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Synagogen in Bayerisch Schwaben
Pfersee (Stadt
Augsburg)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Pfersee bestand von der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine jüdische
Gemeinde. Erstmals werden 1569 Juden am Ort genannt, die unter dem damaligen
Ortsherrn Bartholomäus Sailer durch den Markgrafen Erzherzog Ferdinand
(Markgrafschaft Burgau) aufgenommen wurden. Namentlich wird Mosse Jued zue
Oberhausen, Simon Judens zue Gintzburg son genannt. Sailer selbst war gegen die Aufnahme
und wollte "das schädliche Judengesind von dem Ort (wieder)
wegschaffen". Allerdings konnte er sich mit seiner Forderung gegen den
Markgrafen nicht durchsetzen. Schon 1570 überließ Sailer den Ort -
einschließlich der weiterhin hier nun lebenden jüdischen Familien - für
18.000 fl. seinem Schwager Michael Kazböck von Thürstein zu
Oberhausen. Bis 1608 konnten sich jedoch insgesamt nur vier jüdische Haushalte
etablieren, die möglicherweise alle aus Günzburg stammten.
Die jüdischen Familien am Ort lebten zunächst ausschließlich vom Handel
und Geldverleih. Am Ende des 16. Jahrhunderts wird als Geldverleiher u.a. Jud
Jacob von Pfersee genannt. 1596 hatte beispielsweise Freiherr Ferdinand von
Grafeneck bei ihm 7.000 fl. Schulden. Zur selben Zeit wird als Pfandhändler in
verschiedenen Quellen Itzig aus Pfersee.
Die bedeutendste der jüdischen Familien war Familie Ullmann (bzw. Ulmo),
die ursprünglich aus Ulm stammte und nach der Vertreibung der Ulmer Juden 1499
zunächst nach Günzburg gezogen ist. Salomon Ullmann kaufte 1588 eine seltene
Handschrift des Babylonischen Talmud, die als die "Pferseer
Handschrift" bekannt ist und in der Münchner Staatsbibliothek aufbewahrt
wird. Spätere Mitglieder der Familie Ullmann waren bedeutende Hoffaktoren (von
den insgesamt fünf bekannten Hofagenten aus der Familie Ulmo sei vor allem
Hofagent Löw Simon Ulmo für die zwischen 1721 und 1768 genannt) und Bankiers.
Unter diesen wiederum war Ephraim Ullmann, der durch einen sehr hohen Kredit an
die Stadt Augsburg 1803 das Zuzugsrecht in der Stadt erwerben wollte. Da 1806
die Stadt zu Bayern kam, wurde aus dem damaligen Vorhaben nichts.
Um 1750 wurden von den damals 108 Häusern am Ort 28 von jüdischen
Familien bewohnt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erscheinen Juden
aus Pfersee immer wieder als Hoflieferanten.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: um 1830 noch 137 jüdische Einwohner (neben 639 Katholiken und 25
Lutheranern), 1871 45, 1888 nur noch 13 jüdische Einwohner.
Um 1835/36 waren noch die folgenden Häuser/Liegenschaften im Besitz
jüdischer Familien (nach Dokumentation s. Lt. S. 170-172): Augsburger Straße
39 (Simon Hirsch und Samuel Voigel, das Schlössle erworben 1831), Brunnenbachweg
2 (Handelsmann Joseph Schwarz), 4 (Jakobina Schwarz), 6 (Bernhard
Rosenbusch; seit 1844 Isaak Landauers Witwe), 8 (Handelsmann David Heumann /
Heymann), 12 (Handelsmann Samuel Weil), 14a (Handelsmann Simon Hirsch), Leitershofer
Straße 5 (Handelsmann Moises Wolf Schele), 8 (Handelsmann Isaak Landauer),
14a (Handelsmann Bernhard Ullmann), 16a (Händler Isaak Hirschbaum), 18
(Sybilla, Bernhard Elira, Wolf und Klara Levi), 20 (Schuhmachermeister Süßkind
Oppenheimer), 32 (Schächter Marx Günzburger), 40 (Isaak Lehrburger).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge
(s.u.), eine jüdische Schule und ein rituelles Bad. Die Toten der jüdischen
Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof
in Kriegshaber beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war
ein Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war.
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert war Pfersee Sitz eines Rabbinates (zunächst
Landesrabbinat der Markgrafschaft Burgau). Unter den Rabbinern waren
Rabbiner Jehuda Löb bar Henoch (gest. 1707 in Pfersee) und sein Sohn Henoch bar
Jehuda Löb (geb. 1681 in Pfersee), Rabbiner Wolf Levi (s.u.; Rabbiner in Pfersee
von 1764 bis 1792), Der
letzte jüdische Lehrer der Gemeinde, Max Günzburger, starb 1874.
Durch Abwanderung der jüdischen Einwohner insbesondere nach Augsburg löste
sich die jüdische Gemeinde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf.
Von Bedeutung von Pfersee waren bis zur NS-Zeit noch mehrere jüdische
Gewerbebetriebe, darunter die Appretur- und Schlichtemittelfabrik R. Bernheim /
Chemische Fabrik Pfersee (entstanden 1888). Anfang der 1930er-Jahre war die
Firma sehr erfolgreich mit einem Imprägniermittel "Imprägnol". 1933
wurde der Inhaber Willy Bernheim wegen angeblichen "Devisenvergehens"
verhaftet, die Firma alsbald "arisiert". Große Bedeutung hatte über
Jahrzehnte auch die Buntweberei Raff & Söhne in Pfersee, die aus der
Süddeutschen Trikotwarenfabrik AG entstand, 1896 von David Raff und Isaak
Lehmann gekauft und in eine Buntweberei umgebaut wurde.
Von den in Pfersee geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen ist in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Rosa Kaufmann geb. Wassermann
(1880); weitere Namen vermutlich unter "Augsburg" festgehalten.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der Rabbiner in Pfersee
Über das segensreiche Wirken der Rabbiner in Pfersee
(Notiz von 1866)
Aus
einem Artikel über Jeschiwot (Toraschulen) in der Zeitschrift "Der
Israelit" vom 23. Mai 1866: "c. in Pfersee, wo dereinst
der Verfasser der 'Fragen und Antworten des Henoch Beit BeJehuda, und
Rabbiner Sekel Oettingen und Rabbiner Wolf Levi segensreich wirkten,
wurde gewiss auch nicht wenig für die Stärkung von Toraschülern
und speziell für die Jeschiwot getan; und die Bewohner brauchen
also nur diese heilige Erinnerung heraufzubeschwören und tätig zu
verewigen." |
Über Rabbi Jehuda Löb bar Henoch (1660-1707, Rabbiner in
Pfersee von 1680 bis 1707)
und seinen in Pfersee geborenen Sohn, Rabbiner Henoch bar Jehuda Löb (geb. ca.
1681 in Pfersee)
Anmerkung: Zu den bedeutendsten Rabbinern in Pfersee zählten
Jehuda Löb bar Henoch (geb. 1660 in Oettingen, gest. 1707 in Pfersee und dessen
Sohn Henoch bar Jehuda Löb (geb. 1681), der in
Schnaittach lehrte. Letzterer
verausgabte mehrere Schriften, in denen u.a. Synagogal-Vorträge und zahlreiche
rabbinische Rechtsgutachten in einer Sammlung zusammengestellt sind.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Oktober 1867: "Gallerie
der Rabbiner. Erste Centurie. Von E. Carmoly.
(hebräisch und deutsch:): Rabbi Jehuda Löb bar Henoch, Rabbiner
zu Pfersee bei Augsburg, wurde in Oettingen, ums Jahr 1660 geboren. Die
Erziehung des Knaben begann unter den Augen seines Vaters, der Rabbiner in
Oettingen war. Später bildete Rabbi Henoch b. Abraham seinen Sohn zum
Rabbiner aus, und mit dem 20. Jahre wurde er zum Seelenhirten in Pfersee
ernannt. Jedoch scheint er einige Jahre vorher die Jeschiwa 'Hochschule'
des Rabbi Samuel Keidenover in Frankfurt am Main besucht zu haben. Dort
wurde er mit dem angesehenen Lesar Oettingen bekannt, der ihm seine
Tochter Gütela zur Frau gab. In Pfersee lebte R. Löb ganz seinem Berufe,
studierte fleißig und schrieb zwei größere Werke. Seine Frau beschenkte
ihn mit einem Sohne und mehreren Töchtern, die sein häusliches Glück
erhöhten.
Im Jahre 1688 wurde er von einer sehr schweren Krankheit befallen, die
wenig Hoffnung an seinem Aufkommen ließ. Da schrieb er sein Testament und
seine Grabschrift, die uns sein Sohn erhalten hat. Das Testament ist in
mancher Beziehung sehr interessant, besonders verdient der Paragraph 4
über die Erhaltung seiner Bibliothek bekannt zu werden. Darin beschwört
er seine Kinder und Nachkommen, keines seiner Bücher zu verkaufen,
sondern Alle zusammen in öffentlichen Lehranstalten aufzustellen, wo sie
von Jedem an Ort und Stelle benutzt werden können. Nur den Seinigen sei
erlaubt, Werke dieser Sammlung mit nach Hause zu nehmen. Diese Verfügung
betrifft die gedruckten Bücher seiner Bibliothek, was aber die
handschriftlichen Werke anbelangt, namentlich seine
und |
seiner
Vorfahren verfassten Schriften, so befahl er in einem anderen Paragraphen
desselben, durch gelehrte Männer, eine Auswahl für den Druck vorbereiten
zu lassen.
R. Jehuda Löb überstand die gefährliche Krankheit, und obgleich von dem
Arzte zum Tode verurteilte, lebte er noch 17 Jahre. Er starb den 21. Elul
(5)465, d.i. den 10. September 1705, im fünf und vierzigsten Jahre seines
Lebens.
R. Jehuda Löb b. Henoch war ein sehr tätiger Rabbiner; er predigte
fleißig, und unterhielt mit den ausgezeichnetsten Gesetzlehrern seiner
Zeit eine lebhafte Korrespondenz über Gewissensfragen. Die oben genannten
zwei großen Werke, die er verfasste, ist das Eine, eine Sammlung dieser Fragen
und Antworten (deutsch und hebräisch), die teilweise unter dem Titel Fragen
und Antworten des Henoch Beit BeJehuda 1708 in Frankfurt am Main
gedruckt wurden. Das andere Werk unseres Rabbiners in Pfersee ist eine
Sammlung seiner Predigten, von denen nur Einige im Drucke erschienen sind,
in dem Werke Reschit Bachurim, Frankfurt am Main 1708."
25. (hebräisch und deutsch) Rabbi Henoch bar Jehuda Löb, Sohn des
Pferseeer Rabbiners wurde ums Jahr 1681 geboren. Da er sich von Jugend auf
in der rabbinischen Gelehrsamkeit sehr auszeichnete, so wurde er frühe
schon zum Oberhaupt der Synagoge von Schnaittach
gewählt. Er war bereits Rabbiner
in diesem Orte, als sein Vater 1705 starb; er betrachtete sich sogleich
als Vollzieher des Willens seines Vaters hinsichtlich der Herausgabe der
hinterlassenen Schriften seiner Vorfahren. Während drei Jahre
beschäftige er sich mit der Redaktion zweier Sammlungen, eine den
homiletischen und eine den kasuistischen Schriften gewidmet. Beide
erschienen in Frankfurt am Main 1708 bei Mt. Andrä und Joh. Kellner. Die
erste Sammlung führte den Titel Reschit Bachurim Das Früheste der
Erstlinge, enthält Synagogal-Vorträge über die drei Hauptfeste von
seinem Großvater Henoch ben Abraham, seinem Vater Jehuda Löb ben Henoch
und von ihm Henoch ben Jehuda Löb. Die zweite Sammlung betitelt Fragen
und Responsen Chinuch Beit Jehuda - Einweihung des Hauses Jehuda,
besteht aus 145 Rechtsgutachten, nach den 4 Turim geordnet. Die meisten
Gutachten sind von seinem Vater, viele von seinem Großvater, Großonkel
und seinem Urgroßvater, die übrigen von ihm und etwa 20 anderen
Rabbinern. |
Orchesterdirigent und Komponist Hermann Levi (1853-1900) -
ein Urenkel von Rabbiner Wolf Levi in Pfersee (Artikel von 1933)
Anmerkung: Rabbiner Wolf Levi = Rabbiner Benjamin-Wolf
Spiro: nach "Biographisches Handbuch der Rabbiner" BHR I.2, 825 vgl.
http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1687: geb. in Prag,
gest. 1792 in Pfersee; war ein Sohn des Prager Parnas und Klausrabbiners Samuel
Halevi Lichtenstadt-Wedeles (gest. 1752), welcher selbst ein Enkel des
böhmischen Landesrabbiners Wolf Wedeles war. Dajan (Richter am Rabbinatsgericht)
in Prag, 1753 Landesrabbiner in Oettingen,
1764 Landesrabbiner der Mgft. Burgau und Schwaben in Pfersee, Vater der beiden
Rabbiner Salomon Levi (Gailingen) und
Samuel Levi (Worms,
Mainz).
Vgl. auch Beitrag von Susanne Reber (2023):
Rabbiner Samuel Wolf
Levi (geb. 1751 in Pfersee)
Artikel
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15.
März 1933: "Die Vorfahren Hermann Levis. Zu Richard Wagners fünfzigstem
Todestag.
Die Fünfzigjahrfeier des Todestages Richard Wagners weckt auch die
Erinnerung an einen der Getreuen des Hauses Wahnfried, den 1872 von
Karlsruhe nach München berufenen Generalmusikdirektor Hermann Levi
(1839-1900), der nach dem Tode Wagners der treueste Berater seiner Frau
Cosima gewesen ist.
Der Vater, der den Künstlerdrang seines Sohnes schon früh erkannt hatte
und ihn in seinem Künstlerstreben immer zu fördern suchte, war Rabbiner
Dr. Benedict Levi zu Gießen, der 1806 als Sohn des
Rabbiners Samuel Levi in Worms geboren wurde. Dieser war der Sohn des Rabbiners Wolf Levi in
Pfersee bei Augsburg, besuchte die höhere Schule daselbst und eignete
sich die französische Sprache derart an, dass der Bürgermeister von
Worms und einige Stadträte allwöchentlich bei ihm in der Judengasse
einkehrten, um sich von ihm die französischen Zeitungen übersetzen zu
lassen. 1807 wurde er in das Synhedrion zu Paris berufen. Der französisch
sprechende Rabbiner von Worms gefiel Napoleon so gut, dass er ihn mehrmals
in Audienz empfing, und um ihm eine Gnade zu erweisen, bot er ihm das
Rabbinat Metz oder Mainz an. Levi wählte das letztere, und so wurde er
1808 zum Grab Rabbin du consistoire du département de Mont Tonnère
berufen. Dr. Levi erzählte gerne in Freundeskreisen, wie er 1812 Napoleon
auf seinem Zuge nach Russland über die Große Bleiche in Mainz ziehen sah
und wie ihn sein Lehrer in die Höhe hob und aufforderte, den Segensspruch
beim Anblick eines gekrönten Hauptes zu sprechen..." |
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Über den Agenten Elias Lehmann aus
Gissigheim, "zur
Zeit" in Pfersee wohnhaft (1894)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Februar 1894: "Nürnberg,
7. Februar (1894). Eine im gewissen Sinne interessante Verhandlung fand
gestern statt. Der Agent Elias Lehmann aus Gissigheim in Baden, zur
Zeit in Pfersee wohnhaft, war der Übertretung des § 56a, Abs. 2 der
Gewerbeordnung, durch welchen der Handel im Umherziehen mit Losen,
Wertpapieren etc. verboten wird, angeklagt. Lehmann hatte mit Ratenbriefen
der Frankfurter Sparbank hausiert. Zu seiner Verteidigung führt er an,
dass er keine Ahnung von dem Inslebentreten der neuen Gewerbeordnung
gehabt habe, da er, während dieselbe beraten und Gesetz wurde,
widerrechtlich seiner Freiheit beraubt gewesen sein. Man habe ihn
nämlich als geisteskrank 834 Tage unter den grässlichsten Misshandlungen
in die Irrenanstalt zu Heidelberg gesperrt, ihn auch später in Haft
genommen, da er, weil er nicht zu seinem Recht gelangen konnte, sich
Beleidigungen der Ministerialräte Jagemann und Seifried in Karlsruhe und
angeblich auch des Großherzogs von Baden schuldig gemacht habe. Auch habe
man, weil er sich nicht nach Amerika schaffen ließ, beabsichtigt, ihn in
die Unheilbarenanstalt zu Pforzheim zu sperren, was jedoch durch den
Gemeindevorstand seiner Heimatgemeinde und einen Arzt verhindert worden
sei. Der Ursprung der ganzen Verfolgungen sei eine Art
Tisza-Eszlar-Affäre, indem er beschuldigt wurde, dass er einen
46-jährigen Mann habe beschneiden wollen! In Folge dieser unverschuldeten
Freiheitsberaubung habe er von der neuen Gesetzesbestimmung keine Kenntnis
gehabt, weshalb er Freisprechung beantragte. Die Erzählung des
Angeklagten, der sich würdig und mit Gewandtheit verteidigte, macht auf
die Schöffen sichtlichen Eindruck. Als geisteskrank betrachteten sie den
Mann gewiss nicht. Der Gericht verurteilte ihn zu der niedrigsten Strafe,
eine Mark Geldstrafe." |
Aus der
Zeit der Auflösung der jüdischen Gemeinde
Überlegungen, durch Ansiedlung russischer Juden das Weiterbestehen der Gemeinde
zu sichern (1891)
Anmerkung: der Verfasser wusste offenbar nicht, dass die ehemalige
Synagoge in Pfersee bereits 1876 abgebrochen wurde (nach Angaben von Lehrer A.
Müller von 1896)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. Juni 1891:
"München, im Mai (1891). Als Beitrag zur Beantwortung der in
Nr. 39 und 40 dieses Blattes gestellten Frage: 'Was können wir für
unsere unglücklichen Brüder und Schwestern (in Russland) tun?' wollen
Sie Folgendes veröffentlichen:
In Bayern und wohl auch in den übrigen Ländern des deutschen Reiches existieren
bekanntlich viele kleine jüdische Gemeinden, welche nicht mehr oder kaum
noch die notwendige Minjan-Zahl an Mitgliedern umfassen; z.B. in der
Pfalz: Rodalben, Gersheim
und andere. Ferner gibt es an manchen Orten Synagogen, zu denen leider
keine Gemeinde mehr vorhanden ist; z.B. Pfersee bei Augsburg.
Es sollte sich ein Komitee bilden, das nach erlangter behördlicher
Erlaubnis eine entsprechende Anzahl russischer Familien daselbst
unterbringt; damit würde nach zwei Seiten hin Gutes gestiftet
werden." |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine Synagoge unbekannten Alters war in Pfersee vorhanden. In
der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde sie an Privatleute verkauft und
später abgebrochen. Nach Angaben von Lehrer A. Müller (s. Lit. von 1896) war
der Abbruch 1876; danach hätte Schreinermeister Steinle sen. auf dem
Grundstück ein Wohnhaus erstellt.
Adresse/Standort der Synagoge: Die Synagoge
befand sich nahe der St.-Michaelskirche an der Ecke Leitershofer Straße 26
/ Fröbelstraße (Grundstück neu bebaut)
Pläne / Fotos
(Quellen: Historischer Plan von 1808 aus der Dokumentation zur
Geschichte... s.Lit.; Ausschnittsvergrößerung aus einem aktuellen Plan von
Pfersee, eingestellt auf der Website der
Bürgeraktion Pfersee)
Weiteres Dokument:
Postkarte an die (in Pfersee gegründete)
Fa. Wenecker & Farnbacher
(in Augsburg 1879) |
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Die am 28. Januar
1879 in Ansbach versandte Postkarte enthält eine Bestellung an die Herrn Wernecker und
Farnbacher in Augsburg. Das Unternehmen entstand nach G. Römer,
Schwäbische Juden S. 261 bereits 1829 und verkaufte auf Märkten Pfeifenartikel. Das Stammhaus der Firma
stand in Pfersee (Foto rechts oben aus G. Römer a.a.O.). 1907 errichtete die Firma in Augsburg in der Hermanstraße 11 einen modernen Geschäftsbau,
in dem neben Spielwaren und Holzwaren aus dem Erzgebirge auch alle Artikel der Kurz - und Galanteriewarenbranche
zu kaufen waren. Ab 1900 war Simon Farnbacher Alleininhaber. Später kamen die Söhne Otto und Fritz dazu, die
nach dem Tode Simon Farnbachers das Unternehmen alleine weiter führten. |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| J. Perles: Das Memorbuch der jüdischen Gemeinde
Pfersee. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums.
Jahrgang 1873 Heft. 11 S. 508-515.
Als pdf-Datei online eingestellt. |
| Andreas Müller: Ortsgeschichte von Pfersee. Nach
archivalischen Quellen zusammengestellt. 1896. Als
pdf-Datei online einsehbar. |
| Gernot Römer: Schwäbische Juden. Leben und
Leistungen aus zwei Jahrhunderten. Augsburg 1990. |
| Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in
Bayern. Eine Dokumentation der Bayerischen Landeszentrale für politische
Bildungsarbeit. A 85. 1988 S. 1992² S. 251. |
| Sabine Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz: Juden
und Christen in Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650 bis 1750.
Vandenhoeck und Ruprecht Göttingen. 563 Seiten. 1999. 64.50 €. ISBN
10-3525354665. |
| Dokumentation zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben.
II. Hausbesitz um 1835/49. Bearbeitet von Doris Pfister. Hrsg. von
Peter Fassl. Bezirk Schwaben. Augsburg 1993.
|
| Rolf Kießling (Hrsg.): Judengemeinden in Schwaben
im Kontext des Alten Reiches. Berlin 1995. Colloquia Augustana Bd. 2. |
| ders. / Sabine Ullmann (Hrsg.): Landjudentum im
deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit. Berlin 1999. Colloquia
Augustana Bd. 10. |
| Sabine Ullmann: Zwischen Fürstenhöfen und
Gemeinde. Die jüdische Hoffaktorenfamilie Ulmann in Pfersee während des
18. Jahrhunderts. In: ZHVS 90 1998 S. 159-187. |
| Yehuda
Shenef: Tage des Gerichts, der Bericht des Ber Ulmo. Kokavim-Verlag Augsburg
2012. 152 S. 24,50 €. ISBN 978-3-944092-3.
Weitere Informationen zu diesem Buch auf einer Seite
des Jüdisch-Historischen Vereins Augsburg.
Aus der Info-Seite des
Kokavim-Verlages: "Unter frei erfundenen Anschuldigungen in Haft zu geraten, weder Gehör zu finden noch eine Gelegenheit, sich zu verteidigen, ist ein finsterer Alptraum, der auch heute seine Schrecken nicht verloren hat. Dem Pferseer Rabbiner Ber Ulmo (Bernhard Ullmann1751-1837) passierte dies im Spätsommer 1803, als am Schabbat vor dem Versöhnungsfest die Repräsentanten mehrerer jüdischen Gemeinden im damals noch österreichischen Schwaben unter der falschen Beschuldigung, einem Ring jüdischer Banknotenfälscher anzugehören, auf sehr ruppige Weise verhaftet wurden und lange Zeit im Unklaren gelassen wurden, welcher Vergehen sie beschuldigt wurden. Da selbst als ihre Unschuld jedem bekannt war, sich an ihrer Haft im Eisenhaus nichts änderte, ihre Fürsprecher aber leiser und weniger wurden, erscheinen einige der Vorgänge in der Erzählung des Ber Ulmo wie eine Vorwegnahme „kafkaesker“ Zwangslagen.
Der 1804 in hebräischer Sprache verfasste Augenzeugenbericht, der nun erstmals in deutscher Sprache vorliegt, beleuchtet vergessene Details des Wechselspiels lokaler und kontinentaler Interessen in der Zeit der napoleonischen Kriege, die Europa grundlegend neu ordneten und gerade in Zeiten aktueller Finanzkrisen für unser heutiges Geschichtsverständnis unabdingbar sind. Erläuterungen zum regionalen und politischen Kontext anhand von zeitgenössischen Zeitungsberichten zum Geschehen und vergleichbaren Fällen vertiefen das historische Verständnis des
Geschehens".
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Yehuda
Shenef: Vom Himmel kämpfen die Sterne. Die Geschichte der Juden im
heiligen Pfersee bei Augsburg. Jüdische Historischer Verein Augsburg. 2020.
Zu dieser Publikation: Das Jüdische Pfersee. Das heutige Pfersee an der
Wertach gelegen, ist seit über hundert Jahren ein Stadtteil im Westen von
Augsburg. Wenig deutet heute noch darauf hin, dass der Ort und seine
Umgebung über ein halbes Jahrtausend zu Österreich gehörten. Allgemein noch
weniger wahrgenommen ist die über lange Phasen dominierende jüdische
Ortsgeschichte, die Pfersee bis in die Neuzeit in der jüdischen Geisteswelt
einen ruhmreichen Klang einbrachte.
Über Jahrhunderte war Pfersee der Hauptsitz der ebenso weit verzweigten, wie
einflussreichen jüdischen Familie der Ulmo, die Verbindungen zu allen
wichtigen anderen Familien des Judentums aufweisen, und bekannt sind durch
ihr, aus drei Sternen bestehenden Familienwappen.
Über Generationen hinweg waren die Ulmo in Pfersee auch im besitz der
deshalb so genannten 'Pferseer Handschrift', der ältesten, fast vollständig
erhaltenen Handschrift des Babylonischen Talmuds, auf der die späteren
Druckausgaben berufen, die heute weltweit und täglich studiert werden, mehr
als je zuvor.
Die jüdische Geschichte und ihre 'wohlbekannten Gelehrten' in Pfersee
reichen weit über die schwäbische Provinz hinaus, etwa ins Heilige Land,
dessen frommen Zionismus man von hier aus bereits im 16. Jahrhundert
förderte. |
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