Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Mainz (Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert  
    
Hier: Berichte zu den Rabbinern, Lehrer und weiteren Kultusbeamten der Gemeinde (bis zur NS-Zeit) 

Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Mainz wurden in jüdischen Periodika gefunden. 
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.   
     
Hinweis: Die Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber, Mannheim, abgeschrieben und mit Anmerkungen versehen. 
   
  
    
  
Übersicht:     

bulletÜbersicht: Rabbiner in Mainz im 19./20. Jahrhundert   -   
bulletAus der Geschichte der Rabbiner in Mainz (später: der Israelitischen Religionsgemeinde)  
-  Zum 100. Todestag von Rabbiner Noach Chaim Zwi Berlin (1734-1802, Artikel von 1902)   
-  Aus der Zeit von Rabbiner Leo Ellinger  
Bewerbungen um das Rabbinat in Mainz - die neue Synagoge ist alsbald fertig (1850)    
 Dr. Adler soll erster Rabbiner in Mainz werden, der bisherige Prediger und Religionslehrer Dr. Cohn zweiter Rabbiner ebd. (1852) 
-  Rabbiner Dr. Joseph Aub wechselt nach Berlin (1866)  
-  Zum Tod des früheren Mainzer Rabbiners Dr. Joseph Aub (1880 in Berlin)  
25-jähriges Jubiläum von Rabbiner Dr. Sigmund Salfeld als Rabbiner der Mainzer Religionsgemeinde (1905)  
-  70. Geburtstag von Rabbiner Prof. Dr. Sigmund Salfeld (1913)  
-  Einführung von Rabbiner Dr. Sali Levi als Nachfolger von Prof. Dr. Salfeld (1918) 
Goldene Hochzeit von Prof. Dr. Sigmund Salfeld und seiner Frau (1920) 
 - Beitrag von Rabbiner Dr. Sali Levi zum Heimatrecht der deutschen Juden auf Grund zahlreicher Belege (1926)  
bulletAus der Geschichte der Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft    
-  Zum Tod von Sophie Bondi geb. Epstein, Gattin von Rabbiner Samuel Bondi (1871)  
-  Zum Tod von Rabbiner Samuel Bondi (1877)  
-  Beisetzung von Rabbiner Samuel Bondi (1877)  
-  Zum Tod von Rabbiner Samuel Bondi (I, 1877) 
-  Zum Tod von Rabbiner Samuel Bondi und seine Beisetzung - Rückblick 50 Jahre danach: Artikel von 1927)     
-  Rabbiner Dr. Markus Lehmann tritt sein Amt zum Sukkot-Fest an (1854)   
-  Zum Tod von Rabbiner Dr. Markus Lehmann (zugleich Chefredakteur des "Israelit", 1890)  
-  Beisetzung von Rabbiner Dr. Markus Lehmann (1890)   
-  Trauergottesdienst für Rabbiner Dr. Markus Lehmann (1890)   
Zum Tod von Therese Lehmann geb. Bondi, Witwe von Rabbiner Dr. Markus Lehmann (1899) 
-  Dr. Jonas Marcus Bondi wird zum Rabbiner der Religionsgesellschaft gewählt (1890)  
-  Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi tritt seine Stelle als Rabbiner der Religionsgesellschaft an (1890)  
Artikel von Rabbiner Dr. Lehmann: "War dem Rabbi Amnon von Mainz das Gaslicht bekannt?" (Artikel von 1890) 
Jahrzeitstag von Rabbiner Dr. Lehmann (1904)   
25-jähriges Ortsjubiläum von Rabbiner Dr. Jonas Bondi bei der Religionsgesellschaft (1915)    
-  Todesanzeige für Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi (1929)   
Ausschreibung der Stelle des Rabbiners der Israelitischen Religionsgesellschaft (1929)  
Rabbinerwahl der Israelitischen Religionsgesellschaft in Mainz (1929)   
Jahrestag des Todes von Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi (1930)    
bulletAus der Geschichte der Lehrer und Kantoren der Israelitischen Religionsgemeinde    
Ausschreibung der Stelle eines Vorsängers und Schochet (1860)    
-  Anzeige des Pensionates von Oberlehrer Fuld (1869)  
-  Ausschreibung der Stelle des Kantors und Religionslehrers der Religionsgemeinde (1887)   
-  25-jähriges Amtsjubiläum von E. Gutmann als Rabbi und Kantor des "3. israelitischen Krankenpflegevereins" (1889) 
-  Ausschreibung der Stelle eines Lehrers und stellvertretenden Kantors der Religionsgemeinde (1890)  
-  25-jähriges Ortsjubiläum des Reallehrers Eschelbacher (1917)  
bulletAus der Geschichte der Lehrer und Kantoren der Israelitischen Religionsgesellschaft    
Ausschreibung der Stelle einer Lehrerin der Religionsgesellschaft (1859)    
-  Ausschreibung der Stelle eines Lehrers der Religionsgesellschaft (1866)  
Zum Tod des Kultusbeamten der Religionsgesellschaft Moses Marx (1894)    
-  Religionslehrer S. Eschelbacher wird Lehrer am Real-Gymnasium, Fräulein Weil wird Lehrerin an der Volksschule (1904)  
25-jähriges Ortsjubiläum von Oberkantor und Lehrer der Israelitischen Religionsgesellschaft Abraham Oppenheimer (1911)  
Zum Tod des Lehrers der Religionsgesellschaft Josef Kahn (1918) 
40-jähriges Ortsjubiläum von Kantor und Lehrer Abraham Oppenheimer (1926)   
Zum Tod von Kantor und Lehrer Abraham Oppenheimer (1930)  
25-jähriges Ortsjubiläum von Jakob Tschorniki als Kultusbeamter der Religionsgesellschaft (1931) 
bulletWeitere Lehrer  
Über Moritz Lorge, von 1908 bis 1933 Oberlehrer und Studienrat an der Höheren Töchterschule in Mainz     

      
      
      
Übersicht: Rabbiner in Mainz im 19./20. Jahrhundert:
Anmerkung: nicht ausführlicher genannt werden die nach 1800 noch einige Zeit tätigen Dajanim, Unter- und Lehrhausrabbiner (= Talmudlehrer an der Jeschiwa) wie Leser Lonnerstadt (gest. 1802 als Lehrhausrabbiner), Nathan-Neta Ellinger (um 1808 in Mainz genannt), Moses Kanstadt (um 1808, gest. nach 1811), Hirsch Kanstadt (gest. 1823 in Mainz), Mendele Kastel (um 1820/30, stammte aus Kastel). Um 1808 sollen fünf Rabbiner in Mainz tätig gewesen sein.       

bullet1783 bis 1800: Rabbiner Noah-Haium Hirsch (Noach Chaim Zwi) Berlin (geb. 1734 in Fürth, gest. 1902 in Altona): war seit 1764 Dajan in Fürth, seit 1772 Landesrabbiner des Fürstentums Bayreuth in Baiersdorf; seit 1783 Landesrabbiner in Mainz und von 1800 bis zu seinem Tod 1902 Oberrabbiner von Altona, Hamburg und Wandsbek. 
bullet1799 bis 1810 / 1822: Rabbiner Herz Scheuer (Abraham-Naftali Herz ben David; geb. 1753, gest. 1822 in Mainz): war in Mainz zunächst als Unterrabbiner und Lehrer tätig; seit 1799 Oberrabbiner in Mainz; 1810 Amtsniederlegung auf Grund der Reformen des Konsistoriums; 1814 in das Amt zurückgekehrt; war Leiter der Jeschiwa in Mainz.  
bullet1809 bis 1813: Rabbiner Samuel Levi (geb. 1751 in Pfersee bei Augsburg, gest. 1813 in Mainz): war seit 1783 Rabbiner in Worms; wurde am 1. Mai 1809 eingesetzt als Konsistorial-Oberrabbiner für das Departement Donnersberg mit Sitz in Main ("Grand Rabbin du Consistoire du Département du Mont-Tonnerre"). Zur Biographie vgl. https://www.lagis-hessen.de/pnd/1041787413   
bullet1822 bis 1830: Rabbiner Abraham Moch (geb. 1746 vermutl. in Haguenau, gest. 1830 in Mainz): war seit 1822 "provisorischer Rabbiner" in Mainz gemeinsam mit Rabbiner Leo Ellinger.   
bullet1822 bis 1847: Rabbiner Leo Ellinger (genannt Löb Schnadig [Schnaittach], geb. 1772 in Mainz, gest. 1847 in Mainz): war seit 1808 Dajan in Mainz und Talmudlehrer an der Jeschiwa; nach dem Tod des Mainzer Oberrabbiners Herz Scheuer übernimmt er dessen Amt, zunächst gemeinsam mit dem o.g. Rabbiner Abraham Moch als "provisorischer Rabbiner" beziehungsweise Rabbinatsverweser. Bis 1830 teilte er das Amt mit Abraham Moch. Nach 1841 wird ihm ein Prediger zur Seite gestellt. 
bullet1852 bis 1866: Rabbiner Dr. Joseph Aub (geb. 1804 in Baiersdorf, gest. 1880 in Berlin): studierte an der Fürther Jeschiwa, seit 1822 in Erlangen und München; war von 1829 bis 1852 Rabbiner in Bayreuth, seit Dezember 1852 in Mainz (Einweihung der neuen Synagoge mit Orgel 1853); von 1866 bis 1879 Rabbiner in Berlin, zugleich Dozent an der Veitel-Heine-Ephraimschen Lehranstalt und Religionslehrer an der Lehrerbildungsanstalt (1866 Einweihungspredigt in der Neuen Synagogen Oranienburger Straße).  
bullet1846 / 1851 / 1866 bis 1880: Rabbiner Dr. Elias Cahn (geb. 1808 in Mainz, gest. 1888 in Mainz): studierte an der Jeschiwa in Mannheim, seit 1833 in Gießen und Bonn; ab 1838 Religionslehrer in Mainz, Reformanhänger (am 11. Juli 1840 die erste Konfirmation), seit 1843 auch Prediger; 1846 Rabbinatsverweser in Mainz, 1851 zweiter Rabbiner in Mainz, behält nach dem Amtsantritt von Joseph Aub die Rabbinatswürde für die Gemeinde Kastel; 1866 bis 1880 erster Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde. 
bullet1880 bis 1918: Rabbiner Prof. Dr. Sigmund Salfeld (geb. 1843 in Stadthagen, gest. 1926 in Mainz): studierte in Berlin und Breslau; seit 1870 Rabbiner in Dessau, seit 1880 Rabbiner in Mainz; trat 1918 in den Ruhestand.  
bullet1918 bis 1941: Rabbiner Dr. Sali Levi (geb. 1883 in Walldorf, gest. 1941 in Berlin): studierte in Breslau; 1910 bis 1914 zweiter liberaler Rabbiner in Breslau, 1915 bis 1918 Feldrabbiner in Wilna; 1918 bis März 1941 Rabbiner in Mainz; war Vorsitzender des 1925 gegründeten Vereins zur Pflege jüdischer Altertümer in Mainz; ging im März 1941 nach Berlin, um in die USA zu emigrieren, verstarb jedoch zuvor.  
bullet1941: Rabbiner Bernhard Baer (geb. 1917 in Berlin, 1942 verschollen bei Riga): studierte 1938 bis 1941 in Berlin; war von der jüdischen Gemeinde Mainz zum Rabbiner gewählt, doch wurde ihm die Zuzugsgenehmigung verweigert; deportiert nach Riga am 19. Januar 1942.      

Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft waren:  

bulletRabbiner Samuel Bondi (geb. 1794 in Mainz als Sohn von Rabbiner Moses-Jona Bondi, der an der Jeschiwa von Herz Scheuer in Mainz unterrichtete; gest. 1877 in Mainz): war als Kaufmann tätig; begründete die Israelitische Religionsgesellschaft als Prediger und Talmudlehrer an der Jeschiwa von Rabbiner Markus Lehmann. 
Auch sein Enkel Rabbiner Jonas Bondi (geb. 1862, gest. 1929) übte in Mainz rabbinische Tätigkeiten aus.   
bullet1854 bis 1890: Rabbiner Dr. Markus Lehmann (geb. 1831 in Verden, gest. 1890 in Mainz): studierte in Prag, Berlin und Halle; war seit 1854 Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Mainz, heiratete eine Tochter des o.g. Rabbiners Samuel Bondi; gründete im Mai 1860 die Zeitschrift "Der Israelit". 
bullet1890 bis 1929: Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi (geb. 1862 in Mainz als Sohn von Markus Bondi und Enkel von Samuel Bondi, gest. 1929 ebd.): studierte in Berlin und Halle; war seit 1890 Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft. 
bullet1929 bis 1938: Rabbiner Dr. Moses Löb Bamberger (geb. 1902 in Bad Kissingen, gest. 1960 in Gateshead GB), studierte in Würzburg, Berlin und Gießen; war seit 1929 Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Mainz; November 1938 in das KZ Dachau verschleppt; 1939 nach England emigriert: Rabbiner in Nottingham; 1944 Gründer und Leiter der Jewish Boarding School (Jeschiwa) in Gateshead.       

    
    
Aus der Geschichte der Rabbiner in Mainz (später der Israelitischen Religionsgemeinde)     
Zum 100. Todestag von Rabbiner Noach Chaim Zwi Berlin (1734-1802, Artikel von 1902)  
Hinweis: Inschrift des Grabsteins für Noach Chajim Zwi ben Awraham Meir Berlin mit Erläuterungen siehe  http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=hha-1252 
Foto des Grabsteines mit Inschrift: https://www.wo-sie-ruhen.de/friedhoefe?stadt=5&friedhof=22   
Weitere Informationen englisch: https://www.encyclopedia.com/religion/encyclopedias-almanacs-transcripts-and-maps/berlin-noah-hayyim-zevi-hirsch   
Der Verfasser des Artikels ist Eduard Ezechiel Duckeß (Duckesz), geb. 1868 in Szeleocsény, Ungarn, ermordet 6. März 1944 im Z Auschwitz.

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. März 1902: "Rabbi Noach Chaim Zwi Berlin,
Rabbiner in Mainz und zuletzt in den drei Gemeinden A.H.W. (Altona, Hamburg, Wandsbeck) - Gedenkblatt zu seinem 100. Todestage 4. Adar Scheni 1802 (nach jüdischer Zählung: 5562).

Wenn im Allgemeinen der Grundsatz lautet, ein Volk, dass seine Großen ehrt, ehrt sich selbst, so ist dies im Judentum eine besondere Pflicht, der großen Männer, die zum Wohle und zur geistigen Hebung unseres Volkes beigetragen haben, an besonderen Gedenktagen pietätvoll zu erwähnen. - Ein solch Großer in Israel war Noach Chaim Zwi, der Verfasser der Werke Ma'yan ha-Chochmah [Lehrgedicht über die 613 Gebote], Aze Beschamim, Azei Almuggim, Azei Arasim. 
Er wurde im Jahr (5494) 1734 in Fürth geboren. Sein Vater Maier Berlin war Privatgelehrter, dessen Vater Samuel Sanwil war Rabbinatsassessor in Berlin. Mütterlicherseits stammte er von R. Jehoschua Heschel in Krakau, dessen Tochter der Ersteren Mutter war. (Siehe Fürst, gemeint wohl ein Werk von Rabbiner Dr. Salomon Fürst oder Rabbiner Dr. Julius Fürst). Er erhielt gemeinsam mit seinem einzigen Bruder Löb Berlin, der Rabbiner in Bamberg und zuletzt in Kassel war, eine sorgfältige Erziehung. Sein Vater, der sehr reich war und keinem Broterwerb nachzugehen brauchte, widmete sich ausschließlich der Erziehung seiner beiden Söhne und war ihr Lehrer im Talmud. Chaim Zwi besaß eine seltene Auffassungsgabe, die gepaart war mit immensem Fleiße, was ihm frühzeitig großes Ansehen verschaffte. Er verheiratete sich nach damaliger Sitte mit 18 Jahren mit Ela (Eli), der Tochter des Vorstehers Elija Dow Schwabach, welcher ein Enkel des Frankfurter Rabbiner Abraham Broda, wie auch ein Enkel der ebenfalls berühmten Glückl Hammeln war. Nach seiner Hochzeit wurde er Dajan in seiner Geburtsstadt Fürth, wo er die Fürther Ausgabe des Rambam Jad hachasoko edierte. (Gedruckt 5525) 1765 Fürth). Später wurde er Rabbiner in Breit (= Bayreuth) und Peiersdorf (= Baiersdorf). Dort verfasste er sein erstes Werk Aze Almoigim (bzw. Azei Almuggim), Erläuterungen zu oreach chajim auf Hilchaus ...
Im Jahre (5542) 1782 wurde er in Mainz als Oberrabbiner erwählt. Dort gründete er eine Jeschiwo; wo sich alsbald eine zahlreiche Jüngerschar um ihn sammelte. Er fand dort, wie er in der Vorrede zu Aze Arosim berichtet. Den geeigneten Wirkungskreis, zu lernen und zu lehren, und eine wahre Pflanzstätte des Thorastudiums blühte unter seiner kundigen Leitung empor. Er verfasste in Mainz sein scharfsinniges und berühmtes Werk Azei Arasim (1789, 5549), gedruckt in Fürth. Als im Jahr 1799 (5559) der hochbetagte Rafael Kohn s(eligen) A(ngedenkens), Rabbiner der drei Gemeinden Altona, Hamburg und Wandsbeck, aus verschiedenen triftigen Gründen freiwillig sein Amt unwiderruflich niederlegte, richtete er zuletzt noch eine Bitte an den Vorstand der Drei-Gemeinden, dass derselbe den hervorragendsten Rabbiner, der für diesen verantwortungsvollen Posten zu gewinnen sei, als seinen Nachfolger erwählen möge. Auf der engeren Wahl standen nun: Noach Chaim Zwi – Mainz, Zwi Hirsch Samuscht – Glogau, Salomon Cohn – Fürth, Löb Berlin - Kassel, R. Esriel aus Lublin, Meschulam Tusminiz - Preßburg und R. Löb – Rotterdam. Fast einstimmig wurde nun Chaim Zwi im Jahre 1800 (oder 1799?) gewählt. Am 22. Cheschwan (20. November 1799) trat er sein Amt an. Mit großen Ehrenbezeugungen wurde er hier empfangen. Seine größte Ehre und Freude war es aber, als vormittags           
Mainz Israelit 10031902b.jpg (368871 Byte)den 24. Cheschwan, der greise Rafael Cohn, der inzwischen nach Hamburg gezogen war, zu ihm kam, um ihn zu begrüßen. Mit strahlendem Antlitz und inniger Herzlichkeit begrüßte Rafael seinen Nachfolger, mit Tränen in den Augen sprach er: 'Ich preise die gütige Vorsehung Gottes, die mich das Glück schauen lässt, einen solch würdigen Vertreter und Lehrer der von mir so geliebten Gemeinde als meinen Nachfolger sehen zu dürfen.' (S. sechor lezadik = gedenke an den Gerechten).
Bald nach seinem Antritte bestätigte und hielt er aufrecht alle Tikunim Anordnungen und Einrichtungen der Gemeinde, die er musterhaft vorfand. Mit Eifer widmete er sich jetzt dem Studium der Choschen Hamischpot, da ja damals das jüdische Bes din die Rechte und Autorität eines staatlichen Gerichtshofes besaß, und von der ganzen Umgebung die Juden sich mit Vorliebe an das jüdische Gericht zu Altona wandten, weil das Verfahren selbstredend streng rechtlich, vereinfacht und rasch erledigt war. Durch seine Gerechtigkeit, seine Gelehrsamkeit, zugleich aber seine Milde, war er bald als Richter von Nah und Fern in Prozessen gesucht. In Segeberg bei Lübeck war ein heftiger Streit wegen eines Lehrers Sußmann ausgebrochen und der Zwiespalt teilte das Jischuw Segeberg (jüdische Gemeinde Segeberg) in zwei feindliche Lager. Seiner Energie und Umsicht gelang es bald, vollständigen Frieden und Ruhe dortselbst zu stiften. Er war besonders dadurch beliebt, weil er es verstand, in den meisten Fällen die streitenden Parteien auszugleichen. Oftmals ließ er den Verurteilten Geldspenden zukommen, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen konnten, er handelte, wie es beim König David heißt er sorgte für Frieden und Gerechtigkeit erklärt in Sanhedrin 6. ... Er verschaffte Recht dem Kläger, und wenn der Angeklagte nicht bezahlen konnte, dann ... bezahlte für ihn.
Noach Chaim Zwi war auch als Grammatiker bekannt, wie dies sein Lieblingsschüler Wolf Heidenheim mehrfach in seinem Werke erwähnt. Hier in Altona verfasste er das herrliche Werk Ma'yan ha-Chochma auf ..., worin wir sein umfassendes Wissen auf jedem Gebiete der Halacha bewundern müssen. Er schrieb auch viele Erklärungen auf Piutim, siehe in den Rödelheimer  Machsorim, wo bei dem zweiten Abend Pesuch auf den Pssut Or Jom Honef in seinem Namen die Erklärung beigedruckt. Da ihm Kindersegen versagt war, pflanzte er, wie er in seiner Vorrede zu Aze Arosim bemerkt, fünf Zedern in Israel, nämlich seine fünf Werke. In welch hohem Ansehen er stand, dürfte aus folgendem Brief hervorgehen. Rabbi Chajim Malasim, der hervorragendste Schüler des Gaon R. Elija Wilna, wandte sich in einer Anfrage Schaala an Noach Chaim Zwi am 5. Tamus 5561. Er spricht in diesem Schreiben seine Freude darüber aus, dass Friede und gutes Einvernehmen zwischen ihnen und Rafael Kohn herrsche. 'Früher', schreibt er ferner, 'wenn ich Fragen hatte, die ich mir nicht selbst beantworten konnte, schrieb ich meinem Lehrer R. Elija Wilna. Jetzt aber, wo ihn das Zeitliche gesegnet hat, habe ich keinen Lehrer mehr und zu wem der Großen und Heiligen in Israel soll ich mich wenden? Da bist Du ja, mein Freund und Lehrer, der hellleuchtende Stern des Wissens am Firmamente des Judentums. Daher richte ich an dich in der weiten Ferne meine Frage. (Siehe Alias Elija, Seite 36).
Interessant dürfte auch sein, dass der Chacham Isaak Bernays , später Rabbiner in Hamburg mit Noach Chaim Zwi in Mainz in Berührung kam. Als Isaak Bernays sieben Jahre alt war, so erzählt seine Ehrwürden Dr. S.P. Nathan, in Hamburg - sein Licht leuchte - wurde er in ... von ihm verhört, das er so vorzüglich für sein Alter kannte und verstand, dass er ihm den Chower-Titel dafür verlieh. Doch nur kurze Zeit war es ihm vergönnt, hier zu wirken. Am 17. Schwat 5562 (1802) schrieb er noch ein Gutachten für die großen Altonaer Machsorim (siehe dort abgedruckt). Er erkrankte und am 4. Adar Scheni 5562 (8. März 1802) schloss er sein ruhmvolles und arbeitsreiches Leben. Sein Werk Ma'yan ha-Chochmah war zu seinen Lebzeiten schon zur Hälfte gedruckt, und hatte Wolf Heidenheim seinem verehrten Lehrer die Druckbogen zur Korrektur bereits eingesandt. Der zweite Teil wurde von seinem Bruder Arje Löb Berlin in Kassel herausgegeben. Gedruckt in Rödelheim 1804, unter besonderer Aufsicht Wolf Heidenheimers. Ein gut erhaltener Grabstein in der Königstraße in Altona ziert sein Grab. 
Zadikim maaseihem hem toldotam usecharinam.   E. Duckeß, Klausrabbiner in Altona."
Anmerkungen: - Halachah: https://de.wikipedia.org/wiki/Halacha 
- Adar: https://de.wikipedia.org/wiki/Adar_(Monat)   
- Israel: (Hier) jüdische Gemeinschaft
- Dajan: https://de.wikipedia.org/wiki/Dajan
- Glückl Hammeln: https://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/glückel-von-hameln
- Rambam: Maimonides https://de.wikipedia.org/wiki/Maimonides
- Jeschiwo: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
- Cheschwan: https://de.wikipedia.org/wiki/Cheschwan
- Choschen Hamischpot: https://de.wikipedia.org/wiki/Choschen
- Bes din: https://de.wikipedia.org/wiki/Beth-Din
- Gaon: https://de.wikipedia.org/wiki/Gaon_von_Wilna      https://www.nzz.ch/feuilleton/eines-menschen-herrlichkeit-der-gaon-von-wilna
- Isaak Bernays:  https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_Bernays   
- Jischuw: https://de.wikipedia.org/wiki/Jischuv
- Machsorim, Plural von Machsor:https://de.wikipedia.org/wiki/Machsor
- Tamus:  https://de.wikipedia.org/wiki/Tammus 
- Chacham Isaak Bernasis: https://de.wikipedia.org./wiki/Isaak_Bernays.   

   
   
Aus der Zeit von Rabbiner Leo Ellinger 
-  Siehe Bericht über seine Predigt beim Geburtstagsfest für den Großherzog 1841 (interner LInk)     
    
    
    
Bewerbungen um das Rabbinat in Mainz - die neue Synagoge ist alsbald fertig (1850)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 7. Oktober 1850: "Mainz, im September (Privatmitteilung). Die Konkurrenz um das hiesige Rabbinat ist eröffnet und sehr tüchtige Männer wie Dr. Aub zu Bayreuth, Dr. Adler zu Alzey, Dr. Adler zu Kissingen, Dr. Formstecher zu Offenbach und mehrere andere haben sich teils angemeldet, teils werden sie in der Gemeinde gewünscht und die in baldiger Aussicht stehende Wahl beschäftigt alle Gemüter. Es ist auch nicht zu leugnen, dass die Besetzung dieser Stelle von großem Einflusse auf die Gestaltung der religiösen Verhältnisse hier und in der Umgegend sein wird und ist von unserem Gemeindevorstande zu erwarten , dass er umsichtig seine Wahl treffe, und im Interesse unserer Jugend, und um der Zukunft des Judentums willen, einen Mann anstellen werde, welcher die Anforderungen der Zeit begreift und den Mut hat, sie geltend zu machen. - Auch unsere neue Synagoge schreitet rasch ihrer Vollendung entgegen und wird in jeder Beziehung ein sehr herrliches Gotteshaus werden. Möchte dieser würdige Tempel in die Hände eines recht würdigen Volkslehrers kommen!"
Anmerkungen: - Dr. Aub: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Aub
- Dr. Adler, Alzey: https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Adler_(Rabbiner)  
- Dr. Adler, Kissingen: https://de.wikipedia.org/wiki/Lazarus_Adler
- Dr. Formstecher: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Formstecher  und http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?gnd=118988433        

    
Dr. Adler soll erster Rabbiner in Mainz werden, der bisherige Prediger und Religionslehrer Dr. Cohn zweiter Rabbiner ebd. (1852)   
Anmerkung: es kam doch nicht so, wie hier gemeldet wurde, da Dr. Lazarus Adler aus Bad Kissingen 1852 Rabbiner in Kassel geworden ist. Dafür kam Dr. Joseph Aub nach Mainz. Über den genannten Dr. Cohn liegen dem Webmaster noch keine weiteren Angaben vor.     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Februar 1852: "Schließlich benachrichtige ich Sie, dass im benachbarten Mainz vor kurzem Herr Dr. Adler, bisher Rabbiner zu Kissingen, zum ersten und der bisherige Prediger und Religionslehrer Dr. Cohn in Mainz zum zweiten Rabbiner von Mainz von Seiner königlichen Hoheit dem Großherzog ernannt worden sind."
Anmerkung:  - Dr. Adler: https://de.wikipedia.org/wiki/Lazarus_Adler  
        

  
Rabbiner Dr. Joseph Aub wechselt nach Berlin (1866)    

Mainz Israelit 28031866.jpg (71193 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. März 1866: "Mainz, den 25. März. Die israelitische Gemeinde zu Berlin hat dem ersten Rabbiner der bisherigen (Reform-) Gemeinde, Herrn Dr. Joseph Aub, die dort erledigte Predigerstelle übertragen.
Herr Dr. Aub, der vor seinem Amtsantritte in Mainz bereits 23 Jahre in dem bayerischen Städtchen Bayreuth fungiert hat, ist einer der ältesten Reformrabbinen. Schon im Jahre 1836 wollte er, wie ein in Altona herausgegebenes Blatt berichtete, bei Gelegenheit einer Synode das Sabbatgesetz bedeutend modifiziert wissen, und den Staatsangestellten erlauben, am Sabbat zu schreiben. In den wenigen von ihm edierten Schriften und Aufsätzen, spielt die Verhöhnung und Verspottung des Talmuds und der Talmudisten eine Hauptrolle."      

 
Zum Tod des früheren Mainzer Rabbiners Dr. Joseph Aub (1880 in Berlin)  
Anmerkung: im Unterschied zu der oben aus dem konservativ-orthodoxen "Israelit" zitierten Meldung mit einer grundsätzlichen Kritik an Rabbiner Dr. Aub, ist die Mitteilung aus der liberal geprägten "Allgemeinen Zeitung des Judentums" freundlich gegenüber Rabbiner Dr. Aub geschrieben.  

Baiersdorf AZJ 08061880.jpg (122787 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 8. Juni 1880: "Berlin, 25. Mai (1880). So ist abermals ein Veteran des zeitgenössischen Rabbinismus heimgegangen! Am 22. verschied sanft Rabbiner Dr. Joseph Aub im 76. Lebensjahre. Geboren 1805 in Baiersdorf bei Erlangen, fungierte er zuerst als Rabbiner in Bayreuth (1829-1852), dann in Mainz und seit 1866 in Berlin, wo er vor einigen Jahren in den Ruhestand trat. Seine literarischen Arbeiten sind nicht umfänglich, zeugen aber von der Gesinnungstüchtigkeit und Sachkenntnis ihres Verfassers. Sie sind, wie seine 'Betrachtungen und Widerlegungen', 2 Hefte (1839) und spätere Broschüren polemischen Inhalts auf theologischem und staatsrechtlichem Gebiete. Im Jahre 1846 gab er eine Wochenschrift 'Sinai' heraus, die er jedoch bald wieder aufgab. Seine letzte Schrift, eine Religionslehre auf wissenschaftlichem Grunde, hat Wert. Aub gehörte zu der Schule der Reformer, welche bei aller Selbständigkeit doch die Reformen an das Herkommen und an Aussprüche der Talmudisten anzuknüpfen suchen. Er nahm an den Rabbinerversammelungen keinen Anteil, desto lebhafteren an den beiden Synoden, wo er als Referent tätig war. Bei allem Ernst seines Strebens hatte er einen humoristischen Zug, der ihm im geselligen Verkehre sehr liebenswürdig machte. - Gestern Vormittag fand die Beerdigung statt. In der großen Synagoge unter Teilnahme einer die weiten Räume dicht füllenden Menge, des gesamten Gemeindevorstandes, Deputationen aus Leipzig und Mainz sowie Mitglieder beider städtischen Behörden, hielt Dr. Frankl die Leichenrede, während Dr. Ungerleider das Gebet auf dem Friedhof vortrug."      

    
25-jähriges Jubiläum von Rabbiner Dr. Sigmund Salfeld als Rabbiner der Mainzer Religionsgemeinde (1905)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Mai 1905: "In Mainz feierte am 2. d. M. Herr Rabbiner Dr. Salfeld unter allgemeiner Teilnahme weiter Kreise das 25jährige Jubiläum seiner Wirksamkeit als Rabbiner in Mainz und des Mainzer Bezirks. Für den 5. d. J. ist ein Festgottesdienst und für den 6. ein Bankett geplant. Bericht folgt."      
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 19. Mai 1905: "Mainz, 11. Mai. Wie wir bereits berichteten, feierte am 2. d. M. Herr Rabbiner Dr. Salfeld das Jubiläum seiner 25jährigen Tätigkeit als Rabbiner der Mainzer Religionsgemeinde. Die Beteiligung an der Feier war eine allgemeine. Dem Jubilar wurden von allen Seiten, von Privaten, Behörden und Vereinen teils mündliche, teils schriftlich zahlreiche Glückwünsche dargebracht. Den Reigen der Gratulationen eröffnete der in corpore erschienene Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde. Ihr Präzes, Justizrat Dr. F. Ph. Mayer, gab einen Rückblick auf das segensreiche Wirken des Jubilars und überreichte ein Ehrengeschenk der Gemeinde. Es folgten dann die Ansprachen der Deputationen von Vereinen. Für den großen Krankenpflegeverein d. ä. sprach Herr Karl Heidenheimer, für die Rhenus-Loge Herr Martin Mayer-Ganz, für den Verein zur Beschränkung des Wanderbettels und den Hospitalverein Herr Eduard Simon. Herr Karl Marx aus Alsheim, der Rektor der hessischen Lehrerschaft, schilderte die Verdienste des Jubilars um die Verbesserung der Lage der israelitischen Lehrer des Landes und sein erfolgreiches Wirken als Vorstandsmitglied des Vereins zur Heranbildung und Unterstützung jüdischer Seminaristen im Großherzogtum. Für das Lehrerkollegium der Religionsschule gab Kantor Nußbaum der Verehrung und Anhänglichkeit beredten Ausdruck. Nachdem noch mündlich und schriftlich von den Behörden, den Direktoren der höheren Lehranstalten, der christlichen Geistlichkeit, dem Kaufmännischen Verein, der Großloge für Deutschland, der Nassauloge in Wiesbaden und andere, dem Journalisten- und Schriftstellerverein, dem Mainzer Männergesangsverein, dem deutsch-israelitischen Gemeindebund, von wissenschaftlichen Vereinigungen, dem Verband der Literaturverein und von anderen Wünsche dargebracht und die Wohnung des Jubilars durch Geschenk und Blumenspenden überreich geschmückt war, erschienen am Nachmittag die Amtsbrüder Dr. Salfelds, in deren Namen Dr. Stein - Worms eine meisterhafte Ansprache hielt und ein kostbares Kunstwerk, eine silberne Hawdalabüchse, deren Zweck er geistreich gedeutet hatte, dem Gefeierten überreichte. Nach ihm sprach Dr. Lewit – Alzey im Namen des heutigen Rabbinerverbands. Auch die auswärtigen Religionsgemeinden fehlten nicht unter den Gratulanten. Dass die Ehrungen wohlverdiente sind, bezeugt folgendes Schreiben, aus dem wir einen Auszug mitteilen: 'Herr Oberbürgermeister Dr. Gaßner schreibt:‘Am heutigen Tage sind es 25 Jahre, daß Sie das Rabbinat der Mainzer israelitischen Religionsgemeinde inne haben. Mit Stolz und Genugtuung dürfen Sie auf diese lange, stets der ernsten Arbeit und treuesten Pflichterfüllung gewidmete Dienstzeit zurückblicken, die zwar reich an Mühen und Sorgen gewesen, der aber auch der Erfolg und die Anerkennung nicht gefehlt haben. Nicht allein haben Sie in der Ausübung Ihres geistlichen Amtes die segensreiche Wirksamkeit entfaltet, Ihr milder und versöhnlicher Sinn hat auch wesentlich zur Erhaltung von Frieden und Eintracht unter den Bekennern der verschiedenen Konfessionen beigetragen. Dem Bedrängten und Notleidenden waren Sie jederzeit ein warmer Freund und Berater. Eine Reihe von Vereinen schätzten in Ihnen ihren Gründer und werktätigen Mitarbeiter. Der städtischen Verwaltung haben Sie als Mitglied des Schulvorstandes und Erziehungsbeirates besonders nahegestanden, beide Körperschaften haben auf Ihre Mitarbeit jederzeit den größten Wert gelegt und wir geben uns gern der Hoffnung hin, daß Sie uns mit Ihren reichen Erfahrungen auf dem schwierigen Gebiete der Jugenderziehung und Jugendfürsorge auch fernerhin zur Seite stehen werden.' Am Abend des Jubiläumstages fand eine würdige, schliche Feier in der Rhenus-Loge und am 5. d(es) M.(onats), ein Festgottesdienst in der Synagoge statt.
Anmerkungen:  -  Rabbiner Dr. Salfeld: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld   http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1537
- Justizrat Dr. F.Ph. Mayer: Link zu Artikel zur Wahl Mayers zum Beigeordneten in Mainz
- Karl Heidenheimer: Link zu einem Bericht zum Tod von Karl Heidenheimer
- Großloge für Deutschland: https://archives.cjh.org/repositories/5/resources/16181 
- Dr. Stein: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Stein_(Rabbiner)   
- Rabbiner Dr. Sali Levi: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/levi-sali.html            

 
70. Geburtstag von Rabbiner Prof. Dr. Sigmund Salfeld (1913)       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. März 1913: "Herr Rabbiner Professor Dr. Salfeld in Mainz begeht am 24. dieses Monats seinen siebzigsten Geburtstag. Der Jubeltag wird, wie uns mitgeteilt wird, von der dankbaren Gemeinde in feierlicher Weise begangen werden."     


Einführung von Rabbiner Dr. Sali Levi als Nachfolger von Rabbiner Prof. Dr. Salfeld (1918)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. August 1918: "Mainz, 26. Juli. Am vergangenen Freitagabend fand in der Hauptsynagoge die feierliche Einführung des für den in Ruhe getretenen Prof. Dr. Salfeld neugewählten Rabbiners Prof. Dr. Levy statt. Nach dem feierlichen Einzug in das Gotteshaus gruppierte sich der Gemeindevorstand und die Vorbeter um den Rabbiner. Der erste Vorsteher der Gemeinde, Herr Kommerzienrat Bernh. Albert Mayer, begrüßte den neuen Seelsorger im Namen des Vorstandes und der altehrwürdigen Gemeinde Mainz, indem er auf ihre tausendjährige Geschichte und die berühmten Gelehrten hinwies, die in der Gemeinde gewirkt haben. Er sprach die Hoffnung aus, dass es dem neuen Rabbiner gelingen möge, sich die Liebe und Verehrung der Gemeindemitglieder in demselben Maße zu erringen, wie dies bei seinem Vorgänger, dem allgemein hochgeschätzten und verehrten Herrn Prof. Dr. Salfeld in so überaus reichem Maße der Fall gewesen wäre. Möchten sich alle Hoffnungen erfüllen, die die Gemeinde auf ihn setze! Herr Dr. Levy antwortete, er sei sich bewusst, welch schweres Amt er in einer Gemeinde übernehme, in der vor ihm Geistliche gewirkt, deren Ruhm und Ansehen in der ganzen Welt leuchteten. Wenn Gott ihm die Kraft verleihe, wolle er sie anwenden zum Wohle dieser Gemeinde und ihrer Mitglieder. Das gelobe er an dieser Stelle und in dieser Stunde in die Hand der Vorstandsmitglieder vor versammelter Gemeinde. Hierauf hielt der neue Rabbiner seine erste Predigt, die nach Form und Inhalt, wie in rhetorischer Beziehung gleich vollendet war und die Gemeindemitglieder überaus befriedigte. Der neue Seelsorger der 'israelitischen Gemeinde' besitzt ein sehr sympathisches, volltönendes Organ, ist von großer repräsentabler Erscheinung und besitzt alle Eigenschaften, die eine ideale Führung seines Amtes voraussetzt."
Anmerkungen:  - Rabbiner Dr. Salfeld: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld
-  Rabbiner Dr. Sali Levi: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/levi-sali.html
-  Bernhard Albert Mayer: https://www.geni.com/people/Bernhard-Mayer/6000000031492887587
        

   
Goldene Hochzeit von Prof. Dr. S. Salfeld und seiner Frau (1920)          

Mainz AZJ 30011920.jpg (263528 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 30. Januar 1920: "Mainz, 28. Januar. Wie bereits mitgeteilt, beginnen am Sonntag, den 18. dieses Monats Herr und Frau Professor Dr. S. Salfeld das Fest der goldenen Hochzeit, nachdem am 4. bereits das goldene Doktorjubiläum des Herrn Salfeld vorausgegangen war. Viele Ehrungen häuften sich bei diesen Gelegenheiten auf das ehrwürdige Haupt des Jubilars sowie der Jubilarin. Am Samstag, den 17. Januar, fand in der Synagoge eine religiöse Feier statt. Unter dem Chorgesang 'Gesegnet sei, der da kommt' wurde das Jubelpaar begrüßt und zu ihren mit Girlanden geschmückten Sitzen geleitet. Nach dem Vortrag eines Psalms durch Herrn Kantor London, sprach Herr Rabbiner Dr. Levi ein Gebet für das Paar und hielt darauf eine Rede über den Namen Gottes. Anknüpfend an diese formvollendete und tiefeindringliche Rede wandte er sich mit herzlichen Worten an das Jubelpaar, das daraufhin näher trat und mit dem alten Priestersegen 'Der Herr segne dich' eingesegnet wurde. Schon am Freitag und Samstag zeigte sich die treue Anhänglichkeit der Gemeindemitglieder, die durch Besuche, Blumenspenden und Geschenke aller Art ihrer unentwegten Treue Ausdruck gaben. Ein ganz besonders feierlicher Akt stand am Sonntagnachmittag in der Wohnung des Jubelpaares statt. Die Wohnung konnte die Gäste nicht fassen. Seitens des Vorstandes der Israelitischen Religionsgemeinde begrüßte Herr Kommerzienrat Bernhard Albert Mayer in herzlicher Weise die Jubilare, worauf Herr Dr. Salfeld in längerer Rede erwiderte. Herr Rabbiner Dr. Levi, begleitet von den Lehrern und Gemeindevorständen des Rabbinatsbezirkes Mainz - Oppenheim überreichte nach warmherziger Ansprache eine Urkunde über eine reiche Siegmund-und-Zippora-Salfeld-Stiftung, die den Zweck hat, die Namen des Jubelpaares dauernd ehrend zu erhalten. Die Zinsen dieser Stiftung, welche den Betrag von 12.000 Mark bereits übersteigt, sollen alljährlich am 18. Januar zur Förderung des jüdischen Religionsunterrichts des Lehrverstandes oder des geistigen Lebens im Rabbinatsbezirk Mainz-Oppenheim Verwendung finden.Vertreter sämtlicher Vereine der Israelitischen Religionsgemeinde gratulierten persönlich. Von auswärts kamen Glückwunschschreiben von den großen Vereinen der deutschen Judenheit, des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, des Verbandes Deutscher Juden, des Hilfsvereins, des Gemeindebundes, des Rabbinerverbandes, des hessischen Lehrervereins, der Wormser Gemeinde, der Großloge von Deutschland, des Mainzer Journalisten- und Schriftstellervereins und vieler anderer. Auch die Nachbargemeinden Frankfurt und Wiesbaden u.a. sandten Glückwünsche. Die Zahl der Depeschen und brieflichen Glückwünsche hat bereits die Zahl Tausend überschritten. Die überaus reichlichen Ehrungen legen beredtes Zeugnis ab von der Verehrung, welche sich das Jubelpaar im Verlaufe von nahezu 40 Jahren allerseits hier erworben hat. Die Universität Tübingen bestätigte in einem überaus herzlichen Schreiben die Doktorwürde des Jubilars. Herr Staatsrat         
Mainz AZJ 30011920a.jpg (160395 Byte)Dr. Hermann Cohn aus Dessau sandte ein Glückwunschschreiben, dem wir, nach einer Einleitung über das Leben des jungen Ehepaares Salfeld, Folgendes entnehmen: 'Keiner Ihrer Amtsnachfolger wurde wie Sie Stadtverordneter; die Gemeinde verlor mit Ihnen die Verbindung mit dem öffentlichen, dem geistigen Leben der Stadt, eine Lücke, die sich lange nicht schließen sollte. Denn leider für uns, zum Glücke für Sie, bald nahm die altberühmte Mainzer Gemeinde Sie aus unserem Kreise, und in Mainz nahm Ihre Tätigkeit in Praxis und Wissenschaft, als Redner, Seelsorger, Religionslehrer, Historiker, den Aufstieg, der Sie zu einer der bewundertsten und populärsten Kanzelgrößen des deutschen Judentums gemacht hat. Unter den Geistesgrößen der alten Dessauer 'Kehillah' steht Ihr Name auf eherner Tafel eingegraben, als Ihr Vorsteher danke ich Ihnen für die Treue, die Sie uns jederzeit bewahrt haben. Als Mensch und Freund danke ich Ihnen für all die Anregungen, die ich in Ihrem Hause und bei Ihren Kindern finden durfte, für alle Beweise von Anhänglichkeit und Freundschaft, die Sie und die Ihren mir stets entgegengebracht haben. Gott verleihe Ihnen und Ihrer Gattin noch lange Jahre der Gesundheit, des Glückes und der Ehre im Kreise der lieben Ihren, das ist der meinen und mein innigster Wunsch!' Nicht minder herzlich und ehrenvoll lautet das Schreiben, welches der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde zugehen ließ, und in welchem der großen Verdienste aufgezählt werden, welche sich der Herr Dr. Salfeld um die Gemeinde erworben hat. Wir schließen uns mit vollem Herzen dem Glückwunsch an den Hofrat Professor A. Börckel zugleich im Namen seiner Gattin dem Jubelpaare gewidmet hat:  
'Wohl jeder, der wie wir Euch kennt,
Denn immer fiel in sie hinein,
Der Nächstenliebe goldner Schein,
Und stiegen manchmal Wolken auf,
Gleich schien die goldene Sonne drauf.
Und golden war, was Ihr erdacht
An edlen Werken und vollbracht.
Drum blieb Euch auch der Himmel hold.
Und wird Euch Lob und Dank gezollt,
An Eurem goldnen Jubeltage,
Denn 'golden' seid Ihr ohne Frage.'" 
Anmerkung:  - Prof. Dr. Salfeld: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld
- Kantor London: Max London https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de918271
- Rabbiner Dr. Sali Levi: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/levi-sali.html
- Priestersegen: https://de.wikipedia.org/wiki/Aaronitischer_Segen
- Bernhard Albert Mayer: https://www.geni.com/people/Bernhard-Mayer/6000000031492887587
- Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens: https://de.wikipedia.org/wiki/Verband_nationaldeutscher_Juden
- Verband Deutscher Juden: https://de.wikipedia.org/wiki/Verband_nationaldeutscher_Juden
- Professor A. Börckel: https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Börckel 
 
 
Mainz FrfIsrFambl 06021920.jpg (15173 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. Februar 1920: "Mainz. Rabbiner a. D. Prof. Dr. Siegmund Salfeld und Frau waren anlässlich ihrer goldenen Hochzeit der Gegenstand überaus großer Ehrungen."     

 
Beitrag von Rabbiner Dr. Sali Levi zum Heimatrecht der deutschen Juden auf Grund zahlreicher Belege (1926)   

Mainz CV Monat Okt 1926.jpg (406175 Byte)Artikel in der "CV-Zeitung" (Monatsschrift) vom Oktober 1926: "Die Steine reden.
Tausendjährige Belege für das Heimatrecht der deutschen Juden – Die Grabinschriften der ituräischen Kohorten – Um 1000 schon jüdische Gelehrte auf deutscher Erde – In Mainz die durch Unruhen in früheren Jahrhunderten verlorenen Grabsteine aufgefunden – Am 3. Oktober auf dem 'Judensand' neu aufgestellt – Zahlreiche Denkmäler von 1000 bis 1420 – Sarlin und Merlin – Neue Zeugen für unser Recht

Urkunden sind die wichtigsten Quellen für geschichtliche Forschungen. Über die Frühzeit jüdischer Siedlung auf deutschem Boden sind uns aber urkundliche Belege kaum erhalten geblieben. Zwar verdienen die zahlreichen Grabinschriften römischer Soldaten und Veteranen, welche in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten im römischen Kolonialgebiet Galliens und Germaniens beigesetzt wurden, noch die Durchprüfung unter diesem Gesichtspunkt und man fände hierbei vielleicht – besonders bei den ituräischen Kohorten – manchen Träger eines jüdischen Namens. Immerhin bleibt weit über ein halbes Jahrtausend nach dem Ende der Römerherrschaft für die Geschichte der Juden in Deutschland vollkommen dunkel und was wir über die Zeit des neunten und zehnten Jahrhunderts erfahren, ist zum Teil als unhaltbar erwiesen oder doch zweifelhaft.
Um die Mitte des zehnten Jahrhunderts beginnt das Dunkel sich zu lichten; in den Rheingegenden, wo das Deutschtum sich zuerst herausgebildet hat, treten jüdische Gelehrte und Führer hervor, von deren umfassendem Wissen und überragender Bedeutung die Tatsache Zeugnis ablegt, dass man ihre Arbeiten und Entscheidungen in den folgenden Jahrhunderten immer wieder zitiert und bis auf den heutigen Tag als maßgeblich betrachtet. Namen, wie die der Kalonymiden, eines Rabbenu Gerschom, eines Simon ben Isaak, eines Jacob bar Jakar, dieses Raschilehrers, um nur einige wenige zu nennen braucht der Kenner nur zu hören, um sofort die ganze fruchtbare und unabsehbar einflussreiche Zeit jüdischer Hochschulen auf deutschem Boden und das Jahr 1000 vor Augen zu sehen. Diese Männer und ihre großen Zeitgenossen, die wir hier nicht alle aufzählen können, strömten die Tiefe des Wissens und die Kraft des Glaubens in die nahe und ferne Umgebung aus, sodass die Heimsuchung der Kreuzzugszeit bei aller Vernichtung der Gemeinden am Rhein die jüdische Gemeinschaft nicht wankend fand.
Die Schriften dieser ältesten, geschichtlichen jüdischen Persönlichkeiten auf deutschem Boden kennen wir nur aus zitierten Bruchstücken, wie Häuser, in welchen sie lehrten, die Synagogen, in welchen sie beteten, sind verschwunden, aber die Grabsteine einer Anzahl dieser Größen sind uns erhalten. Die Schwestergemeinde Worms zeigte schon immer den alten Friedhof, in dessen Erde große Führer Israels schlummern; aber in unserer Gemeinde Mainz waren um die Mitte des 15. Jahrhunderts bei einem Kampf um die Kurfürstenwürde zwischen Diether von Isenburg und Adolf von Nassau nach der Ausweisung der Juden aus der Stadt die uralten Grabsteine verschleppt und beim Bau von Festungswerken verwendet wurden. In den letzten Jahrzehnten kamen sie bei der Niederlegung verschiedener Bauten und bei Ausschachtungen wieder zum Vorschein und seit dem denkwürdigen 3. Oktober dieses Jahres künden diese alten Steine, nachdem wir sie von der Stadtverwaltung zurückerhalten und auf dem alten 'Judensand' wieder aufgestellt hatten, in aller Öffentlichkeit von unseren alten Vätern auf deutscher Erde.
Die ältesten Steindokumente über deutsche Juden befinden sich darunter, Dokumente, die bis in die Zeit vor dem ersten Kreuzzug zurückreichen. Stark in ihrer Schlichtheit sprechen diese Felsstücke mit kurzen Worten zu uns; so heißt es auf dem Stein jenes Enkels des Mose Hasaken: 'Hier ward begraben unser Meister, der Lehrer Meschullam, der Sohn unseres Meisters, der Lehrer Kalonymos, seine Seele sei eingeflochten in den Bund des Lebens.' Und auf dem gedrungenen Steine, den ich als Denkstein für Rabbenu Gerschom bar Jehudah ansehen möchte, finden sich die Worte. 'Ein Fels wurde gebrochen zum Gedenken an Rabbi Gerschom, Sohn des … (die Leuchte des Exils?)'. 'Dies ist das Grab unseres Meisters, des Lehrers Simon bar Isak, seine Seele gehört dem ewigen Leben', so lesen wir auf dem dritten Steine. Meschullam lebte wohl vor dem Jahre 1000. Die erste Judenverfolgung in Deutschland im Jahr 1012. Rabbi Simon beschwichtigte durch seinen Einfluss die furchtbare seelische und körperliche Not seiner Leidensgenossen, Rabbenu Gerschoms Sohn ward geraubt und zwangsweise getauft. Erschütternde Klagelieder dieser beiden Männer über diese Zeit sind uns erhalten.
So reiht sich Stein an Stein aus der Zeit von etwa 1000 bis 1420. Durch ihre kurzen hebräischen Inschriften sind sie wuchtige, zu jedem Herzen sprechende Zeugen alter Zeit. Die ältesten Steine stammen aus der Zeit, wo man begann, den alten Mainzer Dom zu bauen und sind so auch Denkmäler allgemein deutschen Kulturlebens für eine Zeit, aus der uns nicht viele Originale erhalten geblieben sind. In diesen hebräischen Inschriften steckt tiefes jüdisches Empfinden, das in deutschen Formen Ausdruck sucht. Wenn wir da, besonders im dreizehnten Jahrhundert, Frauennamen wie Sarlin und Merlin, das ist Saralein und Mirjamlein, das letztere vielleicht auch vom mittelhochdeutschen 'Merl '= Amsel oder Amselein) finden, so sehen wir, jedenfalls aus den Koseendungen, wie die deutsche Sprache in den jüdischen Häusern lebte und die innige Verbundenheit zwischen Mann und Weib und zwischen Eltern und Kindern zum Ausdruck brachte. Namen wie Bruna (die Braune) oder Schona (die Schöne), wie Meitin (die Maid, Jungfrau) und Edlin (die Edle) sind mittelhochdeutsche Frauennamen, die – obwohl noch das Judentum seinen Mangel an schönen biblischen und nachbiblischen Eigennamen hatte- aus eigenem Entschluss, von jüdischen Eltern für ihre Kinder gewählt waren und so die Verbundenheit des deutschen Juden im frühen Mittelalter mit dem Deutschtum dokumentieren. Denn Juden war das Namengeben nie eine leere Formsache, in dne Namen, welche jüdische Eltern ihren Kindern gaben, legten sie von den ältesten Zeiten an ihr ganzes Empfinden, Glauben, Hoffen und Sehnen.
Wenn sich während des Krieges tief in Litauen drin noch Familien fanden, welche Namen wie 'Magenza' (alte Form von Moguntia = Mainz) und 'Bacharach' trugen, so war dies nicht etwa eine willkürliche Namensgebung oder eine Namenserhaltung aus stumpfer Trägheit, sondern diese Familien wussten und bekannten, dass ihre Vorfahren in schwerer Verfolgungszeit aus den rheinischen Gegenden hatten flüchten müssen und erhielten in ihren Namen das treue Gedenken an die alte Heimat.
'Saxa loquuntur', 'diese Steine reden' können wir darum von den in der Öffentlichkeit wieder aufgestellten Grabsteinen sagen. Sie redeten nicht nur vom Tode der Männer und Frauen, deren Namen sie enthalten, sie reden auch von ihrem Leben. Neue Zeugen sind uns erstanden für unser Recht in unserem beklagenswerten Kampf, in unserem Kampf um unser Recht auf unsere deutsche Heimat.  Rabbiner Dr. S. Levi (Mainz).
Anmerkungen:  -  Ituräische Kohorten. https://de.wikipedia.org/wiki/Ituräa
-  Arabische Auxiliareinheiten https://de.wikipedia.org/wiki/Itura
- Kalonymiden:https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
- Rabbenu Gerschom: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda   https://schumstaedte.de/entdecken/memorstein-fuer-gerschom-ben-jehuda/
- Jacob bar Jakar: https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_ben_Jakar
- Raschi: https://de.wikipedia.org/wiki/Raschi
- Diether von Isenburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Diether_von_Isenburg
- Adolf von Nassau: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_II._von_Nassau
- Meschullam:https://de.wikipedia.org/wiki/Meschullam_ben_Kalonymos
- Kalonymos: https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymos_ben_Meschullam  
     
- über den Verfasser des Artikels: Sali Levi: https://de.wikipedia.org/wiki/Sali_Levi   https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/levi-sali.html   http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=2350  https://www.lbi.org/griffinger/record/242021        

 
 
 
Aus der Geschichte der Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft  
Zum Tod von Sophie Bondi geb. Epstein, Gattin von Rabbiner Samuel Bondi (1871)     

Mainz Israelit 26051871.jpg (172378 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Mai 1871: "Nekrolog
Mainz, 21. April. Mit tiefbewegtem Herzen sind wir heute in die traurige Lage versetzt, den geehrten Lesern eine höchst schmerzliche Nachricht mitzuteilen. Frau Sophie Bondi, die Gattin des weitberühmten Rabbi Samuel Bondi sein Licht leuchte, die Schwiegermutter des Herausgebers dieser Blätter ist nicht mehr; wir haben sie gestern zur letzten Ruhestätte geleitet. Was namentlich unsere Familie in dieser edlen, frommen Frau, einer wahrhaften Eschet Chajil (sc. 'wackere Frau' nach Sprüche 31) verloren, weiß ein Jeder zu beurteilen, der die Dahingeschieden kannte.
Frau Sophie Bondi sie ruhe in Frieden, die Tochter des in seiner Zeit rühmlichst bekannten Rabbi Meyer Epstein das Gedenken an den Gerechten sei zum Segen von Fulda  wurde schon als achtzehnjähriges Mädchen mit ihrem um wenige Jahre älteren, edlen Gatten vermählt, mit dem sie fünfundfünfzig Jahre in ungetrübtem ehelichen Glücke, in aufopferungsvoller, hingebender Liebe gelebt hat. Wie sie im Vereine mit ihrem unvergleichlichen Gatten G'tt vermehre seine Tage und seine Jahre ihre Söhne und Töchter erzogen, wie sie mit der größten Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, den Pflichten unserer heiligen Religion nachgekommen, in wie hohem Maße sie die großen Tugenden von Wohltätigkeit, Gastfreundschaft usw. übte, das entzieht sich jeder Schilderung, jeder Beschreibung.
Auf die Trauerstunde hin waren Söhne, Töchter, Schwiegersöhne, Enkel und Enkelinnen, sowie zahlreiche andere Verwandte aus der Nähe und Ferne herbeigeeilt, um der so Tiefbetrauerten das Geleit zum letzten Gange zu geben und so wurde sie denn, selbstverständlich auch unter Beteiligung fast der ganzen hiesigen Gemeinde, unter heißen Tränen zur Ruhe bestattet.
Der Schmerz der Hinterbliebenen ist um so größer, da eine vor wenige Wochen von der Hand des Allgütigen geschlagene Wunde noch nicht vernarbt ist; Sonntag, den 26. März, verschied nämlich die Gattin unseres Schwagers Bertram Bondi, Frau Rosalie Bondi seligen Andenkens geborene Hechinger, aus Harburg in Bayern nach nur kurzem Krankenlager an einem typhösen Fieber. Die Tiefbetrauerte wurde nach nur sechsjähriger, überaus glücklicher Ehe in noch jugendlichem Alter, man kann sagen, in der Fülle der Gesundheit und Kraft, dahingerafft. Drei kleine Kinder, von denen das jüngste erst wenige Monate zählt, haben in ihr die zärtliche Mutter verloren, auch sie war eine Eschet Chajil, die Freude und das Glück ihrer erst vor Jahresfrist verwitweten Mutter.
Möge der allgütige Gott - gepriesen sei er - alle Betrübten trösten und die Tränen trocknen von jeglicher Wange. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."      

 
Zum Tod von Rabbi Samuel Bondi (1877)     

Mainz Israelit 28111877.jpg (105838 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. November 1877: "Mainz, 25. Nov. Wir haben heute eine höchst betrübende Mitteilung zu machen. Rabbi Samuel Bondi sein Licht leuchte, durch seine tiefe und ausgebreitete talmudische Gelehrsamkeit wie durch seine innige Frömmigkeit in den weitesten Kreisen rühmlichst bekannt, ist nicht mehr. Gestern Abend 9 Uhr, am Ausgang des Schabbat mit der Paraschah wajischlach, hauchte er seine reine Seele aus, in einem Alter von 83 Jahren und 8 Monate. Seine Kinder, Enkel und Urenkel beweinen den Verlust ihres unvergesslichen geliebten Vaters, der Herausgeber dieser Blätter, den Heimgang ihres teuren Schwiegervaters und verehrten Lehrers, die israelitische Religionsgesellschaft zu Mainz den Tod ihres Begründers und ersten Vorstehers, der mit wahrhafter Aufopferung und unermüdlicher Hingebung seit einem Vierteljahrhundert ihre Interessen vertreten, die Stadt Mainz den Heimgang eines ihres geachteten Bürger, und ganz Israel den Verlust eines Mannes, welcher der Gesamtheit zur Zierde gereichte. (hebräisch und deutsch:) wehe, es ist gefallen, die Krone unseres Hauptes! Es ist uns nicht möglich, heute mehr zu schreiben. Wir werden in den nächsten Nummern ausführlich von dem reichen Leben des teuren Verblichenen erzählen. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."
Anmerkung:  - Rabbi Samuel Bondi: https://www.geni.com/people/Samuel-Bondi/6000000003639961105
         

   
Beisetzung von Rabbi Samuel Bondi (1877)    

Mainz Israelit 28111877c.jpg (210927 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. November 1877: "Mainz, 26. November. Heute fand unter überaus zahlreicher Beteiligung das Leichenbegängnis unseres verehrten, unvergesslichen Schwiegervaters - seine Seele leuchte - statt – es war ein Conduct, wie er hier noch nicht gesehen worden; circa 2.000 Menschen aus allen Ständen und Konfessionen folgten der Leiche. Die vornehmsten Bürger unserer Stadt, der Bürgermeister an der Spitze, die Rabbinen und Vorsteher der Gemeinde sowohl wie auch der Religionsgesellschaft, die Lehrer und Schüler des Gymnasiums und der Realschule, die Israeliten von Mainz fast ohne Ausnahme, sowie zahlreiche Fremde: Von Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Halberstadt, Darmstadt, Wiesbaden, Bingen, Fulda, Marburg, Biebrich, Biblis, Mosbach sowie von den in der Nähe befindlichen kleineren Ortschaften bildeten das zahlreiche Gefolge, welches dem allverehrten Manne die letzte Ehre erweisen wollte. Heute Vormittag eröffnete Herr Rabbiner Dr. Hildesheimer aus Berlin die traurige Feier mit tief ergreifendem Hesped (Traueransprache). Im Trauerhause sprachen noch Herr Moritz Lewin aus Frankfurt a. M., Herr Leo Leser von hier und ein Sohn des Betrauerten, Herr Hugo Bondi. Punkt 11 Uhr setzte sich der imposante Zug in Bewegung. Auf dem Friedhofe entrollte der Herausgeber dieser Blätter ein Lebensbild des Betrauerten oftmals von dem lauten Schluchzen der zahlreichen Menge unterbrochen. Dann sprach Herr Dr. M. Hirsch aus Frankfurt, der Sohn des Rabbiner Hirsch, der leider durch Unwohlsein verhindert war, selbst zu kommen, verhindert war. Darauf sprach Herr Rabbiner Dr. Auerbach aus Halberstadt. Noch viele der Anwesenden hätten gerne ihrem Schmerze Ausdruck gegeben, wenn nicht die Zeit zu weit wäre vorgerückt gewese. Außer den Genannten waren noch folgende Rabbinen und Rabbinatassessoren anwesend: Dr. Cahn – Wiesbaden, Dr. Fromm – Frankfurt a. M., Dr. Sänger – Bingen, Dr. Munk – Marburg, Dr. Cahn – Fulda, Bamberger – Frankfurt a. M., Weil und Thalmann – Karlsruhe, Sulzbach – Darmstadt; auch waren fast sämtliche Vorsteher der israelitischen Religionsgesellschaften zu Frankfurt a. M., Darmstadt, Wiesbaden und Bingen erschienen. Heute Abend brachten alle hier erscheinenden Zeitungen Nekrologe, welche der allgemeinen Wertschätzung Ausdruck verliehen. Wir behalten uns vor, eine ausführliche Biographie des teuren Heimgegangenen in den nächsten Nummern zu veröffentlichen."
Anmerkungen: -  Religionsgesellschaft: https://de.wikipedia.org/wiki/Orthodoxe_Synagoge_Mainz  
Rabbiner Dr. Hildesheimer: https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer    
Hugo Bondi: https://www.geni.com/people/Hugo-Bondi/6000000002954027226   
Rabbiner Dr. Fromm: https://www.lagis-hessen.de/pnd/1140052071
Rabbiner Dr. Sänger: Rabbiner Dr. Hirsch Naphthtali Zwi Sänger, 1843 Buttenwiesen – 1909 Mergentheim
Rabbiner Dr. Munk: https://www.alemannia-judaica.de/marburg_texte.htm#Nachruf zum Tod von Rabbiner Dr. Leo Munk (1917)      
Rabbiner Dr. Auerbach: Rabbiner Dr. Siegmund Auerbach, 1840 - 1901.          

     
Zum Tod von Rabbi Samuel Bondi (I, 1877)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Dezember 1877: "Rabbi Samuel Bondi - er ruhe in Frieden.  Mainz, 27. November
Der große und bedeutende Mann, den unsre Überschrift nennt, wurde am Purimfeste des Jahres 5554 (d.h. 14. Adar II 5554 = 16. März 1794), geboren. Sein Vater, Rabbi Jonah Bondi, war aus Dresden, wohin dessen Vater, Rabbi Wolf Bondi, von Prag gezogen war. Rabbi Jonah war ein geborener Prager, ein hervorragender Schüler des berühmten Rabbi Jecheskel Landau; noch ist in unserem Besitze der erste Teil des Noda bi-Jehuda, den der Verfasser seinem Lieblingsschüler verehrt und mit einer eigenhändigen Widmung versehen hat. Rabbi Jonah war nicht nur ein großer Lamdan, sondern im wahrhaftesten Sinn des Wortes ein großer Heiliger; zu seinen Ahnen zählte er die hervorragendsten Männer unserer Nation. Den Verfasser des kikion diunah (???), den Maharschal (Rabbi Schelomo Lurja), Raschi (Rabbi Schelomo Jizchaki) und eine Familientradition führt den Stammbaum der Familie auf König David zurück. Die Mutter der teuren Dahingeschiedenen, Bella, war eine Tochter des weltberühmten Mainzer Oberrabbinen Rabbi Herz Scheuer, dessen Vater Rabbi Tewele Scheuer, ebenfalls daselbst Oberrabbiner gewesen. Rabbi Tewele war ein geborener Frankfurter, einer der bedeutendsten Schüler des Maharich (???); er wurde später als der große Verfasser des Penei Jehoschua Frankfurter Rabbiner war, Dajan in seiner Vaterstadt und ward dann zum Nachfolger seines Schwiegervaters, Rabbi Nathan Utitz, als Rabbiner nach Bamberg berufen. Von Rabbi Nathan Utitz möge hier ein Charakterzug erzählt werden. Derselbe hatte außer seiner, später mit Rabbi Tewele vermählten Tochter, einen einzigen Sohn, einen hoffnungsvollen Knaben von acht Jahren. Als dieser einst mit seinem Lehrer spazieren ging, begegnete ihm ein Priester, welcher die Embleme der katholischen Religion trug. Die den Priester begleitende Menge wollte die beiden Juden zwingen, niederzuknien. Der Lehrer gehorchte, der Knabe erlitt lieber den Tod. Als man die          
Mainz Israelit 05121877b.jpg (363977 Byte)Leiche des Kindes nach Hause brachte, saß der Rabbiner in seinem Studierzimmer, in dem sich auch ein heiliger Schrein mit einer Torarolle befand. Als der Vater die verstümmelte Leiche seines einzigen Sohnes erblickte, riss er die Türe des Aron hakodesch auf und rief: 'Allmächtiger Gott, ich danke Dir, dass Du mich so hoch beglückst, dass mein Sohn hat hingegeben sein Leben zur Heiligung Deines großen Namens.'
Rabbi Tewele hatte in Bamberg einen großen und schönen Wirkungskreis; Bamberg war damals eine namentlich durch Torakenntnis ausgezeichnete Gemeinde, allein die Verfolgungen eines Apostaten (Meschumar - getaufter Jude) verbitterten ihm das Leben. Der Apostat wurde nicht müde, bei der fürstbischöflichen Regierung den Rabbiner zu verleumden, damals ereignete sich die weltberühmt gewordene Geschichte, dass der Apostat es als ein Verbrechen dargestellt hatte, dass der Rabbiner am Weihnachtsabend mit seinen Schülern Karten spiele. Die heilige Hermandad überfiel wirklich den Rabbiner, aber es war gerade eine religiöse Anfrage (Sche'ela) gekommen, der Rabbiner und seine Schüler waren in der Erörterung der Sche'ela vertieft; die Karten waren vom Tisch verschwunden und Gemara, Alphaßi, Rambam, Tur und Schulchan Aruch lagen aufgeschlagen auf demselben.
Wir haben diese einzelnen Züge nur erwähnt, um zu zeigen, in welchen Familientraditionen Rabbi Samuel Bondi - er ruhe in Frieden - heranwuchs. Es war eine stürmische Zeit, in welcher er geboren wurde, Mainz hatte soeben (1793) jene schreckliche Belagerung überstanden, die Mainz von der Republik Frankreich lostrennte, und den entflohenen Kurfürsten wieder zurückrief. Allein schon 1795 wurde Mainz wieder französisch und beinahe hätte Rabbi Samuel in die Armee eintreten müssen. Er war schon eingekleidet als der Sturz des Imperators erfolgte.
Als zwölfjähriger Knabe verlor Rabbi Samuel seinen ebenso gerechten wie frommen Vater; seine Mutter, eine noch jugendliche Witwe, verschmähte es, einen zweiten Ehebund einzugehen und wies die glänzenden Anträge zurück; sie lebte nur der Erziehung ihrer drei Kinder, einer Tochter, die sich nach Bingen https://www.alemannia-judaica.de/bingen_synagoge.htm verheiratete und zweier Söhne, von denen der jüngere, der durch seine Gelehrsamkeit und Frömmigkeit rühmlichst bekannte Rabbi Tewele Bondi - sein Licht leuchte - seit mehr als sechzig Jahren in Frankfurt wohnt.
Der eigentliche Erzieher unseres Samuel war sein Großvater Herz Scheuer. Unter den zahlreichen bedeutenden Schülern der damals in Mainz blühenden Jeschibah – ich nenne nur Rabbi Mendel Karge, Rabbi Mosche Merzig, Rabbi Mosche Reis, Rabbi Bär Scheuer – war Rabbi Samuel Bondi der hervorragendste, der Lieblingsschüler seines Großvaters. - Als zwanzigjähriger Jüngling schloss er den Ehebund mit seiner edlen, frommen Gattin Sophie*), einer geborenen Epstein aus Fulda, mit der er 56 Jahre lang in glücklichster Ehe gelebt hat. Als sein Großvater im Jahre 5583 (1822) starb, übernahm Rabbi Samuel eine Zeit lang die Leitung der Jeschibah; aber die Ungunst der Zeiten versprengte die Schüler und so widmete er sich Rabbi Samuel den Geschäften – er gründete eine Weinhandlung – , aber immerwährend das Geschäft als Nebensache, das Talmudstudium als Hauptsache betrachtend. Sein öffentliches Wirken begann erst im Anfange der dreißiger Jahre. Es war im Jahre 5591 (1830), als am Versöhnungstage während des Neilah-Gebetes in der großen, alten Synagoge die Sifrei Kodesch (= Torarollen) aus dem heiligen Schreine, dessen Türen geöffnet waren, heraus auf die Erde fielen. Welcher Schrecken, welche Angst sich der Gemüter bemächtigte, kann man sich leicht vorstellen. In demselben Jahre wurde von der Regierung, die den sogenannten Fortschritt begünstigte, der damalige Gemeindevorstand seines Amtes entsetzt, statt seiner wurden Männer in die Verwaltung berufen, die genügsam charakterisiert sind, wenn wir mitteilen, dass der Präses des neuen Vorstandes später zum Christentum übertrat. 'Reform' auf allen Gebieten war nun das Losungswort, der alte Rabbiner, Rabbi Löb Ellinger, sollte als 'Lungenbesichtiger' beibehalten werden; dagegen sollte das Rabbineramt einem Jünger der damals aufstrebenden 'Reform' übertragen werden. Dagegen trat Rabbi Samuel Bondi mit aller Kraft und Energie auf, und seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, der neue Vorstand musste abtreten, und er selbst wurde mit seinen Freunden Rabbi Mosche Reis und Rabbi Jakob Levi, an die Spitze der Gemeinde berufen. Fünfzehn Jahre lang vermochte er mit seinen Freunden die Gemeinde in ihrem alten Bestande erhalten. Da traten neue Momente ein, die das unmöglich machten.
Der Rabbiner Löb Ellinger starb, und es sollte ein moderner Rabbiner berufen werden, die alte Synagoge war baufällig geworden und sollte durch einen Reform-Tempel ersetzt werden. Sieben Jahre währten die Kämpfe; da wurde im Jahre 1853 der mit Orgel etc. versehene Tempel eingeweiht und Dr. Aub von Bayreuth (jetzt in Berlin) als Rabbiner berufen. Als Rabbi Samuel sah, 
*) Sie hieß eigentlich Süßchen, musste aber nach hierländischen Gesetzen ihren Namen ändern.
     
Mainz Israelit 05121877c.jpg (44820 Byte)dass all seine Kämpfe vergeblich gewesen, da tat er wie unser Vater Jakob getan (hebräisch und deutsch aus 1. Mose 32,8-9): 'Und er teilte das Volk in zwei Lager und sprach: 'Wenn der religionsfeindliche, herrschende Zeitgeist das eine Lager vernichten sollte, so möge wenigstens das übriggebliebene Lager errettet werden.'
Rabbi Samuel Bondi gründete nunmehr in Verbindung mit seinen Freunden Rabbi Mosche Reis und Rabbi Jizchak Fulda*) die israelitische Religionsgesellschaft.
(Fortsetzung folgt)
Anmerkungen:  -  Lamdan: https://de.wikipedia.org/wiki/Lamdan 
-  Rabbi Herz Scheuer:  https://de.wikipedia.org/wiki/Herz_Scheuer: Rabbi Herz Scheuer  war Vorgänger und Nachfolger von Rabbi Samuel Levi, dem Großvater des Dirigenten Hermann Levi (1839 -1900). Vgl. in der Seite zu den Rabbinern und Lehrern in Worms einen Artikel von 1900 und einen Artikel von 1912 sowie einen Artikel von 1933.
- Rabbi Tewele Scheuer:   https://en.wikipedia.org/wiki/David_Tebele_Scheuer 
-  Dajan: Richter am Beth Din https://de.wikipedia.org/wiki/Beth_Din
-  Aron hakodesch: https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein
-  Hermandad: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermandad
-  Gemara: https://de.wikipedia.org/wiki/Gemara
-  Alphaßi: https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_Alfasi
-  Rambam:https://de.wikipedia.org/wiki/Maimonides
-  Tur: https://de.wikipedia.org/wiki/Naftali_Herz_Tur-Sinai 
-  Schulchan Aruch: https://de.wikipedia.org/wiki/Schulchan_Aruch
-  Jeschibah: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
-  Rabbi Mosche Merzig: https://www.merzig.de/tourismus-kultur/erinnerungskultur/reb-mosche-merzig/
-  Rabbi Mosche Reis: https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Rei%C3%9F
-  Versöhnungstag: https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
-  Rabbi Löb Ellinger: Lebte von 1772 bis 1847.   

   
Zum Tod von Rabbi Samuel Bondi (II, 1877)     

Mainz Israelit 12121877.jpg (227275 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Dezember 1877: "Rabbi Samuel Bondi - er ruhe in Frieden - II.
Die Gründung der israel(itischen) Religionsgesellschaft zu Mainz war mit den allergrößten Schwierigkeiten, sowohl äußern wie inneren, verknüpft. Zwar war Frankfurt a. M. mit gutem Beispiele vorangegangen; allein dort lagen die Verhältnisse wesentlich günstiger. Zunächst hatte sich der Senat der damals freien Stadt zu der Gründung der Religionsgesellschaft entgegenkommend verhalten, während die Großherzoglich Hessische Regierung sich vollständig ablehnend verhielt. Der Ministerialrat W., der damals das Referat in judaicis hatte, wollte nicht einmal die Erlaubnis zur Abhaltung eines 'Minjan' außer der Orgel-Synagoge gestatten. Da galt es nun mit Energie, mit Klugheit, mit Ausdauer vorzugehen. Damals gab es noch keine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Mainz und Darmstadt, die Reise in die Residenz war eine sehr umständliche. Nichtdestoweniger reisten Rabbi Samuel Bondi und Rabbi Jakob Levi allwöchentlich einige Male dahin und hörten nicht auf, bei den einflussreichsten Persönlichkeiten so lange zu petitionieren, bis ihnen die Erlaubnis zur Errichtung eines besonderen Gottesdienstes erteilt wurde – aber auch nichts als das; die Erlaubnis, einen Rabbiner anzustellen und von diesem die rabbinischen Funktionen vollziehen zu lassen, musste erst noch – schrittweise – erlangt werden.
Nicht minder groß waren die Schwierigkeiten im Innern der Religionsgesellschaft. Anfangs waren es nur sechzehn Familien und unter diesen nur wenig Begüterte. Es fehlte geradezu an Allem, namentlich an Geld. Trotzdem gelang es dem rastlosen, unermüdlichen Eifer der beiden oben genannten Männer, eine Synagoge zu erbauen, die circa 36.000 fl. kostete.
Am Rüsttage des Hüttenfestes des Jahres 5615 (1854) trat der Herausgeber dieser Blätter seiner Stellung an der israel(itischen) Religionsgesellschaft an. Das Synagogengebäude war fertig, aber zur Vollendung der innern Ausstattung fehlte das Geld; so währte es noch zwei Jahre bis zur Einweihung. Wir wollen von dem Zustande, wie wir hier angetroffen, schweigen. Liegt es uns ja heute nicht ob, eine Geschichte der israel(itischen) Religions-Gesellschaft zu Mainz zu schreiben, sondern nur den hervorragenden Anteil hervorzuheben, den der Edle, welchen unsre Überschrift nennt, an der Bessergestaltung der religiösen Zustände in unserer Stadt genommen. Er war der geistige Mittelpunkt des Ganzen. Sein religiöser Ernst, sein Feuereifer, seine große talmudische Gelehrsamkeit, seine Strenge gegen sich selbst und seine Milde gegen andere, seine grenzenlose Bescheidenheit – all’ diese erhabenen Eigenschaften des Geistes und Charakters verliehen der Religionsgesellschaft einen ideale Höhe, die über die Kleinlichkeit der materiellen Zustände hinweghalf, Rabbi Samuel Bondi verstand es, die Begeisterung, die sein edles Herz durchleuchtete, seiner ganzen Umgebung mitzuteilen. So ruhte denn Gottes Segen sichtlich auf          
Mainz Israelit 12121877b.jpg (200395 Byte)seinem Werke. Die im Jahre 5616 (1856) eingeweihte Synagoge, anfangs viel zu groß, ward bald zu klein Im Jahre 5619 (1859) gelang es uns, eine Unterrichtsanstalt zu gründen, die mit 53 Kindern eröffnet wurde, und die jetzt über 150 Schüler und Schülerinnen zählt. Im Jahre 5618 (1858) hatte die Religionsgesellschaft nach vielen Mühen und Kämpfen Korporationsrechte erlangt. Im Jahre 5633 (1873) gelang es, eine Haus nebst Garten neben der Synagoge zu erwerben, um die notwendige Vergrößerung vorzunehmen, die denn auch im verflossenen Frühjahre in Angriff genommen wurde. Unsere neue Synagoge wird mehr als noch einmal so groß als die vorige werden. Ach, Rabbi Samuel Bondi sollte die Vollendung derselben nicht erleben!
Nachdem wir nun in Kürze den Lebenslauf und einen Teil der Wirksamkeit des verehrten Mannes den Lesern vorgeführt, wollen wir zu einer Charakteristik seiner Persönlichkeit schreiten, damit sie beispielgebend weiter wirke.
Der Lebensnerv, der Lebensquell des teuren Dahingeschiedenen war unsre heilige Gotteslehre. Vom Allgütigen mit großen geistigen Fähigkeiten ausgestattet, hatte er von frühester Jugend an seine ganze Kraft dem Studium der Tora gewidmet. Inmitten einer blühenden Jeschiba, in Verbindung mit Genossen, von denen einige später hochberühmte Männer wurden – wir nennen nur Rabbi Mendel Karge, den Verfasser des Gidulei Taharah, dem er ein Talmid Chawer war, wurde er der Talmid muwhak seines Großvaters Rabbi Herz Scheuer. Dass all diese Faktoren ein großes Resultat hervorbrachten, braucht nicht erst gesagt zu werden. Rabbi Samuel Bondi ward nicht nur ein großer Charif, er war auch Baki bechol Chidrei HaSchass (Kundiger in allen Ordnungen der Tora), sein Wissen war ein ausgebreitetes, sein 'Lernen' von einer ungewöhnlichen Tiefe und Gründlichkeit. Seit mehr als dreißig Jahren von allen weltlichen Geschäften zurückgezogen, war außer seinem Wirken für die Religionsgesellschaft die Tora seine einzige Beschäftigung bei Tag und Nacht. Selten suchte er vor 12 Uhr nachts sein Lager auf, das er nach wenigen Stunden der Ruhe wieder verließ, um aufs Neue in der Tora zu forschen. Er 'lernte' mit jedem, der es wünschte. Seine Liebe zum Tora-Studium, sein Verlangen nach demselben war unbegrenzt. Als in den letzten Wochen seines Lebens seine Augen schwach wurden, da lernte er 'auswendig' bis zu seinem letzten Atemzug. Täglich hielt er Vorträge in der Chebra Gemiluth Chassadim über Tenach und Menorath Hamaor. Jährlich zweimal, am Rosch Chodesch Schebath und am Simchat Thora, hielt er pilpulistische Vorträge, am letzteren Tage in der 
Mainz Israelit 12121877c.jpg (128959 Byte)Synagoge. Seine Festreden bei Beschneidungen – er war Mohel – waren außerordentlich anregend und begeisterten stets die Hörer.
Wie er nun die Gottesgebote, deren Studium er seine große, geistige Kraft widmete, praktisch ausführte, das zu schildern ist unsere Feder zu schwach. Seine simchah schäl mizwah (deutsch:), seine Freude an der Erfüllung der göttlichen Gebote, war unbeschreiblich. Mit dieser herzinnigen Freude an der Erfüllung der göttlichen Gebote wusste er auch seine Umgebung, seine Kinder und Enkel zu erfüllen. Man musste ihn an einem Sabbate oder an einem Festtage sehen! Die ganze Woche hindurch führte er ein asketisches Leben; er aß kein Fleisch, trank weder Wein noch Bier, noch andere derartige Getränke, fastete sehr viel; nicht allein an jedem Erew Rosch Chodesch (= Vorabend zum ersten Tag des Monats) und andern derartigen Tagen, sondern auch in den acht Wochen von Paraschath Schemoth bis Paraschath Ki-tissa an jedem Montag und Donnerstag, - an den Sabbaten und Festtagen aber, da freute er sich mit jeder Mahlzeit. Wie streng er es mit der Beobachtung jeder einzelnen Mitzwa nahm, ist gar nicht darzustellen. Zum Pessach-Feste mahlte er den Schemurah-Weizen für seine Mazzot vermittels einer Handmühle; auch buk er die Mazzot, er selbst, am Ereb Pessach mit der minuziösesten Sorgfalt. Am Seder-Abend glich er einem alkim malach. In der liebenswürdigsten Weise suchte er die Hagadah den an seinem Tische anwesenden Frauen und Kindern verständlich zu machen, daran die schönsten Erzählungen und Erklärungen aus Talmud und Midrasch knüpfend. Während des Essens aber sprach er an diesen Abenden nur Hebräisch, damit kein unheiliges Wort die Heiligkeit des Festes störte.   (Schluß folgt.)
Anmerkungen: -  Minjan: https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan   
-  Orgel-Synagoge: http://www.alemannia-judaica.de/mainz_synagoge.htm#In der Synagoge befindet sich eine Orgel (1849)   
-  Rüsttag: https://de.wikipedia.org/wiki/Rüsttag
-  Hüttenfest: https://de.wikipedia.org/wiki/Sukkot
-  Korporation: https://de.wikipedia.org/wiki/Korporation
-  Tenach: https://de.wikipedia.org/wiki/Tanach
-  Menorath Hamaor: 'Licht verbreitender Leuchter', Erbauungsbuch von Rabbi Isaac Abuhab  
-  Mohel: https://de.wikipedia.org/wiki/Mohel 
-  Rosch Chodesch: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_Chodesch
-  Simchat Thora: https://de.wikipedia.org/wiki/Simchat_Tora
-  Paraschath Schemoth: https://judentum.online/unsere-grossen-anfuehrer-machten-sich-die-probleme-des-volkes-zu-eigen-parascha-schmot/
-  Paraschath Ki-ßißa: https://judentum.online/die-zwei-steinernen-tafeln-parascha-ki-tisa/
-  Mitzwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Mitzwa
-  Pessach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach 
-  Pilpulistische Vorträge: vgl.  https://de.wikipedia.org/wiki/Pilpul 
-  Schemurah: https://de.chabad.org/holidays/passover/pesach_cdo/aid/1487011/jewish/Der-Unterschied-zwischen-Schmura-Mazza-und-gewhnlicher-Mazza.htm
-  Mazzot: Matzen https://de.wikipedia.org/wiki/Matze
-  Ereb Pessach: Vorabend (Erev) von Pessach
-  Hagadah: https://de.wikipedia.org/wiki/Haggada .      

   
Zum Tod von Rabbi Samuel Bondi (III, 1877)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Dezember 1877: "Rabbi Samuel Bondi - er ruhe in Frieden -
III. Mainz, 12. Dezember. Ein Gottesgebot, dem sich der teure Heimgegangene mit ganz besonderer Vorliebe hingab, war das der Beschneidung. Die Zahl derer, die er in den Abrahams-Bund aufgenommen, beläuft sich auf Tausende. Während 67 Jahre hat er dieser Mitzwa mit der größten Aufopferung, Sorgfalt und Hingebung obgelegen. Als noch nicht siebzehnjähriger Jüngling hat er damit begonnen, und noch zwölf Tage vor seinem Hinscheiden, Montag, 12. November, hat er mit ungeschwächter Kraft, Gewandtheit und Geschicklichkeit eine Beschneidung vollzogen. Man kann jedoch nicht sagen, dass ihm irgend eine Mitzwa teurer oder lieber gewesen als eine andere. Als in den trübsten Zeiten des israel(itischen)    
Mainz Israelit 19121877b.jpg (396706 Byte)Gemeindelebens zu Mainz die Chebrah Gemiluth Chaßadim, die Beerdigungs-Bruderschaft ihrer Auflösung entgegenzugehen drohte, da war er es, der sie in Verbindung mit seinen obengenannten Freunden reorganisierte. Bis dahin hatten die lomdei Tora (die Toralernenden) sich davon zurückgehalten. Eine Mitzwa, die oft Nachtwachen und andere große Zeitopfer erforderte, konnte auch durch Ungelehrte besorgt werden. Als aber Rabbi Samuel sah, dass diese große und heilige Aufgabe der Vernachlässigung anheim fiel, da nahm er sich ihrer mit aller Energie an! Und mit welcher Sorgfalt hat er diese heiligen Pflichten geübt! Wie manche Nacht hat er wachend am Krankenlager verbracht, wie hat er noch als hochbetagter Greis, in Wind und Wetter, bei Kälte und Schnee oder im glühenden Sonnenbrand den ziemlich entfernten Weg nach dem Friedhof nicht gescheut, um Jedem – ohne Unterschied der religiösen Richtung oder bürgerlichen Stellung – die letzten Liebesdienste zu erweisen!
Mehr als vierzig Jahre lang war er als Gabai des Heiligen Landes  für die Armen des Heiligen Landes ein eifriger Sammler; bei jedem Beschneidungsfeste sammelte er; bei jeder Beerdigung gab er Staub des Heiligen Landes*, um nachher für einen Beitrag für die Armen zu erheben; auch bezog er von vielen hiesigen Israeliten bestimmte Beiträge zu dem genannten Zweck und zog von den Frauen die sogenannte Challah-Büchsen ein.
* Gemeint ist der Brauch, dass man einem Verstorbenen, da er nicht im Heiligen Land beigesetzt werden konnte, wenigstens etwas Erde aus dem Heiligen Land unter seinen Kopf legt.
Wer aber die Größe und Heiligkeit des Unvergesslichen so ganz erkennen und bewundern wollte, der musste ihn im Gebete sehen, namentlich an den heiligen Tagen am Neujahrs- und Versöhnungsfeste!
Dass ein solcher Mann als Sohn, Gatte und Vater musterhaft war, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Welch’ eine glückliche Ehe er mit seiner edlen, frommen Gattin führte, die ihm um 6 ½ Jahre vorausgegangen, haben wir bereits früher erwähnt. Welche Ehrfurcht, Ehrerbietung und aufopfernde Liebe er aber seiner Mutter gegenüber entfaltete, das entzieht sich jeder Beschreibung. Dieselbe erreichte ein Alter von 95 Jahren; wiewohl bis zu ihren letzten Tagen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, hatte sie doch im höchsten Alter das Augenlicht fast verloren; auch waren die Sprachorgane nicht mehr ganz wie sie gewesen. Während sie, seitdem die Augen schwach geworden waren, stets auswendig gebetet hatte, war ihr das in den letzten Jahren ihres Lebens nicht mehr möglich. Nichtsdestoweniger bestand sie darauf, alles zu beten, wie sie es gewohnt war. Da war es nun rührend zu sehen, wie Rabbi Samuel, selbst schon ein siebzigjähriger Greis, wie er, der große Talmudgelehrte, viele Stunden täglich in himmlischer Geduld und unermüdlicher Ausdauer der Mutter Wort für Wort sämtliche Gebete vorsagte und noch an ihrem letzten Lebenstage – es war an einem Rosch Chodesch Schachrith und Hallel und Musaph!
Wie er seine Kinder erzog in der Gotteslehre, der Gottesfurcht und der Liebe zu Gott, braucht wohl nicht erst erwähnt zu werden. Mit gleicher Liebe und Hingebung war er den Kindern seiner früh verstorbenen Schwester zugetan die ihn wiederum wie ihren Vater ehrten, auch seinen Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern und Enkeln war er der liebreichste Vater, ein jedes durfte sich für seinen besondern Liebling halten, so war sein Benehmen gegen jeden Einzelnen voll Zärtlichkeit und Fürsorge. Aber nicht allein für die Mitglieder seiner Familie hatte er die hingebendste Liebe, sein großes Herz umfasste die ganze Menschheit, wo immer nur er unterstützen, helfen, retten konnte, war er stets und gern zu tatkräftiger Hilfe bereit, für Juden und Nichtjuden, für alle, alle. Seine Milde und Strenge, wo er fürchtete, dass irgendwie die Religion bedroht wäre.
Und wenn wir nun das Gesamtbild des reichen Lebens des teuren Mannes überblicken, so mussten wir noch eine Eigenschaft hervorheben, welche die Krone all’ seiner unzähligen Vorzüge war: Unbegrenzte Bescheidenheit und Demut. Der Verfasser des Chobath Halebaboth macht darauf aufmerksam, dass es zweierlei Bescheidenheit gibt; eine echte und eine gemachte. Es gibt viele Leute, die höchst bescheiden reden, aber voll Anmaßung und voller Ansprüche sind. Die echte Bescheidenheit bewährt sich in den Taten und in Benehmen des Menschen, sie ist durchaus anspruchslos und selbstlos. So war die Demut Rabbi Samuels. Wir wollen nur Weniges anführen. Solange der obenerwähnte Rabbiner, Rabbi Löb Ellinger, lebte, passkente er kein Schaaloh, selbst nicht in seinem eigenen Hause. Als die Gemeindeverwaltung einen neologen Rabbiner berief und er gezwungen war, die Horaah (Unterricht) zu übernehmen, tat er dies nicht eher, bis er sich von den Rabbinern Dr. Auerbach in Darmstadt und Bamberger in Worms Hatarat Torah (rabbinische Erlaubnis zur Lehrtätigkeit) verschafft hatte. Der letztere schrieb: 'Ein in den weitesten Kreisen als großer Gelehrter berühmter Mann verlangt von mir, dass ich ihm seine Fähig-        
keit zum Lehren bezeuge. Bedarf es eines Zeugnisses, dass die Sonne am Himmel steht und die Welt erleuchtet? Da er er aber wünscht, so fühle ich mich verpflichtet, seinem Wunsche zu willfahren etc.' ..."
 
Anmerkungen: - Abrahams-Bund: Gemeint ist die Beschneidung von männlichen Säuglingen als Aufnahme ins Judentum
- Mitzwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Mitzwa
- Chebrah Gemiluth Chaßadim: gemeint der Verein in der jüdischen Gemeinde, übersetzt: 'Bruderschaft der Wohltätigkeit'
- Challah: https://de.wikipedia.org/wiki/Challa
- Neujahrsfest: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
- Versöhnungfest: https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
- Rosch Chodesch: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_Chodesch
- Schachrith: https://www.hagalil.com/2013/08/morgengebet/
- Hallel: https://fremdworterbuchbung.de-academic.com/31657/Hallel
- Musaph: https://de.wikipedia.org/wiki/Musaf
- passkenen: Urteil sprechen
- Rabbiner Dr. Auerbach: https://de.wikipedia.org/wiki/Benjamin_Hirsch_Auerbach
- Rabbiner Bamberger: Vgl. Bericht zum Tod von Rabbiner Jacob Koppel Bamberger von 1864 (auf Seite zu Worms).   
 

 
Zum Tod von Rabbiner Samuel Bondi und seine Beisetzung (50 Jahre danach: 1927)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. November 1927: "Ím Wandel der Zeiten. Rabbi Samuel Bondi - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - in Mainz.
(Aus Nr. 48 des Israelit vom 24. November 1877)
Mainz, 25. November. Wir haben heute eine höchst betrübende Mitteilung zu machen. Rabbi Samuel Bondi durch seine tiefe und ausgebreitete talmudische Gelehrsamkeit wie durch seine innige Frömmigkeit in den weitesten Kreisen rühmlichst bekannt, ist nicht mehr. Gestern Abend 9 Uhr, am Ausgang des Heiligen Schabbat mit der Parascha wajischlach hauchte er seine reine Seele aus, in einem Alter von 83 Jahren und 8 Monaten. Seine Kinder, Enkel und Urenkel, beweinen den Verlust ihres unvergesslichen, geliebten Vaters, der Herausgeber dieser Blätter, den Heimgang seines teuren Schwiegervaters und verehrten Lehrers, die israelitische Religionsgesellschaft zu Mainz den Tod ihres Begründers und ersten Vorstehers, der mit wahrhafter Aufopferung und unermüdlicher Hingebung seit einem Vierteljahrhundert ihre Interessen vertreten, die Stadt Mainz den Heimgang eines ihrer geachteten Bürger, und ganz Israel den Verlust eines Mannes, welcher der Gesamtheit zur Zierde gereichte. Die Krone unseres Hauptes - wehe, es ist gefallen, die Krone unseres Hauptes!
Es ist uns nicht möglich, heute mehr zu schreiben. Wir werden in den nächsten Nummern ausführlich von dem reichen Leben des teuren Verblichenen erzählen. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."  
Mainz, 26. November. Heute fand unter überaus zahlreicher Beteiligung das Leichenbegängnis unseres verehrten, unvergesslichen Schwiegervaters er ruhe in Frieden statt – es war ein Kondukt, wie er hier noch nicht war gesehen worden: circa 2.000 Menschen aus allen Städten und Konfessionen folgten der Leiche. Die vornehmsten Bürger unserer Stadt, der Bürgermeister an der Spitze, die Rabbinen und Vorsteher der Gemeinde sowohl wie der Religionsgesellschaft, die Lehrer und Schüler unserer Unterrichtsanstalt, die israelitischen Schüler des Gymnasiums und der Realschule, die Israeliten von Mainz fast ohne Ausnahme, sowie zahlreiche Fremde: Von Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Halberstadt, Darmstadt, Wiesbaden, Bingen, Fulda, Marburg, Biebrich, Biblis, Mosbach, sowie von den in der Nähe befindlichen kleineren Ortschaften bildeten das zahlreiche Gefolge, welches dem allverehrten Mann die letzte Ehre erweisen wollte. Heute Vormittag 10 Uhr eröffnete Herr Rabbiner Dr. Hildesheimer aus Berlin die traurige Feier mit einem ergreifenden Hesped - Trauerrede. Im Trauerhause sprachen noch Herr Moritz Lewin aus Frankfurt a. M., Herr Leo Leser von hier und ein Sohn des Betrauerten, Herr Hugo Bondi. Punkt 11 legte sich der imposante Zug in Bewegung. Auf dem Friedhofe entrollte der Herausgeber dieser Blätter ein Lebensbild des Betrauerten, oftmals von dem lauten Schluchzen der zahlreichen Menge unterbrochen. Dann sprach Herr Dr. M. Hirsch aus Frankfurt a. M., der Sohn des Herrn Rabbiner Hirsch, der leider durch Unwohlsein selbst zu kommen, verhindert war. Darauf sprach Herr Rabbiner Dr. Auerbach aus Halberstadt. Noch viele der Anwesenden hätten gerne ihrem Schmerze Ausdruck gegeben, wenn nicht die Zeit zu weit vorgerückt gewesen wäre. Außer den Genannten, waren noch folgende Rabbinen und Rabbinatsassessoren anwesend: Dr. Fromm – Frankfurt a. M., Dr. Cahn - Wiesbaden, Dr. SängerBingen, Dr. MunkMarburg, Dr. Cahn – Fulda, Bamberger - Frankfurt a. M., Weil und Thalmann Karlsruhe , Sulzbach Darmstadt, auch waren sämtliche Vorsteher der israelischen Religionsgesellschaften zu Frankfurt a. M., Darmstadt, Wiesbaden und Bingen erschienen. Heute abend brachten alle hier erscheinenden Zeitungen Nekrologe, welche der allgemeinen Wertschätzung Ausdruck verliehen. Wir behalten uns vor, eine ausführliche Biografie des teuren Heimgegangenen in der nächsten Nummer zu veröffentlichen.
Anmerkungen: Kondukt: Trauerzug
Herausgeber dieser Blätter: Rabbiner Dr. Markus Lehmann
Rabbiner Dr. Hildesheimer: https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer
Rabbiner Dr. Auerbach: https://de.wikipedia.org/wiki/Benjamin_Hirsch_Auerbach
Rabbiner Dr. Fromm: https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/3264
Rabbiner Dr. Munk: https://www.deutsche-biographie.de/sfz67330.html
Rabbiner Dr. Cahn: https://www.alemannia-judaica.de/fulda_rabbinat.htm#Über die Arbeit von Provinzialrabbiner Dr. Cahn (1901)
         

  
Rabbiner Dr. Markus Lehmann tritt sein Amt zum Sukkot-Fest an (1854)    

Mainz Jeschurun 111854.jpg (29965 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Jeschurun" im November 1854: "Mainz, im Nov. Am Erev Sukkot (Vorabend zu Sukkot) trat Herr Dr. Lehmann, der Rabbiner, der nach dem von Frankfurt gegebenen Beispiele hier gebildeten Religionsgesellschaft, die jedoch schon als Gemeinde von der Regierung anerkannt ist, sein Amt an. - An der Synagoge wird rüstig gearbeitet und hofft man sie auf Pessach zu vollenden."        

 
Zum Tod von Rabbiner Dr. Markus Lehmann (zugleich Chefredakteur des "Israelit", 1890)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. April 1890:  "Dr. Markus Lehmann - er ruhe in Frieden.
Rabbiner der isr(aelitischen) Religionsgesellschaft, Begründer und Chefredakteur des 'Israelit'

Mainz, 14. April. Wenn die dieswöchentliche Doppelnummer des 'Israelit und Jeschurun' in die Hände unserer geehrten Leser gelangt gelangt sein wird, werden die meisten derselben schon durch den Telegraph, die erschütternde Nachricht empfangen haben, dass (hebräisch und deutsch) unser hochgeschätzter und hochverehrter Herr Rabbiner Dr. Markus Lehmann, Begründer und Chefredakteur dieser Blätter nach dreimonatlichen schweren Leiden heute Morgen 10 Uhr von seiner tatenreichen irdischen Laufbahn abberufen worden ist.
Mit Angst und Zitern ergreifen wir die Feder in dem Bewusstsein der überaus schweren Pflicht, das Leben, die großartige, in unserer Zeit fast beispiellose Wirksamkeit des teuern Dahingeschiedenen und den unermesslichen Verlust, den wir und die Welt durch seinen Tod erlitten, zu schildern. Werden wir die in uns aufsteigenden Gedanken der Wehmut und der tiefen Trauer in die richtigen und passenden Worte zu kleiden im Stande sein, angesichts eines solchen herben Schlages, der uns nach Gottes weisen Ratschlusses getroffen? Haben wir doch die Aufgabe nicht allein dem unendlichen Schmerz von dem seine Hinterbliebenen, seine Gemeinde und wir, sondern auch das ganze Judentum und insbesondere das orthodoxe ergriffen sind; beredten Ausdruck zu verleihen!
Dr. Lehmann! Wo auf dem weiten Erdenrund, im Norden und Süden, im Osten und Westen, ist dieser Name in jüdischen Kreisen nicht bekannt? Seit drei Jahrzehnten, während welcher der Dahingeschiedene mit aller Kraft und mit seinem ganzen Sein, mit seiner großen Gelehrsamkeit und seinen umfassenden Kenntnissen für die Interessen unserer heiligen Religion eingetreten, ist sein Ruf und sein Ruhm bei allen unseren Glaubensgenossen der Diaspora, welcher religiösen Richtung sie auch angehören, immer mehr gestiegen und immer mehr zur Anerkennung gelangt, und darum wird auch die Trauer um ihn keine familiäre, keine örtliche, vielmehr eine allgemeine sein, und gleich unserem großen Lehrer m sch h können wir, ohne Übertreibung, die in der dieswöchentlichen Sidre (Wochenabschnitt) zu verlesenden Worte ausrufen: (hebräisch und deutsch) 'Ganz Israel betrauert und beweint diesen Geistesfürsten und Großen in Israel'. Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, dass das Judentum in dem letzten Vierteljahrhundert keinen größeren und tatkräftigeren, in seiner Wirksamkeit innerhalb des Judentums erfolgreicheren Mann aufzuweisen hat als Dr. Lehmann, dessen Taten ein großes Blatt in der jüdischen Geschichte dieses Zeitraumes einnehmen werden.
Werfen wir einen kurzen Rückblick auf die letztverflossenen drei Dezennien und auf die religiösen Zustände, wie sie damals im jüdischen Lager herrschten. Kühn erhob die Reform ihr Haupt, die neologen Rabbiner berleihen in Rabbinerversammlungen und Synoden, wie sie das Erbe unserer Väter, die heilige, alte Zeiten und Verhältnisse überdauernde, von Gott auf dem Sinai uns überkommene schriftliche und mündliche Lehre umzugestalten vermöchten. Kein Wunder, wenn der Abfall von der h(eiligen) Religion immer größere Dimensionen annahm und ein großer Teil des irregeleiteten Vol-             
Mainz Israelit 16041890a.jpg (389783 Byte)kes diesen himmelaufstrebenden Reformhelden entgegenjubelnd an den Abgrund der Irreligiosität und des Indifferentismus anlangte. Tapfer und unerschrocken, mit der Macht der Überzeugungstreue und der Wissenschaft traten die Bamberger, Napthali Hirsch, Dr. N. Adler und Dr. Hildesheimer um zu scheiden zwischen den Lebendigen und den Toten wider sie auf und stellten der um sich greifenden Reformwut einen festen Damm entgegen. Allein die Orthodoxie war mundtot; ein Organ, das ihre Interessen vor der öffentlichen Meinung nach jeder Richtung wirksam vertreten hätte, existierte nicht. Die jüdische Journalistik befand sich ausschließlich in den Händen der Reform; die von dem verstorbenen Dr. Philippson herausgegebene 'Allgemeine Zeitung des Judentums' war in allen Kreisen der deutschen Juden stark verbreitet, und durch anerkannt gute und populär geschriebene Abhandlungen verstand es Philippson, seine Reformideen dem Volke zugänglich zu machen und so den Reformrabbinern in die Hand arbeitend, einen fruchtbaren Boden für deren Umgestaltung von Haus und Synagoge vorzubereiten.
Da war es Dr. Lehmann, der im Mai 1860 den 'Israelit', 'ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum' begründete und wöchentlich in einem bewunderungswürdgen, nie ermüdenden Feuereifer und unerschrockenem Mute gegen die Allmacht der Reform ankämpfte, für die Unantastbarkeit der uns überlieferten göttlichen Religion mit allen Waffen des Geistes unentwegt seine Stimme erhob, welche in allen Schichten des jüdischen Volkes ihren tiefen Eindruck nicht verfehlte, die treuen Anhänger ermutigte und die Neologen in ihre Schranken zurückwies. Und mit der Hilfe Gottes ist es ihm gelungen, eine dauernde Wendung zum Besseren herbeizuführen. Während vordem die Orthodoxen von ihren anders gesinnten Stammesgenossen verlacht und verspottet wurden, die Orthodoxen selbst jeden Mut eines offenen Kampfes verloren hatten und im Innern ihres Hauses durch Seufzen und Jammern ihrem Unmut gegen die Verderbtheit der Zeit Luft verschafften, scharte sich nach dem ersten öffentlichen Auftreten Dr. Lehmanns die damals noch kleine Zahl gesetzestreuer Männer um den großen Mann, und kaum ein Jahrzehnt war verflossen, als innerhalb der Judenheit ein anderes und zwar erfreulicheres Bild wahrzunehmen war. Die Orthodoxie gelangte zur Anerkennung; der sogenannte 'neue Jude' bekam nun Achtung vor dem gesetzestreuen Kämpfer, welcher unter Hintansetzung seiner materiellen Interessen und unter den größten Entbehrungen in Gesellschaft und im Geschäftsverkehr seinem väterlichen Glauben bis auf die kleinste Nuance treu bleibt. Noch ein weiteres Jahrzehnt – und das orthodoxe Judentum stand in den Augen selbst der nichtjüdischen Welt und bei den Regierungen die Gleichberechtigung mit dem bisher dominierenden Reformjudentum; das Austrittsgesetz ermöglichte den Orthodoxen in besonderen Gemeinden, in denen der öffentliche Gottesdienst und alle jüdischen Institutionen nach dem Schulchan Aruch eingerichtet und gehandhabt werden, sich zu vereinigen und so ihrer Überzeugung gemäß zu leben und zu wirken.
Als nach der glücklichen Bekämpfung des inneren Feindes ein äußerer, der Antisemitismus auf die Bildfläche trat, da war es wieder der teure verstorbene Herr Dr. Lehmann das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, der den Kampf mit der widersinnigsten aller Feindseligkeiten, dem Rassenhasse, der 'Schmach des neunzehnten Jahrhunderts' aufnahm und im Bewusstsein, einer von allen vorurteilslosen Männern anerkannt gerechten Sache zu dienen, maßvoll für die politischen Rechte seiner Glaubensgenossen die Feder fort und fort ergriffen, wenn auch noch so viele und heftige Angriffe seitens der antisemitischen Presse gegen ihn losgelassen wurden.
Das ist ein kurzes Bild von der allgemeinen Tätigkeit unseres Dr. Lehmann das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen für die Judenheit im Ganzen und die orthodoxen Juden im Besondern.
Auch seine Gegner in Schrift und religiöser Gesinnung – Feinde hatte dieser so überaus liebenswürdige und gerechte Mann weder hier noch anderwärts – werden ihm das Zeugnis nicht verweigern, dass er seiner Überzeugung gemäß, das Böse zu beseitigen und das Gute zu tun ehrlich und redlich sich bemüht hat, und dass auf ihn wie selten auf jemanden die Worte des Dichters Anwendung finden: 'Er war ein Man, nehmt alles nur in allem, Ihr werdet nimmer seinesgleichen finden.'
Seine Leitartikel, in populär verständlicher Sprache geschrieben, behandelten alle das Judentum berührenden Zeitfragen, brachten aber auch oft für den Leser des 'Israelit' die schönsten Abhandlungen und Erklärungen unser h(eiligen) Tora zur Belehrung für Haus und Schule; in den Korrespondenzen bemühte er sich stets auf das Schnellste aller wissenswerten jüdischen Neuigkeiten mitzuteilen – und in seinen berühmt gewordenen Feuilletons aus 'Vergangenheit und Gegenwart' hat er dem Lesepublikum nicht bloß eine angenehme Unterhaltung, sondern auch die erhabensten, oft aus dem vollen Leben gegriffene Schilderungen, welche   
Mainz Israelit 16041890b.jpg (386314 Byte)die Erstarkung des gesetzestreuen Judentums bezweckten.
Uns ist nunmehr die Aufgabe geworden, sein Geisteskind, 'den Israelit und Jeschurun' in der gleichen Tendenz und in seinem Sinne fortzusetzen, eine Aufgabe, der wir mit der Hilfe Gottes wie schon seit drei Monaten freudig und mit bestem Wollen und Können auch fernerhin zum Nutzen und Frommen unser heiligen Religion gerecht zu werden und bemühen werden, um so auch beizutragen, dass sich an dem Begründer unseres Blattes das Wort bewähre 'Zum ewigen Gedenken...'. Er aber, unser Lehrer, unser Freund, an dessen Seite wir seit 23 Jahren am 'Israelit' als Mitarbeiter tätig gewesen, dessen große und edle Geistesanlagen, hohe Eigenschaften und Charakterfestigkeit wir täglich zu bewundern Gelegenheit hatten, mein Lehrer, unser großer Lehrer, R. Meir Sohn des Chawer R. Ascher, die 'Leuchte Israels', mein Vater, mein Vater! Israels Wagen und seine Reiter (2. Könige 2,12) ist nicht mehr; verstummt ist seine belehrende und mahnende Stimme, erlahmt seine nie ermüdende Hand; (hebräisch und deutsch) 'Wehe uns, dass wir diesen großen Mann verloren', ruft mit uns seine in einer 34jährigen glücklichen Ehe ihm zur Seite gestandene Gattin, welche ihn in seiner langen Krankheit in der aufopferungsvollsten Weise ununterbrochen Tag und Nacht gepflegt und seine Kinder, die ganz in seinem Sinne leben, seine Verwandten und seine Gemeinde: (hebräisch und deutsch) 'gefallen ist die Krone unseres Hauptes' bricht knesset Jisrael (ganz Israel) klagend aus.
Und Ihr (hebräisch und deutsch) 'Ihr Armen im h(eiligen) Lande, weinet, weinet! Ihr habt einen Euerer treuesten und wohlwollendsten Freunde verloren, ein für Euer Wohlergehen warm fühlendes Herz hat zu schlagen aufgehört, Ihr habt so oft und so andächtig an geheiligter Stätte für seine Genesung gebetet, Gottes weiser Ratschluss hatte es anders bestimmt.

Dr. Markus Lehmann wurde am 25. Tewet 5591 (1831) in Verden (Prov. Hannover) am Tage der Silberhochzeit seiner Eltern geboren. Sein Vater, Rabbi Lemuel Aaron Lehmann das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, ein hervorragender Schüler des Rabbi Jecheskiel Landau (Verfasser der Responsensammlung Noda biJehuda) war der erste Jude, der sich in diesem Städtchen niederlassen durfte. Selbst ein Talmudist hielt er den jungen Meir (Markus) frühzeitig zum Torastudium an. Nachdem dieser daselbst das damals fast ausschließlich nur von Söhnen adeliger Familien und höherer Beamten besuchte Gymnasium mit großem Erfolge absolvierte, setzte er seine hebräischen Studien in Halberstadt zu Füßen seines berühmten und von ihm stets hochverehrten Lehrers Dr. Israel Hildesheimer - sein Licht leuchte an seinen (künftigen) Tagen und Jahren -, jetzt Rabbiner der Adass Jisroel und Rektor des Rabbinerseminars in Berlin, fort. Er bezog hierauf die Universität Berlin, wo er nebst seinen philosophischen Studien bei Rabbi Michael Landsberger das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen seine talmudischen Kenntnisse erweiterte. Mächtig zog es ihn alsdann nach Prag, der Stätte, an der sein Vater einen großen Teil seiner Jugendjahre verbracht hatte und dessen Lebenserfahrungen in dieser Stadt einen besonderen Reiz auf ihn ausgeübt hatten. Hier vollendete er seine profanen und jüdischen Studien, letztere unter Leitung des als scharfsinniger Talmudist in den weitesten Kreisen bekannten Rabbi Samuel Freund - sein Licht leuchte, worauf er in Halle promovierte. Ein Talmud-Tora-Verein, den er in Prag während seines dortigen Aufenthaltes in Verbindung mit mehreren gleichgesinnten jungen Leuten gründete, besteht unseres Wissens noch heute, auch in Berlin war er bei der Gründung einer heute noch blühenden Schas-Chewra beteiligt.
Als im Jahre 1853 in der neuerbauten Synagoge der hiesigen Religionsgemeinden eine Orgel aufgestellt wurde, separierte sich eine kleine Anzahl Orthodoxer und gründete die jetzige Religionsgesellschaft, an deren Spitze der durch seine tiefe talmudische Gelehrsamkeit in den weitesten Kreisen bekannte Rabbi Samuel Bondi das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, Enkel von Rabbi Herz Scheuer das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen und Schwiegervater unseres teueren Verstorbenen, Rabbi Jakob Levi das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, Rabbi Moses Reis das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, und Rabbi Isak Fulda das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, standen. Winzig und klein war damals die Gesellschaft; das erste, was sie unternommen, war, dass sie Herrn Dr. Lehmann, der gerade seien Studien vollendet hatte, an ihre Spitze als Rabbiner berief, welcher 1854 am ersten Tag von Sukkot (Laubhüttenfest) in einem engen Betlokale seine Antrittsrede hielt. Mit dem Beginne seiner Rabbinatsfunktionen brachte Dr. Lehmann neues Leben in die hiesigen religiösen Verhältnisse. Seine von echt religiösem Geiste durchdrungenen Predigten, seine in Wort und Sinn formvollendete Rhetorik, die durch ein angemessenes Organ erhöht wurde, seine (deutsch, danach hebräisch) von Herzen kommenden und zu Herzen dringenden Worte erregten nicht nur die Begeisterung seiner Gemeindemitglieder, sondern fanden auch bei Besuchern der Reformsynagoge, welche zahlreich erschienen, um den hervorragenden Kanzelredner zu bewundern, den größten Beifall. Wissend, dass die Erhaltung des jüdischen Glaubens von der religiösen Erziehung der Jugend abhängt, welche damals ganz verwahrlost war – konnten doch selbst Kinder von talmudisch gebildeten Vätern nicht ein-.   
Mainz Israelit 16041890c.jpg (371906 Byte)mal richtig hebräisch lesen - errichtete er alsbald eine Religionsschule, in welcher die Schüler in der zur Verfügung stehenden ziemlich karg zugemessenen Stundenzahl einen den Verhältnissen und vorhandenen Kräften entsprechenden gediegenen hebräischen Unterricht in echt jüdischem Geiste empfingen. Die Neuheit dieser religiösen Bestrebungen in hiesiger Gemeinde hatte auch viele Anfeindungen und Kämpfe zur Folge; in Wort und Schrift hatte Herr Dr. Lehmann der Angriffe des damaligen Gemeinderabbiners, Herrn Dr. Aub, gar oft sich zu erwehren.
Durch seine Energie, seinen rastlosen Eifer für den Glauben, seine von aller Welt bewunderte Liebenswürdigkeit - er liebte den Frieden und strebte dem Frieden nach ...verstand er alle in den Weg gelegte Hindernisse zu überwinden; von Jahr zu Jahr vermehrten sich seine Anhänger, wuchs die Zahl der Mitglieder der Religionsgesellschaft und rang seinen Gegners Bewunderung und die Anerkennung der Lebensfähigkeit der Religionsgesellschaft ab. Auch die finanzielle Kraft der Religionsgesellschaft, welche die Besoldung ihrer Beamten und die Kosten ihrer Institutionen aus nur freiwilligen Beiträgen bestreiten musste, nahm zu, und es konnte die 1855 zur Erbauung einer Synagoge schreiten, welche am 24. September 1856 feierlich eingeweiht wurde. Im November 1859 gründete Dr. Lehmann eine Unterrichtsanstalt (Knaben- und Mädchenschule) für den Unterricht in den religiösen und profanen Disziplinen, die er in ihrer großen Wichtigkeit für die jüdische Religion und den Bestand der Religionsgesellschaft stets sein 'liebstes Kind' zu nennen pflegte. (Wir können es uns nicht versagen, bei dieser Gelegenheit an den löblichen Vorstand und die geehrten Mitglieder das Ersuchen zu richten, die Unterrichtsanstalt, die nach 1856 durch das Institut der einjährigen freiwilligen Militärberechtigung einen schweren Standpunkt hatte, jetzt, wo nach der offiziellen Rede des preußischen Kultusministers im preußischen Abgeordnetenhause diese Einrichtung der einjährigen Militärberechtigung aus den höheren Unterrichtsanstalten zu beseitigen beabsichtigt wird, dieses §liebste Kind' ihres nunmehr heimgegangenen Rabbiners mit aller Kraft und Aufbietung aller Mittel zu heben. Das wird das schönste und beste Denkmal sein, das die Religionsgesellschaft ihrem hochverehrten dahingeschiedenen Führer setzen kann. In Folge einer im Jahre 1857 stattgehabten Pulverexplosion bekam die Synagoge starke Risse, die mit den Jahren Gefahr drohend wurden, und da auch im Laufe der Zeit die Synagoge die zahlreichen Mitglieder nicht mehr fassen konnte, wurde 1878/79 auf der Stelle der abgerissenen Synagoge ein prachtvolles größeres Gotteshaus errichtet,
So war das epochemachende Wirken unseres unvergesslichen Rabbiners nach Innen und Außen ein segensreiches, das ihm die ungeteilte Liebe und Anerkennung aller Glaubensbrüder und die Hochachtung seiner Mitbürger erwarb. Seine eminente, tief eindringende Gelehrsamkeit in dem weiten Meere des Talmuds, in dem er viele Jahre hindurch Rabbinatskandidaten einführte, erregten die Bewunderung der Fachmänner; trotz seiner vielseitigen Beschäftigungen, die seine Zeit sehr in Anspruch genommen, unterzog er sich der Mühe, die einen in Jerusalem im Manuskript aufgefunden, seither noch nicht veröffentlichten Kommentar des Rabbi Joseph Syrileio zu Jeruschalmi Berachoth nicht nur zu edieren, sondern auch dem Titel Meir nativ mit Erläuterungen aus eigener Feder zu versehen.
Sein frühzeitiger Tod machte auch mehrere ihm seit Jahren vorschwebende Pläne zunichte; so beabsichtigte er eine populär geschriebenen Kommentar über den Pentateuch, eine leicht fassliche jüdische Geschichte, die das tendenziöse Grätz’sche Geschichtswerk desavouieren sollte, zu verfassen.
Seine Wohltätigkeit gegen Arme ging weit über seine Vermögensverhältnisse, seine Herzensgüte und sein Wohlwollen erstreckte sich über alle Menschen ohne Unterschiede der Konfession; dabei war der große Mann von einer unbeschreiblichen Demut beseelt, stets wich er jeder ihm zugedachten Ovation aus, er duldete es nicht, dass man sein 25jähriges Amtsjubiläum feierte.
Wir könnten noch lange mit der Aufzählung seiner edlen Eigenschaften fortfahren; wir müssen aber, um die Geduld unserer geehrten Leser nicht auf die Probe zu stellen, zum Schlusse eilen und wollen nur noch den Wunsch aussprechen, dass Gott in Seiner Gnade und Güte den Schmerz der trauernden Hinterbliebenen mildern und ihnen Seinen heilsamen Trost verleihen möge! er tröste euch inmitten des Restes der Trauernden Zions und Jerusalems.
Unser mit ewigem Ruhm bedeckte Rabbiner, Herr Dr. Lehmann das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, weilet nun in den lichten Höhen, began Eden (im Garten Eden) wo ihm der reichliche Lohn für seine vielen verdienstvollen Taten zu teil werden wird, welcher von Gott, dem Allgütigen, für die Frommen bestimmt ist. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens.       
Mainz Israelit 16041890d.jpg (340397 Byte) Rabbiner Dr. Lehmann - er ruhe in Frieden.
Ein anderes Mitglied unserer Redaktion widmet, dem teuren Dahingeschiedenen den folgenden Nachruf:
Mainz, 15. April. Was wir, und Tausende mit uns, seit Monaten in heißem Gebete von Gottes Gnade zu hoffen wagten, ist uns seit gestern für immer versagt worden.
Herr Rabbiner Dr. Lehmann ist nicht mehr!
In der Blüte seines Lebens, im 59. Lebensjahre, hat er seine reine Seele ausgehaucht, nachdem seit längerer Zeit ein hartnäckiges Herzübel seine Gesundheit so sehr gefährdet hatte, dass er nur von einer ganz ungewöhnlichen Gnade Gottes eine Wendung zum Besseren zu erhoffen war.
Gottes Ratschluss hat es anders beschlossen; und wohin die Kunde von dem schweren, schweren Schlag, der uns und die ganze Judenheit betroffen hat, gelangen wird, überall wird sie das Wort verwirklichen, mit dem unser Wochenabschnitt den Tod der Söhne Aarons begleitet (hebräisch und deutsch): 'Euere Brüder, das ganze Haus Israels, werden den Brand beweinen, den Gott angezündet.' (Hebräisch und deutsch): Wahrlich, wenn das Leid der Talmide Chachamim betrifft, alle in Trauer versetzt, wer sollte dann das Weh in seiner ganzen Tiefe ermessen welches diese Trauerbotschaft in die großen, durch einen mehr dreißigjährigen Verkehr verbundenen, gleichgesinnten Kreise tragen wird! War doch der Verblichene der geistige Mittelpunkt aller dieser Kreise, er hatte sie geschaffen, ohne ihn vermag man kaum, sie sich zu denken, und wir selber vermögen, obwohl auf die Katastrophe vorbereitet, kaum die Tatsache zu fassen, die wir in Worte kleiden möchten. Die Feder zittert, wenn sie diejenigen feiern möchte, der sie an dieser Stelle, mit solcher eigenartigen Begabung und Hingebung, mit solchem Geist und solchem Erfolg drei Jahrzehnte lang geführt hat!
Wenn unsere Weisen einen Geisteshelden und seine Aussprüche feiern wollen, so verglichen sie ihn mit Moscheh. Moscheh schafir kamart (?). Und wenn einer derselben die Bedeutsamkeit unseres großen Lehrers in einem einzigen Zug zusammenfassen möchte, so knüpft er an die Worte: (hebräisch und deutsch), da starb Moscheh, die drei Worte: (hebräisch und deutsch): der große Wortführer Israels!
Auch in dem Heimgegangenen war das Wort und die Meisterschaft, in welcher er es geführt, das mächtige, geistige Band, wodurch er zahllose Tausende jüdischer Geister und Gemüter unauflöslich mit sich und der großen, heiligen Sache verbunden hat, für welche er ein langes, reiches Leben lang gelebt und gekämpft hat.
Wie das Wort aus seinem hohen Geiste und seinem edlen Herzen quillte, wie er die Gediegenheit des Inhalts mit der ansprechenden, volkstümlichen, zu Herzen sprechenden Form des Ausdrucks zu verbinden wusste, mochte er belehren oder erzählen, verurteilen oder anerkennen, mochte er über spezifisch jüdische oder allgemein wissenschaftliche Gegenstände sich äußern dess(en) sind die Zeugnisse seiner Feder an dieser Stelle, laute, wohlbekannte Zeugen. Wo gab es auch nur eine, der vielen Judentum und Judenheit betreffenden Fragen, Anliegen und Bestrebungen, die nicht von ihm mit unerreichbarer Meisterschaft behandelt und so weit dies möglich ist, mit beispielloser Ruhe, Klarheit und Entschiedenheit auch erledigt wurden!
Was Rabbiner Dr. Lehmann seiner Zeit war, das wird keine Feder noch heute an seiner warmen Leiche zu schildern, auch nur zu versuchen wagen. Dazu müsste man dreißig Jahre zurückblicken, wo der Abfall im jüdischen Kreise seinen Höhepunkt erreicht hatte, wo die Reform und ihre Presse die jüdische öffentliche Meinung beherrschten, und er mit der Begründung des 'Israelit' eine rettende Tat unternahm, deren bedeutsame Tragweite gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Mit welcher Wut, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Gegner des orthodoxen Judentums über diesen feinen, jugendlichen Verfechter herfielen, wie sie ihn durch Schmähungen, Verleumdungen und Entstellungen unmöglich zu machen suchten, und wie er mit kühn entflammter Begeisterung allen Stürmen und Angriffen gegenüber nicht nur Stand hielt, sondern dem geächteten und verlästerten orthodoxen Judentum und seinem Zentralorgan, dem 'Israelit' , über-       
Mainz Israelit 16041890e.jpg (332426 Byte)all, auch den erbittertsten Gegnern gegenüber die endliche Anerkennung abrang, jedes dieser Momente erforderte eine besondere Darstellung, die einer späteren Zeit vorbehalten bleiben muss.
Was der 'Israelit' für die Sammlung und Erstarkung des gesetzestreuen Judentums in allen fünf Erdteilen gewirkt hat, seine beispiellose Wirksamkeit für das Heilige Land und seine Bewohner, die Tränen der zahllosen Armen und Unglücklichen, die er durch seine Sammlung getrocknet, sein mannhaftes Eintreten gegen alle Angriffe von judenfeindlicher Seite, diese und hundert andere Momente in dem Leben und Streben des teueren und unersetzlichen Verblichenen leben in dem Bewusstsein aller Brüder und Schwestern auf weitem Erdenrund, denn sie haben ja eben das innige Band freundschaftlicher und verehrungsvoller Anhänglichkeit zwischen den Lesern des 'Israelit' und seinem Begründer gewoben, dass jetzt so plötzlich zerrissen wurde.
Und doch kennt die Welt nur den Mann, wie er eben vor der großen Welt erschien und erscheinen musste. Seine entschiedene, strenge, ernst Vertretung dessen, was er als wahr erkannte, ließ diejenigen, die das Glück hatten, ihm persönlich nahe zu stehen, kaum ahnen, welche reiche Fülle von Güte und Milde, von Leutseligkeit und Menschenliebe in dem edlen Herzen lebten und aus den treuen Augen leuchteten, die jetzt gebrochen sind! Der Mann, der den Bannerträgern des Abfalls [den Anhängern des Reformjudentums, Anm. S. R.] mit blanker Waffe und eherner Stirn jederzeit kampfbereit entgegentrat, war die personifizierte Nachsicht und Versöhnlichkeit den Gliedern seiner Gemeinde, seiner Familie, ja, jedem Menschen gegenüber, ohne irgend welche Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis.
Sein Arbeitszimmer war unablässig ein Sammelplatz der Armen und die Sanftmut, die wunderbare Geduld, die er ihnen mitten in seinen dringenden zahlreichen Beschäftigungen zuwandte, waren geradezu ergreifend. Ein einziges Mal hatte er einen Armen, dessen Zudringlichkeit selbst seine Geduld zu Schanden machte, die Türe gewiesen. Aber wenige Stunden nachdem es geschehen war, bereute er das Geschehene aus so vollem Herzen, dass er überall umher schickte, um den Armen wieder rufen zu lassen um das Geschehen wieder gutzumachen. Der Arme war aber nirgends zu finden. Nach vielen Jahren kam derselbe wieder nach Mainz zu Herrn Dr. Lehmann. Dieser erkannte ihm sofort und war ganz glücklich, ihn endlich um Verzeihung bitten zu können, die ihm auch gewährt wurde. Lange Zeit kam dieser Mann dann alljährlich nach Mainz und lebte dann jedes mal Wochen lang im Hause des Verblichenen, der glücklich war, sein Unrecht auf diese Weise wiedergutgemacht zu haben.
Welch’ ein liebender Gatte er seiner Gattin, welch’ zärtlicher Vater er seinen Kindern, welch’ besorgter Vater und Helfer er jedem einzelnen Mitgliede seiner Gemeinde war, mit welcher väterlichen Innigkeit er vor allem an seinen Schülern hing, das zu schildern versagt die zitternde Feder den Dienst.
Von den Söhnen Aarons erzählt unser Wochenabschnitt: (hebräisch und deutsch): 'Es ging ein Feuer von Gott aus und verzehrte sie, so dass sie starben vor Gott.'
Das göttliche Feuer, das in dem Entschlafenen gelodert, an der er die Fackel der Wahrheit entzündet und hineingeleuchtet hat in die Reihen seines Volkes, dieses Feuer, das von Gott ausgeht, hat auch diesen seinen treuen Priester verzehrt. Der aufregende, aufreibende Beruf, der Wortführer seines Volkes zu sein, er war es, dem er zum Opfer gefallen ist. Die von diesem seinem Beruf unvermeidlichen Aufregungen haben nach Versicherung der ihm näher Stehenden die Krankheit gezeitigt und verschlimmert, dass sein großes Herz, das so sehr in Liebe und heiliger Begeisterung zu unserer Tora schlug, den Anstrengungen nicht länger Stand zu halten vermochte und gestern früh 10 Uhr zu schlagen aufhörte.
Er ist im Dienst Gottes, vor Gott gestorben. Möge er die Ruhe und den Frieden finden, für die er gerungen und gekämpft, möge sein Verdienst uns beistehen, in seinem Geiste und seinem Sinne weiter zu leben und zu wirken, bis Gott den Tod von dem Angesicht seines Volkes nehmen wird, wie es sein Wort verheißen hat. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."

Anmerkungen: - Bamberger:  https://de.wikipedia.org/wiki/Seligmann_B%C3%A4r_Bamberger
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_L%C3%B6b_Bamberger
https://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_Bamberger
- Rabbiner Bamberger: Vgl. Bericht zum Tod von Rabbiner Jacob Koppel Bamberger von 1864 (auf Seite zu Worms).
- Rabbiner Naphtali Hirsch: https://onlinebooks.library.upenn.edu/webbin/book/lookupname?key=Hirsch%2C%20Naphtali%2C%201844%2D1904
- Rabbiner Dr. N. Adler: https://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_Marcus_Adler
- Rabbiner Dr. Hildesheimer: https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer
- Rabbiner Dr. Philippson: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Philippson
- Allgemeine Zeitung des Judentums: https://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Zeitung_des_Judentums
- Schulchan Aruch: https://de.wikipedia.org/wiki/Schulchan_Aruch
- Jeschurun: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschurun
- Tewet: https://de.wikipedia.org/wiki/Tevet
- Rabbi Jecheskiel Landau: https://de.wikibrief.org/wiki/Yechezkel_Landau bzw. https://de.wikipedia.org/wiki/Ezechiel_Landau
- Rabbi Dr. Israel Hildesheimer:https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer
- Adass Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Israelitische_Synagogen-Gemeinde_Adass_Jisroel_zu_Berlin
- Rabbi Samuel Freund: https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Freund
- Rabbi Samuel Bondi: siehe Berichte oben von 1877 zum Tod von Rabbiner Samuel Bondi
- Rabbi Herz Scheuer: https://de.wikipedia.org/wiki/Herz_Scheuer
- Rabbi Moses Reis: https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Rei%C3%9F
- Rabbiner Dr. Aub: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Aub
- Pulverexplosion: https://de.wikipedia.org/wiki/Pulverturm_(Mainz) )
- Grätz: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz
- Moscheh: https://de.wikipedia.org/wiki/Mose
- Aaron: https://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_(biblische_Person)  
- Pinchas: https://de.wikipedia.org/wiki/Pinchas_(Sohn_Eleasars)   
- Elijahu: https://de.wikipedia.org/wiki/Elija    
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 18. April 1890: "Berlin, 15. April. Wie man aus Mainz meldet, ist dort am 14. d(ieses) M(onats) nach längerem Leiden der Rabbiner der orthodoxen Religionsgesellschaft Dr. Meir Lehmann im 59. Lebensjahre gestorben. Dieser Todesfall wird nicht verfehlen, in den Kreisen, denen der Verstorbene angehörte, tiefe Trauer hervorzurufen. Lehmann war seit mehr als 30 Jahren der journalistische Vorkämpfer der neuorthodoxen Richtung im Judentum. Sein Organ, 'Der Israelit', das er seit 1861 herausgab, hat in diesem Sinne gewirkt. Außerdem war Lehmann auch auf belletristischem Gebiet tätig. Es existieren von ihm sechs Bände Novellen und mehrere historische Romane. Innerhalb der Grenzen seiner religiösen Weltanschauung hat er auf diesem Gebiete, unstrittig Begabung und Geschick entwickelt. Der Verstorbene war ein eifervoller Mann, er hatte viel mehr von Pinchas als von Elijahu an sich, aber sein Eifer entsprang doch frommem Glauben, und darum mag auch ihn der Bund des Friedens umschließen. Uns geziemt es nur, den Tod des in der Vollkraft seiner Mannesjahre so jäh Dahingerafften zu melden; das Urteil über sein öffentliches Wirken lässt der unerbittlich richtenden Geschichte zu. Möge dem Dahingeschiedenen die Erde leicht sein."       
Anmerkung: in der liberalen "Allgemeinen Zeitung" fiel der Nachruf auf Dr. Lehmann wesentlich kürzer aus als oben in der orthodoxen Zeitschrift "Der Israelit". 

 
Beisetzung von Rabbiner Dr. Markus Lehmann (1890)    

Mainz Israelit 21041890.jpg (260244 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. April 1890: "Das Leichenbegängnis Dr. Lehmann's. Das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen.
Mainz, 16. April. 'Habt Ihr Tränen, so bereitet Euch, sei jetzo zu vergießen'.
Wir mussten ihn der Erde übergeben, ihn, der unser Führer und Leiter, ihn, der Euer Freund gewesen.
Für uns, seine langjährigen Mitarbeiter und Genossen, die wir so herzlich an ihm gehangen, gibt es kaum einen Trost und doch, mitten in unserm höchsten Gram, grade da, wo wir auf ewig von seiner irdischen Hülle Abschied nehmen mussten, gesellte sich zu unserem Schmerze ein Gefühl des Stolzes und der Genugtuung hinzu, dass wir diesen Mann zum Führer hatten, dass es uns vergönnt war, unter seiner Fahne zu dienen, dass unsere Bestrebungen nicht umsonst gewesen sein Leichenbegängnis war der Spiegel seiner Größe, in welchem das Abbild seiner Erfolge sich kundgab. Unsere Weisen erzählen, dass auch die Tora trauert, wenn der Gottesgelehrte scheiden muss; ja, hier stand sie selbst, die Tora, in allen ihren großen Vertretern, geschart hatten sich die Geistesheroen des Judentums um die Bahre liegende 'Krone Israels' zu betrauern, um ihrem tapferen, mutigen, siegreichen Vorkämpfer die letzte Ehre zu erweisen. Die zehnte Stunde des sechsundzwanzigsten Nissans war ausersehen zu dem erschütternden Werke; doch schon bei Tagesanbruch füllte sich das Trauerhaus mit Wehklagenden, die die Zeit nicht erwarten konnten, noch einmal in der Nähe des teuren Dahingeschiedenen zu weilen.
Kurz vor 9 Uhr wurde mit den Leichenreden begonnen, und widmete die Herren Jonas Bondi, ältester Schwager des Verstorbenen, Löwin aus Frankfurt a. M., Lehrer Steckelmacher, Lipmann Prins aus Frankfurt a. M., Rabbiner Bamberger aus Aschaffenburg und Rabbiner Dr. Schiffer aus Karlsruhe tiefempfundene Worte der Liebe und Anerkennung und Ausrufe des herben Schmerzes dem im Sarge Ruhenden. Punkt zehn Uhr wurde die Bahre erhoben. 'Da blieb kein Auge tränenleer'. Straßenweit erschollen die markerschütternden Wehrufe und Verzweiflungsschreie derer, die ihn so heiß geliebt.
Eine unabsehbare Menschenmenge wogte auf der Mittelstaße, der 'großen Bleiche', während das Volk, Kopf an Kopf, in dichtem Gedränge auf dem langen Wege Spalier bildete. In meisterhafter Ordnung mit entblößtem Haupte, standen sie zu beiden Seiten da und machten der Polizei und der Gendarmerie, die vollzählig aufgeboten war, die Arbeit leicht.          
Mainz Israelit 21041890a.jpg (371839 Byte)Dr. Hildesheimer, Berlin, M. Bamberger, Kissingen, R. Bamberger, Würzburg, S. Bamberger, Aschaffenburg, D. J. M. Bondi, Wien, Dr. Breuer, Frankfurt a. M., Dr. Buttenwieser, Straßburg i. E., Dr. Cahn, Fulda , Dr. Deutsch, Burgpreppach, Fromm, Frankfurt a. M., Dr. Jung, Mannheim, Dr. Kahn, Wiesbaden, Dr. Koref, Hanau, Dr. Kottek, Homburg, Dr. Marx, Darmstadt, Dr. Munk, Marburg, Dr. Plaut, Frankfurt a. M., Dr. Salfeld, Mainz, Dr. Salvendi, Dürkheim, Dr. Sänger, Bingen, Dr. Schiffer, Karlsruhe, Dr. Thein, Prag, Dr. Tawrogi, Kreuznach, Dr. Weingarten, Ems, die Herren Schuldirektoren Dr. Barnaß, Pfungstadt, Dr. Heinemann, Frankfurt a. M., Dr. Hirsch, Frankfurt a. M. und Professor Leser, Heidelberg. Diesen schlossen sich Geistliche der christlichen Konfessionen, die Zivil- und Militärbehörden, die Direktoren, Professoren und Lehrer der hiesigen Schulen, Direktoren der Eisenbahn und anderer Verkehrsanstalten unserer Gegend an. Die Bürgermeisterei Mainz entschuldigte in einem offiziellen Schreiben ihr Nichterscheinen damit, dass Oberbürgermeister Dr. Oechsner verreist, der Beigeordnete Herr Reinach erkrankt, die beiden anderen Beigeordneten Herren Dr. Gaßner und Dr. Geier mit Dienstgeschäften stark belastet waren. Ebenso war Professor Roquette, Darmstadt, einem Schreiben zufolge, wegen Unwohlsein zu erscheinen verhindert.*)
Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde Mainz war vollzählig erschienen.
Unter den von auswärts entsandten Deputationen der Gemeinden bemerkten wir die Vorstände der israelitischen Religionsgesellschaften Bingen, Karlsruhe, Köln, Darmstadt, Frankfurt a. M. und Wiesbaden, einen Deputierten der Gemeinde Halberstadt sowie Vorstände vieler israelitischer Landgemeinden. Eine große Anzahl israelitischer Lehrer aus der Nähe und Ferne war herbeigeströmt. Die Herren Goldsmid und Jakob Roos zu Amsterdam vertraten die Pekidim und Amarkalim der israelitischen Gemeinden im Heiligen Lande. Ihnen folgte der Vorstand und Ausschuss der Religionsgesellschaft und eine unabsehbare Menge, welche nicht nur aus den Mitgliedern der Religionsgesellschaft bestand, sondern in welcher auch ein ansehnlicher Teil der hiesigen christlichen Einwohner beider Konfessionen vertreten war. Nach einer halben Stunde gelangte die Tête des Zuges an den Friedhof, der sich bald füllte. Da die Leichenhalle die Menge nicht fassen konnte, wurden die Reden am Sarge unter freiem Himmel gehalten. Es sprachen die Herren Oscar Lehmann, der älteste Sohn des Verstorbenen, Dr. J. H. Bondi, Neffe des Verstorbenen, im Namen der israelitischen Religionsgesellschaft, Rabb. Dr. Salfeld aus Mainz, im Namen des Vorstandes der israelitischen Religionsgesellschaft, Rabb. Dr. J. Hildesheimer aus Berlin, Rabb. Dr. Salfeld aus Mainz, im Namen des Vorstandes der israelitischen Religionsgemeinde, Rabb. Dr. Breuer aus Frankfurt a. M., Rabb. Dr. Marx aus Darmstadt, Direktor Dr. M. Hirsch aus Frankfurt a. M., Rabb. Dr. Horowitz aus Frankfurt a. M. und zum Schluss Dr. Jonas Lehmann, zweiter Sohn des Dahingeschiedenen. Wegen eintretenden Regenwetters konnten die noch vorgemerkten Herren Dr. Sänger, Bingen, Dr. Koref, Hanau, der Talmudgelehrte Malina, Bensheim nicht mehr zum Worte kommen, von denen, wie wir hören, einige im Laufe der Trauerwoche im Trauerhaus dem Verstorbenen einen Nachruf widmen werden.**) Es gebricht uns hier an Raum, den Inhalt, der am Grabe gehaltenen Reden auch nur auszugsweise zu geben, wenn uns auch das Bedenken, durch einen Auszug den Eindruck derselben abzuschwächen, von einem solchen Vorhaben nicht zurückhalten würde. Wir werden deshalb dieselben, die stenografisch aufgenommen sind, in möglichst kurzer Zeit in Extra-Beilagen zu unserem Blatte ebenso die im Hause gesprochenen Reden, insofern sie uns druckfertig eingesandt werden, veröffentlichen, um unseren Lesern ein bleibendes Andenken an den Moment in die Hand u geben, in welchem sich so recht deutlich offenbarte, wie viel Liebe der Verstorbenen gesät und wie viel Dank und Anerkennung er geerntet.
'Und es gehen dir voran deine Frömmigkeit, und die Herrlichkeit des Ewigen schließt deinen Zug' (Jesaja 58,8).

*) Von Rabbinen, Lehrern und Vorständen von Gemeinden und Vereinen, Freunden und Anhängern des Verstorbenen, die zum Leichenbegräbins zu erscheinen verhindert waren, gingen Hunderte von Beileidstelegrammen ein.
**) Bis Schluss der Redaktion haben die Rabbinen, Herren Dr. Thein, Dr. Buttenwieser und Dr. Kahn Wiesbaden, Trauerreden gehalten.
Wie wir hören, werden bei dem Dienstag, den 22. bis nachmittags 6 Uhr, in der Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft stattfindenden Trauergottesdienst die Herren Dr. Sänger, Bingen, und Dr. Bondi, Wien, Trauerreden halten.   
Mainz Israelit 21041890b.jpg (52222 Byte)Die ungemein starke Beteiligung an den Leichenbegängnis, wie sie Mainz seit Jahren nicht gesehen, die innige Teilnahme, die sich auf den Gesichtern aller Teilnehmer ausdrückte, die Tränen, die über die Wangen selbst greiser Männer rollten, legten ein lautes Zeugnis ab, dass alle empfanden, und es tief fühlten, dass nicht nur ein bedeutender, dass auch ein edler Mensch dahingegangen, dass nicht nur die Familie, dass die Gesamtheit einen schweren Verlust erlitten. Das aber möge der trauernden Witwe, die so treu ihm sein Leben hindurch zur Seite gestanden und sein Haus zu einem gemütlichen Heim geschaffen und den hinterbliebenen Kindern zum größten Troste dienen, denn ... 
Anmerkungen:  -  Israel (hier): jüdische Gemeinschaft 
-  Nissan:  https://de.wikipedia.org/wiki/Nisan_(Monat)        
-  Lipmann Prins: https://en.wikipedia.org/wiki/Eliezer_Liepman_Philip_Prins 
-  Rabbiner Bamberger: Rabbiner Simon Bamberger http://www.alemannia-judaica.de/aschaffenburg_texte.htm#Anerkennung für Rabbiner Bamberger (1893)    
-  Rabbiner Dr. Schiffer: https://stadtlexikon.karlsruhe.de/index.php/De:Lexikon:bio-0617 
-  Rabbiner Dr. Hildesheimer: https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer 
-  Rabbiner Dr. Breuer: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Breuer 
-  Rabbiner Dr. Buttenwieser: https://www.marchivum.de/de/juedischer-friedhof/f1-a-07-01-buttenwieser-josef 
-  Rabbiner Fromm: https://freilandmuseum.de/entdecken/neuigkeiten-und-blogs/einzeleintrag/seligmann-pinchas-fromm
-  Rabbiner Dr. Kottek: https://www.alemannia-judaica.de/bad_homburg_rabbinat.htm#Zum Tod von Rabbiner Dr. Heymann Kotteck (1912)  
-  Rabbiner Dr. Munk: https://www.alemannia-judaica.de/marburg_texte.htm#Nachruf zum Tod von Rabbiner Dr. Leo Munk (1917)  
-  Rabbiner Dr. Plaut: https://frankfurter-personenlexikon.de/node/8483
-  Rabbiner Dr. Salfeld: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld  
-  Rabbiner Dr. Salvendi: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Salvendi
-  Rabbiner Dr. Sänger: Rabbiner Dr. Hirsch Napthali Zwi Sänger, geb. 1843 in Buttenwiesen, gest. 1909)  http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=2542&suchename=Sänger
-  Rabbiner Dr. Schiffer: https://de.wikipedia.org/wiki/Sinai_Schiffer
-  Rabbiner Dr. Tawrogi: https://www.jewiki.net/wiki/Abraham_Tawrogi
-  Oberbürgermeister Dr. Oechsner: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Oechsner
-  Professor Roquette: https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/r/roquette-otto.html und https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Roquette
-  Rabb. Dr. M. Hirsch:
-  Rabb. Dr. Horowitz:       
Mainz Israelit 21041890c.jpg (285066 Byte)Stenografischer Bericht  der an der Bahre Dr. Lehmanns - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - gehaltene Reden
I. Herr Oscar Lehmann, der älteste Sohn des Verblichen und langjähriger Mitarbeiter aus 'Israelit', eröffnete die Reihen der Trauerreden mit folgenden Worten:
Mein geliebter, teurer Vater! So ist es denn wirklich wahr, dass ich Deine weisen Worte nicht mehr hören darf? Darf ich Dich in wichtigen Angelegenheiten nicht mehr um Rat fragen? Wirst Du Deine Hände nicht mehr auf mein Haupt legen? Du guter Vater! Bist Du wirklich fortgenommen von mir? Ich kann es nicht fassen, nicht tragen, ich möchte weinen, bis dass das Herz mir bricht!
Geehrte Trauer-Versammlung!
Was mein dahingegangener Vater für das Judentum geleistet, besonders für das gesetzestreue, das ist nicht meine Aufgabe, hier zu schildern. Es ist auch nicht meine Aufgabe, seine umfassende Tätigkeit in Gemeinde, in Schule, im Bezug auf Wohltätigkeit und andere hohe Dinge darzulegen. Sein Wirken wird der Geschichte angehören. Er wird nicht vergessen werden, so lange Juden auf dem Erdenboden leben. Der Name Dr. Lehmann wird immer bekannt sein. Was ich hier sagen will, ist nur das, was er uns gewesen ist, seiner Familie, meiner teueren Mutter, meinen geliebten Geschwistern und mir..."   
zum weiteren Lesen bitte Textabbildung anklicken. Der stenographische Bericht umfasst weitere Nachrufe, die hier nicht alle wiedergegeben werden können."  

 
Trauergottesdienst für Rabbiner Dr. Lehmann (1890)      

Mainz Israelit 24041890.jpg (221527 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. April 1890:  "Mainz, 23. April. Gestern Nachmittag 6 Uhr fand in der Synagoge der israelitischen Religionsgemeinschaft der bereits in voriger Nummer von uns angezeigte Trauergottesdienst (Hesped - Trauerrede) für Herrn Rabbiner Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – statt.
Voll Wehmut und tiefsinniger Trauer betraten wir das schwarz drapierte und in all seinen Räumen von Mitgliedern der Religionsgesellschaft (Männern und Frauen), der Religionsgemeinde, nichtjüdischen Mitbürgern und Fremden und Verehrern des Verstorbenen aus den Nachbarstädten gefüllte Gotteshaus, um von der Stätte, wo wir so oft den geistreichen und begeisternden Worten unseres Rabbiners - sein Verdienst komme uns zugute -, seinen ernsten Ermahnungen gelauscht, einen Nachruf über sein Leben und Wirken zu vernehmen.
Die beiden Redner, die Herren Dr. Sänger, Rabbiner der israelitischen Religionsgesellschaft Bingen, einer der ältesten Schüler des Dahingeschiedenen und langjähriger treuer Mitarbeiter am 'Israelit' und Rabbiner Dr. J. M. Bondi, Wien, Neffe Dr. Lehmanns – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – waren durch ihre persönlichen Beziehungen zu dem Verstorbenen in der Lage, nicht nur von Dr. Lehmanns großer Wirksamkeit für das Gesamtjudentum, sondern auch von seinen bedeutenden Leistungen in der Religionsgesellschaft ein treues Bild zu geben, und dieser Aufgabe wurden beide Herren in einer Weise gerecht, welche ihres tiefsten Eindrucks nicht verfehlte. Man merkte es den Rednern an, dass ihre tief empfundenenen Werte der Begeisterung und der Trauer das Resultat ihrer eigenen Anschauungen und eigenen Erlebnissen und sie sich auch bewusst waren, vor einer Zuhörerschaft zu sprechen, die kompetent ist, diese Worte auf ihren wahren Grund zu prüfen und zu beurteilen, weil auch sie das von den Rednern Geschilderte miterlebt und mitangesehen hat. Und wahrlich, die Herren DDr. Sänger und Bondi haben nicht zu viel gesagt; sie haben mit ihren Reden den Mitgliedern der Religionsgesellschaft, welche von den überaus großen und schmerzlichen Verlust ihres Rabbiners durchdrungen sind, aus dem Herzen gesprochen, dass bezeugten die Tränen, die so reichlich flossen, davon gaben der Ernst und die Trauer der Anwesenden Kunde.
Wir versagen uns, die Reden der beiden Herren Rabbiner auch nur im Auszuge zu geben, weil dieselben demnächst in Extra-Beilagen zu diesen Blättern veröffentlicht werden.*)
Beide Redner drückten zum Schlusse den Wunsch aus, dem auch wir uns voll und ganz anschließen, dass die Religionsgesellschaft bald einen dem großen Verstorbenen würdigen Nachfolger an ihre Spitze stelle, der tatkräftig die Gemeinde nach den Intentionen Dr. Lehmanns – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – auch fernerhin leite und führe (als einer,) der hinauszieht vor ihnen her und der kommt vor ihnen her.
Herr Kantor Oppenheimer brachte zwischen den beiden Reden das el male rachamim mit seiner wundervollen Stimme in tief empfundenem Vortrag zum vollen Ausdruck."    
Anmerkung: - El male rachamim siehe  https://de.wikipedia.org/wiki/El_male_rachamim  

   
Zum Tod von Therese Lehmann geb. Bondi, Witwe von Rabbiner Dr. Markus Lehmann (1899)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. Januar 1899: "In Mainz ist am 2. des Monats die Witwe des Rabbiners Dr. Marcus Lehmann, Frau Therese Lehmann, geb. Bondi, eine fromme, brave und allgemein geachtete Frau, im 70. Lebensjahre gestorben."        

  
Dr. Jonas Marcus Bondi wird zum Rabbiner der Religionsgesellschaft gewählt (1890)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Mai 1890: "Mainz, 4. Mai. In der heutigen Generalversammlung der israelitischen Religionsgesellschaft wurde Herr Dr. Jonas M. Bondi - sein Licht leuchte -, Wien, Neffe und Schüler unseres unvergesslichen Rabbinen Herrn Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – mit allen gegen vier Stimmen zum Rabbiner der Religionsgesellschaft erwählt.
Es war einer der letzten Wünsche des Herrn Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – dass die Rabbinerwahl sofort stattfinden möge.
Die Religionsgesellschaft hat alle Berechtigung zu erwarten, dass der neugewählte Rabbiner dem der Ruf eines bedeutenden Talmudgelehrten vorangeht, dem Vorbild seines großen Vorgängers folgen und eine ersprießliche Tätigkeit zur Erhaltung, Erweiterung dessen entfalten wird, was unser teurer Rav - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - mit so großer Ausdauer und so glücklichem Erfolg geschafft hat.
Herr Rabbiner Dr. Bondi ist auch ein ausgezeichneter Schüler von Herrn Rabb. Dr. Hildesheimer, Berlin und Herrn Rabb. Dr. Breuer, Frankfurt a. M..
Wir begrüßen es mit hoher Befriedigung, dass es dem jungen Herrn Rabbinen vergönnt ist, an der Stelle tätig zu sein, an der seine großen Ahnen, Rabbi Herz Scheuer – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – und Rabbi Samuel Bondi – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – für unsere heilige Sache gewirkt haben." 
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Hildesheimer: https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer
- Rabb. Dr. Breuer: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Breuer
- Rabbi Herz Scheuer: https://de.wikipedia.org/wiki/Herz_Scheuer
- Rabbi Samuel Bondi: siehe oben Artikel von 1877          
 

 
Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi tritt seine Stelle als Rabbiner der Religionsgesellschaft an (1890)     

Mainz Israelit 28051890.jpg (238351 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Mai 1890: "Mainz, 22. Mai. Heute Nachmittag traf Herr Dr. J. Bondi aus Wien, der neuerwählte Rabbiner der israelitischen Religionsgesellschaft, in hiesiger Stadt ein. In Darmstadt von einer Deputation des Vorstandes und Ausschusses, welche ihm dahin entgegen gereist, begrüßt und am hiesigen Zentralbahnhof von einer anderen Deputation und von Mitgliedern der Gemeinde feierlich empfangen, fand abends 7 Uhr in der hellerleuchteten und blumengezierten Synagoge die Einführung desselben in sein Amt statt.
Nachdem das Mincha-Gebet verrichtet, zog Herr Rabbiner Dr. Bondi vom Vorstande und Ausschuss begleitet, unter den Klängen des vom Chor gesungenen baruch haba, in das Gotteshaus ein. Der Präses des Vorstandes, Herr Leo Leser, richtete zunächst an den Rabbiner eine Ansprache mit welcher er die Hoffnung und Erwartung aussprach, dass Herr Dr. Bondi dem Beispiele seines großen Vorgängers, Herrn Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – folgend, in Wort und Tat eine ersprießliche und segensreiche Wirksamkeit für die religiösen Interessen der Religionsgesellschaft und deren Institutionen entfalten und namentlich der Unterrichtsanstalt seine besondere Sorgfalt widmen möge.
Herr Dr. Bondi hielt hierauf seine Antrittsrede und betonte, dass er in tiefer Wehmut die Kanzel betrete, von wo aus sein teurer und unvergesslicher Lehrer, Herr Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – in beredter Weise zu seiner Gemeinde gesprochen; er (Dr. B.) habe gehofft, wenn er als Rabbiner in Amt trete, noch eine Reihe von Jahren der Ratschläge und Lehren Dr. Lehmanns sich erfreuen zu dürfen, unseres Lebens Odem, von dem wir sprachen: in seinem Schaffen werden wir leben (Klagelieder 4,20) nach Gottes weisen Ratschlüssen, aber sei er zu frühe für ihn, seine Gemeinde und das ganze Judentum von seiner irdischen Laufbahn abberufen worden.
Der großen Verantwortlichkeit sich bewusst und von der schweren Aufgabe durchdrungen, die seiner als dem Nachfolger eines so großen und weltberühmten Mannes harret, wisse er wohl, dass er die durch Dr. Lehmanns Tod entstandene große Lücke nur schwer und in ihrer Ausdehnung nicht ganz auszufüllen im Stande sein werde, denn nicht jeder besitze Dr. Lehmanns Geistes- und Tatkraft, doch aber bringe er in seinem Amte und in der Gemeinde, wo der große Mann nicht mehr weilt, (zweimal hebräisch und deutsch), das ernste Bestreben mit, ein Mann zu sein, er werde mit seinem Wollen und Können die ihm als geistlicher Führer anvertraute Gemeinde ,in welcher von jeher seine berühmten Vorfahren segensreichen Einfluss ausgeübt und die Fahne der Tora hochgehalten haben, und in der seinen heiligen Beruf auszuüben, er darum um so mehr sich freue, auf dem richtigen Pfade nach den Vorschriften unserer heiligen Religion zu leiten und zu lenken sich bemühen.
Redner schloss seine mit großem Beifall aufgenommene Predigt mit einem Gebet in welchem er den Segen Gottes für den Großherzog und die Großherzogliche Familie, die Staatsregierung, die Regierungs- und Staatsbehörden, die Vorsteher und Mitglieder der Religionsgesellschaft erflehte.
Nachdem vom Chor der 150. Psalm gesungen, war mit dem Maariv-Gebete, die erhebende und auf die zahlreiche Zuhörerschaft ihren tiefen Eindruck nicht verfehlende Feier beendigt.
  
Anmerkungen: Leo Leser: Siehe Artikel von 1900 zu seinem Tod 
Großherzog: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_IV._(Hessen-Darmstadt)
        

  
Artikel von Rabbiner Dr. Lehmann: "War dem Rabbi Amnon von Mainz das Gaslicht bekannt?" (Artikel von 1900)   

Mainz Israelit 31051900.jpg (178345 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Mai 1900: "War dem Rabbi Amnon von Mainz das Gaslicht bekannt?*)
Von Rabbiner Dr. M. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
In einem alten historischen Werke, Schalscheleth ha Kabbalah, dessen Verfasser vor mehr als 150 Jahren lebte, wird eine Erzählung mitgeteilt, die vermuten lässt, dass eine der herrlichsten Erfindungen der Neuzeit, das Gaslicht, bereits vor mehr als acht Jahrhunderten einem Rabbiner in Mainz bekannt gewesen sei. Rabbi Amnon, der durch seinen Märtyrertod berühmte Verfasser des Unetaneh Tokef lebte um die Mitte des 11. Jahrhunderts (1050) zu Mainz und war ein in jeglicher Wissenschaft erfahrener Mann. Man wusste, dass er stets zum Freitagabende ein Licht anzündete, welches ohne Öl fortwährend brannte, bis er es am folgenden Freitage auslöschte, um es wieder anzuzünden. Diese Tatsache hatte ihm den Ruf eines Zauberers zugezogen. Einst kam ein mächtiger Fürst nach Mainz, hörte von dem wunderbaren Lichte und wünschte dasselbe zu sehen, da es aber der Rabbi geheim hielt, beschloss der Fürst, ihn des Abends bei demselben zu überraschen. In jener Zeit herrschte die Unsitte, dass ausgelassene junge Leute nachts an die Häuser der Juden klopften und nicht eher nachließen, bis man ihnen etwas verabreicht hatte. Um sich vor solchen lästigen Besuchern zu schützen und um nicht in seinen tiefsinnigen Studien gestört zu werden, hatte Rabbi Amnon, der auch in der Mechanik erfahren war, an seiner Haustüre eine Maschinerie angebracht, eine Art Prügelmaschine - die den Klopfenden derb züchtigte, sobald Rabbi Amnon im Innern seines Studierzimmers eine Feder drückte.
Der Fürst kam also mit seinem Gefolge, ließ klopfen und der Klopfer ward alsobald – geklopft. Als sich aber das Klopfen wiederholte, merkte Rabbi Amnon, dass hier kein gewöhnlicher Gassenbubenstreich beabsichtigt werde: Er öffnete die Türe und fand zu seinem Erstaunen den Fürsten an seiner Schwelle. Dieser eilte in das Haus und fand das vielbesprochene Licht. Während er dasselbe betrachtete, fragte Rabbi Amnon nach seinem Begehr. 'Ich habe gehört, dass du ein großer Zauberer seiest und finde hier den Beweis in diesem Lichte, das ohne Öl brennt.' Da sprach der Rabbi: 'Mein Herr und Fürst, ich bin kein Zauberer, aber ich bin tief eingedrungen in die Naturwissenschaften und habe einen nicht sichtbaren Stoff gefunden, welcher brennt wie Öl.' Noch lange unterhielt sich der Fürst mit dem Weisen über manch unbekannte Naturkraft und zog ihn später noch oft zu Rate.
Wie viele wichtige Erfindungen mag der Aberglaube des Mittelalters, der die Erfinder als Zauberer verschrie, gleich bei ihrem Entstehen vernichtet haben!"
*) Aus 'israelitische Schulbibliothek', ein Zentralorgan für Synagoge, Schule und Haus. In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von K. Klein Mainz 1859
Anmerkung:  - Rabbi Amnon von Mainz: https://de.wikipedia.org/wiki/Amnon_von_Mainz 
       
- Unetaneh tokef:  https://de.wikipedia.org/wiki/Unetaneh_tokef    

    
Jahrzeitstag von Rabbiner Dr. Lehmann (1904)      

Mainz Israelit 11041904.jpg (239099 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April 1904: "Zum Jahrzeitstage von Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
Mainz, 10. April.   Vor unseren Augen haben die Toravorlesungen der letzten Wochen das Heiligtum plastisch erstehen lassen. Mit kunstgeübter Hand hatten Bezalel und Oholiah und alle die Kunstverständigen und Weisen in Israel gefertigt und hergestellt alle die herrlichen Gegenstände, dem Dienste des Höchsten geweihet; in edlem Wetteifer hatten Männer und Frauen, Alte und Junge sich bemüht, zu arbeiten, zu spenden, mitzuhelfen, auf dass in Wirklichkeit das Stiftszelt zu einem Nationalheiligtum werde. Nun war alle Arbeit vollendet, alles geschehen, genau, wie der Herr es befohlen und gezeigt und Moscheh stellte das Heiligtum auf, das nun geweihet und geheiligt werden sollte, auf dass es fürderhin weihe und heilige. Und der Ewige verkündete Lehre und Gesetz des Opferdienstes, Aharon und seine vier Söhne mit diesem heiligen Priesteramte betrauend. 'Und es gingen Moscheh und Aharon in das Stiftszelt, und da sie wieder heraustraten und das Volk segneten, da erschien des Ewigen Herrlichkeit dem ganzen Volke, und es ging Feuer aus von dem Ewigen und verzehrte auf dem Altare das Emporopfer und die Fettstücke, da das Volk solches sah, jauchzten sie und feilen nieder auf ihr Angesicht'. (3. Buch Mose, 9, 23).
Aber mitten in diesem allgemeinen Jubel des freudigen Volksfestes fällt der düstere Schatten eines traurigen Ereignisses: Die Söhne Aharons, Nadah und Awihu müssen plötzlich ihr junges Leben lassen. Auch uns überkommt alljährlich nach Schluss des Pessachfestes tiefe Wehmut, denn noch nicht vernarbt sind die Wunden, die uns das Pessachfest 5660 geschlagen, dass unser geliebter Vater auf das Sterbelager geworfen wurde, von dem er am 24. Nissan zur ewigen Ruhe hinweg gehoben wurde.
Man ist hie und da mit der Frage an uns herangetreten, mit welcher Berechtigung wir alljährlich einen weiteren Kreis an unserem Jahrzeittage teilnehmen lassen, man verkenne gewiss die Verdienste Dr. Lehmanns um das gesetzestreue Judentum nicht, aber es gäbe so viele bedeutende Männer, die im Laufe der Zeiten dahingegangen, denen man nicht alljährlich ein Erinnerungsblatt weihe. Wir haben auf diese Fragen stets geantwortet, dass wir viel weniger der Bedeutung Dr. Lehmanns halber das Gedenken an ihn mit jeder Wiederkehr seines Sterbetages auffrischen, als vielmehr wegen der erzieherischen Wirkung, die in dem Vergegenwärtigen seiner segensreichen Tätigkeit liegt. Wie kein anderer in dem jüngsten Jahrzehnte heimgegangenen Großen ragt das Wirken Dr. Lehmanns in unsere Zeit hinein, ja, wie notwendig wäre noch heute sein Auftreten!
Wenn wir sehen, wie heute wieder, wie vor vierzig Jahren die Orgel zum Schlachtruf in den jüdischen Gemeinden wird, wie der Abfall von Tora und Mitzwot stets weiter um sich greift, dann wünschten wir einen Dr. Lehmann herbei, der mit heiligem Ernst oder beißender Satire die Irrenden wieder auf den rechten Weg leitet.
Und diese Erwägungen geben uns die Berechtigung, in jedem neuen Jahre seiner in Liebe in diesen seinen Blättern zu gedenken."
  
Anmerkungen:  -  Heiligtum: https://de.wikipedia.org/wiki/Mischkan  
- Bezalel: https://de.wikipedia.org/wiki/Bezalel  
- Aharon: https://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_(biblische_Person)   
- Nissan: https://de.wikipedia.org/wiki/Nisan_(Monat)  
- Mitzwot: Plural von Mitzwa https://de.wikipedia.org/wiki/Mitzwa 
         

 
25-jähriges Ortsjubiläum von Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi bei der Religionsgesellschaft (1915)     

Mainz Israelit 29041915.jpg (86735 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. April 1915: "Mainz, 30. April. Am 14. Ijar waren 25 Jahre verflossen, seitdem Herr Rabbiner Dr. Bondi zum geistigen Führer der hiesigen 'Israelitischen Religionsgesellschaft' berufen wurde. Die große Schar der Verehrer, Freunde und Schüler des verdienstvollen Mannes würde gar zu gerne diesen Tag des Gedenkens zu einem Jubelfeste gestaltet haben, hätte der Jubilar selbst nicht mit aller Entschiedenheit unter Berufung auf die Anschauungen seines großen Vorgängers – das Andenken des Gerechten ist zum Segen – sich jede Festfeier strengstens verbeten.
Die Vielseitigkeit der Leistungen Rabbiner Dr. Bondis, der in Schule und Gemeinde, auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege und wie der Klallarbeit (= Gemeindearbeit) im Großen, als Schriftsteller und als befruchtender Anreger auf dem Felde der jüdischen Wissenschaft in den Dezennien seiner Wirksamkeit Großes und Dauerndes geschaffen hat, spricht für sich selbst und bedarf im Kreise der Zeitgenossen keiner besonderen Darstellung (Wir rufen unserem geschätzten Mitarbeiter ein herzliches - und in deinem Schmucke brich auf, fahr einher für die Sache der Wahrheit (Psalm 45,5) - zu. Redaktion der 'Israelit'.)"  
Anmerkung: -  Ijar: https://de.wiktionary.org/wiki/Ijjar 
       

   
Todesanzeige für Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi (1929)    

Mainz Israelit 21031929.jpg (80204 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März 1929: "In tiefem Schmerz geben wir Kenntnis von dem Heimgang unseres hochverehrten Rabbiners
Herrn Dr. Jonas Bondi das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
Fast 40 Jahre hat der Verblichene an der Spitze unserer Religionsgesellschaft und der damit verbundenen Knaben- und Mädchenschule in vorbildlicher Weise gewirkt, ein Freund und Berater aller, die sich ihm anvertrauten, hilfreich und gut gegen alle, ohne Ansehen des Standes und Glaubens.
Was er als Gelehrter gewesen, wird von anderer Seite gewürdigt werden.
Wir trauern aufrichtig um diesen edlen Menschen, dessen Andenken unauslöschlich mit der Geschichte unserer Gemeinschaft verbunden bleibt
Sein Verdienst komme uns und ganz Israel zugute.
Mainz, den 14. März 1929. Der Vorstand der Israelitischen Religionsgesellschaft
Eine Trauerfeier wird Sonntag, 24. des Monats, um 5 Uhr mittags in unserer Synagoge stattfinden."       

   
Ausschreibung der Stelle des Rabbiners der Israelitischen Religionsgesellschaft (1929)    

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Mai 1929: "In unserer Religionsgesellschaft soll die Stelle eines
Rabbiners
dem auch die Leitung unserer Elementarschule obliegt, alsbald wieder belegt werden. Gehalt nach Übereinkunft. Bewerbungen mit ausführlichem Lebenslauf werden bis zum 24. Mai 1929 erbeten.
Der Vorstand der Israelitischen Religionsgesellschaft Mainz."
        

   
Rabbinerwahl der Israelitischen Religionsgesellschaft in Mainz (1929)    

Mainz Israelit 12091929.jpg (50480 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. September 1929: "Rabbinerwahl in Mainz. Mainz, 9. September.
Zum Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft wurde an Stelle des heimgegangenen Dr. Jonas Bondi – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -, Herr Rabbiner Dr. Moses Bamberger, zweiter Sohn des Herrn Rabbiner Dr. (sc. Isaak Selig) Bamberger, Kissingen fast einstimmig gewählt. Herr Rabbiner Dr. M. Bamberger hat sich sein talmudisches Wissen zum größten Teile auf litauischen Jeschiwaus erworben und wird allgemein als Talmid Chacham (Gelehrter), wie als Mann von reifem profanen Wissen und innerem Feuer für die Tora und ... geschätzt." 
Anmerkung: - Rabbiner Dr. Moses Bamberger (1902-1960): http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1987&suchename=Bamberger  
- Jeschiwaus: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa  
       

  
Jahrestag des Todes von Rabbiner Dr. Jonas Bondi (1930)    

Mainz Israelit 13031930.jpg (237887 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. März 1930: "Zum Andenken an Rabbiner Dr. Bondi. Trauerfeier in Mainz
Zu Ehren ihres vor Jahresfrist heimgegangenen Raws, Dr. Jonas Bondi – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – veranstaltete die Mainzer Israelitische Religionsgesellschaft am vergangenen Sonntag in ihrer Synagoge eine Gedenkfeier. Wohl sämtliche Mitglieder der Religionsgesellschaft mit ihren Frauen und Kindern hatten sich eingefunden; auch eine große Zahl der übrigen jüdischen Kreise aus Mainz zeigten durch ihre Anwesenheit, wie sehr der Heimgegangene es verstanden hatte, durch sein Wirken um G'TTes und seiner Torah willen auch den religiös ferner Stehenden Verehrung für seine Person abzugewinnen.
Nach Rezitation besonders stimmungsgemäßer Kapitel aus Psalmen bestieg der jetzige Rabbiner und Nachfolger des Heimgegangenen, Dr. Bamberger, die Kanzel, um in groß angelegter Rede nochmals der Gemeinde ein Lebensbild ihres geliebten Führers – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – vor Augen zu führen, nicht als Totenklage, die sich nach Ablauf des Trauerjahres ohnehin verboten hätte, sondern als Dankeszoll und als Mahnung, sich dessen, was der Heimgegangene unermüdlich erstrebt, und erwirkt hätte, stets würdig zu erweisen und fort zu bauen.
Der verehrte Redner verstand es meisterlich, seine Gedanken mit einer Fülle von Midraschim, Stellen aus dem Talmud und Tora zu umrahmen, zeigte, wie bereits das Elternhaus und Abstammung von Großen in Israel in Dr. Bondi den Grund zu Füßen eines Rabbiners Meier Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – und Dr. Salomon Breuer – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – gesessen und späterhin als Schüler von Rabbiner Hildesheimer – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – immer tiefer in die Hallen der Tora-Wissenschaft eingedrungen sei. - Seine Würdigkeit, im Hause Gottes weilen und wirken zu dürfen, habe Dr. Bondi sich als einer, der auf rechtem Wege geht und einer, der gerecht handelt und die die Wahrheit in unsere Herzen spricht in unübertrefflicher Weise erworben – überstrahlt aber, wo sein Wirken durch eine rührende Bescheidenheit, die jeden gewann. Selbstvergessen habe er jedem seiner Gemeinde herzlich nahegestanden, sei es als Lehrer und Führer, sei es teilnehmender Freund oder in seinem Wirken fürs Krankenhaus. So habe man seine Worte überall geschätzt und ihn gerne noch außerhalb zu Vorlesungen und Vorträgen, zum Vorsitz in den beiden frommen Rabbiner-Verbänden und ins Kuratorium des Berliner Rabbinerseminars berufen. Auch im hessischen Lande habe man seine Stimme nie überhört. Die Liebe zu den Worten der Tora sei der Untergrund seiner jüdisch-wissenschaftlichen Forschungen gewesen, die namentlich auf historischem Gebiete Hervorragendes zu Tage gefördert hätten. So sei er der rechte Leiter der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft gewesen. Niemals aber habe er sich in Spekulation verloren, sondern gleichsam, wie wir beim Schma-Gebet zur Abwendung fremdartiger Gedanken die Augen mit der Hand bedecken, habe er in inniger Gläubigkeit all sein Schaffen nur rein zur Ehre des Ewigen geübt. Unvergänglich sei sein Wirken an der Schule, der seine ganze Liebe gegolten habe, um jedes Kind habe er im Verein mit seiner, sein Wirken stets verständnisvoll unterstützenden Gattin förmlich bei den Eltern gerungen, dass sie es seiner Schule zuführen möchten; ihr, seiner Schule, habe sein Sinnen und Sorgen gegolten, noch als er körperlich geschwächt, sich völliger Ruhe hätte hingeben sollen. Das müsse jedem Einzelnen in der Kehilla und besonders der von ihm herangebildeten Generation das Gelöbnis abringen, mitzuhelfen an der Erstarkung der Israelitischen Religionsgesellschaft im Geiste und im Sinne Dr. Bondis – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen.          
Mainz Israelit 13031930a.jpg (130393 Byte)Diesen tiefempfundenen Worten schloss sich namens der Familie des Heimgegangenen der Hanauer Rabbiner Dr. Gradenwitz in gedrängter, geistvoller und eindringlicher Rede an, das Wesen des geliebten Mainzer Raws mit den Worten des Propheten Micha es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich das Recht zu tun, Barmherzigkeit lieben und mit Deinem G'TT gehen zeichnend. Seine tiefe Gottesfurcht und die ihm daraus quillende Pflicht, alles Menschenwirken zu einem unablässigen Gottesdienst zu gestalten, sei bei Bondi – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – gepaart gewesen mit einer rührenden Liebe zu den Menschen, denen er sein Bestes gab und von denen er in seinem humanen Sinn sich nie entschließen konnte, etwas Schlechtes zu denken. Befähigt habe ihn hierzu – und darin habe die Wurzel, der Trieb, alles unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu betrachten, wie es der tiefe Sinn der Koheleth-Verses sei alles hat G'TT gut gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in das Herz des Menschen gegeben. Im Endlichen das Unendliche erfühlend, sei sein ganzes Verhalten getragen gewesen von dem Bewusstsein eines über alle menschlichen Irrungen und Nöte hinweg, zum Siege gelangenden Ideals. Seine Kehilla möge das herrliche Bild des Verewigten sich stets vor Augen halten. Wie einst eine schwere Zeit vorahnend Josef seinen Brüdern sein … zugerufen habe, so möge die Kehilla als teuerstes Vermächtnis ihres verewigten Führers immerdar seinen Ruf vernehmen, der darin gipfelte, dass die Mainzer Kehilla, um weiter einen Aufschwung zu erzielen, ihn im Geiste immer mit sich nehmen möge, das fortzusetzen, wofür er gewirkt habe.
Mit dieser Rede und den von Kantor und Gemeinde gemeinsam vorgetragene Kapiteln 90, 16 und 23 aus den Psalmen, klang die Stunde des Gedenkens aus, bei allen Hörern einen tiefen Eindruck hinterlassend.
Anmerkungen: -  Meier Lehmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
-  Midraschim, Plural von Midrasch: https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
-  Talmud: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-  Rabbiner Meier Lehmann:https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
-  Dr. Salomon Breuer:https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Breuer
-  Rabbiner Hildesheimer: https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer
-  Kehilla: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
-  Raw: Rabbiner
-  Rabbiner Dr. Gradenwitz: https://de.wikipedia.org/wiki/Hirsch_Gradenwitz
-  Koheleth-Vers: https://de.wikipedia.org/wiki/Kohelet
   

   
   
   
Aus der Geschichte der Lehrer und Kantoren der Religionsgemeinde
   
Ausschreibung der Stelle eines Vorsängers und Schochet (1860)   

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 14. Februar 1860: "In der hiesigen Religionsgemeinde wird ein musikalisch gebildeter Vorsänger aufgenommen, welcher auch als Schochet zu fungieren hat. Der jährliche Ertrag der Stelle beläuft sich auf mindestens fl. 800,-- . Konkurrenzfähige Bewerber haben sich an den Unterzeichneten zu wenden.
Mainz, den 30. Januar 1860.
Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde."              

    
Anzeige des Pensionates von Oberlehrer Fuld (1869)   

Mainz Israelit 22121869.jpg (41052 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Dezember 1869:  "Pensionat.
Durch die Anstellung meiner Tochter als Lehrerin an der Unterrichtsanstalt der israelitischen Religionsgesellschaft dahier ist es mir möglich, Mädchen, welche diese oder eine andere der hiesigen Lehranstalten besuchen, in Pension zu nehmen. Für eine körperliche und geistige Pflege, für eine den Anforderungen der Zeit in jeder Beziehung entsprechende gründliche Ausbildung, für gewissenhafte Beaufsichtigung wird aufs Angelegentlichste Sorge getragen werden.
Mainz, im Dezember 1869. Fuld, Oberlehrer."       

    
Hinweis: zwischen 1873 und 1880 war der Rabbiner Dr. Julius Fürst (geb. 1826 in Mannheim, gest. 1899 in Mannheim) Prediger und Religionslehrer in Mainz. Seit September 1880 war er Klausrabbiner in Mannheim.  
     
   
Ausschreibung der Stelle des Kantors und Religionslehrers der Religionsgemeinde (1887)  

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. Januar 1887: "Für unsere Gemeinde wird bei angemessener Besoldung ein in jeder Beziehung
gediegener Kantor
gesucht, welche zugleich tüchtiger seminaristisch gebildeter Religionslehrer sein muss. Meldungen unter Beifügung des Lebens- und Bildungsganges sind dem unterzeichneten Vorstand einzureichen.
Mainz, den 6. Dezember 1886.  Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde."     

 
25-jähriges Amtsjubiläum von E. Gutmann als Rabbi und Kantor des "3. israelitischen Krankenpflegevereins" (1889)     

Mainz Israelit 31101889.jpg (149449 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Oktober 1889: "Mainz, 27. Oktober. Unter den vielen Vereinen unserer alten Gemeinde, welche sich der Pflege von Tora, Awodag und Gemiluth Chasodim (Tora, Gottesdienst und Wohltätigkeit) zur Aufgabe gemacht haben, nimmt der seit den ersten Jahren dieses Jahrhunderts bestehende und segensreich wirkende '3. israelitische Krankenpflegeverein' eine hervorragende Stellung ein. Aus bescheidenen Anfängen hervorgegangen, verdankt er sein kräftiges Emporblühen der rührigen Tätigkeit seines vor 25 Jahren verstorbenen Rabbiners und Leiters Victor Koch das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – unter dessen Führung der Verein ein eigenes Haus erwarb, das mit einer Synagoge eingerichtet ist, Wohnung für den Vereinsdiener enthält. Nach Victor Kochs Tode wurde der heute noch funktionierende Herr E. Gutmann als Rabbi und Kantor berufen, ein Mann, dessen strenge Frömmigkeit eine Garantie dafür bot, dass die religiösen Verrichtungen im Sinne der frommen Gründer der Chewra Kadischa (Heilige Bruderschaft, Beerdigungsverein) geübt werden. Der Verein hat sich mit seinen Erwartungen nicht getäuscht. Herr Gutmann hat mit seltener Pflichttreue in den vergangenen 25 Jahren sein Amt verwaltet. Gestern am Ausgang des Heiligen Schabbat (= Samstagabend) hat sich der Vorstand des Vereins das Vergnügen gemacht, zu Ehren des geschätzten Jubilars im Saale des Vereinshauses ein kleines Fest zu veranstalten, wobei der Direktor, Herr G. Haas, dem Gefeierten einen kunstvoll gearbeiteten Pokal überreichte. Herr Gutmann nahm Anlass, in längerer Dankesrede, die Gesellschaft mit schönen Midraschkommentaren zu erfreuen, Toaste ernsten Inhaltes wechselten mit humoristischen Vorträgen – alle Mitglieder hatten den Eindruck einen vergnügten Abend verlebt zu haben, und als man sich in später Stunde trennte, da hatte man nur den einen Wunsch, dass es dem Herrn Jubilar beschieden sein möge, noch ebenso rüstig wie heute das 50jährige Jubiläum zu feiern. So geschehe sein (G'ttes) Wille."
Anmerkungen: -  Rabbiner E. Gutmann: siehe Artikel zum Tod von Emanuel Gutmann 1891  
-  Midrasch: https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch  
 

  
Ausschreibung der Stelle eines Lehrers und stellvertretenden Kantors der Religionsgemeinde (1890)      

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Februar 1890: "Wir suchen zum 1. April dieses Jahres für unsere vierklassige Religionsschule einen seminaristisch gebildeten Lehrer, welcher auch befähigt ist, den Religionsunterricht in den höheren städtischen Schulen zu erteilen und vorkommendenfalls den ersten Kantor vertreten kann.
Bewerber, welche die Definitovialprüfung bestanden haben, werden bevorzugt.
Mainz, den 29. Januar 1890.  Der Vorstand der israelitischen Religions-Gemeinde."       

  
25-jähriges Ortsjubiläum des Reallehrers Eschelbacher (1917)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. April 1917: "Aus Mainz wird uns geschrieben: Am 1. April beging Herr Reallehrer Eschelbacher, ein Sohn des verstorbenen Rabbiners Eschelbacher, sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum als Religionslehrer der Israelitischen Gemeinde in Mainz."      

   
   
   
Aus der Geschichte der Lehrer und Kantoren der Religionsgesellschaft 
      
Ausschreibung der Stelle einer Lehrerin in der Religionsgesellschaft (1859)     

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. September 1859:  "An der zu errichtenden Unterrichtsanstalt der israelitischen (orthodoxen) Religionsgesellschaft zu Mainz findet eine geprüfte Lehrerin, die in den üblichen Elementargegenständen, im Hebräisch Lesen und Übersetzen, im Französischen und in den weiblichen Handarbeiten Unterricht zu erteilen versteht, sofortige Anstellung. Frankierte Anmeldung unter Anschluss der Zeugnisse über Befähigung und streng religiösen Lebenswandel sind zu richten an
Dr. Lehmann
Mainz,
den 26. August 1859."                

 
Ausschreibung der Stelle eines Lehrers der Religionsgesellschaft (1866)      

Mainz Israelit 28031866c.jpg (42772 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. März 1866: "Lehrer gesucht!
Für die Unterrichtsanstalt der israelitischen Religionsgesellschaft zu Mainz wird zu baldigem Eintritt ein Lehrer gesucht, der in den gewöhnlichen Elementarfächern einer jüdischen Schule und etwas auch im Zeichnen zu unterrichten versteht. Zeugnisse über Befähigung und über streng religiösen Lebenswandel wolle man gefälligst an den Leiter der Anstalt, Herrn Dr. Lehmann richten."       

  
Zum Tod des Kultusbeamten der Religionsgesellschaft Moses Marx (1894)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Februar 1894: "Mainz, am Ausgange des Sabbats Paraschat Tezawe 
In der Nacht zum 7. Adar starb hier plötzlich der langjährige Kultusbeamte der Israelitischen Religionsgesellschaft, Herr Moses Marx. Das Leben des Verblichenen illustrierte das Wort unserer Weisen: 'Mehr ist es mit Talmudgelehrten zu verkehren, und sie zu bedienen, als bei ihnen zu lernen.' In einfachen Verhältnissen erzogen, hatte der Verblichene in seiner Jugend nicht das Glück, sich dem Torastudium zu widmen, in seinem Amte jedoch was es ihm vergönnt, hoch bedeutende Gesetzeslehrer, wie Rabbi Jacob Levi, Rabbi Samuel Bondi, Rabbi Marcus Lehmann - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - zu Vorgesetzten zu haben, und in regem Verkehr mit ihnen zu leben. Welchen Schatz von Kenntnissen in Bezug auf Rechtsentscheide für die verschiedenartigsten Verhältnisse des Lebens, der Entschlafene sich hierdurch angeeignet hatte, war ganz erstaunlich. 'So hat es Rabbi Schmul gemacht', 'so hat es Dr. Lehmann getan', waren seine ständigen Redensarten. In seiner tiefergreifenden, meisterhaften Trauerrede schilderte ihn unser verehrter Rabbiner Dr. Bondi - sein Licht leuchte - als einen pflichttreuen, rastlosen Arbeiter in Bezug auf Tora, Gottesdienst und Wohltätigkeit. Den in der Halle des Friedhofes dicht gedrängt stehenden Leidtragenden sah man es an, dass die Lobesworte des Redners ihnen allen aus der Seele gesprochen waren. Ein weiteres, überaus ehrendes Zeugnis für den Dahingegangenen gibt der schöne Nachruf, den der Vorstand unserer Religionsgesellschaft in den hiesigen Tagesblättern ihm widmete. Derselbe lautet:
In der Nacht zum 13. Februar wurde Herr Moses Marx durch den Tod seiner rastlosen, gesegneten Tätigkeit entrückt. 38 Jahre hindurch diente er mit seltenem Pflichteifer und bewundernswerter Arbeitskraft unserer Religions-Gesellschaft als Kultusbeamter. Sein Verlust bedeutet für uns eine schmerzliche Lücke, die schwer auszufüllen sein wird. Um unserem Dankgefühl zu genügen, drängt es uns, dies hier öffentlich auszusprechen. Sein Andenken wird uns unvergesslich sein.

Ja, es ist eine Lücke, die schwer auszufüllen sein wird. Wie innig verwachsen Herr Marx mit unserer Religionsgesellschaft war, wie er das Interesse der Gesellschaft ganz zu dem seinigen gemacht hat, das können nur die beurteilen, die ihn in seiner Amtstätigkeit gesehen und denen jetzt der treue Beamte allenthalben fehlt. Zu weiteren Kreisen war der Heimgegangene, durch seine in Bezug auf Kaschruth musterhaft geleitete Restauration bekannt und beliebt. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." 

Anmerkungen: - Paraschat Tezawe siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Tezawe
-  Rabbi Samuel Bondi: vgl. Artikel zum Tod von Rabbi Samuel Bondi 1877
-  Rabbiner Dr. Lehmann:https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
-  Kaschruth: https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Speisegesetze 
    

    
Religionslehrer S. Eschelbacher wird Lehrer am Real-Gymnasium, Fräulein Weil wird Lehrerin an der Volksschule (1904)                

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. April 1904: "Aus dem Großherzogtum Hessen. Unser Justizminister hat endlich einmal den Anfang mit der Anstellung eines stellvertretenden jüdischen Amtsrichters gemacht. Unser Schulministerium fährt in der Anstellung jüdischer Lehrer und Lehrerinnen ordentlich fort. Nachdem die Gymnasien in Offenbach und Bingen jüdische Oberlehrer erhalten haben, wurde dieser Tage Herr Lehrer S. Eschelbacher, bisher Religionslehrer in Mainz, als ordentlicher Lehrer an das dortige Real-Gymnasium berufen und Fräulein Cahn aus Alzey an die Volksschule nach Gießen, ebenso Fräulein Weil aus Mainz an die Volksschule zu Mainz. Hoffentlich folgte das Justizministerium in ähnlicher Weise nach."      

        
25-jähriges Ortsjubiläum von Oberkantor und Lehrer der Israelitischen Religionsgesellschaft Abraham Oppenheimer (1911)     

Mainz Israelit 13071911a.jpg (191454 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Juli 1911: "Mainz, 4. Juli. Am vergangenen Samstag waren 25 Jahre verflossen, dass Herr Oberkantor und Lehrer Abraham Oppenheimer an der hiesigen Israelitischen Religionsgesellschaft seine Tätigkeit begann. Zu Ehren des Tages war das Vorbeterpult in der Synagoge, die Stätte seiner Wirksamkeit, mit einem prachtvollen Blumenarrangement versehen worden und der Herr Rabbiner verlieh ihm die Würde eines Chower. Nach Beendigung des Gottesdienstes begaben sich Rabbiner und Vorstand in die Wohnung des zu Feiernden, hier hielt Herr Rabbiner Dr. Bondi eine Ansprache. Im Abschluss an eine Stelle des Wochenabschnittes entwickelte der Redner die Eigenschaften, die man von einem Schaliach Zibur (Abgesandter der Gemeinde) fordere. Den Jubilar ziere, wie hier allbekannt, aufrichtige Frömmigkeit und könne er sich zugleich großer Beliebtheit bei den Mitgliedern der Gemeinde erfreuen.
Der Redner erwähnt dann den ihn in Übereinstimmung mit der Verwaltung der Religionsgesellschaft Herrn Oppenheimer verliehenen Chowertitel. Mit dem Wunsche für den Jubilar und die Religionsgesellschaft, dass diese sich noch lange seiner gesegneten Wirksamkeit erfreuen möge, schloss diese Ansprache. In Auftrag des Vorstandes dankte deren Vorsitzender, Herr Josef Fulda, dem Jubilar für seine große Gewissenhaftigkeit und übergab ihm einen kunstvoll ausgeführten silbernen Chanukkahleuchter. Es sprachen noch im Auftrage der Gemeindemitglieder, Herr Siegmund Moritz, der zugleich eine kunstvoll gearbeitete Mappe mit wertvollem Inhalt überreichte, dann Herr Jakob Cahn, im Auftrage der Schüler. Der Leiter des Synagogenchores, Herr Hermann Schlesinger pries die jahrelange, harmonische Zusammenarbeit zwischen Vorsänger und Chor, zugleich einen Becher mit entsprechender Widmung darbietend. Inzwischen hatten sich die Räume mit Gemeindemitgliedern gefüllt, die es auch an Einzelgeschenken und allerhand Aufmerksamkeiten nicht fehlen ließen.
Herr Oppenheimer dankte in tiefbewegten Worten. In jungen Jahren hierher gekommen, habe er zwei Lehrer, die ihm Freunde waren, vorgefunden, der unvergessliche Dr. Lehmanndas Andenken an den Gerechten ist zum Segen - habe ihm die Richtlinien, der von ihm begründeten Unterrichtsanstalt gewiesen und unter göttlichem Beistand habe er durch das Eingehen auf die Gedanken dieses Großen in Israel Erfolge erzielt.
Am folgenden Sonntage fand in der Vorhalle der Synagoge unserer Gemeinde eine Schulfeier statt. Hier hielt vor versammeltem Lehr- und Schulkörper der Senior der Lehrer, Herr Josef Kahn, eine tiefempfundene Ansprache auf die der Jubilar bewegt erwiderte. Chorgesang der Kinder und allerhand heitere Aufführungen schlossen die Feierlichkeiten."  
 
Anmerkungen:  -  Vorbeterpult: https://de.wikipedia.org/wiki/Bima  
- Wochenabschnitt: https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha 
- Chower: https://de.wiktionary.org/wiki/Chawer 
- Josef Fulda: Bankier in Mainz, sein Sohn war Isaak Fulda https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_Fulda  vgl. Artikel von 1919 
- Chanukkahleuchter: https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukkia
- Dr. Lehmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
- Israel: Jüdische Gemeinschaft 

   
Zum Tod des Lehrers der Religionsgesellschaft Josef Kahn (1918)     

Mainz Israelit 24101918.jpg (166772 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Oktober 1918: "Mainz, 20. Okt. Die hiesige israelitische Religionsgesellschaft hat einen schweren Verlust erlitten. Während der Herbstfeiertage verschied, im hohen Alter von 77 Jahren, Herr Lehrer Josef Kahn. Es war in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der junge Rabbiner Dr. Lehmann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – nach Begründung der Israelitischen Religionsgesellschaft auch deren Unterrichtsanstalt ins Leben rief und für diese unter anderen hervorragenden Lehrkräften auch Herrn Kahn anstellte. Mit der Verpflichtung dieser Persönlichkeit für die Schule hatte der Rabbiner einen besonders guten Griff getan, denn dessen pädagogische Veranlagung, seine Pflichttreue, Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit, vor allem aber sein reiches Wissen, gingen weit über das hinaus, was man sonst von Lehrern in ähnlichen Stellungen zu fordern berechtigt ist. Dazu kam seine ungekünstelte, überzeugungsvolle und aus dem Herzen quellende Frömmigkeit, die sich auf das kindliche Gemüt als etwas ganz Selbstverständliches und Notwendiges übertrug. So ward es ihm leicht, auf die Idee seines großen Meisters einzugehen, der die Parole 'Tora' und 'Derech Erez' auf die Fahne der Schule geschrieben hatte. In dieser Weise wirkte er nahezu 60 Jahre in der genannten Anstalt. Andere Lehrer kamen und gingen, aber er harrte aus. Ja, als die Kriegsnöte es durch Einberufung der jungen Lehrer verlangten, opferte er noch die wenigen Jahre seines Ruhestandes der heißgeliebten Anstalt. In einer ergreifenden Rede am Grabe, ebenso in einer heute in der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft stattgehabten Trauerfeier zeichnete Rabbiner Dr. Bondi das Bild des wackeren Mannes und seines segensreichen Wirkens. Er verfehlte auch nicht, darauf hinzuweisen, welche Stütze der Heimgegangene auch dem Schriftsteller Dr. Lehmann gewesen, indem er sich viele Jahrzehnte als 'Hilfsredakteur' beim 'Israelit' erfolgreich betätigte. Möge der Allgütige seine Kinder und Enkel trösten! Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens.  O.L." 
Anmerkungen: - Dr. Lehmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann 
-  Derech Erez:  https://de.wikipedia.org/wiki/Derech_Erez_Zuta
-  Rabbiner Dr. Bondi: vgl. Artikel zu Rabbiner Dr. Bondi von 1890        

  
 40-jähriges Ortsjubiläum von Kantor und Lehrer Abraham Oppenheimer (1926)    

Mainz Israelit 29071926.jpg (82885 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Juli 1926: "Mainz, 19. Juli. Am Schabbos beging Herr Kantor und Lehrer Abraham Oppenheimer sein 40jähriges Ortsjubiläum im Dienste der hiesigen Israelitischen Religionsgesellschaft, nachdem er vorher kurze Zeit in Lohrhaupten und Ottensoos gewirkt hatte. Die Wertschätzung seiner Tätigkeit zeigte sich in der nach beendigtem Morgengottesdienst in seiner Wohnung stattgehabten Feier. Nach einem vom Synagogenchor ausgeführten Ständchen ergriff Herr Rabbiner Dr. Bondi das Wort, zu größeren Ausführungen, um die großen Verdienste des Jubilars in Schule und Gotteshaus eingehend zu würdigen, worauf der Gefeierte kurz erwiderte, dass er für alle dargebrachten Ehren bestens danke – die Gemeinde ließ ein größeres Geschenk überreichen – aber doch nur eigentlich seine selbstverständliche Pflicht erfüllt habe. Wir aber rufen Herrn Oppenheimer zu: 'Brich auf, fahr einher bis 100 Jahre' (nach Psalm 45,5)"
Anmerkungen: -  Schabbos Jiddisch für Schabbat, https://de.wikipedia.org/wiki/Schabbat  
-  Rabbiner Dr. Bondi: vgl. Artikel zu Rabbiner Dr. Bondi von 1890    

   
25-jähriges Ortsjubiläum von Jakob Tschorniki als Kultusbeamter der Religionsgesellschaft (1931)    
Anmerkung: Jakob Tschornicki ist 1878 in Ostrina geboren, war verheiratet mit Karoline geb. Caser, geb. 1876 in Obersitzkow. Während seiner Zeit als Kultusbeamter in Mainz lebte Familie Tschornicki - mit den Kindern Max (geb. 1903 in Rüsselsheim), Willi (1906-1913) und Julian (geb. 1914) in Mainz in der Großen Bleiche 38. Jakob Tschornicki starb 1936 in Mainz, seine Frau ist nach der Deportation 1942 im Ghetto Theresienstadt umgekommen. Sohn Max starb nach seiner Deportation kurz vor Befreiung des KZ Dachau am 2. April 1945. Sohn Julian konnte nach Mexiko emigrieren. Weitere Informationen siehe  https://stolpersteine-mainz.de/index.php/stolpersteine-in-mainz/biografien/karoline-und-max-tschornicki/  Vor dem Haus Große Bleiche 38 liegen "Stolpersteine" für Max Tschornicki und seine Mutter Karoline.  

Mainz Israelit 23041931.jpg (41210 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. April 1931: "Mainz, 18. April. Am Sabbat Achare Mot Kedoschim sind es 25 Jahre her, dass Herr Jakob Tschorniki als Kultusbeamter in der Mainzer Religionsgesellschaft tätig ist. In dem Vierteljahrhundert seines segensreichen Wirkens hat er sich durch sein tiefes talmudisches Wissen, seinen Pflichteifer im Amte und seine hohen menschlichen Tugenden das Vertrauen und die Liebe der ganzen Gemeinde erworben. Wir wünschen dem Jubilar weitere ungetrübte Jahre der Gesundheit und der Arbeit zum Besten seiner Kehilla und des toratreuen Judentums. (Alles Gute) bis 120 Jahre". 
Anmerkungen:  -  Achare Mot  https://de.wikipedia.org/wiki/Achare_Mot 
-  Kedoschim  https://de.wikipedia.org/wiki/Kedoschim 
-  Kehilla: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah       

         
Zum Tod von Lehrer und Kantor Abraham Oppenheimer (1930)     

Artikel in "Der Israelit" vom 30. Januar 1930: "Lehrer Abraham Oppenheimer. Mainz, 27. Januar.
Innerhalb Jahresfrist standen wir trauernd an der Bahre von drei führen und Beamten unserer Gemeinde. Noch ist die Wunde, die der Heimgang unseres Raw Dr. Bondi - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -, uns geschlagen, nicht vernarbt, noch ist der Grabhügel frisch, der sich über dem Oraun (= Sarg) unseres Kultusbeamten Moses Krieger - seligen Andenkens - schloss, der vorige Woche uns jäh entrissen wurde - noch am Morgen hatte der 76-jährige in gewohnter Treue und Hingebung seinen Dienst im Gotteshause versehen und am Mittag erlag er einem Schlaganfall und nun trauern wir mit der schwer geprüften Familie um Abraham Oppenheimer, den Dritten des ... , der die Awoda (Gottesdienst) unserer Religionsgesellschaft zu einem Awoda HaKodesch (heiligen Gottesdienst) machte.
Abraham Oppenheimer kam im Jahre 1886 als Lehrer und Kantor nach Mainz, gewann gleich das Vertrauen von Rabbiner Dr. Markus Lehmann - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - und suchte sich immer mehr in dessen Ideenwelt hineinzufinden. In der Nähe Dr. Lehmanns reifte er zu der Persönlichkeit heran, als welche er später so hoch geehrt wurde. Der Schlüsselbewahrer des alten Mainzer Chasonus (Art und Weise des Vorbetens) in seiner kräftigen Ursprünglichkeit war damals der 1896 heimgegangene Rabbi Jona Bondi - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen -und an ihm hatte Oppenheimer den ersten und besten Anleitung für sein Kantor Amt. Wie setzte er seinen Stolz darein, das übernommene Erbe in Treue zu verwalten und zu mehren! Alle neuen Strömungen auf dem Gebiet des Chasonus (Art und Weise des Vorbetens). denen er als ein Mann von musikalischer Bildung zugänglich war, konnten dem überlieferten Nigun (Melodie, vgl.  https://de.wikipedia.org/wiki/Niggun) keinen Abtrag tun. So wie auch der alte Mainzer Minhag (Brauchtum https://de.wikipedia.org/wiki/Minhag_(Judentum)) ihm hoch und heilig blieb. Jahrzehnte wirkte er dann in Schule und Synagoge an der Seite von Rabbiner Dr. Jonas Bondi - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen -, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Als Lehrer lehrte Oppenheimer nicht nur durch die Lehre, sondern durch sein Leben. Er entstammte einer frommen Familie aus Schmalnau und sein ganzes Leben war ein Gottesdienst. Als im Frühjahr sein einziger Sohn, Rechtsanwalt Dr. Max Oppenheimer - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - seiner Familie und seinen Freunden entrissen wurde, da bewährte er sich als Kohen gleich Aaron HaKohen und (hebräisch und deutsch:) er schwieg und ertrug mit seiner gleichgesinnten edlen Gattin und seinen Kindern den schweren Schlag als aufrechter. echter Jehudi (frommer Jude). Nun ist der so schwer geprüften Familie der Vater, der trauernden Gemeinde der Schaliach Zibur (Abgesandter der Gemeinde) entrissen und im Sinne des Wortes 'Der Bevollmächtigte eines Menschen ist wie dieser selbst' (Mischna Berachot V,5 schlucho schel adam kemoto) empfinden wir alle den Verlust im tiefsten Inneren, als ob ein Stück von uns selbst uns genommen wäre.
Unter überaus großem Ehrengeleite ging die Bestattung am Sonntag Vormittag vor sich. Unser Rabbiner, Herr Dr. Bamberger, fand warme Töne zur Würdigung des trefflichen Mannes und unseres herben Verlustes. Nach ihm sprach für den Vorstand der Religionsgesellschaft Herr Dr. Schlessinger in ergreifenden Worten den Dank der Gemeinde an ihren Schaliach Zibur (Abgesandter der Gemeinde) aus. Möge der Heimgegangene uns allen ein Fürsprecher sein Das Andenken an den gerechten sei zum Segen."      

   
    
    
Weitere Lehrer 
Über Moritz Lorge, von 1908 bis 1933 Oberlehrer und Studienrat an der Höheren Töchterschule in Mainz    

Kennkarte aus der NS-Zeit            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgende Kennkarte ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarte des Oberlehrers an der 
Höheren Töchterschule in Mainz 
 Rabbiner Dr. Moritz Lorge
 
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Kennkarte (Mainz) für Rabbiner Dr. phil. Moritz Lorge (geb. 6. Oktober 1874 in Harmuthsachsen). Moritz Lorge war nach dem Besuch der Schule in Harmuthsachsen Schüler an der Israelitischen Präparandenschule in Burgpreppach. 1892 bis 1892 studierte er am Lehrerseminar in Kassel. Er war zwischen 1900 und 1904 jeweils kürzere Zeit Lehrer in Wolfenbüttel, dann Lehrer und Prediger in Petershagen sowie Lehrer in Hamm in Westfalen. Ab 1904 studierte er in Berlin und Tübingen (Promotion 1907). Von 1908 bis 1933 war er Oberlehrer und Studienrat für Religion, Deutsch und Geschichte in Mainz an der Höheren Töchterschule. 1935 Bezirksrabbiner in Sobernheim. 1939 in die USA emigriert und in den folgenden Jahren in Cincinatti und New York Vortrags- und Lehrtätigkeit zur Geschichte der Juden in Deutschland und den USA. War verheiratet mit Hedwig geb. Steinweg (Sohn: der 1916 geborene Ernst Mordechai Lorge wurde gleichfalls Rabbiner, siehe Artikel unten). Moritz Lorge starb 1948 in New York.   

 

Harmuthsachsen PA 201605a.jpg (187927 Byte)Hinweis auf den Artikel von Gabriele Hannah, Hans-Dieter Graf und Wolfgang Bürkle in der "Allgemeinen Zeitung Mainz" vom 27. Mai 2016: "Stets hoffnungsvoll und furchtlos. 
Auswanderer. Ernst Mordecai Lorge flüchtete aus Mainz in die USA / Seelsorger für KZ-Überlebende..." 
Artikel zum 100. Geburtstag von Ernst Mordechai Lorge.   
Der Artikel ist eingestellt als Bilddatei (links) und als pdf-Datei.  
    

    
     

     

     

 

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Stand: 30. Juni 2020