Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Poppenhausen (Wasserkuppe, Kreis Fulda)
 Jüdische Geschichte 
Seite wurde erstellt von Michael Mott (Fulda) - letzte Bearbeitung am 26.05.2022

Übersicht:  

bulletZur jüdischen Geschichte in Poppenhausen  
bulletLinks und Literatur   

    

Zur jüdischen Geschichte in Poppenhausen          
    

Der Geschichte von Poppenhausen am Fuße der Wasserkuppe können wir entnehmen, dass hier über Jahrhunderte auch Bewohner jüdischen Glaubens ansässig waren, die aber wegen geringer Anzahl, und ihrer relativen Armut keine besondere Rolle spielten. So gab es kaum eine religiöse Infrastruktur für die Juden, die ihnen inneren Halt und kulturelle Heimat boten. Ein "Bethaus"1 in einem Privathaus und zumindest eine "Mikwe", das war alles; und so mussten sich die jüdischen Familien an benachbarte jüdische Landgemeinden anschließen. Eine kleine Chronologie soll darüber Kunde tun, wobei zu bemerken ist, dass es gelegentlich nicht hundertprozentig klar ist, welches der vier Orte, die den gleichen Namen Poppenhausen tragen, nun gemeint ist.
Anm. 1: In Poppenhausen befand sich, im Gegensatz zu benachbarten Orten, wie Weyhers, Schmalnau, Lütter etc. Anfang des 18. Jahrhunderts noch kein Bethaus. (StAM 112b Nr. 1637, fol. 6)
   

Die ersten Juden im benachbarten Amtsort Weyhers erscheinen in den Türkensteuerlisten des Jahres 1582 (StAM Best. 340 Ebersberg Nr. 339 Türkensteuer). Aus dem Jahre 1621 stammt eine Archivalie mit dem Titel: "Fuldischer Vogt gegen Vogt zu Schackau wegen einer im Wirtshaus zu Schackau an dem Juden Mosch zu Poppenhausen ausgeübten Misshandlung" (HStAM Bestand 95 (von Eberstein) Nr. 687 (95 Adel und Lehnhof)).
Aus dem Jahre 1683 hat sich ein von Johann Senger, der von 1663 bis 1703 Pfarrer in Poppenhausen war, am 3. Februar zu Papier gebrachtes Pfarrregister im Fuldaer Diözesanarchiv (Bistumsarchiv) erhalten, in dem auf 37 Seiten sämtliche Personen aufgeführt sind, die zum Pfarrbezirk Poppenhausen gehörten (möglicherweise stammt die Vorlage dazu von 1681). Es handelt sich um den zweiten Teil eines am 29. Januar begonnenen "Pfarr- Register von Popenhausen 1683". Nach 194 Haushalten geordnet, die durchlaufend nummeriert sind, beginnt das Personenregister von insgesamt neun Viertel, als erstes mit "Poppenhausen". Unter den 336 Einwohnern waren 28 Personen dem jüdischen und zwei Personen dem lutherischen Glauben angehörig. Insgesamt lebten im gesamten Pfarrbezirk Poppenhausen 1189 Personen in 194 Anwesen. Abzüglich von 28 Juden und sechs Lutheranern ergibt dies die Anzahl von 1155 Katholiken. 1681 gab es im Kirchspiel "Fünf Hausgesassen von Juden, seindt Ihrer Jung vndt Alter Weiber vndt Männer bey die 28 personen, sollen billich ein jeder Haußgesäß von sich, oder aber inß gesampt ein ansehnliches neues Jahre an ……". 

   In einem Poppenhausener Pfarr-Register aus dem Jahre 1683 wird auch über die jüdischen Mitbürger berichtet, die es in fünf Haushalten mit 28 Personen gab.
(Foto: Michael Mott)  

Die nächste Nachricht stammt aus dem Jahre 1655, und betrifft das zu zahlende sogenannte Schutzgeld, das die Juden, um sich an einem Ort niederzulassen zu dürfen, an den Landes- oder Grundherrn alljährlich zu zahlen hatten. Er nahm sie dann unter seinen "Schutz". Wer keinen Schutzbrief besaß, war als Wander- oder Betteljude genötigt, von Ort zu Ort zu ziehen (HStAM Bestand 94 Nr. 3319 (94 Ämterrepositur, Akte: Titel Verlangtes Schutz- und Versprechgeld von neu aufgenommenen Juden zu Poppenhausen, Laufzeit 1655). 
  
  
Juden David Levi und Löw leisten Eid auf Fuldaer Fürstabt 
  

Am 16. November 1699 erhalten wir Nachricht über zwei Juden aus Poppenhausen. Der Anlass war der Rückkauf der ganzen berlepschen Erbgüter in Eichenzell von den beiden Brüdern Sittich Herbold Graf von Berlepsch und Peter Philipp Graf von Berlepsch durch den Fuldaer Abt Placidus von Droste. Dazu hatten sich an dem bewussten Tage der kaiserliche Notar Johann Wilhelm Stein, als berlepsche Vertreter der kurmainzische Kammerherr Otto Moritz Wolf von Guttenberg und der fuldische Bevollmächtigte, der fuldische Oberamtmann Johann Franz von Schorlemmer und weitere Personen wie Zeugen, morgens um 10 Uhr im Innenhof des unteren Schlosses in Eichenzell getroffen. Es sollte nun die offizielle Übergabe und Besitznahme erfolgen, die in der Urkunde bildreich, äußerst interessant geschildert wird. Ziemlich am Schluss heißt es: "Nach diesem haben die Juden David Levi und Löw von Boppenhaußen, auch Moses (Moyses) von Lütter an der Harth im inneren Schlosshofe wohlermelten Herrn von Schorlemmer handtgelöbniß gethan." Diese Juden waren bis zu diesem Tage berlepsche Unterthanen gewesen. Der Text des Handgelöbnisses lautete: "Ihr sollt mit Handgelöbnis die Treue versprechen und mit erhobenen Fingern einen Eid auf Gott und sein heiliges Wort schwören, dass ihr Placidus [von Droste], Abt von Fulda, unserem Fürsten und Herrn, treu, gehorsam und dienstbereit seid, Schaden vom Kloster abwendet und das Kloster nach eurem besten Vermögen fördert; Gebote und Verbote des Abtes sollt ihr gehorsam befolgen und ihnen nicht zuwiderhandeln" (HStAM Bestand Urk. 75 Nr. 2046 (Urk. 75 Reichsabtei Fulda)). Bei den ganzen Aufführungen von Juden ist zu beachten, dass es auf Grund der unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse (Kondominat) und dadurch Zugehörigkeit in den Ortschaften des Gerichts Weyhers zwischen Ritterschaft und Fürstabtei Fulda eine getrennte Aktenlage und auch Unterschiede (z.B. im Blick auf die Schutzgeldhöhe) gab.  

   Die betreffende Stelle in der Urkunde von 1699, die über das Handgelöbnis der Poppenhäuser Juden David Levi und Löw auf ihren neuen Lehnherrn, dem Fuldaer Abt Placidus von Droste berichtet.
(Foto: Michael Mott)  

  
Im Jahre 1714 wird im Kernort namentlich ein Gerst Jud genannt, der neben dem Gasthaus "zum Hirsch" wohnhaft war; weiter zweimal ein "A(a)ron Jud" (Altspechtisch und Thüngischer Lehensmann), der neben dem sogenannten "Roten Haus", angrenzend am alten Burggraben und Fußpfad, zu Hause war. Als Lehensnehmer erscheinen noch "Samuel, Jud" (Berlepscher Lehensmann) sowie ein "Judas Gerson, Jud" (Thüngisch-Wüstensachsischer Lehensmann).
Im Salbuch von 1714 sind auch zweimal die neun vorhandenen hölzernen und Stege mit ihrer Lage aufgeführt. Danach befand sich ein hölzerner Steg vor "Samuel Jud(t)ens Hauß". "Samuel, Jud" war als "gewesener Berlepischer" Untertan verpflichtet, wie die 14 anderen auch, dem Beamten (zu Weyhers) jährlich ½ Klafter Holz zu machen und bestimmte Wiesen zu mähen und Heu und Grummet zu machen (HStAM, Kat. I, Weyhers D 2 – D 11 und D 24, Laufzeit 1714 (Kataster (Salbuch) Gütherbeschreibung Amt Weyhers), darin: Boppenhausen, Bd. 3, S. 1-414).
   
In der Archivalie "Inquisitionsakten wider die beiden Juden Aaron und Itzig von Poppenhausen und Weyhers" mit der Laufzeit 1739 bis 1746, ist der Jude Aaron sicherlich Poppenhausen zuzuordnen (HStAM 95 Nr. 1442). Dieser ist eventuell identisch mit dem Israeliten in einer Akte "Juden Schutz und Neujahrsgelder ... 1774-1779" des Amtes Weyhers wo mehrmals ein "ahron aus papenhaußen" aufgeführt ist.
   
In einem Bericht des Jüdischen Landtags von 1789 über das Vermögen aller im Hochstift lebenden Juden an den Landesherrn Fürstbischof Adalbert III. von Harstall betrug die Anzahl der in Poppenhausen lebenden Juden, vier Familien mit 17 Mitgliedern (HStAM Bestand 91, Nr. 404). 
  
Im Juli des Jahres 1801 wurde für das fuldische Oberamt "Weihers" ein "Verzeichniß deren sämtlichen Juden mit ihren Weibern, Kindern und Dienstboten, nebst der Vermögens Angabe beim Landtage im Julius 1801" für den letzten Fuldaer Fürstbischof Adalbert III. von Harstall betreff Zahlung von Schutzgeld angelegt. Es war der letzte Judenlandtag im Hochstift Fulda kurz vor der Säkularisation. Die Liste enthält unter "Poppenhaußen" drei Namen: Heyum Hirsch, 60 Jahre, mit seiner Frau, 62 Jahre, zwei Söhne, 16 und 12 Jahre sowie drei Töchter im Alter von 15, 9 und 6 Jahren; weiter Aaron Bacharach, 56 Jahre, mit seiner Frau, 52 Jahre, zwei Söhne, 26 und 20 Jahre sowie vier Töchter im Alter von 18, 14, 10 und 8 Jahren; als letzte Ester Pupill, hier ist als einziger Eintrag keine Frau, sondern nur eine Tochter mit 48 Jahren eingetragen. Die Gesamtzahl der Juden im Ort betrug somit 16 Personen in drei Haushaltungen. Es handelte sich um sehr arme Juden, denn in der Spalte Vermögen ist kein Geldbetrag aufgeführt (HStAM Bestand 91, Nr. 388).

Der Jude Kallmann (Kalmann) Bacharach zu Poppenhausen richtete 1804 ein Gesuch an die Oranien-Nassauische Regierung mit der Bitte um Erteilung des Landesschutzes. Der Schriftverkehr zog sich bis zum Jahre 1808 hin. (HStAM Bestand 97 b Nr . 346 (97 b Oranien-Nassauische Geheime Konferenzkommission und Geheimer Rat; siehe auch: HStAM Bestand 97 c Nr. 1034 (Oranien-Nassauische Regierung). 
    

In ganz wenigen Fällen war das Thema Konvertierung, also die Annahme des christlichen Glaubens, aktuell. In Poppenhausen war es im Jahre 1811 die Jüdin Esther Herz, vermutlich eine Tochter von Heium Herz, die dies anstrebte (HStAM 98 c Nr. 1231).
  
  
Annahme ständiger Familiennamen durch die Juden  
  

Unter Carl von Dalberg, dem Großherzog von Frankfurt, wurden im Jahre 1811 auch die Juden, die bekanntlich "keine gewisse Familien Namen" haben, im Großherzogthum Frankfurt, Departement Fulda, Distrikt Weyhers aufgefordert, für ihre Familien deutsche Familiennamen auszusuchen. Es wurden also nicht, wie vielfach behauptet, die Nachnamen von "oben" bestimmt. In Poppenhausen existierten zu dieser Zeit drei jüdische Familien, deren Vorschläge lauteten: "1. Arnold Löwenstein, 2. Hayem Gutermuth, 3. Calman Fischer." Über die Namensvorschläge wurde am 18. November 1811 wie folgt, als nunmehr verbindlich angeordnet: "1. Arnold Löwenstein, 2. Hayem Regensburger, 3. Calman Wischer". Hayem Gutermuth musste seinen Namen in Regensburger ändern, weil es den Namen Guthermuth schon bei christlichen Familien gab. Bei den Juden wurde zudem bemängelt, dass viele von ihnen gleiche Namen hätten was die Amtsgeschäfte behindere (HHStAW Bestand 365 Nr. 349 Laufzeit 1803-1811). In den Judenmatrikel von 1817 sind drei Haushalte mit den nunmehr eingedeutschten Namen angegeben: Herz und Wischer - für beide wird als Beruf "Schmuser" (Pferde-, Waren-, Immobilienhändler und Heiratsvermittler) genannt, und der Viehhändler Lerchenbaum. Anno 1833 gab es 13 jüdische Einwohner.  

   Distrikt Weihers - Verzeichniß der Juden mit den angenommenen deutschen Familiennamen". Die drei jüdischen Familien in Poppenhausen wählten folgende Nachnamen: "1. Arnold Löwenstein, 2. Hayem Gutermuth, 3. Calman Fischer." Der Name "Gutermuth" wurde von der Behörde, da "zu deutsch" verworfen, dafür wurde an dessen Stelle am 18. Nov. 1811 in Weyhers der Nachname "Regensburger" nunmehr als verbindlich festgelegt (Foto: Michael Mott)2.    
   

Anm. 2: HStAM Bestand 100 Nr. 7685 (siehe auch Bestand 112 b Nr. 7685 ???) Titel Annahme ständiger Familiennamen durch die Juden bzw. Übersichten über die jüdische Bevölkerung Laufzeit 1811-1812, 1826-1828 Provenienz (Vor-) Provenienzen Großherzogtum Frankfurt, Präfektur Fulda Kurfürstentum Hessen, Regierung Fulda Vermerke Enthält u.a. Namensverzeichnisse bzw. Matrikel der Juden in den Distrikten der Präfektur Fulda des Großherzogtums Frankfurt: Weyhers (2fach), 1811 (und weitere Ämter auch Fulda)    

 
Im Jahre 1812 beantragte ein Wolf Löwenstein aus Poppenhausen im Distrikt Weyhers, zugehörig zum Großherzogtum Würzburg und damit zum "Rheinbund", sicherlich ein Sohn von genannten Arnold Löwenstein, die Aufnahme als Untertan und gleichzeitig die Militärdispension (Befreiung vom Wehrdienst, Napoleonische Kriege – Russlandsfeldzug) zwecks Verehelichung. Dies war zu dieser Zeit ein oft begangener Weg, den viele jüngere Leute beschritten. Im Übrigen war den Juden nun wieder das Tragen von Waffen gestattet (HStAM 98 c Nr. 3226, Laufzeit: 1812-1816). 1817 erscheint Wolf Löwenstein als Verheirateter im Alter von 39 Jahren.
 
Ein "Verzeichniß der sämtlich beschützten Juden im königlichen Bezirks Amte Weihers" von 1817 enthält weitere Nachrichten. Unter III. Poppenhausen finden sich die drei Familien: Nr. 18 Heium Herz Stand: vereheligt, Alter: 70, Familienzahl: 5, Erwerbsart: Schmuser, bereitwillig zum Unterthaneneide: ja. Nr. 19 Kalmann Wischer, Stand: vereheligt, Alter: 47, Familienzahl: 2, Erwerbsart: Schmuser, bereitwillig zum Unterthaneneide?: ja. Nr. 20 Wolf Löwenstein (Löwenstein ist durchgestrichen, dafür "Lerchenbaum") Stand: vereheligt, Alter: 39, Familienzahl: 2, Erwerbsart: Viehhändler, bereitwillig zum Unterthaneneide: ja (StAM Bestand 112 b Nr. 1537, Verhältnisse der Juden im Landgericht Weyhers, Laufzeit 1817-1832, mit Judenmatrikel 1817)
 
Im Jahre 1824 gab es in Poppenhausen 118 Familien mit 996 "Seelen", "dabey etliche Juden". Eine weitere Nachricht aus dem Jahre 1830: "Poppenhausen, an der Hard, und beinahe im Mittelpunkt des Gerichts,……., mit 1 Zollstation, 111 Wohnh., 219 Fam., 1024 Seelen (ohne Am Stein und Diebsgraben), 1015 Kathol., 9 Juden (nur im Ortskern). Kath. Pf. Dec. Hammelburg,.., 2 Schulen, 3 Jahrmärkte" (Quelle: Statistisch-topographisches Handbuch für den Unter-Mainkreis des Königreichs Bayern, Nach zuverlässigen Quellen bearbeitet, von Anton Rottmayer, Würzburg, 1830, S. 352-354). 
 
 
Ansiedlung auf Territorien der Ritterschaften 
  

Wo die jüdischen Mitbürger wohnten, ist nur vereinzelt überliefert bzw. angedeutet. Als Schwerpunkt kann man aber sagen, dass ihre Häuser/Wohnungen in der Nähe des Marktplatzes lagen, also genau da, wo sich dereinst die ehemalige große Wasserburg der adeligen Rhöner und fränkischen Ritterschaften befand. Die Juden brachten durch das hohe Schutzgeld willkommene Einnahmen, sorgten für vielfältige Handelsstrukturen, waren Kreditgeber und Pfandleiher. Als Beispiel wozu die Stadt- und Landjudenschaft verpflichtet war, sei ein Vorgang aus dem Jahre 1808 angeführt, wo berichtet wird, das die Juden verpflichtet seien, "die Schreibfedern für die Regierungskanzleiarbeiten zu liefern" (HStAM 97 c Nr. 249)
    
Aus den Akten wissen wir, dass es in Poppenhausen zu bayerischer Zeit mindestens eine sogenannte "Judentauche", also ein rituelles Reinigungsbad (Mikwe) mit Quell- oder Grundwasser gab. Ihr hygienischer Zustand war Gegenstand behördlicher medizinischer Visitationen. In verschiedenen Berichten, so vom 11. Juli 1825 und 29. Mai 1835, wurde die Beseitigung der Mängel angemahnt und mit Schließungen gedroht. Der Physikus Dr. Lucas des Landgerichtes Weyhers beschreibt einen Teil der von ihm aufgesuchten Bäder als "kalte und finstere Gruben in feuchten Kellern mit stinckendem, trüben Wasser, worin Amphibien aller Art ihren Aufenthalt hatten". Die Mikwaot in Lütter, Weyhers und Poppenhausen mussten daraufhin zugemauert werden (StAM Bestand 112 d Gersfeld, Nr. 533)
 
 
Schwierige schulische Situation 
 
Zum Gottesdienst besuchte man die Synagoge in Schmalnau. Aufgrund einer königlichen Verfügung vom 7. Februar 1829 wurde für den Religionsunterricht der israelitischen Kinder ein Schulsprengel mit dem Schulsitz in Schmalnau gebildet. Aus Poppenhausen waren zwei Familien betroffen (StAM Bestand 112 b Nr. 830). Die Umsetzung zog sich aus finanziellen Gründen jedoch in die Länge. Erst 1832 war es vermutlich soweit, gleichzeitig wurde nach § 33 des Judenedikts die Einrichtung einer eigenständigen jüdischen Elementarschule beantragt, denn die jüdischen Kinder besuchten "christliche" Elementarschulen, dies war im Königlich-Baierischen Judenedikt von 1813 im § 32 so festgelegt worden. Die Schule in Schmalnau wurde von den 13 Juden aus Poppenhausen mit unterhalten, der Schulweg für ihre Kinder betrug 2 ½ Stunden. Es ist davon auszugehen, das sogenannte Judenpfade angelegt worden waren, auf denen die Juden hin- und herzogen. Da die Räume begrenzt waren, wurden die Kinder von 6 bis 9 Jahren, Dienstags und Donnerstags und die Kinder von 9 bis 12 Jahren am Montag, Mittwoch und Freitag ganztags unterrichtet (Werktagsschule). Die 12- bis 18-jährigen mussten danach noch fünf Jahre lang Samstags die dortige "Sabbatschule" aufsuchen. 1838 erscheint der israelitischer Religionslehrer Samson Berolzheimer in den Schmalnauer Juden Matrikel. Er verstarb am 17. August 1840 in Schmalnau im Alter von erst 47 Jahren. Von den Religionslehrern, die zugleich als Vorbeter und Schächter tätig waren, werden um 1862/1873 Abraham Weinstock und um 1884/1900 Lehrer J. Leopold genannt. In den Judenmatrikeln von Schmalnau erscheint der israelitische Religionslehrer Abraham Weinstock und seine Ehefrau Sara geb. Hecht aus Oberzell am 15. März 1852 bei der Geburt ihres 5.ten Kindes Mathilde, wohnhaft im Haus-Nr. 52 bzw. später im Haus Nr. 55 (ein Kind von ihm verstarb schon dort am 22. April 1851). 1873 wird der Religionslehrer Salomon Neumann gebürtig aus Geroldshausen mit Familie in Schmalnau genannt)
Über die jüdische Situation in Schmalnau berichtet ein Aufsatz aus dem Jahre 1839: "Hettenhausen, L. G.B. Weihers, 8 Familien, 64 Seelen, hat mit den benachbarten Ortschaften Schmalnau, Weihers, und Lutter gemeinschaftlich einen Religionslehrer, dessen Sitz in Schmalnau ist. In zehn Jahren hat die Gemeinde vier Matrikel verloren und nur ein einziger ist wieder besetzt worden. Diese wenigen, nicht armen Leuten, haben ein jährliches Schutzgeld von 26 fl. zu entrichten. Sie stehen unter keinem Rabbiner." 
(Quelle: Israelitische Annalen: Ein Centralblatt für Geschichte, Literatur und Cultur der Israeliten aller Zeiten und Länder, erschienen Frankfurt, M. Sauerländer, 1.1939 – 3.1841, (damit wöchentliches Erscheinen eingestellt) Heft 51 (20.12.1839), Seite 408, unter "Statistische Notizen (Die Juden in Unterfranken und Aschaffenburg betreffend)
Anm.: vorstehende Angaben waren mit Ausnahme des Schutzgeldes bei Veröffentlichung ein Jahr alt, es sind die Ortschaften aufgeführt, wo Juden wohnen. Es wird auch bemerkt, dass wo keine Elementarschule besteht, die jüdischen Kinder die christliche Volksschule besuchen und die christlichen Lehrer dafür honorieren müssen. 
  
Im Jahre 1874 wird berichtet, dass die jüdischen Kinder einmal wöchentlich nach Weyhers gingen, wo der Lehrer von Schmalnau den Religionsunterricht erteilte. Alle ansässigen Juden die bereits einen Schutzbrief aus vornapoleonischer Zeit besaßen, konnten sich in eine 1817 erstellte örtliche Matrikelliste (acht Stellen) eintragen, deren Stellenanzahl begrenzt war. Aber nur wer eine solche Stelle innehatte, besaß Wohnrecht, konnte Gewerbe betreiben oder Heiraten, kam auch in den Genuss des bayerischen Judenedikts von 1813, war aber noch kein vollständiges Bürgerrecht. Das die begehrten Matrikelstellen frei blieben, besagt wohl, das eine Ansiedlung in der Gemeinde für Juden wenig attraktiv war.
   
Die kleine jüdische Gemeinde Schmalnau, zu der auch die jüdischen Familien aus Weyhers, ztw. auch die aus Hettenhausen zählten, unterstand ab 1840 dem Distriktrabbinat Gersfeld (zu dem auch Poppenhausen gehörte), nach dessen Auflösung 1892 dem Provinzialrabbinat Fulda, mit Provinzialrabbiner Dr. Michael Cahn. Das Rabbinat in Gersfeld hatte Distriktsrabbiner Samuel Wormser (1807-1892) die ganzen 52 Jahre inne.
Gelegentlich ist in den eingesehenen Archivalien auch von Geschäftemachereien von Juden die Rede, so kann man in der Fuldaer Zeitung vom 2. September 1876 zu lesen: "Da etwa ein Jahr verflossen sind, seitdem die Güterschlächterei durch Handelsjuden in unserer Gegend so gute Fortschritte macht, so wäre jetzt ein kurzer Rückblick wohl am Platze. Obwohl ich nicht in größeren Kreisen bekannt bin, so sind mir doch während dieser Zeit mindestens 16 Fäll, etwa die Hälfte gehört zur Pfarrei Poppenhausen, bekannt geworden, in denen Anwesen von Juden gekauft und halb wieder mit einen hübschen Verdienst ganz oder stückweis verkauft oder vertauscht worden ….. ."  
  
  
Jüdische Personenstandsregister in den Jahren 1821 bis 1874 
  

Im Zuge der Säkularisation des Hochstifts Fulda 1803 war das ehemalige Fuldaer Oberamt Weyhers ebenfalls wie Gersfeld durch die Wiener Kongressakte 1815 im folgenden Jahr über Österreich an das Königreich Bayern gekommen. Das Gebiet war der Kreisregierung des Untermainkreises mit Sitz in Würzburg nachgeordnet (1837 wurde die Kreisregierung umbenannt und hieß nun Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg). Die nunmehrige politische Zugehörigkeit unserer Rhöndörfer wie Poppenhausen, Weyhers, Schmalnau, Gersfeld und Lütter zu Bayern dauerte bis zum 14. Januar 1867, als auf Grund des Ausgangs des Krieges zwischen dem Deutschen Bund und dem Königreich Preußen 1866 das bayerische Bezirksamt Gersfeld den siegreichen Preußen übergeben wurde. In den Jahren 1816 bis 1866 galt also hier die bayerische Gesetzgebung und dieser haben wir die jüdischen Matrikel zu verdanken.
    
Im Intelligenzblatt für den Unter-Mainkreis des Königreichs Baiern, Nummer 137, Dienstag 19. Dezember 1820 auf den Seiten 4067/4068 ist eine Verfügung der königlichen höchsten Kreisstellen (Königl. Regierung des Unter=Mainkreises, Kammer des Innern, Würzburg) im Namen seiner Majestät des Königs vom 4. Dezember 1820 abgedruckt, in der genaue Verzeichnisse "über die Geburts-, Trauungs- und Sterbefälle, dann über die Verehelichungen der Juden und Mennoniten überhaupt" von den betreffenden Pfarrämter, als unumgänglich, angeordnet werden, wobei die Kosten für die Fertigung der Bücher und die Eintragungen von den im Pfarramtsbezirk wohnenden Juden und Mennoniten zu tragen waren. Die Register wurden also in der Regel von den christlichen Kirchen der jeweiligen Mehrheitskonfession am Ort geführt, was im Unter-Mainkreis mehrheitlich die katholischen Pfarrämter betraf. Diese jüdischen Standesregister stellen in der Geschichte eine zentrale Quellenlage dar. In ihnen wurden nach Wohnort bzw. zuständigen jüdischer Gemeinde Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle sowie die Wohnungen mit Hausnummern erfasst, bevor in ganz Deutschland ab 1. Oktober 1874 die staatlichen Standesämter mit dieser Aufgabe betraut wurden.
   
Im zu betrachtendem Gebiet haben sich folgende Judenmatrikel aus der Zeit von 1821 und 1874 erhalten:
- Schmalnau: "Juden Matrikel laufend / Geburts-Register der Juden-Familien zu Schmalnau" (Signatur: Kath. Pfarramt Schmalnau B/15, befindet sich im Bistumsarchiv Fulda).
- Weyhers: in: "Pfarrei Dietershausen / Geburts-, Trauungs- u. Sterbe-Register der in der Pfarrei Dietershausen wohnenden Juden" (ohne Signatur, befindet sich im Bistumsarchiv Fulda).
- Lütter an der Hard: "Jahr 1821 Geburts-, Trauungs- und Sterberegister der Juden in Lütter Angefangen" (Signatur: Kath. Pfarramt Lütter B Nr. 6 I, befindet sich im Bistumsarchiv Fulda).
Anm.: Für jeden Eintrag durfte der Pfarrer die Gebühr von 10 Kreuzer erheben.
- Für Poppenhausen (Wasserkuppe) findet sich kein entsprechendes Judenregister. Warum, kann hier nicht angegeben werden. Vielleicht war die Anzahl der hier lebenden Juden zu gering, oder die Archivalie ist verlustig gegangen bzw. konnte noch nicht aufgefunden werden. In den Matrikeln der katholischen Pfarrei Poppenhausen sind die jüdischen Mitbürger bei den Geburten, Heiraten und Sterbefälle jedenfalls nicht aufgeführt. Bei den Registern der staatlichen Standesämter, die am 1. Oktober 1874 ihre Tätigkeit aufnahmen, finden sich indes entsprechende Eintragungen.
   
Einige wenige Einträge, die Poppenhausen in irgend einer Form betreffen, sind in den Matrikeln von Schmalnau, Lütter und Weyhers enthalten, und werden in dieser Niederschrift angesprochen:  
- Wenn wir die jüdischen Matrikeln von Lütter zu Hand nehmen, finden wir den Eintrag, dass ein Baruch Schildmann am 25. März 1836 mit einer Rachel Katz die Ehe eingegangen war. Sie war eine Tochter der verstorbenen Abraham und Rikel Katz von Poppenhausen. Das Glück des Ehepaares, das in Haus-Nr. 33 wohnte, dauerte jedoch nicht lange, denn der 52jährige Baruch Schildmann verstarb schon am 11. Juli 1836 an "Schlagfluß". Eine ledige Schwester der Ehefrau Rachel, Jettel Katz, von Poppenhausen gebürtig, starb am 31. Januar 1847 "in einem angeblichen Alter von 48 Jahren" an "Herzwassersucht" in Lütter. Sie wohnte bei ihrer Schwester Rachel in Haus-Nr. 33; diese wiederum verstarb am 29. März 1858 infolge Lungenentzündung "im angeblichen Alter von 62 Jahren".   
- In den jüdischen Registern der kath. Pfarrei Dietershausen findet sich der Eintrag von der Trauung des Jüngling Maram(?) Buxbaum, ehemaliger Sohn des Löw Buxbaum und seiner Ehefrau Liebert geborene Lamm von Weyhers am 3. Mai 1848 mit der Jüngsten Berta Goldstein von Poppenhausen eheliche Tochter des Vieh-Feibel Goldstein von Nußbach u. der verfl. Bukle geb. Bacharach (?) von Poppenhausen in Weyhers durch den Rabbiner. Trauzeugen waren der Lehrer Springstock von Weyhers und Isaak Rosengarten in Weyhers.
  
  
"Haus der Ewigkeit" der Verstorbenen aus Poppenhausen in Weyhers  
  

Die Toten der hessischen Rhön mit Ausnahme Bereich Tann wurden auf dem jüdischen Friedhof bei Weyhers beigesetzt. Die festgestellte Belegungszeit bei den 612 vorhandenen Grabsteinen (Zahl muss nicht bindend sein, da im alten Teil, bis vor kurzem in Privatbesitz, nicht alle sichtbar) datiert zwischen 1720 bis Juni 1941 (vgl. https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsrec/current/2/sn/jfh?q=Weyhers).  
Von den untersuchten Grabsteinen auf dem Friedhof Weyhers sind drei von Juden aus Poppenhausen:
- 1. Grab Nr. 067 (lfd. Nr. 545) > Rechel, die Frau des Abraham Tow; gest. 25. März 1817; (Anm.: nach neueren Erkenntnissen wird diese Lütter zugeordnet)
- 2. Grab Nr. 115 (lfd. Nr. 501) > Naftali Segal (Sg"L), Sohn des Chawer Moses ha-Levi; gest. 15. Nov. 1852;
- 3. Grab Nr. 186, 5. Reihe Grab 9 (lfd. Nr. 279) > Aaron Levi, Sohn des Chawer Moses ha-Levi; gest. im hohen Alter, am 4. Mai 1848.
Anm.: zu 2./3.: Das Kürzel - Sg"L - und der Ausdruck - ha-Levi – bedeuten, das es sich bei den Personen um hochgeachtete echte Leviten handelt. Sie nennen nach ihrem Stammvater Levi und zählen zu den zwölf Stämmen Israels die nach dem 5. Buch Mose von den Söhnen Jakobs abstammen.
- Möglicherweise stammt auch die am 1. Januar 1842 verstorbene Preinche, Tochter des Benjamin Grab Nr. 76 aus Poppenhausen (Abkürzung "P"H"). 
In einem 1936 aufgenommenen Gräber-Verzeichnis erscheint mit Aaron Levi, nur einer der obigen drei Namen, aber weitere elf bestattete Männer (bei zwei mit Fragezeichen!), Frauen und Kinder3.
   
Anmerkung 3: HHStAW Bestand 365 Nr. 803 (365 Judenregister aus hessischen Gemeinden)
Bezeichnung: Jüdische Personenstandsregister von Weyhers (Ebersburg) Titel: Gräberverzeichnis des jüdischen Friedhofs in Weyhers (Ebersburg), aufgenommen 1936 von Jacob Leopold, Lehrer in Ingolstadt Laufzeit 1858-1935 (1936) Enthält Verzeichnis der Verstorbenen, geordnet nach Gräberfeldern und Grabnummern auf dem jüdischen Friedhof in Weyhers Enthält auch: Gersfeld/Rhön / Hettenhausen (Gersfeld/Rhön) / Lütter (Eichenzell) / Poppenhausen/Wasserkuppe / Schmalnau (Ebersburg) / Wüstensachsen (Ehrenberg).

  
  
Aufstellung: Jüdischer Friedhof Weyhers 
   

Alte Reihe:  
8) Gerschen Nachname auf Hebräisch von Poppenhausen 
9) Jakob Nachname auf Hebräisch von Poppenhausen (mit Fragezeichen)
10) Michel Weinstock (mit Fragezeichen)
Männer-Gräber (5. Reihe)
9) Ahron Poppenhausen
Männer-Gräber (7. Reihe)
12) Herschche Nachname auf Hebräisch von Poppenhausen
13) Leimeh von Poppenhausen
Frauen-Gräber 1. Reihe
6) Punle Frau von Feiwel Nachname auf Hebräisch von Poppenhausen
7) Frau von Herschjeh von Poppenhausen
Frauen-Gräber4. Reihe
7) Breinche Tochter von Wolf von Poppenhausen
9) Gitel Frau von Kalman von Poppenhausen
Kinder-Gräber 3. Reihe
5) Kind v. Jude 1876 Poppenhausen
6) Kind v. Jude 1878 Poppenhausen
Anmerkung: durchgesehen: wurden die Zweitschriften ab 1. Oktober 1874: Standesamt Poppenhausen Geburtennebenregister 1874, 1875, 1876, 1877, 1878, 1879, 1880, 1881, 1882;
ab 1. Oktober 1874: Standesamt Poppenhausen Sterbenebenregister 1874, 1875, 1876, 1877, 1878, 1878, 1879, 1880, 1881, 1882; Heiraten erst ab 1907 einsehbar.
In einem weiteren Gräberverzeichnis des jüdischen Friedhofs in Weyhers der Jahre 1900 bis 1936 (HHStAW Abtl. 365, Nr. 804) taucht der Name Poppenhausen nicht mehr auf. 

  Grabstein von Grab Nr. 186: Aaron Levi, Sohn des Chawer Moses ha-Levi aus Poppenhausen;
am 4. Mai 1848 im hohen Alter verstorben. Der hebräische Schriftzug "POPENHOISN" befindet sich unten in der letzten Zeile rechts. 
Foto: Michael Mott 

Die jüngste Bestattung: "ein namenloses jüdisches Kind" datiert aus dem Jahre 1878. Dank den standesamtlichen Poppenhausener Geburts- und Sterberegistern wissen wir, dass es sich um Leopold Katzenstein aus Poppenhausen Haus Nummer 105 handelt, ein Sohn des Kaufmanns Juda Katzenstein und dessen Ehefrau Amalia geb. Riehsmann, welcher am 15. Februar 1878 im Alter von einem Jahr und fünf Monaten "in eigener Behausung", nachmittags um 10 Uhr (22 Uhr) verstorben war (HStAMR Bestand 904 Nr. 7829: Standesamt Poppenhausen Sterbenebenregister 1878, Nr. 8). Geboren war Sohn Leopold am 23. September 1876, nachmittags um neun Uhr (21 Uhr) in der Wohnung der Katzensteins Haus Nr. 105, heute Burgstraße 9 (HStAMR Bestand 904 Nr. 7741: Standesamt Poppenhausen Geburtsnebenregister 1876 Nr. 79).
Auch die Identität des zweiten zwei Jahre früher verstorbenen "namenlosen" Kindes konnte geklärt werden. Es handelt sich ebenfalls um eine Sohn der Kaufmannsfamilie Katzenstein und um den älteren Bruder von Leopold, der am 26. August 1875, nachmittags um fünf Uhr zu Hause das Licht der Welt erblickte und den Vornamen David erhalten hatte (HStAMR Bestand 904 Nr. 7740: Standesamt Poppenhausen Geburtsnebenregister 1875 Nr. 52). Auch diesem Kind war nur ein kurzes Leben beschieden, denn es verstarb bereits am 3. Januar 1876 im Alter von vier Monaten (HStAMR Bestand 904 Nr. 7827: Standesamt Poppenhausen Sterbenebenregister 1876 Nr. 5).   

  Links: Der Geburtseintrag im Geburtsnebenregister des Standesamtes Poppenhausen betr. Leopold Katzenstein, Sohn des Kaufmanns Juda (Jehuda) Katzenstein und dessen Ehefrau Amalia (Malchen) geb. Riehsmann, welcher am 23. September 1876 in der Wohnung der Katzensteins Haus Nr. 105, heute Burgstraße 9, das Licht der Welt erblickte.
Foto: Michael Mott 

Ein anderer Sohn des Ehepaares war Jakob * um 1874 (vor Oktober 1874, wohl Poppenhausen), gest. an einer tückischen Krankheit 15. April 1896 (Schmalnau), ebenfalls in Weyhers bestattet. 
  
  
Die letzten Juden verlassen kurz nach 1885 Poppenhausen 
  

Einer Einwohnerstatistik von 1885 zufolge, hatte Poppenhausen 825 Einwohner, davon 7 evangelisch (= 0,85 %), 817 katholisch (= 99,03 %), 1 jüdisch (= 0,12 %) (Quelle: Hist. Gemeindeverzeichnis für Hessen: 1. Die Bevölkerung der Gemeinden 1834-1967). Kurz darauf (nach 1885) hat der letzte jüdische Mitbürger Poppenhausen verlassen, und zwar nach Schmalnau, andere sind zuvor in andere Orte bzw. Städte verzogen oder auch ausgewandert. In der Pfarrbeschreibung vom 19. Mai 1891 ist unter den 2.344 Seelen kein jüdischer Einwohner mehr aufgeführt, wie auch in einem 1900 begonnenen Weyherser Gräberverzeichnis. Man kann mit einiger Sicherheit annehmen, dass die Familie Katzenstein, die letzte Familie war, die dem Marktflecken den Rücken kehrten. Und wir wissen auch wohin, denn sie tauchen fortan wieder in Schmalnau auf, wo sich ihre Synagoge befand und auch Juda Katzenstein geboren war.
   
Dem 1884 erschienene "Allgemeines Lexikon sämmtlicher jüdische Gemeinden Deutschlands" kann man entnehmen: Schmalnau Hessen-Nassau Post Hettenhausen 684 Einwohner 1 Synagoge 1 Cantor, G. a. = Gottesdienst wird nach altem Ritus abgehalten. Nachbarort Weyhers ist nicht aufgeführt. In Schmalnau sind Juda Katzenstein am 5. März 1923, seine Ehefrau Amalie Katzenstein am 22. Nov. 1927 verstorben. Beide sind auf dem jüdischen Friedhof in Weyhers in der 3. Reihe Grab 25 (466) und Grab 26 (467) begraben. In der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. März 1923, wird mit Datum vom 10. März (1923) aus Schmalnau berichtet, dass der hochgeschätzte Senior der Gemeinde, Katzenstein, im 80. Lebensjahre bald nach Purim verstorben sei. Vor zwei Jahren sei es ihm noch vergönnt gewesen, mit seiner Gattin die Goldene Hochzeit zu begehen. Zu den Trauernden gehörten seine "greise" Gattin, sein einziger Sohn (ein treues Mitglied der israelitischen Religionsgemeinschaft Frankfurt am Main), und zahlreiche Enkel. 
    
Zur Familie Katzenstein in Schmalnau geben die dortigen jüdischen Register weitere Auskunft. Danach war Juda Katzenstein der zweite uneheliche Sohn der ledigen Schönle Katzenstein aus Schmalnau Haus-Nr. 34, geboren am 18. März 1843. Auch dessen Heirat ist vermerkt: "Juda Katzenstein Kaufmann israelit. Schmalnau Hs.-Nr. 12, Eltern: Hanette Katzenstein verehelichte Kaufmann, ledig / honestus, geboren: 18. März 1843 Schmalnau, Trauung 28. Juli 1871 Synagoge dahier; Braut: Amalie Riehsmann Fabrikantentochter israel. aus Stadtlengsfeld Großherzogtum Weimar, Eltern: Seligmann Giesch Rießmann Jettchen geb. Ullmau(?) ledig pudica, * 1847 7. Sept. zu Stadtlengsfeld, Trauung Distriktsrabbiner Wormerser zu Gersfeld, Zeugen: Lehrer Weinstock zu Schmalnau, Fina Blüth aus Stadtlengsfeld.
Auch der erste Sohn des Ehepaares namens Siegmund Hermann wurde in Schmalnau geboren. Der entsprechende Eintrag: "Katzenstein, Siegmund Hermann Hs-Nr. 12, 1ten eheliche und männliche Geburt des Juda Katzenstein, Kaufmanns z.Z. wohnhaft in Poppenhausen und seiner Ehefrau Amalie Reismann v. Stadtlengsfeld geboren den 22ten April 1872 Morgens 4 Uhr in Hs-Nr. 12 dahier, Hebamme Laura Leibold, die Beschneidung wird erfolgen Montag den 29. April durch David Grünspecht von Wüstensachsen."     

   Links: Der Geburtseintrag von Siegmund Hermann Katzenstein am 22. April 1872. Die Geburt des Erstgeborenen erfolgte in Schmalnau, wo sich die Ehefrau Amalie Katzenstein bei Verwandten aufgehalten hatte. Vater Juda Katzenstein wird zu diesem Zeitpunkt als in Poppenhausen wohnhaft bezeichnet, wo auch die beiden dritten und vierten Söhne David und Leopold geboren (und gestorben) sind. Der zweite Sohn Jakob ist vermutlich auch in Poppenhausen geboren ("Juden Matrikel laufend / Familien zu Schmalnau", Signatur: Kath. Pfarramt Schmalnau B/15, befindet sich im Bistumsarchiv Fulda).  Foto: Michael Mott.  

Gelegentlich trifft man dennoch später auf Juden mit Grundbesitz in Poppenhausen, so 1909 auf den Fuldaer Kaufmann Salomon Weinberg, welcher die ehemalige Gaststätte und Brauerei "Oberwirths" (Haus-Nr.1)von Schmiedemeister Richard Müller übernahm. Nach der Teilung des Grundstücks 1911 wurde Müller wieder Eigentümer der Haus-Nr. 1, während der andere Teil (jetzt Nr. 1 ½) an Schneider Reinhard Schäfer fiel.
    
Festzustellen ist, das kein einziger in Poppenhausen (Wasserkuppe) geborene oder auch wohnender Jude im vom Bundesarchiv herausgegebenen Gedenkbuch der Opfer der Verfolgung der Juden der nationalistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 aufgeführt ist, neben der Ermordung vermutlich auch nicht Opfer von Ausgrenzung, Beraubung, Vertreibung und Deportation.   

      Gebäude Burgstraße 9: In diesem Gebäude Haus-Nummer 105 nahe dem Marktplatz in Poppenhausen, haben mit der Familie Katzenstein die letzten jüdischen Mitbürger im Ort gewohnt, hier die Vorder- und Rückseite.
Fotos: Michael Mott 

     
     
Wo befand sich das jüdische Bethaus und das Frauenbad?
   

In Nachrichten über die jüdische Gemeinde Schmalnau wird mehrmals erwähnt, dass vor allem Herr Katzenstein "noch zu den wenigen Gesetzestreuen gehört, die unser jüdisches Gemeindeleben aufrecht erhalten haben, er habe, solange er gesundheitlich in der Lage war, niemals einen Gottesdienst, oder ein "Minjan" (Zahl der zum Gottesdienst notwendigen Zahl von zehn religionsmündigen Männern), versäumt hat".
Dies legt die Vermutung nahe, dass die Familie Katzenstein vordem in Poppenhausen auch ein "Bethaus" unterhielt, und auf dem Grundstück sich dereinst möglicherweise ein rituelles Frauenbad (nahe des Baches "Haardt") befand. 
Wohnhaft war die Familie im Anwesen Haus-Nummer 105, heute Burgstraße Nr. 9. Auch nach dem auf dem hinteren Grundstück, wo dereinst eine kleine Landwirtschaft untergebracht war, inzwischen ein neues Wohngebäude (Haus-Nr. 9a) errichtet wurde, kann man hinter dem alten Vorderhaus einige kleine Anbauten vorfinden, die beim Verfasser zur Vermutung jüdischer Relikte führten.
Der Hausname des Anwesens ist "Öngernüdlings" (Unternüdlings / Nüdling = Familienname), was keinerlei Hinweise enthält. Es sind aber noch einige Archivalien einzusehen, die nicht im Internet als Digitalisat präsent sind. Auf einem Ortsplan von 1852, der früher im Bürgermeisteramt an der Wand hing und wo in rot spätere durchgeführte baulich Maßnahme akkurat eingezeichnet sind, werden keine Baumaßnahmen ersichtlich.
In der vorläufigen Liste der Denkmaltopographie des Altkreises Fulda, die endlich der Vollendung entgegengeht, ist das Gebäude nicht als denkmalwürdig aufgeführt. Der Verfasser wird nun alle infrage kommenden Stellen, von der Archäologie, Untere Denkmalschutzbehörde, Inventarisierung LAfD Wiesbaden bis hin zum jüdischen Kultus informieren. Wobei die Einstufung als schützenswertes Baudenkmal, schon allein als dem letzten Haus in Poppenhausen, wo Juden gewohnt haben, aus geschichtlichen Gründen m.E. begründet werden kann. Das Gebäude mit ortsbildprägendem Charakter ist bewohnt.
   
    

     
Links und Literatur   

Links:  

bulletWikipedia-Artikel zu Poppenhausen:   https://de.wikipedia.org/wiki/Poppenhausen_(Wasserkuppe)     

Literatur / Quellen:  

bulletDirk Rosenstock: Die unterfränkischen Judenmatrikel von 1817: eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, S. 253, Würzburg 2008 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg, Bd. 13), ISBN 978-3-87717-797-6.
bulletStaatsarchiv Marburg: Bestand 91 Nr. 388 (91 Weltliche Regierung, Judensachen): Verzeichnis der sämtlichen Juden mit ihren Weibern, Kindern und ihren Dienstboten nebst der Vermögensangabe der Residenzstadt Fulda, Laufzeit 1801).
bulletMichael Imhof: Juden in der Rhön / Jubiläumsausgabe 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland; Michael Imhof Verlag, Petersberg. Juli 2021, ISBN 978-3-7319-1176-0. 
bulletMichael Mott: Zur Geschichte der Juden in Poppenhausen/Wasserkuppe. In: Fuldaer Geschichtsblätter, Zeitschrift des Fuldaer Geschichtsvereins 2021. Jahrgang 97/2021. Fulda 2022. S. 157-178. 
 
 

                   
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Stand: 30. Juni 2020