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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Ketsch mit
Brühl (Rhein-Neckar-Kreis)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In dem bis zum Anfang des
19. Jahrhunderts zum Hochstift Speyer gehörenden Ketsch bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1937. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück.
Erstmals werden 1727 Juden am Ort genannt.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: 1825 24 jüdische Einwohner (3,6 % von insgesamt 670 Einwohnern); höchste
Zahl um 1853 mit 44 jüdischen Einwohnern, 1871 39, 1875 20 (1,3 % von 1.560),
1900 27 (1,1 % von 2.349), 1910 26 (0,9 % von 2.943).
Zur jüdischen Gemeinde in Ketsch gehörten auch die wenigen im benachbarten Brühl
lebenden jüdischen Einwohner. Hier wurden erstmals 1900 fünf jüdische
Einwohner gezählt (1910: sechs, 1925 vier, 1933 sechs).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde ein Betsaal (Synagoge),
vermutlich auch einen Raum für den Religionsunterricht der Kinder. Die Toten
der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof
in Wiesloch beigesetzt. Einen eigenen Lehrer hatte die Gemeinde zu keiner
Zeit. Vermutlich hat immer der Schwetzinger Lehrer mit Gemeinde in Ketsch
mitbetreut. 1827 wurde die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugeteilt.
Die jüdischen Familien waren im Leben des Dorfes weitestgehend integriert. Ein
jüdischer Einwohner war nach 1900 Mitglied des Bürgerausschusses (für die
demokratische Partei), ein anderer war 1908 Mitbegründer der freiwilligen
Feuerwehr. Mehrere jüdische Einwohner waren Mitglieder der örtlichen Sport-
und Kulturvereine.
Um 1924, als noch 16 jüdische Einwohner in Ketsch gezählt wurden (0,4 %
von 3.622 Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Karl Rhein und Jonas
Kaufmann. Zur Gemeinde gehörten auch die vier in Brühl lebenden jüdischen
Einwohner. 1932 waren die Gemeindevorsteher weiterhin Karl Rhein (1.
Vors.) und Jonas Kaufmann (Schriftführer). Als Religionslehrer der Kinder der
Gemeinde und als Schochet kam regelmäßig Lehrer Heinrich Bloch aus Schwetzingen
nach Ketsch. Freilich gab es im Schuljahr 1931/32 nur ein Kind in der Gemeinde
in Religion zu unterrichten.
1933 gehörten jüdischen Familien noch ein Manufakturwarengeschäft,
eine Lebensmittelhandlung und ein Textilgeschäft. Bis 1932 bestand die Ziegelei
von Gustav Kaufmann; er hatte auch eine Rheinkiesbaggerei.
1933 wurden noch 13 jüdische Einwohner gezählt. Auf Grund der Folgen
des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien
sind mehrere von ihnen in den folgenden Jahren ausgewandert bzw. in andere
Orte verzogen. Im März 1933 wurde Artur Metzger (Angehöriger der
kommunistischen Partei), verhaftet und für 10 Monate in das KZ Kislau
eingeliefert. Bis 1938 konnte eine Familie nach Südafrika, eine andere in die
USA emigrieren. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge und die
Wohnung von Manfred Kaufmann (Träger der badischen Verdienstmedaille und des EK
II) verwüstet. Er war bereits mehrfach verhaftet worden. In Brühl
wurde das Geschäft der Familie Rhein (Gemischtwarenladen direkt gegenüber dem
Rathaus) demoliert, das Mobiliar auf die Straße geworfen und angezündet. Die
drei Frauen Rhein verkauften darauf ihr Anwesen unter Wert und siedelten nach
Mannheim über, von wo sie später deportiert und in Auschwitz ermordet wurden.
Von den 1933 in Ketsch lebenden jüdischen Einwohnern wurden fünf im Oktober
1940 (von anderen Orten aus) in das KZ Gurs in Südfrankreich verschleppt. Dort
ist Friederike Kaufmann umgekommen, Sara Marx in Noe; Lina Goldschmidt ist in
Gurs verschollen.
Von den in Ketsch geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Rosa Sofie Adler geb.
Rubin (1893), Frieda Bermann geb. Frank (1883), Johanna Blum geb. Rhein (1889),
Lina Goldschmidt geb. Rhein (1901), Erna Isaak geb. Metzger (1900), Friederike
Kaufmann (1877), Henriette Lorch (1885), Sara Marx (1875), Sigmund Marx (1858),
Arthur Metzger (1899), Siegmund Metzger (1903), Lena (Lenchen) Rhein (1894),
Thekla Rosenthal geb. Metzger (1908), Selma Rubin (1901), Emma (Emmy) Simon geb.
Rhein (1887), Beate (Beatrice Beatrix) Türkheimer geb. Kaufmann (1905, später
wohnhaft in Ludwigshafen).
Aus Brühl sind umgekommen: Frieda Rhein geb. Kahn (1880), Lena (Lenchen)
Rhein (1894; geb. in Ketsch, später in Brühl wohnhaft) und Martha Rhein
(1921).
Seit 1998 erinnert ein - allerdings sehr unscheinbarer - Gedenkstein an einem
Parkplatz gegenüber dem Rathaus in Brühl an die umgekommenen Mitglieder der
Familie Rhein. Am 20. Februar 2014 wurden für Frieda, Lena und Martha
Stein in Brühl "Stolpersteine" verlegt: Artikel
im morgenweb.de vom 7.2.2014) sowie
Artikel im morgenweb.de vom 22.2.2014 sowie Artikel
in MRN-News.de vom 26.2.2014. .
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Lehrers und Vorbeters (1853
/ 1854)
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 5. März 1853 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen): "Bei
der israelitischen Gemeinde Ketsch ist die Stelle eines
Religionslehrers und Vorbeters erledigt, mit welcher ein Gehalt von 135
fl. nebst freier Wohnung, dem üblichen Schulgelde und den von jener
Stelle abhängigen Gefällen verbunden ist.
Die Bewerber haben sich binnen sechs Wochen unter Vorlage ihrer
Rezeptionsurkunden und der Zeugnisse über sittlichen und religiösen
Lebenswandel bei der Bezirkssynagoge Heidelberg zu melden.
Falls sich kein rezipierter Schulkandidat melden sollte, können auch
andere taugliche Subjekte nach erstandener Prüfung bei dem
Bezirksrabbiner zur Konkurrenz zugelassen werden." |
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Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 18. Oktober 1854 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Vakante Schulstellen. Die mit einem festen Gehalte von 135
fl. und einem jährlichen Schulgelde von 48 kr. für jedes die
Religionsschule besuchende Kind und dem Vorsängerdienste samt den davon abhängigen
Gefällen verbundene Religionsschulstelle bei der israelitischen Gemeinde
Ketsch ist zu besetzen.
Die berechtigten Bewerber um dieselbe werden daher aufgefordert, mit ihren
Gesuchen unter Vorlage ihrer Aufnahmeurkunden und der Zeugnisse über
ihren sittlichen und religiösen Lebenswandel binnen 6 Wochen mittelst des
betreffenden Bezirksrabbinats sich anher zu melden.
Bei dem Abgange von Meldungen von Schul- und Rabbinatskandidaten können
auch andere inländische befähigte Subjekte, nach erstandener Prüfung
bei dem Bezirksrabbiner zur Bewerbung zugelassen
werden." |
Zur Geschichte des Betsaales/der Synagoge
Bereits um 1750 bestand ein Betsaal
(Synagoge), dessen Standort nicht mehr bekannt ist. Zeitweise besuchten auch die
Juden aus Schwetzingen die Ketscher Synagoge. Da um 1800 nur zwei jüdische
Familien am Ort lebten, besuchten diese nun die Gottesdienste im Schwetzinger
Betsaal. 1824 verlangten die Juden in Ketsch die Wiedererrichtung ihrer früheren
Synagoge. Diese sei zwischenzeitlich nur deswegen in Abgang geraten, weil
Meinungsverschiedenheiten die Mitglieder der Gemeinde vom Besuch der
Gottesdienste fernhielten. Die Antragsteller, voran die ortsältesten Israeliten
Bär und Rhein, beriefen sich auf das frühere Bestehen einer Synagoge am Ort,
aber auch darauf, dass diese damals sogar von den Schwetzinger Juden besucht
worden sei. Darauf wurde die Einrichtung einer Synagoge in Ketsch wieder
genehmigt. Als Gebäude eignete sich das 1775 erbaute Haus Hockenheimer Straße
42 (früher Hausplatz Nr. 71), das im Besitz des jüdischen Gemeindeglieds Herz
Lorch stand. Der Gottesdienstraum an der bruchseitigen Giebelfront des Gebäudes
nahm etwa ein Viertel des Hauses ein. Wie regelmäßig nach dem Rückgang der jüdischen
Gemeindeglieder gegen Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1930er-Jahre noch
Gottesdienste in der Synagoge gefeiert werden konnten, ist nicht bekannt.
Jedenfalls wird es sehr schwierig geworden sein, die notwendige Zehnzahl der jüdischen
Männer zusammen zu bekommen.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge verwüstet.
Da die jüdische Gemeinde nur noch Miteigentümerin des Gebäudes war, konnte
eine Inbrandsetzung des Hauses nicht vorgenommen werden. Das Eigentum an der
Synagoge wurde im März 1939 vom Oberrat der Israeliten verkauft.
Das Gebäude der ehemaligen Synagoge wurde vor einigen
Jahren abgebrochen, das Grundstück ist noch unbebaut.
Fotos
Historische Fotos:
Historische Fotos sind nicht bekannt, eventuelle
Hinweise
bitte an den Webmaster von Alemannia Judaica, Adresse siehe Eingangsseite |
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Aus der Darstellung von
Robert Fuchs s. Lit.: |
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Skizze der
Synagoge |
Ortsplan von Ketsch mit Eintragung von
Synagoge
und ehemaligen jüdischen Häuser |
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Foto um 1985
(Foto: Hahn) |
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Das Gebäude der ehemaligen Synagoge
Hockenheimer Straße 42 |
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Fotos 2003
(Fotos: Hahn) |
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Die ehemalige Synagoge ist
inzwischen abgebrochen |
Hinter dem Bretterzaun stand
die
ehemalige Synagoge |
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Foto April 2010
(Foto: Michael Ohmsen) |
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Hinter
dem Bretterzaun stand die ehemalige Synagoge |
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Gedenken in
Brühl
(Foto von Michael Ohmsen, Mai 2011;
vgl. Fotoseite
mit Fotos zu Brühl) |
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Gedenkstein
an einem Parkplatz gegenüber dem Rathaus in Brühl mit der Inschrift:
"1938
- 1998. Zum Gedenken an Frieda, Lena und Martha Rhein und
an alle Opfer von Verfolgungen. Gemeinde Brühl - 9. November 1998"
Zu diesem Stein werden am 20. Februar 2014 drei
"Stolpersteine" in Brühl verlegt. |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
 | Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 152-153. |
 | Robert Fuchs: Die Kirchengeschichte von Ketsch, 3. Abschnitt: die ehemalige
israelitische Gemeinde Ketsch. o.J. |
 | Albrecht Lohrbächer: Sie gehörten zu uns. Geschichte und
Schicksale der Schwetzinger Juden. 1978. S. 56.60-61. |
 | Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 472-473. |
 | Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007.
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 | Reimer Schölermann: Gegen das Vergessen. Brühl
2013.
Die 20-seitige Publikation, die im Rathaus von Brühl erhältlich ist,
ist dem Gedenken der jüdischen Familie Rhein und der anderen Brühler Opfer
der NS-Zeit gewidmet. Dazu ein Presseartikel von Ralf Strauch:
"Von angesehenen Bürgern zu Verfolgten" in der "Schwetzinger
Zeitung" vom 6. November 2013: in morgenweb.de
vom 6.11.2013 |

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