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Harmuthsachsen mit
Waldkappel (Gemeinde
Waldkappel, Werra-Meißner-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Harmuthsachsen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1936. Ihre
Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück. Bereits im 14.
Jahrhundert lebten vorübergehend jüdische Personen am Ort (für 1342 belegt).
Seit dem 17. Jahrhundert lassen sich wieder jüdische Einwohner in
Harmuthsachsen nachweisen. 1665 waren es vier Familien, 1730, 1744 und 1776
jeweils neun Familien beziehungsweise Haushaltungen. Die jüdischen
Familien lebten verteilt im Ort, waren aber nicht alle im Besitz eines eigenen
Hauses. 1724 war "Heinemann Jud" Besitzer eines kleinen Eckgrundstückes,
das heute von der Gaststätte "Zur Linde" (Bilsteinstraße 9)
eingenommen wird. An derselben Stelle baute 1755 Susmann Schmul ein größeres
Haus; sein Name ist der Bauinschrift zu entnehmen.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1823 88 jüdische Einwohner in 18 Familien, 1835 118 jüdische
Einwohner, 1861 130 (24,8 % von insgesamt 524 Einwohnern), 1871 121 (23,7 % von
511), 1885 95 (23,0 % von 430), 1895 78 (17,5 % von 446), 1905 67 (15,8 % von
423). Zur jüdischen Gemeinde Harmuthsachsen gehörten auch die in Waldkappel
lebenden jüdischen Personen (im 19. Jahrhundert bis zu 26 Personen). Die jüdischen
Männer waren als Händler und Kaufleute tätig. Die Ladengeschäfte des Ortes
waren in jüdischem Besitz. Fast alle jüdischen Familien hatten eigene Häuser.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische
Schule (von etwa 1869 bis 1924 Israelitische Volksschule), ein rituelles
Bad (Schule, Bad und Lehrerwohnung im Nachbargebäude zur Synagoge) und ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Als Lehrer wird
spätestens seit 1866 (Quelle)
vor allem Moses Neuhaus genannt; er war noch 1902 in der Gemeinde (siehe Bericht
unten). 1909-10 besuchten die jüdischen Kinder vorübergehend die allgemeine
Schule, da die Lehrerstelle unbesetzt war; 1915 bis 1919 mussten die Kinder nach
Bebra zur Schule gehen. Ab 1919 gab es wieder einen Lehrer in Harmuthsachsen
(Gustav Kron, siehe unten). Die Gemeinde gehörte innerhalb des Kreises
Witzenhausen zum Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Felix Fürst (geb.
24.2.1892 in Harmuthsachsen, gef. 3.10.1918), Siegfried Fritz Goldschmidt (geb.
25.5.1899 in Harmuthsachsen, gef. 30.9.1918), Unteroffizier Oskar Grunsfeld
(geb. 17.1.1884 in Hebenhausen, gef. 29.9.1915) und Sally Rosenbaum (geb.
30.11.1896 in Harmuthsachsen, gef. 23.3.1918). Ihre Namen wurden auf dem
Gefallenendenkmal des kommunalen Friedhofes in Harmuthsachsen eingetragen, in
der NS-Zeit herausgemeißelt und nach 1945 wieder nachgetragen (Information
von Rolf Hocke).
Um 1924, als zur Gemeinde noch 50 Personen gehörten (11,0 % von
insgesamt 455 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Adolf Hammerschlag
und Leopold Hammerschlag. Bis zu diesem Jahr war als Lehrer, Kantor und Schochet
der bereits genannte Gustav Kron tätig. Er unterrichtete an der Israelitischen
Volksschule zuletzt noch sieben Kinder. An jüdischen Vereinen gab es
insbesondere die Chewrat Talmud Thora (1924 unter Leitung von Adolf
Hammerschlag mit 12 Mitgliedern), der Wohltätigkeitsverein Chewrat Gemillus
chassodim (1924 unter Leitung von Adolf Hammerschlag mit 12 Mitgliedern),
der Männerwohltätigkeits-Verein (1924/32 unter Leitung von Adolf
Hammerschlag mit 12 Mitgliedern) sowie den Israelitischen Frauenverein (1924/32
unter Leitung von Lina Lorge mit 12 Mitgliedern). 1932 war
Gemeindevorsitzender Leopold Hammerschlag. An Vereinen kam es bis dahin zu einer
Konzentration der bisherigen Vereine auf die beiden Wohltätigkeitsvereine: Israelitischer
Frauenverein und Israelitischer Männerverein; beide hatten als Zweck
und Arbeitsgebiet: Unterstützung und Bestattungswesen.
1933 lebten noch 30 jüdische Personen am Ort (6,6 % von insgesamt
457 Einwohnern). In den folgenden Jahren sind fast
alle jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen
Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen
beziehungsweise ausgewandert. Zuletzt lebte nur noch ein Ehepaar Hammerschlag am
Ort, das 1939 nach Kassel verzogen ist und von dort (1942) in das Ghetto
Theresienstadt deportiert wurde.
Von den in Harmuthsachsen geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben
nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem
und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Sara Aronstein geb.
Rosenbaum (1895), Clara Bernstein geb. Fürst (1888), Goldine Carlsruhe geb.
Rothschild (1883), Heinemann Fürst (1854), Helene Goldschmidt geb. Borchert
(1897), Salli Goldschmidt (1903), Emma (Lea) Haller geb. Strauß (1881), Alice
Hammerschlag (1911), Heddi Hammerschlag (1908), Isidor Hammerschlag (1871), Sara
Heilbrunn geb. Neuhaus (1882), Rosa Katz geb. Hammerschlag (1883), Gustav Kron
(1878), Selma Kron geb. Blumenkrohn (1890), Flora Levinson geb. Goldschmidt
(1902), Heinz Lorge (1925), Jenni (Jenny) Lorge geb. Hammerschlag (1884), Julian
Lorge (1877), Goldine Plaut geb. Hammerschlag (1866), Rickchen Rosenbaum (1858),
Ingeborg Simon (1927), Kurt Simon (1896), Hanny (Nanny) Stein geb. Hammerschlag
(1870), Hanchen (Hulda) Strauß geb. Lorge (1893).
Aus Waldkappel ist umgekommen: Klara Ascher geb. Goldschmidt (1887).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1924
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. August 1924: "Abbau!
Unsere staatliche Volksschule wird abgebaut, unser Lehrer versetzt. Wir
suchen sofort Religionslehrer, Kantor und Schochet für unsere
kleine Gemeinde (Bahnstation Nähe von Kassel). Sehr geeignete Stelle für
abgebaute Herren. Schöne Wohnung mit Heizung und Garten und dazu
Besoldung nach Übereinkunft.
Referenz: Lehrer Kron, Harmuthsachsen, Lehrer Rosenbusch, Bebra.
- Sofort Meldungen an die Gemeindeältesten, Harmuthsachsen (Bezirk
Kassel)." |
Auszeichnung für Lehrer Moses Neuhaus in
Harmuthsachsen (1902)
Anmerkung: eine Tochter von Moses Neuhaus und seiner Frau Rickchen geb.
Rosenbaum war: Sara (geb. 26. September 1882 in Harmuthsachsen), die 1909 in
Harmuthsachsen den Lehrer Levi Heilbrunn heiratete. Die beiden waren bis in die
NS-Zeit als Hauseltern im
Israelitischen Waisenhaus in Kassel tätig. Sara wurde 1943 im KZ Auschwitz
ermordet, nachdem ihr Mann bereits 1939 im Polizeirevier Kassel vermutlich nach
schweren Misshandlungen gestorben ist.
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 3. März 1902:
"Der Lehrer Moses Neuhaus zu Harmuthsachsen im Kreise
Witzenhausen erheilt den Adler der Inhaber des Hausordens von
Hohenzollern." |
Über das Schicksal des Lehrers Gustav Kron
und seiner Frau Selma geb. Blumenkrohn (Anmerkung zu einem Artikel von
1922)
(Fotos und Informationen aus einem Artikel zu Gustav Kron von
Rolf Hocke, Waldkappel, Quelle)
Lehrer
Gustav Kron (links Hochzeitsfoto während der Zeit in
Harmuthsachsen 1921) ist 1878 in Wolfhagen geboren. Er ließ sich 1900
bis 1904 am Lehrerseminar in Kassel zum Lehrer und Kantor ausbilden.
Während seines Militärdienstes in Arolsen war er zeitweise in der
Gemeinde Mengeringhausen tätig, von 1905 bis 1914 war er Lehrer in Westhoffen
im Elsass. 1914-1916 nahm er am Krieg teil. Auf Grund einer schweren
Erkrankung kam er 1916/17 nach Westhoffen zurück, seit 1917 war er
zusätzlich Vorsänger in Balbronn.
Im Februar 1919 kehrte er nach Hessen zurück. Kurzzeitig war er Lehrer im
Momberg, danach von 1919 bis 1924 in
Harmuthsachsen, seit 1924 Lehrer und Kantor in Fritzlar.
Er war seit Januar 1921 verheiratet mit Selma geb. Blumenkrohn, Sohn des
jüdischen Lehrers und Kantors Viktor Blumenkrohn in Spangenberg.
Im Bericht zu dessen Beerdigung 1922 wird Gustav Kron
genannt: |
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1922: "Spangenberg,
22. Februar (1922). Nach fast 40-jähriger segensreicher Wirksamkeit in
unserer Gemeinde ist uns Lehrer Blumenkrohn nach kurzem Krankenlager durch
den Tod entrissen worden. Das Scheiden dieses trefflichen Mannes, der in
vorbildlicher Pflichttreue seines Amtes als Lehrer und Vorbeter waltete
und dessen Lebensführung mustergültig gewesen, löste in allen Kreisen
der hiesigen Stadt aufrichtige Trauer aus. Die ehrenden Nachrufe, die ihm
die Synagogenältesten, der Bürgermeister, der Schulvorstand, der
Lehrerverein widmen, zeugen von der Würdigung des allgemein beliebten und
verehrten Mannes. Am 19. Februar wurde unter zahlreicher Beteiligung die
sterbliche Hülle der Erde überantwortet. Herr Landrabbiner Dr. Walter,
Kassel, schilderte in längerer Rede das Wirken des Verblichenen in Schule
und Gemeinde, Herr Lehrer Rosenstein, Rotenburg,
sprach als Berufsgenosse und Freund; Herr Lehrer Heilbrun, Kassel, entbot
als Schüler dem teuren Lehrer den Dank der Schüler, in deren Herzen der
Verklärt sich ein Denkmal gesetzt, dauernder als in Stein gehauen und als
letzter Redner nahm der Schwiegersohn, Herr Lehrer Kron, Harmuthsachsen,
mit tränenerstickter Stimme Abschied von dem geliebten Schwiegervater,
dessen Andenken nie erlöschen wird. In später Stunde schloss sich das
Grab, das der Besten einen birgt. Wir sagen mit dem Dichter 'Ach, sie
haben einen guten Mann begraben, uns war er mehr'. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Weitere Geschichte: Gustav Kron
und seine Frau Selma geb. Blumenkrohn bemühten sich in der NS-Zeit
vergeblich um eine Auswanderung. Die Familie mit dem 1922 in
Harmuthsachsen geborenen Sohn Walter verzog spätestens im Oktober 1937 nach Hamburg;
dabei war auch die in hohem Alter befindliche Mutter von Gustav Kron
(Wohnung: Eppendorfer Baum 34). Walter Kron konnte noch mit einem
Kindertransport in die USA gelangen. Nach
dem Novemberpogrom 1938 wurde Gustav Kron einige Zeit im KZ Oranienburg
festgehalten. Am 25. Oktober 1941 wurden Gustav und Selma Kron in das
Ghetto Litzmannstadt deportiert; im Mai 1942 in das Vernichtungslager
Kulmhof (Chelmno), wo sie ermordet wurden.
Für Gustav Kron und seine Frau Selma geb. Blumenkrohn wurden in Hamburg,
Eppendorfer Baum 34 "Stolpersteine" verlegt, siehe Seite
in der Website stolpersteine-hamburg.de. Zu Gustav Kron siehe
auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Kron und
http://www.judaisme-alsalor.fr/histoire/rabbins/hazanim/kron.htm |
|
Links: Gustav Kron
während der Zeit
als Lehrer in Harmuthsachsen |
|
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Der antisemitische Pfarrer Iskraut und der Zigarrenfabrikant Hesse (Waldkappel)
vor Gericht (1895)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Juni 1895:
"In Bischhausen fand ein Privatklageprozeß des
antisemitischen Reichstagsabgeordneten Pfarrers Iskraut gegen den Zigarrenfabrikanten
Hesse - Waldkappel statt. Hesse war beschuldigt, Iskraut zwei Mal
einen 'Lügner' genannt zu haben. Er gab das zu, erbot sich, den
Wahrheitsbeweis zu erbringen, und erhob Widerklage wegen beleidigender
Äußerungen, die Iskraut über ihn getan. Der Angeklagte und der
Privatkläger wurden wegen Beleidigung zu je 30 Mark Geldstrafe
verurteilt, die Kosten aber sind von jedem Teil zur Hälfte zu tragen.
Außerdem wurde dem Angeklagten Hesse das Recht zugesprochen, die
Verurteilung des Pastors Iskraut wegen Beleidigung des Hesse nach
Rechtskraft öffentlich bekannt zu machen. In einem Falle hat das Gericht
den Wahrheitsbeweis als erbracht erachtet, also angenommen, dass Iskraut
bewusst die Unwahrheit gesagt hat." |
80. Geburtstag von Jettchen Fürst (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung" für Kassel, Kurhessen
und Waldeck"
vom 11. Februar 1927: "Harmuthsachsen. Am 17. Februar
(1927) feiert Frl. Jettchen Fürst ihren 80. Geburtstag. Die alte
Dame, die sich hier großer Beliebtheit erfreut, begeht diesen Tag in
vollster geistiger und körperlicher Frische." |
Liesel Hammerschlag wurde bei einem Zugunfall schwerst
verletzt (1931)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung" für Kassel, Kurhessen
und Waldeck"
vom 8. Mai 1931: "Harmuthsachsen. Von einem schrecklicher
Unglücksfall wurde die 20 Jahre alte Liesel Hammerschlag betroffen.
Sonntagabend kurz nach 1/2 12 Uhr geriet sie im Frankfurter Hauptbahnhof
bei Einfahrt des Personenzuges von Heidelberg durch vorzeitiges Aussteigen
unter die Räder des Zuges. Es wurden ihr beide Beine abgefahren.
Die Schwerverletzte wurde nach dem städtischen Krankenhaus
verbracht." |
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige des Manufakturwarengeschäftes Benjamin Lorge
(1913)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 19. Dezember
1913:
"Für meinen Sohn, welcher nächste Ostern die Schule
verlässt, suche ich eine
Lehrlingsstelle
in einem
Manufakturwarengeschäft, welches Samstag und Feiertage geschlossen
ist.
Benjamin Lorge. Harmuthsachsen, Bezirk
Kassel." |
Kennkarte
aus der NS-Zeit |
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Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgende Kennkarte ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
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Kennkarte
des aus Harmuthsachsen
stammenden Rabbiner Dr. Moritz Lorge |
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Kennkarte (Mainz) für Rabbiner Dr. phil.
Moritz Lorge (geb. 6. Oktober 1874 in Harmuthsachsen). Moritz Lorge
war nach dem Besuch der Schule in Harmuthsachsen Schüler an der Israelitischen
Präparandenschule in Burgpreppach. 1892 bis 1892 studierte er am
Lehrerseminar in Kassel. Er war zwischen 1900 und 1904 jeweils kürzere
Zeit Lehrer in Wolfenbüttel, dann Lehrer und Prediger in Petershagen
sowie Lehrer in Hamm in Westfalen. Ab 1904 studierte er in Berlin und
Tübingen (Promotion 1907). Von 1908 bis 1933 war er Oberlehrer und
Studienrat für Religion, Deutsch und Geschichte in Mainz an der Höheren
Töchterschule. 1935 Bezirksrabbiner in Sobernheim. 1939 in die USA
emigriert und in den folgenden Jahren in Cincinatti und New York Vortrags-
und Lehrtätigkeit zur Geschichte der Juden in Deutschland und den USA.
War verheiratet mit Hedwig geb. Steinweg (Sohn: der 1916 geborene Ernst Mordechai Lorge
wurde gleichfalls Rabbiner, siehe Artikel unten). Moritz Lorge starb 1948 in New
York.
|
|
Hinweis auf den Artikel von Gabriele Hannah, Hans-Dieter Graf und Wolfgang
Bürkle in der "Allgemeinen Zeitung Mainz" vom 27. Mai 2016:
"Stets hoffnungsvoll und furchtlos.
Auswanderer. Ernst Mordecai Lorge flüchtete aus Mainz in die USA /
Seelsorger für KZ-Überlebende..."
Artikel zum 100. Geburtstag von Ernst Mordechai Lorge.
Der Artikel ist eingestellt als Bilddatei (links) und als pdf-Datei. |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war vermutlich ein Betraum vorhanden. 1833 konnte
die jüdische Gemeinde eine bäuerliche Hofanlage an der heutigen
Bielsteinstraße erwerben und zu ihrem neuen Gemeindezentrum umbauen. In das
bisherige Wohnhaus wurden im Obergeschoss die Schule und die Lehrerwohnung, im
Keller das Bad (Mikwe) eingerichtet. Eine Scheune wurde zu einer neuen Synagoge
der Gemeinde umgebaut. Der
damalige Kreisrabbiner (Prediger und Religionslehrer) Philipp Goldmann aus Eschwege
nahm die Einweihung am 15. Februar 1833 vor.
Einweihung der Synagoge am 15. Februar 1833 durch Prediger
und Religionslehrer Goldmann aus Eschwege -
beiläufig erwähnt in der Veröffentlichung zu einer Predigt des Herrn Goldmann
Artikel
in der Zeitschrift "Sulamith", Jahrgang 1834 S. 69: "Rede,
kurz nach der Emanzipation der Israeliten in Kurhessen, gehalten am
Sabbath-Chanuka in der Synagoge zu Eschwege,
von dem Prediger und Religionslehrer Goldmann daselbst.
Wenn es auch bei den heutigen Israeliten nicht mehr wie früher,
wo wir so manche uns eingesandte Predigt, um als Muster und zur
Aufmunterung für andere Gemeinden zu dienen, in der Sulamith mitteilten,
an Reden und Predigten fehlt, vielmehr solche von allen Seiten durch den
Druck anderweitig verbreitet werden, so glauben wir gleichwohl, dass
manchen Lesern die folgende Rede hier zu finden nicht unwillkommen sein
wird, indem solche besonders eine für einen Teil der Israeliten so günstige
Veranlassung hatte, zugleich zeitgemäße Bemerkungen und Ermahnung enthält
und gleichsam auch als etwas Geschichtliches, zur Emanzipation der
Kurhessischen Israeliten gehörend, zu betrachten sein dürfte.
Der wackere Herr Verfasser wirkt übrigens, besonders auch durch seine
Synagogen-Predigten, viel Gutes in seinem Kreise, und eine vor uns
liegende gedruckt Predigt desselben (‚Predigt bei der Weihe der neuen
Synagoge der Israelitischen Gemeinde zu Harmuthsachsen, gehalten am 15.
Februar 1833, zu haben beim Verfasser, Preis 2 Gr.’), in welcher er,
wenn auch gerade nichts Neues, doch viel Wahres und Beherzigungswertes über
den ei-..." |
Erinnerung an die Einweihung der
Synagoge 1833 (Artikel von 1926)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung" für Kassel, Kurhessen
und Waldeck"
vom 19. November 1926: "Über einige neue Synagogen. Am
15. Februar 1833 wurde in Harmuthsachsen eine neue Synagoge
eingeweiht. Mein Oheim, Kreisrabbine Philipp Goldmann zu Eschwege, hielt
dabei die Festpredigt, welche gedruckt wurde. In einem Vorwort fordert er
die Glaubensgenossen auf, sich stets in anständiger und würdevoller
Haltung dem Gotteshause zu nahen, auch die Pijutim nicht gedankenlos
herzusagen. In der Predigt nahm er als Text Koheleth Kap, 5,1 und sprach
über das Gebet, und dass ein jeder soviel lernen solle, dass es das, was
er bete, auch verstehe." |
Bei der Synagoge handelte es sich um ein
eingeschossiges, nicht unterkellertes Fachwerkhaus mit einem Satteldach. Beim
Umbau zur Synagoge erhielt das Gebäude mehrere hohe Segmentbogenfenster. Im
Inneren wurde auf drei Seiten eine Empore für die Frauen eingezogen. Über dem Tora-Schrein gab
es ein Segmentbogenportal mit einer hebräischen Inschrift ("Ich habe
geruht in Euch - Kinder Israels").
Über 100 Jahre war die Synagoge Mittelpunkt des religiösen Lebens der
jüdischen Gemeinde in Harmuthsachsen. Nach Auflösung der jüdischen Gemeinde 1936
wurde die Synagoge verkauft und als Scheune / Lager verwendet. Die rituellen
Gegenstände wurden nach Kassel verbracht, wo sie im November 1938 zerstört
worden sind. Im Laufe der
Jahrzehnte geriet es in einen höchst baufälligen Zustand. In den 1990er-Jahren
wurde das Gebäude auf Betreiben des Landkreises und der Gemeindeverwaltung
unter Bürgermeister Peter Hillebrandt saniert und vor dem weiteren Verfall gerettet, nachdem das Gebäude unter
Denkmalschutz gestellt worden war. Der damalige Besitzer hatte bereits einen
Antrag auf Abbruch gestellt. 2004 erhielt das restaurierte Gebäude
den Hessischen Denkmalschutzpreis 2004.
Ein "Förderkreis ehemalige Synagoge Harmuthsachsen" unter
Pfarrer Rolf Hocke ist entstanden und kümmert sich um die weitere Nutzung der
ehemaligen Synagoge. Nach jahrelangen Bemühungen konnte der "Förderkreis"
Ende Februar 2024 die ehemalige Synagoge in Besitz nehmen. Damit war der Weg
frei, das inzwischen baufällige Kulturdenkmal zu sichern und zu restaurieren.
Unmittelbar danach begannen die Sicherungsarbeiten.
Einzelne Berichte zur Restaurierung der ehemaligen Synagoge
2019:
Die Synagoge verfällt - Landesdenkmalamt und Besitzer können sich nicht
einigen . |
Artikel von Florian Künemund in der
"Werra-Rundschau" vom 3. Mai 2019: "Seit 14 Jahren ist der Zugang
verwehrt: Ehemalige Synagoge in Harmuthsachsen verfällt
Die Synagoge in Harmuthsachsen verfällt mehr und mehr. Seit 14 Jahren ist
sie für die Öffentlichkeit, aber auch die Ehrenamtlichen vom Förderkreis
unzugänglich.
Von allen Seiten dringt Wasser in das Denkmal ein. Und niemand tut etwas
dagegen. 'Weil sich das Landesdenkmalamt Hessen und der Besitzer nicht auf
einen Kaufpreis einigen können', sagt Pfarrer Rolf Hocke, der auch dem
Förderkreis der Synagoge vorsitzt.
Er zeigte mit ernster Miene auf die Löcher in den Dachziegeln, durch die der
Regen ins Gebäude eindringt. 'Da drin muss es wüst aussehen', so Hocke.
Ferner berichtet er davon, dass die Wetterseite wegen des Abrisses einer
angrenzenden baufälligen Scheune durch den Denkmalschutz frei liege. 'In die
Lehmwand dringt nun Feuchtigkeit ein. Wenn sich nicht bald was tut, ist die
Synagoge dem Untergang geweiht.' Eigentlich ist das für Rolf Hocke kaum
vorstellbar. Denn die Synagoge wurde laut ihm jahrelang mit viel Arbeits-
und Investitionsaufwand saniert. 'Das Land Hessen hat eine Menge Geld dafür
ausgeben, 2004 wurde das Gebäude gar mit dem hessischen Denkmalschutzpreis
ausgezeichnet', erinnert sich der Förderkreis-Chef. Doch 2005 dann habe der
Besitzer, der mittlerweile in Stuttgart lebe, auf einen Verkauf an das Land
Hessen gedrängt und den bestehenden Pachtvertrag mit dem damaligen
Bürgermeister Peter Hillebrandt nicht mehr verlängert. 'Seitdem durfte
niemand mehr aufs Grundstück oder in die Synagoge', so Hocke. Seinen Angaben
nach hätten sich die beiden Beteiligten seit diesem Tag vor 14 Jahren nicht
auf einen Kaufpreis einigen können – und das, obwohl das Land unter anderem
den Bau eines Parkplatzes zusammen mit dem Abriss eines baufälligen Gebäudes
in unmittelbarer Nähe schon für September 2017 zugesichert habe. Für Rolf
Hocke und den Förderkreis ist der Verfall der Synagoge nur schwer mit
anzusehen. Der Pfarrer betont die historische Bedeutung des Denkmals als
Erinnerung an die frühere jüdische Gemeinde in Harmuthsachsen sowie deren
tragische Geschichte während der Zeit der Nationalsozialisten.
Das Landesdenkmalamt kann laut Pressesprecherin Dr. Katrin Bek wegen des
laufenden Verfahrens keine Auskunft erteilen. 'Gerne berichten wir, wenn
eine mit allen Beteiligten abgesprochene Lösung erzielt wurde.'"
Link zum Artikel |
|
September 2023:
Der Verein jüdisches Leben im
Werra-Meißner-Kreis kauft die ehemalige Synagoge
|
Artikel von Stefanie Salzmann in der
"Werra-Rundschau" (Lokales Waldkappel" vom 15. September 2023: "Waldkappel.
Rettung: Verein kauft vom Verfall bedrohte Synagoge in Harmuthsachsen. Für
die einzige noch erhaltene jüdische Synagoge im Kreis in der Ortsmitte von
Harmuthsachsen ist Rettung in Sicht.
Harmuthsachsen – Das Gotteshaus steht im Waldkappeler Ortsteil
Harmuthsachsen. Die Entscheidung, das vom Verfall bedrohte Gebäude zu
erwerben und damit auch als Gedenkort zu erhalten, fiel am Mittwoch auf der
Mitgliederversammlung des Vereins in Abterode einstimmig. 'Das ist ein
dicker Brocken gewesen und ein großer Schritt', sagte Dr. Martin Arnold,
Vorsitzender des Vereins, nach der deutlichen Zustimmung durch die
Mitgliederversammlung erleichtert. 'Mit dem Kauf übernehmen wir eine große
Verantwortung, denn es geht darum, die Synagoge für kommenden Generationen
zu erhalten', sagte Bernd Helbach vom Vorstand des Vereins. Der Verein wird
die Synagoge, das dazugehörige Schullehrerhaus sowie ein drittes Gebäude für
eine Summe von 30.000 Euro kaufen. Weitere 30.000 Euro werden für den Abriss
des dritten Gebäudes, das baufällig und nicht zu retten ist, fällig, schätzt
der Verein.
Die Synagoge in Harmuthsachsen befindet sich derzeit in Privatbesitz, doch
jetzt hat der Eigentümer aus dem Raum Stuttgart einem Verkauf zugestimmt.
Lange Zeit war der Eigentümer weder bereit, das Gebäude zu sanieren, noch es
zu verkaufen. Seit 2005 war die Synagoge nicht mehr zugänglich, seit dem
Abriss eines Nebengebäudes vor zwei Jahren ist die Westwand des Gotteshauses
dem Wetter ausgesetzt.
Letzte von einst 14 Synagogen im Kreis. Die Synagoge in
Harmuthsachsen ist die einzige noch erhaltene Synagoge von ehemals 14 im
Werra-Meißner-Kreis. 2004 war sie noch mit dem Landesdenkmalpreis
ausgezeichnet worden. Der private Eigentümer überließ das Gebäude dem
Verfall und untersagte den Zutritt. Bis 1936 gab es über mehrere
Jahrhunderte eine jüdische Gemeinde in dem Waldkappler Ortsteil. Ab 1933
verließen die seinerzeit noch rund 30 jüdischen Bürger wegen der
Repressalien den Ort. (salz)
Weil mit dem Eigentum an dem Synagogen-Ensemble in Harmuthsachsen auch die
Unterhaltung zu tragen ist, soll eine gemeinnützige Stiftung gegründet
werden, der der Verein, der Landkreis, die Stadt Waldkappel und der
evangelische Kirchenkreis Werra-Meißner angehören sollen. 'Die Stiftung wird
ab 2024 die Trägerschaft der Synagoge übernehmen', sagte Friedhelm Junghans
vom Vereinsvorstand. Damit der Verein die Kaufsumme von 30.000 Euro für das
Synagogenensemble aufbringen kann, will der Kirchenkreis dem Verein ein
zinsloses Darlehen gewähren."
Link zum Artikel |
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Mai 2024:
Die Synagoge wird restauriert
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Artikel von Stefanie Salzmann in der
"Werra-Rundschau" (Lokales Waldkappel) vom 3. Mai 2024: "Arbeiten gehen
weiter: Synagoge in Harmuthsachsen darf jetzt trocknen
Harmutsachsen – Ende Februar dieses Jahres konnte der Verein Freunde
jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis nach jahrelangen zähen Verhandlungen
die Synagoge in Harmuthsachsen in Besitz nehmen. Ein großer Tag für den
Verein, denn damit war der Weg frei, das vom totalen Verfall bedrohte
Kulturdenkmal zu sichern und zu retten. In den Wochen nach der Inbesitznahme
waren die Mitglieder des Vereins alles andere als untätig und die ersten
Schritte zur Erhaltung der Synagoge und der dazugehörigen Nebengebäude sind
bereits getan.
Die Gebäude wurden gegen eindringenden Regen gesichert. Die nach dem Abriss
des Nachbargebäudes seit Jahren frei liegende Westgiebel der Synagoge erhält
jetzt eine Notsicherung durch eine hinterlüftete, witterungsbeständige
Planenabdeckung. Vor einer endgültigen Verkleidung soll die Wand zunächst
austrocknen. In der kommenden Woche werden auf dem Fußboden der Synagoge die
fehlenden Sandsteinplatten ergänzt, sodass im Inneren nun auch eine
Bestuhlung möglich ist. Das vom Einsturz bedrohte Gebäude zwischen
Lehrerwohnhaus und dem Wohnhaus an der Straße wurde so abgestützt, dass die
Baustelle nun sicher betreten werden kann.
Parallel zur Sicherung und Sanierung stellen sich dem Verein viele Fragen,
die aber gemeinsam mit anderen Interessierten diskutiert und gelöst werden
sollen. Was soll mit den Gebäuden geschehen? Was bedeutet die Restaurierung
der Synagoge und der Nebengebäude für Harmuthsachsen? Welche Vorteile
könnten sich für das Dorf ergeben? Wie können sich die Harmuthsächser am
Projekt Synagoge beteiligen? Wie könnte die Zusammenarbeit der
Harmuthsächser mit dem Verein der 'Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens'
aussehen? Wer darüber mehr erfahren möchte, ist am Dienstag, 14. Mai, um 19
Uhr zu einem Gesprächsabend im Gasthaus 'Zur Linde' in Harmuthsachsen an der
Bilsteinstraße 9 eingeladen. Der Abend ist vor allem für die Harmuthsächser
gedacht, aber auch andere sind willkommen.
Für Freitag (17. Mai) lädt der Verein Freunde jüdischen Lebens 15 Uhr zu
einem Arbeitseinsatz ein. Zunächst gilt es, die Gebäude von Schutt zu
befreien und zu reinigen. Wer mitmachen möchte, sollte Arbeitskleidung und
Arbeitshandschuhe mitbringen. Auch Schippen und Schubkarren wären hilfreich.
Damit wir ausreichend Getränke und Verpflegung da sind, wäre eine kurze
Anmeldung unter der E-Mail
info@synagoge-abterode.de hilfreich. Aber auch eine spontane Teilnahme
ist möglich. Der Verein hatte die Synagoge und das dazugehörige Anwesen Ende
vorigen Jahres gekauft und dafür einen zinslosen Kredit des Kirchenkreises
erhalten. Eine Stiftung, an der neben dem Kirchenkreis auch der
Werra-Meißner-Kreis beteiligt sein sollte, ist nicht zustande gekommen.
Derzeit werden Verhandlungen in andere Richtung geführt." |
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Mai 2024:
Offene Fragen nach der
künftigen Nutzung der ehemaligen Synagoge
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Artikel von Kristin Weber in der
"Werra-Rundschau" (Lokales Waldkappel) vom 16. Mai 2024: "Synagoge
Harmuthsachsen: Vorderhaus sorgt die Dorfbewohner.
Bewohner aus Harmuthsachsen beteiligen sich an Informationsveranstaltung zur
Zukunft der Synagoge in dem Stadtteil Waldkappels.
Harmuthsachsen – Im Februar konnte der Verein 'Freundinnen und
Freunde des jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis' die ehemalige Synagoge
in Harmuthsachsen kaufen. Endlich, könnte man sagen – denn bereits seit 1986
bemühte sich der Förderkreis Synagoge Hartmutsachsen unter maßgeblicher
Beteiligung des damaligen Pfarrers Rolf Hocke um den Erhalt des Gebäudes.
2003 war es gelungen, das Fachwerkhaus mit Hilfe der Denkmalpflege von außen
zu sichern, doch jahrzehntelang gab es keine Einigung mit dem Eigentümer. Im
Gegenteil, es gab sogar Rechtsstreit. Somit ist es ein Erfolg für den
Verein, das Gebäude nun gerettet zu haben. Doch die Anschaffung ist auch ein
zweischneidiges Schwert, denn es steckt noch extrem viel Arbeit in den alten
Balken und Ziegeln.
'Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen', gibt der Vorsitzende, Dr.
Martin Arnold, zu. 'Viele fragen uns, warum wir für eine Schrott-immobilie
so viel Geld ausgeben?' Für die Freunde zählt natürlich der ideelle und
historische Wert des geschichtsträchtigen Ortes am meisten, wie sie bei
einer Informationsveranstaltung in Harmuthsachsen darlegen. Seit dem 17.
Jahrhundert gab es eine große jüdische Gemeinde in dem Waldkappler
Stadtteil. Im 19. Jahrhundert waren es um die 160 Personen, die in der
Synagoge ihre religiösen Riten feierten. Doch nach den Verbrechen des
Nationalsozialismus waren alle Juden im Kreis vertrieben oder ermordet. 14
Gemeinden verschwanden, wie Arnold ausführt. 'Von nur vier erhaltenen
Synagogen im Kreis ist dies die Einzige, die heute nicht fremdgenutzt wird',
sagt er. Nach dem Krieg diente sie vor allem als Scheune und ist baulich
weitgehend unverändert. 'Sie befindet sich allerdings in einem sehr
traurigen Zustand', ergänzt der Theologe.
Zusammen mit den Einwohnern in Hartmuthsachsen möchte der Verein nun
überlegen, wie man das Gebäude weiter nutzen könnte. Als Ort für Begegnung,
Erinnerung, Kultur oder als Lernort zum Beispiel. Viele Nachfahren der
jüdischen Familien am Ort, die heute in aller Welt leben, haben immer noch
eine Beziehung zu der Synagoge ihrer Ahnen. 'Unser Ziel ist es, so viele
Menschen vor Ort wie möglich mit einzubinden und diesen Ort an die nächste
Generation zu übergeben', sagt Ludger Arnold aus dem Vereinsvorstand. Der
Verein möchte dabei so transparent wie möglich vorgehen und die Ideen aus
dem Dorf mit einbeziehen, das betonen die Vorstandsmitglieder, und die
Menschen im Dorf schätzen es, gefragt zu werden.
Doch der Schuh drückt an anderer Stelle – und das nicht unerheblich, wie an
dem Abend deutlich wird: das Vorderhaus! Zum Ensemble gehören zwei Gebäude.
Auf den Grundmauern der ehemaligen jüdischen Lehrerwohnung und des Bades
wurde 1959 ein neues Gebäude gebaut. Doch darin befindet sich jetzt der
Schwamm, und die Besitzer der umliegenden Gebäude sorgen sich um ihre
Immobilien. Dieses Haus möchten die Dorfbewohner nicht erhalten. Bei
Ortsvorsteher Josip Kolar haben viele schon ihre Bedenken angemeldet. Und
auch die Stadt Waldkappel plädiert mit Bürgermeister Frank Koch für den
Abbruch des Vorderhauses. Ansonsten sind die Dorfbewohner bereit, sich
einzubringen. Der Kirchenvorstand und der Ortsbeirat unterstützen das
Projekt, wie Pfarrerin Ursula Breul sagt. 'Viele ehemalige Vereine im Ort
befinden sich gerade in der Auflösung', sagt Josip Kolar. 'Aber ich kenne
die Harmuthsächser und weiß, dass sie gerne mitmachen, sobald der Funke
überspringt.' Auch Waldkappels Bürgermeister Frank Koch schätzt die Aussicht
positiv ein. 'Es wird etwas Gutes daraus werden', sagt er. 'Das Projekt muss
leben. Auch Waldkappel hat die Möglichkeit, durch dieses Kulturerbe
bekannter zu werden.'"
Link zum Artikel |
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September 2024:
Zum Stand der Überlegungen für
die Zukunft des Synagogengebäudes |
Artikel von Stefanie Salzmann in der
"Werra-Rundschau" (Lokales Waldkappel) vom 7. September 2024: "Harmuthsachsen:
Eine Synagoge voller Herausforderungen
Die Synagoge in Harmuthsachsen soll am Sonntag, 8. September, für die
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zukünftig ist seitens des Vereins,
der die Synagoge gekauft hat, noch einiges geplant.
Harmuthsachsen – Gut sechs Monate ist es erst her, dass Dr. Martin
Arnold als Vorsitzender des Vereins Freunde jüdischen Lebens im
Werra-Meißner-Kreis den Schlüssel an der Pforte der Synagoge Harmuthsachsen
umdrehte und das Haus nach vielen Jahren erstmals der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden konnte. Es war ein großer Tag für den Verein,
hatte er doch über Jahre hartnäckig über den Kauf der Synagoge verhandelt,
die sich bis dato in Privatbesitz befand.
Offizielle Eröffnung der Synagoge in Harmuthsachsen am 8. September.
Am Sonntag, 8. September, nun – zum bundesweiten Tag des offenen Denkmals –
soll die Synagoge an der Bilsteinstraße 15 des Waldkappler Ortsteiles auch
offiziell eröffnet werden. Von 15 bis 18 Uhr kann die Synagoge von jedermann
besichtigt werden, Mitglieder des Vereins können über Geschichte und
Perspektiven des Hauses Auskunft geben und dazu gibt es Jazzmusik. In den
vergangenen Monaten wurde von zahlreichen Ehrenamtlichen, aber auch
Schulklassen auf dem Anwesen aufgeräumt, die beiden Dächer repariert, der
Sandsteinboden in der Synagoge neu verlegt und erst kürzlich die
freiliegende Westfassade der Synagoge so gesichert, dass keine Feuchtigkeit
mehr in das Gebäude eindringen kann. 'Wir haben in wenigen Monaten viel
erreicht', sagt Dr. Martin Arnold. Kauf und Finanzierung waren für den den
kleinen Verein schon eine große Herausforderung. Doch jetzt muss in die
Zukunft geschaut werden. Und dabei geht es um zwei Aufgaben: die bauliche
Instandsetzung und ein Nutzungskonzept für Synagoge und Lehrerhaus.
Konzept für Zukunft der Synagoge. Das Gebäude der Synagoge soll ein
Ort für Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Vorträge etc. werden. In dem
benachbarten ehemaligen Lehrerhaus will der Verein ein kleines Museum und
Zentrum für jüdische Regionalgeschichte installieren. Das zumindest ist das
Ergebnis von Workshops und Gedankenaustauschen, die in den vergangenen
Monaten stattgefunden haben. 'Ratlos', so drückte es Martin Arnold aus, sei
man über eine Nutzung des Zwischengebäudes. 'Da konnten wir bisher keine
Vorstellung entwickeln, wie eine sinnvolle Nutzung aussehen kann.' Zudem
habe er Sorge, dass das den kleinen Verein auch finanziell überfordern
könne.
Finanziell sieht es schwierig aus. Und in den Finanzen liegt auch
nach wie vor das Problem. Ganz akut ist der Abriss des ebenfalls zum Anwesen
gehörenden Gebäudes zur Straßenseite. Das betont zwar den
'Hinterhofcharakter der Synagoge', ist aber einsturzgefährdet und musste
abgesperrt werden. Geschätzte Kosten für den Abriss zwischen 30.000 und
50.000 Euro. Noch drastischer sind die Ergebnisse einer vorläufigen
Kostenschätzung für die gesamte Instandsetzung und Sanierung von
Synagogengebäude und Lehrerhaus. Die ergab 180.000 Euro für die Synagoge und
430.000 Euro für das Lehrerhaus. Ermittelt hat das die Architektin Barbara
Koch, die dem Bauteam angehört und bereits bei der Sanierung der Synagoge
Anfang der 2000er-Jahre mit im Boot war.
Erstellen von Anträgen und das Warten auf Genehmigungen. Wie Martin
Arnold mitteilte, habe die Landesdenkmalbehörde Unterstützung zugesagt, doch
auch diese werde immer nur anteilig sein. Auch lasse die Zusammenarbeit mit
den Denkmalschutzbehörden 'manchmal seufzen', so Arnold. 'Wir sind im
Dauergespräch, müssen für alles einen Antrag stellen, dann auf die
Genehmigungen warten', sagte der Vereinsvorsitzende. Die Tage gingen darüber
ins Land. 'Das bremst uns.' Hingegen ausgesprochen positiv war die
Spendenbereitschaft. Allein 2023 kamen 27.000 Euro an Spenden beim Verein
an, darunter auch zwei anonyme Großspender, die dem Verein je 5.000 Euro
spendeten. Über seine vielfältigen Bildungsveranstaltungen generiert der
Verein eigene Einnahmen, der Vorstand arbeitet ohne Aufwandsentschädigung,
der Kreis will für 2024 und 2025 Zuwendungen für die Unterhaltung geben.
Zugleich muss der Verein das zinslose Darlehen von 30.000 Euro, das die
Landeskirche für den Kauf der Synagoge gewährt hat, in den nächsten Jahren
zurückzahlen und einen Weg finden, notwendige Investitionen zu finanzieren.
Info: Besichtigung und Programm der Synagoge, Bilsteinstraße 15,
Harmuthsachsen, Sonntag, 8. September, 15 bis 18 Uhr."
Link zum Artikel |
Adresse/Standort der Synagoge: Bielsteinstraße
15
Fotos
(Quelle: obere Zeile: Th. Altaras 1988 S. 74 und
Umschlag hinten)
Die ehemalige Synagoge vor
der
Restaurierung im März 1985 |
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Blick auf den Ostgiebel mit
dem
Vorbau des Toraschreines
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Die südliche Trauseite
der ehemaligen Synagoge mit dem
Scheunentor zur Einfahrt mit dem Traktor |
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Vor Beginn der
Restaurierungsarbeiten
im April 1996
(Quelle der Fotos:
Kollmann/Wiegand s.Lit.) |
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Bestandsaufnahme vom Grundriss
im Erdgeschoss |
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Ostfassade mit Blick auf die
frühere
Apsis im Bereich des Toraschreines |
Fenster in der
Nordostecke
in Emporenhöhe |
Innenaufnahme: in Höhe der
Frauenempore
war ein Heuboden eingezogen |
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Bogen mit Inschrift über dem
Toraschrein |
Ablage für Bücher u.a.m. |
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Die ehemalige
Synagoge
im Frühjahr 2009
(Fotos: Hahn: 8.4.2009) |
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Blick auf die
ehemalige Synagoge von Süden her, rechts das ehemalige jüdische
Gemeindehaus mit Schule, Lehrerwohnung und der Mikwe. |
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Das Eingangstor |
Tafel zur Erinnerung an die Verleihung
des
Hessischen Denkmalschutzpreises 2004 |
Vorbau im Bereich des
früheren Toraschreines |
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Innenaufnahmen der
ehemaligen Synagoge; auf dem Boden links liegt das
Segmentbogenportal
über dem früheren Toraschrein mit der hebräischen Inschrift. |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde
Harmuthsachsen |
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Harmuthsachsen sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,430 Geburts-, Trau- und Sterberegister der
Juden von Harmuthsachsen 1825 - 1877: enthält Geburtsregister 1825
- 1877, Trauregister 1825 - 1877 und Sterberegister 1825 -
1876;
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4101086
HHStAW 365,432 Gräberverzeichnis des alten und des neuen
jüdischen Friedhofs in Harmuthsachsen, aufgenommen durch Curt Wolf aus
Eschwege und D. Goldschmidt aus Frankershausen im Juni 1938; Laufzeit 1846
- 1936; enthält hebräische und deutsche Grabinschriften auf dem alten
jüdischen Friedhof auf dem Rauschenberg, 1846 - 1902 und hebräische und
deutsche Grabinschriften auf dem neuen jüdischen Friedhof an der Straße
'im alten Dorf', 1906 - 1936;
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v5319769
HHStAW 365,431 Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden
von Harmuthsachsen 1877 - 1936: enthält Trauregister 1877 - 1931,
Geburtsregister 1877 - 1927 und Sterberegister 1877 - 1936
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4449181
|
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 336-337. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 74. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 68. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 236. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 434. |
| Karl Kollmann / Thomas Wiegand: Spuren einer
Minderheit. Jüdische Friedhöfe und Synagogen im Werra-Meissner-Kreis.
Hrsg. von der Historischen Gesellschaft des Werralandes. Kassel 1996. S.
87-89 u.ö. |
| Rolf Hocke: Jüdisches Leben in Harmuthsachsen. In
Eschweger Geschichtsblätter 31/2020, S. 45-58.
Online
zugänglich (zusammen mit dem nachfolgenden Abschnitt; pdf-Datei)
|
| Rolf Hocke: Von Büchern und Menschen. In Eschweger
Geschichtsblätter 31/2020, S. 59-72.
Online
zugänglich (zusammen mit dem vorherigen Abschnitt; pdf-Datei)
|
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Harmuthsachsen
Hesse-Nassau. Established in the 18th century, the community opened a
synagogue in 1833 and numbered 130 (25 % of the total) in 1861. It was
affiliated with Kassel's rabbinate. Most of the remaining 30 Jews had left by
1937, when the community disbanded. At least five perished in the
Holocaust.
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