Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Merzhausen mit Willingshausen und Schrecksbach 
(Gemeinde Willingshausen, Schwalm-Eder-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer 
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde   
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen  
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen      
bullet Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte     
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)    
   
In Merzhausen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/40. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18. Jahrhunderts zurück. 1646 gab es 5 jüdische Haushaltungen am Ort, 1744 bereits 10. 
In Willingshausen lebten gleichfalls spätestens im 18. Jahrhundert jüdische Familien. So erfährt man 1743 von einem Textilienhändler Eysermann Levi aus Willingshausen.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1837 72 jüdische Einwohner (11,4 % von insgesamt 633), 1861 75 (10,6 % von 710), 1871 61 (8,9 % von 683), 1885 36 (5,3 % von 674), 1905 45 (6,0 % von 748). Zur Gemeinde in Merzhausen gehörten auch die in Willingshausen und Schrecksbach lebenden jüdischen Personen. Dabei wurden gezählt: in Willingshausen 1842 30 jüdische Einwohner (von insgesamt 645 Einwohnern), 1861 45, 1905 27; in Schrecksbach 1835 10 jüdische Einwohner, 1861 27, 1905 6. Die jüdischen Familien lebten überwiegend vom Textilhandel. 
  
Die Mehrzahl der jüdischen Familien in Merzhausen lebte zunächst in der heute noch sogenannten "Judengasse".  
 
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule (1833/36 bis 1878/79 und wieder seit 1886 bis 1932 Israelitische Elementarschule), ein rituelles Bad (im ehemaligen Haus Nr. 61, abgebrochen) und ein Friedhof. Die Israelitische Elementarschule wurde 1833 bzw. 1836 eingerichtet, jedoch 1878/79 wieder geschlossen, da die Gemeinde durch Verarmung das Gehalt des Lehrers nicht mehr aufbringen konnte. 1886 (siehe Ausschreibungstext unten) wurde die Elementarschule wieder eröffnet, nachdem es damals wieder 20 Schulkinder gab. An jüdischen Lehrern sind bekannt: Geisel Rothschild (um 1868), Manasse Blumenthal (um 1873), Nathan Ehrenreich (1886/87 bis 1891, danach in Wehrda und Langenselbold), Marcus Rapp aus Eiterfeld (1891 bis 1912, siehe Bericht unten), Jakob Schiratzki (Schiratzky; 1913 bis 1927, vgl. Mitteilung von 1912 und Bericht zum Tod von Bertha Plaut; danach wechselte Lehrer Schiratzki nach Reichensachsen), Lehrer Stern (nach 1927, vgl. unten Berichte zum Tod von David Plaut und Jonas Spier). Die jüdischen Lehrer waren zugleich Vorbeter und Schochetim (Schächter) der Gemeinde. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg.  
  
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Leopold Lippmann gen. Spier (gef. 1.10.1915).   
 
Um 1924, als zur jüdischen Gemeinde noch 35 Personen gehörten (in 14 Haushaltungen, 4,75 % von insgesamt etwa 800 Einwohnern, dazu 21 Personen in Willingshausen und 5 in Schrecksbach), war der Gemeindevorsteher David Plaut. Als Lehrer und Kantor war der bereits genannte Jakob Schiratzki tätig. Er unterrichtete 1924 acht schulpflichtige jüdische Kinder in der Israelitischen Konfessionsschule. An jüdischen Vereinen gab es den Wohltätigkeitsverein Chewras Gemilus Chassodim (1924/32 unter Leitung von Wolf Spier) und den Israelitischen Männerverein. 1932 war Gemeindevorsteher Abraham Plaut (Willingshausen). Im Schuljahr 1931/32 besuchten nur noch sieben Kinder die Israelitische Konfessionsschule. 1932 wurde die israelitische Konfessionsschule aufgelöst (Bericht).     

1933 lebten noch 20 jüdische Personen in Merzhausen (in 7 Familien, 2,4 % von insgesamt 838 Einwohnern; dazu eine jüdische Familie in Schrecksbach und fünf Familien in Willingshausen). In den folgenden Jahren ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts sowie der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Einige Familien konnten in die USA und nach Palästina emigrieren, andere verzogen in andere Orte in Deutschland. Letzter Gemeindevorsteher war bis zur Auflösung der Gemeinde Abraham Plaut. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge teilweise zerstört (siehe unten). 1939 wurden noch neun jüdische Einwohner gezählt. Die meisten von ihnen wurden in Vernichtungslager deportiert.
  
Von den in Merzhausen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"):  Betty Blach geb. Spier (1896), Rosa Frühauf geb. Spier (1908), Jettchen Heilbrunn (1879), Moses Kaufmann (1873), Giedel Oppenheimer geb. Spier (1861), Sally Rothschild (1865), Adolf Spier (1894), David Spier (1895), Emma Spier geb. Oppenheimer (1904), Gitta Spier (1935), Helmar Spier (1906), Hermann Spier (1899), Jeanette Spier geb. Rothschild (1856), Jenni Spier (1898), Julius Spier (1879), Leopold (Liebmann) Spier (1862), Samuel Spier (1901), Walter Spier (1907), Willi Spier (1891), Willi Spier (1896), Hans Siegbert Stern (1928), Ida Stern geb. Schirling (1876). 
   
Von den in Willingshausen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Betti Kugelmann geb. Plaut (1884), Selma Menke geb. Plaut (1896), Selma Nathan geb. Plaut (1882), Abraham Plaut (1873), David Plaut (1898), Franziska Plaut geb. Buchheim (1882), Walter David Plaut (1908), Moses Spier (1878), Willi Spier (1889), Toni Stein geb. Spier (1894).   
   
Von den in Schrecksbach geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Rebekka Bodenheimer geb. Spier (1868), Therese Luise Böttcher geb. Spier (1886); ergänzt zu diesen Listen: Hermann Spier (1885). 
    
Von den Überlebenden kam Salomon Spier 1945 aus Theresienstadt nach Merzhausen zurück; er starb jedoch bereits 1947 an den Folgen der erlittenen Misshandlungen und wurde im jüdischen Friedhof in Merzhausen beigesetzt. Sein Haus ist erhalten (siehe Foto unten). In den 1960er-Jahren lebte noch Rudolf Spier in Merzhausen (war mit einer Christin verheiratet, kam 1945 noch ein paar Monate in ein KZ, das er überlebt hat; kam nach Merzhausen zurück und ist 1974 gestorben).
       
       
       
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
       
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1886 / 1891 

Merzhausen Israelit 25101886.jpg (74089 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Oktober 1886: "Bekanntmachung. Bewerber um die neu begründete israelitische Elementarlehrer- und Vorsängerstelle in Merzhausen, im Kreise Ziegenhain, mit welcher neben freier Dienstwohnung und Feuerung ein fixes Gehalt von jährlich 750 Mark verbunden ist, werden aufgefordert, ihre Meldungsgesuche, mit den erforderlichen Prüfungs- und Führungszeugnissen versehen, binnen 3 Wochen bei der unterzeichneten Behörde einzureichen. 
Bemerkt wird, dass der Lehrer verpflichtet ist, 2mal wöchentlich den Religionsunterricht in Schrecksbach zu erteilen. Marburg, den 5. Oktober 1886. 
Israelitisches Vorsteher-Amt. Dr. Munk."
Auf diese Ausschreibung hin bewarb sich erfolgreich Lehrer Nathan Ehrenreich.   
Merzhausen Israelit 07051891.jpg (57949 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Mai 1891: "Die israelitische Elementarlehrer- und Vorsängerstelle zu Merzhausen im Kreise Ziegenhain, mit welcher neben freier Dienstwohnung und freier Feuerung ein kompetenzmäßiges Gehalt von jährlich 750 Mark verbunden ist, kommt zum 1. Mai dieses Jahres zur Erledigung. Geeignete Bewerber um dieselbe werden aufgefordert, ihre mit den nötigen Prüfungs- und Führungszeugnissen versehenen Meldungsgesuche innerhalb drei Wochen bei unterzeichneter Behörde einzureichen. 
Marburg, 21. April 1891. Israelitisches Vorsteheramt: Dr. Munk."   
Auf diese Ausschreibung hin bewarb sich erfolgreich Lehrer Markus Rapp aus Eiterfeld.  

   
"Gedenkblatt" für Lehrer Nathan Ehrenreich (1928, 1886/87 - 1891 Lehrer in Merzhausen)  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juli 1928: "Ein Lehrerveteran. Ein Gedenkblatt, gewidmet von seinem früheren Schüler. Lehrer S. Freudenberger.   
Mit den besten Wünschen verließ der emeritierte Lehrer, Herr Nathan Ehrenreich - Langenselbold, seinen langjährigen Wirkungskreis, um seinen Lebensabend im Kreise seiner Söhne in der Reichshauptstadt zu verbringen. Ehrenreich war stets ein Musterlehrer, eine sehr bescheidene, selbstlose Persönlichkeit, ein Charakter ohne Falsch und Tadel.   
Nachdem Ehrenreich im Jahre 1883 das jüdische Lehrerseminar in Würzburg verlassen hatte, wurde er zum Präparandenlehrer an der Talmud-Thora-Schule in Höchberg ernannt. Nach vierjähriger Tätigkeit an der Talmud-Thora-Schule wurde ihm von der Königlichen Regierung in Kassel die Volksschullehrerstelle in Merzhausen (Rabbinat Marburg) übertragen. Schüler von ihm, die heute als Direktoren von Waisenhäusern und als Lehrer wirken, bestätigen, mit welch unermüdlichem Fleiße und Geschicke er hier seines Amtes gewaltet. Von 1891-1901 wirkte Ehrenreich als Volksschullehrer und Vorsänger in Wehrda Kreis Hünfeld. Hier gründete der pflichteifrige Lehrer einen Literatur- eigentlich Lernverein; mit vielen Kosten legte er hier einen Eruw an, der heute noch vorhanden ist. Als im Jahre 1901 die viel umworbene Lehrerstelle in Langenselbold vakant war und bereits ein anderer Lehrer von der Regierung seine Bestätigung erhalten, eilte der verstorbene Provinzialrabbiner Dr. Salomon Bamberger - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - in die Provinzialhauptstadt, um die Annullierung des Regierungsbeschlusses zu erwirken und die Anstellung Ehrenreichs durchzusetzen. In Langenselbold war der Höhepunkt seines rastlosen Wirkens. Hier streute er reichen Samen aus, der zu schönster Frucht sich entfaltete. Besonders viel Anerkennung verschafften ihm seine interessanten, belehrenden Vorträge, die er allwöchentlich nach Schluss des Gottesdienstes hielt. Darf man sich wundern, dass dem so erfolgreich Wirkenden so viele Freunde erwuchsen, weit über den Kreis seiner Gemeinde hinaus. Möge ihm ein glücklicher Lebensabend beschieden sein!"   

      
40-jähriges Dienstjubiläum von Lehrer Markus Rapp (1931; 1891 bis 1912 Lehrer in Merzhausen)   

Merzhausen Israelit 08101931.jpg (54028 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Oktober 1931: "Kirchhain, 5. Oktober (1931). Am 1. Oktober jährt sich zum 40. Male der Tag, an dem Herr Lehrer Markus Rapp in das Schulamt eintrat. 21 Jahre wirkte er in Merzhausen, 19 Jahre in Kirchhain. Durch sein liebenswürdiges, zuvorkommendes Wesen erfreute sich Herr Rapp allgemeiner Wertschätzung. Seine Schüler lieben und verehren ihn, seine Kollegen schätzen und achten ihn. Alle vereinen sich in dem Wunsche, dass es dem Jubilar vergönnt sein möge, noch lange zum Wohle seiner Gemeinde in Gesundheit und Rüstigkeit wirken zu können."   

  
Lehrer Markus Rapp wechselt nach Kirchhain (1912)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom  18. Oktober 1912: "Merzhausen. Lehrer M. Rapp dahier wurde von der Gemeinde Kirchhain gewählt und von der Regierung bestätig. Herr Rapp, der hier 21 Jahre gewirkt hat, erfreute sich nicht allein bei den Gliedern seiner Gemeinde, sondern auch bei der übrigen Bevölkerung großer Beliebtheit, weshalb sein Scheiden allgemein bedauert wird."         

  
Zum Tod des Lehrers Markus Rapp (1936; 1891 - 1912 Lehrer in Merzhausen)  
Anmerkung: Lehrer Markus Rapp ist am 18. Juli 1870 in Eiterfeld geboren. Er war verheiratet mit Lina geb. Spier (geb. 27. Februar 1876 in Merzhausen, gest. 10. Mai 1919 in Kirchhain) und nach deren frühem Tod mit Frieda geb. Bachenheimer (geb. 5. November 1876 in Kirchhain, gest. 1971 in New York, USA). Aus der ersten Ehe entstammten die Kinder Johanna, Sophie, Käthe, Leo, Berthold, Fred Schraco und Ilse. Markus Rapp starb am 23. Dezember 1936 in Frankfurt. Zur Familie siehe https://www.geni.com/people/Markus-Rapp/6000000001787614178.      

Merzhausen Israelit 07011937.jpg (209485 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Januar 1937: "Lehrer Markus Rapp. Das Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Wir freuten uns, als Lehrer M. Rapp zu uns kam, um seine wohlverdiente Ruhezeit in unserer Kehilla (Gemeinde; vermutlich Frankfurter Gemeinde gemeint) zu verbringen. Wir hatten ihn in kurzer Zeit alle so ungemein lieb gewonnen; waren wir doch mit ihm eng verbunden in jeder Lernstunde, bei jedem Vortrag unserer Vereine, bei jeder Gelegenheit, die sich für gemeinsame geistige Arbeit bot. Da sahen wir den stattlichen Mann auf seinem Platze, mit strahlendem Gesicht, ganz hingegeben dem Gegenstand, als wollte er an einem schönen anregenden Lebensabend noch manches nachholen, was er vielleicht in jungen Jahren versäumt hatte. Nun ging er von uns und wir weinen um ihn, als wäre er stets der unsrige gewesen. 
Aus dem Kurhessischen, wohin die geistige Sphäre des alten Fuldaer Raw – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – noch hinreichte, entstammte Markus Rapp, und schon früh wandte sich der Knabe, der Leidenschaft seines Herzens folgend, der jüdischen Lehre und dem Lehrerberuf zu. In und nach der Seminarzeit war es stets sein Bestreben, sich mehr und mehr jüdisches Wissen anzueignen. Dann trat er in den Beruf und fand ein weites Feld, um als Volksschullehrer und zugleich Religionslehrer und Vorbeter für Tora und Wahrheit zu wirken und kleineren Gemeinden, die damals noch im Blühen waren, den geistig gesunden Nachwuchs zu sichern. 
Zwanzig Jahre wirkte Lehrer Rapp in Merzhausen, nahezu dreiundzwanzig weitere Jahre in Kirchhain, nicht nur in der Schule, sondern als Lehrer auch der Großen, als Verbreiter jüdischen Wissens und jüdischer Ideale für Alt und Jung. Er war der Vater seiner Gemeinde, Freund eines jeden Einzelnen, und ein väterlich mahnendes Wort aus seinem Mund genügte, um Widersetzlichkeiten und Zwistigkeiten im Keime zu ersticken. Ein Förderer des Friedens war er, aber nicht des schwächlichen Friedens auf Kosten der Treue und Wahrheit, sondern ein Verfechter und Vertreter des Torafriedens im besten Sinne. 
Sechs Kinder entstammten aus diesem Lehrerhause, vier Töchter und zwei Söhne, die zum Teil, in Amerika und auch in Frankfurt, Häuser ganz im Geiste des Vaters führen. Mit ihnen beweint die Gattin, die den Kindern aus erster Ehe eine wahre, liebevolle und aufopfernde Mutter geworden war, den besten, edelsten Gatten. 
Die Bestattung fand auf Wunsch des Heimgegangenen und seiner Gemeinde am Sonntag in Kirchhain statt, und hier spiegelte sich alle Liebe und Treue, die dieser Lehrer in einem Menschenleben gespendet und vielfach wieder empfangen hat, in ergreifender Weise wider. Die Beteiligung war so stark, dass der ganze Ort unter dem Eindruck der Trauerkundgebung stand. In der Synagoge, wohin der Sarg gebracht wurde, hielt nach kurzen Abschiedsworten des ersten Vorstehers, Herrn Siegmund Stern, Herr Rabbiner Peritz, Marburg, eine Gedenkrede, die die ganze Persönlichkeit und das Lebenswerk des Heimgegangenen an unserem Auge noch einmal vorüberziehen ließ. Darauf sprachen nacheinander die Herren Lehrer Plaut, der als Nachfolger Rapps gelobte, an seinem Werke in gleichem Sinne fortzuarbeiten, Lehrer Schaumberg, früher in Alsfeld, Lehrer Stern, Frankenberg und Herr Isaac im Namen des 'Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten'.  
Nach dieser ergreifenden und zugleich erhebenden Feier wurde die Bahre unter überaus großem Geleite nach dem Friedhof geführt, wo ein Ehrengrab für den heimgegangenen Lehrer bestimmt war. Dort sprach noch Herr Rabbiner Cohn, Marburg - Fulda, herzliche Worte des Abschieds. Wie im Leben, so wird er nun auch im Tode die treue Wacht über seine geliebte Gemeinde halten, und sein Verdienst wird ihr beistehen. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."  

  
Lehrer Schiratzki kommt nach Merzhausen (1912)     
Anmerkung: Lehrer Schiratzki unterrichtete von 1913 bis 1938 die Kinder der jüdischen Schule und war als Kantor und Schochet der Gemeinde tätig. Wenn der Lehrer der Gemeindeschule verhindert war, unterrichtete er zeitweise auch die evangelischen Kinder. 

Merzhausen FrfIsrFambl 20121912.jpg (13336 Byte)Mitteilung im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 20. Dezember 1912: "Merzhausen. Für die seit 1. Oktober (1912) vakante hiesige Lehrerstelle ist Herr Schiratzki aus Marburg von der Gemeinde gewählt worden."      

   
   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde    
Zum Tod von Bertha Plaut in Willingshausen (1921, Mutter des Waisenhausdirektors Plaut, Hamburg s.u.) 
Anmerkung: Bertha Plaut geb. Goldschmidt (geb. 1842 in Falkenberg, gest. 1921 in Willingshausen) war verheiratet mit Moses Plaut (geb. 1841 in Willingshausen, gest. 1891 in Marburg). Die beiden hatten sieben Kinder: Levi Yehuda (1873), Pauline (1874), Raphael (späterer Waisenhausdirektor, s.u.; 1876), David (späterer Gemeindevorsteher, s.u.; 1878); Jonas (1880, Vater von Rabbiner Wolf Günther Plaut s.u.); Selma (1882), Betti (1884).     

Merzhausen Willingshausen Israelit 29121921.jpg (111201 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Dezember 1921: "Willingshausen (Hessen), 11. Dezember. Am 4. Kislew wurde hier Frau Bertha Plaut, die Gattin des verstorbenen Gemeindeältesten Moses Plaut, unter zahlreicher Anteilnahme der Ortsbevölkerung zur letzten Ruhe gebracht. Die Heimgegangene, welche ein Alter von fast 80 Jahren erreichte, war in der ganzen Gegend durch ihre große Frömmigkeit, Klugheit und Herzensgüte hoch geehrt. Aus allen umliegenden Gemeinden waren Glaubensgenossen herbeigeeilt, um der bedeutenden Frau die letzte Ehre zu erweisen. Im Trauerhause widmete der Sohn, Waisenhausinspektor Plaut aus Hamburg, seiner heimgegangenen Mutter ergreifende Abschieds und Dankesworte. Herr Lehrer Schiratzki zeichnete ein getreues Lebensbild der Entschlafenen, deren ganzes Leben Arbeit und stille Wohltätigkeit, deren Haus der Sammelpunkt der Gemeinde und mit deren Tod ein Stück Geschichte der Gemeinde zu Grabe gehe. Nachdem Herr Lehrer Rapp, Kirchhain, die Friedhofsgebete verrichtet hatte, wölbte sich der Hügel über die sterbliche Hülle der seltenen Frau, deren ganzes Leben eine wahrhafte Heiligung des Gottesnamens gewesen ist. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."

 
Zum Tod des Gemeindevorstehers David Plaut (1927, Bruder des Waisenhausdirektors Raphael Plaut, Hamburg s.u.)  
Anmerkung: David Plaut (geb. 1878 in Willingshausen; gest. 1928 in Merzhausen) war verheiratet mit Frieda geb. Herzberg (geb. 1884 in Breidenbach, gest. 1923 in Merzhausen): sie hatten vier Kinder: Blanca (1910), Hilde (1912), Manfred (1913), Ruth (1920). 

Merzhausen Israelit 02061927.jpg (120798 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Juni 1927: "Merzhausen, 30. Mai (1927). Unsere Gemeinde hat einen schmerzlichen Verlust zu beklagen. Im 49. Lebensjahre starb unerwartet der Vorsitzende der hiesigen Synagogengemeinde, David Plaut. Am 17. Ijar wurde er zur letzten Ruhe gebracht. Eine imposante Trauerkundgebung legte Zeugnis ab von dem hohen Ansehen, dessen sich der Dahingeschiedene bei Juden und Nichtjuden zu erfreuen hatte. Aus vielen Gemeinden der Rabbinatsbezirke Marburg und Kassel waren die Glaubengenossen herbeigeeilt, um dem ausgezeichneten Manne den letzten Liebesdienst zu erweisen. Vor dem Trauerhause entwarf Herr Provinzial-Rabbiner Dr. Cohn Marburg ein treffendes Lebensbild des Entschlafenen und richtete herzliche Trostesworte an die tief gebeugte Gattin und die früh verwaisten Kinder. Vor der Synagoge, deren Lichter brannten und deren Pforten weit geöffnet waren, ruhte zum letzten Male die sterbliche Hülle des heimgegangenen Führers. – Dann bewegte sich der unübersehbare Trauerzuge zum Friedhofe, wo Herr Lehrer Stern namens der Gemeinde um den Verlust des wackeren Oberhauptes klagte. Für die schmerzgebeugte Familie nahm Herr Waisenhausinspektor Plaut – Hamburg von dem geliebten Bruder in innigen Dankesworten Abschied. In tiefster Ergriffenheit gedachte sodann der ehemalige Lehrer, Herr RappKirchhain, seines früh vollendeten, ausgezeichneten Schülers und treuen Freundes, dessen gesegnetes Andenken für alle Zeiten in der Gemeinde fortleben wird. Seine Seele sei eingebunden im Bund des Lebens."
  
Merzhausen Israelit 23061927.jpg (44126 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Juni 1927: "Merzhausen (Kreis Ziegenhain), 20. Juni (1927). Im Alter von 49 Jahren verschied hier Herr Gemeindeältester David Plaut, der sich bei Juden und Christen der ganzen Umgegend größter Beliebtheit erfreute. Ein großes Trauergefolge gab ihm das letzte Geleit. Herr Provinzialrabbiner Dr. N. Cohn Marburg hielt im Trauerhause die Gedächtnisrede. Auf dem Friedhof sprachen noch die Herren Lehrer Stern, Waisenhausinspektor Plaut, Hamburg, und Lehrer Rapp - Kirchhain."

  
Zum 75. Geburtstag von Jonas Spier (1929)  

Merzhausen Israelit 28021929.jpg (36124 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Februar 1929: "Merzhausen bei Ziegenhain, 18. Februar (1929). Seinen 75. Geburtstag beging in körperlicher Rüstigkeit und Geistesfrische Herr Jonas Spier dahier. 30 Jahre bekleidete er das Amt des Gemeindeältesten und über 50 Jahre fungiert er als ehrenamtlicher Vorbeter. Dabei ist er ein meisterhafter Vorsänger. Es wurden ihm viele Ehrungen zuteil, Herr Lehrer Stern hielt eine warme Festrede."

     
Über Raphael Plaut (1876-1940) und Sohn W. Gunther Plaut (geb. 1912)  

Merzhausen Plaut 010.jpg (13774 Byte)In mehreren Berichten oben (zum Tod seiner Mutter Bertha Plaut und zum Tod seines Bruders David Plaut) wird Waisenhausdirektor Raphael Plaut genannt (Foto links; geb. 1876 in Willingshausen, verh. mit Elsa geb. Frankel; gest. 18. April 1940): von 1920 bis 1940 Leiter des "Hamburgischen Deutsch-Israelitischen Waisen-Instituts" in Hamburg, vgl. Link, woher auch das Foto links übernommen wurde).

Ein Neffe von Raphael Plaut Rabbiner Dr. Wolf Günther Plaut (geb. 1912 in Münster als Sohn von Jonas Plaut [geb. 1880 in Willingshausen, gest. 1948 in Fargo, North Dakota/USA]  1935 in die USA emigriert, 1945 als amerikanischer Militär-Rabbiner in Aachen; Rabbiner in Chicago und St. Paul, 1961-1966 Senior Rabbi in Toronto; ), ein international höchst anerkannter Gelehrter und Rabbiner, einer der bedeutendsten jüdischen Prediger des 20. Jahrhunderts. Ausführlich: Wikipedia-Artikel zu Wolf Gunther Plaut, weiterer Artikel im Canadian Who's Who.  
Merzhausen Plaut 011.jpg (53666 Byte)Links: eine der zahlreichen Veröffentlichungen des hoch bedeutenden Rabbiners Dr. Wolf Gunther Plaut: abgebildet ist die 2007 erschienene Publikation (Predigtsammlung, die zu seinem 95. Geburtstag herausgegeben wurde): "One Voice - The Selected Writings of W. Gunther Plaut". Dundorn Press 2007. 
Rabbiner Gunther Plaut starb im Alter von 99 Jahren am 8. Februar 2012 in Toronto, Kanada. 
Zwei Monate nach ihm starb auch sein Sohn, Rabbiner Dr. Jonathan V. Plaut (geb. 1942, gest. am 17. April 2012 in Farmington Hills, Michigan); vgl. Wikipedia-Artikel Jonathan V. Plaut). 

  
Über die beiden Lehrer Hermann Spier und den Lehrer Leopold Spier - aus Merzhausen und aus Schrecksbach  
(erstellt unter Mithilfe von Waltraut Zachhuber, Magdeburg) 

Aus Merzhausen und Schrecksbach stammen zwei Personen namens Hermann Spier, die beide Lehrer geworden sind:  
Der ältere Hermann Spier (geb. 22. April 1885 in Schrecksbach, umgekommen nach Deportation 1942) erhielt seine Ausbildung am Lehrerseminar in Kassel, die er 1906 abgeschlossen hat. Er war verheiratet mit Frieda Kaufmann, mit der er drei Kinder hatte: Hans, Ruth und Siegbert. Er war als Lehrer tätig im ostpreußischen Braunsberg (bis Anfang 1934), danach in Prenzlau (Brandenburg) und zuletzt - seit Juni 1939 in Magdeburg. Im April 1942 wurden er und seine Frau von Magdeburg aus deportiert. Sie wurden ermordet. 
 
Willingshausen Hermann Spier YVS.jpg (58184 Byte)Der jüngere Hermann Spier (geb.  20. Januar 1899 in Merzhausen, umgekommen nach Deportation 1942), hat sich gleichfalls am Lehrerseminar in Kassel ausbilden lassen und dort im Februar 1920 seine erste Lehrerprüfung abgelegt. Er war seit 1924 verheiratet  mit Caroline geb. Nussbaum, geb. 1900, gest. 1938; zur Familie von Caroline geb. Nussbaum siehe Seite über Sara Nußbaum bei Regiowiki Kassel). Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Henriette genannt Henny (geb. 1924) und Berna (geb. 1928). Seine erste ständige Stelle war in Abterode, wo er seit dem 1. Oktober 1927 tätig war. Hier in Abterode hat Spier im Mai 1929 seine zweite Lehrerprüfung abgelegt. Nachdem Anfang 1934 die Israelitische Elementarschule in Abterode aufgelöst worden war, bewarb sich Hermann Spier auf die Lehrerstelle im ostfriesischen Leer, die er im April 1935 antreten konnte. Bis 1938 blieb Spier in Leer. Seine Frau Caroline starb Anfang Oktober 1938 an Multipler Sklerose. Nach dem Novemberpogrom 1938 meldete Hermann Spier, der inzwischen die Lehrerstelle in Hildesheim übernommen hat, seine Kinder für einen Kindertransport nach England an. Am 6. Januar 1939 verließen Henny und Berna Spier Deutschland. Hermann Spier wurde im März 1942 nach Warschau deportiert und in Treblinka ermordet. 
Foto links aus dem Archiv von Yad VaShem Jerusalem (Link); weitere Fotos und Dokument zu Hermann Spier siehe Seite zu Abterode
Vgl. Beitrag: Hartmut Häger: Hermann Spier, der letzte Lehrer der jüdischen Schule in Hildesheim (1938-1942). Eingestellt als pdf-Datei in http://vernetztes-erinnern-hildesheim.de/media/pdf-dateien/Spier-Aufsatz.pdf 
 
Leopold (Liebmann) Spier (geb. 10. September 1862 in Merzhausen): war später Kantor und Lehrer in Zerbst (genannt in Verzeichnissen 1924/25 und 1932), von wo er im November 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde und am 30. Mai 1943 umgekommen ist. Er wohnte im Zerbster jüdischen Gemeindehaus in der Brüderstraße, zusammen mit seiner Tochter Recha (geb. 1891 in Lichtenau), die bereits im April 1942 in den Osten deportiert wurde.  

   
Über den Lehrer Menko Schirling (geb. 1876 in Merzhausen, gest. 1936; Lehrer in Rauschenberg von 1896-1925, danach in Hoof)     
Bericht zur slbernen Hochzeit von Lehrer Menko Schirling und seiner Frau Frieda geb. Stern (1931 in Hoof)   
Anmerkung: Menko Schirling ist am 21. April 1876 als Sohn von Victor (Meier) Schirling und seiner Frau Jettchen geb. Spier in Merzhausen geboren (Personalkarte). Er legte 1896 am Israelitischen Lehrerseminar Kassel die erste Lehrerprüfung ab, 1900 ebd. die zweite Lehrerprüfung. Seine Frau war Frieda geb. Stern (geb. 1881 in Niederurff, umgekommen 1942 im Ghetto Minsk). Die Kinder Ilse (Irma) Schirling (geb. 1907 in Rauschenberg, später verh. Cohen, wohnhaft in Oldenburg, Rüstringen und Wilhelmshaven) und Agathe Schirling (geb. 1911 in Rauschenberg, wohnhaft in Aurich und Hoof, nach 1934 in den Niederlanden) wurden beide nach der Deportation ermordet. Menko Schirling, der von 1896 bis 1925 in Rauschenberg als Religionslehrer tätig war, wechselt danach nach Hoof. Er starb 1936.  

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung" für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 27. Februar 1931: "Hoof. Am 7. März dieses Jahres begeht Herr Lehrer Schirling und seine Frau, Frieda geb. Stern, das Fest der Silbernen Hochzeit. Wir wollen bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, welch großer Beliebtheit in wenigen Jahren ihres Hierseins sich Familie Schirling erfreut, nicht nur in jüdischen Kreisen, sondern auch bei Nichtjuden der hiesigen Gemeinde. Herr Schirling ist stets bestrebt, für das Wohl der Gemeinde zu sorgen. Er hat es sich angelegen sein lassen, das religiöse Leben unserer Gemeinde zu fördern. Stets hat er für alle Arten der Wohltätigkeit eine offene Hand. Möge der Familie noch weiter lange Jahre alles Gute beschieden sein."                  

   
Über Sara Nussbaum geb. Rothschild (geb. 1868 in Merzhausen, gest. 1956 in Kassel) 
Anmerkung: Sara Nussbaum
wirkte 33 Jahre lang als Gemeindeschwester im jüdischen Altersheim und im Israelitischen Waisenhaus in Kassel. 1934 wurde sie verhaftet, da sie sich ablehnend gegenüber dem "Dritten Reich" geäußert habe; 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie als freiwillige Pflegerin in der Typhusabteilung todkranke Häftlinge betreute, überlebte schwerst erkrankt die KZ Zeit. Seit März 1946 wieder in Kassel; erhielt im April 1956 als erste Frau das Ehrenbürgerrecht der Stadt Kassel. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sara_Nussbaum.   
     
     
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen  
Anzeige aus Willingshausen (1890)       

Willingshausen Israelit 13101890.jpg (25887 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Oktober 1890: "Eine junge israelitische Witwe sucht Stelle als Haushälterin oder zur Stütze der Hausfrau. Offerten unter M.M. 100 Willingshausen bei Ziegenhain postlagernd."   

   
   
   
Zur Geschichte der Synagoge      
    
Ein Synagoge für die in den drei Orten lebenden jüdischen Personen gab es nur in Merzhausen. Über die Geschichte des Gebäudes ist nur wenig bekannt. Es handelte sich um ein einfaches Fachwerkgebäude mit steilem Walmdach und hohen, rechteckigen Fenstern im Bereich des Betsaales. 
   
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge geschändet und ausgeraubt, teilweise zerstört. Das ehemalige Synagogengebäude wurde von Landwirt Knauf, dem Eigentümer des neben der Synagoge gelegenen Bauernhofes erworben. 1951 ließ dieser das Synagogengebäude abbrechen. 
  
Erhalten blieb das ehemalige jüdische Schulhaus, das zu einem Wohnhaus umgebaut wurde. Aktuell (2016) ist es das Vereinsheim des Motorradclubs.  
 
In den 1990er-Jahren gab es Bemühungen des ehemaligen jüdischen Gemeindemitgliedes Theo Plaut, eine Gedenktafel im Bereich der ehemaligen Synagoge aufstellen zu lassen. Seine Bemühungen blieben damals erfolglos. 

Anfang Oktober 2016 wurde vom Arbeitskreis Dorferneuerung Merzhausen im Rahmen des Projektes "Erlebbare Geschichte Merzhausen" eine Informationstafel über die jüdische Gemeinde Merzhausen am Eingang der Judengasse aufgestellt. Außerdem wurden Hinweisschilder für das frühere jüdische Schulhaus und den jüdischen Friedhof sowie auf die ehemalige Synagoge und die abgebrochene Mikwe angebracht (siehe Fotos unten). 
Vgl. Presseartikel in HNA.de vom 7. Mai 2013: "In Merzhausen sollen künftig Informations- und Hinweistafeln auf das kulturelle Erbe aufmerksam machen. Rundgang durch die Geschichte..." (Link zum Artikel)    
Die Infotafel auf einer pdf-Datei.   
  
Adresse/Standort der Synagoge  Ziegenhainer Straße 30 (Adresse 1932: Dorfstraße 10)   
  
  
Fotos   

 Zeichnung der Synagoge  Merzhausen Synagoge 180.jpg (170931 Byte) 
  Dorfkalender der evangelischen Kirchengemeinde Merzhausen 2012: Titelbild mit einer Zeichnung der ehemaligen Synagoge
 (eingestellt mit Genehmigung von Johannes Knauf, Merzhausen - zugeschickt von Ingeborg Hoos, Merzhausen).    
   
Portalinschrift der ehemaligen 
Synagoge in Merzhausen 
(Foto: Martin Hoos, Wolfenbüttel)  
Merzhausen Portalinschrift 010.jpg (584281 Byte)
  Die Inschrift der Portalinschrift: obere Zeile Zitat aus Psalm 118,20: 
"Dies ist das Tor zum Herrn, Gerechten treten durch es hinein"
(das Foto oben ist in hoher Auflösung eingestellt)   
     
Das Gebäude der ehemaligen
 Israelitischen Konfessionsschule 
(Quelle: Altaras 1988 S. 55) 
Merzhausen Schule 100.jpg (71958 Byte) 
  Die ehemalige Synagoge stand links des abgebildeten Schulhauses 
     
 "Judengasse" in 
Merzhausen 
(Foto: Martin Hoos, Wolfenbüttel) 
 Willingshausen Judengasse 4 013.jpg (41008 Byte)  
     In Merzhausen erinnert die "Judengasse" an die frühere jüdische Geschichte 
des Ortes; Blick auf das Gebäude Judengasse 4, ein ehemaliges, 1801 erbautes jüdisches Wohnhaus ("Schlöümehaische";
 "Schlöüme" ist die Schwälmer Aussprache von Salomon (Spier). Im Haus finden sich noch mehrere
Erinnerungen an die jüdische Geschichte. 
Ein Tür-Balken mit hebräischer Schrift aus der früheren Synagoge ist ebenfalls im Besitz der Eigentümer.     
     
     
Beschilderung der wichtigsten Orte der jüdische
Geschichte in Merzhausen seit Oktober 2016 
(Fotos von Heinrich Keller,
Verbund Dorfgemeinschaft Merzhausen e.V.)   
   
Merzhausen Ort 151.jpg (147148 Byte) Merzhausen Ort 151a.jpg (142636 Byte) Merzhausen Infotafel 1-001.jpg (549259 Byte)  Merzhausen Infotafel 1-002.jpg (662650 Byte)
Informationstafel über die "Jüdische Geschichte Merzhausen" am Eingang der Judengasse.    
     
Merzhausen Ort 150.jpg (122764 Byte) Merzhausen Ort 150a.jpg (85473 Byte) Merzhausen Ort 152.jpg (117031 Byte) Merzhausen Ort 152a.jpg (77912 Byte) Merzhausen Ort 153.jpg (194071 Byte) Merzhausen Ort 153a.jpg (71038 Byte)
Hinweisschild zum
 jüdischen Friedhof 
  
Hinweisschild am Standort der ehemaligen Mikwe 
(früher Haus Nr. 61, etwa 1931 abgebrochen) 
    
Hinweisschild am ehemaligen Wohnhaus von Salomo Spier 
(1945 aus dem Ghetto Theresienstadt zurückgekehrt 
und 1947 verstorben)   
     
Merzhausen Ort 154.jpg (133119 Byte) Merzhausen Ort 154a.jpg (41202 Byte) Merzhausen Ort 155.jpg (188395 Byte) Merzhausen Ort 155a.jpg (80118 Byte)  
Hinweisschild an der ehemaligen Judenschule   Hinweisschild am Standort der Synagoge    

   
   
 
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte       

Dezember 2019: Erinnerungen an die jüdische Gemeinde in Merzhausen - Schilder werden aufgestellt (vgl. Fotos oben)     
Artikel von Sylke Grede in der "hna.de" vom 9. November 2016: "In Merzhausen gab es eine jüdische Gemeinde - Der Dorfverbund erinnert an sie. 
Merzhausen.
Der 9. November 1938 gehört zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. Es brannten jüdische Geschäfte und Synagogen. In Merzhausen gibt es noch einige Spuren der jüdischen Gemeinde. Hinweistafeln erinnern jetzt an die einstigen Nachbarn. Die neuen Hinweistafeln des Merzhäuser Dorfverbundes lassen auf ein einst vielfältiges kulturelles Leben der jüdischen Gemeinde in Merzhausen schließen. Da ist die Judengasse in der Ortsmitte, in der früher in fast jedem Haus jüdischen Mitbewohner lebten. Dort ist die Stelle an der die Mikwa, das Ritualbad, stand. Da ist die jüdische Schule, die jetzt als Vereinsheim genutzt wird, und da ist auch das Haus des Salomon Spier, der 1945 aus dem Lager Theresienstadt nach Merzhausen zurückkehrte und dort 1947 starb.
1933 gab es unter den 750 Einwohnern Merzhausens 53 Juden. Wie kaum ein anderer Hinweis symbolisiert das weiße Schild an einem Baum hinter dem kleinen Fachwerkhaus in der Ziegenhainer Straße, der ehemaligen jüdischen Schule, das jähe Ende der Gemeinschaft. Gottfried Ruetz (von 1951 bis 1969 Pfarrer in Merzhausen,† 1990 in Schwalmstadt) bescheinigte den Merzhäusern, ihren jüdischen Mitbewohnern nicht feindlich gegenüber gestanden zu haben. Nur wenige seien bedingungslos der Propaganda und Hetze gegen die Juden gefolgt, so Ruetz im Buch „Heimatvertriebene Nachbarn, Beträge zur Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain“. „Die Schreie der gemarterten Juden sind vielen, die das miterlebten, unvergesslich im Ohr geblieben.“ Dennoch habe der Krieg weitere Einschnitte für die jüdische Bevölkerung gebracht. Unvergessen blieb vielen der Tag, an dem die letzten jüdischen Männer ins kleine Wachthäuschen gesperrt wurden und dort verprügelt wurden. „Die Schreie der gemarterten Juden sind vielen, die das miterlebten, unvergesslich im Ohr geblieben“, schreibt Ruetz.
Gebäude abgerissen. Zuletzt waren nach Auswanderung und Deportation alle Juden aus Merzhausen verschwunden, ihre Häuser verkauft, die Synagoge geschlossen. Dieses Gebäude wurde 1951 komplett abgerissen.
Das Zusammenleben. Ruetz berichtet auch vom Zusammenleben der Merzhäuser unterschiedlicher Konfessionen. Zum Beispiel störten die katholischen Bewohner des Weiterhausenschen Gutshofes den protestantischen Gottesdienst am monatlichen Bettag mit dem Rasseln der Milchkannen, weil es ein Wochentag war. Und laute Unterhaltung und Handel der jüdischen Handelsleute am Sonntag störte die Kirchenbesucher. Zu einem Zerwürfnis soll es auch im Männergesangverein gekommen sein, dem viele jüdische Männer angehörten. Es gab Ärger um die hohen christlichen Feiertage, wenn die jüdischen Sänger fehlten. Letztendlich führten die Reibereien zum Bruch. Gegen den Willen der jüdischen Sänger wurde der Verein aufgelöst und der neue Christliche Männergesangverein gegründet. "  
Link zum Artikel   

    
      

       
Links und Literatur

Links:  

bulletWebsite der Gemeinde Willlingshausen     
bullet Informationsblatt zur jüdischen Geschichte in Merzhausen (identisch mit der Informationstafel am Eingang der Judengasse; pdf-Datei)  
bulletWebsite http://www.juden-in-nordhessen.co.de: unter "Genealogien jüdischer Familien in Nordhessen" findet sich ein Stammbaum der Familie Plaut in Willingshausen (unter Forschungen Christopher Kuehn)   
bulletAnton Merk: Der Türsturz aus Merzhausen 1800. In: Holzburger Blätter https://holzburger-blaetter.de/der-tuersturz-aus-merzhausen/
Der Türsturz zeigt am früheren Gebäude Judengasse 4 (jetzt Dorfmuseum Holzburg) eine hebräische Inschrift, übersetzt "Ahron bar Eliezer Jahr 560 - Gesegnet bist du, wenn du eingehst und gesegnet bist du, wenn du ausgehst" mit seitlicher Datierung 12.04.1800. 1844 ist Jonas Spier Hausbesitzer; letzter Besitzer war Salomon Spier (gest. 1947 nach Rückkehr aus dem Ghetto Theresienstadt).    
bulletWebportal HS 010.jpg (66495 Byte)Webportal "Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen mit Fotos zur jüdischen Geschichte in Willingshausen 

Quellen:  

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Merzhausen mit Schrecksbach und Willingshausen   
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Merzhausen sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,610   Geburtsregister der Juden von Merzhausen  1824 - 1883; enthält auch Angaben zu Personen aus Schrecksbach und Willingshausen  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2379136       
HHStAW 365,613   Sterberegister der Juden von Merzhausen  1824 - 1911; enthält auch Angaben zu Personen aus Schrecksbach und Willingshausen   https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v289984    
HHStAW 365,612   Trauregister der Juden von Merzhausen  1828 - 1907; enthält auch Angaben zu Personen aus Schrecksbach und Willingshausen  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1245115                      
HHStAW 365,611   Geburtsregister der Juden von Merzhausen  1849 - 1910; enthält auch Angaben zu Personen aus Schrecksbach und Willingshausen https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1510960          

Literatur:  

bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 71-73. 
bulletders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente. S. 148.
bulletGerhard Rütz: Von den Juden in Merzhausen. Schwalmer Jahrbuch 1979 S. 112-129. 
bulletders.: Von den Juden in Merzhausen. In: H. Bambey, A. Biskamp und B. Lindenthal (Hrsg.): Heimatvertriebene Nachbarn. Beiträge zur Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain. Schwalmstadt-Treysa 1993. 
bulletThea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988 S. 55.
bulletdies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 51. 
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 187-188.
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 511-512. 
bulletBarbara Greve: Bericht von der Hinterlassenschaft der Schutzjuden Eysermann und Hirt Levi zu Willingshausen. In: Schwälmer Jahrbuch 1988, S. 51-63.  
bulletdies.: Fragebögen – Stempel – Formulare. Die „geordnete“ Flucht der Familie Josef Plaut aus Willingshausen. In: Bernd Lindenthal (Hrsg.), Heimatvertriebene Nachbarn, Bd. 3. Schwalmstadt-Treysa 2008, S. 473-492.
bullet Beitrag über die Familie Plaut: Elisabeth S. Plaut: The Plaut Family. Tracing the Legacy. Edited by Jonathan V. Plaut
When Elizabeth S. Plaut began tracing her husband’s family roots forty years ago, she had no idea how this undertaking would change her life and turn her into a serious genealogist. A trained researcher, she corresponded with hundreds of people around the world to glean information about the various branches of the family; scoured cemetery files, archives, and other available sources; and maintained copious files brimming over with her notes and charts. Beginning with her quest to find the roots of her husband’s branch of the family from Willingshausen, Germany -many years before genealogy became popular - Elizabeth Plaut discovered families in dozens of small villages in Germany. She tracked the relationships between more than 11,000 people and separated the branches according to the many cities where the families originated. Impressive in its scope and in Elizabeth Plaut’s meticulous commitment to detail, The Plaut Family: Tracing the Legacy will be of immense value to all those interested in knowing more about their roots. 7" x 10" 420 pp. softcover $45.00. Vgl. http://www.avotaynu.com/books/Plaut.htm
Family Trees Organized by German Town of Ancestry: Bodenteich, Bovenden, Falkenberg, Frankershausen, Frielendorf, Geisa, Gudensberg, Guxhagen, Melsungen, Obervorschuetz, Ottrau, Rauschenberg, Reichensachsen, Rotenburg, Schmalkalden, Wehrda, Willingshausen.  

Hinweise auf eine Publikation zur Schwälmer Tracht und den jüdischen Textilhändlern, die in früheren Jahrhunderten die Stoffe dafür besorgt haben:    

         
Heidrun Merk: Leinen, Samt und Seide. Luxusstoffe für die Schwälmer Tracht. Schwälmer Dorfmuseum Holzburg 2021. 6 €. https://www.dorfmuseum-holzburg.de/  zur Publikation (u.a. beim Museum erhältlich)
Die Kulturanthropologin Heidrun Merk, Leiterin des Schwälmer Museums in Holzburg, hat mit 'Leinen, Samt und Seide' eine Publikation herausgegeben, die sich mit Geschichte, Herkunft, Materialität der kostbaren Stoffe beschäftigt und wie sie den Weg in die Schwalm gefunden haben. Im Mittelpunkt der Publikation steht die zentrale Rolle der jüdischen Händler und Kaufleute in der Schwalm. Erwähnt werden u.a. (vgl. die oben wiedergegebenen Seiten) der Heereslieferant Joseph Dannenberg in Ziegenhain (1697), der Textilienhändler Eysermann Levi aus Willingshausen (1743), der Wollhändler Jacob Salomon in Treysa (1774), der Textilienhändler Baruch Jacob aus Breitenbach (1790), der Handelsmann Mordechai Löw/Preußje von Schlüchtern (um 1815), der Handelsmann Julius Jüdel aus Fulda (1824), die Ellenwarenhändler Michael Katzenstein und Lazarus Levi aus Eschwege (1826), das Textilgeschäft Abraham Baum in Treysa (um 1900), das Textilgeschäft Moritz und Karl Wallach in Ziegenhain, ab 1908 in Treysa.   

     
    


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Merzhausen (now part of Willingshausen) Hesse-Nassau. Jews from Willingshausen and Schrecksbach formed part of the community, which numbered 147 in 1861 and maintained an elementary school (1833-1933). Affiliated with the Marburg rabbinate, the Jewish population dwindled to 20 by 1933. The synagogue was vandalized on Kristallnacht (9-10 November 1938) and at least two of the remaining Jews were deported.  
     
      

                   
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Stand: 30. Juni 2020