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Bechtheim
(VG Westhofen,
Landkreis Alzey-Worms)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Bechtheim bestand eine jüdische Gemeinde bis um 1880. Ihre
Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück.
Bei der Volkszählung
1804 wurden 60 jüdische Einwohner am Ort erfasst. Die Zahl stieg bis um
1840/50 auf über 100 (bis zu 30 Familien) an, doch begann bereits damals eine starke Ab-
und Auswanderung der jüdischen Familien. 1855 wird davon berichtet, dass in den
vergangenen Jahren zwei Familien nach Worms verzogen und sieben nach Amerika
ausgewandert seien (vgl. die Familie von Joseph Simon s.u.). 1861 wurden noch 96 jüdische Einwohner gezählt, die
freilich in den folgenden Jahren gleichfalls weggezogen sind. Mehrere Familien
verzogen in der benachbarte Osthofen. 1885
wurden keine
Juden mehr gezählt.
Über
die Auflösung der Gemeinde berichtete die Zeitschrift "Der
Israelit" am 9. August 1897: "Aus Rheinhessen. Die noch vor wenigen
Jahren ziemlich starke israelitische Gemeinde in Bechtheim ist infolge Wegzuges
sämtlicher Israeliten aufgelöst. Das Gemeindevermögen fiel der israelitischen
Kultusgemeinde Osthofen
zu, wohin die meisten der ehemaligen Gemeindemitglieder verzogen sind. Die
Kultusgegenstände werden an bedürftige israelitische Gemeinden verteilt."
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An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine
Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule und ein rituelles Bad. Zur Besorgung
religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der auch als
Vorbeter und Schochet tätig war.
Von den in Bechtheim geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Paul Joseph (1886), Regina
Schmidt geb. Wendel (1879), Jacob Wendel (1876).
Berichte aus
der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde wurden in jüdischen
Periodika des 19./20. Jahrhunderts - außer den oben und den unten zitierten
Berichten - noch nicht gefunden.
Zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Hinweis auf den
US-Senator Joseph Simon (1851-1935) |
Joseph Simon ist am 7. Februar 1851 in Bechtheim geboren als Sohn
von David Simon und seiner Frau. 1852 ist die Familie in die USA
ausgewandert und ließ sich in Portland, Oregon nieder. Joseph Simon war
von 1889 bis 1892 und von 1895 bis 1898 President of the Oregon
State Senate und von 1898 bis 1903 United States Senator
from Oregon. Er starb 1935 in Portland und wurde im Beth Israel
Cemetery ebd. beigesetzt. Er blieb unverheiratet.
Weitere Informationen siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Joseph_Simon. |
Zur Geschichte der Synagoge
Die jüdische Gemeinde hatte bereits in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ihre Einrichtungen in der heutigen Unteren Klinggasse. Hier stand
auf dem Grundstück Untere Klinggasse 8 das Wohnhaus des jüdischen Lehrers, in
dem sich auch der Unterrichtsraum der jüdischen Schule befand. Auf dem
Nachbargrundstück (Untere Klinggasse 10) standen die alte Synagoge und
das rituelle Bad. Um 1850 befand sich die alte Synagoge jedoch in sehr
schlechtem baulichen Zustand. "Aus Sanitätsgründen" drängten die
Behörden die jüdische Gemeinde zu einem Synagogenneubau. 1855/56 konnte unweit
der älteren Einrichtungen eine
neue Synagoge erbaut werden. Die Grundsteinlegung war am 4. März 1855.
Im Gemeindearchiv findet sich ein Dokument mit einem
Bericht zu Grundsteinlegung: "Bechtheim, den 4. März im Jahre 5615 -
ist das Jahr 1855 - nach Erschaffung der Welt. Heute versammelt sich die
israelitische Gemeinde dahier zu Bechtheim im Großherzogtum Hessen - Provinz
Rheinhessen Kreis Worms und legte den Grundstein zu einer neuen Synagoge, -
welche aus Mitteln der Gemeinde und verschiedene milde Beiträge von manchen
Wohltätern erbaut wird, - und zwar unter den Verwaltung des derzeitigen
Vorstandes [...] Das Grundeigentum der Gemeinde besteht gegenwärtig aus: a.
einem Wohnhaus für den Lehrer, - worin zugleich das Lokal, in welchem der
Unterricht der Schuljugend erteilt wird sich befindet [Untere Klinggasse 8],
nebst angrenzendem Garten auf dessen oberen Teil die Synagoge erbaut wird
[Martin-Luther-Straße 4]. b einem alten Wohnhäuschen an dem Raum, wo bisher
die alte Synagoge gestanden, und nahe dabei ein Frauenbad [Untere Klinggasse
10.]
Die
Bauaufsicht hatte der Techniker Binz aus Worms übernommen. Finanziert werden
konnte der Bau nur mit Hilfe von großzügigen Spenden, darunter eine in Höhe
von 1.000 Gulden von dem in
Alzey lebenden Herrn A. Florian Belmont sowie mehrere von inzwischen in Amerika
lebenden Familien. Anfang 1857 war das Gebäude fertig. Die Einweihung wurde am 23.
Januar 1857 gefeiert; ein dreitägiges großes Fest für den ganzen Ort schloss
sich an. Am Sabbat, 24. Januar 1857 (28. Tevet 5617) fand ein vierstündiger
Gottesdienst statt. Prediger Dr. Levysohn aus Worms hielt die
Einweihungspredigten; als Vorbeter wirkte Lehrer S. Sonnenberg. Ein Bericht in
der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Februar 1857 enthält
weitere Einzelheiten:
"Bechtheim in Rheinhessen, 26. Januar (1857). Bechtheim
im Rabbinatssprengel Worms, zählte vor wenigen Jahren noch über 30
israelitische Familien, reduzierte sich jedoch in Folge der Auswanderung nach
Amerika auf 20 Familien. Dieselben, unterstützt von einigen auswärtigen
Gönnern, von welchen insbesondere Herr A. F. Belmont aus Alzey, der 1000 Gulden
vorgeschossen und nach 20 Jahren erst als rückzahlbar erklärte, erwähnt
werden muss, haben nun größtenteils aus eigenen Mitteln eine Synagoge erbaut,
deren Geschmack, Eleganz und reichliche Ausstattung sicherlich in keiner
Landgemeinde ganz Süddeutschlands zum zweiten Mal anzutreffen sein dürfte.
Dieses Gotteshaus ist jetzt die einzige und wahre Zierde des Orts geworden.
Freitag, den 23. dieses Monats, fand die Einweihung durch den Prediger Herrn Dr.
Levysohn in Worms statt. Herr Dr. Lewysohn predigte auch Samstag, an welchem der
Gottesdienst von 10 bis 2 Uhr dauerte, sowie am Sonntag, an dem noch einmal die
Gemeinde und die Schuljugend zum Abschiede von dem Herrn Prediger in das
Gotteshaus sich versammelten. Mehr als 300 Glaubensgenossen von inner- und
außerhalb des Kreises fanden sich zur Feier ein, und alle begingen ein
dreitägiges Fest, das jedem Teilnehmer unvergesslich bleiben wird. - Die
Einweihungspredigt nebst einem geschichtlichen Anhang über den Bau der Synagoge
sind dem Drucke übergeben worden. Ref. (Referent) kann nicht schließen, ohne
des dortigen Gemeindelehrers, Herrn S. Sonnenberg, rühmlich zu gedenken,
welcher den Gesangs- und musikalischen Teil der Feier auf das Befriedigendste zu
besorgen wusste. Möglich die fernen Freunde in Amerika, die ebenfalls ihr
Scherflein zum Bau dieses wahrhaft prächtigen Gotteshauses beigetragen, beim
Lesen dieser Zeilen die gerechte und wohlverdiente Freude sich gönnen. Sie
werden später vom hiesigen Vorstand Predigt und Programm zum Andenken zugesandt
erhalten."
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Von der Architektur des Gebäudes her handelt es sich um einen kleinen
klassizistischen Saalbau, der sein besonderes Gepräge durch die
Ecklisenen sowie die Rund- und Rundbogenfenster erhielt.
Über
das gottesdienstliche Leben in der Synagoge in Bechtheim liegen nur
wenige Berichte vor. Die Gemeinde nahm offenbar noch einige Reformen im
gottesdienstlichen Leben vor. So wurde die gemeinsame Konfirmation (für
die sonst übliche einzelne Bar Mizwa / Bat Mizwa - Feier) eingeführt. Die
"Allgemeine Zeitung des Judentums" berichtet in einem Artikel vom 1.
Juni 1857 von 10 Kindern, die am Schawuotfest 1857 (30. Mai 1857) gemeinsam
konfirmiert wurden: "Während hier in Worms am bevorstehenden
Schebuothfeste 22, ja in der hierher gehörenden Landgemeinde Bechtheim 10
Kinder konfirmiert werden, besteht in Frankfurt a.M., welches 4.000 jüdische
Seelen zählt, die Anzahl der Konfirmanden nur in 8; die Gründe dieser
befremdenden Erscheinung gedenken wir, wann es uns geeignet erscheinen wird, an
dieser Stelle etwas ausführlicher zu besprechen."
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Die
von Bechtheim nach anderen Orten wegziehenden Familien machten es den
zurückbleibenden Familien nicht leicht, was die Rückzahlung der noch
vorhandenen Schulden für die Synagoge. Nachdem jedoch Hauptsponsor für den
Synagogenbau - Florian Belmont aus Alzey - im Frühjahr 1870 verstarb,
verzichtete sein Erbe Dr. Ludwig Bamberger auf eine Rückzahlung der noch
ausstehenden Schulden. Darüber berichtete die Zeitschrift "Der
Israelit" vom 29. Juni 1870: "Bechtheim (bei Worms), 22. Juni 1870.
Vor 15 Jahren wurde die hiesige israelitische Gemeinde aus Sanitätsgründen
angehalten, eine neue Synagoge zu bauen. Die finanziellen Verhältnisse waren
jedoch der Art, dass dies ohne eine Anleihe nicht auszuführen war. Herr Florian
Belmont in Alzey übermachte der Gemeinde ein Darlehen von 1.000 Gulden zu dem
niederen Zinsfuß von 2 1/2 % nach 20 Jahren zehntelweise rückzahlbar. Nach dem
im vorigen Monat erfolgten Tode des Herrn Belmont hat dessen Schwiegersohn und
Erbe Dr. Ludwig Bamberger in Mainz der Gemeinde das Darlehen nebst den
rückständigen Zinsen geschenkt."
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Nur wenige
Jahrzehnte (bis 1874) diente die Synagoge ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung.
Nach dem Wegzug der jüdischen Familien wurde das Gebäude 1894/1900
an die politische Gemeinde verkauft. Im Kaufvertrag wurde bestimmt, dass die
Synagoge nicht als "Scheune, Stall oder Abtritt" verwendet werden
durfte. Von der politischen Gemeinde wurde sie zu einer
"Kleinkinderschule" beziehungsweise zu einem Kindergarten umgebaut und
in dieser Weise bis 1962 genutzt. Danach ging das Gebäude in den Besitz der
evangelischen Kirchengemeinde über, die es zunächst abbrechen wollte, um hier
ein Gemeindehaus zu erbauen. Auf Grund des Einspruches der staatlichen
Denkmalpflege kam es nicht zum Abbruch. So blieb das Synagogengebäude erhalten
und wird bis zur Gegenwart als evangelisches Gemeindehaus verwendet.
Adresse/Standort der Synagoge: Martin-Luther-Straße 4.
Fotos
(Fotos Hahn, Aufnahmedatum 30.3.2005 beziehungsweise
Michael Ohmsen, Aufnahmen von Anfang Juli 2011)
Die ehemalige
Synagoge
im Frühjahr 2005 |
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Die ehemalige
Synagoge in Bechtheim |
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Hinweistafel und
Bauinschrift der Bechtheimer Synagoge aus 1. Mose 28.7: "Hier ist
nichts anderes als Gottes Haus
und hier ist die Pforte des Himmels"
und in der unteren Zeile der Jahreszahl (5)616 = 1855/56 |
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Die ehemalige
Synagoge
im Sommer 2011 |
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Die ehemalige
Synagoge in Bechtheim |
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Denkmal am Marktplatz |
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Obelisk mit
einzelnen Denkmalen |
Denkmal
für die jüdische Geschichte in der Inschrift:
"Die ehemalige
Synagoge. Das Erbauungsjahr der Synagoge ist nach jüdischer Zeitrechnung
mit 5615 angegeben.
30 israelische Familien wohnten einst in Bechtheim und
erbauten die Synagoge aus eigenen Mitteln.
Nach einem Ratsprotokoll von
1885 waren alle israelische Familien verzogen oder nach Amerika
ausgewandert.
Die Gemeinde Bechtheim erwarb die Synagoge im Jahr 1900, um
sie bis 1963 als Kindergarten zu nutzen.
Seit 1963 dient sie als
evangelisches Gemeindehaus." |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
 | "...und dies ist die Pforte des Himmels" Synagogen -
Rheinland-Pfalz. Saarland. Hg. vom Landesamt für Denkmalpflege
Rheinland-Pfalz mit dem Staatlichen Konservatoramt des Saarlandes und dem
Synagogue Memorial Jerusalem. 2005. S. 99-100 (mit weiterer Lit.) |

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