In Balbronn bestand eine jüdische Gemeinde bis zu ihrer Zerstörung in
der NS-Zeit. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhunderts zurück.
1665 werden erstmals Juden am Ort genannt. Bei
der Volkszählung am 14. Februar 1785 wurden 33 jüdische Familien mit zusammen 170 Personen am Ort
gezählt.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Zahl der jüdischen
Gemeindeglieder wie folgt: 1807 140 jüdische Einwohner, 1846 202, 1861 184,
1870 196, 1910 144.
Im Deutsch-französischen Krieg 1870/71 fiel aus der jüdischen Gemeinde
Judas Sohn, Soldat im 25. Artillerieregiment. Er fiel bei Orleans.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
jüdische Schule und ein rituelles Bad. Zur Besorgung religiöser Aufgaben war
ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.
Namentlich genannt werden um 1874 Raphael Blum, um 1896/1901 Lehrer Israel Bloch, danach Lehrer Salomon Weil, der 1908 von Balbronn nach Odratzheim
wechselte (siehe Bericht unten). Von 1917 bis 1919 war Lehrer in der Gemeinde
Gustav Kron (1878 - ermordet 1942). Nachdem 1919 das Elsass wieder französisch
wurde, zog Kron zurück in seine Heimat Hessen, vgl.
http://www.judaisme-alsalor.fr/histoire/rabbins/hazanim/kron.htm und
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Kron. Die Gemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat
Westhoffen (nach 1920 zu
Obernai).
1936 gehörten
zur jüdischen Gemeinde noch 62 Mitglieder. Vier Jahre später (1940) wurden
unter der deutschen Besatzung
die bis dahin nicht ausgewanderten jüdischen Einwohner nach Südfrankreich deportiert.
Von den in Balbronn geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem): Baruch Bauer (1891), Maurice Bauer (1882), Rene Bauer
(1891, identisch mit Baruch Bauer?), Irma Bloch geb. Blum (1891), Berthe David
(1875), Berthe Hirsch (1864), Myriam Kahn geb. Schwartz (1904), Alice Levy
(1913), Arthur Levy (geb. ?), Edmund Levy (1905), Fanny Levy (1876), Irene Levy
(1924), Marcel Levy (1904), Rachel Levy geb. Deutsch (1896), Rosa Levy (1900),
Yvonne Levy (geb. ?), Selma Levy geb. Schumacher (1909), Suzanne Levy geb. Weill
(1904), Aline Raphael (1872), Charles Schwartz (1900), Isaac Schwartz (1869),
Robert Schwartz (1909), Albert Taustein (1915), Lucie Weil geb. Schwartz (1903)
Delphine Wolff (1876), Jacob Zivian (1885).
Anzeige
in der Zeitschrift vom 21. November 1913: "Die
Kantorstelle in Balbronn im Elsass ist sofort zu besetzen (Regierungsstelle). Gehalt 1700 bis 1800 Mark und
freue Wohnung.
Sich zu wenden an den Vorstand
Salomon Weill."
Lehrer und Kantor Salomon Weil wechselt von Balbronn nach Odratzheim (1908)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Dezember 1908:
"Odratzheim, 20.
Dezember (1908). Nach fünfmonatlicher Vakanz wurde die hiesige
Kantorstelle wieder besetzt. Der einzige Bewerber, (trotzdem die Stelle
13-1400 Mark einträgt) Herr Salomon Weil aus Balbronn,
wurde gewählt. Die hiesige jüdische Gemeinde war noch vor ca. 25 Jahren
eine der größten frömmsten und musterhaftesten Gemeinden des Elsass,
sie umfasste 60-70 Familien, während sie heute kaum einen Minjan zählt.
Auch die Nachbar-Gemeinde Scharrachbergheim war vor noch nicht allzu langer
Zeit eine prächtige jüdische Gemeinde. Hier wohnen nur noch drei
Familien. Trotzdem ist noch kein Heiliger Schabbat vorübergegangen, ohne
Gottesdienst mit Minjan, nämlich durch Hinzuziehung der Fehlenden aus
Nachbargemeinden gegen Vergütung. In Scharrachbergheim versieht schon
seit 30 Jahren ein Privatmann, Herr M. Bloch, die Stelle als Kantor. C.L."
Kantor Moch wechselt von Balbronn
nach Sulz u.W. (1913)
Artikel in der 19. September 1913: "Sulz
unterm Wald. Zum Kantor der hiesigen Gemeinde ist einstimmig Herr Moch,
Kantor in Balbronn, gewählt worden. Er wird voraussichtlich sein Amt am
Sukkaus (Laubhüttenfest) antreten."
Aus dem
jüdischen Gemeindeleben Zum Tod des protestantischen
Pfarrers H. Kieffer (1913) Anmerkung: vgl. unten den Bericht zur
Einweihung der Synagoge 1895.
Artikel
in "Das jüdische Blatt" vom 13. Juni 1913: "Balbronn. Ein
judenfreundlicher Pfarrer. Mit unseren christlichen Mitbürgern bedauern
wir das Ableben des hiesigen protestantischen Pfarrers H. Kieffer.
Ein hervorragender edler Menschenfreund, hat er auch den Juden bei jeder
Gelegenheit durch Wort und Tat seine Liebe bezeugt. Als Schüler des Rabbiner
Simon Levy von Schirrhofen und
Lazarus von Westhofen hat er sich
reiche Kenntnis des Judentums erworben und oft sprach er seine Hochachtung
aus vor jüdischen Gebräuchen und Sitten. Er übte Wohltätigkeit ohne
Unterschied der Konfession und viele jüdische Arme wissen von seiner
Herzensgüte zu berichten. Mit Stolz und Dankbarkeit erinnern wir uns immer
noch der Predigt, mit der er uns bei der Einweihung unserer Synagoge ehrte,
voll Wehmut gedachten wir an seiner Bahre des Nachrufs, den er seinem
Lehrer, Rabbiner Lazarus, widmete. Es war sein letzter Wille, ihn äußerst
einfach, ohne Kränke, Gesang und Predigt zu Grabe zu tragen! - Wir werden
seiner stets voll Dankbarkeit gedenken. M."
Zu einzelnen Personen
aus der jüdischen Gemeinde
Über den aus Balbronn
stammenden Rabbiner Dr. Isaac Levy Anmerkung: Rabbiner Dr. Isaac Levy (geb. 1865 in Balbronn als Sohn des
Kaufmanns Abraham Lévy und seiner Frau Florette, gest. 1949 in Sarrebourg,
Lothringen) besuchte 1886 bis 1891 die Rabbinerschule (École rabbinique) in
Paris; war 1891 bis 1896 Rabbiner in Norrköping, Schweden, 1897 bis 1908
Rabbiner in Maursmünster, 1908 Rabbiner
in Phalsbourg (Lothringen); das Rabbinat Phalsbourg wurde 1910 aufgelöst und
nach Sarrebourg verlegt, wo er bis 1949 amtierte. 1942 war er ins Exil nach
Brive, Corrèze gegangen, 1946 nach Sarrebourg zurückgekehrt.
Zum Tod des aus Balbronn
stammenden Rabbiners Jules Bauer (1931)
Artikel in "Die Wahrheit" vom 1. Januar 1932: "Paris. Im Alter von 63 Jahren
starb in Paris Rabbi Jules Bauer, der Direktor des französischen
Rabbinerseminars. Er wurde 1868 in Balbronn (Niederrhein) geboren,
war 1893 bis 1904 Rabbiner in Avignon, 1904 bis 1919 Rabbiner in Nizza und
seit 1919 Direktor des Rabbinerseminars in Paris. Er veröffentlichte eine
Anzahl Untersuchungen zur Geschichte der Juden in Südafrika, insbesondere
der Grafschaft Venaussin, ferner zwei Abhandlungen über die Rabbiner in
Nizza und die Geschichte der Rabbinerschule in Metz. Rabbi Jules Bauer gab
auch zwei Gebetbücher heraus: 'Notre rituel de prières" und 'Livres de
orières pour les jeunes enfants'. Er redigierte die Zeitschrift 'Foi et
Revail'."
Eine Synagoge
beziehungsweise ein Betsaal war bereits im 18. Jahrhundert vorhanden. Die bis
heute erhaltene, in neo-romanischem Stil erbaute Synagoge von Balbronn wurde 1895
eingeweiht.
Die Einweihung der Synagoge am 10. Dezember
1895
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27. Dezember
1895: "Balbronn (Elsaß), im Dezember (1895). Hier fand, wie
die 'Straßburger Post' berichtet, am 10. Dezember die Einweihung der
neuerbauten Synagoge statt. An der Feier beteiligten sich die Einwohner
ohne Unterschied der Religion. Der Kreisdirektor Swiersen aus Molsheim
beteiligte sich an dem Festzuge, der sich von der alten Synagoge nach der
neuen bewegte, und öffnete die Pforte des neuen Gotteshauses. Der
Oberrabbiner Weil aus Straßburg und zwei andere Rabbiner predigten. Aber
auch der protestantische Pfarrer Kiefer sprach einige Worte, er hob
hervor, dass, wenn es auch verschiedene Religionsbekenntnisse gebe, alle
dennoch ein gemeinsames Ziel verfolgten, den Willen Gottes zu tun und
denselben zu betätigen suchen in den Werken der allgemeinen
Nächstenliebe. Ergreifend schloss er seine in allen Herzen widerhallenden
Worte mit der Bitte: 'Vater unser, der Du bist im Himmel, Dein Name werde
geheiligt.'"
Artikel
in der "Allgemeine Zeitung des Judentums" Heft 1
1896 S. 66: Strassburg im Elsass, 5. Januar (1896). An der Einweihung
der Synagoge in Balbronn im Elsass nahmen der Herr Kreisdirektor Swiersen und der
protestantische Ortspfarrer, Herr Pastor Kiefer teil. Nachdem der Oberrabbiner
die Synagoge geweiht und noch zwei andere Rabbiner Reden gehalten hatten, hob
Herr Pastor Kiefer in seiner Ansprache hervor, 'dass, wenn es auch verschiedene
Religionsbekenntnisse gebe, alle dennoch ein gemeinsames Ziel verfolgten, den
Willen Gottes zu tun und denselben zu betätigen in den Werken der allgemeinen
Menschenliebe".
Artikel
in "Dr. Bloch's österreichische Wochenzeitung" vom 3. Januar 1896: "Berlin.
'Die Straßburger Post' berichtet über die Einweihung einer Synagoge in
Balbronn im Elsass, an welcher der Kreisdirektor Siersen aus Molsheim,
sowie außer mehreren Rabbinern auch der protestantische Ortspfarrer
Kiefer teilnahmen. Der Oberrabbiner weihte die Synagoge und sprach über
die Bedeutung der Synagogen in der Vergangenheit; jetzt sei die Synagoge ein
Josua geworden, ein Ort des Heils der Israeliten. Außer ihm sprachen die
Rabbiner Lazarus und der Rabbiner Schwartz, ein Balbronner
Kind, der jetzt in Paris angestellt ist. Zuletzt sprach der protestantische
Pfarrer Kiefer und hob hervor, 'dass, wenn es auch verschiedene
Religionsbekenntnisse gebe, alle dennoch ein gemeinsames Ziel verfolgen, den
Willen Gottes zu tun und denselben zu betätigen in den Werken der
allgemeinen Nächstenliebe.' Der fromme 'Reichsbote' (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Reichsbote) ist außer sich vor
sittlicher Entrüstung über die Toleranz des protestantischen Geistlichen und
fragt denunziatorisch erregt: 'Ist denn keine evangelische Kirchenbehörde
da, welche einem evangelischen Geistlichen begreiflich macht, was
Christentum ist und was für einen Geistlichen als Vertreter desselben
sich schickt?“ – Es wird interessant sein zu erfahren, ob das
Kirchenregiment dem Fingerzeig des 'Reichsboten' folgen wird.“"
Nach 1945 wurde die ehemalige Synagoge nicht mehr als solche genutzt. Seit einigen Jahren gibt es Pläne zu einer Restaurierung des Gebäudes.
Auch
der Plan eines Abbruchs der Synagoge und ihr Wiederaufbau für eine jüdische
Gemeinde in Pizgat Zeev nördlich von Jerusalem wurde seit den 1990er-Jahren
immer wieder durchdacht (vgl. Bericht),
scheiterte aber aus finanziellen Gründen.
Links: Dokument des Planes, die Synagoge von Balbronn bei Jerusalem aufzubauen
(Juli 1992).
Adresse/Standort der Synagoge: neben der Mairíe in der Rue des
Femmes (Frauegass)
Fotos (neuere Fotos von Hahn, Aufnahmedatum 26.7.2004)
Historische Karten von
Balbronn um 1900
Historische
Ansichtskarten: hervorgehoben werden besondere Gebäude.
Ausschnittvergrößerungen
aus den historischen Karten von Balbronn: die Synagoge
Fotos aus den 1980er-Jahren
Außen- und
Innenaufnahme der Synagoge Balbronn
(Quelle: Rothé / Warschawski s. Lit. S. 56)
Neuere Fotos von 2004
Die ehemalige Synagoge
präsentiert sich in einem sehr schlechten Zustand.
Eingangsportal und Rosette an
der
Westseite der ehemaligen Synagoge
Michel
Rothé / Max Warschawski: Les Synagogues d'Alsace et leur Histoire.
Ed. 'Chalom Bisamme' Jerusalem 1992. S. 41.
Jean
Daltroff: La Route du Judaisme en Alsace. Photographies Christophe Hamm.
I.D. Créations. Rosheim 2006. ISBN 2-915626-02-2. S. 41 u.ö. Link zum Verlag mit
Informationen.
Balbronn Bas-Rhin dist. The Jewish community
numbered 170 members in 1784 and 184 in 1805. The local synagogue was
inaugurated in 1895. By 1936, the community consisted of 62 members. During
worldwar II, all were expelled from their homes with the rest of the Jews from
Alsace-Lorraine, to the south of France. Twelve were deported.