In St. Gallen bestand
eine jüdische Gemeinde bereits im Mittelalter. Seit dem 13. Jahrhundert sind
Juden in der Stadt nachweisbar. Namentlich wird erstmals 1268 der Jude Simon in
St. Gallen genannt. 1292 wohnten Juden in zwei Häusern der Gasse, die später
"Hinter der Brotlaube" hieß ("beziehungsweise 'Judengaß'). Bei der
Judenverfolgung in der Pestzeit
wurden die Juden der Stadt am 23. Februar 1349 verbrannt. Erst 1377 lebten Juden
wieder in der Stadt. 1380 wurde ein Jude mit seiner Schwester in St. Gallen
eingebürgert. Weitere Juden zogen im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu. In der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts lebten jüdische Familien an der Spisergasse
(1411) und vor dem Spisertor (1415). Die Juden lebten überwiegend vom
Geldverleih. Auch die Stadt lieh von ihnen u.a. während der Appenzellerkriege
(1403-08) größere Summen. Nach der Ausweisung der Juden aus St. Gallen 1470 lebten mit Ausnahme weniger Jahre vor 1527
keine Juden mehr in der Stadt. Es ist nicht bekannt, ob im Mittelalter eigene
Einrichtungen der Juden in St. Gallen bestanden. Die in St. Gallen verstorbenen
Juden wurden vermutlich in Überlingen
beigesetzt.
Nach 1756 durften Juden auf den Jahrmärkten der Stadt wieder handeln,
doch waren sie auch in den folgenden Jahrzehnten strengsten Bestimmungen
unterworfen. Die Juden der Gemeinde Hohenems/Vorarlberg
bemühten sich regelmäßig um Erleichterungen. Nach 1834 kamen etwa 20 jüdische
Handelsleute aus Hohenems regelmäßig nach St. Gallen.
Eine neue jüdische Gemeinde bildete sich jedoch erst wieder seit der Mitte
des 19. Jahrhunderts. Um 1850 erlaubte die Stadtbehörde, dass in der Stadt
damals lebenden Juden das Wohnrecht erhielten, darunter waren Juden aus dem
benachbarten Hohenems sowie aus dem süddeutschen Raum, Frankfurt und Berlin.
1852 wurden 63 jüdische Einwohner in der Stadt gezählt, 1860 waren es 107. Die
offizielle Gründung der "Israelitischen Kultusgemeinde St. Gallen"
war 1863.
Im Laufe der nächsten Jahrzehnte nahm die Zahl der jüdischen
Einwohner in St. Gallen auf 544 (1888) und bis etwa 1.200 zu (1919/20). Um
1925 gehörten zur liberalen Gemeinde etwa 300 jüdische Haushalte. Der Präsident
war damals (seit ca. 1920) Jules Wohlgenannt. Etwa 50 Schüler erhielten um 1925 Religionsunterricht.
An Vereinen waren ein Wohltätigkeitsverein, ein Frauenverein, der "Verein
Erholung" usw. vorhanden (vgl. unten die Gemeindevorstellungen von 1916 und
1921). Für die Toten der jüdischen Gemeinde wurde ein
Friedhof angelegt.
Seit 1917 (Gründung am 25. Januar 1917) bestand neben der Israelitischen
Kultusgemeinde die
Jüdische Gemeinde Adass Jisroel. Sie entstand als
Zusammenschluss der osteuropäischen Juden, die seit Ende des 19. Jahrhunderts,
verstärkt nach 1905, auf der Flucht vor Pogromen auch nach St. Gallen kamen.
Adass Jisroel hatte um 1920, nachdem weitere Ostjuden durch den Zusammenbruch
der österreichisch-ungarischen Monarchie zugewandert waren, etwa 500
Gemeindemitglieder in 105 Haushaltungen. Ein eigener Kantor und Religionslehrer
war angestellt (um 1920 M. Arkin). Neben der eigenen Synagoge (s.u.) waren auch
eine Religionsschule und ein rituelles Bad vorhanden. Um 1925 war Präsident der
Gemeinde M. Mirlemann.
Bereits 1866 hatte die jüdische Gemeinde St. Gallen in Hermann Engelbert einen
eigenen Rabbiner. Er blieb bis zu seinem Tod 1900 in der Stadt. Seine
Nachfolger wurden die Rabbiner Dr. Emil Schlesinger (bis 1938), M. Rosenthal und
Dr. Dr. Lothar Simon Rothschild (1943 bis 1968). Von 1968 bis 2012 war Rabbiner Hermann I.
Schmelzer für die religiöse Betreuung der Gemeinde zuständig (gest. 2020 siehe
Nachruf unten). Seit 2016 wird die Gemeinde von Rabbiner Tovia Ben-Chorin
betreut
Von 1939 bis 1944 war St. Gallen
ein Zentrum zur Vorbereitung jüdischer Flüchtlingskinder auf die Einwanderung
in Palästina / Erez Jisrael. 1944 kamen 1.386 ungarische Juden aus dem
Konzentrationslager Bergen-Belsen nach St. Gallen. 1945 kamen 1.200 überlebende
Juden aus Theresienstadt nach St. Gallen.
Von den in St.
Gallen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem): Moritz Hauser (1898), Berthold Knoller (starb nach der
Befreiung aus Bergen-Belsen am 27.6.1945 in St. Gallen), Noemi Levi geb.
Stegmann (1914), Ernst Lichtenstein (1903), Rega Neuberger geb. Feller (1904),
Isidor Selczer (1911), Kurt Singer (1886), Elsa van der Sluis geb. Wolffers
(1893), Leon Wolffers (1886), Hedwig Wolfferts (1887).
Gegenwart (2014): Die jüdische Gemeinde in St. Gallen zählt derzeit etwa 130
Gemeindemitglieder, darunter zählen 13 Familien mit insgesamt 25 Kinder.
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Januar 1847:
"Die in St. Gallen wohnenden Juden - aus Hohenems
im Vorarlberg - bringen dieser Stadt enorme Summen durch ihre
Einkäufe."
Erste
Veränderungen um 1850
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 13. Januar 1851: "St. Gallen, 31. Dezember (1850). Gegen Ende des Jahres 1845 nahmen Sie einen
Artikel in der St. Galler-Zeitung in Ihr geschätztes Blatt auf, welcher sich über
die 'Judenbeschränkungen* im Kanton St. Gallen bitter beschwerte. Wie Sie und
alle der echten Humanität Huldigenden diese Nachricht betrüben musste, ebenso
sehr wird es Sie freuen zu vernehmen, dass es sich in St. Gallen in dieser
Beziehung bedeutend gebessert hat. Eine Petition an den Großen Rat wenigstens
so viel bewirkt, dass der Kleine Rat der Stadtbehörde (Gemeinderat von St.
Gallen) die Befugnis eingeräumt hat, den sich hier aufhaltenden Juden, ohne
weitere Fragen bei der Staatsbehörde über den Aufenthalt in hiesiger Stadt,
Erleichterungen zu gewähren, insoweit der Gemeinderat dieses für zweckdienlich
erachtet. Es hat nun diese Behörde seitdem auf loyale Weise nacheinander
mehreren jüdischen Familien das Wohnrecht gestattet, so z.B. einer Familie aus
Bayern, zwei Familien aus dem benachbarten Hohenems, zwei Familien aus dem
Badischen, einer Familie aus Berlin, und zwei Familien aus Frankfurt am Main.
Es ist zu hoffen, dass der immer vorschreitende Geist der Zeit die Vorurteile
gegen die Juden nach und nach ganz verschwinden mache. Die in St. Gallen
wohnenden Familien zeichnen sich aber auch durch ihr ruhiges und musterhaftes
Familienleben, durch ihren Geschäftsfleiß, durch ihre Solidität und
Rechtlichkeit rühmlich aus, sodass selbe bei allen Gebildeten und rechtlichen Bürgern
St. Gallens die volle Anerkennung und Achtung genießen. Ebenso macht man die
erfreuliche Bemerkung, dass auch bei den sich momentan hier aufhaltenden Juden
ein reges moralisches Streben sich kund gibt. Dies ist die beste Waffe gegen die
uralten Vorurteile. Wir sind überzeugt, dass wenn die Gebildeteren des jüdischen
Volkes auf die Masse durch gutes Beispiel wirken, die dicke Mauer der Intoleranz
trotz dem Eifer der christlichen Zeloten nach und nach einstürzen wird, und
dass der schöne talmudische Spruch, welcher bei Anlass der Feierlichkeit zu
Ehren des zum Kardinal erhobenen Erzbischofs von Köln an der illuminierten
Synagoge angebracht war, und der lautet: 'die Frommen aller Nationen werden
der Seligkeit teilhaft', in der Folge aller Gemüter erfassen und den
gegenseitigen Glaubens- und Meinungshass verdrängen wird.
Kein Jude, aber ein Freund aller Guten aller Bekenntnisse."
1852 lebten bereits 63 Juden in St. Gallen
-
1860 waren es 107
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 22. März 1852: "Die neuesten Beschlüsse der St. Galler
Regierung in Bezug auf die Juden sind in einer früheren Nummer dieses Blattes
bereits mitgeteilt; es dürfte wohl am Platze sein, über die Motive derselben
einige Erläuterungen zu geben. Die St. Gallischen Gesetze entziehen den Juden
die Möglichkeit, sich das Bürgerrecht, oder sogar nur die jedem nicht gerade
missliebigen Ausländer ohne besonderen Anstand bewilligte Niederlassung zu
erlangen; sie haben nur Aussicht auf eine in kurzen Terminen stets zu erneuernde
Aufenthaltsbewilligung, mit der die Berechtigung 'eigenen Rauch zu führen'
nicht verbunden ist. Der wackere, vorurteilsfreie Gemeinderat der Stadt St.
Gallen suchte nun die Stellung der hiesigen Juden dadurch zu erleichtern, dass
er einzelnen gutbeleumdeten Familien ausnahmsweise gestattete, eigene
Haushaltung zu führen. Der Wunsch, auch in Bezug auf Handelsverhältnisse den
Juden einige Erleichterungen zu verschaffen, brachte den Gemeinderat mit dem
Polizeidepartement in einen Konflikt, der dann von der Regierung in der
bemerkten Weise beseitigt wurde. – Der trotzige Satz ...es folgt ein hebräisches
Bibelzitat – hat sich inzwischen auch hier aufs Freudigste bewährt. Noch vor
wenigen Jahren durften nur zwei Familien in der angedeuteten Weise hier wohnen,
jetzt hat sich diese Zahl bis auf sieben, die jüdische Bevölkerung der Stadt
St. Gallen im Allgemeinen auf 50 Seelen vermehrt. In geselliger Beziehung sind
die Juden hier mit den christlichen Einwohnern völlig gleichberechtigt, in alle
Gesellschaften zugelassen, und in den meisten verhältnismäßig sehr stark
vertreten.Niemand kann ihnen die
Anerkennung versagen, dass sie weder in ihrem Benehmen, noch im geschäftlichen
Verkehre die Voraussetzungen rechtfertigen, auf die jene beschränkenden
Verordnungen sich stützen, und so lässt sich denn die gegründete Hoffnung
aussprechen, dass die Zeit nicht mehr ferne ist, dass die Zeit nicht mehr ferne
ist, in der eine Scheidewand fällt, die mit den Grundprinzipien einer Republik
in so schneidenden Widerspruche steht."
Es folgt eine Statistik, aus der
hervorgeht, dass von den 1852 in der Schweiz lebenden 3.125 Juden 63 in St.
Gallen gezählt wurden.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 17. April 1860:
"St. Gallen. 5. März (1860). Nach der neuesten Volkszählung
befinden sich in unserem Kantone bei einer Gesamtbevölkerung von 179.100
Einwohnern 107 Juden."
Die Emanzipation scheitert noch, unter anderem am
Widerstand der katholischen Geistlichkeit (1860)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 17. Juli 1860: "Lengnau, im Juli
(1860)...
Der Kanton St. Gallen ist schon lange der Herd der Zwietracht durch
die ultramontanen Bestrebungen der katholischen Führer und der
Geistlichkeit. Man wollte dem Lande eine Verfassung aufdrängen, die das
Konkordat verdeckt enthielt. Die liberale Sache trug aber den Sieg davon,
indem das Machwerk von Verfassungsentwurf in der Volksabstimmung verworfen
wurde. Dadurch hat auch die Judensache in diesem Kanton gewonnen. Die
Israeliten in St. Gallen, alle ausländischen Kaufleute und Fabrikanten,
haben sich an den ultramontanen Verfassungsrat um Gleichberechtigung mit
anderen Ausländern gewendet. Eitles Bemühen! Wie kommt Jesuitismus und Emanzipation
der Juden zusammen? Nur von einem redlichen Liberalismus ist Heil zu
erwarten. B."
Volksabstimmung über das neue Verfassungswerk (1861)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5.
November 1861: "St. Gallen, im Oktober (1861). Nächsten 24.
November wird das St. Gallener Volk über das neue Verfassungswerk,
welches der Verfassungsrat soeben vollendet hat, abstimmen. Die
Hauptgrundsätze der neuen Verfassung sind: 1) Abschaffung des bisherigen
Wahlsystems und Umwandlung desselben in ein System, das jederzeit der Volksmehrheit
eine ihm gebührende Repräsentanz sicher wird; 2) Verbannung aller
konfessionellen Interessen aus dem bürgerlichen Organismus, und 3) des
Konfessionalismus aus dem Erziehungswesen. Im Verfassungsrate ward der
Entwurf mit der imposanten Mehrheit von 129 gegen 10 Stimmen angenommen.
Kann dieses Ergebnis als Maßstab dienen, so wäre an seiner Annahme durch
das Volk nicht zu zweifeln."
Gleichstellung für alle Konfessionen
im Kanton St. Gallen (1861)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 10. Dezember 1861: "St. Gallen, im November (1861). Die Volksabstimmung hat sich in großer Majorität
für den vorgelegten Verfassungsentwurf entschieden, und ist somit die
Gleichstellung für alle Konfessionen im Kanton St. Gallen ausgesprochen."
Rechtliche Neuregelungen (1863)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 28. April 1863 über die entscheidenden Verhandlungen im "Großen
Rat" des Kantons St. Gallen zur rechtlichen Neuregelung im Blick auf die Juden
im Kanton und der Stadt St. Gallen:
"St.Gallen, im April (1863).
Lassen Sie mich auf die Verhandlungen des Großen Rates noch einmal zurückkommen.
Um den bisherigen Stand der Dinge in St. Gallen, einem für die Israeliten sehr
wichtigen Kantone, zu kennzeichnen, führen wir die Worte der 'St.Galler-Zeitung'
vom 1. April an: 'Bisher beschränkte sich unsere Gesetzgebung darauf, die
Juden als Geduldete zu behandeln. Sie hatten kein gesetzliches Recht der
Niederlassung, sondern nur Aufenthaltsbewilligung und mussten die Gewerbsausübung
durch Patente erkaufen. Grundbesitz durften sie keinen erwerben. Einzelne
Gemeinden wie Rapperschwyl, Lichtensteig, St. Gallen, Tablat hatten
schweizerischen Israeliten die Niederlassung durch Gemeindsbeschluss erteilt und
so die gesetzliche Härte faktisch gemildert.
Der regierungsrätliche Vorschlag nun geht nicht weiter, als Dem, was die
Gemeinden getan, eine gesetzliche Livrée zu geben. Er setzt fest, dass die
Niederlassung der Israeliten nur durch Gemeindebeschluss erteilt werden könne
– ohne Unterschied, ob die Israeliten Schweizerbürger oder Bürger
vergegenrechteter Staaten oder aber nicht vergegenrechtete Ausländer seien.
Zudem verlangte der Gesetzesvorschlag noch die Genehmigung des Regierungsrates
in allen Fällen.
Ebenso setzte er fest, dass der Erwerb von Grundbesitz durch Israeliten in allen
Fällen an die Genehmigung des Regierungsrates gebunden sei.
Der Kommissionalvorschlag ruht auf liberaler Grundlage und stützt sich auf den
einfachen Grundsatz, dass die Israeliten wie die Bekenner der christlichen
Konfession zu behandeln seien: Die israelitischen Schweizerbürger gleich den
christlichen Schweizerbürgern, die Israeliten vergegenrechteter Staaten gleich
den Christen vergegenrechteter Staaten, die Israeliten nicht vergegenrechteter
Staaten gleich den christlichen Angehörigen solcher Staaten. Demnach sollen die
schweizerischen Israeliten das freie Niederlassungsrecht genießen wie jeder
andere Schweizer und nicht an die Gemeinde gelangen müssen, um die
Niederlassung zu erhalten, vorausgesetzt, dass sie in bürgerlichen Ehren und
Rechten stehen; ebenso die Israeliten vergegenrechteter Staaten Frankreich,
England, Nordamerika, Italien'.
Dem gegenüber heben wir hervor, dass der Artikel 6 der St. Galler Verfassung
ausspricht: 'die Ausübung der bürgerlichen Rechte soll an keine Konfession
gebunden sein'!!! – Der vorzüglichste Redner in der zweitägigen Debatte
war:
Oberst Bernold. 'Ich weiß nicht, wie man's nennen soll: Ein Muttermal oder
ein Brandmal oder sonst ein Mal, das uns Christen anklebt in der Art und Weise,
wie wir das israelitische Volk behandeln, wir Christen, die wir doch unsere
Kirche secundum ordinem Melchisedech eingerichtet haben. Wir Christen,
die wir uns bemühen, für unser Interesse Handels- und Freundschaftsverträge
mit Türken und Heiden, mit den Bekennern aller möglichen Religionen, mit den
Anbetern des Buddha, des Manu, des Mohammed, des Ahriman, des Guten und Bösen
anzuschließen, wir finden, dass es eine Schande, ein Unglück, eine Gefahr für
unsere Religion sei, wenn wir ein Volk, das den gleichen Gott mit uns verehrt,
wie unsereins behandeln sollen, wir zaudern noch immer und schützen das eine
Mal dies, das andere Mal etwas Anderes vor, fürchten uns vor diesem oder jenem
Vorurteile. So kann es nicht immer gehen. Man muss einmal wollen und es nicht
machen wie Landammann Hungerbühler. Er will, aber er will nicht. Es geht, aber
es geht nicht. Er ist im Zweifel, aber er ist doch nicht im Zweifel. Heraus müssen
wir einmal aus der Sache, oder wollen wir immer hinter Österreich zurückbleiben?
In dem gutkatholischen Österreich haben die Israeliten Bürgerrecht. Ein Jude
sitzt im Ministerium, ein Jude im Reichsrat, ein Jude ist Platzkommandant von
Venedig. Jüngst ernannte der Kaiser vor allem Volk einen Juden zum Hauptmann,
und wir wollen ihm nicht einmal die Niederlassung geben.
Man redet von verschiedenen Standpunkten. Der einzige Standpunkt ist der, jedem
rechten Menschen die Niederlassung zu gewähren. Man argumentiert mit dem
Aargau. Ich lasse dieses Argument nicht gelten. Die Judenfrage war dort nur das
Mittel zum Zweck für die Bestrebungen eines gewissen finstern Wesens, das dort
herumschleicht. Es ist Zeit, dass einzelne Kantone aus dieser Finsternis
heraustreten – in ein milderes Licht der Humanität und einem ehrenwerten
Volke endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ja, dieses altorientalische Volk
ist ein ehrenwertes, und wenn es Schwächen hat, so mögen wir bedenken, dass
die Juden das geworden sind, was sie sind, durch die Jahrhunderte andauernden
Verfolgungen derselben von Seiten der Christen. Was würden wir in dieser Lage
werden? Würden wir nicht auch hinten und vorn ausschlagen?
Es gibt Ausnahmen unter jener ehrenwerten Menschenklasse. Wir haben auch
Ausnahmen. Aber dies Volk verdient ebenso große Achtung als jedes christliche
Volk. Viel große Männer sind aus ihm hervorgegangen: große Dichter, große
Philosophen, große Staats- und Finanzmänner.
Sage man nicht: Es gehe nicht! Es geht, wenn man will und wenn man sein Herz und
seinen freien Geist walten lässt!' (Großer Beifall.)
Mit dieser ausgezeichneten Rede hatte die Sache der Humanität ihren moralischen
Sieg errungen.
Herr Kommandant Kirchhofer: Die Frage sei für den Kanton und namentlich für
die Stadt St. Gallen von großer Bedeutung. Es sei besonders der
Baumwolle-Exporthandel, der hier in Berührung kommt. Was die israelitische
Handelschaft überhaupt betreffe, so habe es in St- Gallen Häuser gehabt, die
geschadet haben, aber auch solche, die enormen Nutzen gebracht und eine Zierde
der St. Gallischen Handelschaft gewesen und noch sind. Er glaube im Namen der
ganzen Handelschaft der Stadt zu sprechen, wenn er erkläre, dass sie keinen
Schutz wolle auf Kosten der Humanität.
Herr Gemeinde-Amtmann Kuhn: Er habe die Juden seit vielen Jahren als eine sehr
ehrenwerte Klasse von Leuten kennen gelernt, ebenso ehrenwert als die Christen.
Ihre Gleichstellung sei unbedingt geboten durch die Kantonsverfassung. Warum
sollten sie sich nicht auch einbürgern können? Er würde sich gar nicht fürchten,
wenn einmal ein Israelit Chef des Erziehungsdepartements würde; die Juden
erziehen unter Umständen ihre Kinder ebenso gut und noch besser als die
Christen. Gebe man ihnen endlich, was man ihnen vor Jahrzehnten schon hätte
geben sollen.
Das mit 103 gegen 6 Stimmen angenommene Gesetz lautet nun:
Artikel 1: Israeliten, welche im Kanton St. Gallen nur vorübergehend Verkehr
treiben oder Aufenthalt in demselben nehmen, sind, je nach ihrer Staatsangehörigkeit
als Schweizer oder Ausländer, gleich den andern handeltreibenden Aufenthaltern
den diesfalls bestehenden Gesetzesbestimmungen unterworfen; d.h. schweizerische
Israeliten werden den andern Schweizern, ausländische Israeliten den übrigen
Ausländern aus dem nämlichen Staat gleichgehalten.
Artikel 2: Israeliten, welche ihren Wohnsitz in einer Gemeinde des Kantons
nehmen wollen, eigene Haushaltung führen, einen Beruf oder ein Gewerbe auf
eigene Rechnung treiben, haben unter Abgabe der Heimat-, Leumund- und
Familienscheine die Niederlassung nachzusuchen.
Artikel 3: Die Niederlassung in einer Gemeinde wird von der betreffenden
politischen Bürgerversammlung erteilt.
Artikel 4: In denjenigen Gemeinden, in welchen, in welchen den Israeliten der
Aufenthalt oder die Niederlassung gewährt wird, haben die Gemeinderäte eigene
Register über die Geburts-, Ehe- und Sterbefälle derselben zu führen, und von
den hiebei vorkommenden Veränderungen den betreffenden Heimatsbehörden amtlich
Kenntnis zu geben.
Artikel 5: Durch gegenwärtiges Gesetz sind aufgehoben: folgen die früheren
Verordnungen.
Allen
Niederlassungsgesuchen von Juden wird entsprochen (1863)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 14. Juli 1863: "St. Gallen, im Juli (1863). Die Stadt St.
Gallen hat 27 israelitischen Niederlassungsgesuchen samt und sonders
entsprochen. Die Bürgerschaft von St. Gallen (solche Gesuche werden vor die
Gemeinde gebracht) hat damit gründlich mit mittelalterlichen Vorurteilen
gebrochen und gerade der Umstand, dass alle Angemeldeten ohne Unterschied
angenommen wurden, bezeugt, dass sie deutlich zu erkennen geben wollte, dass es
sich bei ihr diesmal weniger um die Personen als eine Demonstration für den
Grundsatz der Toleranz und einer freuen Lebensanschauung handelte."
Pläne für die Gründung einer jüdischen Gemeinde
(1863)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 3. November 1863; "Die circa 30 jüdischen Familien, welche
gegenwärtig in St. Gallen wohnen, gehen mit dem Plane um, sich zu
einer Gemeinde zu verbinden, d.h. einen zeitgemäßen Gottesdienst
einzurichten und einen Friedhof zu erwerben."
Die Gemeinde wird gegründet (1864/65)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 10. Mai 1864: "St. Gallen, im April. Unterm 30. März abhin haben
22 in St.-Gallen niedergelassene Israeliten an den Regierungsrat das Gesuch
gestellt, zur Errichtung einer eigenen israelitischen Kultusgemeinde die
erforderliche Genehmigung erteilen, beziehungsweise auswirken zu wollen. Um die
konstitutiven Statuten erlassen und zur Genehmigung einsenden zu können, wünschen
die Petenten, der Regierungsrat möchte die Frage entscheiden, ob, wenn die
Mehrheit der niedergelassenen Glaubensgenossen sich für die Statuten und die Gründung
einer Kultusgemeinde, den diesfälligen finanziellen Haushalt usw.
ausgesprochen, die Minderheit pflichtig sei und angehalten werden könne, zu den
diesfallsigen Unterhaltskosten beizutragen. Der Regierungsrat erteilte am 8.
dieses Monats den Bescheid: er nehme keinen Anstand, zu erklären, dass, wenn
die Mehrheit der in St. Gallen niedergelassenen Israeliten sich für Gründung
einer Kultusgemeinde ausspreche und darauf gestützt Statuten entwerfe, welche
die obrigkeitliche Genehmigung erhalten, die Minderheit gehalten sei, sich
solchen konstitutiven Statuten zu unterziehen. Bevor die Regierung aber die
Anerkennung einer israelitischen Kultgemeinde in St.-Gallen nach Artikel 6 der
Verfassung dem Großen Rate zur Genehmigung vorlegen könne, müssen die
Statuten von den in St.-Gallen niedergelassenen Israeliten erlassen und der
Regierung zur Prüfung eingesandt werden. Es liegt in dieser Tatsache ein höchst
erfreulicher Beweis für den Fortschritt auf dem Felde konfessioneller Toleranz."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 10. Januar 1865: "St. Gallen, im Dezember (1865). Die Kommission
der hiesigen israelitischen Kultusgemeinde konstituiert habe, und damit das
Gesuch verbunden, nicht allein die Gründung einer Gemeinde mit Religionsschule
und die Anlegung eines Begräbnisplatzes zu bewilligen, sondern auch zu
bestimmen, dass sämtliche in der Stadt niedergelassenen Israeliten der Gemeinde
beitreten. In seiner Sitzung vom 8. April hat der Regierungsrat auch erklärt,
dass er, wenn die Mehrheit der in St- Gallen niedergelassenen Israeliten sich für
Gründung einer israelitischen Kultusgemeinde ausspreche und darauf gestützt
Statuten entwerfe, welche die obrigkeitliche Genehmigung erhalten, die Minorität
gehalten sei, sich solchen konstitutiven Statuten zu unterziehen.
Infolge dieses regierungsrätlichen Bescheides wurden die Statuten entworfen und
von der israelitischen Kultusgemeinde angenommen, auch alsbald dem
Regierungsrate zur Genehmigung übermacht. Dieser stellte den Antrag, 'den
Statuten die regierungsrätliche Genehmigung zu erteilen und an den Großen Rat
den Antrag zu bringen, es sei den Petenten die freie Ausübungen des jüdischen
Gottesdienstes gestattet.'
Inzwischen erhob sich eine entschiedene Opposition gegen die Anerkennung der
israelitischen Kultusgemeinde und zwar von Juden selbst, welche aus materiellen
Rücksichten der Gemeinde sich nicht anschließen wollten.
In seiner jüngsten Sitzung hat der Große Rat nun die Ausübung des jüdischen
Gottesdienstes, die Errichtung einer jüdischen Religionsschule und die Anlegung
eines Begräbnisplatzes, also mit einem Worte die Konstituierung einer
Kultusgemeinde beschlossen, den Antrag der Kommissionsminderheit – welcher
auch besonders gedruckt erschien – alle in St. Gallen niedergelassenen
Israeliten zum Beitritt zu verhalten, jedoch verworfen. Ob die Gemeinde sich
nichtsdestoweniger konstituieren wird, muss der Zukunft überlassen bleiben."
Die Abhaltung von Gottesdiensten, der Bau einer
Synagoge, die Einrichtung einer Schule sowie die Anlage eines Friedhofes werden
genehmigt (1865)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Dezember 1865:
"Der 'Große Rat' von St. Gallen hat durch einstimmigen
Beschluss den im Kanton ansässigen Israeliten die freie Ausübung ihres
Gottesdienstes nach Anleitung des vorgelegten Status bewilligt und den
Regierungsrat ermächtigt, vorkommendenfalls die nötigen Anordnungen beim
Bau einer Synagoge oder der Anlegung von Begräbnisplätzen zu
treffen."
Artikel
in der "Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des
Judentums" 1865 Heft 2: "St. Gallen (Schweiz). Der große
Rat hat trotz heftiger Opposition beschlossen, fortan die Ausübung des
jüdischen Gottesdienstes, die Errichtung einer Religionsschule und die
Anlegung eines jüdischen Begräbnisplatzes, mit einem Worte die
Konstituierung einer Kultusgemeinde zu
gestatten".
1867 war der Prozess der Gemeindegründung
abgeschlossen. In einem Artikel der Zeitschrift "Der Israelit" (Artikel vom 25.
September 1867) konnte rückblickend zusammengefasst werden:"St.
Gallen, 12. Juni (1867): Nach den Vorschriften unserer Kantonsverfassung kann,
außer den Katholiken und Reformierten, auch anderen Religionsgenossenschaften
vom Großen Rate die freie Ausübung des Gottesdiensts gestattet werden. In
Folge dieser Bestimmung erhielten denn auch die im Kanton wohnenden Baptisten
und Israeliten die Ermächtigung, ihren Gottesdienst frei auszuüben. Die
Israeliten haben seither eine Gemeinde gebildet, ein Lokal für ihren
Gottesdienst gemietet, einen Begräbnisplatz erworben und einen eigenen Rabbiner
angestellt, der regelmäßig Gottesdienst hält und der israelitischen Jugend
den Religionsunterricht erteilt. Sie werden in allen ihren religiösen Gebräuchen
geschützt und wir haben ihnen daher auch das Schächten nach ihrem Ritus
gestattet."
Über die jüdischen Gemeinden in der Schweiz
mit Angaben zur Gemeinde in St. Gallen (1875)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 23. November
1875: "...Es gibt gegenwärtig in der Schweiz 20 organisierte
Gemeinden und zwar in 9 Kantonen, nämlich Aargau 5 zu Oberendingen
(747), Lengnau (376), Aarau
(39), Baden (171), Bremgarten
(35); in Basel, eine in der Stadt Basel
(409); in Bern 5 Gemeinden, nämlich in Bern
(286), Biel (143), Langenthal (59),
Pruntrut (Porrentruy, 162), St.
Immer (nicht: St. Jenner) mit Sonvilier (nicht: Souvilier)
und Renom (153); in Luzern, eine in der Stadt Luzern
(70); in St. Gallen eine, nämlich in der Stadt St.
Gallen mit den benachbarten Ortschaften (212); in Zürich
1 in der Stadt Zürich (231); in Genf
2, nämlich in Genf (574), Carouge (156); in Neuchâtel 2,
nämlich in Neuchâtel (71) und Chaux
de Fonds (415); in Waadt 2, nämlich in Avenches
(245) und in Lausanne (136). Die
obigen Zahlen betreffen nur die Mitglieder der bez. Gemeinden. - Nur
zwei Gemeinden haben Rabbiner, die westlichsten, Genf, und die östliche St.
Gallen. Die Gemeinden Oberendingen
und Lengnau, die früher stets ein
Rabbinat bildeten, haben dasselbe seit längerer Zeit unbesetzt gelassen.
Vier Gemeinden haben noch besondere Vorsänger, nämlich Basel,
St. Gallen, Zürich, Genf. Die
Besoldung der 19 Lehrer variiert zwischen 600 und 2.500 (Chaux
de Fonds) Frcs., und beträgt zusammen 25.750 Francs jährlich,
während die vier Vorsänger zusammen 6.500 Francs erhalten. An Synagogen
sind 17 vorhanden, von denen 8 Eigentum der bez. Gemeinden, 9 gemietete
Lokale sind, während die drei Gemeinden, welche keinen Lehrer haben, Aarau,
Bremgarten und Carouge, auch keine Synagogen
besitzen. Oberendingen hat 3 Schulen,
eine Unter-, Mittel- und Oberschule, und Lengnau
2, nämlich eine Gesamt- und eine Fortbildungsschule. Außer diesen
bestehen in der Schweiz keine jüdischen Elementarschulen. Dahingegen
haben 14 Gemeinden eine Religionsschule, sodass nur die drei schon
benannten und Genf derselben entbehren. Diese Schulen werden zusammen von
520 Kindern besucht, und es gibt einen Maßstab für den religiösen Sinn
in den einzelnen Gemeinden ab, wenn man die Schülerzahl der
Religionsschule mit der Seelenziffer der bez. Gemeinde vergleicht. So zum
Beispiel beträgt in Baden und Luzern
die Schülerzahl den fünften Teil der dortigen jüdischen Bevölkerung,
aber in Bern, St. Gallen und Chaux
de Fonds nur den dreizehnten, in Lausanne
sogar nur den siebenundzwanzigsten Teil. Für diese Schulen besitzen 5
Gemeinden eigene Schulhäuser und 8 gemietete Lokale, während in Baden
und Zürich der Religionsunterricht in den städtischen Schullokalen
erteilt wird. - Der Begräbnisplätze sind 6, zu Oberendingen,
Bern, St.
Gallen, Zürich, Genf
und Lausanne. - In 14 Gemeinden
bestehen Vereine zu wohltätigen Zwecken aller Art, in mehreren auch zur
Belehrung (Ez-chajim), zusammen 25 Vereine mit Fonds von zusammen 37.490
Francs. Wir vermissen hierbei die Anführung des schweizerischen
israelitischen Kulturvereins. -
Wer diese Zahlen überblickt, und erwägt, dass außer Endingen
und Lengnau Alles nur Schöpfungen der
neuesten Zeit ist, muss darüber Befriedigung empfinden und das weitere
beste Wachstum wünschen. Die Schweiz ist somit das einzige Land, in
welchem, nachdem die Juden zugelassen worden, diese sich
verhältnismäßig vermehrt haben, nämlich unter 2 1/2 Millionen bis zu
7000 Juden, als 1 auf 382 Einwohner."
Statistischer Artikel zur Entwicklung der jüdischen
Bevölkerung der Stadt St. Gallen (1883)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27.
Februar 1883: "St. Gallen, 13. Februar (1883). Das hiesige
'Tageblatt' enthält einen statistischen Artikel über die Bevölkerung
der Stadt St. Gallen, dem wir folgende Stelle entnehmen: 'In noch
größerer Proportion hat sich die Zahl der hier wohnhaften Kinder Israels
vermehrt. Die erste Volkszählung von 1837 weist keinen einzigen
Israeliten auf. Anno 1850 waren ihrer ein halbes Hundert, zehn Jahre
später ein volles Hundert, im Jahre 1870 schon 138 und bei der letzten
Zählung gar 273. Die Israeliten weisen deshalb relativ die größte
Bevölkerungszunahme auf. An ihnen ist das Wort des Patriarchen in
Erfüllung gegangen: 'Deine Kinder sollen sich vermehren wie die Sterne
des Himmels'.
Seien auch diese Kinder der Welt in unserem Hochtale willkommen. Sie haben
der Feinde ringsum genug, wir wollen lieber nur ihre guten Eigenschaften
anerkennen. In Fürsorge für ihre Familien, in ihrem unermüdlichen
Schaffen, ihrem treuen Zusammenhalten und ihrer Nüchternheit mögen wir
sie als Muster nachahmen, und wenn wir es, wie die Juden, dazu bringen,
keinen einzigen Glaubensgenossen der öffentlichen Armenpflege anheim
fallen zu lassen, wird es für die Steuerzahler auch nicht schlimmer
sein.
Die konfessionellen Unterschiede und Vorurteile schwinden zusehends: sie
werden den gesunden Sinn des Volkes jedenfalls da nicht zu trüben
vermögen, wo wie in St. Gallen die freie bürgerliche Volksschule als
kostbares Kleinod hochgehalten wird und eine feste Garantie für echte Toleranz
und Menschenliebe bietet'."
Vorstellung
der Gemeinde im "Jüdischen Jahrbuch für die Schweiz" Jahrgang 1916
S. 201: "St. Gallen.
Die Israelitische Kultusgemeinde St. Gallen besteht seit dem Jahre 1863.
Ihre Mitgliederzahl beträgt 103 mit ca. 500 Seelen. Außerdem wohnen in
St. Gallen noch ca. 600-700 Ostjuden, die eigene Gemeinden und Vereine
bilden. Vorstand: Ludwig Neuburger, Präsident; Jules Pollag,
Vizepräsident; Hermann Dreyfus, Aktuar; J. Wohlgenannt, Kassier; H.
Günther, Beisitzer; O. Pulasky und W. Burgauer, Suppleanten. Beamte:
Dr. Schlessinger, Rabbiner; M. Rosenthal, Kantor. Institutionen: Synagoge, Bleichele 18 (erbaut im maurischen Stil,
eingeweiht 1881); Religionsschule wird erteilt im Schulhaus Klosterhof,
ca. 60 Schüler; Friedhöfe, alter Friedhof in Hagenbuch, neuer Friedhof
in Kesselhalde, St. Fiden; Armenkasse (Moritz Brandt, Kassier);
Unterstützungskasse für ansässige Arme des israelitischen
Wohltätigkeitsvereines (Präsident: M. Ullmann, Kassier;
Guggenheim-Fürst); Notstandskasse für Mietunterstützung für die Zeit
der Kriegsdauer (Präsident: Ludwig Neuburger, Aktuar: Hermann Dreyfus). Vereine: Israelitischer Wohltätigkeitsverein (Präsident: M.
Ullmann), Israelitischer Frauenverein (Präsidentin: Frau A. Ullmann.
Beide Vereine verfolgen den Zweck: Unterstützung bei Krankheits- und
Todesfällen. In St. Gallen gibt es au0erdem noch einige kleinere Minjonim
und Vereine, die der Gemeinde nicht angehören, dann einen zionistischen
Verein, etc."
Gemeindevorstellung
im "Jüdischen Jahrbuch für die Schweiz" Jahrgang 1921
S. 183: "St. Gallen. In St. Gallen, der Hauptstadt des gleichnamigen
Kantons, leben ca. 1.000 jüdische Seelen. Seit dem Jahre 1917 existieren
in St. Gallen zwei jüdische Gemeinden.
Die israelitische Kultusgemeinde besteht
seit dem Jahre 1863. Ihre Mitgliederzahl beträgt ca. 110 mit ungefähr
300 Seelen. Vorstand: Präsident: Jules Wohlgenannt; Vizepräsident: Willi
Burgauer; Kassier: Adolf Michel; Aktuar: Sally Mayer; Beisitzer: J.
Günther. Beamte: Dr. Schlesinger, Rabbiner; M. Rosenthal, Kantor und Lehrer. Institutionen: Synagoge, Frohgartenstraße (im maurischen Stil,
eingeweiht 1881). - Religionsunterricht wird erteilt im Schulhaus
Klosterhof, ca. 50 Schüler. - Friedhöfe: alter Friedhof in Hagenbuch,
neuer Friedhof in Kesselhalde, St. Fiden. - Armenkasse für Durchreisende
(Moritz Brandt). Israelitische Fürsorge: Zentrale für
Unterstützungswesen, Präsident Dr. Schlesinger, Verwalter: J.
Guggenheim-Fürst. Metzgerei: K. Dreyfuss, Linsenbühlstraße.
Vereine: Israelitischer Wohltätigkeitsverein (Präsident: M.
Ullmann). - Israelitischer Frauenverein (Präsidentin: Frau
Wyler-Reichenbach). Beide Vereine verfolgen den Zweck: Unterstützung bei
Krankheits- und Todesfällen. - Verein Erholung, Pflege der Geselligkeit
(Präsident: Wyler-Neuburger). Jüdische Gemeinde Adass Jisroel:
Diese jüdische Gemeinde wurde am 25. Januar 1917 gegründet und zählt
heute bei 105 Mitgliedern ca. 500 Seelen. Vorstand: M. Mirelmann, Präsident; A. Hauser, Vizepräsident; H.
Kuschernsohn, Kassier; weitere Mitglieder: A. Kutner, L. Fichmann, B.M.
Flaks.
Beamte: Kantor- und Lehrerstelle vakant.
Institutionen: Synagoge, Kapellenstraße 3. - Jüdische Schule in der
Synagoge, etwas 100 Kinder. - Jüdische Metzgerei und rituelles Bad 'Aquasana',
Zwinglistraße.
Vereine: Chewra Tahara Kadischa, gegründet 1904 mit einer
Mitlgiederzahl von ca. 100 (S. Lewin, Präsident; S. Sprinberg, Kassier).
- Jüdischer Frauenverein, gegründet 1911, ca. 90 Mitglieder (Frau
Weisbord, Präsidentin). - Zionistische Ortsgruppe, gegründet 1913 mit
einer Mitgliederzahl von ca. 140 (B. Kadischewitz, Präsident). -
Jüdischer Wanderbund 'Blau-Weiss', gegründet 1919 (Führerin: Toni
Hauser). - Sportklub 'Makabi', gegründet 1921 (Präsident:
Steinberg)."
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 23. Februar 1869: "Knaben-Pensionat in St.
Gallen. (Schweiz). Knaben, welche die hiesigen vorzüglichen Schulen besuchen wollen,
finden unter annehmbaren Bedingungen in der Familie des Unterzeichneten
freundliche Aufnahme, sorgfältige körperliche Pflege, eine sittliche
religiöse Erziehung und gründliche Nachhilfe zur Unterstützung des
Schulunterrichts.
Referenzen: die Herren Landrabbiner Dr. Adler in Kassel, Dr.
Albert Cohn, membre du consistoire central des Israélites de France
in Paris, Dr. Emanuel Deutsch, British Museum in London, David
Barschall, (Firma Baumann und Co.) in Leipzig, Jacob Brunner in
Triest, Gebr. Hirschfeld und Co. in St. Gallen.
Prospekte werden auf Verlangen eingesandt. Dr. Herrmann Engelbert,
Rabbiner in St. Gallen."
Der Antisemitismus macht sich bemerkbar - Rabbiner Dr.
Engelbert wehrt sich (1875)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 5, Oktober 1875: "Vom Bodensee, 21. September
(1875). Dass von der obersten Leitung der ultramontanen Partei das
Losungswort, allerorten zur Judenverfolgung aufzuhetzen, erteilt, und, wie
man es von dieser gewohnt, pünktlich ausgeführt ist, erweist sich ganz
besonders in der Schweiz. Hier, wo die Juden nur in sehr geringer Anzahl
wohnen, kann selbstverständlich auch nicht im Entferntesten von einem
Einfluss politischer, sozialer oder sittlicher Art die Rede sein. Alle
jene hohlen Phrasen von jüdischer Herrschaft, Entchristlichung durch den
jüdischen Geist usw. können hier auch nicht mit einem Scheine von
Begründung verwendet werden. Die schweizerischen Ultramontanen haben
daher auch nicht die geringste Veranlassung, mit den Juden anzubinden. Tun
sie es also dennoch, so ist es klar, dass sie es auf höheren Befehl tun,
und wie in allen Stücken die gehorsamen Knechte gegen die Anordnungen
ihrer Oberen spielen. Umso wichtiger ist es, dies gerade von hier aus der
Öffentlichkeit zur Erkenntnis zu bringen, damit man allgemein anerkenne,
der Feldzug der Ultramontanen gegen die Juden sei eben nichts weiter als
ein Stück ihres Kriegsplanes gegen den Staat und die allgemeine Kultur.
Schon im vorigen Jahre versuchte die 'Thurgauer Volkszeitung' in einigen
Artikeln 'Das Judentum in der Gesellschaft' die öffentliche Meinung gegen
die Juden aufzuhetzen und diesen die gröbsten Schändlichkeiten und
verwerflichsten Tendenzen aufzubürden. Der Verfasser verschmähte es
sogar nicht, sein ultramontanes Gesicht durch eine Maske zu verdecken. Die
Antwort bliebt nicht aus, und der Rabbiner Dr. Engelbert zu St. Gallen leuchtete
in der 'Thurgauer Zeitung' dem Angreifer in so nachdrücklicher Weise
heim, dass dieser verstummte. Die jüngsten Wutausbrüche der 'Germania'
regten die Ultramontanen des Kantons St. Gallen auf, zu versuchen,
ob jenen nicht ein Widerhall in den Aloen zu verschaffen sei, um mit
Benutzung des Materials an Gift und Galle, welches das Berliner
Jesuitenblatt reichliche spendete, auch hier eine Judenverfolgung in Szene
zu setzen. Sehr geschickt waren die Artikel in der in St. Gallen
erscheinenden Ostschweiz 'Synagoge und Kirche' nicht abgefasst, da sie
z.B. die Freimaurer in den Vordergrund schoben und den Juden einem diesen
Orden beherrschenden Geheimbund zuteilten, ganz wie die 'Germania'. Nun
weiß aber das große schweizerische Volk gar wenig von den Freimaurern,
und hat sich seine freisinnigen Gesetze durch seine überwiegende
Majorität selbst gegeben. Jede Verdächtigung, dass die schweizerische
Bundes- und Kantonalverfassung und die ihr entflossenen Gesetze nur das
Werk eines kleinen verborgenen Bundes seien, ist daher ebenso lächerlich,
wie eine Beleidigung für das Schweizervolk. Herr Dr. Engelbert übernahm
es abermals in der 'St. Galler Zeitung', dem ultramontanen
Zeitungsschreiber Schritt vor Schritt eine einschneidende Widerlegung
zuteil werden zu lassen. Er hielt sich auch nicht bloß auf der
Defensionslinie, sondern zeigte sonnenklar in welchem Maße die
ultramontanen Autoren sich Fälschung aller Art, Verdrehung und
Entstellung der Tatsachen schuldig machen. Er führte z.B. jenen Versuch
des Wiener 'Vaterland', die Beschlüsse der israelitischen Synode zu
Leipzig durch Einschmuggelung vollständig anderer Worte zu fälschen,
ausführlich an, und brachte es so weit, dass der Gegner wenigstens
zugestand, die israelitische Gemeinde zu St. Gallen nicht beleidigt
haben zu wollen. Wir glauben, dass auch diesmal die Absicht dieser
Judenfresser vereitelt worden ist, und sie ihren Versuch nicht sobald
wiederholen werden. Es zeigte sich auch an diesem Beispiel, wie wichtig es
ist, auf lokale Angriffe sofort lokal zu antworten, wie notwendig aber
auch, dass das hierzu erforderliche Material, namentlich in diesem Blatte,
ergiebig gesammelt werde. - In der Schächtfrage ist vom Bundesrate noch
immer keine definitive Entscheidung erflossen, was jedoch für uns mit
keiner Inkonvenienz verbunden ist, da ebenso lange das qu. Verbot
suspendiert bleibt."
Publikation von Rabbiner Dr. Hermann Engelbert
(1875)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 30. November 1875: In meinem Verlage erschien soeben:
Statistik des Judentums in Deutschen Reiche ausschließlich Preußens
und In der Schweiz bearbeitet von
Dr. Hermann Engelberg, Rabbiner der israelitischen
Religionsgenossenschaft in St. Gallen.
Gr. 4. Preis in Umschlag geheftet Mark 9.
Die hohe Bedeutung dieses Werkes, das zum ersten Male eine einheitliche
Darstellung sämtlicher betreffender Gemeinden nach ihren Kräften,
Leistungen, Vereinen und Institutionen ein Gesamtbild des deutschen und
schweizerischen Judentum entrollt, hat bereits in publizistischen und
wissenschaftlichen Kreisen eine so allgemeine Anerkennung gefunden, dass
wohl mit Recht erwartet werden darf, dass es bald in keiner Gemeinde oder
größeren Privatbibliothek fehlen werde. Die Erhebung des Materials
geschah vom Schweizerischen Bundesrat und lässt die Statistik
mithin an Reichhaltigkeit und Genauigkeit Nichts zu wünschen
übrig.
Das Werk ist durch jede Buchhandlung zu beziehen; auch erfolgt gegen
Einsendung des Betrags dessen umgehende Franco-Zusendung.
Frankfurt am Main. J. Kauffmann".
25-jähriges
Rabbinatsjubiläum von Rabbiner Dr. Hermann Engelbrecht
(1891) Anmerkung: Die prägende Persönlichkeit des jüdischen
Gemeindelebens der ersten Jahrzehnte nach Gründung der Gemeinde war Rabbiner
Dr. Hermann Engelbrecht. Er war liberal geprägt, dennoch wurde in einem
Artikel zu seinem 25jährigen Rabbinatsjubiläum sowohl in der "Allgemeinen
Zeitung des Judentums" als auch in der
konservativ-orthodoxen Zeitschrift "Der Israelit" betont, wie beliebt und geachtet er in St. Gallen
war.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 16. Oktober 1891: "St. Gallen, 13. Oktober
(1891). Vergangenen Samstag und Sonntag feierte Herr Rabbiner Dr.
Engelbert unter freudiger Beteiligung der hiesigen israelitischen
Religionsgenossenschaft sein 25-jähriges Rabbinatsjubiläum. Zahlreiche
Gratulationszuschriften und Ansprachen, sowie namentlich ein kostbares
Ehrengeschenk, das die Vorsteherschaft ihm bei diesem Anlass überreichte,
legten ein sprechendes Zeugnis ab für die Achtung und Liebe, die sich der
seit Gründung der Gemeinde in dieser letzteren, sowie in verschiedenen
öffentlichen, gemeinnützigen Stellungen erfolgreich wirkende Jubilar
erworben hat. Möge es ihm vergönnt sein, noch lange Jahre in gleicher
Kraft und Rüstigkeit zu wirken."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Oktober 1891: "St. Gallen, 6. Oktober
(1891). Gestern und vorgestern feierte Herr Dr. Engelbert unter freudiger
Beteiligung der hiesigen Gemeinde sein 25jähriges Rabbinatsjubiläum.
Zahlreiche Gratulationszuschriften und Ansprachen, sowie namentlich ein
kostbares Ehrengeschenk, das die Vorsteherschaft ihm bei diesem Anlass überreichte,
legten Zeugnis ab von der Achtung und Liebe, die sich der Jubilar in der
Gemeinde erworben hat."
Zum Tod des Rabbiners Dr. Hermann
Engelberg (geb. 1830 in Gudensberg, gest.
1900 in St. Gallen)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. Februar 1900: "St.
Gallen, 10. Februar (1900). Die hiesige israelitische Religionsgesellschaft hat
einen schweren Verlust durch den Tod ihres Seelsorgers, Rabbiner Dr. Engelbert,
erlitten, der nah ganz kurzer Krankheit am 5. einer heftigen Lungenentzündung
erlag. Im Jahre 1830 geboren, machte der Verewigte seine Studien in Würzburg,
Marburg und Berlin, und wurde nach Beendigung derselben als Rabbiner nach
Elberfeld gewählt. Im Jahre 1866, als die hiesige israelitische Gemeinde gegründet
wurde und man das Bedürfnis nach einem Seelsorger fühlte, der der neuen
aufgeklärten Richtung huldigte, wurde derselbe nach St. Gallen berufen und hat
bis zu seinem Tode mit seltener Hingebung seinem Berufe obgelegen und durch
seinen Einfluss und seine Liebenswürdigkeit, sowie durch die schöne Tugend,
jede religiöse Überzeugung zu achten, den Frieden der Gemeinde gefördert und
sich allgemeiner Achtung und Ehrerbietung erfreut. Durch seine Anregung gab es
Anlass zur Schaffung verschiedener Wohltätigkeitsvereine in der Gemeinde und
war stets auf seinem Posten, wenn es galt, Armen und Bedrängten beizustehen.
Aber nicht nur in seiner Not zu lindern suchen, sondern auch in unserer Stadt beteiligte er sich an ähnlichen
Bestrebungen und war ein tätiges Kommissionsmitglied der Gemeinnützigen
Gesellschaft des Hilfsvereins und des Kinderhorts, an deren Gedeihen er regen
Anteil nahm. Sein liebenswürdiges und bescheidenes Auftreten verschaffte ihm
die Achtung aller, die ihn kannten, und viele Freunde und Bekannte werden ihn
noch lange vermissen und sein Andenken in Ehren halten. – Engelbert hat in früheren
Jahren vielfach literarisch sich betätigt. Von ihm erschienen: 'Das negative
Verdienst des Alten Testaments um die Unsterblichkeitslehre', 'Ist das Schächten
der Tiere nach jüdischem Ritus wirklich Tierquälerei?', 'Statistik des
Judentums im Deutschen Reiche' usw. Er war in seiner Gemeinde sehr beliebt und
gehörte der freisinnigen Richtung innerhalb des Judentums an. Er ruhe in
Frieden."
Kritische Würdigung
von Rabbiner Dr. Engelbert Anmerkung:
erschienen in der konservativ-orthodoxen Zeitschrift "Der
Israelit".
Eine
kritische Würdigung von Rabbiner Dr. Engelbert findet sich in der konservativ-orthodoxen
Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Februar 1900: "Der Rabbiner der hiesigen
Gemeinde, Herr Dr. Engelbert, ist im Alter von 71 Jahren gestorben. Seine langjährige
hiesige Wirksamkeit hat dem religiösen Verfall der hiesigen Gemeinde nicht zu
steuern vermocht; ja, sie hat denselben noch vielfach gefördert. Vor ca. 16
Jahren hat derselbe die Mitglieder seiner Gemeinde zur Abschaffung des zweiten
Feiertags aufgefordert; einer Aufforderung, welcher jedoch die Gemeinde nicht
entsprach. Als Anfang der sechziger Jahre (1860er-Jahre) der Ausübung der
Schechita hier Schwierigkeiten bereitet wurden, ist er in zwei verschiedenen
Broschüren für diese Institution mit Eifer und nicht ohne Erfolg eingetreten.
Die Leichenrede hielt der Rabbiner der Züricher Reformgemeinde Herr Dr.
Littmann".
Dr. Emil Schlesinger wurde zum Rabbiner der
israelitischen Religionsgenossenschaft in St. Gallen gewählt (1900) Anmerkung: Dr. Emil Schlesinger (geb. 1874 in Dombrau,
Österreichisch-Schlesien, heute Dąbrowa, gest. 1938 in St. Gallen):
studierte in Breslau; zunächst Rabbiner in Elbing (Elbląg), seit 1900
Rabbiner in St.
Gallen.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. April
1900: "Dr. Emil Schlesinger vom Breslauer Seminar wurde zum
Rabbiner der israelitischen Religionsgenossenschaft in St. Gallen gewählt."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Dezember 1872:
"Die Stelle eines Vorbeters und Schächters, Chasan und Schochet,
die mit einem jährlichen Gesamteinkommen von Frs. 1.000 verbunden ist und
zum Betrieb eines Nebengeschäfts genügend freie Zeit übrig lässt, ist
in hiesiger Gemeinde Anfangs Februar kommenden Jahres zu besetzen.
Qualifizierte Bewerber wollen sich schleunigst melden beim Rabbiner Dr.
Engelbert. St. Gallen (Schweiz), im Dezember 1872."
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. Januar 1873:
"Die hiesige schon im März dieses Jahres ausgeschriebene Vorbeter-
und Schächterstelle, die mit einem jährlichen Gesamteinkommen von 1.000
Frcs. verbunden ist und zum Betriebe eines Nebengeschäfts genügend freie
Zeit übrig lässt, wird erst mit dem 1. Februar dieses Jahres
vakant.
Qualifizierte Bewerber wollen sich schleunigst melden beim Rabbiner Dr.
Engelbert. St. Gallen (Schweiz), im Dezember 1872."
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 26. August 1873:
"Für die bevorstehenden hohen Festtage sucht die hiesige Gemeinde
einen Vorbeter, der die Gebete würdig vorzutragen versteht. Sollte
derselbe auch die Qualifikation zum Schächten besitzen, so dürfte er konvenierenden
Falles hier eine dauernde Stelle finden.
Frankierte Anmeldungen sind schleunigst zu richten an St. Gallen,
im August 1873. Rabbiner Dr. Engelbert."
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 22. Juni 1880: "Die hiesige Kantor- und
Schochetstelle ist neu zu besetzen. Jahresgehalt Frcs. 12-1400 nebst
einigen hundert Frcs. Nebeneinkommen.
Unverheiratete Bewerber mit angenehmer Stimme, die etwas musikalisch und
im Schächten geübt sind, wollen sich unter Einsendung ihrer Zeugnisse
baldigst wenden an
St. Gallen (Schweiz), im Juni 1880. Rabbiner Dr. Engelbert."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Dezember 1890:
"Gesucht wird nach St. Gallen ein lediger, gebildeter Mann,
der das Examen als Kantor, Schächter und Religionslehrer mit
Erfolg bestanden hat. - Anstellung per Frühjahr 1891. Salair Anfang
1.000-1.200 Francs nebst freier Kost.
Offerten nebst Zeugnissen bittet man zu richten an M. Mayer-Rothschild,
St. Gallen (Schweiz)."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Oktober 1891:
"In hiesiger Gemeinde ist per 1. April 1892 die Stelle eines Kantors
und Schächters zu besetzen. Fixes Gehalt Frcs. 2.000 und
garantiertes Nebeneinkommen Frs. 3-400 p.a. Unverheiratete Bewerber, die
musikalisch gebildet, dabei gewandt und geübt im Schächten und befähigt
sind, eventuell auch Unterricht im Hebräischen zu erteilen, wollen unter
Einsendung ihrer Zeugnisse sich baldigst wenden an Rabbiner Dr. Engelbert
in St. Gallen (Schweiz)."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 28. März 1876: "St. Gallen, 12. März
(1876). Dass hierorts die Bemühungen gegen das rituelle Schächten der
Juden noch nicht aufgehört haben, geht aus einem Berichte hervor, über
die letzten Verhandlungen des hiesigen Regierungsrates, den die 'St.-Galler-Zeitung'
enthält: 'Das Polizeidepartement legt eine Botschaft an den Großen Rat
vor, betreffend Verbot des Schächtens, welche mit dem Antrag schließt,
es wolle der Große Rat den Beschluss vom 27. November 1866 dahin
modifizieren, dass zwar der israelitischen Genossenschaft die freie
Ausübung des Gottesdienstes gewährleistet bleibe, jedoch unter
Ausschluss und mit Verbot des mit den staatlichen Gesetzen und Verordnungen
über Tierquälerei im Widerspruch stehenden Schächtens.' Ist es nicht
eine hohe Gnade des St. Galler Polizeiamtes, schweizerischen Bürgern den
Gottesdienst gestatten zu wollen? Warum soll es nicht diese Gnade an
Bedingungen knüpfen, wie se ihm gefallen? Es ist nur gut, dass es doch
noch eine Oberinstanz gibt, welche über die Ausführung der
Bundesverfassung wacht!"
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. April
1876: "St. Gallen, 24. März (1876). Dringende Bitte in
der Schächtangelegenheit.
Bekanntlich hat der schweizerische Bundesrat die Aufhebung des hierorts
erlassenen Schächtverbots damit motiviert, dass, so lange das Statut der
hiesigen israelitischen Gemeinde, durch dessen Genehmigung seitens des
Großen Rats als der obersten Kantonsbehörde die Aufrechthaltung des
Schächtinstituts gewährleistet ist, zu recht besteht, die
jüdisch-rituale Schlachtweise von einer untergeordneten Behörde nicht
als eine gesetzwidrige bezeichnet werden kann und darf. Hierauf hat nun
der hiesige Regierungsrat beschlossen, an den Großen Rat den Antrag zu
bringen, unserem Gemeindestatut, in so weit es sich auf das Schächten
bezieht, welches im Vergleich mit der Brüneau'schen Schlachtmethode (Bouterole)
als Tierquälerei zu betrachten sei, die Genehmigung zu entziehen.
Es tritt sonach aufs Neue die Aufgabe an uns heran, den diesbezüglichen
regierungsrätlichen Bestrebungen auf das Entschiedenste und
Nachdrücklichste entgegen zu arbeiten und mit allen uns zu Gebote
stehenden Mitteln dahin zu wirken, dass besagtes Gemeindestatut in seiner
Integrität uns erhalten bleibe. Zu diesem Behufe beabsichtigen wir nicht
nur fachwissenschaftliche Gutachten über das Schächten im Vergleich mit
der Bouterole, sondern auch Berichte über die bezüglich letzteres
gemachten Erfahrungen einzuholen, zu sammeln und in einer dem Großen Rat
einzureichenden Druckschrift zu veröffentlichen.
Selbst die engagiertesten Anhänger der Brüneau'schen Methode müssen
zugehen, dass bei Ausübung derselben nicht selten durch unrichtiges
Anlegen der Maske, durch schiefes Eintreiben des Bolzens etc. Störungen
vorkommen, die mit den größten Qualen des zu schlachtenden Tieres und
mit nicht geringer Gefahr für die Umgebung verbunden sind. Solche Vorkommnisse
machen es leicht erklärlich, wenn die Bouterole in gar manchen
Schlachthäusern sich nicht dauernd einzubürgern vermochte und ein
großer Teil der christlichen Metzger sich keineswegs mit ihr befreunden
kann; sie bilden aber auch den schlagendsten Beweis für die
Grundlosigkeit der regierungsrätlichen Behauptung und Anklage.
Wir erlauben uns daher an die verehrlichen Gemeindevorsteher, Rabbiner und
Lehrer in den in- und ausländischen Städten, wo die mehrerwähnte
Bouterole eingeführt war, sich aber nicht praktisch bewährt hat und
deshalb wieder abgeschafft wurde, oder wo dieselbe noch heute, jedoch aus
dem angegebenen Grunde nicht allgemein angewendet wird, die ebenso
ergebene, als dringende Bitte zu richten, sich gefälligst eine schriftliche,
diesen zweifelhaften Erfolg oder tatsächlichen Misserfolg konstatierende
Erklärung von Seiten der dem Schlachthause vorgesetzten Behörde
schleunigst verschaffen und betreffenden, womöglich amtlich beglaubigten
Beleg dem Unterzeichneten umgehend einsenden zu wollen.
Schon in den nächsten Monaten wird der Große Rat hier tagen und
unterliegt es keinem Zweifel, dass im Falle der Annahme obigen Antrags es
ungleich schwieriger werden dürfte, die nicht nur hier in der Schweiz,
sondern auch in den benachbarten deutschen Staaten dem Schächtinstitut
drohende Gefahr abzuwenden. Mögen daher die erbetenen Beiträge zur
Erreichung unseres Zieles recht zahlreich und, da die Zeit drängt,
baldmöglichst uns zukommen. St. Gallen, im März 1876. Dr.
Hermann Engelbert, Rabbiner."
Ein durch ein jüdisches Gemeindeglied veranlasster
Vorfall führte zu einer "Judenhetze" (1883)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 10. Juli
1883: "St. Gallen, 23. Juni (1883). Ein ärgerlicher Vorfall,
der sich hier ereignete, wird, weil er einen Juden betraf, auswärts auf
antisemitische Motive ausgelegt werden, was aber nicht zutreffend ist. Ein
gewisser Bamberger, der sich vor einiger Zeit hier niedergelassen und ein
Konfektionsgeschäft etabliert hat, schrieb in ein Journal Artikel, welche
die Ausstellung in Zürich in sehr ungünstiges Licht stellten. Hiergegen
erhob sich das 'Tagblatt' in aufreizendster Weise. Am Abend sammelte sich
ein Haufe vor dem Hause des ungeschickten Publizisten, um ihm eine
Katzenmusik zu bringen. Die Polizei verhaftete einen Unruhestifter und nun
rottete sich das Volk zusammen, teils um den Verhafteten zu befreien,
teils um den Laden Bambergers zu zerstören. Von der Zerstörung ging man
zur Plünderung über und bald verschwanden alle Vorräte desselben.
Bamberger selbst war gar nicht in der Stadt. Den angerichteten Schaden
muss die Stadt ersetzen."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 31. Juli 1883: "St. Gallen, Mitte Juli
(1883). Die in jüngster Nummer dieser geschätzten Zeitung ausgesprochene
Vermutung, dass die hiesige Skandalszene auf antisemitische Motive wird
ausgelegt werden, hat sich vollauf bestätigt. Sowohl in als ausländische
Blätter gaben teils ihre besondere Genugtuung, teils ihr tiefes Bedauern
zu erkennen, dass nun auch die freie Schweiz dem antisemitischen Treiben
ihre Tore geöffnet und sich der Triple-Alliance
(Preußen-Russland-Ungarn) angeschlossen habe. Umso mehr erscheint es
angezeigt zu konstatieren, dass alle die Berichte von einer hier
stattgehabten 'Judenhetze' auf Übertreibung und Entstellung der
Tatsache beruhen. Nicht dem p.p. Bamberger als Juden, sondern als
Verfasser der erwähnten anstößigen und verletzenden Zeitungsartikel -
worin den Schweizern sogar Fremden- resp. Deutschenhass vorgeworfen ward
-, sowie auch als Inhaber eines sogenannten, schon wegen seiner Eigenart
missliebigen 'Abzahlungsgeschäfts' galt der Tumult mit seinen
bedauerlichen Ausschreitungen. Letzterer kann somit auch nur als Folge des
Bamberger'schen geschäftlichen, wie schriftstellerischen Vorgehens
betrachtet werden - 'wer Wind säet, wird Sturm ernten' - keineswegs als
als Symptome einer antisemitischen Infektion.
Während die Untersuchung im Gange ist, hat Bamberger zur Beleuchtung der
ganzen Affäre und zu seiner Rechtfertigung eine 'Erklärung'
veröffentlicht, die einen ziemlich guten Eindruck gemacht hat. Man sieht
allmählich ein, dass man behufs einer wohlverdienten Zurechtweisung doch
zu weit gegangen ist und fängt an - sich zu
schämen."
Über die jüdische Gemeinde in St. Gallen - eine
orthodox geprägte Gruppe beginnt sich zu organisieren (1891) Anmerkung: der in der konservativ-orthodoxen Zeitschrift "Der
Israelit" ist gegenüber der liberal geprägten Gemeinde in St. Gallen sehr
kritisch geschrieben; der Verfasser erhofft sich von einer Gruppe frömmerer
Gemeindeglieder eine Besserung der Verhältnisse.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 8. März 1891: "Am meisten 'fortgeschritten' ist unter allen
jüdischen Gemeinden der Schweiz diejenige von St. Gallen. Hierzulande
gibt es immer noch naive Leute, die in Ermangelung wahrer Bildung und
wirklichen Wissens in der Unreligiosität ihren 'Fortschritt' erblicken.
Was man sich von den Zuständen in St. Gallen erzählt, klingt geradezu
märchenhaft. Wenn auch nur die Hälfte davon wahr ist, so kann St. Gallen
noch mit der radikalsten deutschen Reformgemeinde erfolgreich
konkurrieren. Und selbst dort fehlt's nicht an Anzeichen, dass der Abfall
von Gott und seinem Gesetze doch den Höhepunkt längst überschritten
hat. Eine stattliche Anzahl von Gemeindemitgliedern, die weit davon
entfernt sind, sich als orthodox zu gerieren, hat sich dort zu einer
Gesellschaft zusammengetan, um den schreiendsten Missständen wenigstens
entgegenzutreten. Sie haben einen Schochet und Lehrer engagiert,
damit ihre Kinder wenigstens etwas Jüdisches lernen und damit sie doch koscher
leben können. ebenso haben sie einen Metzger engagiert, der an Schabbat
sein Geschäft geschlossen hält und auch eine Restauration eröffnen
wird, die allen Ansprächen des Religionsgesetzes zu genügen bestrebt
sein soll. Mögen die wackeren Männer das Ziel, welches sie sich gesetzt
haben, in schönster Weise erreichen und möge ihnen Gottes Beistand
dafür zur Seite stehen."
Vortrag über das Schächten im städtischen
Tierschutzverein (1893)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. März
1893: "St. Gallen. (Hauptversammlung des städtischen
Tierschutzvereins vom 22. vorigen Monats). Nach Darlegung des
Rechenschaftsberichtes folgte die Versammlung mit lebhaftem Interesse dem
Vortrage des Präsidenten Zuppinger über die Schächtfrage mit Rücksicht
auf die Initiative betreffs Änderung der Bundesverfassung in dem Sinne,
dass jedes Schlachttier vor dem Blutentzuge zu betäuben sei. Das Schächten,
so führt Redner aus, wird von den Juden als ein religiöser Akt
betrachtet, Beweis hierfür sind die einstimmigen Aussagen der
strenggläubigen Juden der Schweiz und des Auslandes. Es steht nun anderen
Konfessionen oder Religionsgemeinschaften das Recht nicht zu, zu
entscheiden, was Andersgläubige als religiöse Gebräuche erklären
dürfen, sofern sich letztere innerhalb des
Rahmen
der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung halten. Letztere werden durch
das Schächten in keiner Weise verletzt; dasselbe ist keine Tierquälerei.
Diese Schlachtmethode ist nicht schmerzhafter, als die anderen üblichen
Schlachtmethoden, und das vielerorts übliche Abstechen von Kleinvieh
ungleich qualvoller für das Schlachttier. Keine Schlachtmethode ist
übrigens im Stande, alle Schmerzempfindungen des zu tötenden Tieres zu
verhindern. Als eine bittere Ironie auf die in Frage stehende
Initiativbewegung muss es denn auch erscheinen, dass die Todesstrafe in
der Schweiz noch zu Recht besteht, und, wie der traurige Fall Gatti
beweist, auch vollzogen wird. Der Verbrecher steht als Mensch ungleich
höher als das Tier.
Ein Umstand, der freilich gegenüber den bereits angeführten Gründen nur
nebensächlicher Natur ist, verdient doch auch beachtet zu werden,
nämlich, dass durch das Schächten der Blutentzug ein viel größerer
ist, als beiden anderen Schlachtarten. Dadurch wird das Fleisch haltbarer,
weil das im Körper des geschlachteten Tieres zurückbleibende Blut den
Zersetzungsprozess nicht unwesentlich beschleunigt.
Die Ausführungen des Referenten stützten sich auf die Forschungen und
Aussagen anerkannter Autoritäten, und es wird den Gegnern des Schächtens
wohl nciht leicht möglich werden, dieses Beweismaterial zu entkräften.
Der Referent erklärt sich als Gegner der Initiative des schweizerischen
Tierschutzvereins, tritt lebhaft für den Grundsatz der Gewissensfreiheit,
wie solche in der Bundesverfassung Artikel 49/50 garantiert ist, ein, und
erwartet, die Mehrheit des Schweizervolkes werde in Übereinstimmung mit
den Entscheiden seiner obersten Behörden eine gleiche Haltung
einnehmen.
Der treffliche Vortrag fand allgemeine Zustimmung und nach einiger
Diskussion wurden die Verhandlungen geschlossen."
Im Kanton St. Galen dürfen keine
Hausiererpatente mehr an russische Juden erteilt werden (1905)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Juni 1905: "Der Regierungsrat hat an die Bezirksämter des Kantons
St. Gallen ein Kreisschreiben des Inhalts erlassen, dass vom 2. Mai
laufenden Jahres angefangen an russische Juden keine Hausiererpatente
(auch keine Erneuerungen) mehr zu erteilen sind."
An die jüdische Schule des Zionistenvereins "Ahavath
Zion" wird Dr. L. Gottselig berufen (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2.
Februar 1912: "St. Gallen (Schweiz). An die von dem
Zionistenverein 'Ahavath Zion' begründete jüdische Schule wurde Dr.
phil. L. Gottselig berufen."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Mai 1893: "Wangen
(Baden), 24. April (1893). Vorigen Donnerstag fand in Gailingen
unter großer Teilnahme von Nah und Fern die Beerdigung von Frau Fanny Gut
statt. Mancher Leser des "Israelit" wird mit Wehmut ihrer
gedenken. Denn die Wohnstätte der Verblichenen wurde in ihrem früheren
Aufenthaltsorte St. Gallen von gesetzestreuen Glaubensgenossen seinerzeit
gerne aufgesucht, wo sie als wahrhaft fromme Priesterin des Hauses
waltete. Unbemittelten war zu jeder Zeit diese gastfreundliche Stätte
geöffnet. Manche haben daselbst Labung für den Körper, Trost und
Aufmunterung für die Seele gefunden. Für das Wohl der Ihrigen war der
Verstorbenen kein Opfer zu schwer und kein Mittel zu groß. Mit recht
konnte der Herr Rabbiner am Schlusse seiner Rede sagen: 'Mit ihr wurde ein
Stück echt jüdischen Lebens und Strebens zu Grabe
getragen.'"
Nach der Friedhofsdokumentation Bamberger zum
Friedhof Gailingen Nd. II S. 188 Grab Nr. 281 ist Fanny Gut geb.
Rothschild am 18. April 1893 im Alter von 75 Jahren gestorben. Sie ist
geboren in Worblingen als Tochter
des Handelsmannes Baruch Rothschild und seiner Frau Rachel geb. Ochs. Sie
war verheiratet mit Daniel Gut. Ihr Grab in Gailingen ist
erhalten.
Schulratspräsident Dr. Reichenbach wird in den
gallischen Kantonsrat gewählt (1906)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 4. Mai 1906: "St. Gallen. Schulratspräsident Dr.
Reichenbach ist mit 2393 Stimmen von 4358 abgegebenen Stimmen in den
gallischen Kantonsrat gewählt worden."
Jules Wohlgenannt wird Bezirksrichter der Stadt (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 2. August 1912: "St. Gallen (Schweiz). J. Wohlgenannt,
Vorstandsmitglied der israelitischen Gemeinde, ist zum Bezirksrichter
der Stadt gewählt worden."
Anmerkung: es handelt sich um Jules
Wohlgenannt, der als Bezirks- und Handelsrichter, Amtsvormund und
Mitverwalter des Zuchthauses an der St. Jakob-Strasse sowie lange Zeit
Präsident der Jüdischen Cultusgemeinde tätig war. 1905 ließ er sich
durch den Baumeister Willi Heene eine Jugendstilvilla an der
Tigerbergstraße erbauen (Villa Fiorino). Nähere Informationen zu ihm und
seiner Familie über einen Presseartikel von Brigitte Schmid-Gugler aus
der Zeitschrift "Der Rheintaler" vom 9. September 2009 (Artikel):
eingestellt
als pdf-Datei.
In einer Familie der Gemeinde leben gleichzeitig fünf
Generationen (1912)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 22.
November 1912: "St. Gallen.Fünf Generationen. Es
kommt gewiss selten vor, dass fünf Generationen gleichzeitig am Leben
sind. Dieser seltene Fall ist in unserer Gemeinde zu verzeichnen. Dem
jüngst geborenen Töchterchen des Herrn Alfred Wolffers leben von
mütterlicher Seite her Mutter, Großmutter, Urgroßmutter und
Ururgroßmutter. Die Ururgroßmutter, Mutter von 22 Kindern, ist 89 Jahre
alt, die Urgroßmutter 67, die Großmutter 42 und die Mutter 22
Jahre."
Zum Tod von Naftali Sternbuch, wichtige Persönlichkeit
der orthodoxen jüdischen Gemeindeglieder (1937)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Januar
1937:
"N. (nicht M.) Sternbuch - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen.
St. Gallen (Schweiz), 13.Januar (1937). Kurz vor Schluss der Redaktion
kommt die erschütternde Nachricht aus St. Gallen (Schweiz), dass dort N.
Sternbuch plötzlich an einem Schlafanfall verschieden ist. Die
Trauerkunde wird in weiten Kreisen tiefen Schmerz und ehrliche Trauer
auslösen.
N. Sternbuch war ein Jude von chassidischer Prägung und eine Führernatur
von großer Energie und Tatkraft. Seiner großen Toragelehrsamkeit
entsprach seine tiefe Frömmigkeit. Wie früher in Basel, so führte er
auch später in St. Gallen ein jüdisch-fürstliches Haus, das
Jedermann offen stand und eine Pflanzstätte von Tora und Gottesdienst war.
Ein Philanthrop von großem Ausmaße, war er nicht allein auf Abhilfe
materieller Not bedacht, seelische Not zu lindern, war er stets am Platze.
Er gehörte zu den Führern der Agudas Jisroel und war ihr mit Leib
und Seele verbunden. In seiner Gemeinde St. Gallen errichtete er auf
eigene Kosten das rituelle Bad, um der Familienreinheit aller, die in
dieser Gemeinde und Umgebung noch treu zum Gesetze halten, zu
dienen.
Der Stolz seines Lebens war die Jeschiwa in Montreux, deren
Begründer und Leiter, Rabbi Botschko, sein Schwiegersohn, deren
fürsorgliche Mutter seiner Tochter ist. Nicht minder wie andere Söhne
und Töchter, die im Geiste des Vaters leben und ihre Häuser führen. Der
Schmerz ist zu groß und die Wunde zu frisch, um die Persönlichkeit und
das Wirken N. Sternbuchs heute im Einzelnen zu schildern. Möge die
aufrichtige Teilnahme min den weitesten Kreisen am schweren Schlage, der
die Familie betroffen hat, dieser ein Trost sein und ihr die Gewissheit
bieten, dass der Name Sternbuchs nicht vergessen und sich noch lange Jahre
zum Segen in der Nachwelt auswirken sind. Das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Januar
1937: "Rabbi Naftali Sternbuch - das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen.
St. Gallen, 17. Januar (1937). Am 29. Tewes durcheilte die
gesetzestreue Judenheit die erschütternde Kunde vom plötzlichen
Hinscheiden des weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten
Naftali Sternbuch. Jeder empfand den Verlust wie persönlichen
Schmerz.
In Kischinew als Sohn einer aristokratischen Familie geboren und auf dem
Boden eines russischen Torazentrums aufgewachsen, war Rabbi Naftali
Sternbuch schon in jungen Jahren durch sein phänomenales Gedächtnis und
seinen Scharfsinn allgemein bekannt. Den Kaufmannsberuf ergreifend, machte
er sein Haus an der Seite seiner edlen Gattin zu einem Kleinen
Heiligtum, in dem Tag und Nacht Hilfe gesucht und gefunden wurde. Nach
dem großen Pogrom in Kischinew wanderte Naftali Sternbuch vor 35 Jahren
(1902) nach Basel aus. Bald verband ihn eine innige Freundschaft
mit dem Basler Raw, Dr. Arthur Cohn - das Andenken an den Gerechten ist
zum Segen, der in dem großen Talmudgelehrten und Gottesfürchtigen
eine ausgezeichnete, vorbildliche Führernatur großen Formats erkannte.
Infolge seiner Herzensgüte und seiner außergewöhnlichen Gewissenhaftigkeit
wurde er von allen Kreisen, von Juden und Nichtjuden, gleich hoch
respektiert. Der Name Sternbuch bedeutete ein Programm.
Als in Kattowitz der Grundstein zur Agudas Jisroel gelegt wurde,
trat Rabbi Naftali Sternbuch mit der Festigkeit und Unbeugsamkeit seines
Charakters an der Seite der damaligen Gaonim in die vorderste Reihe, und
bis zu seinem letzten Atemzuge hing er mit jeder Faser seines Herzens an
dem Agudaideal. Die Agudas Jisroel verliert in ihm einen ihrer
markantesten Kämpfer und überzeugtesten Anhänger. Seiner chassidischen
Neigung entsprechend, gründete er sich ein eigenes Minjan, und bald wurde
sein Haus wieder, speziell nach dem großen Kriege, als die vielen jungen
jüdischen Flüchtlinge in die Schweiz kamen, zu einem Zentrum jüdischer
Menschen. Als der Basler Raw seine Augen für immer schloss, übersiedelte
Rabbi Sternbuch nach St. Gallen, dem Orte seiner bedeutenden
geschäftlichen Unternehmungen, und die Freunde seines Basler Kreises
verbanden sich nachher bald in der durch die Initiative des Herrn Salli
Guggenheim ins Leben gerufenen Israelitischen
Religionsgesellschaft.
In St. Gallen entwickelte sich das Sternbuch'sche Haus zu dem
exponiertesten toratreuen Bollwerk der Schweiz. Von allen Enden des
jüdischen Galut strömten hilfsbedürftige Menschen zu dem großen
einzigartigen Philanthropen, und nicht selten mussten die eigenen Kinder
den Meschulochim ihre Schlafplätze überlassen, da man ja jeden Fremden
als ein Mitglied des Hauses ansah. Mit welchem Stolz zeigte Naftali
Sternbuch seinen Besuchern die eigene Mikwe, die eine Sehenswürdigkeit
eigener Prägung ist. Man muss Rabbi Sternbuch 'dawnen' gesehen haben, um
sich einen Begriff von dem großen Zidkut (hier wohl: umfassende
Wohltätigkeit gepaart mit Frömmigkeit) dieser Persönlichkeit zu
machen. Für jede einzelne Mizwoh (religiöse Weisung) wusste er seine
ganze Kraft einzusetzen. Und wer nur einmal einen Blick in seine
grenzenlose Menschenliebe erhalten hatte, erkannte erst das goldene Herz
eines großen Menschen. Mein seiner faszinierten Begeisterungsfähigkeit
riss er alle mit. Es war ein Feuer in ihm, das auch auf andere
hinausströmte und sie zur Ausübung göttlicher Mizwot hinriss.
Sein geschärfter Geist blieb auch bei seinem jüdischen Wissen nicht
stehen. Jeden Morgen stand er um 4 Uhr zum Lernen auf, und wer Gelegenheit
hatte, seinen talmudischen Ausführungen zu lauschen, bewunderte seinen Scharfsinn
und sein Bewandertsein.
Wollten wir Rabbi Sternbuch im einzelnen schildern, wir müssten die
patriarchalische Gestalt zeichnen, vor der sich jeder ehrfurchtsvoll
verneigte, seine äußere und innere Ausgeglichenheit, die sprudelnde
Quelle von Wahrheit, liebe und Güte in ihm beschreiben, von dem
jüdischen Stolz und der jüdischen Demut, der Vornehmheit und
Aufrichtigkeit,
die
diesen Mann auszeichneten, berichten. - Verwaist und verlassen stehen nun
seine Kinder und Enkel da, die die Freude seines Lebens waren und die nun
die Krone ihres Hauptes verloren haben.
Hatte doch der Verewigte das seltene Verdienst, Kinder der Welt zu
schenken, von denen jedes eine Persönlichkeit für sich ist. Erst vor
einem Jahre wurde die Familie Sternbuch so furchtbar heimgesucht und nur
das ungeheure Gottvertrauen konnte den Schmerz der Eltern lindern, und nun
steht die teure, ihm ganz ebenbürtige Gattin wieder vom Leid
niedergedrückt da.
Unter außerordentlicher Anteilnahme des In- und Auslandes wurde Rabbi
Naftali Sternbuch auf dem Friedhofe der Israelitischen Religionsgesellschaft
in Zürich zu Grabe getragen. Herrn Rabbiner Kornfein sprach im
Namen der Gemeinde und der Aguda und gab in bewegten Worten der großen Trauer
Ausdruck. Als der Schwiegersohn, Rabbi E. Botschko in herzerreißender
Weise die letzten Grüße und Gelöbnisse der Familie überbrachte, blieb
kein Auge tränenleer. Der letzte Redner, Herr Rabbiner Dr. Heinrich
Cohn, Berlin sprach im Namen eines großen Freundeskreises in bewegten
Worten. Letzten Sonntag fuhren wiederum eine größere Anzahl von Freunden
von allen Städten der Schweiz nach Montreux, wo die Trauernden die
Schiwa halten. Hespedim (Trauerreden) hielten die Herren Oberrabbiner
Rottenberg, Antwerpen, Herr Blech, Zürich, Herr Aschekenasi,
Wien und Herr Dr. Ascher, Bex, wie auch der Enkel Moses Botschko.
Mögen die schwer geprüften Hinterbliebenen sich im Bewusststein erheben,
einen Gatten und Vater gehabt zu haben, der heute als Großer in Israel
allgemein beweint wird. Sein Verdienst wird ihnen auch weiter beistehen. Das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Ph-d."
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 12. Mai 1869: "In einem israelitischen Manufakturwarengeschäfte
der Schweiz wird ein mit guten Zeugnissen versehener Reisender
gesucht. Solche, welche die Schweiz schon bereist haben, erhalten den
Vorzug. Offerten unter Chiffre B.W. 51 befördert die Annoncen-Expedition
von Haasensein & Vogler in St. Gallen".
Anzeigen des koscheren Restaurants Günther
(1891)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Juni
1891:
"Koscher - Restaurant Günther - Koscher, St. Gallen
(Schweiz).
Allen die Schweiz besuchenden Reisenden und Kaufleuten sei hiermit das israelitische
Restaurant Günther, Badianstraße 26, bestens empfohlen."
Anzeigen der Metzgerei und Viehhandlung Günther-Bollag
(1898 / 1905)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August 1898:
"Gesucht nach der Schweiz ein braver, tüchtiger Metzger.
Offerten sind zu richten an
Günther-Bollag, St. Gallen."
Anzeige
in "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 7. Juli
1905:
"Suche zum sofortigen Eintritt jungen anständigen
Metzgerburschen.
Reisevergütung. Offerten an Günther-Bollag,
Metzgerei und Viehhandlung, St. Gallen
(Schweiz)."
Anzeige des Damenkonfektionshauses Harry Goldschmidt
(1924)
Artikel in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 13. September 1924: "Nach der
Schweiz.
Wir suchen für sofort eine tüchtige Schneiderin
aus der Konfektionsbranche, die im Abändern und Neuanfertigen von
Kostümen, Mänteln und Kleidern durchaus bewandert ist. - Für
erstklassige Damenschneiderin angenehme, dauernde Stellung. -
Einreisebewilligung wird besorgt. - Harry Goldschmidt, St. Gallen (Schweiz). Größtes
Damenkonfektionshaus der Ostschweiz."
Verlobungsanzeige von Renée Pappenheim und Nuchim
Sternbuch (1936)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 10. September 1936:
"Gott sei gepriesen.
Renée Pappenheim - Nuchim Sternbuch. Ing. Dipl.
chem.
Pressburg - St. Gallen.
Eine gute Einschreibung und Versiegelung*".
* = Wunsch zum Neujahrsfest, 1936 am 17./18. September.
Die nach St. Gallen zugezogenen jüdischen Familien richteten sich zunächst
einen Betsaal ein in einem gemieteten Raum im Hinterhof des Hauses der
Familie Stein. Dieser Betsaal wurde am 9. September 1866 eingeweiht.
Überlegungen zur Einrichtung eines Betsaales
(1863/64)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 22. Dezember 1863: "In St. Gallen wohnen
circa 30 israelitische Familien, die jetzt daran denken, sich einen Betsaal
einzurichten; aber die einen sind so tolerant, dass sie einen Sabbat- und
einen Sonntagsgottesdienst einführen lassen wollen, die anderen jedoch
sind so fortschrittlich, dass sie keinen Sabbat-, sondern nur einen
Sonntagsgottesdienst zugeben wollen. Auf welcher Seite zieht da wohl die
Waagschale der Bildung und Humanität?"
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
12. April 1864: "St. Gallen, 28. März (1864). Den
verschiedenen Gerüchten darüber, welche über die Bildung einer
israelitischen Gemeinde am hiesigen Orte laut geworden und auch in diese
Zeitung übergegangen sind, können wir heute versichern, dass die hier
wohnenden Israeliten durchaus nicht beabsichtigen, den Samstag auf den
Sonntag zu verlegen. Wohl aber wird die Gründung der Gemeinde, die
Einführung eines den Ansprüchen der Zeit und den Anforderungen des Ortes
entsprechenden Gottesdienstes und die Akquisition eines Gottesackers mit
Energie betrieben und darf man sich der Hoffnung hingeben, dass der Eifer
der Männer, welche an der Spitze stehen und mit der Organisation der
Gemeinde betraut sind, die einzelnen Schwierigkeiten überwinden und ein
günstiges Resultat in kurzer Zeit erzielen
wird."
Die Einweihung der ersten Synagoge am Sonntag, 9. September
1866
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 2. Oktober 1866:
"St. Gallen, 13. September (1866). Am Tage vor dem Rosch-haschana-Feste (sc.
jüdisches Neujahrsfest am 1./2. Tischri 5627 = 10./11. September 1866) wurde
hier die neue Synagoge eingeweiht. Ohne hier auf die oft beschriebenen
Zeremonien einzugehen, wollen wir nur die Äußerungen eines hier erscheinenden
Blattes 'Der Säntis' wiedergeben. Er sagt: 'Letzten Sonntag wurde die
hiesige Synagoge zum ersten Mal besucht. Gleichzeitig feierten die Israeliten
ihren Jahreswechsel 5626-5627. Außer den festfeiernden Israeliten waren auch
Katholiken und Protestanten anwesend, welche von dem Vortrag des Rabbiners sehr
befriedigt waren und den Wunsch nicht unterdrücken konnten, dass alle ihre
Geistlichkeit beider Konfessionen ihre Religionsbegriffe mit ebensoviel Humanität
ihren Kirchangehörigen vortragen möchten, wie dieser Priester einer in der
Welt zerstreuten Nation, die seit Jahrhunderten in ihren Rechten beschränkt und
verhindert war, in freier Weise ihren kirchlichen Anforderungen zu genügen.
Zu verwundern ist, dass in einem christlichen und freien Staate, wie die
Schweiz, die vollständige Glaubensfreiheit sich nicht längst Bahn gebrochen
hat. Das Jahr 5627 hat den hiesigen Israeliten in kirchlicher Beziehung eine schöne
Errungenschaft gebracht. Möge diese sich im Geiste der Zeit, ferne vom zöpfischen
Judentum, glücklich entwickeln.'"
Kurz nach der Einweihung der Synagoge: der
eidgenössische Bettag wird auch in der Synagoge begangen (1866)
"Eidgenössischer Bettag" in der Synagoge:
Artikel in der 'Allgemeinen Zeitung des
Judentums' vom 16. Oktober 1866: St. Gallen, 21. September (1866). Der am
letzten Sonntag abgehaltene Bettag zeichnete sich nach Sch.B. dieses Jahr in St-
Gallen durch ein Ereignis aus, das der Erwähnung verdient, weil der tiefere
Sinn desselben von wesentlicher Bedeutung ist. Die hiesigen Israeliten, welche
vor etwa 8 Tagen an ihrem Neujahrsfeste ihren Gottesdienst eröffneten, haben am
Sonntag Vormittag ebenfalls und zwar ausschließlich zu Ehren des eidgenössischen
Bettages einen Gottesdienst abgehalten. Die Feier desselben entbehrte jeder
konfessionellen Form und war fast durchgehends in deutscher Sprache gehalten und
so auch jedem Nicht-Israeliten verständlich und erbauend. Als Rabbiner fungiert
der aus München hierher berufene Herr Dr. Hermann Engelbert, über dessen
Predigt zur Einweihung der Synagoge die 'St. Galler Zeitung' sich sehr
lobend ausspricht.
Im Dezember 1869 vertrat der damalige Präsident der jüdischen Gemeinde,
Hermann Frank, die Ansicht, man müsse für die stark gewachsene Gemeinde eine
neue Synagoge errichten. Er wollte hierfür eine Lotterie veranstalten, um
zumindest einen Teil der notwendigen Gelder für den Bau der Synagoge zu
erhalten. Doch wurde die Durchführung einer solchen Lotterie von den St. Galler
Behörden zurückgewiesen. Erst 1876 wurde der Plan zum Bau einer
Synagoge wieder aufgenommen. Eine großzügige Spende war zu diesem Zweck
eingegangen. Am 1. Juli 1879 entschied sich die Gemeinde nach Abwägung
verschiedener Standort für den Kauf eines Grundstückes im neu entstehenden
Quartier Bleichli.
Erwerb eines Bauplatzes für die neue Synagoge (1879)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 22. Juli 1879: "Bonn, 6. Juli (Notizen).
Man schreibt uns aus St. Gallen: Die hiesige israelitische Gemeinde
hat dieser Tage einen sehr passenden, günstig gelegenen Bauplatz zu einer
neuen Synagoge angekauft und gedenkt demnächst den Bau zu beginnen. So
konsolidiert sich diese junge Gemeinde immer mehr."
Erfolgreiche Bemühungen der Gemeindeverwaltung im Blick auf die Finanzierung
der Synagoge (1880)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. März 1880: "In der hiesigen Synagogenbau-Angelegenheit
entwickelt die Gemeindeverwaltung eine rührige anerkennenswerte
Tätigkeit. Der größte Teil der Synagogensitze ist bereits verkauft und
ergibt sich schon heute ein Erlös von ca. Frs. 25.000; eine drückende
Schuldenlast für die Gemeinde ist sonach nicht mehr zu
befürchten.
Auf den verewigten unvergesslichen Crémieux
werden wohl auch in den Gemeinden Deutschlands Gedächtnisfeier
veranstaltet werden, hier wurde die Purimpredigt zu einer Gedächtnisrede
benuztt mit Zugrundelegung der Schlussworte der Megilla: 'denn
Mordechai der Jehudi, war der Zweite nach dem... usw.' (Esther
10,3)."
Die Grundsteinlegung im Juni 1880 und
Einweihung der neuen Synagoge am 21.
September 1880 Die neue Synagoge wurde 1880/81 durch die
Architekten Chiodera und Tschudy aus Zürich erbaut. Der Grundriss der Synagoge
ist ein regelmäßiges, in ein Quadrat eingepasstes griechisches Kreuz. Die
Fassade an der Frongartenstraße ist in zwei Geschosse gegliedert, ein
niedrigeres Untergeschoss und ein höheres Obergeschoss, die mit einem Gesims
voneinander getrennt sind. Beide Eingangstore und die Fenster sind mit
hufeisenförmigen Bögen versehen ("maurische" bzw. neu-islamische
Architektur) bestimmt. Ursprünglich war die Fassade bunt bemalt und mit
Streifen verziert. Prächtig verziert zeigt sich heute noch die Innenausstattung
der Synagoge, deren zentrale Kuppel von hufeisenförmigen Bögen getragen wird.
Um den Toraschrein finden sich Wandfelder mit maurischen Schuppenmustern
Kurzbericht in der "Allgemeinen Zeitung
des Judentums" zur Grundsteinlegung der neuen Synagoge im Juni 1880: "Wie man
uns aus St. Gallen berichtet, wurde daselbst vergangenen Donnerstag die
feierliche Grundsteinlegung zur hiesigen neuen Synagoge vollzogen. Rabbiner Dr.
Engelbert hielt die mit großem Beifall aufgenommene Ansprache, welche auch das 'Tageblatt der Stadt St. Gallen' wortgetreu mitteilt und in der besonders
die Gleichberechtigung hervorgehoben wird, welche gegenwärtig in der Schweiz
allen Kulten gewährt ist."
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 11. Oktober 1881 zur Einweihung der Synagoge am 21. September
1881:
"... Indem wir heute über die Einweihung von vier Synagogen zu berichten haben,
nämlich zu St. Gallen in der Schweiz, zu Göppingen in Württemberg...., werden
wir der ersteren eine größere Aufmerksamkeit zuwenden, weil dieselbe in der
Ostschweiz die erste Synagoge ist und die Einweihung die Teilnahme der
christlichen Bevölkerung ungewöhnlich in Anspruch nahm. Wir geben daher hier
die Urteile wieder, welche der Referent des 'Tageblatt der Stadt St. Gallen vom 23. September abgab, noch dazu,
da die Feier an sich hier wie überall dieselbe war.
'Auf Mittwoch, Abends 6 Uhr war die Einweihung der von der hiesigen
israelitischen Gemeinde neu erbauten Synagoge angekündigt und fand unter
Teilnahme nicht nur von Angehörigen der Gemeinde, sondern auch einer ziemlichen
Anzahl eingeladener Gäste nicht-israelitischer Konfession statt.
Es war in der Tat eine recht erhebende, echt religiöse Feier. War schon das prächtige,
in edlen Formen und stimmungsvollen Farben ausgeführte Innere des neuen
Gotteshauses dazu angetan, den Eintretenden weihevoll zu stimmen, so wurde die
religiöse Empfindung noch mehr gehoben und getragen durch die Feier selbst.
Nach einem ernsten, edlen Choralgesand einer Anzahl Mitglieder des 'Frohsinn' schritten die Träger der Toras (der Mosaischen Gesetzestafeln)
durch den Tempel, und unter den üblichen Gebeten und Gesängen geschah sodann
das Öffnen der Lade und das Einheben der Toras in dieselbe. Weitere Choralgesänge
folgten, abwechselnd mit Dank- und Weihegebeten.
Die Festpredigt, mit welcher der Rabbiner der Gemeinde, Herr Dr. Engelbert, die
Feier krönte, war ein von solch erleuchtetem, wahrhaft religiösem Geiste
getragener Vortrag, dass wir hätten wünschen mögen, es wäre einem noch größeren
konfessionell gemischten Auditorium vergönnt gewesen, denselben anzuhören; es
würde jeder Zuhörer reich erbaut und belehrt über die vielverkannte jüdische
Lehre von dannen gegangen sein. Der Vortragende gab den Nachweis, dass der
israelitische Kultus ebenso weit entfernt sei von dem ihm so vielfach
imputierten verknöcherten Formalismus, wie sein Bekenntnis fern von
engherziger, beschränkter Intoleranz. Die Synagoge könnte nach dem
tiefinnersten Geist des Judentums ebenso gut ein Gotteshaus sein für alle Völker,
in welchem sie alle ihr Gebet zu Einem und demselben höchsten Wesen empor
sendeten. In begeisterter formvollendeter Sprache schilderte der Redner die
Religion seines Volkes als die Religion der Herzensbelebung, der
Geisteserleuchtung und der Verbrüderung. Die Worte des Vortragenden waren so
durchdrungen vom Gefühle eines wahrhaft religiösen Bekenntnisses, so weit
erhaben über jeden Geist engherziger konfessioneller Schablone, dass die Zuhörer
mit gespanntester Aufmerksamkeit an jedem seiner Worte hingen und wohl alle mit
dem Gedanken schieden: der israelitischen Gemeinde in St. Gallen, wenn sie von
solchem Geistes ihres derzeitigen Vorstehers beseelt ist, soll eine heimische Stätte
in unserer Stadt gewährt bleiben, und sie soll erfahren, dass sie im Hort
unserer freiheitlichen Institutionen und Gesetze wohl geboren und geschützt
ist.
Die Feier fand einen würdigen Abschluss in einigen dem Anlasse entsprechenden
Dankes- und Segensworten des Herrn Engelbert: für die Eidgenossenschaft, die
Schützerin und Mehrerin der religiösen Toleranz für die Gehrden und die Bevölkerung
von St. Gallen, in deren Obhut und Mitte die Israeliten nach verhältnismäßig
kurzer Zeit zur Bildung einer Gemeinde und zum Bau eines Tempels gelang sind, für
die Erbauer und Donatoren des letztern, für die verstorbenen Mitglieder der
Gemeinde, denen nicht mehr beschieden war, das herrliche Gotteshaus zu schauen
und endlich für die Häupter und Vorsteher der israelitischen Gemeinde.
Um halb 8 Uhr war die schöne Feier zu Ende.
Für heute noch zum Schlusse die Mitteilung, dass die Mitglieder der
israelitischen Gemeinde es sich zur Ehre anrechneten, anlässlich der so
wohlgelungenen Feier der Einweihung der Synagoge auch einen schönen Akt der Nächstenliebe
gegen die Unglücklichen von Elm zu begehen, indem sie zu deren Gunsten eine
Kollekte aufnahmen, welche die erkleckliche Summe von 1265 Franken ergab – ein
Resultat, das sprechendes Zeugnis davon ablegt, dass die hiesige israelitische
Gemeinde nicht abgeschlossen und engherzig bloß ihren religiösen Gebräuchen
obliegt, sondern dass sie weitherzig und opferfreudig auch ihrer christlichen Brüder
gedenkt und die Lehrer ihrer Religion in einer Weise ins praktische Leben überträgt,
die auch den Bekennern des christlichen Glaubens ungeteilte Sympathie abringen
muss."
Über die neue Synagoge - Kritik von orthodoxer Seite
(1881)
Über die Einweihung der Synagoge St.
Gallen wurde in der konservativ-orthodoxen Zeitschrift "Der Israelit" (Ausgabe
vom 5. Oktober 1881) sehr kritisch berichtet: "St. Gallen, 23. September (1881).
Verflossenen Mittwoch fand die Einweihung der hiesigen, neuerbauten Synagoge
statt. Herr Rabbiner Dr. Engelbert hielt die Festrede und fand nicht nur bei den
jüdischen, sondern auch bei den zahlreich erschienenen nicht-israelitischen Zuhörern,
großen Beifall. Am Schlusse der Feier fand eine Kollekte zum Besten der Unglücklichen
von Elm statt, welche die erkleckliche Summe von 1.265 Franken ergab.
'Die hiesige israelitische Gemeinde,' schreibt das Tagblatt von St. Gallen,
'hat hierdurch ein Zeugnis davon abgelegt, dass sie weitherzig und
opferfreudig ihrer christlichen Brüder gedenkt und die Lehren ihrer Religion in
einer Weise ins praktische Leben überträgt, die auch den Bekennern des
christlichen Glaubens ungeteilte Sympathie abringen muss.
Am Abend desselben Tages wurden bei einem Bankette gar sonderbare Toaste
ausgebracht. Herr Rabbiner Dr. Kisch aus Zürich erwarb sich die Sympathien
seiner nichtjüdischen Hörer durch begeistert Worte über den Stifter der
christlichen Religion. Wir wollen hier nicht wiederholen, was Herr Kisch nach
dem Berichte des Tagblatts von St. Gallen alles gesagt haben soll; nur das
wollen wir hervorheben, dass der Berichterstatter des genannten Blattes sich
unwillkürlich oft fragen musste: 'Sind das Juden oder Christen?' -
Noch schlimmer trieb es Herr Dr. Gutmann, Rabbiner zu Hohenems. Er sprach gegen
die alten Formen und Satzungen des Judentums und forderte dazu auf, die
talmudische Auslegung zu verwerfen, von der die mosaischen Gesetzgebung nur die
ewigen Wahrheiten festzuhalten, die Formen zu zerbrechen und die Schalen
wegzuwerfen etc. etc.Schöne
Rabbinen!"
Kritik an der Kritik - Beitrag von Rabbiner Dr. Kisch
(1881)
Anmerkung: Rabbiner Dr. Kisch kritisierte den obigen Bericht der Zeitschrift "Der
Israelit" in der Ausgabe derselben vom 19. Oktober 1881: "Zürich, 16. Oktober
(1881). Sie haben in Ihrem geschätzten Blatte den Bericht des Tageblattes der
Stadt St. Gallen über die dortige Synagogen-Einweihung abgedruckt, in welchem
mir eine für einen Israeliten, insbesondere aber für einen Rabbiner unpassende
Äußerung über den Stifter der christlichen Religion in den Mund gelegt wird.
Da jener Bericht wohlwollend geschrieben war, unterließ ich aus naheliegenden
Gründen jede Berichtigung. Auch von Ihnen, verehrter Herr Redakteur, erbitte
ich mir die Berichtigung erst heute, nachdem Ihnen der Wortlaut meiner Tischrede
von meinem Verleger zugeht. Sie ersehen daraus nicht nur, dass ich jene Worte
nicht gesprochen, sondern dass ich im Gegensatze zu den sehr unjüdischen Worten
des Herrn Guttmann das Festhalten an den Gebräuchen betont habe. Wenn Sie jene
Stelle meiner Rede veröffentlichen, wird Ihnen zu großem Danke verpflichtet
sein Ihr ergebenster Dr. Kisch".
Störungen der Gottesdienste durch einen Nachbarn
werden bestraft (1892)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. März 1893: "St.
Gallen, im Februar (1893). Im Herbst 1892 beklagte sich bei der
städtischen Polizeidirektion die Synagogen-Verwaltung der israelitischen
Konfessionsgenossenschaft, dass ein Nachbar während ihres regelmäßigen
Gottesdienstes in der Absicht auf Störung desselben in seinem an die
Synagoge anstoßenden Hofraume Teppiche derart ausklopfen lasse, dass die
religiöse Funktion dadurch verunmöglicht werde. Gesuche um billige
Rücksichtnahme seitens der zuständigen Organe und der Polizisten im
Auftrage der Polizeidirektion seien fruchtlos geblieben. Aus den Rapporten
der Polizisten war zu entnehmen, dass der betreffende Nachbar ihren
Anordnungen zur Handhabung der Ruhe während des Gottesdienstes durch Wort
und Tat entgegengewirkt hat.
Das Bezirksgericht von St. Gallen sprach den Beklagten von Schuld und
Strafe frei und verfällte den Staat in die Kosten des Verfahrens. Dieses
Urteil wurde an das Kantonsgericht gezogen, von der Staatsanwaltschaft die
Abänderung desselben verlangt, der Antrag gestellt, den Beklagten der
Störung des Gottesdienstes und der Widersetzlichkeit gemäß Art. 174
lit. c, 146 und 147 St.-G. schuldig zu erklären und zu einer Geldstrafe
von 100 Fr. und zur Tragung sämtlicher Kosten zu verurteilen.
Das Gericht erkannte in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und in
Anwendung der erwähnten Gesetzesartikel den Beklagten beider Vergehen
schuldig und verfällt ihn in eine Geldbuße von 50 Franken und zur
Tragung sämtlicher Kosten des Verfahrens."
Die Synagoge von 1881 ist bis zur Gegenwart
der Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens in St. Gallen geblieben. Umgeben
von modernen Betonbauten ist das Gebäude "ein Kleinod synagogaler
Architektur" (Epstein-Mil S. 137). 2004 erfolgte letztmals eine
umfassende Renovierung des Gebäudes. Bis heute präsentiert sich der bunte
Innenraum in seiner üppigen und phantasievollen Ausstattung.
Video - Tagesschau des Schweizer Fernsehens
vom 21. November 2004 um 12.00 Uhr: "Neuer Glanz. In St. Gallen ist die
Synagoge, die zu den ältesten der Schweiz zählt, nach langen
Restaurationsarbeiten eingeweiht worden". Link
zum Video.
Die osteuropäischen Juden (aus Polen, Russland, Litauen, Galizien und
Rumänien), die seit den 1880er-Jahren auf der Flucht vor
Pogromen auch in St. Gallen zugewandert waren, organisierten sich zunächst in
mehreren Vereinen und Gemeinden, die eigene Minjanim in unterschiedlichen
Betstuben bildeten. Am 25. Februar 1917 schlossen sich drei Vereine
ostjüdischer Glaubensgemeinschaften zur Gemeinde Adass Jisroel zusammen. 1918
gehörten zu dieser neuen Gemeinde etwa 100 Mitglieder mit zusammen 500
Personen. Zur Einrichtung einer eigenen Synagoge konnte man 1918 ein älteres
Fabrikationsgebäude der Firma Einstein und Cie. erwerben und dieses mit Hilfe
einer Kollekte und einem aufgenommenen Darlehen zu einer Synagoge umbauen.
Architekt war Anton Aberle, der in St. Gallen bereits mehrere Geschäfts- und
Wohnhäuser erstellt hatte. Die Synagoge lag direkt gegenüber der
Methodistenkapelle der Stadt, die der Straße den Namen gab.
Das bisherige Fabrikationsgebäude wurde zu einem zweigeschossigen Betsaal
umgebaut mit einer dreiseitig umlaufenden Frauenempore. In den Obergeschossen
wurde je ein Schulzimmer eingebaut, im Untergeschoss eine Mikwe. In dieser Synagoge wurden bis zur Fusionierung der beiden
jüdischen Gemeinden in St. Gallen 1952 Gottesdienste abgehalten. In den Jahren
zuvor waren die meisten der sogenannten "Ostjuden" nach Israel und
Amerika abgewandert. Das Minjan der Ostjuden wurde in der Folgezeit im
Gemeindehaus an der Frongartenstraße weitergeführt. Die Synagoge an der
Kapellenstraße wurde abgebrochen; das Grundstück durch einen Wohnblock neu
bebaut.
Über die Einweihung der Synagoge
des Adass Jisrael (1919)
Artikel
im "Jüdischen Jahrbuch für die Schweiz" Jahrgang 1918/19 S.
201-202: "Der erste Synagogenbau der Ostjuden in der Schweiz. Die
im vergangenen Jahre erfolgte Errichtung und Einweihung der Synagoge der
Adass-Jisroël-Gemeinde in St. Gallen ist ein Ereignis, welches nicht
nur für die lokale Gemeinde von Bedeutung ist, sondern in der Entwicklung
der Schweizer Judenheit als bemerkenswerte Tatsache Beachtung verdient.
Wohl haben die in den letzten Jahren in verschiedenen Städten der Schweiz
emporblühenden ostjüdischen Gemeinden da und dort sich ihre eigenen
Synagogen und Bethäuser errichtet, aber in St. Gallen ist es das erste
Mal, dass die Ostjuden sich eine eigene Synagoge erbaut haben. Die
Ostjuden haben zwar in den bestehenden Synagogen der Schweiz jederzeit
ohne irgendwelche Schranken freundliche Aufnahme gefunden, aber sie haben
sich dort zumeist wegen der Unterschiede in den 'Minhogim' (Gebräuchen)
nie ganz heimisch gefühlt. Als die Zahl der Ostjuden in St. Gallen immer
größer wurde, trat für die die Notwendigkeit in die Erscheinung, sich
ein eigenes Bethaus zu errichten, da weder die gewährte Gastfreundschaft
noch die verschiedenen Bethäuser mehr genügten. Die erste Voraussetzung
aber zur Erreichung dieses großen Zieles war die Einigkeit unter den
Ostjuden selbst und diese zu erzielen war nicht leicht, da eine je der
bestehenden ´postjüdischen Vereinigungen ihre eigenen Freunde und ihre
eigenen Traditionen hatte. Den andauernden Bemühungen des während des
zweiten Kriegsjahres in St. Gallen weilenden Oberrabbiners A. J. Kuk ist
es gelungen, diese Einigkeit
herzustellen.
So ist die Gemeinde Adass-Jisroël aus den bestehenden Gruppen Talmud
Thora, Minjon-Verein und Agudas-Achim am 25. Februar 1917 hervorgegangen.
Diese Gemeinde suchte alsbald nicht nur in einem gemieteten Raum für
regelmäßigen Gottesdienst zu sorgen, sie errichtete auch eine eigene
jüdische Schule und beteiligte sich gemeinsam mit der bestehenden
israelitischen Kultus-Gemeinde in St. Gallen an einem Friedhof. Mit
starkem Optimismus und unbegrenzter Opferfreudigkeit gingen sodann die
Führer der Gemeinde, vor allem deren rühriger Präsident, daran, sich
ein passendes Objekt zu erwerben, um dort eine eigene Stätte für den
Gottesdienst zu erreichten. Nicht ein prunkvoller Bau sollte erstellt
werden, sondern ein bescheidenes Gotteshaus, das gerade durch seine
Einfachheit wirkt. So ist diese Synagoge an der Kapellenstraße
entstanden. Sie konnte am 11. Adar 5679 (11. Februar 1919) eingeweiht
werden. Mögen in dieser Synagoge und in der Gemeinde, die sie beherbergt,
stets Eintracht und Frieden herrschen."
Auch in den überregionalen deutschen
jüdischen Zeitungen wurde über die Einweihung berichtet:
Einweihung der Synagoge der Adass Jisroel (1919)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 21.
Februar 1919: "St. Gallen. Die Gemeinde Adaß Jisroel weihte ein
eigenes, schönes Gotteshaus ein."
Adressen/Standorte der Synagogen:
Frongartenstraße 16
Kapellenstraße 3 (Synagoge der Gemeinde Adass Jisroel, abgebrochen
1952)
Innenansicht der
Synagoge
(Quelle: Epstein-Mil s.Lit. S. 137)
Die Synagoge der Gemeinde
Adass Jisroel
Die Synagoge der
Gemeinde Adass Jisroel
vor dem Abbruch 1952
(Quelle: ETH)
Jüdische Überlebende aus
Theresienstadt 1945 in St. Gallen
(United States Holocaust Museum Quelle)
Video:
"Jiddish Lejbn". Konzert in der Synagoge St. Gallen mit traditionellen
und jiddischen Gesängen vom Sonntag, 13. November 2011, organisiert von der
Christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft St. Gallen. Es singen: Bernard San,
Ron Epstein-Mil, Sarah Shiri Epstein, Jacqueline Schlegel. Klavier und
Akkordeon: Pascal Bruggisser.
Das Video ist bei YouTube eingestellt (Dauer 27 Min. 33 Sek.). Direkter
Link zu Youtube
https://www.youtube.com/watch?v=vtdJjP2TrIU
November 2020:
Zum Tod von Rabbiner Hermann
Schmelzer
Artikel von Roland Richter
im "Tagblatt" vom 25. November 2020 :
"Nachruf: Ein hervorragender Botschafter des Judentums in der
Ostschweiz
Von 1968 bis 2012 stand Rabbiner Hermann Schmelzer der Jüdischen Gemeinde
St. Gallen als geistliches Oberhaupt vor. Er war ein kritischer Denker, der
die Entwicklung der Gesellschaft und des Judentums nicht kritiklos hinnahm.
Die Jüdische Gemeinde St. Gallen betrauert zusammen mit den Angehörigen, der
Universität und Repräsentanten des öffentlichen Lebens den Hinschied von
Rabbiner Hermann I. Schmelzer. Von 1968 bis 2012 stand Schmelzer der
jüdischen Gemeinde als geistliches Oberhaupt vor. In Ungarn geboren und dem
Holocaust knapp entronnen, trat er 1968 nach beschwerlichen Lehr- und
Wanderjahren, die ihn nach Budapest, Paris, Stockholm, London und Malmö
führten, seine Lebensstelle in St. Gallen an. Mit Rabbiner Schmelzer hatte
die jüdische Gemeinde einen hervorragenden Botschafter des Judentums in der
Ostschweiz, eine Sendung, die ihm über zwei Generationen hindurch ein
wesentliches Anliegen war. Bald wurde erkannt, dass er nicht dem Typus des
in seine Bücher versunkenen Talmud-Thora-Gelehrten entsprach, sondern mit
beiden Beinen im Leben stand und in jüngeren Jahren auch auf der Finnenbahn
anzutreffen war. Ein gesuchter Gesprächspartner mit feinem Schalk . Ungezählten
Schulklassen, Vereinen, Betrieben und behördlichen Mitarbeitern hat er
anlässlich von Führungen in der Synagoge und von Vorträgen auf dem Lande das
Wesen des Judentums nahegebracht. Durch seine Lehrtätigkeit an der
Universität verschaffte er sich Anerkennung im Dozentenkollegium und vielen
Amtsträgern wurde er zum gesuchten Gesprächspartner. Bei den christlichen
Kirchen erfreute er sich wohlwollenden Respekts; so schätzte der vormalige
Bischof Ivo Fürer das informelle Gespräch mit Rabbiner Schmelzer
außerordentlich. Und dass Schmelzer anlässlich der Neuausgabe der
evangelischen Zürcher Bibel in deren Redaktionsstab, zuständig für jüdische
Belange, berufen wurde, wäre ohne sein Augenmass hinsichtlich des
jüdisch-christlichen Verhältnisses nicht möglich gewesen. Über Jahrzehnte
hindurch war die Jugend von Schmelzer fasziniert. Studentinnen und Studenten
der Universität hat er immer wieder in seinen Bann gezogen. Seine Art des
Dialogs auf Augenhöhe fand Anklang und in sachbezogenen Reden blitzte immer
wieder sein feiner Schalk hervor. Zugleich war Hermann Schmelzer ein
kritischer Denker, der die Entwicklung der Gesellschaft und des Judentums
auch in der eigenen Gemeinde nicht kritiklos hinnahm. Dabei hatte er oft das
bessere Argument auf seiner Seite. Der Dialog mit dem Christentum und dem
Islam war ihm ein Herzensanliegen, nicht ohne die eigene Position jedoch
deutlich darzustellen. Seelsorger und Dozent an der HSG. Im Jahre 2012 beendete Hermann
Schmelzer sein Amt als dienstältester Schweizer Rabbiner. In St. Gallen
hatte er nicht nur die Gemeinde erfolgreich geführt, sondern zudem ein
immenses Werk im Bereich des Judentums und des interreligiösen Dialogs
geschaffen. Den Lehrauftrag an der Hochschule St. Gallen über die
verschiedensten Aspekte der Religionsgeschichte und für die hebräische
Sprache hatte er bis 2009 inne. Er diente der Universität außerdem als
Studentenseelsorger.
Sein wacher Geist blieb Schmelzer bis zuletzt erhalten. Er beobachtete,
überlegte, notierte auf Zetteln, die er immer auf sich trug, und
kommentierte. Und es zog ihn hinaus in die Natur. Im vergangenen Sommer noch
konnte man ihm in leichter Wanderausrüstung samt Rucksack und Fernglas
begegnen; und sogleich teilte er jeweils seine Gedanken mit. Gerne empfahl
er kontroverse Bücher und freute sich auf die anschliessende Diskussion
darüber. Zum letzten dieser Literaturgespräche ist es nicht mehr gekommen.
Hermann Schmelzer hinterlässt Ehefrau und Sohn. Ihnen sowie den weiteren
Angehörigen gebührt das tief empfundene Beileid. Nachruf von Roland Richter, ehemaliger Präsident der Jüdischen Gemeinde
St. Gallen." Link zum Artikel
September 2024:
Über die Geschichte Synagoge der
Gemeinde Addas Jisroel
Artikel von Stadtarchivar i.R. Ernst Ziegler
in "stgallen24.ch" vom 15. September 2024: "'Judechele' und 'Deutsches
Heim' – zwei ungleiche Nachbarn.
Am 24. Oktober kommt der 'Landesverräter' ins Kino. Alt Stadtarchivar Ernst
Ziegler nimmt die tragische Geschichte des Gaiserwalders Ernst S. zum
Anlass, um die Geschichte des Nationalsozialismus in St. Gallen zu
rekapitulieren. Im zweiten Teil rekapituliert er, wie im Haldenquartier
jüdische Gesänge neben dem Horst-Wessel-Lied zu hören waren.
Seit dem späten 19. Jahrhundert kamen osteuropäische Juden aus Polen,
Russland, Litauen, Galizien und Rumänien auf der Flucht vor Pogromen auch
nach St. Gallen. Um 1918 konnten sich drei Vereine ostjüdischer
Glaubensgemeinschaften zur neu-orthodoxen jüdischen Gemeinde 'Adass Jisroel'
zusammenschließen. Für diese Religionsgesellschaft richtete der damals
bekannte Architekt Anton Aberle (1876–1953) in einem alten Fabrikgebäude an
der Kapellenstrasse ein Bethaus ein, das 1919 eingeweiht wurde.
Die St. Galler Juden hatten ihr 'schmuckes Gotteshaus' an der
Frongartenstrasse 1881 eingeweiht. 'Unsere Juden' und die orthodoxen
Ostjuden waren sich 'auf Grund der verschiedenartigen Herkunft zunächst in
mancher Lebensbeziehung fremd' (Lothar Rothschild). Das neue Bethaus, das im
Volksmund nicht Synagoge, sondern 'Judechele' genannt wurde, lag an der
Kapellenstrasse 3, gegenüber der Methodistenkapelle, die der Strasse den
Namen gab. Hier wurden bis 1952 Gottesdienste abgehalten; dann wurde das
Gebäude 1953 abgebrochen.
Über dieses Quartier erzählte mir Hans Tobler (1923–2023) während
verschiedener Gespräche manch schöne Geschichte. Toblers Elternhaus war der
'Grundstein', die heutige 'Velo-Flicki', an der Wassergasse 13, sozusagen
gegenüber der 'Judechele' gelegen. Als Nachbarn hörten die Toblers 'den
Rabbi am Sabbat seine Rituale singen' und 'das jüdische Neujahr und das
Laubhüttenfest' waren ihnen ein Begriff.
Im März 1936 entdeckte Tobler eines Morgens am Portal der Synagoge an der
Kapellenstrasse Hakenkreuze. Die beiden Säulen des Eingangsportals waren
damit beschmiert und auf der Plattform stand 'Jude verrecke'. An der
Südseite des 'Grundstein', nur knapp zweihundert Schritte östlich der
Haldenstrasse und des 'Deutschen Heims' gelegen, meldet ein bescheidenes
Täfelchen, dass hier durch Luise Tobler-Engler (1894–1985) und Paul Tobler
(1880–1962) während des Zweiten Weltkriegs von 1938 bis 1945 jüdische
Flüchtlinge Aufnahme gefunden hätten. Hans Tobler erzählte: 'Die Flüchtlinge
waren illegal hier; sie durften nicht arbeiten. Sie durften aus dem Haus
gehen, wurden nicht verfolgt. Wir haben nie Mühe gehabt mit ihnen. Sie
wollten nicht auffallen. Sie sprachen alle deutsch. Die Leute waren einfach
da. Sie waren Arme. Woher sie kamen, war nicht wichtig. Die St. Galler Juden
haben fürs Essen gesorgt. Von den Behörden sind diese jüdischen Menschen
nicht belästigt worden. Diese Leute waren arme Teufel. Deshalb hat die
Mutter auch die Flüchtlinge im Dachgeschoss untergebracht.' So hatte man
während dieser Zeit im Haldenquartier die Möglichkeit, am Sabbat geistliche
Gesänge und an anderen Tagen das Horst-Wessel-Lied zu hören."
Link zum Artikel
Germania Judaica II,2 S. 733f; III,2 S. 1298-1300.
Karl Heinz Burmeister: Dokumente zur Geschichte der
Juden im Vorarlberg, Dornbirn, 1988.
ders.: medinat bodase, Zur Geschichte der Juden am
Bodensee, Band 1, 1200-1349, Konstanz 1996.
ders.: medinat bodase, Zur Geschichte der Juden am
Bodensee, Band 2, 1350-1448, Konstanz 1996.
ders.: Spuren jüdischer Geschichte und Kultur in der
Grafschaft Montfort, Langenargen 1994.
ders.: Geschichte der Juden im Kanton St. Gallen bis
zum Jahre 1918, St. Gallen, 2001.
Jörg Kummenacher: Flüchtiges Glück.
Die Flüchtlinge im Grenzkanton St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus.
2005, 416 Seiten, ISBN 3 85791 480 7.
Manfred Flügge: Rettung ohne
Retter oder: Ein Zug aus Theresienstadt. 2004. dtv Taschenbuch Nr. 24416.
Best. Nr. 12437516. ISBN 3 42324 416 X.
Sabine Schreiber: Jüdinnen und Juden in der Stadt
St. Gallen 1803-1880, Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät I der
Universität Zürich, St. Gallen, April 1998.
dies.:
Hirschfeld, Strauss, Malinsky. Jüdisches Leben in St. Gallen 1803 bis 1933.
Reihe: Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz.
Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes Bd. 11.
2006. ISBN 3-0340-0777-9 (32.-- €, 48.-- SFr). Informationen.
Ron
Epstein-Mil: Die Synagogen der Schweiz. Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und
Akkulturation.
Fotografien von Michael Richter
Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz. Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, Band 13.
2008. S. 130-141 (hier auch weitere Quellen und
Literatur).
Helmut Fidler: Jüdisches Leben am Bodensee.
Verlag Huber Frauenfeld - Stuttgart - Wien 2011. 320 S. zahlreiche
Abbildungen. Verlag: www.verlaghuber.ch
mit Infoseite
zum Buch. ISBN 978-3-7193-1392-0. 29,90 € 39,90
CHF Wenn aus Fremden Nachbarn werden. Zwei Generationen nach dem Zweiten
Weltkrieg und dem Ende des Holocaust geht Helmut Fidler einen
ungewöhnlichen Weg, um achthundert Jahre jüdische Geschichte in der
Bodenseeregion zu beschreiben. Er sucht die Orte auf, an denen jüdisches
Leben heute noch sichtbar, nach-erlebbar und begreifbar ist, erzählt von
Personen, die hier gelebt haben, und von Ereignissen, die in Erinnerung
geblieben sind.
Ernst Ziegler: Aus der Geschichte der Familie
Tobler. St. Gallen 1986.
Zeitzeugenbericht zur Aufnahme von jüdischen Menschen im
Zweiten Weltkrieg im Haus 'Grundstein' an der Wassergasse 13. St. Gallen
2017.
Lothar Rothschild: Im Strom der Zeit.
Jubiläumsschrift zum hundertsten Bestehen der Israelitischen Gemeinde St.
Gallen. St. Gallen 1963.
Article
in "Encyclopedia Judaica"
Keter Publishing House Jerusalem Vol 14 p. 659:
Saint Gall (St. Gallen),
canton and its capital city in N.E. Switzerland. The first document mentioning
Jews in St. Gall is dated in 1268; in 1292 two houses in the town were inhabited
by Jews. On February 23, 1349, during the Black Death, the Jewish inhabitants
were burned or driven out. Jews were not allowed to settle in St. Gall again
until the 19th century. The first synagogue, in a private home, was founded in
1866 and a permanent synagogue built in 1881. In 1870 the Jewish population was
158. In 1919 refugees from Eastern Europe settled in St. Gall, forming a
separate community. German and Austrian Jewish refugees began crossing the
border into the canton in 1938, and a refugee care organization was set up there.
From 1939 to 1944 the town was the center for preparing Jewish refugee children
for Youth Alijah to Palestina. In 1944, 1.350 Jews (mostly Hungarian) from
Bergen-Belsen concentration camp, were brought to St. Gall ("Kasztner
Transport") and a year later 1.200 Jews form Theresienstadt camp arrived
there. In 1952 the two Jewish communities united and in 1969 had about 100
members. The community takes care of the Jewish cemetery in nearby Hohenems (Austria).
Weiterer englischer Artikel zu "Saint Gall" von Gotthard Deutsch und
Emil Schlesinger vom Anfang des 20. Jahrhunderts in der Jewish
Encyclopedia: "Chief town of the canton of the same name in the
northeast of Switzerland. The first information concerning its Jewish
inhabitants dates from the year 1349, when the Jews, who then lived in a special
quarter, the "Hinterlauben" or "Brotlauben," were accused of
having poisoned the wells. St. Gall followed the example of other towns near the
Lake of Constance, imprisoning the Jews, burning them alive, or at best
expelling them and confiscating their property. For a long time after this event
no Jews lived in St. Gall; and in modern times also the right of settlement was
granted only very exceptionally to a few Jews, who had to pay heavily for the
concession. Even after the wars of independence the St. Gall "Jews' Law"
of May 15, 1818, though it was not strictly enforced by the government, placed
the Jews under severe restrictions. These exceptional laws remained on the
statute-books until the emancipation of the Jews of Switzerland in Feb., 1863. On April 8, 1864, the present Jewish community was constituted, the members
having removed to St. Gall from the neighboring town of Hohenems. Religious services were organized, and Hebrew and religious classes founded.
Soon afterward the cemetery was laid out; the dead had previously been conveyed
probably to one of the neighboring communities. The Jewish inhabitants of St. Gall increased numerically in the course of time
through frequent migrations from the communities of Endingen and Lengnau,
Gailingen (Baden), Laupheim (Württemberg), and from other places.
On, Sept. 21, 1881, the present (1905) synagogue was consecrated. The first
rabbi of the existing community was Hermann Engelbert, who was succeeded in 1900
by the present incumbent, Emil Schlesinger. The Jews of St. Gall exceed 500 in a total population of 33,087.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge