.de/Biographien/Berliner-I.html
zu Rechtsanwalt Sigismund Baruch, Moltke-Anlage 8  https://www.geni.com/people/Sigmund-Baruch/6000000044389763667  und http://www.wormserjuden.de/Biographien/Baruch-IV.html
zu Sanitätsrat Dr. med. Leopold Nickelsburg (1868 1937), praktischer Arzt, Kaiser-Wilhelm-Straße 22
"        

  
"Rheinlandfeier" der jüdischen Frontsoldaten (1925)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. September 1925: "Die Rheinlandfeier der jüdischen Frontsoldaten
Worms,
8. September. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten veranstaltete seine diesjährige Hauptversammlung vom 5. bis 7. September 1925 in Worms und Köln, um im Jahre der Jahrtausend-Feier auch seinerseits die Verbundenheit der jüdischen Gemeinschaft mit dem deutschen Volke feierlich zu bekunden. Nach einem Festgottesdienst in der Synagoge und einer Besichtigung des alten Friedhofes fand eine feierliche Kundgebung im reich geschmückten Festhause statt. Der Staatspräsident von Hessen, Ullrich*; mitsamt Vertretern aller Staats- und Stadtbehörden sowie der Geistlichkeit waren zugegen. Ein Orgelvorspiel leitete die Feier ein, worauf der Vorsitzende der Ortsgruppe Worms, Dr. Fried, die Erschienenen begrüßte. Ihm folgte als Redner Herr Oberbürgermeister Rahn* – Worms, der im Namen der Stadtverwaltung den Reichsbund in den Mauern der ehrwürdigen Stadt Worms willkommen hieß, sich für einen Frieden aller Konfessionen aussprach und in nicht misszuverstehender scharfer Weise die üblen Bestrebungen völkischer Kreise aus der Stadt Worms verwies. Lang anhaltender lauter Beifall der Tausende der Versammlung lohnte seine Ausführungen. Im Namen des Vorstandes der jüdischen Gemeinde begrüßte Sanitätsrat Dr. Nickelsburg den Reichsbund und gab einen historischen Überblick über die ereignisreiche Geschichte der Wormser Judenheit. Ihm folgte der Vorsitzende des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, Dr. Leo Löwenstein – Berlin, der im Namen seiner Kameraden für alle die herzlichen Begrüßungsworte und für die außerordentlich liebenswürdige Aufnahme dankte, mit der die Ortsgruppe Worms ihre Bundesfreunde empfangen hatte. Er gedachte – während die Versammelten sich von ihren Sitzen erhoben – der 12.000 gefallenen Kameraden, die als immerwährende Ehrenmitglieder des Bundes geführt werden. Den eigentlichen Festvortrag hielt Dr. Goldstein – Darmstadt, Mitglied des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. Der Redner gab einen historisch-politischen und rassenbiologischen Überblick über den Begriff deutsches Judentum und setzte sich in überzeugender Weise mit den Rassebesessenen auseinander, die in dem Juden, der seit fast zweitausend Jahren auf deutschem Boden wohnt und an deutscher Kultur und Geistesbildung mitarbeitet, den Fremden sehen wollen." 
*Anmerkungen: Staatspräsident von Hessen: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Ulrich  und https://www.lagis-hessen.de/pnd/124725902    
Oberbürgermeister Rahn in Worms  https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Rahn_(Politiker,_1880) 
    

 
  
  
Berichte aus dem jüdischen Vereinsleben    
Gründung eines Talmud-Tora-Vereins unter Rabbiner J. Bamberger (1849)       

Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 27. Juli 1849: "Worms. Vor einigen Wochen bildete sich dahier ein Talmudtoraverein, an dessen Spitze unser würdiger Rabbiner, Herr J. Bamberger, steht. - Wir hoffen, dass dieser Verein uns die schönsten Früchte bringen wird, da er ein Sporn für die Jugend werden kann, sich wiederum dem Studium des Talmuds zuzuwenden." 
Anmerkung: zu Rabbiner Jakob Bamberger vgl. http://www.alemannia-judaica.de/worms_rabbiner_lehrer.htm#Zum Tod von Rabbiner Jacob Koppel Bamberger (1864)     
     

  
Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins (1868)    
Allgemeiner Hinweis: Der "Israelitische Unterstützungsverein" unterstützte keineswegs nur Menschen jüdischer Konfession, was auch dem jüdischen Prinzip von Zedaka widersprechen würde, wonach nicht nur bedürftige Juden unterstützt werden sollen. 

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. April 1868: "Worms. Dem uns vorliegenden siebenten Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins in Worms vom 15. Februar 1867 bis zum 15. Februar 1868 entnehmen wir, dass dieser Verein 178 Mitglieder, eine Einnahme von 2103 fl. 57 kr. und eine Ausgabe von 2174 fl. 20 kr. hat. Von dieser erhielten 1644 gewöhnliche Arme 1145 fl. 51 kr. und 425 verschämte Arme 951 fl. 51 kr. An außerordentlichen Geschenken flossen dem Vereine 279 fl. 51 kr. zu."          

 
25-jähriges Stiftungsfest des israelitischen Unterstützungsvereines (1886)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. März 1886: "Worms. Am 21. vorigen Monats feierte der hiesige israelitische Unterstützungsverein in dem festlich erleuchteten Saale des Herrn Weil sein 25jähriges Stiftungsfest. Es beteiligten sich an dem Fest ca. 70 Mitglieder und Freunde des Vereins. Der ehemalige Präsident desselben, Herr Marcus Cahn – jetzt in Frankfurt - war zu dieser Feier hierher gekommen. Herr Rabbiner Dr. Stein begrüßte die Versammlung durch herzliches Willkommen und hielt eine mit großem Beifalle aufgenommene Rede über die verschiedenen Zwecke des Vereins.
Nachdem noch von verschiedenen Mitgliedern Toaste ausgebracht wurden, in welche die Anwesenden herzlich einstimmten, wurde noch besonders die Tätigkeit zweier Mitglieder der Verwaltung hervorgehoben, von welchen der eine das schöne Fest nicht mehr erlebte, der andere durch Unwohlsein verhindert war, demselben beizuwohnen.
Herr Leopold Scheftel, der gegenwärtige Präsident des Vereins, widmet seit 17 Jahren unverdrossen und unermüdet seine Kräfte dem Verein und scheut keine Opfer an Zeit und Geld, um dessen Bestehen zu sichern, seine segensreiche Wirksamkeit zu fördern.
Als 80jähriger Greis hat er bis vor ganz kurzer Zeit (wo ihn leider Unwohlsein daran hindert) tagtäglich von 11 – 12 Uhr die Verteilung der Unterstützungen geleitet, und den Armen, die ihn alle kennen und lieben, stets mit freundlichem Angesicht die Gaben verabreicht. 
Zu seinem 80jährigen Geburtstage (am Schabbat mit der Parascha Schemot) hatte dessen Sohn, Herr Adolf Scheftel in New York, zur Feier des Tages dem eisernen Stocke des Vereins die schöne Summe von M. 1.000, gleichzeitig aber auch den gleichen Betrag zur Verteilung an hiesige Arme gesandt.
Herr Salomon Hüttenbach, welcher 14 Tage vor dem schönen Feste, auf welches er sich so sehr gefreut hatte – zu seinem himmlischen Vater abgerufen wurde, war ein eifriger und warmer Vertreter dieses Vereins. Er war der Vater des Gedankens zur Gründung des eisernen Stockes und hat diesen Lieblingsgedanken mit Liebe und Sorgfalt und mit gutem Erfolge gehegt und gepflegt. Er war immer und überall bereit, die Not der Armen und Bedrängten in der Nähe und Ferne zu mildern und kein gemeinnütziges Unternehmen gab es, dem er seine rege Mitwirkung versagt hätte. Eine Sammlung für den eisernen Stock ergab das schöne Resultat von mehr als M. 2.000 und stehen noch weitere Gaben in Aussicht.
Schließlich will ich noch lobend und dankend eines dritten Verwaltungsmitgliedes, des Herrn Mayer, gedenken, der durch den Tod seines Schwagers Herrn Hüttenbach und das Unwohlsein des Herrn Scheftel vermehrte Arbeit und Mühe bei der Verteilungskommission mit unermüdlicher Hingebung leitet und bei der täglich stattfindenden Verteilung niemals fehlet.
Anmerkung: zu Leopold Scheftel vgl. Artikel zu seinem Tod (1893) und Artikel über sein Vermächtnis für wohltätige Zwecke (1894)            
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. März 1886: "Über eine 25jährige Tätigkeit hat auch gegenwärtig der 'Israelitische Unterstützungsverein zu Worms' zu berichten. Dem Verein ist es vollständig gelungen, die Hausbettelei auf das geringste Maß zu reduzieren, und für die Armen der Stadt und Umgebung genügend zu sorgen. Er hat ein bestimmtes Lokal und eine bestimmte Tageszeit für die Verteilung der Gaben festgestellt, welche durch die Mitglieder einer Kommission geschieht. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Einnahmen des Vereins in diesen 25 Jahren sich nicht viel geändert haben. 1861 kamen Mk. 2.555 ein und 1885 Mk. 2.685. In einzelnen Jahren überstieg die Einnahme 3.000 Mk. Hiernach richteten sich nun auch die Ausgaben. Der Fonds beträgt Mk. 8.624. Der Bericht hat leider zu beklagen, dass eine große Zahl Gemeindemitglieder sich des Beitrittes enthalten, sich also die Wohltaten des Vereins gefallen lassen, ohne die Lasten desselben zu tragen."    

      
Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1886)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27. April 1886: "Der israelitische Unterstützungsverein in Worms, der vor kurzem seinen 25jährigen Bestand gefeiert, gab im verflossenen Jahre an Spenden für 1.281 Personen M. 2.714 aus und hat seinen eisernen Fonds auf M. 10.700 gebracht. In dem Berichte wird hervorgehoben, dass sich die Zahl der Gewohnheitsbettler, namentlich aus dem Auslande, bedeutend verringert, dagegen bei der Ungunst der Zeit die Zahl der verschämten Armen bedeutend vermehrt hat. Die Organisation des Vereins ist sehr löblich. Täglich 11 bis 12 Uhr sind zwei Komiteemitglieder im Geschäftszimmer des Vereins anwesend, um Gesuche zu empfangen und abzufertigen. - Auch in Oran (Algerien) hat sich nach Mitteilung der Arch. Isr. ein Verein gebildet zur Bekämpfung der Bettelei. Der Verein erhielt in 6 Monaten an 7.000 Frcs. Durch 110 Mitglieder und seine Wirksamkeit beschäftigt sich bereits in erfreulichen Maßen."          

 
Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1887)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. April 1887: "Worms, im April (Privatmitteilung). Die hiesige Gemeinde besitzt einen der bestorganisierten und seit lange schon bewährten 'Unterstützungsverein', teils um Hilfsbedürftigen Gaben zu reichen, teils um den Straßenbettel von Haus zu Haus zu verhindern. Letzteres ist ihm denn auch wohl gelungen, und mit Recht macht er vielen dortigen Familien den Vorwurf, dem Verein ihre Beiträge vorzuenthalten, während sie doch die Wohltat, vom lästigen Hausbettel befreit zu sein, so gut genießen, wie diejenigen, welchen den Verein unterstützen. Wie unentbehrlich der Verein ist, ersieht man daraus, dass er im verflossenen Vereinsjahre an Gewohnheitsbettler 207 aus dem Inlande, 297 aus dem Auslande Spenden verabreichte. Außerdem unterstützte er 199 Handwerker, 'die bei ihm vorsprachen', 36 Commis und 60 Lehrer, Gelehrte und Künstler (!). Selbstverständlich wurden außerdem verschämte Arme (441), sowie mit regelmäßigen Gaben Familien und Hospitaliten bedacht. Die Bilanz betrug M. 3.644 und man muss zugestehen, dass der Vereinsvorstand mit diesen Mitteln in sparsamer und bedachtsamer Weise vorgeht. An Fonds besitzt der Verein M. 11.800."          

  
Festessen des Wohltätigkeits- und des Minjan-Vereins (1891)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. April 1891: "Worms: Am 1. April versammelten sich die Mitglieder des Wohltätigkeits-(Chewrat Gemiluth Chessed) und des (Minjan)-Vereins zu einem gemeinschaftlichen Festessen, bei welchem die Herren Rabbiner Dr. Stein, Adolf Sinzheimer, J. Strauß, L. Sommer, E. Nathan und Lehrer Rothschild der Feier entsprechende Toaste ausbrachten. Bei der Versteigerung von Schir HaMaalot (Psalmlesung) und Birkat HaMason (Tischgebet) wurden 220 M.(ark) erzielt."
Anmerkung: zu Rabbiner Dr. Stein: http://www.alemannia-judaica.de/worms_rabbiner_lehrer.htm#Zum Tod von Rabbiner Dr. Alexander Stein (1914)   
Lehrer Rothschild: Samson Rothschild http://www.warmaisa.de/stolpersteine/rothschild-samson-1848-1939/
          

  
Über die Arbeit des Wohltätigkeitsvereines "Achawa" (= Liebe) (1894)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Juni 1894:  "Worms. Wenn man auch in früherer Zeit schon die Einsicht gewonnen hatte, dass vereinzelte Kräfte nichts Großes zu leisten im Stande waren, so ist man doch besonders in der Gegenwart darüber im Klaren, dass nur ein einmütiges und energisches Zusammenwirken vieler Kräfte etwas Großes auszuführen vermögen. Diese Wahrheit ließe sich aus vielen Gebieten mit Beispielen belegen. Doch wir wollen von den vielen nur eines herausgreifen. Es ist leider zu bekannt, wie traurig die materiellen Verhältnisse der Lehrer sind und wie dieselben sich noch trauriger gestalten, wenn der Familie das Haupt genommen wird. Gar zu düstere Bilder entrollen sich da vor unseren Augen, wer vermag, das Elend und den Jammer der Hinterbliebenen zu beschreiben! Es war deshalb ein großes Verdienst des Lehrers Klingenstein, dass er die Achawa gegründet und seine Schöpfung so treulich und gewissenhaft gepflegt hat. Und wie er, so hat der erst kürzlich verstorbene langjährige Präsident der Achawa, Herr Adolf Teblée sel. Andenkens*, seine ganze Kraft dem Vereine gewidmet. So ist dieser Verein in dem 'braven und guten Frankfurt'  so großartig gediehen, dass er über ein bedeutendes Kapital verfügt und tausende jährlich an Witwen, Waisen und kranke Lehrer verteilt. (Das Vereinsvermögen beträgt ca. Mk. 200.000, verteilt wurden 1893 Mk. 15.000; 346 aktive Vereinsmitglieder zahlen Mk. 2.100; 941 Ehrenmitglieder Mk 5.800; Geschenke Mk. 6.700).
Nun sollte man allerdings erwarten, dass auch alle jüdischen Lehrer dem Vereine beitreten und ihre Kräfte in den Dienst der 'Achawa' stellten. Dies ist aber leider noch lange nicht der Fall. Im Gegenteil, anstatt den Verein zu stützen, sucht man allerorten Provinzialvereine zu gründen, die nicht leben und sterben können und entzieht dadurch diesem Hauptvereine so viel Nahrung. Es ist daher unser herzlichster Wunsch, dass wie von dem Lehrervereine zu Hannover der Antrag ausging, alle jüdischen Vereine zu zentralisieren, dieser Zentralverein endlich den Impuls geben möchte, dass man auch hier zentralisiere, sodass alle Provinzialunterstützungsvereine, die kleineren wenigstens, aufgingen in de einen großen, der da bekannt ist unter dem Namen: Achawa."     
Anmerkung: Adolf Teblée war seit 1887 Reallehrer an der israelitischen Realschule (Philanthropin) in Frankfurt; er war seit 1868 Mitglied der Achawa und übernahm 1872 den Vorsitz des Vereins; er starb am 6. Mai 1894 im Alter von 76 Jahren.
       

 
Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1900)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Mai 1900: "Worms. Der Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins dahier (39. Vereinsjahr) ist erschienen. Er konstatiert mit Freude die wachsende Teilnahme der Gemeinde an den Bestrebungen des Vereins, der den Haus- und Straßenbettel beseitigt und vielen verschämten Armen eine ausgiebige Unterstützung zugewiesen hat. Der Verein hat zu der von dem Frankfurter Hilfsverein anberaumten Versammlung zwei Vorstandsmitglieder delegiert und ist dem in Frankfurt a. M. begründeten 'Verband der Süddeutschen Unterstützungsvereine' als Mitglied beigetreten. An Geschenken erhielt der Verein Mk. 900,55, der unangreifbare Kapitalstock erhielt Mk. 950.-; auch für das neue Vereinsjahr ist bereits eine Gabe von Mk. 1.000 für den letzteren zu verzeichnen. Im abgelaufenen Vereinsjahre wurden für 1.811 Unterstützungen Mk. 3.702,40 verausgabt, zwar an: 149 Handwerker, 257 Gewohnheitsbettler aus dem Inlande, 1.132 Gewohnheitsbettler aus dem Auslande, 219 verschämte Arme, 24 Hausierer, 13 Gelehrte und Lehrer, 15 Kaufleute, 3 Künstler. Das Vermögen des unangreifbaren eisernen Stocks beträgt Mk. 25.699, 91."          

  
Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1901)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Mai 1901: "Worms. Der Jahresbericht des 'Israelitischen Unterstützungsvereins' ist erschienen. Demselben ist zu entnehmen, dass der Verein auch in diesem Jahre eine segensreiche Tätigkeit entfaltet hat. Für 1.709 Unterstützungsgesuche wurden Mk. 3.697,65 bewilligt und zwar: 1.253 Arme, 32 hiesige Arme, 49 Hausierer, 27 Kaufleute, 176 Handwerker, 12 sonstige Bittsteller. Den unangreifbaren Kapitalstock, der die Höhe von Mk. 27.125,50 erreicht hat, wurden in diesem Jahr drei Gaben zugewandt und zwar im Betrage von Mk. 1.000, Mk. 200 und Mk. 250. An sonstigen Geschenken ging ein Mk. 686."           

   
42. Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1903)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juni 1903: "Worms. Der Jahresbericht des hiesigen israelitischen Unterstützungsvereins (42. Vereinsjahr) ist erschienen: Er gedenkt vor allem des im Laufe des Jahres verstorbenen Vorstandsmitgliedes, Herrn Jakob Strauß, der dem Vereine nach dem dereinstigen Ableben seiner Frau Mark 5.200 vermachte, deren Zinsen zur Pflege von armen Kranken verwendet werden sollen. Es wurden im Vereinsjahre 1839 Gaben verabreicht: 1030 an Arme vom Ausland; 208 an Arme vom Inland; an 187 verschämte Arme, 68 hiesige Arme, 346 Handwerker. Die Gaben bewegten sich von 0,50 bis 36 Mark. An Beiträgen von Mitgliedern gingen ein Mark 1880,48; an Geschenken Mark 1292. Der eiserne Stock hatte einen Zugang von Mark 450 und beträgt jetzt Mark 29.533,80."      

    
Vermächtnis für wohltätige Zwecke der jüdischen Gemeinde - Spenden der Narhalla-Gesellschaft für den israelitischen Unterstützungsverein und des Turnvereins für das israelitische Hospital (1903)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. November 1903: "Worms. Die hiesige israelitische Gemeinde ist dieser Tage freudig überrascht worden, indem eine kinderlos verstorbene Frankfurterin, hier geboren, der Gemeinde für wohltätige Zwecke Mark 27.000 testiert hat. Auch die Bürgermeisterei hat von derselben Mark 900 erhalten zur gleichmäßigen Verteilung an jüdische und christliche Arme.  Bei dieser Gelegenheit will ich auch mitteilen, dass die hiesige Narrhalla-Gesellschaft, nachdem sie christliche Vereine bedacht hat, auch den israelitischen Unterstützungsverein mit Mark 25 beschenkte, während der Turnverein dem israelitischen Hospital Mark 50 zuwies."      

 
50. Stiftungsfest des Israelitischen Unterstützungsvereins (1911)       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 7. April 1911: "Worms, 29. März (1911). Am 18. dieses Monats beging der israelitische Unterstützungsverein sein 50. Stiftungsfest. Nach Begrüßung der Teilnehmer und einem Hoch auf den deutschen Kaiser und den Großherzog von Hessen als die Schirmer und Schützer des Friedens und seiner Segnungen hielt der Vorsitzende Rabbiner Dr. Holzer die Festrede, die darin gipfelte, dass das Judentum von altersher bis in die jüngste Gegenwart als Träger des reinen Monotheismus den ethischen Gedanken entwickelte und stets hochhielt, Barmherzigkeit und Wohl tun, als tatkräftige Menschenliebe übte, während dem schönheitssuchenden Griechentum solch ethische Fundamentallehren fremd waren. - Pietätvoll wurde ferner der Gründer des Vereins Markus Levy und Markus Cahn sowie des verdienstvollen Ehrenpräses, des Herrn Emeritus Rabbiners Dr. Stein, zurzeit in Karlsruhe gedacht, der fast 40 Jahre den Verein geleitet und seine gedeihliche Entwicklung sehr gefördert hat. Hierauf dankte Herr Max Levy namens des Gemeindevorstandes der Verwaltung des Vereins für seine Liebestätigkeit und gab in längerer Ausführung einen historischen Rückblick auf die Leidenszeiten der Wormser Juden vom Beginn der Kreuzzüge bis in die neuere Zeit. Zu Ehrenmitgliedern ernannt wurden die Herren Salomon Honig und August Scheftel als älteste Mitglieder der Verwaltung. Herr Ludwig Lohnstein ließ in schönen Lichtbildern die verstorbenen sowie die noch lebenden Verwaltungsmitglieder, also von 1861 bis 1911, unter Rezitation von hübschen, poetischen Texten zu jedem Bilde, teils ernsten, teils humoristischen Inhalts, Revue passieren. Ihm sowie den Liederdichtern, den Herrn Schönfeld und Grünfeld, wurde für diese Darbietungen herzlicher Dank gesagt. Eine namhafte Zeichnung für den eisernen Fonds des Unterstützungsvereins in der Höhe von fast 1.300 Mark, die voraussichtlich sich noch vermehren wird, bildete den würdigen Schluss der denkwürdigen Feier."                

 
 Über den Israelitischen Unterstützungsverein im Jubiläumsjahr (1911)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Februar 1911: "Worms, 14. Juli (1911). Dem diesjährigen Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins in Worms am Rhein geht aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Vereins eine treffliche zusammenfassende Darstellung der Tätigkeit dieses Vereins auf dem Gebiete der Armenfürsorge und alles dessen, was er zur Einschränkung des Wanderbettels geleistet hat, voraus. Dieser Bericht, der den hohen Verdiensten der derzeitigen Gründer um das Zustandekommen der Kasse zum Zwecke einer organisierten Unterstützung notleidender Armer vollaufgerecht wird, dabei aber auch die modernen Bestrebungen zur Herbeiführung eines engeren Zusammenschlusses der Unterstützungsvereine Deutschlands zur planmäßigen, zielbewussten Arbeit genügend würdigt, stammt aus der Feder des jetzigen Vorsitzenden, des Rabbiners Dr. Holzer. Am Schlusse dieser Jubiläumsausgabe finden alle die Gönner und Freunde des Vereins Erwähnung, die innerhalb des genannten Zeitraums den Verein mit namhaften Spenden, die zum Grundstockskapital geschlagen werden konnten, bedacht haben. Im abgelaufenen Jahre wurden 2370 Personen gegen 2518 vom Vorjahre mit 4348,90 Mark unterstützt. Dem Vorstande der Verwaltung gehören gegenwärtig an: die Herren Dr. J. Holzer, Hermann Herz und L. Oppenheimer. Das Grundstücksvermögen beträgt 46.823,35 Mark. Die Bilanz schließt in Einnahmen und Ausgaben mit 7.032,40 Mark ab. An Mitgliederbeiträgen gingen 2081,70 Mark ein, während an Spenden 2353 Mark gesammelt wurden."   

   
Geschäftsbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1914)       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Oktober 1914: "Worms, 25. September. Der seit 53 Jahren bestehende israelitische Unterstützungsverein Worms am Rhein versendet soeben seinen Geschäftsbericht, der einen interessanten Einblick in die segensreiche Tätigkeit des Vereins bietet. Die in den vorletzten beiden Geschäftsjahren gemachte erfreuliche Beobachtung, wonach die Zahl der bei uns vorsprechenden Wanderarmen in stetiger Abnahme begriffen ist, haben wir auch in diesem Jahre feststellen können, wenn auch diesmal freilich die Abnahme nur eine geringe ist. Sie beweist zunächst eine merkliche Bessergestaltung der bis vor kurzem überaus traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse unserer Glaubensgenossen in den östlichen Ländern Europas, aus denen der bei weitem größte Teil von Wanderarmen kommt. Wir dürfen aber auch diese erfreuliche Tatsache als einen Beweis ansehen für die immer deutlicher zutage tretende günstige Wirkung der Maßnahmen, die sowohl von der deutschen Zentralstelle für jüdische Wanderarmenfürsorge in Berlin, als auch den unter Führung des israelitischen Hilfsvereins in Frankfurt a. M. zusammengeschlossenen Unterstützungsvereinen des Großherzogtums Hessen und Wiesbadens getroffen worden sind, um Unwürdige als solche zu erkennen, und von den Kassen fernzuhalten. Dass wir dabei trotzdem uns jeder Rigorosität enthalten und mit größter Liberalität und Nachsicht verfahren, glauben wir hervorheben zu sollen, um Missverständnisse nicht aufkommen zu lassen. Die Ausgaben unseres Unterstützungsvereins im laufenden Berichtsjahre waren darum nicht kleiner, im Gegenteil, sie überstiegen die des vorigen Jahres um ein Beträchtliches. Diese Tatsache verzeichnen wir als eine recht erfreuliche, weil sie uns in den Stand gesetzt hat, hauptsächlich hier wohnhaften Einzelnen und Familien nachdrücklicher als bisher geschehen war und hoffentlich auch nachhaltiger beizustehen. Der Mitgliederbestand hat sich trotz Beitritts einiger Herren gegen das Vorjahr nicht erhöht, denn zu unserem tiefen Bedauern hat der Tod uns auch in diesem Jahr einige geschätzte Mitglieder entrissen. Doch den schwersten Verlust haben wir durch den unerwarteten Heimgang unseres hochverehrten Ehrenvorsitzenden, des Herrn Ehrenrabbiners Dr. Alexander Stein erlitten, der am 30. Januar dieses Jahres nach kurzer Krankheit sanft entschlafen ist. 40 Jahre hat der Verblichene der Verwaltung des Unterstützungsvereins angehört, davon 37 Jahre als Vorsitzender. Zum Zeichen unserer nie endenwollenden Dankbarkeit wird dem Heimgegangenen ein Gedenkblatt in unserem Jahresberichte gewidmet bleiben. Der Verein unterstützte 1912/13 1.864 Personen mit 4.130,25 Mark; 1913/14 1.856 Personen mit 4.527,13 Mark. Der Bericht schließt mit der Bitte, dass dem Verein auch in Zukunft tatkräftige Förderung zuteil werde. Er kann der Mitwirkung weiter Kreise nicht entraten, soll er seiner Aufgabe, 'Armen und Notleidenden beizustehen' auch nur annähernd gerecht werden. Mögen insbesondere edle Menschenfreunde sich bewogen fühlen, durch Spenden für den unangreifbaren Kapitalstock die Erinnerung an ernste und freudige Ereignisse sowie an teure Angehörige lebendig zu erhalten."        

     

      

      

      

      

       

 

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Stand: 30. Juni 2020