Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Amöneburg (Kreis Marburg-Biedenkopf)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde   
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde        
    
In Amöneburg bestand eine jüdische Gemeinde bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Bereits im Mittelalter lebten unter dem Schutz des Erzbischofs von Mainz jüdische Personen in Amöneburg. Erste jüdische Einwohner lassen sich im 14. Jahrhundert nachweisen (1324-25). 1429 waren es fünf, sechs oder mehr jüdische Personen beziehungsweise Familien, 1451 mindestens vier Familien. Ein nach Amöneburg benannter Juden lebte vermutlich in Duderstadt (1434/35). Die jüdischen Familien lebten überwiegend vom Geldhandel. Andere Gewerbe (wie "brauen, auszuschenken, Gewand zu schneiden oder sonst Handel (kauffmanschacz) zu treiben") waren ihnen von Seiten der Stadt verboten. Von einer Vertreibung der Juden aus Amöneburg ist nichts bekannt.   
   
Die Geschichte der neuzeitlichen Gemeinde geht in das 16./17. Jahrhundert zurück. In den Kellereirechnungen der Stadt werden Juden ab 1587 erwähnt. Auch nach dem Dreißigjährigen Krieg lebten regelmäßig fünf jüdische Familien im Amt Amöneburg, zwei davon in Amöneburg selbst (so 1659, 1739, 1742: jeweils zwei jüdische Familien). Anfang des 18. Jahrhunderts wird erstmals ein Vertreter der Familie Strauss genannt. Die Familie hatte später ein Gemischtwarengeschäft am Marktplatz, bis sie nach Marburg verzogen ist.
   
Im 19. Jahrhundert machte die jüdische Bevölkerung noch zeitweise einen Bevölkerungsanteil von bis zu 9 % aus: 1827 59 jüdische Einwohner, 1855 74 (10 Familien), 1859 86 (13 Familien), 1867 79, 1895 29, 1925 8 jüdische Einwohner. Um 1900 löste sich die Gemeinde durch die zuvor erfolgte starke Abwanderung (insbesondere nach Kirchhain, Marburg usw.) auf. Die hier noch lebenden beiden jüdischen Familien gehörten nun zur Gemeinde in Kirchhain.   
   
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule und ein rituelles Bad. Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in Kirchhain beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. Ausschreibung von 1893 unten). Bis 1835 war als Lehrer in Amöneburg der aus Rhina stammende David Lissard tätig. Nachdem er 1835 nach Kirchhain wechselte, besuchten die jüdischen Kinder von Amöneburg die jüdische Elementarschule in Kirchhain. Lehrer David Lissard war bis 1874 Lehrer in Kirchhain, danach war er in der Umgebung weiterhin als Beschneider / Mohel tätig. 1884 konnte er sein 50-jähriges Dienstjubiläum als Mohel feiern (siehe Bericht unten). 
Die Gemeinde gehörte zum Provinzialrabbinat Oberhessen mit Sitz in Marburg
    
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Moses Max Windheil (geb. 29.4.1883 in Amöneburg, vor 1914 in Gießen wohnhaft, gef. 26.11.1917).       
  
Um 1924 lebten noch sieben jüdische Personen in Amöneburg, die zur jüdischen Gemeinde in Kirchhain gehörten. 1933 lebten noch Angehörige der Familie Stern sowie Frieda Heching in Amöneburg. In den folgenden Jahren sind einige von ihnen auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert.       
    
Von den in Amöneburg geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"):  Ida Jetchen Bär geb. Strauß (1866), Erna Hammerschlag (1885), Friedrich (Fritz Nathan) Hammerschlag (1887), Siegfried Hammerschlag (1887), Toni Hammerschlag (1896), Frieda Heching (1894), Helene Lang geb. Stern (1902), Amon Denny Meyer (1941), Michael Meyer (1899), Recha Meyer geb. Stern (1909), Adolf Stern (1904), Ernestine Stern geb. Spier (1869), Hildegard Stern geb. Steinmann (1917), Pinchas Uri Stern (1941), Recha Stern geb. Stern (1909), Isaak Strauss (1870), Sally Strauss (1887), Isaak Strauss (1857).    
 
An die ermordeten Mitglieder der Familie Stern erinnert seit dem Jahr 2000 auf dem Schulhof der katholischen Privatschule (humanistisches Gymnasium) Stiftsschule St. Johann, Rentereigasse in Amöneburg ein kleines Denkmal (Basaltsäulen unterschiedlicher Größe in Bezug zu den unterschiedlichen Generationen) und eine Tafel mit der Inschrift: "Hier lebte die jüdische Familie Stern, deren Mitglieder außer Siegfried Stern in Konzentrationslagern des Dritten Reiches umgekommen sind. Möge ihr Leid eine dauernde Mahnung zu Mitmenschlichkeit sein". Zur Einweihung des Denkmals im Jahr 2000 kamen die Witwe (zweite Frau) von Siegfried Stern, ihre vier Kinder und weitere zehn Familienangehörige aus den USA (weiteres zur Geschichte der Familie Stern siehe unten bei "Erinnerungsarbeit vor Ort").  
 
Am 31. Mai 2011 wurden in Amöneburg "Stolpersteine" verlegt zur Erinnerung an Esther Stern geb. Spier (1869), Hildegard Stern geb. Steinmann (1917), Pinchas Uri Stern (1940), Recha Meyer geb. Stern (1909), Michael Meyer (1899), Amon Denny Meyer (1941), Frieda Heching (1894), Siegfried Stern (1905). 
Vgl. zur Verlegung der "Stolpersteine" Pressebericht unten.           
   
   
   
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
    
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1893    

Amoeneburg Israelit 20041893.jpg (58493 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. April 1893: "Die Religionslehrerstellen 1. in Breidenbach mit einem festen Einkommen von 720 Mark, freier Wohnung und Feuerung, 2. in Rauschenberg mit einem festen Einkommen von 700 Mark und freier Wohnung, 3. in Amöneburg mit einem festen Einkommen von 600 Mark und freier Wohnung sind zu besetzen. Bewerber wollen ihre Meldungen und Zeugnisse baldigst dem Unterzeichneten einsenden. Marburg, 16. April 1893. Der Provinzialrabbiner Dr. Munk." 

  
Lehrer David Lissard ist verstorben (1891)     

Aus einem Artikel in "Der Gemeindebote" vom 21. August 1891: "Schließlich gedachte der Jahresbericht in recht warmen Worten der beiden im verflossenen Jahre verstorbenen Kollegen Lissard - Amöneburg und Davidsohn - Helmarshausen."    

   
  
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde 
Zum 50jährigen Dienstjubiläum von Herrn Lissard als Mohel (Beschneider) (1884)    

Amoeneburg Israelit 10031884.jpg (96448 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. März 1884: "Danksagung. Amöneburg. Gestern, 6. Januar, wurde ich durch mehrere Vorstände und Mitglieder der hiesigen und verschiedener Nachbargemeinden, unter Vorantritt des Provinzial-Rabbiners Herrn Prof. Munk aus Marburg überrascht, die als deputiert erschienen, mir im Namen zahlreicher Israeliten des Kreises und der Provinz Glück zu wünschen, als heute fünfzig Jahre fungierenden Mohel (Beschneider). Unter kurzer, aber höchst sinnvoller Ansprache, überreichte mir Herr Dr. Munk, ein prächtiges, wertvolles Mohel-Besteck, seitens der auswärtigen Gemeinden und einzelner Israeliten, während von den hiesigen mir gleichzeitig ein Etui mit Silberzeug verehrt wurde. 
Von dieser so unerwarteten als für mich höchst ehrenvollen Ovation tief inniglich gerührt, fühle ich das Bedürfnis, den hiesigen und auswärtigen beteiligten zusammen, meinen herzinniglichen Dank auszusprechen…  Lissard".

   
Zum Tod von Baruch Strauß (1879)  

Amoeneburg Israelit 22101879.jpg (152799 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Oktober 1879: "Amöneburg (Provinz Hessen). Heute, am Rüsttage zum Sukkotfeste, starb morgens 8 Uhr nach dreiwöchentlichem Krankenlager in seinem 80. Lebensjahre der Senior der weithin bekannten Firma 'Gebrüder Strauß', Baruch Strauß dahier. Wie im engeren und weiteren Familienkreise sein Heimgang eine schmerzlich empfindliche Lücke verursache, so wird dieses in Bezug auf die Gemeinde nicht minder betrübend empfunden. Mit seinem selbständigen Eintritt in die hiesige religiöse Gemeinde begann dieselbe erst diesen Namen zu verdienen, die sich dann unter seiner Leitung schöner entfaltete und eine lange Reihe von Jahren Nahen und Fernen Achtung einflößte. Langjähriger Vorsteher der Gemeinde und des Kreises hat er überall bei Wahrung seiner Dienstpflichten, Frieden zu stiften und zu erhalten, als Lieblingsmotiv seines Wirkens zu betätigen gesucht. Familie und Gemeinde haben und hatten alle Ursache im Sinne des Bibelwortes sagen zu können 'es segne dich der Ewige…' Gottes Segen war an uns sichtbar bei Deinem Eintritt ins familiäre, geschäftliche und religiöse Leben.' Streng religiös und genau in der Beachtung der Gebote war er hier der fleißigste Besucher des Gotteshauses, und zwar noch, bis vor wenigen Wochen. Wohltätigkeit übte er in ausgedehntem Maße. Als einer der die Tora liebte und die sie Lernenden unterstützte hat er oft innig bedauert, selbst nicht lernen zu können. Seine Kinder hat er stets zu streng religiösem Lebenswandel angehalten und an seinem Sterbebette die Freude gehabt, neben seinen Töchtern, fünf Söhne, unter denen ein Rabbiner, versammelt zu sehen. Möge dieses fünfstimmige Kadisch-Gebet, vereint mit seinen vielfachen, im Leben geübten guten Werken, ihn einführen in den Kreis der Frommen und Seligen."   
Anmerkung: nach der Dokumentation von Kurt Schubert: Juden in Kirchhain. 1987 ist in Kirchhain kein Grabstein für Baruch Strauß vorhanden. Das Grab von Baruch Strauß lag vermutlich auf der 1941 abgeräumten Fläche des Friedhofes. 

     
Zum Tod von Veilchen Strauß geb. Levi (1884)   

Amoeneburg Israelit 21011884.jpg (140296 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Januar 1884: "Amöneburg (Hessen). Am 9. dieses Monats, am 11. Tewet, ist die Ehefrau des Großhändlers J. H. Strauß, Veilchen geb. Levi, in noch nicht vollendetem 84. Lebensjahre nach kaum 10tägigem Krankenlager dahier gestorben.  
Schon im väterlichen Hause, durch ihre Bescheidenheit, ihre Sanftmut, ihren Fleiß, von Allen, die sie kannten, verehrt, als eine Zierde der Familie, hat sie diese Tugenden nicht nur in höherem Maße auch mit in das eheliche Leben gebracht, sondern auch die sprechendsten Beweise geliefert, dass diese ihren wahren Grund ihre Quelle in reiner Frömmigkeit und wahren Gottesfurcht hatten, sodass ihr das Prädikat einer gottesfürchtigen Frau mit vollem Rechte gebührte. 
In ihrem kurzen, aber schmerzvollen Krankenlager, in dem Gefühle, dass Heilung, ungeachtet aller außerordentlich aufgebotenen Mittel nicht zu erhoffen sei, hat die Verblichene, jede schmerzenfreie Stunde zum Troste ihrer Angehörigen, namentlich ihres Gatten und ihrer beiden Kinder, denen sie ihren letzten Segen erteilte, ohne Erregung und mit aller Kraft ihrer Beredsamkeit, ergeben in den Willen Gottes, benutzt.
Ihre letztwillige Bestimmung, die ihr wohl die wichtigste war, galt ihren Kindern: Erziehet meine, unsere Kinder, zu gottesfürchtigen Jehudim! Fromm und ehrenvoll wie ihr Leben, war auch ihr Sterben. 
Ihre Bestattung gab Zeugnis von der großen Teilnahme und Sympathie, welche sie bei allen bekannten in ihrem Leben genoss und hielt Herr Lißard, Schriftgelehrter, am Sarge in Amöneburg eine tief ergreifende Trauerrede und Herr Rabbiner Dr. Munk solche am Grabe in Kirchhain. Man kann dieser wackeren Frau mit Recht nachrufen: 'gebt ihr von den Früchten ihrer Hände und preist in den Toren ihre Taten'  Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."
Anmerkung: nach der Dokumentation von Kurt Schubert: Juden in Kirchhain. 1987 ist in Kirchhain kein Grabstein für Veilchen Strauß geb. Levi vorhanden. Das Grab von Veilchen Strauß geb. Levi lag vermutlich auf der 1941 abgeräumten Fläche des Friedhofes. 

  
Zum Tod des Großhändlers und Kreisvorsteher Abraham Strauß (1889)

Amoeneburg Israelit 11041889.jpg (107357 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April 1889: "Amöneburg (Hessen). Heute, am 7. Nissan wurde der vorgestern in seinem noch nicht vollendeten 77. Lebensjahre sanft entschlafene Großhändler und Kreisvorsteher Herr Abraham Strauß dahier zur ewigen Ruhe bestattet; den Leichenkondukt bildete ein überaus zahlreiches Geleite von leidtragenden Israeliten und Nichtisraeliten aus Nah und Fern. 
Mitinhaber der rühmlich bekannten Großhandlungs-Firma 'Gebrüder Strauß' hat er über ein halbes Jahrhundert durch Fleiß, Umsicht und strenge Rechtlichkeit den begründeten Namen und Ruf derselben zu  erhalten und zu erhöhen gestrebt.
In seiner Familie, in der Gemeinde und in seinem mehrjährig verwalteten Amte als Vorsteher des Kreises, seiner Obliegenheiten und Pflichten bewusst, hat er diesen gemäß stets gehandelt. 
Gegen Arme und Hilfsbedürftige war er wohltätig und zwar nicht bloß gegen diejenigen, die seine Hilfe und Unterstützung nachsuchten, sondern er war auch bemüht in Nah und Fern sog. verschämte Arme zu entdecken, denen er regelmäßig spendete. Religiosität war stets der Leitstern seines Lebens und Handels... Seine Seele sei eingebunden im Bund des Lebens."
Anmerkung: nach der Dokumentation von Kurt Schubert: Juden in Kirchhain. 1987 ist auf dem Kirchhainer Friedhof kein Grabstein für Abraham Strauß vorhanden. Das Grab von Abraham Strauß geb. Levi lag vermutlich auf der 1941 abgeräumten Fläche des Friedhofes. 

   
   
 
  
Zur Geschichte der Synagoge   
           
    
Bereits in früheren Jahrhunderten dürfte eine Betstube in einem der jüdischen Häuser vorhanden gewesen sein. Das bis heute erhaltene Gebäude, in dem um 1860 der Betsaal der jüdischen Gemeinde eingerichtet wurde, gehörte der Familie Stern. Es handelt sich beim Haus der Familie Stern um ein zweigeschossiges Haus mit einem großen geschweiften Walmdach innerhalb der Stadtmauer unweit des Marktplatzes. Gottesdienste wurden nach Auflösung der Gemeinde (um 1900) vermutlich nicht mehr in diesem Gebäude abgehalten. 
Das Gebäude ist bis heute als Wohnhaus erhalten
.    
    
    
Adresse/Standort der Synagoge  Mittelgasse 1   
    
    
Fotos
(Foto: Hahn, Aufnahmedatum 3.2008; Foto des Hauses Strauss aus Arnsberg Bilder S. 15.)

Die ehemalige Synagoge Amoeneburg Synagoge 111.jpg (75796 Byte)   
            
        
Stammhaus der Familie Strauss 
am Marktplatz in Amöneburg (um 1900)
Amoeneburg Strauss 01.jpg (138617 Byte)
    Vertreter der Familie Strauss werden in obigen Berichten mehrfach genannt

    
    
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  

2000/2010: Das Denkmal für die Familie Stern auf dem Grundstück der Stiftsschule   
(Texte und Dokumente erhalten von Reinhard Forst)

Anmerkung: Siegfried Stern und Minna Stern geb. Buxbaum (aus Neuhof) hatten als einzige ihrer Familien die Konzentrationslager der NS-Zeit überlebt. Dort hatten sich beide kennengelernt. Nach dem Krieg kamen sie nach Amöneburg, dem Heimatort von Siegfried Stern und lebten hier bis 1951, bevor sie und die Kinder Uri und Ruth nach Amerika auswanderten. Siegfried Stern starb 1998. Das Haus der Sterns stand auf einem Teil des heutigen Schulgeländes der Stiftsschule. Aus diesem Grund wurde auf dem Schulgelände 2000 ein Denkmal zur Erinnerung an die Familie Stern aufgestellt und eingeweiht. 
Text von Reinhard Forst: "Wie überlebte Siegfried Stern?
Siegfried war Mitglied des Amöneburger Turnvereins. Er war ein junger durchtrainierter Mann, als er von Amöneburg abtransportiert wurde. Wahrscheinlich war dies ein Grund, weshalb er Hunger, Quälereien und die ungeheuren Belastungen der Verfolgung aushielt. Aber trotzdem hätte das allein für das Überleben nicht ausgereicht. Minna, seine zweite Frau, berichtete uns im Mai 2000 im persönlichen Gespräch, was ihr Mann ihr erzählt hatte: Nach seinem Abtransport nach Riga in Lettland war er schließlich in das KZ Buchenwald bei Weimar gekommen. Als sich absehen ließ, dass die Fronten näher kamen, wurden viele Gefangene und Zwangsarbeiter nach Böhmen abtransportiert. In einem solchen Transport mit Zwangsarbeitern, die in Leipzig arbeiteten, befand sich auch Siegfried Stern. Ein Aufseher im Zug der Gefangenen war offenbar mit ihm ins Gespräch gekommen. Er sagte ihm und einem Freund, es komme bald eine Steigung, bei der der Zug langsamer fahren werde. Sie sollten abspringen. Er werde schießen, sie aber nicht treffen. Und so geschah es. Bei der Flucht sahen sie in einem Wald einen etwa 12-13jährigen Jungen mit einem Fahrrad. Er sah auch sie. Nun befürchteten sie, dass er die Polizei holen werde und suchten deshalb ein Versteck. Sie verkrochen sich unter den Ästen eines Nadelbaums, die bis auf die Erde reichten. Tatsächlich kam Polizei mit Spürhunden. Aber zwischenzeitlich hatte ein heftiger Regen eingesetzt, und die Hunde konnten die Witterung nicht aufnehmen. Im Stall eines Bauern gelang es ihnen, abgetragene Kleidung zu finden, so dass sie nicht mehr an ihrer Sträflingskleidung erkennbar waren. Einige Tage arbeiteten sie bei einem Bauern gegen Verpflegung. Sie gaben sich als Ausgebombte aus Frankfurt aus. Dann gelang es ihnen, in einer Stadt (offenbar in Franken) eine tägliche Mahlzeit für Ausgebombte zu erhalten. Eines Tages blieb der Freund von Siegfried viel länger weg als üblich. Siegfried war überzeugt, dass man herausgefunden hat, wer sie wirklich sind und dass nun alles aus ist. Der Freund kam aber zurück und sagte nur: 'Siegfried, der Krieg ist aus.'
Siegfried Stern kehrte nach Amöneburg zurück. Ihm wurde klar, dass weder seine Frau, noch sein kleiner Sohn noch irgendjemand aus seiner Familie überlebt hatte. In Frankfurt traf er mit einem Mädchen zusammen, Minna Buxbaum, die auch ihre Eltern verloren hatte. Er hatte sie in der Zeit der Verfolgung kennengelernt. Sie heirateten, hatten in Amöneburg zwei Kinder und wanderten dann in die USA aus. Zur Einweihung des Denkmals im Mai 2000 kam Minna Stern mit den Familien ihrer vier Kinder nach Amöneburg. Siegfried Stern war in der Zeit zwischen dem Beschluss zur Errichtung des Denkmals und seiner Umsetzung gestorben."   
Artikel in der "Oberhessischen Presse" vom 10. Mai 2000:
"Stiftsschule Amöneburg setzt Zeichen gegen das Vergessen. Denkmal für die jüdische Familie Stern eingeweiht - Wiedersehen nach 50 Jahren..."   
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken.  

Aus der Begrüßungsrede von Reinhard Forst, Lehrer an der Stiftsschule, bei der Einweihung im Mai 2000: "Einführung. Während des Dritten Reichs lebten in der jetzigen Großgemeinde Amöneburg jüdische Familien in Roßdorf, Mardorf und Amöneburg. Eine dieser Familien war die Familie Selig Stern ('Seligs'), die ein Haus in Amöneburg an der damaligen Kirchgasse besaß, in dem Bereich, wo jetzt das Benedikt-Haus der Stiftsschule steht. Einige Personen aus den jüdischen Familien der jetzigen Großgemeinde Amöneburg hatten sich rechtzeitig retten können. Von der Familie Selig Stern überlebte aber nur Siegfried Stern. Alle anderen Familienmitglieder, auch diejenigen, die Amöneburg wegen Heirat oder aus beruflichen Gründen früher verlassen hatten, wurden Opfer der Judenverfolgung. An die Familienmitglieder, die bis zur Deportation oder kurz davor in Amöneburg lebten, erinnern diese Basaltsäulen (links vom B-Eingang). Die Stiftsschule möchte mit diesem Denkmal mithelfen, dass es den Verfolgern von damals nicht gelingt, auch die Erinnerung an die Opfer auszulöschen. Und sie möchte sich selbst und alle Menschen daran erinnern, dass man sich dem Unrecht und der Geringschätzung anderer Menschengruppen schon in den Anfängen widersetzen muss. Deshalb steht auf der Gedenktafel:
Hier lebte die jüdische Familie Stern, deren Mitglieder außer Siegfried Stern in Konzentrationslagern des Dritten Reichs umgekommen sind.
Möge ihr Leid eine bleibende Mahnung zu Mitmenschlichkeit sein.
"  

Dazu Beitrag von Reinhard Forst: Ein Brückenschlag. Einweihung des Denkmals für Familie Stern. (als pdf-Datei eingestellt)   
 
Artikel von Alfons Wieber in der "Oberhessischen Presse" vom 16. November 2010:
"Stiftsschüler gedenken ermordeter jüdischer Familie. Seit zehn Jahren erinnert Mahnmal an Holocaust-Opfer..."
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken. 
Artikel auch in der Website der Stiftsschule St. Johann    
 
Beitrag in der Website der Stiftsschule St. Johann: "Unsere Schule. Gedenkfeier für Familie Stern..."  (Über die Gedenkfeier 2010, mit Fotos) 
 
 
Mai 2011: Verlegung von "Stolpersteinen" in Amöneburg  
Amoeneburg PA 31052011.jpg (256114 Byte)Artikel von Florian Lerchbacher in der "Oberhessischen Presse" vom 31. Mai 2011: "Eine Verneigung vor den Opfern.
Amöneburg ist die europaweit 647. Gemeinde, in der 'Stolpersteine' an die Opfer der Nazi-Zeit erinnern.

Seit gestern erinnern 19 Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig an fünf Stellen in Amöneburg, Roßdorf und Mardorf an die jüdischen Opfer der Nazi-Zeit..." 
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken   
Vgl. Wikipedia-Artikel  https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Amöneburg     
 
 

    

      
Links und Literatur

Links:  

bulletWebsite der Stadt Amöneburg  
bulletWebsite http://www.juden-in-nordhessen.co.de: unter "Genealogien jüdischer Familien in Nordhessen" findet sich ein Stammbaum der Familie Strauss in Amöneburg (unter Forschungen Christoph Kuehn)  
bulletWebportal HS 010.jpg (66495 Byte)Webportal "Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen mit Fotos zur jüdischen Geschichte in Amöneburg  

Quellen:   

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Amöneburg 
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Amöneburg sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen")  :    
HHStAW 365,49     Geburtsregister der Juden von Amöneburg  1814 - 1896    https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1510942  
HHStAW 365,50     Trauregister der Juden von Amöneburg  1824 - 1893    https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v289736      
HHStAW 365,51     Sterberegister der Juden von Amöneburg   1829 - 1898     https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v3271657                    
   
Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Kirchhain 
Zu Kirchhain sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,498   Trauregister der Juden von Kirchhain  1824 - 1873; darin auch Angeben zu Amöneburg    https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1900001        
HHStAW 365,497   Geburts- und Trauregister der Juden von Kirchhain  1824 - 1874; enthält Geburtsregister  1824 - 1874 und Trauregister 1824 - 1841; darin auch Angaben zu Amöneburg  
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2924721   
HHStAW 365,499   Sterberegister der Juden von Kirchhain  1832 - 1874  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v289947      

Literatur:  

bulletGermania Judaica III,1 S. 16.
bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 43. 
bulletders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente. S. 15 (Haus Strauss). 
bulletThea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988 S. 101-102. 
bulletdies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 85 (keine weiteren Informationen)
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 145-146.   
bulletVerschiedene Beiträge zur jüdischen Geschichte erschienen in der Reihe: "Amöneburger Blätter - Beiträge und Mitteilungen des Amöneburger Museums zur Geschichte Landschaft und Volkskunde", u.a. in: 
1988 Heft 2: "Ein jüdischer Heiratsvertrag aus dem Jahre 1787" 
1988 Heft 4: "Die sog. 'Reichskristallnacht von 8./9. Nov. 1938 - und was damals bei uns geschah."
1993 Heft 4: "Siegfried Stern - Der Schicksalsweg einer Amöneburger Judenfamilie (1)" 
1994 Heft 1: Fortsetzung von "Siegfried Stern - .... (2)".
bulletBarbara Händler-Lachmann / Ulrich Schütt: "unbekannt verzogen" oder "weggemacht". Schicksale der Juden im alten Landkreis Marburg 1933-1945. Marburg 1992. 
bulletBarbara Händler-Lachmann / Harald Händler /Ulrich Schütt: 'Purim, Purim, ihr liebe Leut, wißt ihr was Purim bedeut?' - Jüdisches Leben im Landkreis Marburg im 20. Jahrhundert. Marburg 1995.  
bulletKirchhain Lit 11.jpg (51572 Byte)Alfred Schneider: Die jüdischen Familien im ehemaligen Kreise Kirchhain. Beiträge zur Geschichte und Genealogie der jüdischen Familien im Ostteil des heutigen Landkreises Marburg-Biedenkopf in Hessen. Hrsg.: Museum Amöneburg. 2006. 

    
    n.e.     

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020