Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Nieder-Weisel (Stadt Butzbach, Wetteraukreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer   
Aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen      
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen    
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)         
     
In Nieder-Weisel bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück. Erster Beleg für jüdische Familien am Ort ist die Taufe eines 13jährigen jüdischen Jungen Joseph aus Nieder-Weisel 1723 in Frankfurt am Main. Er erhielt den Namen Georg Adolph Rosengarten. 
   
1830
lebten 67 jüdische Personen am Ort (4,2 % von insgesamt 1.596 Einwohnern). Um diese Zeit dürfte die Gemeinde gegründet worden sein. Die jüdischen Familien lebten überwiegend vom Vieh- und Pferdehandel. Dazu gab es zwei Metzgereien und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige Einzelhandelsgeschäfte, die jüdischen Familien gehörten. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1861 Höchstzahl von 104 Personen (5,8 % von insgesamt 1.785 Einwohnern), 1880 83 (6,2 % von 1.330), 1900 85 (6,1 % von 1.387), 1910 69 (4,7 % von 1.451). 
    
Nach 1900 wurden der jüdischen Gemeinde Nieder-Weisel die in Ostheim (1830: 11, 1905: 7, 1925: 4, 1932: 5 jüdische Einwohner) und Fauerbach (1830: 20, um 1910 ca. 10, 1925 4, 1932 4 jüdische Einwohner) lebenden jüdischen Personen zugeteilt. Sie hatten bis 1900 zu der damals aufgelösten jüdischen Gemeinde in Hoch-Weisel gehört. 

An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine Schule, ein rituelles Bad (im Gebäude der Synagoge, s.u.) und einen Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Um 1860 war Lehrer Würzburger in der Gemeinde tätig (genannt bei einer Lehrerkonferenz 1860 in Kassel), von 1866 bis 1898 Lehrer H. Heinemann (siehe Berichte unten); sein Nachfolger war seit 1898 Max Goldschmidt. Dieser unterrichtete teilweise auch die Kinder in umliegenden Gemeinden (u.a. in Gambach). Die jüdische Gemeinde war dem orthodoxen Provinzialrabbinat in Gießen unterstellt.  
    
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Wilhelm Kaufmann (geb. 22.1.1888 in Nieder-Weisel, gef. 22.8.1915), Ludwig Krämer (geb. 18.1.1895 in Nieder-Weisel, gef. 22.3.1916), Theo Krämer (geb. 5.6.1893 in Nieder-Weisel, gef. 30.5.1918) und Moritz Wetterhahn (geb. 14.1.1882 in Nieder-Weisel, gef. 22.3.1918).
   
Um 1925, als 61 Personen der jüdischen Gemeinde angehörten (3,91 % der Gesamtbevölkerung von ca. 1.560 Einwohnern), waren die Vorsteher der jüdischen Gemeinde Leopold Krämer, Julius Krämer und Julius Rosenthal. Als Lehrer und Rechner der Gemeinde war weiterhin der bereits genannte Max Goldschmidt tätig. Er erteilte damals fünf jüdischen Kindern Unterricht an der Religionsschule der Gemeinde, gleichfalls an der öffentlichen Volksschule. Den Unterricht an höheren Schulen erteilte Lehrer Fuld. Lehrer Max Goldschmidt unterrichtete auch die Kinder in anderen Orten der Umgebung (z.B. in Beuern, Großen-Buseck, Leihgestern). An jüdischen Vereinen gab es vor allem den Israelitischen Wohltätigkeitsverein; er stand unter Leitung von Siegfried Krämer. 1932 (37 Gemeindeglieder in Nieder-Weisel) waren die Vorsteher weiterhin Leopold Krämer und Julius Krämer, gleichfalls war Lehrer, Kantor und Schochet Max Goldschmidt in der Gemeinde. Max Goldschmidt blieb auch nach 1933 der letzte Gemeindevorsteher.
     
Nach 1933 ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder (1933: 41 oder 48 Personen in Nieder-Weisel) auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Drei Personen emigrierten in die USA, sieben nach Argentinien, drei nach England. 12 Personen verzogen vor 1938 in andere Orte in Deutschland. 1939 lebten noch 12 jüdische Personen in Nieder-Weisel. 
  
Von den in Nieder-Weisel geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Hannelore Fuld (1934, vgl. Kennkarte unten), Jenny Goldschmidt geb. Heinemann (1879), Max Goldschmidt (1871), Emma (Emilia) Grünebaum geb. Wetterhahn (1875), Julius Heinemann (1888), Rudolf Heinemann (1870), Max Heß (1887),  Hedwig Hirschmann (1894),  Rosalie Kaufmann (1858), Adolf Krämer (1874), Berta Krämer (1863), Hugo Krämer (1895), Ilse Krämer (1935), Irene Krämer geb. Hess (1888), Irma Krämer geb. Krämer (1904), Isidor Zacharias Krämer (1866), Julius Krämer (1871), Julius Krämer (1897), Kurt Karl Siegbert Krämer (1926), Ida Kristeller geb. Goldschmidt (1908), Johanna Löwenstein (1899), Bertha Lorch geb. Krämer (1877), Johanna Mayer geb. Krämer (1878), Erich Meyer (1923), Ernst Michel (1916), Simon Oppenheimer (1871), Trude Fanny Truda Rosenblatt (1933), Selma Rothschild geb. Wetterhahn (1875), Hannchen Schloss (1863), Ruth Karola Spiegel (1937), Ernst David Stern (1920), Amalie Strauss eb. Bechhold  (1868), Moritz Strauss (1856), Herta Tannenbaum geb. Krämer (1903), Berta Wetterhahn geb. Isaak (1883), Max Wetterhahn (1911). 
   
Von den in Fauerbach geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Bernhard Stern (1909), Jenny Stern geb. Siegel (1877), Josef Stern (1876). Das Ehepaar und der Sohn waren im September 1942 aus Fauerbach von der Gestapo abgeholt und mit einem Transport nach Theresienstadt gebracht worden.
     
     
     
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
    
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Lehrer Heinemann klagt den protestantischen Pfarrer Bernhard wegen antisemitischer Äußerungen an (1891)  

Nieder Weisel Israelit 19021891.jpg (52128 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Februar 1891: "Butzbach, 6. Februar (1891). Die heutige Verhandlung vor dem hiesigen Schöffengericht ist eine Folge des Beleidigungsprozesses des Lehrers Heinemann zu Niederweisel gegen das antisemitische 'Kasseler Sonntagsblatt'. Über die Verhandlungen in Kassel haben wir seinerzeit berichtet. Als Verfasser des fraglichen beleidigenden Artikels hat der protestantische Pfarrer Bernhard in Niederweisel sich heute zu verantworten. Eine große Zahl Zeugen werden vernommen. Das Urteil lautet auf zwanzig Mark Geldstrafe, Tragung der Kosten und Publikation des Urteils."  

  
Zum Tod von Lehrer H. Heinemann (1898)  

Nieder Weisel Israelit 17031898.JPG (265745 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. März 1898: "Nieder-Weisel (Oberhessen). Eine weite Lücke hat wiederum der Tod gerissen in eine Familie und Gemeinde. Unser Lehrer und Führer (1. Vorsteher), der hier von seinem 19. Lebensjahre bis kurz vor Jahresfrist seines Amtes waltete, Herr H. Heinemann, weilt nicht mehr in unserer Mitte. Noch vor wenigen Jahren erfreute er sich der kräftigsten Gesundheit. Jedoch plötzlich und unerwartet traf ihn eine schwere Krankheit, die ihn wochen- und monatelang ans Bett fesselte und immer tückischer Auftrag. Am vergangenen Dienstagmorgen (Purim) nach harten Kämpfen machte der Tod seinem edlen Streben und Wirken ein Ende. Er erreichte das Alter von 51 Jahren. Während seiner 32jährigen Tätigkeit in hiesiger Gemeinde und in den verschiedenen Filialen benützte er die Gelegenheit, nicht nur mit den Kleinen zu lernen, sondern auch die Alten zu belehren. 
Gar manchen Streit hat er geschlichtet, gar manchen Hass in Liebe und Freundschaft verwandelt. In seinem Amt als 1. Vorsteher trug er insbesondere Sorge für die Instandhaltung der religiösen Institutionen. Vieler Witwen und Waisen nahm er sich als hilfegewährender Vater an, viele Arme und Bedürftige verlieren in ihm einen Freund, Helfer und Ratgeber. Achtung, Liebe und Anhänglichkeit erwarb er sich in allen Kreisen. Davon legte seine Beerdigung am Donnerstagnachmittag den trefflichsten Beweis ab. Von den verschiedensten Gegenden waren Freunde, Kollegen und einstmalige Schüler herbeigeeilt, um dem Heimgegangenen die letzte Ehre zu erweisen. Auch der hiesige Kriegerverein, sowie noch verschiedene Vereine, denen er als Mitglied angehörte, fast alle Einwohner des ganzen Dorfes, konnte man im Leichenzuge sehen. Auf dem Friedhofe trug Herr Rabbiner Dr. Hirschfeld - Gießen das Hazur tamim vor und ergriff mit bewegter Stimme, von einem Verse der dieswöchentlichen Sidra ausgehend, das Wort. In meisterhafter Weise schilderte er die vielen edlen Eigenschaften des Verblichenen, sowie sein unermüdliches Schaffen und Wirken, stellte der Gemeinde vor Augen, welch' großen Verlust sie erlitten und spendete Trost der hart betroffenen Familie. Herr Lehrer Spiro - Butzbach, seitheriger Vertreter des Verstorbenen, nahm in längerer Rede schmerzerfüllt Abschied von seinem Kollegen. Herr Lehrer Wertheimer - Heldenbergen, Vorsitzender des Israelitischen Lehrervereins im Großherzogtum Hessen, gab in gleichfalls längerer Rede den Gefühlen des Schmerzes Ausdruck, indem er vor circa 10 Jahren in hiesiger Gemeinde da 25-jährige Dienstjubiläum des Verstorbenen mitfeierte und heute im Namen des Lehrervereins den letzten Scheidegruß seinem Herrn Kollegen zurufen muss. Zum Schlusse dankte der Schwager des Verewigten für die reiche Beteiligung. Nach Beendigung der Trauerfeier wurde allgemein die Ansicht geäußert, dass innerhalb der Marken des hiesigen Dorfes noch niemals eine so zahlreiche Teilnahme bei einer Beerdigung wahrgenommen wurde. Möchte der Allgütige der tief gebeugten Familie Trost spenden, damit solche bald aufgerichtet werde in ihrer Trauer. A.E."   

    
Lehrer Max Goldschmidt feiert sein 25-jähriges Dienstjubiläum (seit 1898 in Nieder-Weisel)  

Nieder Weisel FrfIsrFambl 28041916.jpg (23525 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 28. April 1916: "Nieder-Weisel. Am 1. Mai feiert Lehrer Max Goldschmidt sein 25-jähriges Lehrerjubiläum. Seit 18 Jahren hier tätig, befindet er sich jetzt in einem Landsturmbataillon und war auch schon im Felde."   

   
   
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Spendenaufruf für die verarmte Familie von Moses Strauß (1872)  

Nieder Weisel Israelit 11091872.jpg (86019 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. September 1872: "Bitte! Moses Strauß aus Nieder-Weisel bei Butzbach, Familienvater von 6 noch unmündigen Kindern und Witwer, ist trotz alles Fleißes und aller Redlichkeit so in Schulden geraten, dass seine Gläubiger ihm sein Wohnhaus haben verkaufen lassen und derselbe nun mit seinen Kindern, ohne Obdach, entblößt von allen Mitteln, dasteht. Zur Wiedererlangung seines Hauses sind 1.500 Gulden erforderlich und erlaubt sich deshalb der Unterzeichnete, die Mildtätigkeit unserer Glaubensgenossen in Anspruch zu nehmen, damit wir demselben sein Wohnhaus erhalten können. Zur Empfangnahme milder Beiträge ist erbötig H. Heinemann, Lehrer. 
Vorstehende Bitte beruht auf Wahrheit und wird einer geneigten Berücksichtigung hiermit bestens empfohlen. Die Großherzogliche Bürgermeisterei Nieder-Weisel. Reuter."   

   
Prozess gegen den Redakteur des evangelischen, antisemitisch eingestellten "Kasseler Sonntagsblattes" (1890)  
-  Lehrer Heinemann wurde von zwei Pfarrern beleidigt 

Niederweisel Israelit 24111890.jpg (118996 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. November 1890: "Kassel, 21. November (1890). Eine heute von dem hiesigen Schöffengericht verhandelte Pressbeleidigungssache förderte eine interessante Tatsache zutage. Der wegen Beleidigung des israelitischen Lehrers H. von Nieder-Weisel bei Butzbach angeklagte Redakteur des hier erscheinenden evangelisch-orthodoxen und antisemitischen 'Kasseler Sonntagsblattes' gestand auf Ansinnen des klägerischen Anwalts, Rechtsanwalt Grünewald - Gießen, zu, dass der beleidigende Artikel von zwei oberhessischen evangelischen Geistlichen verfasst und ihm zugesandt sei.  -  Der Artikel hatte in hämischer Form ein Jubiläumsfest bekrittelt, das dem Privatkläger von seiner Gemeinde und von Freunden bereitet worden war, und - indem er dem Kläger vorwarf, er habe vorzeitig sein Jubiläum gefeiert um Geschenke zu erhalten - 'Geld und Ehre' als die Ideale des Semitentums bezeichnet. Der Anwalt des angeklagten Redakteurs, Dr. Jouvenal - Kassel, sprach seinerseits sich missbilligend darüber aus, dass die eigentlichen Beleidiger den Schleier ihrer Anonymität nicht lüften und den Redakteur stecken lassen wollten. Der Beleidigte wird wohl nunmehr die beiden Urheber belangen."    

  
Antisemitischer Ball in Nieder-Weisel (1891)       

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Dezember 1891: "Butzbach, 4. Dezember (1891). Einen recht deutlichen Beweis, wie der Antisemitismus schlimme Zwietracht in breite Schichten der Bevölkerung hinträgt, bieten die hiesigen Vorkommnisse. Unser Städtchen ist in seinen zwei Märkten, Katharinen- und Faselmarkt, der Mittelpunkt für die ganze Umgebung der gesegneten Wetterau. So weit haben es die Böckel-Apostel nun glücklich gebracht, dass die Antisemiten-Vereine der Dorfjugend es für angezeigt hielten, am letzten Katharinenmarkt, am 25. November, einen antisemitischen Ball in Nieder-Weisel durch mächtige Plakate auszuschreiben, und zwar in der offen ausgesprochenen Absicht, den Marktverkehr in Butzbach damit zu schädigen. Das bedenken die jugendlichen Heißsporne nicht, dass sie damit nicht nur das gute Verhältnis zwischen Stadt und Land, sondern auch ihr eigenes Interesse schädigen, denn die so wirksame Prämiierung des besten Marktviehes am Faselmarkt wird damit auch hinfällig werden. Geht man der Sache auf den Grund, so wollen sie dadurch beleidigt sein, dass ihrem Böckel von Seiten eines hiesigen Gasthofbesitzers der Saal für seine Hetzversammlungen verweigert worden ist. So wenig die Stadt dafür kann, so dankbar sollten sie der betreffenden Wirtschaft sein, dass sie des Friedens halber auf eine Einnahme verzichtet."         

   
Zwei neue Torarollen werden angeschafft und feierlich eingeweiht (1897)   

Nieder Weisel Israelit 04111897.jpg (121015 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. November 1897: "Nieder-Weisel. Mit größter Opferwilligkeit entschloss sich die hiesige Gemeinde vor ca. einer Jahresfrist, zwei neue Torarollen anzuschaffen, und obgleich die kleine, kaum 20 Familie zählende Gemeinde in letzter Zeit für religiöse Einrichtungen erhebliche Kosten aufzubringen hatte, wurde der für beide Torarollen erforderliche Betrag durch freiwillige Beiträge beziehungsweise von der Chewra (Wohltätigkeitsverein) aufgebracht. Am verflossenen Schabbat Chol HaMoed (=Schabbat an einem Halbfeiertag des Sukkot- d.h. Laubhüttenfestes, das war Schabbat, 16. Oktober 1897) wurden die Torarollen unter den üblichen Zeremonien dann ihrem Ziele zugeführt. Herr Rabbiner Dr. Hirschfeld - sein Licht leuchte - hielt eine mit allseitigem Beifall aufgenommene Predigt, in welcher derselbe insbesondere die hiesigen Gemeindeverhältnisse in Bezug auf Ordnung, Einigkeit und Leitung rühmte. Hervorzuheben ist noch, dass auch die Nachbargemeinden, insbesondere die Gemeinde Butzbach an der Festlichkeit regen Anteil nahmen. 
Geschrieben wurden die beiden Torarollen von Herrn B. Garbatzky, Sofer (Tora-Schreiber) in Darmstadt. Derselbe hat die Gemeinde mit seiner Arbeit in höchstem Grade zufriedengestellt, sodass ihm außer dem berungenen Preise noch eine ansehnlich Gratifikation ausgehändigt wurde.
In derselben Jahreszeit wurde vor 43 Jahren hier ein neues Sofer eingeweiht und drei Mitgliedern, Krämer, Kaufmann und Strauß, welche damals ihren Beitrag zahlten, ist das Verdienst vergönnt, auch bei der jetzigen Mizwa (Erfüllung eines Gottesgebotes) mitgewirkt zu haben. Abraham Krämer."  

    
Ein auswärtiger Mohel (Beschneider) vermisst eine Laubhütte in Nieder-Weisel (1903)  
Anmerkung: Hintergrund der Problematik war, dass der streng orthodoxe Mohel (Beschneider) während des Laubhüttenfestes eine Beschneidung in Nieder-Weisel ausführen sollte und ihm versprochen wurde, dass er nach seinen -  gewohnt strengen - Gebräuchen sich in Nieder-Weisel aufhalten konnte, d.h. zum Beispiel die Mahlzeiten - wie vorgeschrieben - in einer Laubhütte zu sich nehmen könnte. Obgleich ihm dies versprochen wurde (der Mohel war bereits sehr skeptisch), fand er es in Nieder-Weisel nicht so vor. Darüber schreibt er in dem nachfolgenden Artikel. 
Der Artikel zeigt, dass die Gemeinde Nieder-Weisel - zumindest um 1900 - nicht gerade orthodox geprägt war, da damals am Laubhüttenfest in keiner einzigen Familie, auch nicht beim Lehrer, eine Laubhütte aufgebaut war.     

Nieder Weisel FrfIsrFambl 23101903.jpg (225495 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 23. Oktober 1903: "Sprechsaal (Für diese Rubrik übernimmt die Redaktion keine Verantwortung.). 
Zur Warnung respektive Vorsicht für alle Mohelim (Beschneider) mögen folgende Zeilen dienen: 
Am Donnerstag, den 8. Oktober, war Herr Samuel Krämer aus Niederweisel bei Butzbach bei mir, um mir im Auftrag seines Sohnes, des Herrn Adolf Krämer II., die Mizwoh Miloh (Ausführung der Beschneidung) beim Söhnchen des Letzteren zu übertragen. Wenngleich ich auch zuerst in Rücksicht auf die Kaschruth-Verhältnisse keine Zusage machen wollte, so erklärte ich mich nach längerem Zureden schließlich bereit, mit der Bedingung, dass mir Gelegenheit geboten sei, jede Mahlzeit in der Suckoh (Laubhütte) zu genießen und dass das Fleisch den von mir gestellten Bedingungen in Bezug auf Schauchet (Schächter), Metzger und Kochart entsprechen müsse.  
Betreffs der Suckoh sagte mir hierauf Herr Samuel Krämer - nebenbei bemerkt bei Mann von 68 Jahren -, dass sein Sohn eine sehr schöne Suckoh habe und betreffs des Essens gab er mir das Ehrenwort, Alles so zu machen, wie ich es ihm vorschreibe. ich machte ihn noch ausdrücklich darauf aufmerksam, dass, falls ich auf irgendeine Weise betreffs dieser Bedingungen betrogen sei, ich die Angelegenheit in den jüdischen Zeitungen mit seinem vollen Namen veröffentlichen würde. 
Ich reiste nun am Hauschanoh rabboh nach Niederweisel (der Beschneider ist am Tag Hoshana Rabba angereist, dem 12. Oktober 1903) und traf daselbst ca. 1 Stunde vor Beginn des Jontef (Feiertag Schemini Azeret, der 8. Tag von Sukkot, war am 13. Oktober 1903) ein. Mein Erstes war natürlich, von der Suckoh zu sprechen und erwiderte mir darauf Herr Samuel Krämer, die Suckoh sei eben nicht in Ordnung. Selbstredend ersuchte ich ihn, dieselbe noch vor Jontef in Ordnung zu bringen. Kurz vor Beginn des Jontef fragte ich nochmals, ob die Suckoh jetzt in Ordnung sei und war nicht wenig erstaunt, jetzt von diesem ehrenwerten Herrn zu hören, dass überhaupt gar keine Suckoh vorhanden sei. Ich kann nebenbei bemerken, dass die Familien Krämer in sehr guten Verhältnissen leben und daher sehr wohl imstande sind, sich die Kosten für eine Suckoh zu leisten. 
Auf meine weitere Frage, wer sonst eine Suckoh habe, erfuhr ich jetzt, dass in der 18 Familien zählenden Gemeinde nicht ein Einziger, nicht einmal der Lehrer, eine Suckoh habe.  
Es ist wohl jedem Leser dieser Zeilen klar, dass ich mit diesem ehrenwerten Herrn Samuel Krämer, der das Greisenalter nahezu erreicht hat, nun nicht mehr sehr sanft umging und ihm bei jeder Gelegenheit diesen doppelten Betrug vorgeworfen habe. Dass ich nun auch in Bezug auf das Essen misstrauisch geworden war und infolgedessen gast nichts mehr aß, fiel natürlich auf. Als mich dieser ehrenwerte Herr hierüber frug, gab ich ihm das bekannte Sprichwort zur Antwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht. 
Ein Simchastora-Ball (Ball zur Feier des Festtages Simchas Tora) fehlte natürlich nicht, dazu hatte man noch Geld übrig. Dieser Ball nahm schon am Schemini azeres Nachmittags 4 Uhr seinen Anfang. Wie es die Teilnehmer dieses Balles mit dem Maariw-Gebet, mit Kiddusch und der Jontef-Mahlzeit gemacht haben, weiß ich nicht.   
Meine Bitte geht nun an alle Herren Bezirksrabbiner, auf die Gemeindevorsteher der ihnen unterstellten Gemeinden einwirken zu wollen, dass in jeder Gemeinde wenigstens eine Suckoh auf Gemeindekosten hergestellt wird, da sonst leicht der Fall eintreten kann, dass sich bei eintretendem Bedarf kein Mohel auffinden lässt.  Ein Mohel." 

   
   
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen  
Anzeige des Manufaktur- und Konfektionsgeschäftes Isidor Krämer (1904)
   

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März 1904: "Lehrlings-Gesuch
Für mein Manufaktur- und Konfektionsgeschäft suche einen Lehrling
Kost und Logis im Hause. 
Isidor Krämer
, Niederweisel, Oberhessen."   

      

Kennkarte aus der NS-Zeit            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarte der in Nieder-Weisel 
geborenen Hannelore Fuld
 
 Nieder-Weisel KK MZ Fulda Hannelore.jpg (74583 Byte)    
 Karte auf Grund des jungen Alters 
von Hannelore Fuld ohne Foto 
Kennkarte (Friedberg 1939) für Hannelore Fuld (geb. 20. April 1934 in Nieder-Weisel), wohnhaft in 
Butzbach und Mainz, am 30. September 1942 deportiert ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka, umgekommen    
 

     
     
    
 
Zur Geschichte der Synagoge                  
    
Zunächst (Anfang 19. Jahrhundert) dürfte ein Betsaal vorhanden gewesen sein. 1835 wurde eine Synagoge eingerichtet, wozu von der jüdischen Gemeinde eine Scheune erworben und umgebaut wurde. 1885 konnte man das 50jährige Bestehen der Synagoge feiern und nahm aus diesem Anlass eine umfassende Renovierung vor. 1895/97 wurde ein neben der Synagoge befindliches Gebäude erworben und darin die Religionsschule, ein rituelles Bad und das jüdische Gemeindehaus eingerichtet. 

Nieder Weisel Israelit 26071897.jpg (97096 Byte)Artikel aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Juli 1897: "Aus Oberhessen, 21. Juli (1897). Angesichts der Tatsache, dass gerade die jüdischen Gemeinden auf dem Lande vielfach in ihrer Bedeutung und Entwicklung zurückgehen, darf wohl mit Recht auf die hingewiesen werden, welche eine rühmliche Ausnahme machen. In Niederweisel hatte ich Gelegenheit, die Synagoge und sonstige Einrichtungen zu besichtigen. Bei der 50jährigen Feier des Bestehens im Jahre 1885 wurde die ursprünglich aus einer Scheuer errichtete Synagoge mit schweren Opfern vollständig und würdig renoviert. Nicht weniger als 4.000 Mark mussten durch die Mitglieder der kleinen Gemeinde aufgebracht werden. Dabei machte sich besonders Lehrer Heinemann verdient, dem der Gemeinsinn der dortigen Gemeindemitglieder die Arbeit wesentlich erleichterte. Nun ist neuerdings noch ein an die Synagoge stoßendes Gebäude angekauft und als Schule beziehungsweise Gemeindehaus eingerichtet worden. Ebenso wurde eine Mikwe erbaut, das den modernen hygienischen Ansprüchen durchaus genügt und auch in religiöser Beziehung alle Forderungen erfüllt."

Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge geschändet und geplündert; später wurde das Gebäude abgebrochen. Das Grundstück wurde mit einem Wohnhaus überbaut.  
     
     
Adresse/Standort der SynagogeWeingartenstraße 3.   
     
     
Fotos 

Fotos sind keine vorhanden; Hinweise oder Zusendungen bitte an den 
Webmaster von "Alemannia Judaica", Adresse siehe Eingangsseite
 
     

 
 
Links und Literatur

Links:  

bulletStadtverwaltung Butzbach   
bulletGeschichtsverein für Butzbach und Umgebung   
bulletInformationen zum jüdischen Friedhof in Nieder-Weisel (interner Link)

Literatur:  

bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 143-144.
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 317.
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 268-269.  
bulletSusanne Gerschlauer: Synagogen. In: Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau. Reihe Wetterauer Geschichtsblätter. Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 53. Im Auftrag des Friedberger Geschichtsvereins hrsg. von Michael Keller. Friedberg 2004 S. 289-326.  
bulletdies.: Katalog der Synagogen. In: ebd. S. 555-580.  
bulletButzbach Lit 015.jpg (54675 Byte)Hanno Müller: Familienbuch Butzbach Band V: Judenfamilien in Butzbach und seinen Stadtteilen. 
Siehe website www.fambu-oberhessen.de   
bulletGail Schunk: Die Entwicklung der jüdischen Gemeinde von Münzenberg vom 12. bis 18. Jahrhundert. Online zugänglich (pdf-Datei) (mit vielen Informationen zur jüdischen Geschichte in Nieder-Weisel)   

   
     


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Nieder-Weisel  Hesse. The community numbered 104 (6 % of the total) in 1861 and 41 in 1939. It also had members in Ostheim and Fauerbach. As a result of the Nazi boycott, 32 Jews left by the end of 1938, 13 emigrating. 
   
     

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 15. Oktober 2013